Nemesis

Nehmen wir einmal an, die Sonne wäre nicht allein, sondern hätte einen Zwillingsstern. Nehmen
wir des Weiteren an, dieser Zwillingsstern bewegt sich auf einem elliptischen Orbit, mit einem
Abstand zur Sonne zwischen 90.000 AE (1,4 Lichtjahre) und 20.000 AE, mit einer Periode von 30
Millionen Jahren. Und nehmen wir schließlich an, dieser Stern sei dunkel und letztendlich sehr fein,
und daher haben wir ihn bislang nicht entdeckt. Dies würde bedeuten, dass alle 30 Millionen Jahre
dieser hypothetische Zwillingsstern der Sonne die Ortwolke durchqueren würde (eine hypothetische
Wolke von Proto-Kometen mit einem großen Abstand zur Sonne). Während einer solchen Passage
würden die Proto-Kometen durcheinandergewirbelt werden. Einige Zehntausende Jahre später
würden wir hier auf der Erde einen dramatischen Anstieg der Anzahl von Kometen feststellen, die
das innere Sonnensystem durchqueren. Wenn natürlich die Anzahl der Kometen ansteigt, tut dies
naturgemäß auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde mit dem Kern eines dieser Kometen
kollidiert.

Bei näherer Untersuchung der geologischen Erdgeschichte scheint sich zu ergeben, dass einmal
ungefähr alle 30 Millionen Jahre ein großes Massensterben des Lebens auf der Erde eingesetzt hat.
Das bekannteste dieser Massensterben ist natürlich das Aussterben der Dinosaurier vor etwa 65
Millionen Jahren. Nach dieser Hypothese wäre also in etwa 15 Millionen Jahren mit dem nächsten
Massensterben zu rechnen.

Dieser hypothetische „Todeszwilling“ der Sonne wurde 1985 von Daniel P. Whitmire und John
J. Matese, Univ of Southern Louisiana, vorgeschlagen. Er hat auch schon einen Namen: Nemesis.
Ein schwieriger Fakt der Nemesis-Hypothese ist, dass es keinerlei sonstige Hinweise gleich welcher
Art auf so einen Zwillingsstern der Sonne gibt. Er müsste nicht sehr hell oder massig sein, ein
Stern, der viel kleiner und dunkler als die Sonne ist, würde genügen, sogar ein brauner
oder schwarzer Zwerg (ein planetenähnlicher Körper, der nicht genug Masse besitzt, um eine
„Wasserstoffverbrennung“ wie bei einem Stern in Gang zu setzen).

Es ist möglich, dass er sogar in einem der Kataloge dunkler Sterne auftaucht, ohne dass jemand
etwas besonderes bemerkt hätte, namentlich die scheinbar gewaltige Bewegung, die er vor dem
Hintergrund der viel entfernteren Sterne vollziehen würde (d.h. seine Parallaxe). Sollte er gefunden
werden, dürften die wenigsten daran zweifeln, dass er Hauptursache des regelmäßigen
Massensterbens auf der Erde ist.

Es gibt aber auch Ansichten mythischer Kräfte. Wenn ein Anthropologe früherer Generationen eine
derartige Geschichte von seinen „Informanten“ zugetragen bekommen hätte, würde sich die
vorherrschende Schulmeinung zweifelsohne Begriffen wie "primitiv" oder "vorzeitlich" bedienen.
Dazu die folgende Geschichte: Es gibt eine weitere Sonne am Himmel, einen Dämonenstern, den
wir nicht sehen können. Vor langer Zeit, noch vor der Zeit unserer Vorväter, griff dieser
Dämonenstern die Sonne an. Kometen fielen, und ein fürchterlicher Winter überfiel die Erde. Fast
alles Leben wurde zerstört. Die Dämonensonne hat schon viele Male angegriffen. Sie wird es
wieder tun. Daher dachten manche Wissenschaftler, diese Nemesistheorie ist ein Witz, als sie zuerst
davon hörten - eine unsichtbare Sonne, die die Erde mit Kometen angreift, hört sich nach
Täuschung oder einer Fabel an.

Es bedarf einer zusätzlichen Portion Skeptizismus, weil wir ständig in Gefahr sind, uns selbst
zu betrügen. Aber auch, wenn diese Theorie spekulativ ist, sie ist seriös und respektabel, weil der
wesentliche Gegenstand überprüfbar ist - man findet den Stern und untersucht seine Eigenschaften.
Dennoch, nachdem die Untersuchung des gesamten Himmels in Infrarot durch IRAS keine
„Nemesis“ entdecken konnte, ist eine Existenz von „Nemesis“ nicht sehr wahrscheinlich.

(Quelle:

http://reitenshi.pytalhost.de/hauptsite2/nemesis.htm

)

Wörter und Wendungen:

1. annehmen – eine Hypothese aufstellen

2. der Zwillingsstern – ein identischer Stern, ein „Bruder“ des Sternes

3. der Zwilling – eine Mutter kann gleichzeitig zwei Kinder gebären – diese Kinder nennt man

Zwillinge

4. des Weiteren – weiter

5. AE – Astronomische Einheit (1 AE = 149 597 870 km)

6. letztendlich – schließlich

7. die Ortwolke – das ist schon im Text erklärt (poln. „Obłok Oorta“)

8. durchqueren – (in der Mitte) passieren

9. die Passage – hier: das Durchqueren, das Passieren, das Hindurchfliegen

10. durcheinanderwirbeln - in schnelle (kreisende) Bewegung versetzen, einen Wirbel erzeugen

11. der Anstieg – die Vergrößerung

12. naturgemäß – für die Natur typisch

13. die Wahrscheinlichkeit - Grad der Möglichkeit des Eintretens bzw. der Voraussagbarkeit eines

Ereignisses

14. kollidieren – zusammenstoßen, eine Kollision haben

15. die Untersuchung – das Untersuchen, die Recherche

16. es scheint sich zu ergeben – wir haben den Eindruck, dass sich ein Resultat ergibt

17. das Massensterben – eine Situation, wenn sehr viele Wesen (z. B. Tiere) sterben

18. einsetzen – beginnen, anfangen

19. es ist mit etwas zu rechen – man soll etwas erwarten

20. keinerlei – keine

21. die Hinweise – hier: Anzeichen, Symptome

22. massig – mit großer Masse, mit großem Gewicht

23. es würde genügen – es würde ausreichen

24. planetenähnlich – wie ein Planet, einem Planeten ähnlich

25. die Wasserstoffverbrennung – die thermonukleare Verbrennung des Wasserstoffs (so wie in einer

Wasserstoffbombe)

26. der Wasserstoff – chemisches Element, gasförmig (Symbol „H“)

27. etwas in Gang setzen – aktivieren, einen Prozess beginnen

28. auftauchen – hier: erscheinen

29. namentlich – hier: besonders, vor allem

30. scheinbar – anscheinend, nicht wirklich, auf einer Illusion (Täuschung) basierend

31. gewaltig – sehr groß, sehr intensiv, riesengroß, immens

32. eine Bewegung vollziehen – sich bewegen

33. der Hintergrund - hinterer, abschließender Teil des Blickfeldes bzw. des im Blickfeld liegenden

Raums, Bereichs (von dem sich die Gegenstände abheben)

34. d. h. - das heißt, das ist

35. die Parallaxe – das ist schon im Text erklärt

36. die Hauptursache – die wichtigste Ursache

37. regelmäßig – zyklisch, periodisch, sich wiederholend

38. die Ansichten – die Meinungen

39. der Informant – jemand, der uns über etwas informiert hat

40. zugetragen bekommen – hier: bekommen, erhalten

41. die vorherrschende Schulmeinung – die offizielle Meinung der Wissenschaft(ler)

42. sie würde sich der Begriffe bedienen – sie würde Begriffe benutzen

43. der Begriff - ein Ausdruck oder Wort, das eine bestimmte Sache (oft aus einem speziellen

Bereich) bezeichnet

44. vorzeitlich – sehr alt, prähistorisch

45. unsere Vorväter – unsere Ahnen

46. griff ... an – von „angreifen“ (also „attackieren“)

47. überfallen - jemanden / etwas plötzlich angreifen

48. die Täuschung – die Illusion

49. die Fabel - lehrhafte, oft satirische Erzählung in Vers oder Prosa, in der Tiere nach menschlichen

Verhaltensweisen handeln und in der eine allgemein anerkannte Wahrheit, eine praktische

Lebensweisheit oder Ähnliches veranschaulicht wird (Äsop oder Krylow schrieben die Fabeln)

50. es hört sich nach einer Fabel an – es klingt so, als ob es eine Fabel wäre

51. es bedarf einer zusätzlichen Portion Skeptizismus – man braucht eine zusätzliche Portion

Skeptizismus

52. der Skeptizismus – die Skepsis (wenn man an etwas zweifelt - also es nicht glaubt)

53. ständig in Gefahr sein – immer in einer gefährlichen (= bedrohlichen) Situation sein

54. sich selbst betrügen – sich selbst belügen, sich selbst keine Wahrheit sagen (wollen)

55. spekulativ – hypothetisch, nicht sicher, nicht bewiesen, auf Vermutungen basierend

56. seriös – hier: solide, wirkend

57. respektabel – Respekt verdienend

58. der wesentliche Gegenstand – hier: das Wichtigste in dieser Theorie

59. überprüfbar – so, dass man es überprüfen kann

60. die Eigenschaften – das Merkmal, etwas was für etwas charakteristisch ist

61. dennoch – trotzdem

62. gesamt – ganz

63. IRAS – eine Spektroskopie im Infrarot-Bereich (zum Beispiel mit einem Infrarot-Satelliten, der

eine Infrarotkamera hat, die es möglich macht, im Dunkeln zu sehen, das heißt die „Wärme“

zu registrieren)

64. entdecken – finden

(semantisiert von Marcin Perliński)