Hamilton, Diana Tage wie in einem Rausch

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Tage wie in einem Rausch

Diana Hamilton

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1. KAPITEL

"Was brauchst du so lange?" Ein glutvolles Versprechen lag in

Jeds Augen, während er sie unter halb geschlossenen Lidern sinn-
lich betrachtete. "Komm wieder ins Bett, Mrs. Nolan. Und zieh
dieses Ding aus. Ohne alles gefällst du nur besser."

Elena konnte ihn nicht ansehen. Ihr war übel. Es ist der Schock,

sagte sie sich, oder Einbildung. Sie schob die Hände in die Taschen
ihres seidenen Morgenmantels, damit er nicht sah, wie sehr sie
zitterte.

Allein bei Jeds Anblick wurden ihr die Knie weich. Er war ihre

Liebe, ihr Leben, ihr Alles. Bei ihm fühlte sie sich geliebt, sicher
und geborgen.

Unter dem dünnen Laken zeichnete sich sein schlanker,

muskulöser Körper ab. Ein Meter fünfundachtzig pure Sinnlichkeit,
die Elena immer wieder aufs Neue in ihren Bann zog. Für einen

sechsunddreißigjährigen Geschäftsmann - Dan hatte ihn einmal

spöttisch als Ladenbesitzer bezeichnet -

besaß er einen
außergewöhnlich athletischen Körper. Sein Gesicht war fast

klassisch perfekt, bis auf das energische Kinn und die Nase, die er
sich beim Rugbyspielen gebrochen hatte.

Die Erinnerung an Dan ließ sie zusammenzucken. Wie hatte sie

nur so leichtsinnig sein können? Damals glaubte sie zu wissen, was
sie tat.

Dabei hatte sie gar nichts gewusst und es auf ihre übliche sture

Art gemacht und alles gewollt. Alles.

Diese Neuigkeit würde das Glück ihrer jungen Ehe zerstören.

Wie sollte sie es Jed nur beibringen? Sie konnte es nicht. Zumind-
est jetzt noch nicht, da sie es selbst erst seit zehn Minuten wusste.

Elena seufzte unglücklich, schlüpfte aus dem Morgenmantel

und ließ sich neben Jed aufs Bett fallen. Sie umarmte ihn stürmisch
und flüsterte fast verzweifelt: "Ich liebe dich ... Ich liebe dich!"

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"Immer noch? Nach einer ganzen Woche Ehe?" fragte er

amüsiert und strich ihr das lange blonde Haar aus dem Gesicht.

"Jed, mach dich nicht lustig über mich!" sagte Elena gequält.
"Niemals!" Er drehte sie auf den Rücken, stützte sich auf den

Ellbogen und lehnte sich halb über sie. Das dichte schwarze Haar
fiel ihm in die Stirn, und er lächelte zärtlich, während er mit dem
Daumen sanft ihre Lippen berührte.

Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hätte nie geglaubt, je-

manden so sehr lieben zu können, dass es schmerzte. Oder dass sie
sich je so fürchten würde. Zehn Jahre lang hatte sie nichts und
niemanden gefürchtet. Sie hatte gewusst, was sie wollte, und alles
getan, um es zu bekommen. Und nun war sie durch eine leichtsin-
nige, überhebliche Dummheit ein ängstliches, hilfloses Geschöpf
geworden.

"Etwas stimmt nicht." Jed zog die dunklen Brauen zusammen.
"Was ist los, Liebling?"
Sie konnte es ihm jetzt nicht sagen! Erst musste sie sich selbst

damit abfinden, und sogar dann würde es fast unmöglich sein. Es
fiel Elena schwer, ihm nicht die ganze Wahrheit zu gestehen, und
sie flüsterte mit zittriger Stimme: "Nichts. Nur wir sind so glück-
lich, dass es mir fast Angst macht." Und das wenigstens war nicht
gelogen.

Vorher hatte sie keine Angst gehabt. Sie hatte ihre Liebe und ihr

Glück einfach akzeptiert. Doch jetzt fürchtete sie, dieses Glück zu
verlieren, fürchtete, dass seine Liebe zu ihr nicht stark genug sein
würde, um das zu verkraften, was sie ihm sagen musste.

Das unglaublich kostbare Geschenk ihrer Liebe war so schnell

und unverhofft gekommen. Sie war so unsagbar glücklich gewesen,
dass sie nicht daran gedacht hatte, es könnte ihr genauso schnell
wieder genommen werden.

Elena drängte die Tränen zurück, als sie Jeds finsteren Gesicht-

sausdruck sah, und sagte: "Weißt du, ich kann immer noch nicht
glauben, dass du dich in eine dreißigjährige, geschiedene Frau ver-
liebt hast, da du doch jede hättest haben können!" Sie versuchte

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vergeblich, sich ein Lächeln abzuringen, und schloss stattdessen die
Augen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie spürte, wie er sanft
mit den Lippen ihre geschlossenen Lider berührte.

"Ich wollte nicht einfach jede", erwiderte er heiser. "Nur dich,

vom ersten Moment an, als ich dich sah. Trotz der traurigen Gele-
genheit hatte ich das Gefühl, dich schon ewig zu kennen, nach al-
lem, was Dan mir von dir erzählt hattet Ich wusste sofort, dass ich
für den Rest meines Lebens mit dir zusammenbleiben wollte."

Es war erst sechs Wochen her, seit sie aus ihrer Wahlheimat

Spanien zu Dans Begräbnis nach England gereist war. Der raue,
kalte Aprilwind war über den kleinen Friedhof in Hertfordshire ge-
fegt und hatte alles noch viel trauriger gemacht. Doch ein Blick auf
Dans älteren Bruder hatte Elena genügt, und sie wusste, sie hatte
den Mann ihres Lebens gefunden. Ihr Schwur, sich niemals mehr
gefühlsmäßig abhängig zu machen, war gebrochen.

Ein Blick, und ihr Leben hatte sich geändert. Sie selbst hatte

sich geändert.

Jed legte sich neben sie und zog sie an sich, als wäre sie das

Kostbarste auf der Welt. "Ich wollte keine dieser glitzernden, künst-
lichen und oberflächlichen Damen, die regelmäßig in den Klatsch-
kolumnen auftauchen und nur auf gefüllte Bankkonten aus sind.
Ich wollte dich. Talentiert, erfolgreich, selbstbewusst, bezaubernd
schön. Und als Zugabe auch noch unglaublich sexy. Du hast mir
gesagt, dass du keinen Kontakt mehr zu deinem Exmann hast.

Und außerdem warst du noch ein halbes Kind, als du geheiratet

hast neunzehn, oder? Tja, jeder macht im Leben mal einen Fehler!"

Einen Fehler? Es gab noch einen, Würde Jed darauf auch so

verständnisvoll reagieren?

Hätten sie doch nur nicht so schnell geheiratet. Hätte sie doch

nur nicht geglaubt, dass sich aus dem, was Dan und sie getan hat-
ten, keine Konsequenzen ergeben würden. Sie erinnerte sich an
jene Nacht: Wein, der viel versprechende spanische Frühling, Sen-
timentalität, das Gefühl, dass in ihrem erfolgreichen Leben etwas
fehlte. Und das hatte nun dazu geführt, dass ihre Beziehung zu

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diesem Mann vergiftet wurde. Zu dem Mann, der ihr überhaupt
erst klargemacht hatte, zu welcher Liebe sie fähig war.

Fieberhaft begann Elena, ihn zu küssen, presste die Hände ge-

gen seine feste, warme Haut, fühlte seine starken Muskeln unter
den Fingern. Sie hörte, wie er den Atem anhielt, spürte, wie sein
Körper auf ihre Liebkosungen reagierte, und drängte ihre heißen
Tränen zurück.

Sie wollte jetzt nicht weinen, denn vielleicht würde es nicht

mehr viele solcher Momente in ihrem Leben geben.

Als Jed sie küsste, leidenschaftlich und fordernd, erwiderte sie

seinen Kuss mit aller Hingabe und Bewunderung, derer sie fähig
war.

Sie schlang die Beine um ihn, öffnete sich ihm, nahm ihn be-

gierig in sich auf und reagierte auf seine Liebkosungen mit dem
gleichen Begehren, das sie auch in ihm spürte.

Die Intensität dieses Erlebnisses nahm ihr fast den Atem, und

sie überließ sich einfach der Leidenschaft, vergaß ihre Angst, lebte
nur für den Augenblick, während sie sich langsam und bedächtig
liebten und sich gegenseitig immer wieder an den Rand der Ekstase
trieben.

Sie liebkoste die warme Haut seines Halses mit den Lippen,

spürte seinen wilden Herzschlag und bewahrte dieses Gefühl in ihr-
er Seele, denn es würde vielleicht das letzte Mal sein, dass sie so
zusammen waren.

"Daran könnte ich mich gewöhnen!"
Jed stand mit dem Rücken zu ihr an der Mauer, die die Terrasse

vom sonnenüberfluteten, steil abfallenden Garten trennte. Obwohl
sie barfuß war, musste er gehört haben, wie sie aus dem Haus trat.
Oder er spürte ihre Anwesenheit, genau wie sie seine Nähe spürte,
noch bevor sie ihn sah.

Er sah so männlich und attraktiv aus in seinem schwarzen T-

Shirt und den engen grauen Jeans, dass es Elena den Atem nahm,
als er sich jetzt zu ihr umdrehte. "Und damit du nicht denkst, wir

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würden die Flitterwochen in deinem Haus verbringen, damit ich
das Geld für ein Hotel spare, habe ich Frühstück gemacht."

Kaffee, frisches Obst, knusprige Brötchen und eine Schale mit

Oliven. Sie wollte ihn für seine Bemühungen loben, doch sein
warmes Lächeln und das unverhüllte Begehren in seinen Augen
lenkten sie ab.

"Obwohl ich keinen Hunger habe", fügte er hinzu. "Du siehst

nämlich zum Anbeißen aus, und meinen riesigen Appetit kannst du
am besten stillen."

Wirklich? Als ihre Blicke sich trafen, stieg Elena das Blut in die

Wangen. Jeder Augenblick war jetzt doppelt kostbar, jedes
liebevolle Wort musste sie in Erinnerung behalten, denn bald
würde alles zu Ende sein.

Nach dem Duschen war sie in ausgefranste Jeans und ein altes

weißes T-Shirt geschlüpft, ohne sich Gedanken um ihr Aussehen zu
machen. Als Jed aufgestanden war, hatte sie vorgegeben zu sch-
lafen, um etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Und ihr war
aufgegangen, dass es keinen Sinn hatte, auf den richtigen Zeitpunkt
zu warten. Der Zeitpunkt würde nie richtig sein für das, was sie ihm
sagen musste.

Und wenn sie ihm die Wahrheit noch länger vorenthielt, wurde

er nur noch schlechter von ihr denken.

Aber als er sie jetzt ansah und den Blick über ihre schlanke

Gestalt gleiten ließ, über ihre langen, sonnengebräunten Beine,
fühlte sie sich wie gebannt von seiner sinnlichen Ausstrahlung. Sie
hasste ihre Schwäche, und doch nahm sie zu Alltäglichkeiten Zu-
flucht, um das Gespräch noch einige Stunden aufzuschieben. Daran
konnte doch nichts Falsches sein, oder?

Während sie Kaffee einschenkte, sagte sie so unbefangen wie

möglich: "Hör auf, nach Komplimenten zu jagen! Du bist kein
Geizhals. Ich habe dich doch praktisch überredet, die Flitterwochen
hier zu verbringen."

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Elena war mit Recht stolz auf ihr Heim, ein ehemaliges andalus-

isches Bauernhaus, das sie von einem Teil des Honorars für den
Verkauf der Filmrechte an ihrem ersten Bestseller erworben hatte.

Sie würden es als Ferienhaus behalten, damit Jed sich hier so

oft wie möglich von seiner anstrengenden Tätigkeit als Geschäfts-
führer des Familienunternehmens erholen konnte. Mit Niederlas-
sungen in London, Amsterdam, Rom und New York war die Firma
seit zweihundert Jahren auf den Verkauf von Edelsteinen und Edel-
metallen an die Reichen dieser Welt spezialisiert.

Dan hatte nie etwas mit der Firma zu tun haben wollen.

Stattdessen hatte er sich einen Namen als Fotojournalist gemacht.

Elena schob den Gedanken an Dan schnell beiseite, doch als

hätte Jed es geahnt, kam er in diesem Moment auf ihn zu sprechen.
"Jetzt verstehe ich, warum Dan zwischen seinen Aufträgen so oft
hierher gekommen ist. Das Leben ist viel geruhsamer, man hat eine
wunderbare Aussicht, und immer scheint die Sonne. Er hat mir ein-
mal gesagt, dass er nur hier Frieden finden könne."

Jed schenkte sich Kaffee nach und wollte auch ihren Becher fül-

len, doch sie schüttelte den Kopf. Ihre Nerven waren zum Zerreißen
gespannt, während er über seinen Bruder redete. Warum aus-
gerechnet jetzt? Sie konnte Jed nicht in die Augen sehen.

Er nahm sich eine Orange aus der Schale und begann sie zu

schälen. Seine Stimme klang seltsam schroff, als er sagte: "In den
letzten Jahren hat man ihn nur in die schlimmsten Krisengebiete
geschickt. Ich weiß zwar, dass er die Gefahr liebte, aber er muss
sehr dankbar gewesen sein für die Ruhe, die er hier finden konnte.
Bei dir.

Er wusste so viel von dir - ihr müsst euch sehr nahe gestanden

haben."

Elena wurde die Kehle eng. Seit dem Begräbnis hatte Jed kaum

über Dan gesprochen, doch jetzt schien die Trauer sich Bahn zu
brechen. Die Brüder waren sehr unterschiedlich gewesen, aber sie
hatten sich geliebt. Und jetzt meinte Elena, noch etwas anderes zu
spüren. War es Eifersucht?

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"Er war ein guter Freund", sagte sie und hörte selbst, dass ihre

Stimme unsicher klang. Sie beobachtete, wie Jed die Orange
schälte.

Plötzlich erschienen ihr seine Bewegungen hart und rück-

sichtslos, und sie fragte sich erschaudernd, ob sie ihn wirklich so
gut kannte.

"Ich glaube, in gewisser Weise hat er missbilligt, dass ich meine

Pflicht getan habe, wie er es nannte. Dass ich nach Vaters Tod die
Firma und die Verantwortung übernommen habe. Vielleicht hat er
mich sogar ein wenig dafür verachtet."

"Nein!" Sie konnte nicht zulassen, dass er das dachte. "Gerade

weil du deine Pflicht getan hast, und zwar gut, hat er dich bewun-
dert und respektiert - wenn auch widerwillig. Er hat mir einmal
erzählt, dass dein Geschäftssinn ihn geradezu ängstige und dass er
lieber seinen eigenen Weg gehe, anstatt ewig in deinem Schatten zu
stehen."

Jed betrachtete sie forschend, als müsste er darüber nachden-

ken, ob sie die Wahrheit sagte. Schließlich gab er zu: "Das wusste
ich nicht.

Vielleicht hätte ich ihn sonst nicht um seine Freiheit und Sor-

glosigkeit beneidet." Er verzog den Mund. "Ich glaube, es gibt noch
vieles, was ich über meinen jüngeren Bruder nicht wusste. Außer
dass er dich sehr gern hatte. Jedes Mal, wenn er auf einer seiner
Stippvisiten nach Hause kam, hat er von dir gesprochen. Er hat mir
eines deiner Bücher gegeben und mir geraten, beeindruckt zu sein.
Und das war ich, auch ohne seinen Rat", fügte Jed kühl hinzu.
"Deine Horrorgeschichten sind anspruchsvoll, intelligent ges-
chrieben und raffiniert. Eine erfrischende Abwechslung zu den üb-
lichen Machwerken dieser Gattung."

"Danke." Doch sie hörte in seiner Stimme einen ungewohnten,

fast anklagenden Unterton. Schnell stand sie auf, ging zur Ter-
rassenmauer und betrachtete die wunderbare Landschaft, ein An-
blick, der sie sonst beruhigte, heute jedoch seine Wirkung verfehlte.

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Ihr Haus lag auf einem Kalksteinhügel hoch über einem kleinen

Dorf, und der stetige leichte Wind vom Atlantik trug den Duft der
Pinienwälder herüber und sorgte trotz der heißen Maisonne für
Kühlung.

Elena schloss die Augen und versuchte, sich ganz auf das Gefühl

der kühlen Brise auf ihrer Haut zu konzentrieren, um Kraft für das
zu sammeln, was sie Jed gleich sagen müsste. Resigniert überlegte
sie, dass selbst ihre sprachliche Begabung ihr wahrscheinlich nicht
helfen würde, ihm verständlich zu machen, warum sie damals so
und nicht anders gehandelt hatte.

Seit dem katastrophalen Ende ihrer ersten Ehe hatte sie sich be-

ständig geweigert, sich von irgend etwas geschlagen zu geben, hatte
gegen alles gekämpft, was sich ihr auf dem Weg zur Unabhängigkeit
in den Weg stellte. Aber dies - dies war etwas ganz anderes ...

"Du hast nichts gegessen." Jed stand plötzlich hinter ihr, ber-

ührte sie aber nicht. Die Hitze seines Körper schien sie zu versen-
gen, trotzdem schauderte sie. "Hast du plötzlich den Appetit
verloren?"

Sein kühler Ton ängstigte sie. Ahnte er etwa schon etwas? Nein,

unmöglich. Warum verdarb sie sich und ihm also die letzten glück-
lichen Stunden? Sie rang sich ein Lächeln ab und drehte sich um.

"Nein. Ich bin nur furchtbar faul." Sie ging zum Tisch zurück

und nahm sich einige Weintrauben aus der Obstschale. Irgend et-
was müsste sie essen, obwohl ihr allein beim Gedanken daran übel
wurde.

"Was meinst du, sollen wir heute nicht zur Küste

hinunterfahren?

Nach Cadiz vielleicht oder Vejer de la Frontera, da ist es ruhiger.

Wir sind die ganze Woche noch nicht aus dem Haus gekommen."

Im Bewusstsein, dass er sie beobachtete, stopfte sie sich nervös

die Trauben in den Mund und hätte sich beinahe verschluckt, als
sie ihn sagen hörte: "Bisher hatten wir auch nicht das Bedürfnis,
oder?"

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Vielleicht sollte es beiläufig klingen, doch in ihren Ohren hörte

es sich wie eine Anklage an. Bisher waren sie sich selbst genug
gewesen.

Es hatte ihnen gereicht, im Garten und im angrenzenden Pini-

enwald spazieren zu gehen, auf der Terrasse oder in der rosenum-
rankten Laube zu essen und die wundervolle Einsamkeit zu
genießen, ihre Liebe, das Entzücken, einfach zusammen zu sein.

"Natürlich nicht." Elena fühlte Panik in sich aufsteigen. Warum

verschwand das wunderbare Gefühl der Nähe und

Zusammengehörigkeit schon jetzt, noch bevor sie ihm alles ge-

beichtet hatte? Das war nicht fair. Und diese Distanz zwischen
ihnen hatte sich erst aufgebaut, als Jed begonnen hatte, von Dan zu
sprechen. Im Bemühen, die Nähe wiederherzustellen, sagte sie so
unbefangen wie möglich: "Bevor wir ankamen, hat Pilar, meine
Haushälterin, die Lebensmittelvorräte aufgefüllt. Aber allmählich
müssen wir sie wieder aufstocken, und deshalb dachte ich, wir kön-
nten den Einkauf mit einem kleinen Ausflug verbinden."

"Meinst du?" Jed ließ sich ihr gegenüber auf dem Stuhl nieder

und betrachtete sie forschend aus stahlgrauen Augen. "Dan und ich
hatten unsere Differenzen", sagte er düster. "Aber er war mein
Bruder, und ich habe ihn geliebt. Sein Tod hat mich getroffen. Erst
als ich hierher kam, wo er Ruhe und Entspannung gefunden hat,
sind mir diese Gefühle bewusst geworden. Aber mir scheint, dass
du nicht über ihn sprechen willst. Warum nicht?"

Was sollte sie sagen? Er hatte ja Recht. Elena griff nach ihrem

Becher, trank den lauwarmen Kaffee und hätte sich fast ver-
schluckt, als Jed kurz angebunden fragte: "Weil ihr ein Verhältnis
hattet?"

Der Magen zog sich ihr zusammen, und auf der Stirn spürte sie

kalten Schweiß. Zum ersten Mal, seitdem sie sich kannten, verwün-
schte sie seine unheimliche Begabung, sie zu durchschauen.

Sie verkrampfte die Hände im Schoß und versuchte zu lächeln.

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"Warum fragst du? Erzähl mir nicht, du willst einen Streit vom

Zaun brechen!" Es sollte scherzhaft klingen, und sie hoffte nur, dass
er nicht ahnte, wie verängstigt sie sich fühlte.

"Ich frage, weil du so beunruhigt wirkst, wenn ich von Dan rede.
Bisher habe ich noch nie darüber nachgedacht, aber Dan hat viel

Zeit hier verbracht. Sein gutes Aussehen, sein Charme, der Hauch
von Gefahr, der ihn umgab - er war schließlich kein einfacher
Ladenbesitzer - und eine sehr schöne Frau, die er bewunderte. Zähl
das mal zusammen." Jed zog fragend die Brauen hoch. "Nun?"

Elena fühlte sich bis in die Grundfesten erschüttert. Jed ver-

suchte zwar, gleichmütig auszusehen, doch in den Taschen seiner
Jeans hatte er die Hände zu Fäusten geballt, und seine Lippen war-
en zusammengepresst. Es musste mehr dahinter stecken.

Er hatte ihre Ehe mit Liam Forrester als Belanglosigkeit abgetan

und nie gefragt, ob es in der Zwischenzeit andere Männer für sie
gegeben habe. Ihm schien das Wichtigste ihre gemeinsame Zukunft
zu sein, und sie hatte von ihm nur Liebe, Wärme und Leidenschaft
kennen gelernt.

Doch jetzt erinnerte Jeds Verhalten verdächtig an Eifersucht.

Weil Dan sein Bruder gewesen war? Die zynische Betonung des
Wortes

"Ladenbesitzer" sagte ihr, dass Dan ihn damit aufgezogen haben

musste und dass ihn das immer noch wurmte.

Hatte Dan gut ausgesehen? Wahrscheinlich. Kleiner und zier-

licher als sein Bruder, dunkelbraunes Haar, hellblaue Augen, feine
Gesichtszüge. Dennoch konnte er seinem älteren Bruder nicht das
Wasser reichen ... Dan hatte nichts von Jeds gefährlicher Männlich-
keit gehabt, von dessen fast bedrohlicher sexueller Ausstrahlung.

"Elena, ich muss es wissen."
Der seltsame Unterton in Jeds Stimme war ihr fremd. Noch

gestern hätte sie ihn beruhigen können, doch jetzt... Immerhin
musste sie es versuchen, und so konzentrierte sie sich auf die
Tatsachen.

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"Ich habe Dan durch Freunde von mir kennen gelernt, Cynthia

und Ed Parry, die in der Nähe wohnen. Ich habe eine Party
gegeben, nachdem ich die Filmrechte an meinem zweiten Buch
verkauft hatte, und sie brachten ihn mit. Dan kannte Ed anschein-
end von der Universität her."

Sie sah, wie Jed die Brauen zusammenzog, wie er die Lippen

zusammenpresste, weil er ungeduldig darauf wartete, dass sie end-
lich zur Sache kam. Doch sie musste dies hier auf ihre Art
abhandeln.

"Das war vor einigen Jahren", sprach sie weiter. Vielleicht

würde er sie ja verstehen, wenn sie ihm alles aus ihrem Blickwinkel
erklärte.

"Er war schon vorher oft in dieser Gegend gewesen, wenn er

sich entspannen wollte. Normalerweise wohnte er bei den Parrys
..."

"Aber nicht immer?"
Elena versuchte, ruhig zu bleiben und die aufsteigende Übelkeit

zu unterdrücken. "Nein, nicht immer", gab sie zu. "Im Lauf der Zeit
lernten wir uns gut kennen, und wenn er mich abends besuchte und
es spät wurde, hat er ab und zu im Gästezimmer übernachtet. Du
hast gefragt, ob wir ein Verhältnis miteinander hatten ..." Sie zuckte
mit den Schultern. "Dan hat mir einmal gesagt, dass Sex ihm wenig
bedeute und dass er all seine emotionale und körperliche Energie in
seinen Beruf stecke. Er war stolz auf seine Familie und hat viel von
dir, eurer Mutter und eurem Haus erzählt. Heiraten wollte er nie,
weil er das wegen seines Jobs für unsinnig und unfair hielt. Aber er
meinte, dass du heiraten und Kinder haben wolltest, damit du die
Firma jemandem vererben könntest. Und dass die Frauen dir hin-
terherliefen, dass du aber sehr wählerisch und sehr diskret seist."

Zu spät merkte Elena, dass sie den Spieß umgedreht hatte, um

seiner Frage auszuweichen. Doch indem sie ihn als Frauenheld
darstellte, vergrößerte sie die Entfernung zwischen ihnen noch
mehr, und sie hasste sich dafür. Sein finsterer, verächtlicher Blick
sagte ihr, dass er ganz genau wusste, was sie tat. Und warum,

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Die Übelkeit, die sie den ganzen Morgen schon unterdrückt

hatte, wurde plötzlich übermächtig. Elena sprang auf, eine Hand
auf den Mund gepresst, und rannte durchs Haus ins Badezimmer.

Dass er ihr folgte, half ihr kein bisschen. Als der Anfall vorbei

war, lehnte sie sich erschöpft gegen die Wand und wünschte sich
nur, sie könnte die Uhr um drei Monate zurückstellen.

"Liebling, komm her." Jed zog sie in die Arme, und sie lehnte

den schmerzenden Kopf gegen seine harte Brust und fragte sich,
warum nicht alles so bleiben konnte wie in diesem Moment. Sein
liebevoller Blick half ihr nicht, sondern machte alles nur noch
schlimmer, weil sie sein Mitgefühl nicht verdiente.

"Was ist los?" fragte er sanft. "Hast du etwas Falsches gegessen?
Soll ich dich zum Arzt fahren?"
Und da wusste Elena, dass sie es ihm jetzt sagen musste.
Heute Morgen war sie vor ihm aufgewacht und hatte im
Badezimmerschrank nach einer Tube Zahnpasta gesucht. Dabei

war ihr der Schwangerschaftstest in die Hände gefallen, den sie vor
einiger Zeit gekauft hatte.

In den letzten Tagen war ihr morgens ab und zu leicht übel und

schwindlig gewesen. Ihr Verstand sagte ihr, dass es nicht mit dem
zusammenhängen konnte, was sie und? Dan getan hatten, doch sie
machte den Test trotzdem, um sich zu beruhigen.

Und jetzt musste sie den Konsequenzen, die sich daraus er-

gaben, ins Auge sehen.

Sie befreite sich aus Jeds Umarmung, das Gesicht leichenblass.
"Ich bin schwanger."
Trotz ihrer Blässe und ihres gequälten Blicks lächelte er und

schüttelte langsam den Kopf, bevor er sie wieder an sich zog. Die
unbeantwortete Frage, ob sie und sein Bruder ein Verhältnis gehabt
hatten, konnte warten.

"Das kann nicht sein, Liebling. Nach nur einer Woche! Es ist

zwar ein netter Gedanke, aber ich fürchte, du hast doch etwas
Falsches gegessen."

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Für einen Moment noch genoss Elena das Gefühl, von ihm ge-

halten zu werden, während sie versuchte, ihr wild klopfendes Herz
zu beruhigen und die reumütigen Gedanken aus dem Kopf zu ver-
treiben. Sie hatten über die Gründung einer Familie gesprochen
und beschlossen, nicht länger damit zu warten. Das machte es dop-
pelt schwer, ihm alles zu gestehen.

Als sie schließlich die Hände gegen seine muskulöse Brust stem-

mte und sich aus seiner Umarmung befreite, war sie ganz ruhig, wie
ausgebrannt. Mit dem, was sie ihm jetzt sagen musste, würde er
nicht leben können. Es würde seine Liebe zu ihr töten, und dabei
war sie doch das Wertvollste, was sie hatte. Deshalb musste sie es
schnell tun, um den Schmerz nicht noch zu verlängern.

"Es stimmt, Jed. Ich habe heute Morgen den Test gemacht."

Elena sah seinen ungläubigen Blick und wusste, er würde ihr sagen,
dass sie etwas falsch gemacht habe. Sie kam ihm zuvor. "Nach
meinen Berechnungen bin ich im dritten Monat." Es fiel ihr schwer,
ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

Und dann sah sie, wie seine Gesichtszüge starr wurden. "Vor

drei Monaten kannten wir uns noch nicht, und zum ersten Mal
zusammen geschlafen haben wir in unserer Hochzeitsnacht", stieß
er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Wenn du also
die Güte hättest, meine liebe Frau, mir zu erzählen, von wem du
schwanger bist?"

Sein Sarkasmus verletzte sie mehr als alles in ihrem bisherigen

Leben. Mit seinem Zorn wäre sie vermutlich fertig geworden, mit
Vorwürfen, sogar mit Schlägen - mit allem, nur nicht mit diesem
eiskalten Sarkasmus, der an zynische Gleichgültigkeit grenzte.

Was sie befürchtet hatte, war nun eingetroffen: Er hatte sich

emotional schon von ihr entfernt, setzte ihre wunderbare Liebe mit
bloßem Sex gleich.

Und jetzt wartete er auf ihre Antwort, die Lippen
zusammengepresst, die Augen dunkel vor Verachtung. Elena

raffte ihre ganze Kraft zusammen und seufzte.

"Von Dan."

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2. KAPITEL

Jed drehte sich um und ging. Elena stand wie angewurzelt da,

die Arme Schutz suchend um den bebenden Körper geschlungen.
Erst als sie den Motor des Mietwagens hörte, mit dem sie vom
Flughafen hierher gekommen waren, erwachte sie aus ihrer Erstar-
rung. Sie rannte durchs Haus in den Hof und auf die schmale
Straße hinaus.

Er konnte doch nicht einfach so gehen, ohne ein Wort zu sagen,

ohne sie auch nur anzuhören! Doch die Staubwolke und das sich
entfernende Motorengeräusch belehrten sie eines Besseren.

Elenas erster Gedanke war, ihren eigenen Wagen aus der Gar-

age zu holen und Jed nachzufahren. Doch selbst wenn sie ihn ein-
holte, würde das nichts nützen. Er hatte sich nur das genommen,
was er jetzt offensichtlich brauchte: Zeit zum Nachdenken.

Wenn er ihr doch nur Gelegenheit gegeben hätte, ihm alles zu

erklären, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Er würde immer noch
verletzt sein - aber nicht mehr so sehr.

Sie presste sich die Faust gegen den Mund, um nicht laut

aufzuschreien, und rannte auf den Felsvorsprung neben ihrem
Grundstück, ohne auf die Steine unter ihren nackten Füßen zu
achten.

Von dort beobachtete sie, wie die Staubwolke unten im Tal ver-

schwand, und kehrte dann geschlagen und unglücklich ins Haus
zurück.

Jed würde irgendwann wiederkommen, und sie konnte nichts

tun als auf ihn warten. Zum ersten Mal fand sie keinen Trost in ihr-
em schönen Haus, das sie nach eigenen Plänen hatte umbauen
lassen. Es war halb verfallen gewesen, und für Elena war es ein
Symbol ihres Erfolgs, der Ausdruck ihres Selbstbewusstseins und
der finanziellen und emotionalen Unabhängigkeit, die sie sich
erkämpft hatte.

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In jener Nacht, die sich als Dans letzte in Spanien erweisen soll-

te, hatte sie ihm anvertraut: "Als ich meinen Mann vor zehn Jahren
verließ und nach Cadiz kam, hatte ich nichts - nicht einmal mehr
Respekt vor mir selbst. Ich habe in Bars gearbeitet und in einem
schäbigen Zimmer gewohnt. In meiner Freizeit habe ich angefan-
gen zu schreiben, um mich abzulenken. Das hat sich bezahlt
gemacht, und was ich als Therapie begonnen habe, ist jetzt mein
Lebensinhalt."

Sie tranken viel Wein an jenem dunklen Februarabend. Ein

Feuer brannte im Kamin, denn die Nächte in den Hügeln waren
kalt. Dan war in nachdenklicher, fast düsterer Stimmung, und das
Bewusstsein ihrer langen Freundschaft forderte Geständnisse
geradezu heraus.

"Meine Bücher verkaufen sich wie wahnsinnig, und jetzt habe

ich alles. Beruflichen Erfolg, der mich stolz macht, ein wunderbares
Haus in einer der schönsten Gegenden der Welt, gute Freunde und
mehr Geld, als ich mir jemals zu erträumen gewagt hätte. Alles,
außer einem Kind, und das tut manchmal weh. Was das angeht,
läuft meine biologische Uhr langsam ab, aber da ich nicht die ger-
ingste Absicht habe, jemals wieder zu heiraten ..."

Sie zuckte traurig mit den Schultern und trank noch einen

Schluck Wein. Liam hatte nie Kinder gewollt. Er hatte eine schöne
Frau an seiner Seite gewollt, keine Mutter von quengelnden
Kindern, die ständig ans Haus gebunden war.

"Wir haben viel gemeinsam, du und ich." Dan verließ seinen

Platz im Ledersessel neben dem Kamin, um die letzte der drei
Flaschen Wein zu öffnen, die er mitgebracht hatte, nachdem er sich
zum Abendessen eingeladen hatte. "Du willst ein Kind, aber keinen
Ehemann - gebranntes Kind scheut das Feuer." Er zog den Korken
aus der Flasche, und obwohl Elena wusste, dass sie schon genug
getrunken hatte, ließ sie sich noch einmal nachschenken.

Seit zwei Jahren kam er ab und zu in diese Gegend, um zwis-

chen Aufträgen für mehr oder minder seriöse Zeitungen einige Tage
zu entspannen. Inzwischen war er ihr ein guter Freund geworden,

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denn sie waren sich sehr ähnlich. Sex war nie ein Thema zwischen
ihnen gewesen, und gerade deshalb fühlte sie sich so wohl in seiner
Gegenwart.

Sie lächelte ihm liebevoll zu. Er hatte Recht - sie wollte und

brauchte keinen Ehemann, nachdem der erste sich als Desaster
herausgestellt hatte.

Dan schob mit dem Fuß ein Holzscheid in den Kamin zurück

und blickte nachdenklich in die Flammen. "Ich will auch nicht
heiraten.

Bei meinem Beruf kommt das gar nicht in Frage. Außerdem

aber das vertraue ich nicht jedem an - liegt mir nicht viel an Sex.
Ganz im Gegenteil zu meinem Bruder."

Jed. Dan sprach oft von ihm. Jed lebte auf dem alten, im-

posanten Familiensitz irgendwo auf dein Land und leitete die Firma
als unumschränkter Alleinherrscher. Und ein Frauenheld war er
anscheinend auch noch.

Dan sprach weiter. "Seit seinem achtzehnten Lebensjahr sind

die Frauen hinter ihm her - biedere Töchter aus dem Landadel,
Karrierefrauen, Damen der Gesellschaft. Aber ich muss zugeben, er
ist wählerisch und sehr diskret. Irgendwann wird er heiraten, weil
er einen Erben für die Firma braucht. Ich bin da anders. All meine
Gefühle, meine geistige und körperliche Energie stecke ich in mein-
en Job. Nur in gefährlichen Situationen fühle ich mich richtig
lebendig."

Elena hasste es, wenn er so redete. Sie beobachtete ihn, wie er

sein Glas leerte, und hörte ihn sagen: "Aber genau wie dir tut es mir
Leid, dass ich niemals ein Kind haben werde. Ich glaube, nur durch
Kinder können wir so etwas wie Unsterblichkeit erreichen." Plötz-
lich drehte er sich um und sah sie nachdenklich an. "Es gibt für uns
beide eine Lösung. Ich wäre glücklich, dir ein Kind zu zeugen. Eine
bessere Mutter für mein Kind könnte ich mir nicht vorstellen. Ich
würde keine Ansprüche stellen, außer dass ich euch beide ab und zu
besuchen darf.

Keine Einmischung. Denk darüber nach."

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Er stellte sein leeres Glas ab, beugte sich zu Elena hinunter und

küsste sie leicht auf die Stirn. "Du würdest deine Unabhängigkeit
nicht verlieren und brauchtest nicht mit allen möglichen Männern
zu schlafen, um das Kind zu bekommen, nach dem du dich sehnst.
Und ich erfülle mir meinen Wunsch nach Unsterblichkeit." Dan
lächelte über ihren schockierten Gesichtsausdruck. "Schlaf erst mal
drüber, ich rufe dich morgen an. Wenn du einverstanden bist, kön-
nten wir nach London fliegen. Ich kenne dort einen Gynäkologen,
der eine Privatklinik leitet und mir einen Gefallen schuldet. Manch-
mal ist es nützlich, Freunde in gehobenen Positionen zu haben!
Gute Nacht, Elena, ich finde schon selbst hinaus."

Zuerst fand sie seine Idee grotesk, doch je länger sie vor dem er-

sterbenden Feuer saß und darüber nachdachte, desto weniger ab-
wegig kam sie ihr vor.

Es stimmte, sie sehnte sich nach einem Kind. Manchmal

steigerte sich das Bedürfnis, ihr eigenes Baby im Arm zu halten, fast
zum körperlichen Schmerz. In solchen Momenten, die immer
häufiger wurden, erschienen ihr all ihre Erfolge wertlos.

Sie würde nie wieder heiraten, und der Gedanke, wahllos mit

Männern zu schlafen, war abstoßend. Sie mochte, respektierte und
bewunderte Dan Nolan. Ein Kind, das seine Anlagen erbte, konnte
sich glücklich schätzen.

Als er am nächsten Morgen anrief, sagte sie zu.
Sechs Wochen, nachdem sie gemeinsam die Londoner Klinik

besucht hatten, wurde Dan durch den Querschläger eines Heck-
enschützen in irgendeinem kriegszerrissenen afrikanischen Land
getötet. Elena stand an seinem Grab, konnte nicht glauben, dass er
nicht mehr lebte, und War niedergeschlagen, weil sie nach einem
hoffnungsvollen Monat festgestellt hatte, dass sein Plan fehlgesch-
lagen war und sie kein Kind von Dan bekommen würde.

In dieser traurigen Situation begegnete sie Jed, und von da an

änderte sich alles. Für sie beide.

Es war dunkel, als Jed endlich zurückkehrte. Elena war im Hof,

und als sie den Wagen kommen hörte, geriet sie in Panik.

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Würde er sich mit ihrer Schwangerschaft abfinden, wenn er er-

fuhr, wie sie entstanden war? Würde er glauben, dass sie und Dan
nie miteinander geschlafen hatten, und akzeptieren, dass sie nur
gute Freunde gewesen waren, die eine Lösung für ihr gemeinsames
Problem gefunden hatten?

Die Außenbeleuchtung brannte in warmem, goldenem Licht,

das von den weißen Steinmauern reflektiert wurde und Schatten
über die mit üppigen, duftenden Blumen bepflanzten Terrakot-
tatöpfe neben der Haustür warf.

Der Motor wurde abgestellt, und Stille breitete sich aus. Elena

spürte Schweißperlen auf der Stirn, und die Spannung drohte sie zu
zerreißen. Sie musste Jed dazu bringen, ihr zuzuhören, ihr zu
glauben.

Sie liebten sich doch - hatte sie da nicht das Hecht auf ein of-

fenes Gespräch?

Schließlich trat Jed durch den Rundbogen in den Hof. Das

gedämpfte Licht und die dunklen Schatten ließen ihn Furcht erre-
gend aussehen. Elena hielt sich an der schmiedeeisernen Rücken-
lehne der kleinen Bank fest, die im Hof stand, sonst hätten die
Beine unter ihr nachgegeben.

"Wo warst du?" fragte sie heiser, nachdem Jed keinen Versuch

gemacht hatte, das unerträgliche Schweigen zu brechen.

"In Sevilla." Er klang kurz angebunden, doch zumindest redete

er mit ihr. "Wie du weißt, will 'Nolan's' dort eine Filiale aufmachen.
Ich wollte das Projekt eigentlich erst in zwei Wochen in Angriff
nehmen, aber aus verständlichen Gründen habe ich keinen Anlass
gesehen, noch länger damit zu warten." Er kam über das Kopfstein-
pflaster auf sie zu und blieb einige Meter entfernt stehen, als hätte
sie eine ansteckende Krankheit.

"Elena zuckte zusammen. Sie hatten einen dreiwöchigen Urlaub

hier in ihrem Haus "Las Rocas" geplant und wollten danach eine
Woche in Sevilla verbringen, um dort den Architekten zu treffen
und die Stadt zu besichtigen. Die Flitterwochen waren offensicht-
lich vorüber. Doch hatte sie etwas anderes erwartet?

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Sie streckte versuchsweise die Hand nach ihm aus und schluckte

die aufsteigenden Tränen hinunter. Doch wenn er ihre Geste be-
merkt hatte, reagierte er nicht. Sie ließ die Hand sinken und sagte
rau: "Lass uns reden."

"Natürlich." Er nickte kurz. "Drinnen. Es war ein langer Tag."
Er ging ins Haus, und Elena folgte ihm niedergeschlagen. Wut

oder Vorwürfe hätte sie leichter ertragen können - dann hätte sie
wenigstens gewusst, was in ihm vorging, hätte ihm alles erklären,
ihn um Verständnis bitten können.

Sie hatte ihn noch nicht gekannt, geschweige denn geliebt, als

sie die Entscheidung gefasst hatte, sich künstlich befruchten zu
lassen, aus Gründen, die ihr damals vernünftig und plausibel er-
schienen waren. Er war ein intelligenter, mitfühlender Mann -
bestimmt würde er verstehen, wie sie sich damals gefühlt hatte.

Jed ging direkt in die Küche, holte die Flasche Whisky aus dem

Schrank, öffnete sie und schenkte sich großzügig ein.

"In Anbetracht deines Zustandes biete ich dir keinen Drink an."

Er trank das Glas halb leer, zog einen Stuhl unter dem großen
Holztisch hervor und setzte sich, die Beine lang ausgestreckt,
während er mit den Fingern ungeduldig auf die Tischplatte trom-
melte. "Also, ich höre. Oder soll ich lieber anfangen?"

Seine Stimme war so kalt wie sein Blick, der sie bis ins Innerste

traf. Unsicher setzte sie sich ebenfalls, aber nicht ihm gegenüber,
sondern außerhalb seines Blickfeldes ans andere Ende des Tisches.

Er drehte sich nicht zu ihr um, und darüber war sie froh. Sie

legte keinen Wert auf die Kälte und Gleichgültigkeit in seinen Au-
gen, nachdem sie bisher nur Liebe darin gesehen hatte.

Elena faltete die bebenden Hände im Schoß und erschauerte,

während sie sich in der Küche umsah - die blinkenden Kupferkessel
an den weiß gestrichenen Steinwänden, der große Kamin, die war-
men Terrakottafliesen, die leuchtenden Geranien auf der breiten
Fensterbank.

Sie hatte diesen Raum immer geliebt, und in der letzten Woche

hatten sie und Jed hier zusammen die Mahlzeiten zubereitet,

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Gemüse und frische Kräuter aus dem Garten geputzt, Obst
geschnitten, geredet und gelacht. Und manchmal hatten sie sich
einfach nur angesehen und die Liebe und das Verlangen im Blick
des anderen erkannt, waren sich in die Arme gefallen und hatten
das Essen vergessen ...

Es war unmöglich, dass diese Liebe, dieses Lachen, dieses ma-

gische Gefühl der Vertrautheit plötzlich auf ewig verschwunden
sein sollten. Elena wollte nicht einmal daran denken. Und doch
hatte Jeds Verhalten eine Mauer zwischen ihnen aufgerichtet, und
sie wusste nicht, ob sie stark genug war, um sie zu überwinden.

Aber sie musste es einfach versuchen. Sie befeuchtete sich die

Lippen und suchte nach den richtigen Worten. Worten, die ihm
helfen würden, sie zu verstehen. Doch er sagte ungeduldig: "Da du
anscheinend stumm geworden bist, werde ich reden." Er leerte sein
Glas, drehte sich zu ihr um und betrachtete sie kühl aus zusam-
mengekniffenen Augen. "Ich habe über unsere unangenehme Situ-
ation nachgedacht und bin zu einem unwiderruflichen Schluss
gekommen. Wir werden uns nicht scheiden lassen." Er griff nach
der Flasche und schenkte sich nach.

Elena verspürte einen scharfen Stich im Herzen. "Das hast du in

Erwägung gezogen?" Sie konnte es kaum glauben, nach allem, was
sie einander bedeutet hatten. Ob es ihm Leid tun würde, dass er
auch nur daran gedacht hatte, wenn er die Wahrheit erfuhr? Würde
sie ihm verzeihen können, dass er bereit gewesen war, sie aus
seinem Leben zu verbannen, ohne sie auch nur angehört zu haben?

"Natürlich. Was hast du denn erwartet?" Er betrachtete das Glas

zwischen seinen Fingern. "Es war das Erste, woran ich überhaupt
gedacht habe. Aber ich habe mich aus zwei Gründen dagegen
entschieden. Erstens wegen Catherine, meiner Mutter. Sie mag
dich."

Sein Tonfall gab ihr zu verstehen, dass er sich nicht mehr vor-

stellen konnte, warum. "Unsere Heirat war das Einzige, was sie
nach Dans Tod aufrechterhalten hat. Eine Scheidung würde sie jetzt
wahrscheinlich nicht verkraften.

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Und der zweite Grund ist das ungeborene Kind meines Bruders.

Ich gebe Dan nicht die Schuld. Er ist gestorben, ohne davon zu
wissen.

Deshalb werden wir um seinetwillen verheiratet bleiben. Ich

werde meinen Teil an der Erziehung des Kindes übernehmen,
sozusagen stellvertretend. Dan hat sich immer über mein Pflichtbe-
wusstsein lustig gemacht, aber in diesem Fall wäre er mir vielleicht
dankbar."

Für einen Moment zeigten sich Schmerz und Trauer in seinen

Augen, und Elena zog sich das Herz zusammen. Sie wollte ihn
umarmen, ihn trösten, ihm sagen, dass alles wieder in Ordnung
kommen würde, wenn er es nur zuließe, wenn er ihr zuhören und
versuchen würde, sie zu verstehen.

Sie wollte schon aufstehen und zu ihm gehen, doch sein finster-

er Gesichtsausdruck hielt sie zurück. "Wir werden gute Miene zum
bösen Spiel machen, um meiner Mutter und des Kindes willen",
sagte er schneidend. "Ansonsten will ich so wenig wie möglich mit
dir zu tun haben. In drei Wochen kehren wir wie geplant nach Eng-
land zurück, und danach werde ich auf Geschäftsreise gehen und
die Niederlassungen auf dem Kontinent besuchen. Du kannst ja
vorgeben, dass du wegen deiner Schwangerschaft nicht reisen
willst."

Er stand auf, ging zum Spülbecken und spülte sein Glas aus.

Elena unterdrückte ein Schluchzen.

Jedes seiner Worte hatte die Mauer zwischen ihnen noch höher

werden lassen. Was immer sie ihm jetzt sagen konnte, ob er ihr
glaubte oder nicht - seine herzlosen Bemerkungen, die ihre Ehe
praktisch beendeten, würden immer zwischen ihnen stehen.

"Und wenn ich dieser ... Farce nicht zustimme?" Sie stand auf

und hielt sich an der Tischkante fest. "Du weißt ja nicht, was wirk-
lich passiert ist. Ich erwarte, dass du mich anhörst. Dieses Recht
habe ich doch wohl."

"Du hast keine Rechte!" Er warf das Handtuch beiseite, mit dem

er sich die Hände abgetrocknet hatte. "Und du hast diese ,Farce'

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selbst heraufbeschworen. Du hast mich geheiratet in dem Wissen,
dass du von meinem Bruder schwanger sein könntest. Warum? Der
Vater deines Kindes war tot, also hast du seinen Bruder genommen,
oder wie? Er führt zwar kein so faszinierend gefährliches Leben und
sieht vielleicht auch nicht so gut aus, aber er erfüllt seinen Zweck.
Also hast du mich geheiratet und gehofft, dass ich einiges übersehe,
wenn du mit mir schläfst."

Jed wandte sich ab, als ob er ihren Anblick nicht mehr ertragen

könnte. "Tja, du hast dich geirrt. Zugegeben, du bist gut im Bett,
aber so gut auch wieder nicht. Fantastischen Sex kann ich überall
kriegen.

Keine Bindungen, keine üblen Geheimnisse, keine Reue."
Das tat weh und machte sie sprachlos. Aber irgendwie musste

sie Jed dazu bringen, sie zu verstehen, ihr zu glauben. Sein Mis-
strauen verwandelte ihn in einen Fremden.

"Als wir uns zum ersten Mal trafen, habe ich wirklich geglaubt

..."

Ihre Stimme gehorchte ihr nicht, und schließlich schwieg sie,

während sie daran dachte, wie Jed sie nach der Beerdigung ange-
sprochen hatte.

"Sie müssen Elena Keele sein. Dan hat oft von Ihnen erzählt." Er

hatte kurz die Hand auf ihre gelegt, und für einen Moment war ein
Leuchten in seinen traurigen Augen erschienen. "Bitte kommen Sie
mit zu uns nach Hause. Es wäre ein großer Trost für meine Mutter.

Und auch für mich. Durch Dan habe ich fast das Gefühl, Sie zu

kennen."

So hatte es begonnen.
Während sie jetzt nach Worten suchte, beobachtete er sie, die

Lippen süffisant zusammengepresst, als wäre er sehr neugierig da-
rauf, wie sie das Unentschuldbare entschuldigen wollte. Elena er-
rötete und sagte schließlich heiser: "Ich wusste nicht, dass ich
schwanger war.

Kurz vor Dans Beerdigung hatte ich meine Periode." Dass ihre

Regel sehr kurz gewesen war, hatte sie auf den Schock über Dans

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Tod geschoben, auf die Eile und Hektik, mit der sie nach London
geflogen war, einen Mietwagen genommen hatte und in sein
Heimatdorf gefahren war, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Ihr nächste Periode war ebenso schwach gewesen, doch auch da

war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass sie schwanger sein
könnte.

Sie war seit einigen Wochen wieder zu Hause gewesen und hatte

Jed furchtbar vermisst. In England hatten sie zwei Wochen zusam-
men verbracht und erkannt, dass es tatsächlich Liebe auf den er-
sten Blick gibt. Doch Elena hatte Termine einhalten müssen, und
auch Jed hatte geschäftlich noch viel zu erledigen gehabt, da sie so
schnell wie möglich heiraten wollten. Und das war ihnen fast vom
ersten Moment an klar gewesen.

Die Liebe, der Zauber, das wunderbare Gefühl, füreinander

geschaffen zu sein, konnte doch nicht so plötzlich verschwunden
sein.

Oder?
Elena ging entschlossen auf ihn zu. Er musste ihr zuhören! "Jed,

Dan und ich ..."

"Erspar mir die schmutzigen Einzelheiten!" unterbrach er sie

und wandte sich zum Gehen. "Du wirst sicher verstehen, dass ich
dir kein Wort glaube. Warum hattest du einen Schwangerschaftst-
est im Haus, wenn du so sicher warst, dass deine Affäre mit
meinem Bruder keine Folgen haben würde? Warum hast du den
Test überhaupt gemacht?"

"Weil mir morgens manchmal übel war! Ich habe nicht an eine

Schwangerschaft geglaubt, wollte jedoch ganz sicher sein", er-
widerte sie heftig. Wie konnte ein Mann, der ihr ewige Liebe
geschworen hatte, sich rundweg weigern, sie auch nur anzuhören
oder ihr zu glauben?

Sie straffte die Schultern und sagte langsam und betont: "Ich

hatte keine Affäre mit Dan."

"Nein? Dann war es nur für eine Nacht? Versuch nicht, mir ein-

zureden, dass er dich überrumpelt habe. Eher war es wohl

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andersherum. Ich habe in den letzten Tagen die Erfahrung
gemacht, dass dein sexueller Appetit unstillbar ist."

Sein Gesicht war maskenhaft starr. Als er den Raum verließ,

hasste Elena ihn.

Sie hatte nie jemanden gehasst, nicht einmal Liam. Ihn hatte sie

verachtet, aber nicht gehasst. Wut nagte an ihr. Die Arme um den
Körper geschlungen, ging sie in der Küche auf und ab, während
heißer Zorn in ihr tobte.

Wie konnte er es wagen, sie so zu behandeln, sie solch abscheu-

licher Dinge zu beschuldigen? Wo war der Mann geblieben, den sie
mehr geliebt hatte als ihr Leben? Hatte er nie existiert, war er im-
mer nur ein Traum, ein Wunschbild ihrer Fantasie gewesen? Der
Mann, der gerade den Raum verlassen hatte, war ein kaltherziges,
egoistisches Monster!

Glaubte er wirklich, er hätte das Recht, ihr Befehle zu erteilen

und darüber zu entscheiden, wie sie den Rest ihres Lebens verbrin-
gen sollte?

Glaubte er wirklich, sie würde mit einem Mann verheiratet

bleiben, der so schlecht von ihr dachte? Glaubte er auch nur einen
Moment, sie würde widerspruchslos das Leid ertragen, das ein sol-
ches Leben mit sich bringen würde?

Was sie betraf, war ihre Ehe beendet, in jeder Hinsicht. Sie

würde nicht mit ihm nach England gehen und dort ein Leben voller
Lügen führen. Sie war sehr gut in der Lage, allein für ihr Kind zu
sorgen schließlich war das ihr ursprünglicher Plan gewesen.

Dir Kind brauchte keinen Vater, und schon gar keinen arrog-

anten, dickköpfigen und herzlosen wie Jed Nolan!

Gleich morgen früh würde sie ihm sagen, er solle seine Sachen

packen und aus ihrem Haus verschwinden. Sie wollte ihn nie
wieder sehen.

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3. KAPITEL

Elena bekam keine Gelegenheit, Jed hinauszuwerfen. Er war

schon fort.

Die Sonne ging gerade auf, als sie sich nach einer einsamen,

schlaflosen Nacht die Treppe hinunterschleppte. Es war ihr egal, in
welchem Zimmer Jed geschlafen hatte, jedenfalls redete sie sich das
ein. Sobald er auftauchte, würde sie ihn auffordern zu gehen und
ihm sagen, dass sie über ihren Rechtsanwalt irgendwann Kontakt
zu ihm aufnehmen würde. Er sollte wissen, dass er nicht der Ein-
zige war, der Entscheidungen treffen konnte.

Wenn er ihr nicht einmal zuhören wollte, geschweige denn ihr

glauben, dann lohnte es sich nicht, ihre Ehe aufrechtzuerhalten -
und schon gar nicht als die gefühllose Beziehung, die er im Sinn
hatte. Da war es besser, einen sauberen Schnitt zu machen.

Doch zuerst brauchte sie einen Kaffee. Als sie in die Küche kam,

sah sie den Zettel auf der polierten Tischplatte aus Pinienholz
sofort.

Fast unleserlich hatte Jed gekritzelt:
In den nächsten drei Wochen bin ich in Sevilla. Danach fliegen

wir nach England. Ich hole dich ab.

Das konnte er vergessen! Elena zerknüllte den Zettel und warf

ihn gegen die Wand, wütend und enttäuscht, weil sie Jed nun nicht
mehr sagen konnte, dass sie sich seinen Befehlen nicht fügen
würde.

Sie wusste nicht einmal, in welchem Hotel in Sevilla er wohnen

würde, konnte ihm also nicht mitteilen, dass sie sehr wohl fähig
war, selbst die Entscheidungen zu treffen, die ihr zukünftiges Leben
betrafen. Und dass sie niemals mit ihm nach England zurückkehren
und allen die glückliche Ehefrau vorspielen würde. Niemals!

Tränen stiegen ihr in die Augen. Hatte sie etwa gehofft, Jed

hätte seine Meinung über Nacht geändert, wurde ihr plötzlich

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wieder vertrauen und ihr glauben? Wenn, dann war sie töricht
gewesen.

Also würde sie in den nächsten drei Wochen mit diesem na-

genden Zorn leben müssen, und ... Plötzlich überfiel sie wieder die
morgendliche Übelkeit, und als sie zwanzig Minuten später unter
der Dusche stand, berührte sie ihren noch flachen Bauch und
flüsterte lächelnd: "Du machst deiner Mummy ganz schön Ärger,
kleiner Bösewicht!"

Wieder traten ihr Tränen in die Augen. Tränen um Dan, der sein

Kind nie kennen lernen würde, und um sich selbst und Jed, die et-
was Wunderbares unwiderruflich verloren hatten.

Als Elena etwas später in ein leichtes Top und Shorts schlüpfte,

schwor sie sich, nie wieder um einen dieser drei zu weinen.

Das Leben ging weiter.
Sie hatte ihr Kind, auf das sie sich freuen und das sie lieben

konnte.

Vielleicht war es sogar gut, dass Jed gegangen war. Damit bew-

ies er ja nur, dass er sie nie richtig geliebt haben konnte. Sonst
hätte er ihr vertraut, ihr geglaubt, Fragen gestellt. Seine Abreise
hatte ihr auch einen bösen Streit erspart, in dessen Verlauf sie ihr-
em Schmerz sicher freien Lauf gelassen und Jed eine Ohrfeige ver-
passt hätte.

Wenn sie ihn das nächste Mal sah, würde sie in der Lage sein,

ihm ihre Entscheidungen ruhig und vernünftig mitzuteilen. Sie war
klug genug, um zu erkennen, dass sie mit Wut nichts ändern kon-
nte. Er verachtete sie. Seine Liebe war verschwunden, und nichts
konnte sie zurückbringen. Damit musste sie sich abfinden.

Elena konnte mit dem Schmerz fertig werden. Es war ihr früher

gelungen, und es würde ihr jetzt gelingen. Die Sache mit Liam war
natürlich nicht mit ihrer jetzigen Situation zu vergleichen. Aber
damals hatte sie nichts gehabt, nur eine Mutter, die ihrer Tochter
jammernd und händeringend furchtbares Unglück prophezeit
hatte, sollte sie in die Fremde ziehen, praktisch nur mit dem, was
sie am Leibe trug.

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Seit damals hatte sie etwas aus sieh und ihrem Leben gemacht.

Im Großen und Ganzen sah es gar nicht so schlecht aus. Sie hatte
ihren beruflichen Erfolg als Rückhalt und ihr ungeborenes Kind,
auf das sie sich freute. Sie würde es schaffen.

Eine Woche später, als Jed mit seiner Mutter eintraf, war Elena

sich nicht mehr so sicher.

Sie war nicht in der Lage gewesen, sich Gedanken über ein

neues Buch zu machen, und hatte die Faxe, die seit einigen Tagen
von ihrer Agentin eingetroffen waren, nur überflogen: Entschuldi-
gungen, weil sie die Flitterwochen störte, und die aufgeregte Mit-
teilung über eine Preisverleihung in London. Elena war nicht in-
teressiert. Irgendwann würde sie die Faxe genau durchlesen,
darüber nachdenken und sie beantworten. Aber nicht jetzt. Noch
nicht.

Sie fuhr ins Dorf, gab Pilar zwei weitere Wochen Urlaub und zog

sich dann erleichtert wieder in die Einsamkeit zurück.

Elena war im Garten und jätete Unkraut zwischen den üppigen

Büscheln blühender Nelken, als sie den Wagen hörte. Missmutig
über die Störung, strich sie ihr einfaches Baumwollkleid glatt und
ging durchs Haus zum Eingang. Und ihre Stimmung sank noch
tiefer, als sie Jed sah, der seiner Mutter gerade aus dem Wagen
half.

Sie hatte keine Ahnung, was die beiden hier wollten oder was sie

sagen sollte - besonders zu Catherine Nolan, einem der nettesten
Menschen, denen sie je begegnet war.

Catherine wirkte wie ausgewechselt. In den zwei Wochen ihres

Aufenthaltes auf "Netherhaye", dem Landsitz der Familie in Hert-
fordshire, hatte Elena eine von Trauer gezeichnete Mutter kennen
gelernt. Nur zur Hochzeit hatte Catherine sich aufgerafft und die
Gärtner und Angestellten des Cateringservice herumgescheucht,
um den kleinen Empfang auf Netherhaye so perfekt wie möglich zu
gestalten.

"Elena!" Catherine strahlte, als sie ihre Schwiegertochter

erblickte.

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"Wie schön, dass du einverstanden bist, wenn ich einige Tage

hier bleibe - länger werde ich nicht stören, ich verspreche es!"

Jed hatte ihr also nichts von den Problemen erzählt, die ihre

Ehe null und nichtig gemacht hatten. Sonst würde Catherine nicht
wie eine aufgeplusterte, zufriedene Glucke aussehen. Was eigent-
lich kein Wunder war, da Jed schon immer alles getan hatte, um
seinen Eltern eine heile Welt vorzugaukeln.

"Schön, dich zu sehen." Elena rang sich ein Lächeln ab und ließ

sich von Catherine gehorsam auf die Wange küssen. Im Hinter-
grund holte Jed gerade das Gepäck aus dem Kofferraum. Und im
Hintergrund musste er bleiben, wenn sie nicht verrückt vor Sch-
merz und Zorn werden wollte. Und sie hatte sich eingeredet, das
alles sei vorbei! "Wie wäre es mit einem Drink?"

"Oh, ich danke dir. Es ist doch ziemlich weit vom Flughafen in

Jerez bis hierher. Die Landschaft ist so schön - und erst dieser Hof!

All die Lilien und Geranien! Zu Hause werden sie nicht an-

nähernd so groß!"

Elena hörte die überschwänglichen Komplimente über ihr Haus

kaum, während sie ihre Schwiegermutter in das helle, luftige
Wohnzimmer führte. Catherine ließ sich in einen tiefen Sessel
sinken und streifte sich erleichtert die Schuhe von den Füßen.

"Ich hole dir einen Drink." Elena war froh, in die Küche entkom-

men zu können. Sie sah, wie Jed das Gepäck die Treppe hinauf
schleppte, biss die Zähne zusammen und schloss die Küchentür
hinter sich. Sie hätte ihn zur Rede stellen, ihn fragen können, war-
um er seine Mutter ausgerechnet jetzt hierher brachte. Ihre Ehe
war praktisch zu Ende, und er ließ Catherine glauben, dass sie,
Elena, mit dem Besuch einverstanden wäre.

Doch sie war es nicht. Sie wollte ihm aus dem Weg gehen.
Während der vergangenen Woche hatte sie sich eingeredet, mit

der schrecklichen Situation fertig zu werden. Sich beim Wiederse-
hen wie eine intelligente, vernünftige Frau zu benehmen. Schließ-
lich hatte sie dasselbe schon einmal durchgemacht. Also würde sie
ihre Wunden lecken und weiterleben.

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Doch es tat weh, schrecklich weh.
Elena griff nach zwei Gläsern und holte eine Flasche weißen

Rioja aus dem Kühlschrank. Sie brauchte jetzt eine Aufmunterung,
auch wenn es Catherine vielleicht nicht gefiel.

Doch die war sehr angetan. "So frisch, genau das Richtige! Wo

bleibt denn Jed?"

"Er bringt dein Gepäck hinauf." Und braucht dafür sehr lange,

dachte Elena nervös, obwohl sie sich bemühte, gelassen zu klingen.

Warum eigentlich, da Catherine früher oder später ja doch er-

fahren würde, dass Elena schon bald nur noch ihre ehemalige

Schwiegertochter sein würde?
Während Catherine heiter über den Flug plauderte, ließ Elena

sich auf der Lehne eines Sessels nieder und dachte darüber nach,
ob sie ihr jetzt schon alles sagen sollte. Denn sie war nicht bereit,
Jeds Befehl zu folgen und so zu tun, als würde in ihrer Ehe alles
zum Besten stehen.

Gerade überlegte sie, ob sie es ihrer Schwiegermutter behutsam

beibringen oder ohne Umschweife mit der Wahrheit herausrücken
sollte, als Catherine sie in ihrem Gedankengang unterbrach.

"Elena, ich muss dir sagen, dass deine Hochzeit mit Jed einer

der glücklichsten Momente meines Lebens war. Das hat mir sehr
geholfen, über Dans Tod hinwegzukommen - obwohl Dan durch
nichts und niemanden zu ersetzen ist. Aber jetzt habe ich wieder et-
was, über das ich mich freuen kann. Seit dem Tod meines Mannes
habe ich immer nur das Beste für meine Söhne gewollt."

Tränen schimmerten in ihren Augen. Anscheinend hatte sie sich

immer noch nicht ganz mit dem Schlimmsten abgefunden hatte,
was einer Mutter passieren konnte: dem Verlust ihres Kindes.
Elena wollte nicht weiter zuhören, doch sie konnte wohl kaum
gehen.

"Wie jede Mutter habe ich mir für meine Jungen eine nette Frau

und Kinder gewünscht. Ich habe schon Acht mehr daran geglaubt."

Catherine lächelte Elena unsicher an. "Dan - na ja, er war eben

ein solcher Hitzkopf und wollte sich nicht festlegen. Und Jed war zu

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sehr Junggeselle, zu sehr mit der Firma verheiratet. Doch nachdem
er dich nach der Beerdigung nach Netherhaye eingeladen hatte,
wurde alles anders. Euch beide zu beobachten war mir eine Freude
und hat mir Hoffnung für die Zukunft gemacht. Es war ja so of-
fensichtlich, dass ihr euch am liebsten ständig umarmt hättet, es
aber nicht getan habt.

Nicht nur wegen der traurigen Umstände, sondern weil ihr euch

offensichtlich erst besser kennen lernen wolltet. Obwohl Jed und
ich dich eigentlich vorher schon kannten, nach allem, was Dan uns
von dir erzählt hatte.

Dass Jed endlich die Liebe seines Lebens gefunden hatte, war

damals das Einzige, was mich aufrechterhalten hat. Und als er neu-
lich anrief, um sich zu erkundigen, ob es mir gut gehe, habe ich ihn
gefragt, ob ich nicht für einige Tage zu euch kommen könnte. Ich
wollte es eigentlich nicht", fügte sie ernst hinzu, "es kam einfach
aus mir heraus. Ich weiß, ihr seid in den Flitterwochen, aber ich
glaube, ich musste euch sehen, um mich zu vergewissern, dass es
nach dieser schlimmen Zeit auch noch etwas Gutes im Leben gibt."

Ihr Lächeln war so liebevoll, dass Elena das Herz schwer wurde

bei dem Gedanken, dieser liebenswerten Frau den Seelenfrieden zu
rauben, indem sie ihr die Wahrheit erzählte.

Jed hatte beschlossen, seiner Mutter eine glückliche Ehe vorzus-

pielen, weil er wusste, was die Wahrheit ihr antun würde. Jetzt kon-
nte Elena die Beweggründe für seine Entscheidung besser ver-
stehen er war sich seiner Verantwortung bewusst.

Wahrscheinlich hasste er genau wie sie den Gedanken, aller

Welt etwas vorzuspielen, doch er wusste, dass es unter diesen tra-
gischen Umständen das Beste war.

Elena wollte ihn nicht verstehen, und sie wollte auch kein

Mitleid haben. Sie wollte nie wieder etwas von ihm hören oder se-
hen, wollte vergessen, dass sich seine Liebe in Hass verwandelt
hatte - und es würde ein langer Weg sein, bis sie diesen Schmerz
überwunden hätte.

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Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und so füllte sie Cather-

ines Glas nach und trank selbst einen Schluck von ihrem noch un-
berührten Wein.

Von der Tür her sagte Jed: "Meinst du, das ist gut für dich?"
Der kühle, missbilligende Unterton in seiner Stimme gab ihr

einen Stich ins Herz, besonders als ihr aufging, weshalb er die
Frage gestellt hatte. Alkohol und Schwangerschaft vertrugen sich
nicht.

"Nun hab dich nicht so! Es ist fast Abend. Warum trinkst du

nicht auch etwas?" Catherine, die den Grund für seine Einmischung
nicht ahnte, drehte sich zu ihrem Sohn um und prostete ihm zu.

Elena stellte ihr Glas auf einem Seitentisch ab, weil ihre Hände

zitterten. Eigentlich bebte sie am ganzen Körper, als sie unter den
Wimpern hervor einen Blick auf ihren Mann riskierte.

Er schlenderte ins Zimmer und lächelte seine Mutter an, die

Hände in den Taschen seiner engen schwarzen Hose, zu der er ein
weites weißes Seidenhemd trug.

Doch seine Gesichtszüge waren angespannt, die Falten um sein-

en schönen, leidenschaftlichen Mund hatten sich vertieft, und unter
der Sonnenbräune wirkte er blass. Auch für ihn schien die vergan-
gene Woche nicht leicht gewesen zu sein.

Elena unterdrückte einen Anflug von Mitleid. Schließlich war

alles seine Schuld.

"Und nun, ihr beiden ..." Catherine strahlte sie und Jed liebevoll

an, und Elena fragte sich, ob ihre Schwiegermutter wirklich nicht
merkte, dass etwas nicht in Ordnung war. "Ich habe mich nicht ein-
geladen, um das fünfte Rad am Wagen zu spielen.

Es gibt da etwas, das ich mit euch besprechen möchte. Ich hätte

es auch am Telefon sagen oder euch schreiben können, aber ich
wollte euch sehen ..."

Als sie unsicher schwieg, wusste Elena, dass unter Catherines

Heiterkeit immer noch Trauer und Verzweiflung lagen, die jederzeit
wieder durchbrechen konnten.

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"Wir freuen uns doch, dass du da bist", sagte Jed schnell und

streichelte seiner Mutter im Vorbeigehen die Schulter, bevor er sich
neben Elena stellte. "Seit wir hier sind, haben wir noch keine Aus-
flüge gemacht, und dein Besuch ist die ideale Gelegenheit dazu. Ich
weiß, dass Elena darauf brennt, uns alles zu zeigen."

Das wusste Elena allerdings nicht. Mit Grauen dachte sie daran,

in der Landschaft herumzulaufen und die liebende Ehefrau zu
spielen.

Und als Jed dann sagte: "Was wolltest du denn mit uns be-

sprechen, Ma?" ergriff sie die Gelegenheit und stand - auf.

"Ich kümmere mich ums Abendessen. Du musst hungrig sein,

Catherine. Beim Essen kannst du uns alles erzählen."

Sie griff nach ihrem Glas, flüchtete in die Küche und schloss die

Tür fest hinter sich. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Catherine
hatte gesagt, sie wolle nur einige Tage bleiben, doch selbst das
würde eine Qual werden. Es würde ihnen nicht gelingen, ihr das
frisch verliebte Ehepaar vorzuspielen. Andererseits konnte sie,
Elena, der armen Frau unmöglich noch mehr Unglück zumuten!

Jed und sie mussten eine Lösung finden. Irgend etwas musste

ihnen einfallen, denn so konnte es nicht weitergehen.

Erschöpft trug sie ihr Glas zur Spüle und schüttete den Wein in

das Becken. Jed hatte natürlich Recht. Schwangerschaft und Alko-
hol vertrugen sich nicht.

Seine Stimme ließ sie zusammenzucken. "Ich bin froh, dass du

mir zustimmst." Er nahm ihr das leere Glas aus den bebenden
Fingern.

Elena erschauerte. Sie hatte nicht bemerkt, dass er ihr gefolgt

war/und der kühle Unterton in seiner Stimme traf sie wie ein
Schlag.

Konnte er wirklich so schnell vergessen, was sie einander

bedeutet hatten?

Aber hatte sie in der letzten Woche nicht genau das versucht?
Wahrscheinlich war es der einzige Weg. Sie wandte sich ab.

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"Natürlich hast du Recht. Aber nicht immer, und daran solltest

du manchmal denken." Nachdem er sich mehrmals geweigert hatte,
sich ihre Version der Geschichte anzuhören, würde sie sich nicht
noch einmal von ihm erniedrigen lassen. "Warum unterhältst du
dich nicht weiter mit Catherine? Ich mache inzwischen das Essen."

Sie hatte ihm noch vieles zu sagen, doch damit musste sie

warten.

Im Moment konnte sie ihn und seine Kälte nicht ertragen. Seit

sie wusste, dass sie schwanger war, waren ihre Gefühle in Aufruhr,
und seine Rückkehr - noch dazu mit Catherine - hatte nichts besser
gemacht.

Sie konnte und wollte mit dieser Situation nicht fertig werden.
Jed sagte: "Sie sitzt auf der Terrasse und trinkt ihren Wein.
Schließlich ist sie nicht mehr die Jüngste, und die Reise hat sie

angestrengt."

"Dann hätte sie nicht kommen sollen!" stieß Elena hervor und

drehte sich zu ihm um. "Was glaubst du wohl, wie ich mich gefühlt
habe, als ich euch ankommen sah? Du hättest mich zumindest vor-
warnen können!" Gleich darauf bereute sie ihre harten Worte.

Catherine hatte die Reise auf sich genommen, um sich zu

vergewissern, dass es schöne Dinge in ihrem Leben gab.

"Ich wusste nicht, dass du so selbstsüchtig bist." Kalte Verach-

tung lag in Jeds Blick. "Aber es ist ja nicht das Einzige, was ich
nicht von dir weiß." Er verzog bitter den Mund, während er sie
weiter abschätzend musterte. "Du siehst schrecklich aus. Mach dich
ein wenig frisch, ich kümmere mich ums Essen. Und kein falsches
Wort zu Catherine! Wenn du sie aufregst, bekommst du es mit mir
zu tun."

Den Kopf hoch erhoben, verließ Elena die Küche. Als sie ihr

Zimmer erreichte, war sie nahe daran, die Beherrschung zu
verlieren.

Wie konnte er es nur wagen, sie wie Abschaum zu behandeln?
Sie schleuderte die Schuhe von den Füßen, riss sich das Kleid

vom Leib und stürmte ins Badezimmer. Zehn Minuten später, als

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sie sich nach dem Duschen abtrocknete, wusste sie, was sie tun
musste. Um ihres ungeborenen Kindes willen musste sie ruhig
bleiben. Und um das zu erreichen, durfte sie sich nicht auf Jeds
Niveau herablassen, durfte nicht ausfallend und verletzend werden
und vor allem keine Szene machen.

Absichtlich wählte sie ein eng anliegendes ärmelloses Seiden-

kleid, das viel von ihren langen, sonnengebräunten Beinen sehen
ließ und farblich zu ihren Augen passte. Der dünne Stoff um-
schmeichelte Taille, Hüften und Beine und betonte ihre noch sch-
lanke Gestalt. Bald würde sie in die Breite gehen, und der Himmel
wusste, ob sie nach der Geburt ihre Figur jemals wieder bekommen
würde. Wer wollte sie also davon abhalten, kühl und sexy auszuse-
hen, solange sie es noch konnte? Dieser Bastard von ihrem Ehem-
ann ganz sicher nicht.

Um einen Gegensatz zu ihrem aufreizenden Kleid zu schaffen,

steckte sie sich das Haar zu einer eleganten Frisur auf und betupfte
sich die Handgelenke mit altmodischem Lavendelwasser.

Kühl und sexy. Und wenn das den Mann ärgerte, in den sie sich

lieber nicht verliebt hätte, dann umso besser.

"Du siehst ganz reizend aus!" sagte Catherine, als Elena auf die

Terrasse hinaustrat, wo Jed gerade eine Schüssel mit Salat auf den
gedeckten Tisch stellte.

"Danke." Elena rang sich ein Lächeln ab und ließ sich auf dem

Stuhl neben ihrer Schwiegermutter nieder. Ihr war bewusst, dass
Jed sie ansah, doch sie weigerte sich, seinen Blick zu erwidern. Zu
oft war sie dabei nur Verachtung begegnet.

"Ob du's glaubst oder nicht, ich war früher auch schlank. Aber

dann kamen die Kinder, und das war's." Catherine zwinkerte ihr zu,
und Elena überlegte, was sie wohl sagen mochte, wenn sie erfuhr,
dass Dan sie bald zur Großmutter machen würde.

Wie mochte Catherine reagieren? Elena presste sich die Finger-

spitzen gegen die Schläfen. Mit jeder Minute schien ein neues Prob-
lem aufzutauchen. Die Entscheidung, die Dan und sie damals getro-
ffen hatten, zog ungeahnte Komplikationen nach sich.

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Catherine ahnte nichts von Elenas Gedanken. "Ich bin vorhin

ein wenig eingenickt - die Sonne, der Wein und die Aufregung, weil
ich zum ersten Mal allein geflogen bin. Hätte ich mich auch zum
Essen umziehen sollen? Ich könnte nach oben gehen und ..."

"Nein." Elena wollte nicht mit Jed allein bleiben. Sie fühlte sich

seinen verletzenden Bemerkungen noch nicht gewachsen. Er war in
die Küche gegangen, konnte aber jeden Moment zurückkehren. Im
Bewusstsein, dass ihre Antwort zu schnell und heftig gekommen
war, rang Elena sich ein Lächeln ab: "Du siehst so fabelhaft aus.
Lass uns lieber ein bisschen reden."

Also redete Catherine, und sie war immer noch dabei, als Jed

zurückkehrte, eine Schüssel Spaghetti mit einem Dressing aus
Oliven und Knoblauch in der Hand. "Uns sind anscheinend die
Vorräte ausgegangen", sagte er sanft, mit Rücksicht auf seine Mut-
ter. "Also werden wir uns wohl mit Nudeln und Salat begnügen
müssen, in Ordnung?"

Es würde ihnen nicht anderes übrig bleiben. Elena war nicht

einkaufen gegangen, denn Hunger hatte sie in dieser schrecklichen
letzten Woche ohnehin nicht gehabt. Doch es ärgerte sie, dass Jed
von

"uns" sprach.
"Schrecklich, nicht wahr, Catherine? Wir konnten es nicht über

uns bringen, das Haus zu verlassen, nicht einmal, um einzukaufen."

Jetzt blickte sie Jed an und wartete auf seine Reaktion. Er

presste die Lippen zusammen, und als sie den Schmerz in seinen
Augen sah, redete sie sich ein, dass es ihr egal sei. Er teilte
Kränkungen aus, konnte sie selbst aber nicht ertragen.

Catherine schien die Spannung nicht zu bemerken. "Also, was

ich mit euch besprechen wollte", begann sie heiter und tupfte sich
mit einer Serviette den Mund ab. "Elena, du weißt ja, dass deine
Mutter mir bei den Vorbereitungen zu eurem Hochzeitsempfang
geholfen hat.

Sie war eine ganze Weile auf Netherhaye, und in dieser Zeit sind

wir gute Freundinnen geworden." Sie warf ihrem Sohn einen

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bedeutungsvollen Blick zu. "Vielleicht bin ich jetzt ein wenig vor-
eilig, aber ich hoffe doch sehr, dass ihr euch auf Netherhaye nieder-
lassen und eure Kinder großziehen werdet, genau wie dein Vater
und ich es getan haben. Das Haus ist schon so lange im Besitz der
Familie."

Elena sah das warnende Funkeln in Jeds Augen und biss sich

auf die Lippe, um nicht mit einem "Nein!" herauszuplatzen. Cather-
ine sprach weiter: "Ich möchte nicht allein dort leben, aber ich
glaube auch, dass ein junges Ehepaar nicht unbedingt begeistert ist,
wenn die Eltern sich ständig in alles einmischen. Also werde ich
mir ein kleineres Haus suchen, so oder so."

Elena bemerkte, wie Jed scharf einatmete, und fragte sich, ob

der Vorschlag seiner Mutter ihn insgeheim erleichterte. Es würde
ihm vieles einfacher machen. Sie brauchten nicht ständig das glück-
liche Paar zu spielen. Zu besonderen Gelegenheiten würde er Cath-
erine besuchen oder einladen und sie danach erst einmal wieder
vergessen.

Nur über ihre Leiche!
"Bist du dir da ganz sicher, Ma?" Jed beugte sich ein, wenig vor.
"Ich möchte nicht, dass du eine vorschnelle Entscheidung triffst,

weil du glaubst, dass Elena und ich dich nicht gern bei uns hätten."

Elena beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Er

schien es ehrlich zu meinen. Schließlich liebte er seine Mutter sehr.
Nur weil er sie glücklich sehen und weiteres Unheil von ihr abhal-
ten wollte, war er überhaupt auf den Plan verfallen, ihr eine glück-
liche Ehe vorzuspielen.

"Netherhaye hat dir immer sehr am Herzen gelegen - all deine

Erinnerungen sind dort. Und denk mal an deinen geliebten
Garten!"

"Nachdem ich Elenas Garten und ihr wunderschönes Haus

gesehen habe, weiß ich, dass Netherhaye bei ihr in guten Händen
sein wird."

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Catherine tätschelte ihrem Sohn lächelnd die Hand. "Dan ist tot,

und er hätte Netherhaye ohnehin nicht haben wollen. Es gehört
dir."

"Trotzdem möchte ich nicht, dass du irgendwo allein lebst", ent-

gegnete Jed schroff. "Noch nicht, bis ..." Er verstummte, und gegen
ihren Willen musste Elena sein Verständnis und Mitgefühl bewun-
dern. Hätte er doch nur etwas davon ihr gegenüber aufgebracht!

"Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen um mich zu machen."
Catherine sah sie nacheinander lächelnd an. "Darum geht es

nämlich: Ich werde nicht allein sein! Ich weiß nicht, wer zuerst auf
die Idee kam, aber Susan und ich ziehen zusammen. Im Dorf steht
ein Cottage zum Verkauf - erinnerst du dich an die Fletchers, Jed?
Sie ziehen zur Südküste, um näher bei ihrer Tochter und den
Enkeln zu sein. Und während ich euch hier alles erzähle, kümmert
Susan sich um den Papierkram und schreibt ihr Haus zum Verkauf
aus. Also, was haltet ihr davon?"

Elena wusste nicht, was sie denken sollte. Ihre Mutter hatte

nichts davon erzählt, dass sie das kleine Haus in Birmingham
verkaufen wollte, in dem Elena geboren war. Dass sie sie nicht ins
Vertrauen gezogen hatte, schmerzte sehr.

"Nachdem ich mich hier eingerichtet hatte, habe ich sie gebeten,

zu mir zu ziehen", erklärte Elena benommen. "Damals hat sie
gesagt, sie sei zu alt, um noch einmal neue Wurzeln zu schlagen.
Seitdem hat sie offensichtlich ihre Meinung geändert."

Sie stand auf. Sterne funkelten am samtdunklen Himmel, und

die warme Brise trug den Duft von Kräutern mit sich. Sie konnte es
nicht ertragen - nichts mehr! Die Nacht war so schön, und ihre Ge-
fühle waren so schmerzvoll, verworren und hässlich. "Bitte
entschuldige mich, Catherine. Ich räume den Tisch ab." Sie stapelte
Teller und Schüsseln und rang sich ein kleines Lächeln ab. "Wenn
du etwas brauchst, frag Jed."

"Musstest du so kurz angebunden sein?"
Jed schloss leise die Schlafzimmertür hinter sich, während

Elena sich die Bettdecke bis unters Kinn hinaufzog.

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Sie konnte die Verachtung in seinen Augen nicht mehr ertragen.
Ihre Mutter hatte ihr das Scheitern ihrer Ehe mit Liam nie

verziehen. Sie war von ihrem jungen, gut aussehenden Schwieger-
sohn begeistert gewesen. Und als sie die Wahrheit über ihn erfuhr,
sagte sie zu Elena: "Vielleicht hast du ihn dazu getrieben, meine
Liebe."

Susans eigene Ehe war ein Fiasko gewesen. Als Elena fünfzehn

gewesen war, war ihr Vater endgültig verschwunden, nach zahl-
losen Affären. Deshalb wollte Susan für ihr einziges Kind natürlich
eine perfekte Ehe. Sie würde sich völlig zurückziehen, wenn sie er-
fuhr, dass Elenas zweiter Versuch, eine glückliche Familie zu
gründen, noch schlimmer endete als der erste.

"Verschwinde", sagte Elena erschöpft. "Ich bin jetzt nicht in der

Stimmung zum Reden." Natürlich gab es einiges, was sie ihm
erzählen musste - zum Beispiel von den Entscheidungen, die sie
getroffen hatte. Und sie musste noch einmal versuchen, ihn dazu zu
bringen, sie anzuhören. Sie hätte ihm von ihrer Behandlung in der
Klinik sofort erzählen müssen, als sie sich ineinander verliebt hat-
ten. Doch Dans Tod hatte nur wenige Tage zurückgelegen, und sie
hatte nicht noch zu Jeds Trauer beitragen wollen - zumal sie damals
geglaubt hatte, dass die Behandlung ein Fehlschlag gewesen sei.
Jetzt bereute sie ihre Entscheidung, noch zu warten, bis Jed Dans
Tod verarbeitet hätte.

Ja; es gab vieles, was noch gesagt werden musste, doch der seel-

ische Stress der letzten Woche tat jetzt seine Wirkung, und Elena
fühlte sich einfach nur noch erschöpft.

"Nicht in der .Stimmung' - das passt." Jed knöpfte sich das

Hemd auf und kam langsam näher. "Dein Egoismus ist unglaub-
lich! Für dich zählen nur deine eigenen Bedürfnisse. Du hast mein-
en Heiratsantrag angenommen, aber zufällig vergessen zu er-
wähnen, dass du von meinem Bruder schwanger sein könntest. Und
dann bist du verletzt und verwirrt, wenn ich nichts mehr mit dir zu
tun haben will."

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Er streifte sich das Hemd ab, und die sonnengebräunte Haut

seines muskulösen Oberkörpers schimmerte sanft im gedämpften
Licht.

"Und dann stößt du Catherine vor den Kopf - die nun gar nichts

dafür kann - weil deine Mutter ihre Gesellschaft offensichtlich dein-
er Gesellschaft vorzieht."

Elena schloss die Augen und unterdrückte ein Schluchzen.
Noch nie hatte sie sich so nutzlos und erschöpft gefühlt. Sie war

kaum neunzehn gewesen, als sie Liam Forrester begegnet war.

Sein Charme, seine schicke Kleidung und seine schnellen Autos

hatten sie überwältigt. Nur ein Jahr später war ihre Welt
eingestürzt, als sie entdeckte, dass sie mit einem Kriminellen ver-
heiratet war.

Doch sie hatte sich wieder aufgerappelt und ein neues Leben

aufgebaut.

Und jetzt schien alle Kampflust sie verlassen zu haben. Sie hatte

keine Kraft mehr, und ... Das Geräusch raschelnder Kleidung ließ
sie hastig die Augen öffnen. "Was tust du?"

"Was glaubst du wohl?" Jed warf Hose und Hemd auf die po-

lierte Truhe am Fußende des Bettes. Er trug nur noch knappe Box-
ershorts, und sie schluckte beim Anblick seines muskulösen
Körpers.

"Du kannst hier nicht schlafen!" Panik ergriff sie, und sie ver-

wünschte sich selbst, weil ihre Stimme so unsicher klang. "Unsere
Ehe ist ein für alle Mal vorbei."

"Das stimmt", erwiderte er kühl. "Aber keine Sorge, ich werde

keine Ansprüche auf deinen schönen Körper anmelden, obwohl du
dich vorhin so bemüht hast, ihn zur Schau zu stellen. Was sollte
das?

Wolltest du mich daran erinnern, was mir entgeht? Wenn ja,

dann ist es dir nicht gelungen. Und jetzt rutsch beiseite."

"Nein." Sie hielt die Augen geschlossen, als er sich die Shorts ab-

streifte, und zog das Laken noch fester an sich, weil sie auch nackt
war.

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Sie spürte, wie die Matraze nachgab, und erschauerte. Mit Jed

in einem Bett zu liegen war die reinste Qual.

"Ich bin auch nicht davon begeistert", gab er zu, knipste die

Nachttischlampe aus und glitt unters Laken. "Aber Catherine ist
immer früh auf, und wenn sie uns morgen aus verschiedenen Zim-
mern kommen sieht, weiß sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung
ist."

"Und das ist das Einzige, was zählt?" erwiderte Elena heftig.
Bedeuteten ihre Gefühle ihm denn gar nichts?
"Im Moment ja. Sie macht eine schlimme Zeit durch, und ich

will es ihr nicht noch schwerer machen. Dan war immer ihr
Liebling, obwohl sie natürlich keinen von uns beiden verlieren woll-
te. Doch jetzt bin ich eben übrig geblieben. Deshalb fühle ich mich
schuldig, und ich werde nichts tun, was ihre Trauer verstärkt. Und
nun schlaf endlich." Er drehte ihr den Rücken zu und achtete da-
rauf, dass zwischen ihnen genügend Abstand war.

Elena lag in der Dunkelheit, die Augen weit geöffnet. Was Jed

über sein Schuldgefühl gesagt hatte, war verrückt. Oder gab es et-
was in der Beziehung zu seinem Bruder, von dem sie nichts wusste?
Etwas, das seine plötzliche Wandlung vom verständnisvollen
Ehemann, Geliebten, Partner und Freund in einen harten, gefühl-
losen, verbitterten Feind erklärte?

Sie wusste es nicht, und wenn sie ihn fragte, würde er es ihr

nicht sagen. Er hatte sich geweigert, ihr zu glauben, als sie ihm ver-
sicherte, dass sie nie mit Dan geschlafen habe. Er hatte sich ver-
schlossen, als sie versuchte, ihm alles zu erklären.

Was immer das Verhältnis zu seinem Bruder getrübt hätte: Es

war der Grund dafür, dass Jed ihr seine Liebe entzogen hatte.

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4. KAPITEL

Elena hatte sich ganz auf die eine Seite des großen Doppelbetts

zurückgezogen. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte vor Anspan-
nung, und sie lauschte gereizt auf Jeds regelmäßigen Atem.

Es war ihr ein Rätsel, wie er so einfach einschlafen konnte, als

wäre nichts geschehen. Warum konnte sie das nicht? Warum war
sie hellwach, während ihre Gedanken kreisten und ihr Körper vor
Sehnsucht und Verlangen nach ihm brannte?

Warum konnte sie nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und

weiterleben so wie er?

Wenn er sie wirklich lieben würde, hätte er sie angehört und ihr

vertraut. Stattdessen gab er ihr nicht einmal Gelegenheit, ihm zu
erzählen, was zwischen ihr und Dan geschehen war. Weshalb liebte
sie ihn dann immer noch?

Diese Fragen quälten sie, doch als sie gerade überlegte, ins

Arbeitszimmer hinunterzugehen und die Faxe ihrer Agentin zu
lesen, wurde sie plötzlich vom Schlaf überwältigt.

Und erwachte in Jeds Armen. Elena wagte kaum zu atmen und

öffnete vorsichtig die Augen. Durch die halb geschlossenen Jalousi-
en drang graues Dämmerlicht herein. Irgendwann in der Nacht
mussten sie unbewusst zueinander gefunden haben.

Wer den Anfang gemacht hatte, war egal. Es war eben

geschehen.

Die Frage war jetzt nur, was sie tun sollte.
Jeds Arm lag über ihrer Schulter und halb über ihrem Rücken,

und Elena stellte fest, dass sie ihn an der Taille umschlungen hielt,
eine Hand auf seiner muskulösen Brust. Ihre Finger lagen in der
kleinen Vertiefung an seiner Kehle, und ihre Beine schienen un-
trennbar miteinander verflochten zu sein.

Ihr wurde ganz heiß, und sie hatte keine Kontrolle mehr über

das Begehren, das süß und unwiderstehlich in ihr aufstieg.

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Jed schlief fest. Seine Brust hob uns senkte sich regelmäßig und

streifte leicht ihre Brüste. Die Spitzen richteten sich auf, und Elena
versuchte vergeblich, diese Reaktion zu unterdrücken. Sie hielt den
Atem an, bis sie meinte, ihre Lungen würden platzen.

Sie wusste, sie sollte sich so vorsichtig wie möglich aus seiner

Umarmung befreien, um ihn nicht zu wecken. Sie musste die bitter-
süße Qual dieser heimlichen Intimität beenden, diesen plötzlichen
Ansturm des Verlangens.

Doch immer noch war sie eng ihn geschmiegt, ließ seine

elektrisierende Berührung sie erbeben.

Wie sehr sie sich danach sehnte, die Hände über seinen Körper

gleiten zu lassen und alles wieder in Besitz zu nehmen, was sie vor
mehr als einer Woche verloren hatte! Doch sie konnte es nicht. Sie
durfte dieser Versuchung nicht nachgeben.

Körperlich war Jed ihr nahe, doch was seine Seele und seine Ge-

fühle anging, hatte er sich weit, weit von ihr entfernt...

Sie merkte, dass er aufwachte, hörte, wie sein Atem unregel-

mäßig wurde, wie er leise seufzte. Dann ließ er die Hand von ihrer
Schulter hinunter zu ihrem Po gleiten und presste sie an sich, und
sie spürte seine heftige Erregung.

Es war zu spät, um sich unbemerkt davonzustehlen. Viel zu

spät.

Elena wagte kaum zu atmen, und Tränen stiegen ihr in die

Augen.

Jed konnte sein körperliches Verlangen nicht leugnen, ebenso

wenig wie sie ihres. Wenn er jetzt mit ihr schlafen würde, wäre es
nur aus purer Lust. Oder würde es bedeuten, dass er seine Meinung
geändert hatte, dass er Verachtung und Misstrauen vergessen und
versuchen wollte, sie zu verstehen?

Vielleicht sollte sie ihm zeigen, dass sie zu einem Neuanfang

bereit war?

Sie wollte gerade den Kopf heben und ihn küssen, ihm zu-

flüstern, wie sehr sie ihn liebte, da spürte sie, wie er zusammen-
zuckte. Leise vor sich hin fluchend, sprang er auf, stöberte in

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Schubladen nach Kleidung und verschwand im angrenzenden
Badezimmer.

Elena kam sich unglaublich schmutzig vor. Sie krümmte sich

unter der Decke zusammen und schlang die Arme um sich, als kön-
nte sie dadurch den Schmerz lindern. Kaum war er wach und
merkte, was er tat und mit wem er es tat, benahm er sich, als ob er
mit dem letzten Abschaum im Bett gelegen hätte!

Elena wischte sich die Tränen von den Wangen und schwang die

langen Beine aus dem Bett. Im bodenlangen Spiegel sah sie ihr
Bild: zerzaustes blondes Haar, und der dünne Stoff ihres Morgen-
mantels, den sie übergeworfen hatte, Verhüllte kaum ihre nackte
Gestalt. Es war ihr egal. In dieser schrecklichen Situation gab es
keinen Platz für falsche Bescheidenheit. Sie liebte Jed immer noch,
obwohl sie eine Woche lang versucht hatte, sich das Gegenteil ein-
zureden. Doch das bedeutete nicht, dass sie all ihren Stolz verloren
hatte.

Jed stand unter der Dusche, als Elena das Badezimmer betrat.

Um das rauschende Wasser zu übertönen, sagte sie laut: "Diese
Situation ist unmöglich."

"Ich bin auch nicht davon begeistert." Das Geräusch des Wass-

ers verstummte, und gleich darauf stieg Jed aus der Dusche. Elena
vermied es, seinen perfekten Körper anzusehen. Sie wagte erst ein-
en Blick, als er sich ein Handtuch um die schlanken Hüften schlang,
die Lippen fest zusammengepresst. Das Haar klebte nass an seinem
Kopf, und Wassertropfen glänzten auf seiner sonnengebräunten
Haut.

Elena ballte die Hände zu Fäusten und widerstand dem Drang,

ihn zu berühren. "Dann tu etwas dagegen", forderte sie ihn auf.
"Oder ich tue es."

Er warf das Handtuch beiseite, mit dem er sich das Haar trock-

engerieben hatte, und betrachtete sie aus zusammengekniffenen
Augen. "Was soll das heißen?"

Sie hob kämpferisch das Kinn. Er machte ihr keine Angst.

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Nachdem sie seine Liebe verloren hatte, machte ihr nichts mehr

Angst. "Dass du mir zuhören könntest, zum Beispiel. Hör dir an,
was zwischen Dan und mir gewesen ist."

"Nein." Wut flackerte in seinen Augen auf. "Ich will nicht hören,

was passiert ist. Oder wie du dich zu verteidigen versuchst. Es
macht mich krank."

Es war hoffnungslos. Er würde ihr nicht zuhören, selbst wenn

sie ihn auf Knien darum anflehen würde.

Sie versuchte, Enttäuschung und Schmerz zurückzudrängen,

und sagte heftig: "Vergessen wir das - ich werde dich nie wieder
darum bitten. Wenn du so verbohrt bist, kannst du mich nie wirk-
lich geliebt haben. Aber ich warne dich: Ich werde nicht so tun, als
wären wir ein verliebtes Ehepaar, und ich werde nicht mit dir nach
Netherhaye zurückgehen. Also muss Catherine es früher oder
später erfahren."

Seine Augen begannen, gefährlich zu funkeln. "Später, sehr viel

später. Und du weißt sehr gut, warum! Oder bist du so selbst-
süchtig, dass dir alle anderen egal sind?"

Das saß. Natürlich wollte sie Catherine nicht noch mehr

Unglück zufügen. Doch dass er es ihr, Elena, so ohne weiteres zut-
raute, bestärkte sie in ihrer Vermutung, dass er sie nie wirklich
geliebt hatte.

Sie schloss die Augen, um die aufsteigenden Tränen vor ihm zu

verbergen, und hörte Jed kalt sagen: "Während sie hier ist, wirst du
die glückliche Ehefrau spielen. Nachdem dir das heute Morgen im
Bett so gut gelungen ist, solltest du damit auch tagsüber keine
Probleme haben."

Elena öffnete die Augen, in denen Tränen schimmerten. Wie

konnte er es wagen? Sie hatte ihn doch nicht bewusst umarmt, und
außerdem hatte er es auch genossen, zumindest am Anfang. Er
hatte sie begehrt ...

Und er begehrte sie jetzt! Sie erkannte es an dem Blick, den er

aus zusammengekniffenen Augen über ihren kaum verhüllten

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Körper gleiten ließ. Etwas Dunkles, .Geheimnisvolles regte sich in
ihr. Er liebte sie vielleicht nicht mehr, aber er begehrte sie.

"Es liegt an dir." Jed bückte sich und griff nach seiner Kleidung.
"Ich ziehe mich im Schlafzimmer an." Rasch ging er an ihr

vorbei, als könnte er gar nicht schnell genug von ihr wegkommen.

Hinter der Auswahl ihrer Kleidung stand sicher der unbewusste

Wunsch, ihm den Schmerz und die Erniedrigung heimzuzahlen, die
er ihr angetan hatte. Elena trat auf die Terrasse hinaus, wo Jed und
Catherine beim Frühstück saßen, und sah den Zorn in seinen Au-
gen, die harte, schmale Linie seines Munds. Sie freute sich diebisch,
dass sie die knappen Shorts aus gelber Seide und ein farblich dazu
passendes kurzes Top angezogen hatte.

"Du siehst aus wie der strahlende Morgen!" Catherine, die of-

fensichtlich Elena den überstürzten Abschied am Abend zuvor
verziehen hatten, lächelte sie an.

Elena erwiderte das Lächeln. "Danke." Während des Aufenthalts

ihrer Schwiegermutter würde sie Jeds Spiel mitspielen - aber auf
ihre Weise! Und sie würde sich alle Mühe dabei geben, um ihm
klarzumachen, dass sie noch längst nicht geschlagen war.

Elena ließ sich neben Jed am Tisch nieder und lehnte sich

aufreizend zurück. Triumphierend sah sie, wie ein Muskel an Jeds
Kinn zu zucken begann, während er widerwillig den Blick über ihre
langen, sonnengebräunten Beine, den Streifen nackter Haut zwis-
chen Shorts und Top und schließlich über ihre festen Brüste unter
der dünnen gelben Seide gleiten ließ.

Sie spürte, wie ihre Brustspitzen sich unter seinem verlan-

genden Blick aufrichteten, und wusste, dass er es bemerkt hatte, als
er unvermittelt aufstand und in Richtung Küche verschwand. "Ich
mache noch einen Kaffee", sagte er über die Schulter.

"Himmel, ich hätte nie gedacht, dass Jed mal zum Hausmann

wird!

Du hast anscheinend einen guten Einfluss auf ihn."
Weit gefehlt, dachte Elena trocken, während Catherine das

Besteck beiseite legte und sich auf den Bauch klopfte. "Er hat mir

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Rührei gemacht, und dabei sollte ich eigentlich längst auf Diät sein!
Was isst du?"

"Ich trinke nur etwas Saft." Elena schenkte sich eiskalten

Orangensaft ein und lehnte sich in der Sonne zurück, wobei sie ver-
suchte, entspannt auszusehen. Zum Glück hatte der Übelkeitsanfall
am Morgen nur einige Minuten gedauert. Als ihre Schwiegermutter
sie belustigt ansah, fügte sie hinzu: "Ich esse morgens nicht viel,
aber mittags mache ich alles wieder wett!"

Sie bemühte sich, ihre düsteren Gedanken hinter einem Lächeln

zu verbergen. Bald musste Catherine die Wahrheit erfahren. Und
falls Jed plante, Dans Kind als sein eigenes auszugeben, um einen
Skandal zu vermeiden, musste er sich auf eine unangenehme Über-
raschung gefasst machen. Wenn ihre Ehe nicht mehr zu retten war,
würde Elena einen klaren Schnitt machen. Der Zeitpunkt hing nur
davon ab, wann Catherine ihr Leben wieder im Griff hatte.

Jed kam zurück, eine Kanne mit frischem Kaffee in der Hand,

und wandte sich an seine Mutter. "Möchtest du hier bleiben und
dich ausruhen, während Elena und ich zum Einkaufen ins Dorf
gehen?"

Elena wusste, worauf er hinauswollte. Er war sich plötzlich nicht

mehr sicher, ob er vor seiner Mutter den liebenden Ehemann
spielen konnte, und außerdem wollte er ihr, Elena, wahrscheinlich
wieder eine Szene machen.

"Unsinn, Liebling", mischte sie sich ein, bevor Catherine ant-

worten konnte. "Catherine ist doch nicht den weiten Weg
hergekommen, um allein auf der Terrasse zu sitzen. Warum fahren
wir nicht nach Cadiz, kaufen ein und essen dort zu Mittag?" Sie
wandte sich an ihre Schwiegermutter. "Was meinst du?"

"Ach, das wäre herrlich! Cadiz - Francis Drake und Trafalgar,

wie romantisch!"

Elena lächelte. "Wenn du noch etwas länger bleibst - was ich

hoffe

-, könnten wir mit der Fähre durch die Bucht nach Puerto de

Santa Maria fahren. Es lohnt sich."

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Catherine strahlte, und alle Unsicherheit war wie weggewischt.
Nachdem Jed vorgeschlagen hatte, dass sie allein zu Hause

bleiben solle, musste sie sich wie ein Eindringling vorkommen.

Normalerweise war Jed seiner Mutter gegenüber nicht so

unsensibel.

Sein Verhalten zeigte deutlich, dass sie, Elena, zu ihm

durchdrang.

Elena lächelte Jed an. "Dann wäre das also geregelt, Liebling."

Sie bemerkte, wie er sie anblickte, als sie sich auf dem Stuhl
zurücklehnte und provokativ dehnte und streckte. Wenn er jetzt
dachte, sie stelle sieh zur Schau, lag er nicht daneben. Es war das
Einzige, was ihr einfiel, um es mit ihm aufzunehmen.

"Dann solltest du dich vielleicht fertig machen." Er drehte ihr

den Rücken zu und betrachtete die Hügel in der Ferne.

Langsam stand sie auf. Sie konnte es sich erlauben, ihm ein

wenig entgegenzukommen - schließlich hatte sie jetzt die Ober-
hand, oder?

Sie wandte sich an Catherine. "Zieh bequeme Schuhe an. Wir

werden viel laufen müssen. Und nimm einen Sonnenhut mit. Wenn
du keinen hast, kann ich dir einen leihen."

Elena ging ins Schlafzimmer zurück und versuchte, sich nur auf

ihren Ausflug nach Cadiz zu konzentrieren. Wie sie danach den
Rest von Catherines Aufenthalt ohne Nervenzusammenbruch über-
stehen sollte, daran wagte sie gar nicht zu denken.

Sie wählte eine enge kurzärmelige Jacke und einen leichten,

durchgeknöpften Rock, schloss aber nur die obersten beiden
Knöpfe.

So wirkte sie gleichzeitig dezent und aufreizend. Dann schlüpfte

sie in leichte Sandaletten, griff nach einem bunten Strohhut und
einem

weiteren

für

Catherine,

und

war

bereit,

Jed

gegenüberzutreten.

Er benahm sich sehr weltmännisch und äußerst höflich,

während er Elenas Weisungen folgte und den Berg hinunter und

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durch das kleine, malerische Dorf fuhr, das sich unten an den
Berghang schmiegte und bis ins Tal erstreckte.

Jed zeigte ihr, dass auch er dieses Spiel beherrschte. Seine

Gesichtszüge wirkten nicht mehr angespannt wie vorhin, und seine
Augen waren hinter einer Sonnenbrille verborgen. Catherines
ständiger Redefluss machte jede weitere Konversation überflüssig,
und Elena war darüber so froh, dass sie ihre Schwiegermutter am
liebsten umarmt hätte.

Catherine war entzückt von dem Markt, auf dem sie ihre

Einkäufe machten, und Jed betrachtete liebevoll das vor Freude
gerötete Gesicht seine Mutter. Da er beide Arme voller Taschen mit
Obst und Gemüse hatte, deutete er mit dem Kopf auf ein Café am
Rand des bunten, quirligen Marktplatzes. "Wartet dort auf mich.
Ich bringe nur schnell die Sachen ins Auto, und dann suchen wir
uns ein nettes Restaurant zum Mittagessen."

Er geht mit ihr um wie mit einem Kind, das ein schlimmes Er-

lebnis hatte und sehr behutsam behandelt werden muss, dachte
Elena. Dann bemerkte sie, das sie sich genauso verhielt, als sie sich
bei Catherine unterhakte und sagte: "Komm, wir trinken einen Kaf-
fee. Der ist hier richtig gut und stark, viel besser als zu Hause!"

Sie bemerkte, wie Jed zustimmend nickte, bevor er sich umdre-

hte und sich einen Weg durch die lebhafte Menge zwischen den
Ständen bahnte. Er fand also gut, dass sie Catherine mit Samthand-
schuhen anfasste, wie er es ihr befohlen hatte. Und auch seine An-
weisung, sich wie eine glückliche Ehefrau zu benehmen, würde sie
befolgen, wenn seine Mutter in der Nähe war. Doch Elena schwor
sich, dass er das noch bereuen sollte.

Nachdem sie einen Tisch gefunden hatten und der Kaffee ser-

viert worden war, ließ Catherine den Blick über den belebten Platz,
die hohen Orangenbäume und die in der Sonne schimmernden Ge-
bäude mit ihren kleinen Balkonen gleiten. "Hier ist alles so schön
und quicklebendig. Ich kann verstehen, warum du dich
entschlossen hast, hier zu leben. Hoffentlich wirst du das auf

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Netherhaye nicht zu sehr vermissen. Aber bestimmt werdet ihr
beide so viel Zeit wie möglich hier in Las Rocas verbringen."

Wie es aussah, würde Elena nicht nach Netherhaye zurück-

kehren, und Jed würde auch nicht so viel Zeit wie möglich mit ihr
in Las Rocas verbringen. Doch das würde Catherine erst erfahren,
wenn sie sich wieder ein wenig gefangen hatte.

Deshalb lächelte Elena nur und trank einen Schluck Kaffee. Sie

versuchte, nicht daran zu denken, dass ihre Ehe gescheitert war
und sie die Liebe ihres Lebens verloren hatte. Dans Schatten schien
aus dem Grab aufzusteigen und alles zu verdüstern, was in ihrem
Leben hell und schön gewesen war.

Dennoch war es weder Dans noch ihre Schuld. Nein, Schuld

hatte Jed, weil er ihr nicht zuhören wollte, weil er so schlecht von
ihr dachte, weil er sie nicht genug geliebt hatte ...

Die nichts ahnende Catherine missverstand ihr Schweigen an-

scheinend und sagte in ihre düsteren Gedanken hinein: "Versuch,
nicht allzu traurig darüber zu sein, dass deine Mutter mit mir
zusammenziehen will. Ich habe gemerkt, wie schockiert du gestern
Abend warst. Susan wollte dir deshalb schreiben, aber offensicht-
lich ist sie noch nicht dazu gekommen." Sie tätschelte Elena
tröstend den Arm. "Sie hat mir erzählt, wie dankbar und gerührt sie
war, als du ihr angeboten hast, hier mit dir zu wohnen. Aber Spani-
en war für sie so weit weg, und du warst aus dem Haus gegangen,
hattest dir hier dein eigenes Leben aufgebaut, das sie nicht stören
wollte. Darin sind sie und ich uns einig: Wir wollen der jungen Gen-
eration nicht im Wege stehen. Deshalb habe ich auch beschlossen,
Netherhaye zu verlassen.

Ich gebe die Verantwortung ab, und ihr Jungverliebten habt das

Haus für euch. Susan und ich kommen wirklich sehr gut mitein-
ander aus ich werde also nicht allein sein."

Elena überlegte düster, wie lange die Freundschaft zwischen

Catherine und Susan wohl halten mochte. Wenn sie die Wahrheit
erfuhren, würden sie früher oder später Partei ergreifen müssen ...

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"Was macht ihr für Gesichter?" Jed war wie aus dem Nichts auf-

getaucht. Er lächelte, doch der harte Unterton in seiner Stimme war
Elena nicht entgangen. Glaubte er etwa, sie hätte die Gelegenheit
ergriffen und Catherine jede Einzelheit ihrer gescheiterten Ehe
anvertraut?

"Ein kleines Gespräch unter Frauen!" Catherine stand auf und

griff nach ihrer Handtasche. "Und jetzt lasst uns ein Restaurant
suchen - ich bin am Verhungern! Nun sieh mich nicht so an!" Sie
tippte Jed mit dem Finger auf die Brust. "Wir Frauen dürfen ja
wohl noch unsere Geheimnisse haben, oder?"

Etwas Unpassenderes hätte sie nicht sagen können. Um seiner

Mutter willen lächelte Jed zwar, doch der Blick, mit dem er Elena
streifte, war voller Verachtung. Er dachte an das Baby. Dans Baby.

Plötzlich wünschte Elena sich nur noch, dieser Tag wäre vorbei

und Catherine wieder in England. Sie wünschte sich, dass Jed sie
wieder lieben würde und dass sie die Uhr zurückdrehen könnte ...

Doch ihre Wünsche waren unerfüllbar. Sie folgte den anderen

beiden durch das Gewirr enger Gassen, obwohl ihre Beine sie kaum
tragen wollten und das Herz ihr wie ein schwerer Stein in der Brust
lag. Es schmerzte so sehr, dass sie nicht wusste, wie sie diesen Tag
durchstehen sollte.

Düster überlegte sie, dass sie zwei Möglichkeiten hatte. Die erste

war, ihrem Schmerz nachzugeben, auf die Gefahr hin, dass Cather-
ine misstrauisch wurde. Oder sie konnte Jeds Befehl folgen und
sich wie eine verliebte junge Frau in den Flitterwochen benehmen.

Aus Stolz entschied sie sich für Letzeres. Sie unterdrückte die

aufsteigenden Tränen, eilte den anderen nach und hakte sich so eng
bei Jed unter, dass ihre Hüften und Oberschenkel sich beim Gehen
berührten.

Als sie spürte, wie Jed erschauerte, als sie das Zittern bemerkte,

das ihn durchlief, lächelte sie zufrieden und sagte: "Ich kenne ein
nettes Restaurant direkt am Meer. Wir könnten draußen essen."

Jed stieß einen unverständlichen Laut aus, und Catherine rief:

"Das klingt fabelhaft!"

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Elena zeigte ihnen den Weg, wobei sie sich weiter eng an Jed

presste. Sie tat es, um ihn zu bestrafen, musste sich aber ständig
daran erinnern, dass es nur eine Bestrafung war und warum sie es
tat nämlich, um sich davon abzulenken, welche Wirkung seine
Nähe auf sie hatte.

Im Restaurant fanden sie auf der Terrasse einen Tisch in einer

von Weinranken beschatteten, ruhigen Ecke, was Elena sehr gele-
gen kam.

Denn wenn sie sich schon zur Schau stellen wollte, dann wenig-

stens nicht in aller Öffentlichkeit. Sie merkte, wie schwer es Jed fiel,
sich zu beherrschen.

Als sie sich neben ihn setzte, klaffte ihr Rock wie zufällig ausein-

ander und enthüllte ihre langen, schlanken Beine bis zum Ober-
schenkel. Der Blick, den Jed ihr zuwarf, sagte ihr, dass er es schon
bereute, ihr befohlen zu haben, sich wie eine verliebte Ehefrau zu
benehmen.

Sehr gut! Elena lächelte ihn strahlend an und versuchte sich ein-

zureden, dass sie die Situation genoss. Er begehrte sie, und deshalb
verachtete er sich selbst und war wütend auf sie, weil sie ihm das
antat.

Sie ließ die Hand über seinen Arm gleiten, spürte, wie seine

Muskeln sich anspannten, und wusste, dass er ihre Hand beiseite
schieben wollte, es in Anwesenheit seiner Mutter jedoch nicht
wagte.

"Vielleicht sollte ich für uns bestellen?" fragte Elena leise. "Hier

sprechen nur wenige Leute Englisch - nach Cadiz kommen nicht
sehr viele Touristen."

"Wie du willst." Er nickte, doch sie wusste, dass es ihm gegen

den Strich ging, wenn sie die Führung übernahm. Normalerweise
traf er die Entscheidungen - wie er es ja auch für ihr zukünftiges
Leben getan hatte.

Eins zu null! Elena überflog die Speisekarte und entschied sich

für Salat aus roter Paprika, Tomaten und gedünsteten Auberginen,

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gefolgt von Muscheln in einer Knoblauch-Sherry-Sauce. "Seid ihr
einverstanden?"

Sie winkte einem der Weiß gekleideten Kellner und bestellte in

flüssigem Spanisch. Als sie damals hierher gekommen war, hatte
sie sich sehr bemüht, die Sprache zu lernen, und jetzt fragte Cather-
ine bewundernd: "Wie viele Talente hast du eigentlich noch?"

Elena lächelte geheimnisvoll, fuhr sich mit der Hand durchs

Haar und warf Jed unter ihren langen Wimpern einen verführ-
erischen Blick zu. "Das musst du schon meinen Mann fragen!"

Während des Essens flirtete sie hemmungslos mit Jed, und als

sie Catherine zufrieden lächeln sah, fühlte sie sich beinahe
schuldbewusst.

Dieser lieben Frau spielte sie die heile Welt vor, während doch

die unglückliche, trostlose Wirklichkeit sie zu verschlingen drohte.

Als Catherine sich für einen Moment entschuldigte, um den

Waschraum aufzusuchen, wurde Elena noch elender zu Mute, denn
Jed legte die Hand mit festem Griff um ihr Kinn und zwang sie, ihn
anzusehen. "Ich weiß, was du tust und warum."

Er betrachtete sie durchdringend, und ihr zog sich das Herz

zusammen unter seinem finsteren Blick. "Auch wenn unsere Ehe
nur noch auf dem Papier besteht - sieh dich vor, dass ich mir nicht
das nehme, was du so aufreizend anbietest. Irgendwann vergisst
selbst der zurückhaltendste Mann seine Skrupel."

Und dann presste er seinen Mund plötzlich auf ihren und zwang

mit der Zunge brutal ihre Lippen auseinander. Sie wehrte sich ge-
gen ihn, schlug mit den Fäusten gegen seine Schultern - kämpfte
gegen das Verlangen, das heiß in ihr aufstieg. Und dann änderte
sich sein Verhalten plötzlich, sein Kuss wurde sanft und sinnlich, so
unglaublich erotisch wie damals, als er sie nicht nur begehrt, son-
dern geliebt hatte. Und da öffnete sie Sich ihm, umklammerte seine
breiten Schultern, während ihr das Blut pochend durch die Adern
strömte.

Nun gab es keinen Raum mehr für Gedanken und düstere

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Vorahnungen. Ihr ganzer Körper schien sich aufzulösen vor Ver-

langen, Leidenschaft, Liebe. Sie konnte nicht mehr denken, und die
Wirklichkeit schien weit weg zu sein, verborgen hinter den Nebeln
der Fantasie ...

Bis er sie zurückschob und kalt sagte: "Überleg dir, ob du mit

mir spielen willst - es könnte dich selbst treffen. Also pass auf, mein
Liebling, sonst bekommst du vielleicht mehr, als du haben
wolltest."

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5. KAPITEL

Auf der Heimfahrt saß Elena auf der Rückbank und lauschte un-

beteiligt auf das Gespräch zwischen Mutter und Sohn.

Mit seinem Kuss und seinen harten Worten hatte Jed ihr deut-

lich gemacht, dass Männer mit Frauen schlafen konnten, ohne dass
von Liebe auch nur die Rede war. Für Elena war es anders. Auch
wenn sie ihn immer noch liebte, trotz aller Bemühungen, es nicht
zu tun, würde sie sich ihr Leben lang verachten, wenn sie sich auf
diese Art von ihm benutzen ließe.

Warum war sie nur so töricht gewesen? Warum hatte sie sich

nicht ganz normal verhalten, um Catherines willen geredet und
gelächelt, aber Distanz zu ihm bewahrt? Stattdessen hatte sie ihn
absichtlich an die Grenzen seiner Selbstbeherrschung getrieben.

Sie hatte sich dumm und kindisch benommen, was sie unter

normalen Umständen gar nicht war. Aber waren es normale Um-
stände, wenn sie den einzigen Mann hasste, den sie jemals wirklich
geliebt hatte? Hass, Liebe, Schmerz und Verzweiflung waren eine
zerstörerische Kombination und hatten sie zu diesem Verhalten
getrieben. Und jetzt verachtete sie sich deshalb.

Den restlichen Nachmittag führte sie Catherine auf ihrem

Grundstück herum und zwang sich, zu reden und zu lächeln. Jed
war unter dem Vorwand, einige dringende Telefonate führen zu
müssen, in ihrem Arbeitszimmer verschwunden, und sie war froh
darüber. Je seltener sie ihn sah, desto besser.

Leider erschien er dann doch zum Abendessen. Es gab Omelett

und Fruchtsalat. Danach entschuldigte Elena sich. "Ich muss den
Garten bewässern, Catherine. Leg doch einfach die Füße hoch, und
lass dir von Jed von der Filiale erzählen, die er in Sevilla eröffnen
will."

Und Elena flüchtete in den Frieden ihres Gartens.
Sie schlüpfte in abgetragene Jeans und ein verblichenes Baum-

wollhemd und bändigte das lange Haar mit einen» Lederband zu

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einem Zopf. Der alltägliche, geruhsame Gang über die gewundenen
Pfade, während sie Lilien, Lavendel, Rosen und silbern leuchtende
Eukalyptusbäume mit Wasser aus dem Schlauch besprühte, ber-
uhigte ihre aufgewühlten Gedanken zumindest ein wenig.

Ihr Rachefeldzug war fehlgeschlagen und hatte ihnen beiden

nur noch mehr Schmerz zugefügt. Jed liebte sie nicht mehr, und de-
shalb blieb ihr nur noch der Rückzug.

Ein Geräusch in der Nähe ließ sie zusammenzucken, und als sie

sich umdrehte, begann ihr Herz wie wild zu klopfen und das Blut
schoss ihr in die Wangen.

Jed kam auf sie zu, den verschlossenen Ausdruck im Gesicht,

den sie inzwischen fürchten gelernt hatte, doch als er näher kam,
sah sie den Schmerz in seinen Augen, einen Schmerz, den er zu ver-
bergen versuchte.

Plötzliches Mitgefühl drohte sie zu überwältigen. Sie verachtete

sich selbst für das, was sie heute getan hatte, und fragte sich, ob sie
mutig genug war, es ihm zu sagen. Ihr war, als hätten sie einen
entscheidenden Punkt in ihrer Beziehung erreicht. Wenn sie sich
entschuldigen und ihn dazu bringen könnte, ihr zu glauben ...

"Catherine lässt dir Gute Nacht sagen. Und im Arbeitszimmer

habe ich das hier gefunden." Erst jetzt bemerkte sie die Papier in
seiner Hand. "Vorhin ist noch ein Fax angekommen. Vielleicht soll-
test du dich damit beschäftigen, bevor deine Agentin einen

Nervenzusammenbruch erleidet."
Die Faxe. Elena atmete tief ein. "Ja, vielleicht. Mir kam das Gan-

ze bisher nicht besonders wichtig vor."

Er betrachtete sie ruhig. "Nein? Nicht einmal etwas, das der

Höhepunkt deiner Karriere sein könnte?"

Das Zwielicht verlieh seinen Augen etwas Geheimnisvolles. Sie

überging seine Frage uns sagte: "Bitte, lass uns reden."

Vielleicht kam es ihr nur so vor, doch plötzlich erschien er ihr

zugänglicher. Es gab so vieles, was sie ihm sagen musste, dass sie
kaum wusste, wo sie anfangen sollte. Sie konnte verstehen, warum
er so zornig, so verbittert war. Sie an seiner Stelle hätte

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wahrscheinlich genauso reagiert. Aber es brauchte nicht so zu sein -
wenn er nur einmal seinen Stolz vergessen und sie die Wahrheit
erzählen lassen würde!

"Deshalb bin ich hier." Jed trat einen Schritt näher; "Sollen wir

uns irgendwo hinsetzen?" Er griff um sie herum und steckte ihr die
zusammengefalteten Papiere in die hintere Tasche ihrer Jeans. Als
er dabei mit den Fingern leicht ihren Po streifte, durchflutete Erre-
gung sie wie Feuer. Doch ihr blieb nichts übrig, als dieses hilflose,
hoffnungslose Gefühl zu unterdrücken und ihm den Pfad entlang zu
folgen bis zu der kleinen, rosenumrankten Laube am Ende des
Gartens.

Ausgerechnet hier? Erinnerte er sich nicht an die Abende, da sie

hier bei einer Flasche Wein ganz nah beieinander gesessen, den
Duft der Rosen eingeatmet, sich umarmt und zärtliche Worte zuge-
flüstert hatten?

Oder hatte er diese Erinnerungen schon aus seinem Gedächtnis

und seinem Leben gestrichen?

Am liebsten hätte Elena sich umgedreht und sich ins Haus ge-

flüchtet, um nicht noch mehr verletzt zu werden. Aber sie mussten
über alles reden, und jetzt schien er zum ersten Mal dazu bereit zu
sein.

"Ich wollte mich für mein Verhalten heute entschuldigen", stieß

sie atemlos hervor, bevor ihr Mut sie wieder verlassen konnte. Sie
setzte sich so weit wie möglich von ihm entfernt ans Ende der Bank
und verschränkte die Hände im Schoß. Er machte es ihr nicht
leicht. "Es war kindisch."

"Wohl kaum. Du hast dich wie eine erwachsene Frau benom-

men, wie eine Frau, die Sex will. Wie die Frau, die an jenem Mor-
gen noch mit mir geschlafen hat, obwohl sie wusste, dass sie von
einem anderen Mann schwanger ist."

Seine Stimme war hart und kalt, und Elena schloss kurz die

Augen.

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Aus seiner Sicht verdiente sie diese Beleidigung. Kaum hörbar

flüsterte sie: "So einfach ist das nicht." Wo sollte sie anfangen, um
ihm die Komplexität ihrer Gefühle verständlich zu machen?

"Nein?

Das

überrascht

mich.

Aber

spar

dir

deine

Entschuldigungen

- dafür ist es jetzt zu spät."
Elena wollte ihn nicht fragen, was er damit meinte. Sie hoffte

nur, dass er nicht die Absicht hatte, ihr das zu geben, worum sie ihn
praktisch gebeten hatte.

Fast im Plauderton sprach er weiter. "Da wir gerade davon re-

den angesichts deines unglaublichen sexuellen Appetits verstehe
ich nicht, warum du mich nicht gleich nach unserer ersten
Begegnung verführt hast. Ich konnte an nichts anderes denken, als
daran, mit dir zu schlafen. Wir haben sogar darüber geredet", sagte
er trocken, "und beschlossen, dass die Umstände wegen Dans Tod
nicht die richtigen wären. Danach musstest du nach Spanien
zurück, ich hatte auch noch einige Geschäfte zu erledigen, und die
gemeinsamen Tage vor der Hochzeit auf Netherhaye waren hekt-
isch. So kam es erst in der Hochzeitsnacht dazu. Wie romantisch."
Seine Stimme troff vor Verachtung. "Dabei wäre es für dich viel
praktischer gewesen, mich sofort ins Bett zu zerren. Dann hättest
du mir weismachen können, das Kind wäre von mir, vielleicht ein
wenig zu früh geboren, doch darüber hätte ich mir keine Gedanken
gemacht. Aber vielleicht war es dir ja egal? Immerhin war ich nur
die zweite Wahl."

Wie er sie hasste! Konnte Liebe wirklich so schnell in unver-

söhnlichen Hass umschlagen? Sie ballte die Hände zu Fäusten und
presste sich die Fingerknöchel gegen die schmerzenden Schläfen.

Wenn sie ihm die Wahrheit sagte und er ihr tatsächlich glaubte,

würde es einen Unterschied machen? Elena wusste es nicht, aber
sie musste es zumindest versuchen.

Sie blickte ihn flehend an und atmete tief ein. "Ich möchte dir

endlich genau erzählen, wie es zu dieser Schwangerschaft gekom-
men ist..."

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"Glaubst du wirklich, ich würde mir auch noch die schmutzigen

Details anhören?" Jeds kalte Stimme ließ sie frösteln. Er sprang
auf.

"Du musst verrückt sein!"
"Jed! Warte!"
Doch er ging schon mit großen Schritten aufs Haus zu. Am lieb-

sten wäre sie hier geblieben und hätte ihre Wunden geleckt, doch
sie wusste, dass sie ihm nachgehen musste.

Es war jetzt fast dunkel, und während sie sich vorsichtig durch

den Garten tastete, stiegen Zorn und Enttäuschung in ihr auf. Nicht
die Tatsache, dass sie von einem anderen Mann schwanger war,
hatte diese Katastrophe heraufbeschworen, sondern Jeds verdam-
mte Unnachgiebigkeit, seine Weigerung, ihr zuzuhören, seine kom-
promisslose Feindseligkeit!

Sie fand ihn in der Küche, wo er sich gerade einen Whisky

einschenkte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, und als er sich
umdrehte, sah sie, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte.

Gut für ihn! Sie konnte das nicht von sich behaupten. Wütend

funkelten sie sich an.

"Anstatt mich mit Einzelheiten deiner Affäre mit Dan zu lang-

weilen, solltest du mir lieber etwas von deinem ersten Ehemann
erzählen."

"Liam?" Elena zog die Brauen hoch. "Warum? Du wolltest doch

nie etwas über ihn wissen."

"Früher war er nicht wichtig, weil ich dich für die Perfektion

schlechthin gehalten habe. Die Vergangenheit hatte keine Bedeu-
tung, nur unsere Gegenwart und Zukunft. Aber jetzt haben wir
keine gemeinsame Zukunft mehr." Jed zog einen Stuhl unter dem
Tisch hervor und setzte sich rittlings darauf, die Arme auf der
Lehne verschränkt, das Glas in der Hand. Anscheinend hatte er sich
auf eine oder zwei Stunden entspannter Unterhaltung eingerichtet.

Elena ging zum Kühlschrank und füllte ein Glas mit

Orangensaft.

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Sie wollte toben und schreien, doch damit hätte sie Catherine

geweckt.

Jed trank einen Schluck Whisky. "Also? Nachdem ich meine

Meinung über dich so drastisch geändert habe, frage ich dich jetzt.
Du hast gesagt, du hättest dich von ihm scheiden lassen. Warum?
Sah er nicht gut genug aus? War er nicht gut genug im Bett? Nicht
reich genug?"

Am liebsten hätte sie ihm ihren Saft ins Gesicht geschüttet, doch

ihre Hände bebten so vor unterdrückter Wut, dass sie das Glas
kaum halten konnte und es schnell auf der Arbeitsplatte abstellen
musste.

"Oder war es andersherum?" fragte Jed höhnisch. "Hat er dich

verlassen, weil auch er herausgefunden hatte, dass du nicht das
bist, was du zu sein scheinst?"

Elena errötete vor Zorn. Vielleicht wollte er über Liam reden,

weil er es nicht ertragen konnte, von ihrer Beziehung zu Dan zu
hören.

Plötzlich war sie so wütend, dass es ihr egal war. Was hatte sie

nur dazu gebracht, einen so bitteren und verbohrten Mann zu
heiraten?

Er wollte einen genauen Bericht über ihre Ehe mit Liam. Also

sollte er ihn bekommen. Und wenn es nicht das war, was er erwar-
tete, hatte er selbst Schuld. Sie rang sich ein Lächeln ab. "Liam sah
sehr gut aus." Aus heutiger Sicht fand sie ihn ein wenig zu aufdring-
lich, doch das würde sie Jed nicht erzählen. "Alle Mädchen waren
verrückt nach ihm. Mum hielt ihn für ein Geschenk Gottes - und
von einer Frau, die Männern gegenüber so verbittert ist wie sie, war
das ein großes Lob. Ich habe ihn auf der Geburtstagsparty einer
meiner Freundinnen kennen gelernt, und er hat mich vom Hocker
gehauen, wie man so sagt,"

Weil sie sich verzweifelt nach Liebe gesehnt hatte, denn ihre El-

tern hatten sie wenig davon spüren lassen. Ihr Vater war beruflich
viel unterwegs gewesen und außerdem hinter allem her, was einen
Rock trug. Und ihre Mutter war viel zu beschäftigt damit gewesen,

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sich in Selbstmitleid über ihre zerrüttete Ehe zu ergehen, um über
die Bedürfnisse ihres einzigen Kindes nachzudenken.

Unbewusst legte Elena sich die Hand auf den Bauch. Ihr Kind

sollte nicht unter der gescheiterten Ehe seiner Mutter leiden!

"Und über seine Fähigkeiten im Bett musste ich mich auch nicht

beklagen", sprach sie weiter. Sie war noch Jungfrau gewesen, als sie
Liam begegnet war, deshalb hatte sie keine Vergleichsmöglich-
keiten gehabt. Erst mit Jed hatte sie die Ekstase, die fast beängsti-
gende Hingabe wirklicher Liebe kennen gelernt. Doch darüber
wollte sie jetzt nicht nachdenken, denn es erinnerte sie an das, was
sie gefunden und verloren hatte.

Sie sah, wie es um Jeds Mundwinkel zuckte, und wusste, dass

sie einen .empfindlichen Nerv getroffen hatte. Doch sie verbot sich
jegliches Mitgefühl. "Geld war immer reichlich da. Ich behielt mein-
en Job als Mädchen für alles in der Redaktion der örtlichen Zei-
tung, und Liam betrieb ein Wettbüro in der Stadt. Er fuhr einen
schnellen japanischen Sportwagen, nahm mich mit in die besten
Klubs und kaufte mir die teuersten Kleider. Durch Zufall habe ich
irgendwann herausgefunden, woher all das Geld kam. Er fälschte
Kreditkarten."

Elena hob das Kinn. "Ob du es glaubst oder nicht - ich verabsch-

eue Unehrlichkeit. Und deshalb konnte ich ihm nicht verzeihen,
dass er mich getäuscht hatte."

"Stimmt das?" Jeds Gleichgültigkeit schien verschwunden

zusein.

"Du glaubst, ich hätte mir das ausgedacht?" fragte sie

verächtlich.

"Mein Beruf erfordert zwar viel Fantasie - aber privat halte ich

mich an die Wahrheit." Denk darüber nach, fuhr sie im Stillen fort
und erwiderte hart und herausfordernd seinen plötzlich nachdenk-
lichen Blick.

"Was hast du dann getan?" fragte er.
"Getan?" Sie schüttelte den Kopf. Seit Jahren hatte sie nicht

mehr an Liam gedacht und sich stattdessen ihr eigenes Leben

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aufgebaut, ihre Mutter und deren katastrophale Ehe als abs-
chreckendes Beispiel vor Augen. "Ich bin natürlich zur Polizei
gegangen."

Ihre Ehe war damals ohnehin schon in der Krise gewesen. Sie

hatte die Restaurants und Nachtclubs und all die dubiosen Leute
satt gehabt, die Liam als seine Freunde bezeichnet hatte. Sie hatte
sich gefragt, woher all das Geld kam, und sich Sorgen gemacht, als
er ihr erzählte, dass er beim Wetten eine Glückssträhne gehabt
habe, denn Glück war ein wankelmütiger Partner.

"Mum war dagegen und meinte, ich solle einfach gehen und ihn

weitermachen lassen. Sie hatte Angst, niemand würde mir glauben,
dass ich nichts von seinen Machenschaften gewusst hatte."

"Und hat man dir geglaubt?" Jed betrachtete sie eindringlich.
Müde griff Elena nach ihrem Glas Orangensaft und trank es

durstig aus. All ihr Zorn war inzwischen verflogen, und sie fühlte
sich nur noch erschöpft, nicht mehr in der Lage, mit der furchtbar-
en Situation fertig zu werden, die viel schlimmer war als alles, was
sie damals hatte durchmachen müssen.

Ausdruckslos sagte sie: "Ja, aber erst nach langen Verhören.

Nach dem Prozess bin ich hierher gekommen, fast nur mit dem,
was ich am Leibe trug, denn ich wollte nichts mitnehmen, was mit
gestohlenem Geld gekauft worden war. Ich habe meinen Mädchen-
namen wieder angenommen und mich später scheiden lassen."

Es war unmöglich, zu erraten, was er dachte. Bis vor kurzem

hatten sie sich so geliebt, waren sich so nahe gewesen, dass einer
des anderen Gedanken hatte lesen können.

Das war vorbei.
Jetzt wusste sie nicht einmal, ob er ihre Anwesenheit überhaupt

bemerkte, so finster und ausdruckslos war sein Blick.

Wahrscheinlich überdachte er jedes ihrer Worte und kam zu

dem Schluss, dass ihr Exmann nur zum Kriminellen geworden war,
um ihre Forderungen zu befriedigen. Dass sie ihn kaltherzig der
Polizei ausgeliefert hatte, bevor man ihn ohnehin entdeckt und

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ihrem aufwendigen Leben ein Ende bereitet hätte. Jed würde sich
als Opfer auf Liams Seite schlagen - so schlecht, wie er von ihr
dachte.

Und er bestätigte ihre Vermutung, als er sagte: "Du klingst wie

ein Moralapostel. Aber schließlich kannst du gut mit Worten umge-
hen, allein von Berufs wegen. Doch es gibt eine Tatsache, die du
nicht abstreiten kannst: Du hast mich geheiratet in dem Wissen,
dass du von einem anderen Mann schwanger sein könntest."

Ärger stieg in ihr auf. "Verdammt noch mal!" Sie fuhr sich mit

der Hand über die Stirn. "Du solltest dich mal hören! Ich erwarte
Dans Kind - nicht das eines beliebigen Mannes. Warum fällt es dir
so schwer, auch nur seinen Namen auszusprechen?"

Doch sie glaubte, den Grund dafür zu kennen, nach den

merkwürdigen Dingen, die er gesagt hatte. Und wenn es stimmte,
dann wusste sie auch, warum er sich weigerte, ihr zuzuhören.

"Weil es mich zur Raserei bringt, daran zu denken, dass du mit

Dan zusammen warst", erwiderte er heiser.

"Zur Raserei?" wiederholte sie scharf. "Bis heute hat meine erste

Ehe dich nicht interessiert, und du hast mich auch nie gefragt, ob es
seit meiner Scheidung andere Männer in meinem Leben gegeben
habe. Du hast dich benommen, als wäre Eifersucht für dich ein
Fremdwort."

Elena versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen. Sie konnte

nicht glauben, dass hinter seiner versteinerten Miene wirklich
nichts als Hass lag, und sie hoffte immer noch, zu ihm durchdrin-
gen zu können.

"Genau wie ich nicht wissen wollte, mit wem du geschlafen hast,

bevor wir uns trafen. Ich habe geglaubt, dass nur unsere gemein-
same Zukunft wichtig sei. Und du hast doch auch so gedacht,
oder?"

Jed zuckte ungeduldig mit den Schultern. "Ich sehe nicht ein,

warum wir das jetzt wieder aufwärmen sollten."

"Dann denk mal nach. Würdest du dir so ... betrogen vorkom-

men, wenn dieses Baby das Ergebnis einer kurzen Affäre mit einem

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Mann wäre, den ich vor dir kennen gelernt hätte? Und dann frag
dich, warum du dich kategorisch weigerst, die Wahrheit über Dan
und mich zu erfahren."

"Das ist doch wohl offensichtlich", entgegnete Jed trocken, doch

zwischen seinen Brauen hatte sich eine Falte gebildet. Dachte er
über ihre Worte nach, anstatt seine Gefühle in den Vordergrund zu
stellen?

"Das hier führt zu nichts." Er stand auf, und Elena wusste, wenn

sie ihn jetzt gehen ließe, dann wäre die letzte Gelegenheit vertan, zu
ihm durchzudringen. Er würde ihr nie wieder lange genug zuhören.

Als er zur Tür ging, sagte sie entschlossen: "Dan und ich haben

nie zusammen geschlafen. Er war mein Freund, sonst nichts. Ich
wollte ein Kind, und er bot sich als Samenspender an. Wenn du mir
nicht glaubst, dann frag in der Londoner Klinik nach."

Jed blieb wie angewurzelt stehen. Dann drehte er sich langsam

um, und etwas wie Spott erschien in seinen Augen. "Deine Fantasie
ist wirklich bemerkenswert. Sie bringt dich zwar in die Bestsellerl-
isten, aber bei mir kommst du damit nicht weiter."

Das tat weh. Elena stürmte an ihm vorbei aus der Küche, bevor

er den Schmerz in ihrem Gesicht sehen konnte, ging in ihr Zimmer
und schloss die Tür hinter sich.

Sie fand keinen Schlaf, und als sie Jed Stunden später ins

Gästezimmer gehen hörte, gab es ihr einen Stich ins Herz. Er bra-
chte es nicht über sich» das Bett mit ihr zu teilen, nicht einmal um
Catherines willen.

Endlich hatte sie, Elena, ihm die Wahrheit über Dan und ihr

Baby erzählt, doch er glaubte ihr nicht.

Sie presste das Gesicht in die Kissen. Es war egal. Alles war egal,

oder?

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6. KAPITEL

"Herzlichen Glückwunsch, Elena! Jed hat mir alles erzählt!" rief

Catherine am nächsten Morgen, als Elena um halb elf auf die Ter-
rasse hinauskam.

Sie fragte sich, wovon ihre Schwiegermutter nur reden mochte.
Nachdem sie verschlafen und den üblichen Anfall von Übelkeit

überwunden hatte, war sie in ein einfaches Baumwollkleid
geschlüpft, das sie sonst bei der Gartenarbeit trug.

Sie warf einen Blick auf Jed, der sich auf der Liege ausgestreckt

hatte, das Gesicht zum Schutz gegen die sengende Sonne unter ein-
er Zeitung verborgen. Er trug Shorts und sonst nichts.

Elena schluckte trocken. Er hatte einen so wunderbaren Körper,

nicht übertrieben muskulös, aber schlank und durchtrainiert, und
seine sonnengebräunte Haut war glatt und kaum behaart.

Als würde er ihren Blick spüren, sagte Jed träge: "Ich habe ihr

erzählt, dass deine Agentin ganz aufgeregt ist, wegen der Preisver-
leihung und weil du mit deinem letzten Buch dafür nominiert
worden bist." Er schob die Zeitung weg und schwang die nackten
Füße auf den Boden. Sein Haar war zerzaust, und sie hätte am lieb-
sten mit der Hand darüber gestrichen.

Entschlossen setzte sie ihre Sonnenbrille auf, damit Jed das

Verlangen in ihren Augen nicht sah. Er durfte nicht wissen, dass
sie, die er für eine unmoralische kleine Lügnerin hielt, bei seinem
Anblick verzweifeltes Begehren empfand. Auch wenn ihr wenig zur
Verteidigung geblieben war - ihren Stolz hatte sie noch nicht
verloren.

"Zur Feier müssen wir natürlich nach London fliegen. Ich habe

denselben Flug wie Ma gebucht. Zum Glück waren noch Plätze
frei."

Catherine sagte, wie froh sie sei, dass sie nicht allein zurückflie-

gen müsse, doch Elena hörte sie kaum. Sie war nicht in der Stim-
mung für heiteres Geplänkel.

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Schon wieder war er dabei, ihr Leben zu verplanen, ihr zu sagen,

was sie zu tun und zu lassen habe, ohne sie auch nur zu fragen.

Zweifellos dachte er, sie hätte dieses Zugeständnis nicht

verdient.

Und das Unerträglichste daran war, dass sie nichts dagegen tun

konnte. Zumindest nicht in Catherines Gegenwart.

Starr vor Abwehr, wandte Elena sich ab und ging zur
Terrassenmauer. Sie spürte die heiße andalusische Sonne auf

der Haut, hob den Kopf und atmete tief den beruhigenden Duft der
Blumen und wilden Kräuter ein.

Früher war das Leben so unkompliziert gewesen. Sie hatte alles

gehabt - ihr Haus in einem Land, das sie wegen seiner Lebens-
freude und Leidenschaft liebte, diesen großartigen Ausblick, ihre
Karriere.

Der einzige wunde Punkt war ihr Wunsch nach einem Baby

gewesen.

Welche Ironie: Das Kind, das jetzt in ihr heranwuchs, war der

Grund, dass Jed sie aus dem Paradies seiner Liebe verstoßen hatte.

"Du solltest die letzten Details mit deiner Agentin abklären,

Liebling." Jed stand plötzlich neben ihr und legte ihr die Hand auf
die Schulter. Die Berührung brannte wie Feuer. Am liebsten hätte
sie seine Hand abgeschüttelt und ihm gesagt, er solle endlich auf-
hören, sie zu quälen.

Sie drehte den Kopf so heftig herum, dass ihr das Haar um die

Schultern flog, und sah den warnenden Ausdruck in seinen Augen:
Nicht vor Catherine! Doch er klang ganz normal, als er sagte: "Wir
bleiben nur noch wenige Tage hier. Ma und ich werden dich also
ein wenig in Ruhe lassen und die Gegend besichtigen, damit du
alles arrangieren und packen kannst."

Er gewährte ihr eine Atempause, und Elena war dankbar dafür.
Irgendwie gelang es ihr, zu lächeln und das Richtige zu sagen,

ihnen sogar von der Burgruine und der mittelalterlichen Kirche im
Nachbardorf zu erzählen. Nach einigen gemurmelten

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Entschuldigungen, weil sie nicht mitkommen konnte, flüchtete

sie schließlich in die Abgeschiedenheit ihres Arbeitszimmers.

Sie saß am Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände,

dankbar, einige Stunden für sich zu haben. Doch Jed hatte das sich-
er nicht ihretwegen getan. Er musste gemerkt haben, wie angespan-
nt sie war, und wollte nicht, dass sie vor seiner Mutter einen Ner-
venzusammenbruch bekam und damit Catherines Illusionen
zerstörte.

Und auch er hatte einige Stunden Ruhe vor der Frau, die er

einst geliebt hatte und der er jetzt mit Verachtung und Misstrauen
begegnete.

Elena hob den Kopf, strich sich das Haar aus der Stirn und griff

nach dem Telefon, um ihre Agentin in London anzurufen.

Netherhaye war so wunderbar, wie Elena es in Erinnerung

hatte.

Die hellen Steine der Mauern leuchteten golden in der Spät-

nachmittagssonne, und seine stille Schönheit versetzte ihr einen
Stich ins Herz. Bei ihrer Hochzeit hatte sie sich darauf gefreut, ihr
gemeinsames Leben abwechselnd hier und in Las Rocas zu
verbringen.

Entschlossen schob sie diese Gedanken beiseite und begrüßte

stattdessen die Haushälterin. Edith Simms gehörte sozusagen zum
Inventar. Sie war energisch und freundlich und fast ein Mitglied der
Familie.

Elena versuchte, die aufsteigende Traurigkeit zu unterdrücken.

In den letzten Tagen war es ihr gelungen, aber nur, weil sie wusste,
dass sie keine Wahl hatte. Die unzähligen Dinge, die sie noch zu
erledigen gehabt hatte, bevor sie Las Rocas verlassen konnte, hat-
ten ihr mehr geholfen als alles andere.

Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie bald nach Spanien

zurückkehren würde. Für sie gab es nur eine Zukunft, wenn sie ihre
Gefühle unterdrückte und wieder ihr eigenes Leben führte. Doch
das musste warten bis nach der Preisverleihung.

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"Ich habe das große Schlafzimmer für Sie und Mrs. Nolan her-

gerichtet", sagte Edith lächelnd zu Jed. Elena fragte sich, was Edith
wohl denken würde, wenn sie wusste, dass Jed den Anblick seiner
jungen Frau nicht ertragen konnte, dass es ihn grauste beim
Gedanken, das Bett mit ihr zu teilen.

"Danke, Edith." Jed verzog keine Miene. "Ich bringe das Gepäck

hinauf - Sie brauchen Ihren Mann nicht aus dem Garten zu holen.

Kommt er noch zurecht?"
"O ja, sehr gut. Im Winter hat er zwar mit seiner Arthritis zu

tun, aber kaum wird es Frühjahr, ist er wieder fit."

"Gut." Jed lächelte der Haushälterin zu. "Vielleicht sollte ich

einen jungen Burschen für die schwere Arbeit einstellen - keine
Sorge, Ihr Mann soll sich nicht überflüssig vorkommen. Er behält
die Oberaufsicht, denn auf seine Erfahrung und seine Fähigkeiten
kann ich nicht verzichten."

"Vielen Dank, Mr. Nolan!"
Elena unterdrückte einen Anflug von Bewunderung für Jeds

Verständnis und Mitgefühl. Bei ihr zeigte er nichts dergleichen!

Als Jed zum Wagen ging, wandte die Haushälterin sich an Cath-

erine. "Susan Keele hat um Rückruf gebeten, sobald Sie es einricht-
en können."

Catherines Augen wurden groß und rund wie die eines

aufgeregten Kindes. "Bestimmt hat sie Neuigkeiten über das Cot-
tage! Ich rufe sie gleich an. Du willst sicher auch mit ihr sprechen,
Elena. Komm, wir gehen ins kleine Wohnzimmer."

Von den vielen Zimmern auf Netherhaye mochte Elena dies am

liebsten. Bequeme, abgewetzte Lehnstühle standen vor dem Kamin,
in dem bei kaltem Wetter ein helles Feuer brannte. Auf kleinen
Eichentischchen stapelten sich Magazine und Zeitungen, an den
verblichenen Wänden hingen farbenfreudige Drucke, und man
hatte einen wunderbaren Ausblick auf Catherines Teichanlage.

"Hier ..." Catherine hielt ihr den Hörer entgegen. "Ich habe

schon gewählt. Sprich du zuerst mit ihr."

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Susan meldete sich, und Elena erklärte ihr, warum sie und Jed

früher als geplant zurückgekommen waren.

Ihre Mutter gratulierte ihr halbherzig, fügte aber gleich hinzu,

dass es um die Flitterwochen schade sei. Elena überraschte das
nicht. Susan hatte sieh nie sehr für das Leben ihrer Tochter in-
teressiert - außer für ihre Ehen. Sie wollte Elena versorgt sehen,
damit sie sich keine Gedanken mehr um sie zu machen brauchte.
Elena erschauderte bei dem Gedanken, was ihre Mutter wohl sagen
würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr.

"Übrigens habe ich unser Haus zum Verkauf ausgeschrieben."

Jetzt klang Susan begeistert und voller Leben. "Ich hätte schon vor
Jahren umziehen sollen, weg von den bösen Erinnerungen, aber ich
konnte es nie über mich bringen. Ach, ich freue mich, mit Catherine
zusammenzuleben. Ich bewundere sie. Wie sie mit Dans Tod fertig
geworden ist, hat mir deutlich gemacht, dass das Leben
weitergeht."

Nach fünf Minuten in diesem Ton reichte Elena den Hörer er-

leichtert an Catherine weiter und machte sich auf die Suche nach
Jed. Sie fragte sich, ob ihre Mutter möglicherweise Recht hatte und
Catherine stärker war, als sie dachten.

Vielleicht war es gar nicht nötig, sie mit Samthandschuhen anz-

ufassen. Vielleicht konnte sie die bösen Neuigkeiten ertragen, ohne
zusammenzubrechen, und sie, Elena, müsste sich nicht allzu
schuldig fühlen, Wenn sie es ihr erzählte ...

Elena fand Jed im wunderbar möblierten großen Schlafzimmer.

Er stand vor einem der hohen Fenster und drehte sich nicht um, als
sie die Tür hinter sich schloss. Aber hatte sie etwas anderes
erwartet?

Es gelang ihr, ihre Gefühle für den Moment zu unterdrücken

und so normal wie möglich zu sagen: "Ich kann das Zimmer neh-
men, in dem ich letztes Mal geschlafen habe." Sie weigerte sich,
daran zu denken, wie glücklich sie damals gewesen war.

"Nein." Immer noch drehte er sich nicht um. Anscheinend fand

er den Ausblick auf den Garten und die sanfte Landschaft dahinter

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unwiderstehlich. "Nicht bevor Catherine ausgezogen ist. Und
danach bin ich ohnehin nicht mehr oft hier, und du hast das ganze
verdammte Haus für dich!"

Sie hörte die Gereiztheit in seiner Stimme und verbot sich,

Freude zu empfinden, weil sie ihm überhaupt noch Gefühle
entlocken konnte.

Stattdessen zwang sie sich, gleichgültig zu sein. Es war vorbei,

und deshalb müsste es beiseite geschoben und vergessen werden.

"Tut mir Leid, aber das mache ich nicht mit." Sie klang kalt und

klar. "Du hast beschlossen, Catherine die heile Welt vorzuspielen,
ohne mich auch nur zu fragen. Also tu es allein, denn nach der Ver-
leihung reise ich ab."

"Nein." Jetzt drehte Jed sich um. Elena sah die tiefen Falten in

seinem Gesicht und unterdrückte den Anflug von Mitgefühl, der
ihre neu gewonnene Gleichgültigkeit gefährden könnte. Er hatte
selbst Schuld, weil er ihr nicht glauben wollte, dass sie ihr Kind
durch künstliche Befruchtung empfangen hatte. "Denkst du gar
nicht an Catherines Gefühle? Oder an das Kind? Hat es nicht das
Recht auf zwei Elternteile? Ich weiß, dass Dan das gewollt hätte."

Das Blut war ihm in die Wangen gestiegen, und instinktiv

erkannte Elena, was es ihn gekostet haben müsste, seinen Bruder in
diesem Zusammenhang zu erwähnen. Sanfter als beabsichtigt sagte
sie: "Nein.

Dan hätte nicht gewollt, dass sein Kind von Eltern aufgezogen

wird, die sich hassen. Du stellst dir vor, dass wir in Gegenwart an-
derer nett und höflich zueinander sind. Was wäre das für ein
Leben? Irgendwann würden sich doch Risse zeigen. Dan hätte nicht
gewollt, dass wir das durchmachen."

Sie sah ihm in die Augen und wusste nicht, ob sie ihn erreicht

hatte. Er schien sich und seine Gefühle wieder ganz unter Kontrolle
zu haben. "Ich bin sehr gut in der Lage, allein für mein Kind zu
sorgen.

Ich brauche keine Unterstützung, weder finanziell noch sonst.

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Erinnere dich, ich bin kein dummes kleines Mädchen - ich habe

seit Jahren meine Entscheidungen allein getroffen. Und was Cath-
erine angeht: Sie verdient es, die Wahrheit zu erfahren, auf sanfte
Art. Denn ich glaube, sie ist stärker, als wir denken."

Jed wandte sich wieder dem Fenster zu, die Hände in den

Taschen seiner Jeans. "Darin bist du eine Meisterin."

"Worin?"
"In der Kunst, Männer zu verlassen." Er zuckte mit den

Schultern.

"Liam, Dan, mich."
"Dies hier ist anders", erklärte sie schnell.
"Wirklich?" Jetzt klang er völlig gleichgültig. "Warum?"
"Weil ich dich liebe."
Sie biss sich auf die Lippe. Weshalb, um alles in der Welt, hatte

sie die Gegenwartsform benutzt?

Weil ihre Gefühle stärker waren als der Wille, sie zu

unterdrücken.

Elena verließ das Zimmer so schnell und leise, wie sie es betre-

ten hatte.

Der mit Eichenholz getäfelte Frühstücksraum lag im hellen

Sonnenlicht, als Elena hereinkam. Sie fühlte sich erschöpft, nicht so
sehr von der morgendlichen Übelkeit, sondern von einer weiteren
unruhigen Nacht.

Jed hatte sie gezwungen, im großen Schlafzimmer zu bleiben. Er

überließ ihr das riesige Doppelbett und richtete sich selbst auf dem
Sofa ein, wo er schlief wie ein Murmeltier, soweit sie es beurteilen
konnte. Während sie angespannt im Bett lag und nicht wagte, sich
zu bewegen, aus Angst, er könnte aufwachen und den Grund für
ihre Unruhe erraten.

Und jetzt saß er am Frühstückstisch, und es war einfach unfair,

wie gut er in seinem weißen T-Shirt und den schwarzen Jeans
aussah.

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Er legte die Zeitung beiseite und sagte höflich: "Nimm dir

Orangensaft und Toast, wenn du magst. Soll ich dir frischen Kaffee
bringen lassen?"

Elena schüttelte den Kopf, ließ sich ihm gegenüber nieder und

strich sich den weiten Rock ihres roten Baumwollkleides zurecht,
während Jed Saft einschenkte und ihr das Glas zuschob.

Wenn er sich wie ein Fremder, wie ein Feind benehmen wollte

gut, sie hatte nichts dagegen. Im Moment fühlte sie sich nicht zum
Kämpfen aufgelegt. Später, wenn es ihr besser ging, würde sie ihn
über ihre Entscheidung informieren, ihn zu verlassen und einen
klaren Schnitt zu machen. Gleich nach der Preisverleihung würde
sie anfangen, sich auf ihr zukünftiges Leben zu konzentrieren.

Jed hatte sich wieder hinter seiner Zeitung vergraben. Nach ein-

igen Minuten unerträglichen Schweigens sah Jed sie über die Zei-
tung hinweg an. "Catherine ist zum Cottage gefahren. Anscheinend
sind die Fletchers ausgezogen. Sie wollte sich schon mal den Garten
ansehen und Pläne machen, obwohl der Vertrag erst in ungefähr
sechs Wochen unterzeichnet wird."

Sechs Wochen weiterhin die glückliche Braut spielen und dann

auf ewig als verständnisvolle Ehefrau hier herumsitzen, während er
seinen Geschäften nachging.

So lautete seine Entscheidung, aber es war nicht ihre. Wieder

stieg Übelkeit in ihr auf, und sie schob das Glas von sich.

Jed legte die Zeitung beiseite. "Ich bin im Garten, wenn du mich

brauchst." Es klang, als würde er nicht erwarten, dass das ges-
chehen würde. "Ich helfe Simms beim Heckenschneiden und ver-
suche ihn dazu zu bewegen, dass er eine Hilfe bekommt." Er warf
einen Blick auf seine Armbanduhr. "Ich schlage vor, du lässt dir von
Edith die Nummer des Hausarztes geben und rufst dort wegen ein-
er Kontrolluntersuchung an. Es ist höchste Zeit dafür."

Erst nachdem er gegangen war, fiel Elena auf, dass sie kein ein-

ziges Wort gesagt hatte. Stellte Jed sich so ihre Zukunft vor - er be-
fahl, und sie gehorchte ohne Widerrede?

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Das könnte sie nicht geschehen lassen. Sie stand auf und machte

sich auf die Suche nach Edith.

Zwei Stunden später folgte sie dem Brummen der elektrischen

Heckenschere und entdeckte Jed in Catherines Rosengarten, wo er
auf einer Trittleiter stand und die Hecke stutzte.

"Nett, Sie wiederzusehen, Mrs. Nolan", begrüßte Simms sie. "Ist

es nicht ein schöner Tag?" Er lächelte ihr zu und schob eine Karre
mit abgeschnittenen Zweigen davon. Jed kam von der Leiter her-
unter und stellte die Heckenschere aus, die dunklen Brauen
nachdenklich zusammengezogen.

Er sah großartig aus. Männlich und doch verletzlich. Sehr ver-

letzlich. Sein Gesicht war staubbedeckt, sein Haar zerzaust, und
Hitze und Anstrengung hatten feuchte Schmutzflecken auf seinem
alten T-Shirt hinterlassen.

Elena musste schlucken, doch sie hielt den Kopf hoch und be-

mühte sich um einen gelassenen Gesichtsausdruck, während er
überrascht ihre Aufmachung betrachtete.

Sie hatte sich das blonde Haar im Nacken zusammengefasst,

winzige goldene Ohrstecker angelegt und trug ein helles Leinen-
kostüm, das er noch nie gesehen hatte - eine kurzärmelige, kragen-
lose Jacke über einem engen Rock, der eine Handbreit über dem
Knie endete, und farblich dazu passende hochhackige Schuhe.

So gleichmütig wie möglich sagte sie: "Ich habe mir beim Arzt

einen Termin geben lassen, in vier Tagen." Für den Morgen der
Preisverleihung. Und bevor er sie loben konnte, weil sie ein so
braves Mädchen war, sprach sie weiter. "Edith meinte, ich könnte
mir einen der Wagen ausborgen, um nach London zu fahren. Es ist
mir gelungen, noch ein Zimmer in meinem üblichen Hotel zu
bekommen.

In drei Tagen bin ich zurück."
Er atmete scharf ein, und sie hatte sieh schon zum Gehen ge-

wandt, als sie seine Stimme hörte. "Du rennst davon, Elena?"

Sie drehte sich wieder um. Er sollte nicht glauben, dass sie ihm

nicht ins Gesicht sehen konnte. "Nein. Ich will mir etwas ganz

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Besonderes für die Zeremonie kaufen, nur für den Fall, dass ich
gewinnen sollte. Und wenn nicht, möchte ich zumindest mit flie-
genden Fahnen untergehen. Außerdem muss ich mit meinem Ver-
leger und meiner Agentin reden. Catherine wird nicht böse sein.

Zumindest sie versteht nämlich, dass ich ein eigenes Leben

habe. Du solltest dankbar sein, dass ich dir meine Gegenwart für
drei Tage erspare. Und drei Nächte."

Elena wandte sich um und ging stolz davon.
Das einfache, gemütliche Hotel, in dem sie immer abstieg, wenn

sie in London war, gefiel ihr. Oder es hatte ihr gefallen.

Denn auch in dieser Nacht fand sie keine Ruhe. Jed war in ihren

Gedanken, in ihrem Herzen. Die Erinnerungen an die wunderbaren
Zeiten ihrer Liebe überfielen sie ohne Vorwarnung, wenn sie gerade
dachte, sie hätte sie in den Hintergrund gedrängt. Und auch die
Gedanken an die schlechter? Zeiten verfolgten und quälten sie.

Für morgen hatte sie ein Treffen mit ihrer Lektorin vereinbart

und sich für übermorgen mit ihrer Agentin zum Mittagessen
verabredet.

Die restliche Zeit würde sie mit der Suche nach einem Kleid ver-

bringen, den dazu passenden Schuhen, vielleicht einem neuen
Parfüm.

Und zum Friseur würde sie gehen, zur Kosmetikerin, zur

Maniküre, und sie würde in Buchläden herumstöbern. Alles, um
sich zu beschäftigen.

Blieben die Abende - was sollte sie abends tun? Missmutig be-

trachtete sie den Fernseher, der in einer Ecke stand, griff nach der
Fernbedienung und schaltete ihn ab. Im Bett versuchte sie zu lesen,
doch die Worte schienen keinen Sinn zu machen.

Sie hatte Jed klargemacht, dass sie ihren eigenen Willen hatte,

dass sie nicht nach seiner Pfeife tanzen um ihr Leben mit einer
Lüge verbringen würde. Und sie war vor einer unerträglichen Situ-
ation geflohen.

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Denn nichts anderes war diese Reise nach London: eine Flucht.

Doch vor Jed konnte sie nicht fliehen, nicht, solange er noch tief in
ihrem Herzen war.

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7. KAPITEL

Elena legte die goldgefassten Diamantohrstecker an, die genau

zu ihrem Armband passten. Beides war ein Hochzeitsgeschenk von
Jed, und sie würde sie auf Netherhaye zurücklassen, wenn alles
vorbei war.

Heute trug sie den Schmuck nur, weil er perfekt zu ihrem Kleid

passte.

Sie trat zurück und betrachtete sich im Spiegel. Ja, sie sah gut

aus.

Ihr Bauch war immer noch flach, obwohl Dr. Greenway ihr

heute bei der Untersuchung versichert hatte, dass ihre Schwanger-
schaft sich bald zeigen würde.

Im Moment jedoch betonte das kurze champagnerfarbene
Satinkleid ihre schlanke Figur und ihre langen Beine. Die sch-

malen Träger und der tiefe Ausschnitt ließen ihre Brüste voller er-
scheinen, oder lag das an ihrem Zustand?

Das lange goldschimmernde Haar fiel ihr offen über die Schul-

tern, und auch an ihrem Make-up gab es heute ausnahmsweise
nichts auszusetzen. Sie sah aus wie eine weltgewandte, attraktive
Geschäftsfrau, und genau das bezweckte sie.

Zum Glück rebellierte ihr Magen heute Abend nicht.
Jed würde sie zur Preisverleihung begleiten. Sogar sie musste

zugeben, dass es seltsam aussehen würde, wenn er es nicht täte. Als
er ihr erzählte, dass er eine Suite in dem Hotel gebucht hatte, in
dem auch die Zeremonie stattfinden sollte, wollte sie zuerst einen
Rückzieher machen. Doch er sagte kalt: "In deiner Aufmachung
wirst du sicher nicht den ganzen Weg nach London fahren wollen,
geschweige denn mitten in der Nacht zurück. Die Suite hat zwei
Schlafzimmer und einen Wohnraum, deshalb werden wir uns nicht
ins Gehege kommen."

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Also würde sie den gemeinsamen Abend auch ohne Catherines

und Ediths Anwesenheit überstehen. Sie fühlte sich stark genug
dazu.

Sein kurzes Klopfen an der Schlafzimmertür sagte ihr, dass es

Zeit sei, zu gehen. Elena schlüpfte in ihre hochhackigen Pumps und
straffte die Schultern. Sie freute sich nicht auf diesen Abend, doch
irgendwie würde sie ihn überstehen.

Jed wartete im elegant möblierten Wohnzimmer auf sie. Er ließ

den Blick über ihre Gestalt gleiten, und sie sah, wie er die Lippen
zusammenpresste.

"Du siehst wunderschön aus, Elena."
"Danke." Elena nahm sein Kompliment als reine Höflichkeits-

floskel. Sie hätte es zurückgeben können, aber lieber hätte sie sich
die Zunge abgebissen.

Er war von Natur aus attraktiv, doch in seinem schwarzen

Abendanzug sah er einfach umwerfend aus. Männlich und
gleichzeitig sehr unnahbar. Er würde ihre Sinne in Aufruhr bringen,
wenn sie es zuließ.

Als sie nach ihrer Abendtasche griff, fiel ihr Blick auf das

goldene Armband, sein Hochzeitsgeschenk, und Verzweiflung stieg
in ihr auf.

Doch sie kämpfte energisch dagegen an. Und dann sagte Jed mit

rauer, ernster Stimme, die sie kaum als seine erkannte: "Glaub mir,
wie immer es heute Abend auch ausgehen mag: Ich bin stolz auf
das, was du erreicht hast."

Sie nickte kurz und blinzelte wütend die Tränen weg. Warum

hielt er nicht den Mund? In dieser furchtbaren Situation
schmerzten solche Worte von ihm zu sehr.

Sie würde nicht schwach werden und weinen! Er wusste genau,

wie er sie verletzen konnte. Obwohl er es jetzt wahrscheinlich nicht
so gemeint hatte.

Er merkte nicht, wie weh er ihr tat, wie verzweifelt sie sich wün-

schte, alles wäre wie früher, und wie sehr sie dagegen ankämpfte.

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Sie biss sich auf die Lippe, während sie zum Lift gingen, und Jed

tadelte sie sanft: "Wenn du das noch länger machst, musst du
gleich neuen Lippenstift auflegen." Als der Fahrstuhl hielt, nahm er
ihre Hand beruhigend in seine. "Du brauchst nicht nervös zu sein.
Ich drücke dir die Daumen. Auch wenn ich kein Kenner des Genres
bin deine Bücher habe ich gelesen, und ich kann mir nicht vorstel-
len, dass irgend jemand dich übertrifft!"

Sie brachte kein Wort heraus. Er war nur so nett zu ihr, weil sie

in der Öffentlichkeit das glückliche Paar spielen mussten.

Elena war nicht nervös, aber er dachte das, und deshalb schob

er seine Antipathie beiseite und versuchte, sie zu beruhigen. Und
das machte alles noch schlimmer, denn es zeigte ihr, dass er im
Grunde mitfühlend und liebevoll war.

All das hatte sie verloren.
Doch heute Abend stand sie im Mittelpunkt des Interesses, und

da konnte sie sich schlecht in ihrem Zimmer verstecken. Das durfte
sie Jed nicht antun. Um seinetwillen musste sie versuchen, diesen
Abend zu überstehen.

"Du siehst aus wie ein Star!" rief Trish, ihre Agentin, aufgeregt.
Paula, die Lektorin, gab sich nüchtern. "Du brauchst die

Konkurrenz nicht zu fürchten, El. Keiner kann dir das Wasser
reichen."

"Das habe ich ihr auch schon gesagt." Jed legte einen Arm um

Elena und zog sie an sich.

Am liebsten hätte sie geschrien. Merkte er denn nicht, was er ihr

antat? Nein, natürlich nicht. Er wollte sie beruhigen, und seine
Umarmung war nur ein Zugeständnis an die Öffentlichkeit.

Mühsam beherrschte sie sich und übernahm die Vorstellung.

Ihr entging nicht, dass die beiden Frauen - und alle anderen Frauen
im Saal - Jed mit Blicken förmlich verschlangen. Wie war er jemals
auf die Idee gekommen, er sei nur zweite Wahl?

Beim Abendessen, das vor der Zeremonie serviert wurde, saßen

die vier an einem Tisch. Das Essen war vorzüglich, und der Cham-
pagner floss in Strömen. Jed war sehr um Elena bemüht und spielte

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so überzeugend den liebevollen Ehemann, dass sie nur noch daran
denken konnte, wie sehr sie ihn liebte, und keinen Bissen
hinunterbekam.

"Ich glaube, heute ist ein kleines Glas Champagner erlaubt",

sagte er leise, während Trish und Paula in ein angeregtes Gespräch
vertieft waren. Er schenkte ihr ein und reichte ihr das Glas.

Sie hatte sich den ganzen Abend an Wasser gehalten und war

ohnehin nicht in Champagnerlaune. Wahrscheinlich dachte Jed, sie
müsse sich ein wenig Mut antrinken, denn inzwischen hatte sich
auf dem Podium der Gastredner eingefunden, um die Preise zu
vergeben.

Elena hörte nicht ein Wort. Noch vor kurzem wäre sie außer

sich vor Aufregung gewesen, wenn sie für den "Golden Gargoyle
Award"

nominiert worden wäre, der für den besten Gruselroman des

vergangenen Jahres vergeben wurde.

Jetzt schien all das unwichtig. Sie war nur gekommen, weil ihr

Fernbleiben eine Brüskierung bedeutet hätte. Und in Zukunft
würde sie Erfolg brauchen, denn sie war entschlossen, ihrem vater-
losen Kind jeden erdenklichen Vorteil zu bieten.

Rauschender Applaus sagte ihr, dass die Preisverleihung fast zu

Ende war. Und dann fasste Jed sie um die Taille und half ihr beim
Aufstehen. Lächelnd sah er ihr in die Augen. "Herzlichen Glück-
wunsch, Liebling! Und nun hol dir deinen Preis ab - hoffentlich
hast du eine Rede eingeübt!"

Erst da begriff Elena, dass sie mit "At the Rising of the Moon"

den begehrten Preis gewonnen hatte. Während sie auf das Podium
zuging, fragte sie sich, warum sie nicht die leiseste Spur von
Begeisterung und Stolz empfand. Aber natürlich wusste sie, warum
es so war. Und sie konnte nur hoffen, dass sich diese Trostlosigkeit
nicht in ihrem Gesicht zeigte. Beruflicher Erfolg war nichts im Ver-
gleich zu Jeds Liebe.

Den Erfolg hatte sie, doch seine Liebe war verloren.

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Irgendwie gelang es ihr, sich ein Lächeln abzuringen und einige

passende Worte zu sagen. Als sie sich den Rückweg durch die
Menge bahnte, wurde sie von so vielen Leuten aufgehalten und
beglückwünscht, dass sie schon glaubte, sie würde den Tisch nie
mehr erreichen.

Endlich hatte sie es geschafft. Jed betrachtete sie stolz, und sie

hätte ihm fast glauben können, wenn er nicht schon den ganzen
Abend ein so guter Schauspieler gewesen wäre.

Trish und Paula umarmten sie stürmisch. "Wir werden euch

zwei jetzt ein wenig allein lassen", erklärte Paula schließlich. "Sch-
ließlich seid ihr immer noch in den Flitterwochen!"

Nachdem sie in der Menge verschwunden waren, fragte Jed aus-

druckslos: "Sollen wir uns auch unters Volk mischen? Bestimmt
möchten einige Leute dir noch gratulieren."

Elena schüttelte schweigend den Kopf. Sie wollte weg, wollte

diese Farce endlich beenden. Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Au-
gen, und sie senkte den Kopf und betrachtete die glitzernde
Trophäe in ihrer Hand, damit er die Tränen nicht sah.

Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte sie geglaubt, dass sie sich

damit abgefunden hätte, ihn zu verlieren. Doch dieser Abend hatte
seinen Tribut gefordert, und der Himmel wusste, was passieren
würde, wenn sie noch länger blieben und der Öffentlichkeit das
liebende Ehepaar vorspielten. Sie würde wahrscheinlich einen

Nervenzusammenbruch bekommen und sich
lächerlich machen. Es reichte ihr.
"Ich möchte lieber schlafen gehen." Sie wich seinem Blick aus.
"Mir die Decke über den Kopf ziehen und morgen früh halbwegs

wieder ich sein."

"Gut." Er legte ihr die Hand unter den Ellbogen und führte sie

aus dem Saal. Anscheinend war er ebenso erschöpft wie sie.

Schweigend fuhren sie im Lift nach oben, und die Spannung war

beinahe greifbar, als sie die Suite betraten. Ihr Schlafzimmer schien
plötzlich meilenweit entfernt zu sein, und Elena wusste nicht, ob

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ihre zitternden Beine sie so weit tragen würden. Wahrscheinlich
machte sich jetzt bemerkbar, dass sie nichts gegessen hatte.

Die Trophäe fiel auf den Teppichboden, und Jed fuhr zu ihr

herum.

"Alles in Ordnung?"
Seine vorgetäuschte Fürsorge war das Letzte, was sie wollte. Es

hatte heute Abend schon zu viel Schauspielerei gegeben.

Die Lider wurden ihr schwer, und sie blickte ihn unter langen

dunklen Wimpern an und wollte ihm sagen, dass es ihr gut gehe,
doch sie brachte kein Wort heraus. Verzweifelt schluckte sie, be-
feuchtete sich die Lippen und bemerkte, wie er ihre Bemühungen
beobachtete, wie er den Blick über ihren Mund zu ihren Augen
gleiten ließ.

Sie sah, wie seine grauen Augen zu funkeln begannen, und at-

mete tief ein. Sie waren allein, und er begehrte sie. Sie sah es in
seinen Augen, an seinen zusammengepressten Lippen. Er begehrte
sie, und sie brauchte ihn ...

"Geh schlafen", sagte er heiser. "Du siehst erschöpft aus." Er

hob die Trophäe vom Boden auf und stellte sie auf den Tisch.

Elena wurde schwindlig. Die Gefahr war vorüber - er hatte sie

erfolgreich bekämpft. Doch sie spürte immer noch die Nachwirkun-
gen in sich. Alles Verlangen, alles Begehren hatte sich auf etwas
konzentriert, nach dem sie die Hand ausstrecken und es berühren
konnte. Die Tür zu ihrem Schlafzimmer schien vor ihren Augen zu
verschwimmen.

Sie schwankte, von ihren Gefühlen überwältigt, und spürte

gleich darauf starke Hände, die sie hielten. "Bist du krank?" fragte
Jed und legte ihr eine Hand unters Kinn, damit sie ihm in die Au-
gen sehen musste.

"Nein", flüsterte sie und hasste die Tränen, die ihr in die Augen

stiegen, hasste ihre Hilflosigkeit, als er die Tränen mit dem Dau-
men wegwischte.

"Nicht! Ich kann es nicht ertragen, dich weinen zu sehen", stieß

er heiser hervor. "Heute Abend hast du so wunderbar ausgesehen,

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so selbstsicher. Ich möchte, dass es so bleibt. Auch wenn du es mir
nicht glaubst: Ich will nicht, dass du unglücklich bist." Er legte die
Arme um sie, zog sie aber nicht an sich, als wollte er vermeiden,
dass ihre Körper sich berührten. "Und ich weiß jetzt auch, dass ich
dich niemals hassen kann."

Urplötzlich stieg Ärger in ihr auf. Wie erniedrigend - seine Ge-

fühle für sie waren nicht einmal so stark, dass er sie wirklich hassen
konnte!

Hatte er sie auch nie wirklich geliebt? Warum war es ihm so

leicht gefallen, sie aus seinem Herzen zu streichen? Wollte er ihr
nicht glauben, weil es so für ihn am einfachsten war?

Trotz ihrer Schwäche versuchte sie, sich aus seiner Umarmung

zu befreien, doch er ignorierte ihre kraftlosen Bemühungen und
hob sie stattdessen hoch. "Du bist körperlich und seelisch am
Ende", erklärte er sachlich, während er sie in ihr Schlafzimmer
trug. "Ich bringe dich jetzt zu Bett und bestelle beim Zimmerservice
warme Milch und Toast. Du musst etwas essen. Vorhin warst du ja
viel zu aufgedreht dazu."

Elena wollte die Milch nicht, ebenso wenig wie sein falsches

Mitgefühl, das nur seinem verdammten Pflichtbewusstsein
entsprang.

Sie wollte ... Sie brauchte ...
Ihr Ärger steigerte sich zum Zorn, und alle Vorsicht war

vergessen.

Sie wand sich hektisch in seinen Armen, damit er sie endlich

freigab, und fuhr ihn an: "Lass mich los! Und hör auf, dich wie ein
selbstgerechter, arroganter Gentleman zu benehmen!"

Sie trommelte ihm mit den Fäusten auf die Brust und zappelte

so stark, dass ihr der enge Rock die Oberschenkel hinaufrutschte.
Ihr Gesicht war gerötet vor Wut und Enttäuschung, sie atmete stoß-
weise, und viel zu spät erst bemerkte sie das Zittern, das seinen
Körper durchlief, und den gefährlichen Ausdruck in seinen
glitzernden Augen.

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"Glaub mir, mein Liebling, ich kann mich auch wie das Gegen-

teil eines Gentlemans benehmen! "

Er umklammerte sie fester, trug sie ins Schlafzimmer und ließ

sie aufs Bett fallen. Mit einer Hand hielt er ihr die Handgelenke
über dem Kopf zusammen und unterzog ihren Körper einer langen
Musterung.

Er ließ den Blick über ihre langen Beine in den schimmernden

Seidenstrumpfhosen

gleiten,

das

bis

zu

den

Hüften

hochgeschobene Kleid und ihre Brüste, deren aufgerichtete Spitzen
sich deutlich unter dem dünnen Satin abzeichneten.

Elena erschauerte hilflos unter diesem Blick, der sie zu lieb-

kosen schien. Verlangen stieg heiß und unwiderstehlich in ihr auf,
und atemlos folgte sie seinem Blick, bebend vor Erwartung.

Sie fühlte seine Anspannung, das Zittern, das seinen Körper

durchlief, atmete seinen herben, männlichen Duft ein. Langsam
gab Jed ihre Handgelenke frei, und nun wurde der letzte Rest Ver-
stand, der ihr noch geblieben war, vollends von ihrem Verlangen
überwältigt. Sie bewegte sich langsam, wollüstig unter seinem
begehrlichen Blick.

Schließlich sah Jed ihr in die Augen. "Ja", flüsterte er. "Jetzt."

Er streifte die Jacke ab, warf sie beiseite und zerrte sich das Hemd
über den Kopf, angespannt vor Verlangen, demselben Verlangen,
das auch sie durchflutete. Ein Verlangen, das sie verstand und das
sie beantwortete, als sie die Arme einladend nach ihm ausstreckte.

Jed beugte sich über sie, legte sich ihre Hände um den Nacken

und stöhnte, als sie ihn sanft streichelte. Mit einem unterdrückten
Seufzen drängte sie sich näher an ihn, presste ihre Brüste gegen
seine nackte Brust und spürte seinen rasenden Herzschlag, als er
ihr erst einen, dann den anderen Träger über die Schultern streifte.

Ja. Sie brauchte das Gefühl von Haut auf Haut. Und wie immer

wusste er, was sie wollte, denn er wollte dasselbe.

Jetzt küsste er sie, und unter seinem drängenden Mund

öffneten sich ihre Lippen. Sie krallte die Fingernägel in seinen
Rücken, als er die Hand an ihrem Bein aufwärts gleiten ließ und

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ungeduldig am Bund ihrer Strumpfhose zerrte. Und ihm stockte der
Atem, denn nachdem er ihr die Seide von den Beinen gestreift
hatte, entdeckte er, dass sie nichts darunter trug.

Elena hatte sich nicht für eine Verführung angezogen. BH und

Slip hätten sich unter dem hautengen Satin abgezeichnet. Doch das,
was hier geschah, war eine Verführung. Die Frage war nur, wer wen
verführte.

Egal. Nichts war mehr wichtig, bis auf ihr Beisammensein. Jed

drehte sie sanft auf den Bauch, um den Reißverschluss ihres
Kleides zu öffnen und es ihr abzustreifen. Langsam, immer wie der
ließ er die Hände über ihren nackten Körper gleiten, bis sie es nicht
mehr ertragen konnte, sich mit einem unterdrückten Stöhnen um-
drehte und an ihn drängte.

Er küsste sie zärtlich, ihren Mund, ihre Augen, die sanfte Mulde

an ihrem Hals. Er nahm sich Zeit und ließ auch ihr Zeit, genau wie
er es so oft vorher getan hatte, ging trotz aller Leidenschaft
bedächtig vor.

An einer kurzen, überstürzten Befriedigung seines Verlangens

lag ihm nichts. Er überlegte sich die reizvollsten, herrlichsten
Wege, um sie zum Höhepunkt zu bringen, immer darauf bedacht,
dass es für sie ebenso schön war wie für ihn. Genau wie er es dam-
als getan hatte.

"Liebling", flüsterte er rau und hob den Kopf von ihren Brüsten,

die Augen schimmernd vor Verlangen. "Es ist unglaublich. Was du
mir antust..."

Selbst das war wie früher: Worte, die ihr seine Liebe beweisen

sollten. Nur war dies keine Liebe.

Ein Frösteln durchlief sie und brachte sie auf den Boden der

Tatsachen zurück.

Sie konnte nicht aufhören, ihn zu lieben, was immer sie auch

versuchte. Mit Körper und Seele würde sie immer ihm gehören. Er
dagegen hasste sie - nicht genug, um ihr Schlechtes zu wünschen
aber unversöhnlich.

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Was hier geschah, war nur Sex. Vielleicht dachte er, sie könnten

ihren Spaß zusammen haben und morgen weitermachen wie bisher.

Doch Elena wusste es besser. Aus irgendwelchen Gründen hatte

sie ihn heute bis an die Grenze des Erträglichen gereizt. Und sie
kannte Jed gut genug, um zu wissen, dass er sich morgen dafür ver-
achten würde. Und sie würde sich verachten, weil sie es hatte ges-
chehen lassen und ihn auch noch dazu ermuntert hatte.

Sie würden sich gegenseitig verachten und damit auch die let-

zten Erinnerungen an ihre Liebe zerstören.

Als er sie an ihrer empfindlichsten Stelle berührte und feststell-

te, dass sie bereit war für ihn, wusste Elena, dass sie ihn aufhalten
musste, um ihrer beider willen.

Es fiel ihr schwerer als alles, was sie je getan hatte, aber es

musste sein. Sie setzte sich auf, griff nach ihrem Kleid und presste
sich den Stoff vor die Brüste. "Wenn du Sex willst, nur zu. Aber ich
warne dich: Es ist nicht mehr dasselbe. Ich liebe dich nämlich nicht
mehr.

Wie kann ich einen Mann lieben, der mich für eine gemeine

Lügnerin hält? Sex mit dir bedeutet mir absolut gar nichts."

Sie fragte sich, ob es diese Notlüge wert war, als sie beobachtete,

wie er sie zuerst ungläubig, dann zornig und schließlich mit kalter
Verachtung betrachtete.

Er sprang aus dem Bett und verließ das Zimmer, als wäre je-

mand hinter ihm her. Und sie sah ihm nach, unterdrückte den
Wunsch, ihn zurückzurufen und ihre abscheulichen Worte unges-
chehen zu machen.

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8. KAPITEL

Es kostete Elena nahezu übermenschliche Anstrengung, am

nächsten Morgen aufzustehen. Sie wusste nicht, wie sie Jed ge-
genübertreten sollte, doch sie hatte keine Wahl.

So konnte es nicht weitergehen. Irgendwie musste sie ihm klar-

machen, dass sie ihre Rolle in dieser sinnlosen Charade nicht weit-
erspielen konnte und würde, und heute Morgen war die beste Gele-
genheit dazu.

Sie schlüpfte in eine Leinenhose und ein leichtes Oberteil,

stopfte die Trophäe und das Designerkleid achtlos in ihre Reis-
etasche und ging widerwillig ins Wohnzimmer.

Jed saß am Tisch und heftete einige Papiere zusammen. Elena

sah den Aktenkoffer, der am Tischbein lehnte. Er musste ihn aus
dem Wagen heraufgeholt haben. Heute Morgen oder gestern
Abend? Hatte er auch nicht schlafen können?

Sie liebte ihn so sehr, doch es gab keinen Ausweg. Ihre Liebe für

ihn musste für immer ihr trauriges Geheimnis bleiben.

"Da ist Frühstück." Ohne sie anzusehen, griff er nach dem Ak-

tenkoffer und steckte die Papiere hinein. "Bedien dich."

Elena bemühte sich, völlig normal zu erscheinen, ging zum Ser-

vierwagen hinüber und hob den Deckel von der Wärmeplatte. Die
Speisen waren unberührt, also hatte Jed wohl keinen Hunger
gehabt.

Ebenso wenig wie sie.
Jetzt sah er sie doch an. In der engen dunklen Hose, dem

weißen Hemd und der nüchternen grauen Seidenkrawatte wirkte er
fern und unnahbar, und sein Gesicht schien wie aus Stein
gemeißelt.

Sie hatte ihn noch nie so erschöpft und müde gesehen. Schnell

griff sie nach zwei Tassen und schenkte Kaffee ein. Er konnte ihn
brauchen.

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Stirnrunzelnd nahm Jed die Tasse entgegen, als wäre er sich

nicht sicher, was es war, und stellte sie auf den Tisch. "Ich gehe hin-
unter, bezahle die Rechnung und nehme mir dann ein Taxi", sagte
er kühl.

"Du musst die Suite bis heute Mittag räumen. Aber iss etwas,

bevor du fährst. Kommst du mit dem Jaguar zurecht?"

Und wenn sie Nein sagte, würde das etwas an seinen Plänen

ändern? Sicher nicht. Elena stellte ihre unberührte Kaffeetasse auf
den Servierwagen zurück und beschloss, seine Frage zu ignorieren.

"Wohin fährst du?"
"Ins Büro. Ich habe viel aufzuarbeiten und wohne einige Tage

im Club."

Er ließ die Wagenschlüssel auf die Tischplatte fallen und warf

einen Blick auf seine Armbanduhr. Er konnte gar nicht schnell
genug von ihr wegkommen. Erinnerte er sich an ihre Worte von
gestern Nacht? Verachtete er sich selbst, weil er es so weit hatte
kommen lassen? Die Kluft zwischen ihr und dem Mann, den sie im-
mer lieben würde, war ihr noch nie so groß erschienen.

Sie konnte ihn nicht so gehen lassen. Sie mussten über alles re-

den, über ihre zerstörte Ehe. Und wie es weitergehen sollte - denn
so ging es jedenfalls nicht.

"Hältst du das für klug?"
Er warf ihr einen gelangweilten Blick zu.,
"Was wird Catherine denken, wenn ich ohne dich zurückkomme

und ihr erzähle, dass du unsere Flitterwochen abgebrochen hast,
um dich wieder deiner Arbeit zu widmen? Sie erwartet, uns beide
zu sehen, verliebt und glücklich. Es war doch deine Idee, sie hinters
Licht zu fuhren."

Jed zog die Brauen zusammen, und sie wusste, dass er über ihre

Worte nachdachte. Sie nahm ihre Tasse und setzte sich in einen der
Ledersessel.

"Als du nach London gefahren bist, hast du dir darüber keine

Gedanken gemacht", entgegnete er.

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"Du weißt genau, dass das etwas anderes war." Elena trank ein-

en Schluck Kaffee und sah, dass seine Reisetasche fertig gepackt
neben der Tür stand. "Als Frau hat Catherine verstanden, dass ich
mir ein schönes Kleid kaufen wollte. Hinterher hat sie keine Ruhe
gegeben, bis ich ihr alle meine Einkäufe gezeigt habe. Sie würde es
wohl kaum als 'Flucht' betrachten."

"Was schlägst du also vor?" stieß er zwischen zusammengebis-

senen Zähnen hervor. Warum liebte sie ihn nur so sehr? Er war ar-
rogant, unnachgiebig, verbohrt ...

"Nichts." Elena erwiderte ruhig seinen 'kalten, bitteren Blick.

"Ich versuche nur zu zeigen, wie verfahren die Situation für uns
beide ist.

Du hast eine dumme Entscheidung getroffen und sie mir

aufgezwungen. Aber es ist unmöglich, Catherine das verliebte Paar
vorzuspielen und dabei nicht verrückt zu werden."

Jed schien ihre Worte lange abzuwägen, schließlich sagte er:
"Gestern Abend warst du aber ganz zufrieden, dass ich all den

Leuten den stolzen Ehemann vorgespielt habe."

Elena bemerkte den Hieb und schloss kurz die Augen. Sie

wusste doch, dass er ihr nur etwas vorgespielt hatte. Warum verlet-
zte es sie dann so, dass er es zugab?

Weil sie töricht war! Töricht, sich an die Hoffnung zu klam-

mern, er könnte doch noch etwas für sie empfinden, und sei es nur
ein schwacher Nachklang seiner früheren Liebe.

Er sprach weiter. "Und du warst sicher außer dir vor Freude, als

du festgestellt hast, dass du mich mit Sex immer noch in die Knie
zwingen konntest.''

Ungerührt beobachtete er, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
"Ich habe die Lektion verdient, denn ich hätte es besser wissen

müssen. Vor einigen Tagen hast du ganz nebenbei erwähnt, dass du
mich noch liebst, und ich habe mich gefragt, was du wohl vorhast.
Ich habe aufgehört, an deine Liebe zu glauben, als ich von deiner
Schwangerschaft erfuhr. Und gestern Nacht hast du mir sehr

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deutlich zu verstehen gegeben, dass du mich nicht liebst und nie
geliebt hast."

Wieder sah er auf seine Armbanduhr. "Ich muss gehen. Und be-

vor du mich beschuldigst, feige zu sein: Ich habe in einer halben
Stunde eine wichtige Verabredung."

Als er ihren skeptischen Blick bemerkte, fügte er hart hinzu:

"Du kannst ja bei meiner Sekretärin anrufen. Ich habe gestern er-
fahren, dass ein Edelsteinhändler aus Amsterdam in London ist,
und einen Termin mit ihm vereinbart. Ein Abschluss mit ihm
würde sogar Catherine überzeugen, dass ich meine Flitterwochen
unterbrechen musste. Simms kann mich später abholen."

Er war schon an der Tür, als er über die Schulter sagte: "Es er-

staunt mich zwar, aber du willst ja mit einer Lüge nicht leben. Also
gebe ich dir etwas zum Nachdenken: Ich werde Catherine nicht
über den wahren Vater ihres Enkelkindes belügen. Dan war ihr Ein
und Alles, und es wird sie sehr freuen, dass sie demnächst sein
Kind in den Armen halten kann. Wer bringt es ihr bei? Und wie ver-
einbaren wir das mit dem Bild unserer glücklichen Ehe? Denn nach
außen hin wird sie glücklich erscheinen - nicht um deinetwillen,
schon gar nicht um meinetwillen, aber um Catherines und des
Kindes willen."

Er betrachtete sie verächtlich. "Ich überlasse es dir, diese harte

NUSS zu knacken. In deiner Verschlagenheit wird dir schon etwas
einfallen, was du ihr erzählen kannst!"

Jetzt hatte Elena endgültig genug. Sie wusste, dass ihre Sch-

wangerschaft ihn verletzt hatte, und deshalb tat er ihr Leid. Doch er
wollte die Wahrheit einfach nicht glauben und verschloss sich ge-
gen alles, außer gegen seinen Hass.

Jed war schon halb aus der Tür, als sie ihm nachrief: "Ich werde

ihr die Wahrheit sagen. Es wird eine Erleichterung sein, mit jeman-
dem zu sprechen, der mir wirklich zuhört und mir glaubt. Und
wenn du mich jemals geliebt hättest, würdest du das auch tun!"

Sie rannte ins Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich ab und

warf sich aufs Bett. Zorn, Schmerz und Enttäuschung brachen sich

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Bahn in einem wilden Tränenstrom. Sie hörte Jed an die Tür klop-
fen, schrie ihm zu, er solle gehen, und das musste er wohl getan
haben, denn als die Tränen schließlich verebbten, herrschte neben-
an Stille.

Elena fühlte sich völlig leer. Als sie sich im Badezimmer das

Gesicht mit kaltem Wasser wusch, starrte ihr aus dem Spiegel die
Niederlage in Person entgegen.

Jed kannte die Wahrheit, doch er konnte oder wollte sie nicht

glauben. Bevor sie wieder in Depressionen versank, ging sie schnell
ins Schlafzimmer zurück und sah sich um. Es war Zeit,
aufzubrechen.

Ihr graute vor der Fahrt. Das Autofahren in London war ein

Alptraum, die Ausfallstraßen würden wahrscheinlich überfüllt sein,
und sie hatte noch nie einen so starken Wagen wie den Jaguar
gefahren.

Und der Gedanke an Netherhaye, wo sie ihrer Schwiegermutter

wieder die glückliche Braut vorspielen musste, machte sie ganz
elend.

Elena presste die Lippen zusammen und versuchte, sich wieder

unter Kontrolle zu bekommen. Es sah ihr doch gar nicht ähnlich,
sich hysterisch aufzuführen und kindische Szenen zu machen. Sie
dachte an Jed, der gerade dabei war, eines seiner glänzenden
Geschäfte abzuschließen. Bestimmt hätte er jeden Gedanken an sie,
seine hinterhältige, betrügerische Ehefrau, beiseite geschoben.

Das half. Wenn er sie aus seinem Leben ausschließen konnte,

dann konnte sie ihn auch aus ihrem ausschließen.

Sie nahm ihre Reisetasche und ging ins Wohnzimmer. In einem

der Sessel saß Jed und fragte spöttisch: "Na, hast du dich aus-
getobt?" ,, Elena erstarrte. Gerade hatte sie sich wieder unter Kon-
trolle, und da tauchte er auf und machte alles zunichte, Sie
schluckte. "Du kommst zu spät zu deinem Termin."

"Ich habe ihn auf heute Abend verlegt - ein Arbeitsessen." Er

zuckte mit den breiten Schultern, stand auf und nahm ihr die
Tasche ab. "Ich wusste nicht, dass du hysterisch wirst, wenn nicht

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alles nach deinem Kopf geht. Eine der Freunden von frisch verheir-
ateten Paaren ist es, ständig etwas Neues übereinander zu erfahren,
oder?"

Sein Sarkasmus verletzte sie so sehr, dass ihr keine bissige Ant-

wort einfiel, und sie blickte ihn nur an, als er sagte: "Ich bringe dich
nach Hause und fahre später wieder in die Stadt zurück. Gehen
wir?"

"Das brauchst du nicht. Ich ..."
"In deinem Zustand würdest du meinen Wagen zu einer töd-

lichen Waffe machen. Ich hätte keinen Moments Ruhe."

Er öffnete die Tür, und ihr blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
Dabei wäre sie durchaus in der Lage gewesen zu fahren, bevor er

unerwartet auftauchte und alles verdarb.

Wahrscheinlich hatte er seinen Termin nicht aus Sorge um ihr

Wohlergehen verschoben. Er befürchtete nur, dass sie seinen wer-
tvollen Wagen demolierte!

Fünf Minuten später öffnete er ihr die Beifahrertür und be-

trachtete Elena kühl. "Sobald wir aus der Stadt heraus sind, kannst
du mir mehr darüber erzählen, wie du Catherine überzeugen willst,
dass wir beide glücklich bis in alle Ewigkeit zusammenleben
können. Obwohl du zufälligerweise von meinem Bruder schwanger
bist. Schnall dich an."

Jed knallte die Tür zu und ging um die Motorhaube des

blinkenden silberfarbenen Wagens herum. Elena schloss die Augen.

Natürlich glaubte er ihr nicht ein einziges Wort. Hatte sie das

wirklich erwartet, nach allem, was scheinbar zwischen ihm und
seinem Bruder gestanden hatte?

Während Jed den Jaguar durch den hektischen Londoner

Verkehr lenkte, schwiegen sie, und es war ein ungutes, spannungs-
geladenes Schweigen. Elena betrachtete sein grimmiges Profil und
fröstelte trotz der sommerlichen Wärme. Hoffentlich waren sie bald
aus London heraus. Vielleicht würde die Spannung zwischen ihnen
dann ein wenig nachlassen, und sie konnte sich wieder unter Kon-
trolle bekommen.

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Doch sie irrte sich, denn als sie schließlich auf offener Strecke

waren, sagte Jed: "Meinen Glückwunsch. Als du versucht hast, mir
weiszumachen, es wäre nichts zwischen dir und Dan passiert,
dachte ich, du wollest mich nur beruhigen. Aber das war nicht so,
oder? Du wolltest nur Catherine auf deine Seite ziehen/Wenn wir
uns scheiden lassen, würdest du wie ein Unschuldsengel dastehen,
und ich wäre das Monster. Eins zu null für dich! Nur du hättest auf
eine solche Geschichte verfallen können. Sie ist zu fantastisch, um
nicht wahr zu sein."

"Und deshalb glaubst du sie natürlich nicht." Elena blickte aus

dem Fenster auf die vorüberfliegende Landschaft.

"Natürlich." Er hielt sich genau an das Tempolimit, was ganz

untypisch für ihn war. Sie hatte erwartet, er würde Gas geben und
sie in Rekordzeit auf Netherhaye abliefern, um nicht länger als
nötig mit ihr verbringen zu müssen - in körperlicher Nähe, doch
seelisch Welten entfernt.

"Ob du es glaubst oder nicht, es ist die Wahrheit", erwiderte sie

bitter.

Jed verzog verächtlich den Mund. "Für wie naiv hältst du mich

eigentlich? Dieses Märchen soll dir glauben?" Als sie müde mit den
Schultern zuckte, fügte er hinzu: "Erstens hättest du mir davon
erzählt, wenn es die Wahrheit wäre."

Ihr stockte der Atem angesichts seiner Ungerechtigkeit. "Das

habe ich versucht, erinnerst du dich? Mehrfach. Du hast dich ge-
weigert, mir zuzuhören. Und als dir dann doch keine andere Wahl
blieb, hast du beschlossen, es für eine Lüge zu halten. Dass Dan
und ich eine Affäre hatten und ich dich geheiratet habe, obwohl ich
von meiner Schwangerschaft wusste."

"Ich meine vor unserer Hochzeit. Du hättest mich vorwarnen

können, dass wir eher mit einem Kind rechnen könnten, als ich je
erwartet hätte."

Elena lehnte den Kopf gegen die weichen Lederpolster. Sie

fühlte sich zu elend, um zu antworten. Was immer sie auch sagen
konnte, er würde ihr nicht glauben.

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"Also?" fragte er herausfordernd. "Ich muss wiesen, mit welcher

Geschichte du Catherine einwickeln willst, damit wir unsere Ver-
sionen aufeinander abstimmen können."

Wie konnte etwas, das wie im Märchen begonnen hatte, so

enden?

Sah er denn nicht, was dieses Gespinst aus Lügen, nur der Öf-

fentlichkeit wegen, ihnen antun würde?

Während draußen die Sonne heiß brannte, zitterte Elena hier im

klimatisierten Wagen - oder vielleicht lag es an der Kälte in seiner
Stimme. "Ich nehme an, du würdest behaupten, dass ich die ganze
Zeit davon gewusst hätte, wenn jemand dich fragte, oder? Die
Wahrheit dass du mir erst alles gestanden hast, als es nicht mehr
anders ging würde für deinen Mangel an Anstand sprechen."

Seine Worte schmerzten unbeschreiblich. "Du kannst mir alles

Mögliche vorwerfen", stieß sie heiser hervor, "aber keinen Mangel
an Anstand."

Damals hatte sie beschlossen, ihm erst von ihrer Abmachung

mit Dan zu erzählen, wenn Jed über den Tod seines Bruders hin-
weggekommen wäre. Vielleicht war das falsch gewesen, doch sie
hatte diese Entscheidung in bester Absicht getroffen.

Sie blickte ihn aus schmerzerfüllten Augen an und wandte sich

dann schnell ab. Sein finsterer Gesichtsausdruck war unerträglich.

"Am Tag von Dans Beerdigung bekam ich meine Periode, oder

was ich dafür hielt. Und ich habe wirklich geglaubt, dass die Be-
handlung fehlgeschlagen wäre", flüsterte sie erstickt. "Das machte
alles nur noch schlimmer. In den Jahren unserer Freundschaft
haben wir über alles Mögliche geredet, unter anderem auch über
Heirat und Kinder.

Ich habe mich nach einem Kind gesehnt", gab sie zu. "Doch

nach meiner ersten Ehe hatte ich genug, Dan wollte wegen seines
Berufs nicht heiraten, aber er hätte gern ein Kind gehabt, weil er
glaubte, nur in einem Kind weiterleben zu können."

Als sie erst einmal angefangen hatte mit dem Reden, gab es kein

Halten mehr. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.

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"Wir beschlossen, jeder aus seinem eigenen Grund, ein Baby zu

zeugen. Ein Freund von Dan leitet in London eine Privatklinik und
schuldete ihm einen Gefallen. Doch wie gesagt, ich dachte, die Be-
handlung wäre fehlgeschlagen. Als ich an jenem Tag an Dans Grab
stand, glaubte ich, dass er seinen Anspruch auf Unsterblichkeit, wie
er es nannte, verloren hätte. Das machte mich noch trauriger, und
weil ich nicht zu deiner Trauer beitragen wollte, beschloss ich zu
warten, bevor ich es dir sagte."

Sie sah aus dem Fenster. Jeds Schweigen lag wie eine schwere

Last auf ihrem Herzen. Hatte er ihr überhaupt zugehört? Überlegte
er gerade, was er davon benutzen konnte, um zu beweisen, dass sie
log?

Oder war ihm ihre Geschichte nicht einmal einen Kommentar

wert?

Wahrscheinlich Letzteres. Es hatte keinen Zweck, ihn zu fragen.
Sie fühlte sich zu elend, um sich gegen weitere Beschuldigungen

zu wehren.

Noch fünfzehn Minuten, und sie waren auf Netherhaye. Viel-

leicht hatten sie ja Glück, und Catherine war zum Cottage gefahren.
Oder war sie zu Hause und erwartete, jedes kleinste Detail der Pre-
isverleihung zu hören und Elena vor Glück und Aufregung über-
sprudeln zu sehen?

Beim Gedanken, wieder in die Rolle der glücklichen Braut

gedrängt zu werden, verließen Elena auch die letzten Kräfte.

Um sich von dieser Aussicht und von Jeds anhaltendem Schwei-

gen abzulenken, versuchte sie, sich auf die vorbeiziehende Land-
schaft zu konzentrieren.

Die Straßen wurden jetzt schmaler und waren gesäumt von

wilden Rosen, Geißblatt und dicht belaubten Bäumen. Und jedes
Mal, wenn Elena in den Seitenspiegel blickte, sah sie den staubigen
blauen Escort und war sicher, ihn schon in London bemerkt zu
haben.

Sicher war es nicht derselbe Wagen - schließlich war es eine

sehr verbreitete Marke. Doch ihn zu beobachten, wie er dicht

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herankam und dann wieder zurückfiel, lenkte sie ein wenig von
ihren trüben Gedanken ab.

Als sie in die lange, Baum bestandene Auffahrt nach Netherhaye

einbogen, fuhr der Escort weiter in Richtung Dorf, und Elenas Äng-
ste, Catherine etwas vorspielen zu müssen, kehrten zurück. Doch
Jed bremste den Jaguar, bevor das Haus in Sicht kam.

Langsam wandte er sich ihr zu und legte sanft die Hand über

ihre, eine Geste, die Elena völlig verwirrte. Alles hatte sie erwartet,
aber keine Zärtlichkeit. Instinktiv schloss sie die Finger um seine
Hand und erschauerte unter seiner Berührung.

Er hatte ihre Bewegung beobachtet und hob jetzt den Kopf. Ihre

Blicke begegneten sich, und sie meinte, etwas wie Sehnsucht in
seinen grauen Augen zu sehen, ein tiefes Gefühl, das ihre eigenen
Emotionen widerspiegelte.

Tränen schimmerten in ihren Augen, und er drückte kurz ihre

Hand, bevor er seine zurückzog und das Lenkrad umklammerte.

"Elena, kannst du uns etwas mehr Zeit geben?" fragte er offen.
"Mir Zeit geben?" Er betrachtete ihr bekümmertes Gesicht. "Ich

würde gern glauben, dass ich dir etwas bedeutet habe - oder noch
bedeute.

Unter diesen Umständen ist es schwer, zu entscheiden, was ich

glauben soll, aber ich tue mein Bestes. Die ganze Situation macht
auch mich nicht gerade glücklich. Kannst du mir noch etwas Zeit
lassen, alles in den Griff zu bekommen, bevor du eine Entscheidung
triffst, die schwer rückgängig zu machen ist?"

Sie nickte ganz leicht und biss sich heftig auf die Lippe, während

sie versuchte, mit der Enttäuschung fertig zu werden.

Es war dumm gewesen, zu hoffen, er würde ihr sagen, dass er

ihr glaube, dass er nach vorn blicke und bereit sei für einen Neuan-
fang, für Vertrauen und Verständnis.

Hatte er sie um mehr Zeit gebeten, um sie an der Abreise zu

hindern? Um sie zu hindern, das Scheitern ihrer Ehe publik zu
machen, Catherines Illusionen zu zerstören und ihm das

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Mitspracherecht an der Erziehung seines Neffen oder seiner Nichte
zu nehmen?

Oder hatte er wirklich seine Meinung geändert? Wollte er wirk-

lich versuchen, sich mit der Situation abzufinden, war er wirklich
bereit zu glauben, dass sie ihn liebte?

Sie wusste es nicht. Doch sie musste diese Chance ergreifen,

denn es war die einzige, die sie hatte.

"Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst", sagte sie. "Ich schwöre,

dass ich die Wahrheit gesagt habe, und ich möchte, dass du mir
glaubst." Sie hoffte inbrünstig, dass nicht wieder alles vergeblich
war, dass sie ihm mit ihrer Entscheidung nicht eine Waffe in die
Hand geben würde, die er geradewegs auf ihr Herz richten konnte.

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9. KAPITEL

Widerwillig verließ Elena die kleine Bank am Ende des Gartens

und ging langsam zum Haus zurück.

Sie liebte diese morgendlichen Spaziergänge und genoss den

Ausblick und die Einsamkeit. Jed war seit drei Tagen fort, und seit-
dem verfolgte Catherine sie mit ihrem Geplapper. Sie hatte alles
über die Preisverleihung hören wollen, die Zeitungsberichte
darüber ausgeschnitten und in ein Album geklebt. Dir zweites
Lieblingsthema war das Cottage und welche Veränderungen sie und
Susan dort vornehmen wollten.

Natürlich war das verständlich. Catherine redete, um sich von

der Trauer über Dans Tod abzulenken, und Elena hörte ihr gern zu.
Doch manchmal brauchte sie Zeit für sich, um nachdenken zu
können.

Jed hatte jeden Abend angerufen, zuerst wohl eher aus Pf-

lichtgefühl, um gegenüber seiner Mutter den Schein zu wahren.

Doch gestern Abend hatte er gesagt: "Ich habe lange über alles

nachgedacht, und ich möchte dich noch so viel fragen. Ich glaube
fast, wir könnten einen neuen Anfang machen - wenn du das willst.

Morgen bin ich zum Abendessen wieder da. Was meinst du, sol-

len wir nach Las Rocas zurückkehren? Wir müssen reden, und das
können wir besser allein."

Hoffnung stieg in ihr auf, erfüllte sie mit Wärme und machte sie

atemlos. "Das wäre sehr schön." Zumindest war er jetzt bereit, mit
ihr zu reden, vielleicht auch, ihr zu glauben. Vielleicht würde er an-
fangen, ihren verzweifelten Wunsch nach einem Baby zu verstehen,
der sie dazu gebracht hatte, Dans Angebot anzunehmen.

"Dann buche ich den Flug. Vielleicht für Freitag."
Elena fiel etwas ein, das ihr zu schaffen machte. "Ich glaube,

Catherine sollte noch vor unserer Abreise die Wahrheit über das
Baby erfahren. Die Jeans werden mir langsam zu eng, und wenn
wir aus Spanien zurückkommen ...", sie hoffte so sehr, dass sie

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zusammen zurückkommen wurden, "... ist es wahrscheinlich nicht
mehr zu übersehen. Ich habe keine Ahnung, wie schnell so etwas
geht."

Sein Schweigen ängstigte sie. Hatte sie zu früh so unbefangen

über ihre Schwangerschaft geredet? Natürlich konnte Jed darüber
nicht glücklich sein. Doch sie hatte nur daran gedacht, dass sie
Catherine reinen Wein einschenken mussten.

"Du hast Recht", stimmte er schließlich zu. "Was immer auch

geschieht, sie muss es wissen. Willst du es ihr sagen oder lieber
warten, bis ich zurückkomme?"

"Ich sage es ihr." Dieses "Was immer auch geschieht" bedeutete,

dass er sich über ihre gemeinsame Zukunft nicht sicher war. Der
Gedanke entmutigte sie. Sie wollte nicht, dass er seiner Mutter die
Freude über die Tatsache verdarb, dass ihr angebeteter Dan ein
Kind hinterlassen hatte.

Und jetzt ging sie zum Haus zurück, um Catherine zu suchen

und ihr alles zu erzählen. Bei der Aussicht bekam Elena einen
trockenen Mund. Unbewusst straffte sie die Schultern und stopfte
sich das grobe blauweiß karierte Hemd fester in den Bund ihrer
weißen Hose.

Sie fand Catherine im Salon, wo sie auf Zeichenpapier den

Garten des Cottage entwarf. "Meine Liebe! Das ging aber schnell -
hast du alles bekommen, was du wolltest?"

"Ich war noch gar nicht im Dorf." Elena setzte sich neben Cath-

erine auf die Bank unterm Fenster. "Ich habe nur einen kleinen
Spaziergang durch den Garten gemacht." Und überlegt, wie ich es
dir beibringen soll, fügte sie im Stillen hinzu.

"Ach, wenn ich das gewusst hätte!" Catherine legte den Zeichen-

block beiseite. "Als er anrief, konnte ich dich nicht finden, also
dachte ich, du wärst schon ins Dorf gefahren."

"Wer hat angerufen?" Elena versuchte, ihre plötzlich auf-

steigende Panik zu verbergen. Jed? Hatte er es sich schon anders
überlegt und kam heute Abend nicht nach Hause, fuhr nicht mit ihr
nach Spanien?

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Meinte er, sie hätten sich doch nichts mehr zu sagen?
"Ein Journalist von irgendeiner Frauenzeitschrift. Er will ein In-

terview von dir." Catherine war ganz aufgeregt. "Über deine Bücher.
Und er möchte wissen, ob du auf Netherhaye leben willst oder ab-
wechselnd hier und in Las Rocas. Wenn ich gewusst hätte, dass du
nur im Garten bist, hätte ich dich geholt. Aber er hat gesagt, er
würde später wieder anrufen, um einen Termin auszumachen. Er
schien wirklich sehr interessiert an dir zu sein!"

Elena lächelte erleichtert. Also kein Grund zur Aufregung, doch

ihre Panik zeigte ihr, wie sehr sie hoffte, dass Jed und sie einen Weg
zur Versöhnung finden würden.

Über das Interview sollte sie eigentlich geschmeichelt sein, doch

es war ihr egal. Es gab wichtigere Dinge im Leben. "Catherine",
begann sie zögernd, "ich muss dir etwas sagen."

Sie erzählte, wie alles gekommen war, wählte ihre Worte

sorgfältig und beobachtete, wie die Augen ihrer Schwiegermutter
immer größer wurden, sah die Tränen darin, als Catherine flüsterte:
"Dans Kind - ich kann dir gar nicht sagen, was es für mich bedeuten
wird, sein Kind im Arm zu halten, einen lebendigen Teil von ihm.
Und ich kann verstehen, warum du damals zugestimmt hast. Män-
ner können das einfach nicht nachvollziehen. Wahrscheinlich hast
du gemerkt, dass dir die Zeit davonlief, und bist in Panik verfallen.

Wie typisch für Dan, Gott hab ihn selig! Er hat immer gesagt,

das Leben sei so kurz, und man müsse alle Gelegenheiten ergreifen,
die sich bieten. Sosehr ich ihn auch geliebt habe - mit Pflicht und
Verantwortung wollte er nie etwas zu tun haben, leider. Was ihm in
dieser Hinsicht fehlte, hat Jed mehr als wettgemacht." Sie biss sich
nervös auf die Lippe. "Wie hat Jed reagiert?"

"Er war nicht gerade begeistert. Aber ich verspreche dir, er

arbeitet daran." Mehr konnte sie Catherine nicht sagen. Es wäre
grausam, ihr die heile Welt vorzugaukeln, da immer noch alles
schief gehen konnte.

"Ja", erwiderte Catherine leise. "Jed arbeitet bestimmt daran. Er

ist ein so starker Charakter, und ich weiß, wie sehr er dich liebt. Er

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hat mir gesagt, dass er mit dir seine fehlende zweite Hälfte gefun-
den habe." Plötzlich legte sie sich den Finger an den Mund. "Ich
hoffe nur, der arme Junge fühlt sich Dan gegenüber nicht wieder
zurückgesetzt."

"Zurückgesetzt?" wiederholte Elena, und ihr Herz schlug

schneller.

Hatte sie mit ihrer Vermutung etwa Recht - dass Jed aus un-

erfindlichen Gründen das Gefühl hatte, er müsse ständig hinter
seinem jüngeren Bruder zurückstehen? "Was meinst du damit?"

"Es ist allein mein Fehler, ich weiß." Bekümmert setzte Cather-

ine zu einer ihrer umständlichen Antworten an. "Jetzt fühle ich
mich deshalb schuldig, aber damals dachten wir, es wäre das
Richtige. Park House ist eine hervorragende Schule, und wir
beschlossen, Jed im Alter von acht Jahren dorthin zu schicken.

Dan war damals noch ganz klein, kränkelte ständig und beans-

pruchte meine volle Aufmerksamkeit. Ich wollte kein Kindermäd-
chen für ihn anstellen, sondern mich selbst um ihn kümmern. Eini-
gen Bemerkungen, die Jed fallen ließ, als er dreizehn oder vierzehn
war, habe ich entnommen, dass er sich damals abgeschoben fühlte -
besonders weil wir Dan nicht auf die Schule schickten, sondern ihn
von einem Privatlehrer unterrichten ließen. Er war ein sehr zarter
Junge, dabei aber eigensinnig und mutwillig, und wir wussten, dass
er sich an schulische Disziplin nicht gewöhnen würde."

Sie wirkte sehr aufgeregt, und Elena nahm ihre Hand und

streichelte sie beruhigend. Sie konnte nicht glauben, dass diese
warmherzige Frau jemals wissentlich jemanden verletzt hatte. "Du
hast sicher nur das getan, was du für richtig hieltest."

"Ich habe nicht genug nachgedacht!" Catherine umklammerte

Elenas Hand. "Jed war immer der Stärkere und Entschlossenere
von beiden, und deshalb hat Dan den Löwenanteil an Ermutigung
und Zuwendung bekommen und konnte tun und lassen, was er
wollte.

Jed wurde nie gefragt, was er wollte. Wir haben es als gegeben

hingenommen, dass er seine Pflicht tun und die Firma übernehmen

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würde. Und nach dem Tod seines Vaters war Jed immer für mich
da, stark, vernünftig, liebevoll. Während Dan ... wir wussten
manchmal wochen-oder monatelang nicht, wo er steckte.

Und wenn er zwischendurch doch einmal nach Hause kam,

habe ich einen wahren Aufstand um ihn gemacht! Das Seltsame
dabei ist: Ich glaube ... nein, ich weiß, dass ich zwar Dan viel mehr
bemuttert, Jed aber viel mehr geliebt habe."

Sanft löste Elena die Hand aus Catherines Griff. Jetzt wusste sie,

warum Jed sich nur so schwer mit ihrer Schwangerschaft abfinden
konnte. Hatte sie ihn nicht gefragt, ob er genauso reagiert hätte,
wenn sie nach einer kurzen, bedeutungslosen Affäre mit einem an-
deren Mann schwanger geworden wäre, bevor sie Jed kennen
lernte?

Er wäre nicht begeistert gewesen, aber weil er ein intelligenter,

mitfühlender Mann war - und bis vor kurzem auch nicht eifer-
süchtig, hätte er verstanden, dass Fehler eben passierten» Und weil
sie sich liebten, hätte er gelernt, es zu akzeptieren.

Doch dass ausgerechnet Dan der Vater ihres Kindes war - damit

konnte er sich nicht abfinden. Obwohl das Baby nicht auf natürli-
chem Wege, sondern durch künstliche Befruchtung gezeugt worden
war.

Leise sagte sie: "Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast. Und

ich finde, du solltest auch mit Jed reden und ihm alles erklären.

Vielleicht würde er dann nicht mehr glauben, dass er immer

hinter seinem Bruder zurückstehen muss."

Sie stand auf und zwang sich, Catherine beruhigend

zuzulächeln.

"Ich mache uns einen Kaffee - den können wir jetzt wirklich

beide brauchen. Catherine, du warst für deine beiden Söhne eine
gute Mutter. Dan war clever, charmant, hatte viele Freunde, und er
nahm seine Arbeit sehr ernst. Und Jed, Jed ist einfach der Beste."

Um drei Uhr nachmittags kam Elena von ihrem verspäteten

Einkauf im Dorf zurück und betrat gerade die Eingangshalle, als

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das Telefon klingelte. Sie stellte ihre Tüten auf dem Boden ab und
griff nach dem Hörer.

Wenn es der Journalist von heute Morgen war, rief er vergeblich

an. Morgen würden sie und Jed schon auf dem Weg nach Spanien
sein.

Es war nicht der Journalist. Es war Liam. Elena nahm den

Hörer vom Ohr und betrachtete ihn entgeistert Das war unmöglich.
Warum rief ihr Exmann sie an? Woher wusste er überhaupt, dass
sie hier war?

Notgedrungen lauschte sie wieder seiner aufdringlichen

Stimme.

"Was willst du?" fragte sie kalt und überlegte, ob er wohl noch

einmal anrufen würde, wenn sie jetzt einfach auflegte.

"Das habe ich dir gerade gesagt."
"Und ich habe nicht zugehört."
"Dann hörst du jetzt besser zu", erwiderte er hart. "Ich will Geld.
Du hast mich in den Knast gebracht, obwohl ich dich immer gut

behandelt und dir ein gutes Leben geboten habe. Meine Schulden
an die Gesellschaft sind bezahlt", sagte er ironisch. "Und deshalb
fordere ich jetzt ein, was du mir schuldest."

"Ich schulde dir nichts." Elena konnte nicht glauben, was sie

hörte.

Es war völlig unwirklich.
"Zehn Jahre Ferien auf Staatskosten, ist das nichts? Die hast du

mir verschafft. Erzähl mir nicht, du hättest kein Geld. Ich weiß es
besser.

Und wenn du nicht zahlen willst, werde ich dir einen Riesenär-

ger machen. Dir und deinem neuen Mann."

Sie sah sich in der Halle um. Jeden Moment konnte Catherine

hereinkommen, und sie würde sicher wissen wollen, ob das der
nette Journalist von heute Morgen war.

Nicht auszudenken, wenn sie erfuhr, dass Elena mit ihrem Ex-

mann telefonierte, der sie erpressen wollte. Als hätte sie nicht
schon genug Schwierigkeiten!

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Energisch sagte sie: "Du redest Unsinn. Lass mich in Ruhe!"
"Na gut, wenn du es unbedingt so haben willst - warte ab, bis ich

richtig loslege. Ihr werdet nicht wissen, wo oben und unten ist, du
und dein Mann."

Elena überlief es eiskalt. Liam klang, als meinte er es ernst, als

hätte er etwas, mit dem er ihr schaden könnte. Dabei war er es
doch, der etwas zu verbergen hatte. Trotzdem - sie konnte nicht ris-
kieren, dass er Ärger machte, denn davon hatten Jed und sie schon
genug.

"Wir können hier nicht reden", sagte sie scharf. Mit ihm zu

sprechen war das Letzte, was sie wollte, doch sie musste
herausfinden, was er im Schilde führte, damit sie etwas dagegen
unternehmen konnte.

"Endlich wirst du vernünftig, Baby."
Früher hatte sein leichter Cockney-Akzent sie fasziniert. Jetzt

empfand sie nichts. "Gib mir deine Nummer, und ich rufe dich
zurück". Sie würde ins Dorf fahren und aus der Telefonzelle an-
rufen müssen. Als Entschuldigung konnte sie sagen, dass sie etwas
vergessen habe. So oder so war es ärgerlich, denn sie hatte geplant
gehabt, sich für Jeds Rückkehr zurechtzumachen und zu überlegen,
was sie ihm sagen sollte.

"Hältst du mich für blöd?" erwiderte Liam höhnisch. "Wir tref-

fen uns in fünfzehn Minuten am Ende eurer wunderschönen
Auffahrt."

Er war also in der Nähe. Sehr nahe.
Zum ersten Mal hatte sie Angst. Damals, bei ihrer Hochzeit,

hatte sie geglaubt, Liam zu kennen. Ein Jahr später wusste sie es
besser.

Wer ahnte schon, welche finsteren Rachepläne er ausbrütete?
Elena warf einen Blick auf die Uhr. Sie durfte sich ihre Angst

nicht anmerken lassen. "In einer Stunde", sagte sie so energisch wie
möglich.

"Warum? Damit du die Polizei anrufen kannst?"
"Nein, weil es mir so passt."

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Entschlossen legte sie auf, lehnte sich gegen die Tischkante und

versuchte, ihren rasenden Puls zu beruhigen. In einer Stunde
würde Catherine auf ihrem Zimmer sein und ihr Nachmit-
tagsschläfchen halten. Und Edith würde mit den Vorbereitungen
für das ausgedehnte Abendessen beschäftigt sein, das sie anlässlich
Jeds Rückkehr planten.

Jed hatte gesagt, er würde zum Abendessen zurück sein. Da auf

Netherhaye immer um acht Uhr gegessen wurde, würde er sicher
nicht vor sieben ankommen.

Sie hatte also genug Zeit, Liam loszuwerden und sicherzustellen,

dass er nicht zurückkam.

Eine Stunde später fühlte Elena sich nicht mehr so selbstsicher.

Die sich windende, Baum bestandene Auffahrt erschien ihr endlos,
und sie hatte das Gefühl, ihre Beine wollten sie nicht tragen.

Liam Forresters oberstes Ziel war sein eigenes Vergnügen. Er

liebte schnelle Autos, einen luxuriösen Lebensstil und betrog und
stahl, um zu bekommen, was er wollte. Das Gefängnis hatte ihm
sicher keinen Spaß gemacht.

Und ihre Aussage hatte ihn hineingebracht.
Als Liam aus dem Schatten der Bäume trat, unterdrückte sie

einen Schrei. Er durfte nicht merken, dass sie Angst hatte.

Der Blick, mit dem er ihre bequeme Kleidung taxierte, ver-

ursachte ihr eine Gänsehaut. "Du solltest mehr aus dir machen - ich
hätte dir nie erlaubt, Hosen zu tragen, bei deinen fantastischen
Beinen! Aber du siehst gut aus. Erfolg bekommt dir."

Ihm war das Gefängnis nicht bekommen, wie Elena schockiert

feststellte. Sein früher blondes Haar war jetzt fahlbraun und un-
gekämmt. Er, der einst so viel Wert auf Kleidung gelegt hatte, trug
schäbige schwarze Jeans und eine Jacke aus Lederimitat, die seinen
Bauchansatz kaum verbarg.

"Wie hast du mich gefunden?" Sie musste sich zu dieser Frage

zwingen. Ihre Ehe mit ihm schien zu einem anderen Leben zu ge-
hören. Diesen dunklen Teil ihrer Vergangenheit hatte sie so

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gründlich aus ihrem Gedächtnis gestrichen, dass sie Liams Existenz
fast vergessen hatte.

"Das war leicht. Ich habe deine Karriere interessiert verfolgt -

im Knast hatte ich nichts zu tun, außer Zeitungen zu lesen. Und zu
planen, wie ich dich eines Tages zwingen würde, deinen Erfolg mit
mir zu teilen, so wie ich damals meinen Erfolg mit dir geteilt habe.

Leider warst du gerade in Spanien, als ich entlassen wurde."
Liam kam näher. Er hatte zugenommen und wirkte groß und

bedrohlich. Als er die Angst in Elenas Augen sah, lächelte er. "Keine
Sorge, ich bin nicht so dumm, dass ich meiner goldenen Gans den
Hals umdrehe! Das Schicksal ist auf meiner Seite. Was für ein
Glück, dass ich in der Zeitung den Artikel über die Preisverleihung
gesehen habe. Ich brauchte nur vor dem Hotel zu warten, dir zu fol-
gen, mir ein Zimmer im Dorf zu nehmen und einige Fragen zu
stellen."

Der blaue Escort, dachte sie müde. "Du hast heute Morgen an-

gerufen und dich als Journalist ausgegeben.

Liam lächelte, und zum ersten Mal erinnerte er ganz entfernt an

den gut aussehenden, charmanten jungen Mann, den sie damals
kennen gelernt hatte.

All ihre Freundinnen waren eifersüchtig gewesen, weil er nur

hinter ihr her gewesen war. Sie hatten ja nicht geahnt, wie er wirk-
lich war.

Und auch sie selbst hatte sich in ihrer Naivität so geschmeichelt

gefühlt, dass sie sein wahres Gesicht nicht erkannt hatte.

"Deine Schwiegermutter ist ziemlich redselig. Sie hat mir sogar

deine Adresse in Spanien gegeben", sprach er weiter. "Mir gefällt
der Gedanke, in der Sonne zu liegen und Sangria zu trinken, aber
im Moment würden mir zehntausend reichen. Kleine Scheine. Mor-
gen, zur selben Zeit, am selben Ort. Oder ..."

Sie funkelte ihn wütend an. Es musste doch einen Ausweg aus

diesem Alptraum geben! Die Polizei? Wenn sie eine gerichtliche
Verfügung erreichte, um ihn sich vom Hals zu halten, würde die

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dann auch für Spanien gelten, oder musste sie dort noch einmal vor
Gericht gehen?

Jed, dachte sie müde. Wenn er doch nur hier wäre! Er wüsste

sicher einen Rat.

Sie drehte sich um und ging zum Haus zurück. Wenn Liam

dachte, sie würde ihm das Geld geben und dann abwarten, bis er
die nächste Forderung stellte, musste er wirklich verrückt sein!

Hätte er nur eine Spur Reue gezeigt, sich bemüht, sein Leben

wieder in den Griff zu bekommen - sie würde ihm gern helfen, eine
anständige Arbeit zu finden. Stattdessen versuchte er, sie zu
erpressen.

Er würde sich nie ändern.
"Hier geblieben!" Er packte sie am Arm, als sie kaum zwei Sch-

ritte weit gekommen war. In seiner Stimme schwang jetzt ein bru-
taler Unterton mit, und Elena blieb wie angewurzelt stehen und
wagte kaum zu atmen. Sie verabscheute es, von ihm berührt zu wer-
den, wollte seine Hand abschütteln, traute sich aber nicht.

"So ist es besser", sagte er ruhiger, und als er weitersprach,

klang seine Stimme gefährlich sanft. "Ich habe auch Fantasie,
meine Süße.

Darin sind wir uns ähnlich. Du bist recht bekannt geworden,

und ich könnte mir denken, dass die Sensationsblätter gut bezahlen
würde für eine Leiche in deinem Keller. Verheiratet mit einem
Kriminellen, der dir ein gutes Leben verschafft hat - wer von deinen
Lesern würde nicht glauben, dass du zumindest gewusst hast, wo-
her all das Geld kam, und damit einverstanden warst?

Das wäre eine kleine Sensation. Und überleg mal, was passieren

würde, wenn die seriösen Zeitungen es aufgreifen würden." Liam
verstärkte seinen Griff um ihren Arm und flüsterte ihr ins Ohr:
"Dein Mann gehört schließlich zur Prominenz. Die oberen Zehn-
tausend und selbst Angehörige des Adels kaufen ihre Edelsteine bei
Nolan's. Es würde der Firma sicher nicht gut tun, wenn ihr Name
mit einer Frau in Verbindung gebracht würde, die eine solche Ver-
gangenheit hat, oder?

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Die besseren Leute könnten auf die Idee kommen, ihren Sch-

muck bei der Konkurrenz zu kaufen. Also rück das Geld raus - oder
trag die Konsequenzen."

Er zog sie ganz nahe zu sich heran, und Elena konnte nichts

dagegen tun. Aller Mut hatte sie verlassen. Er meinte es ernst. So
oder so würde er das Geld bekommen.

Nach der Preisverleihung stand sie im Licht der Öffentlichkeit,

und die Sensationsblätter würden Riesensummen für Liams
Geschichte zahlen, selbst wenn kein Quäntchen Wahrheit darin
läge. Damit machten Zeitungen ihr Geld.

Die Leute beobachteten gern, wenn andere Erfolg hatten, doch

es gefiel ihnen noch besser, jemanden fallen zu sehen.

Elena wäre für sich damit fertig geworden, doch sie konnte nicht

zulassen, dass Jed und die Firma in diese schmutzige Geschichte
hineingezogen wurden. Das konnte sie ihm nicht antun.

"Du kriegst dein Geld." Sie hasste es, nachgeben zu müssen,

doch es blieb ihr keine Wahl. "Auf meinem englischen Bankkonto
habe ich nicht so viel, aber wir fliegen morgen nach Spanien
zurück. Dort kann ich es besorgen und es dir schicken ..."

"Ich gebe dir drei Tage Zeit." Sein Gesicht war ganz nahe an

ihrem.

"Und ich komme nach Spanien und hole es mir selbst ab. Erin-

nere dich, ich weiß, wo ich dich finden kann." Er kam noch näher.
"Stehst du im Telefonbuch?"

Sie

nickte

und

versuchte

vergeblich,

sich

von

ihm

zurückzuziehen.

"Gut. Ich rufe dich an und gebe dir durch, wann und wo wir uns

treffen."

Als Reifen auf dem Kies knirschten, ließ Liam sie endlich los

und drehte sich um. Elena wurde ganz schwach vor Erleichterung.
Seine Nähe hatte ihr Übelkeit und Schwindel verursacht, doch sie
wäre lieber tot umgefallen, als sich an diesem Bastard festzuhalten.
Erst als sie das unverkennbare Geräusch der zuschlagenden Tür des
Jaguar hörte, ging ihr auf, was los war.

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Fieberhaft versuchte sie, ihren Verstand wieder zum Arbeiten zu

bringen. Jed war früher als angekündigt zurückgekommen. Sie
wusste nicht, ob sie darüber froh sein, oder ob es ihr Leid tun sollte.

Eher Letzteres, entschied sie nach einem Blick auf seine harte,

ausdruckslose Miene. In der engen grauen Hose und dem weißen,
am Kragen offenen Hemd sah er fabelhaft aus. Aber nicht
begeistert.

Liam brach das angespannte Schweigen. "Ich schätze, Sie sind

Ehemann Nummer zwei." Er warf einen anerkennenden Blick auf
den Jaguar und streckte Jed die Hand entgegen. Als dieser sie ig-
norierte, bemühte er sich vergeblich um einen geschliffenen
Akzent. "Ich bin Ehemann Nummer eins. Um Ihretwillen hoffe ich,
dass sie Ihnen nicht so übel mitspielt wie mir. Aber wetten sollten
Sie darauf nicht."

Er ließ die Hand sinken. "Also, wenn ich schon nicht zu einem

Drink eingeladen werde, gehe ich jetzt." Er wandte sich zum Gehen
und warf über die Schulter noch ein boshaftes Lächeln zurück. "Ich
gebe Ihnen einen Rat, alter Junge. Drehen Sie dieser Frau lieber
nicht den Rücken zu."

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10. KAPITEL

"Was hatte er hier zu suchen?"
Jed betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. Trotz der

warmen Nachmittagssonne zitterte Elena. Misstrauen und Kälte la-
gen in seinem Blick, keine Spur von dem neu entstehenden Ver-
trauen, von dem er bei ihrem letzten Telefonat gesprochen hatte.

Liam hatte alles verdorben.
"Er hat mich um Geld gebeten", stieß sie hervor. Wenn sie Jed

von der Erpressung erzählte, würde er sicher die Polizei rufen, und
am Ende würde die ganze Geschichte in der Presse landen. Das
konnte sie nicht zulassen.

Es könnte Jeds Ruf und dem der Firma tatsächlich schaden.

Und selbst wenn nicht, würde es ihn tief in seiner Ehre treffen, den
Namen seiner Frau durch den Schmutz gezogen zu sehen.

"Wofür?" fragte er kurz angebunden. "Um ein Bier trinken zu

gehen? Um sich neu einzukleiden? Er sah aus, als könnte er es geb-
rauchen! Oder hat er mehr verlangt, Elena?"

"Natürlich." Warum schwindelte sie ihm nicht etwas vor? War-

um sagte sie nicht, dass Liam nur Hilfe brauchte, um sich über
Wasser zu halten, während er nach Arbeit suchte? Doch es fiel ihr
schwer, Jed nicht die ganze Wahrheit zu erzählen.

Natürlich bemerkte er den bitteren Unterton in ihrer Stimme.

"Hast du ihm etwas gegeben? Ihr standet ziemlich nahe beisammen
- er wirkte sehr zufrieden, und du sahst aus, als hättest du nichts
dagegen, alte Zeiten wieder aufleben zu lassen."

Unglücklich musste sie zugeben, dass es vielleicht so ausgese-

hen haben konnte. Trotzdem konnte sie ihm nicht sagen, was wirk-
lich passiert war. Sie zuckte mit den Schultern. "Wohl kaum. Meine
Ehe mit Liam gehört zu den Zeiten, die ich lieber vergessen möchte.
Und geben konnte ich ihm auch nichts, denn mein englisches
Bankkonto ist fast leer."

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Sie behielt es ohnehin nur, um während ihrer geschäftlichen Be-

suche in London darauf zurückgreifen zu können. Bei Dans Beerdi-
gung und ihrer Hochzeit hatte sie das Konto praktisch abgeräumt.

Jed schien das zu akzeptieren, doch er fragte weiter. "Hast du

ihm gesagt, wo du zu finden bist?"

"Natürlich nicht!" erwiderte sie ärgerlich. Dachte er etwa, sie

hätte die ganze Zeit mit Liam in Verbindung gestanden und es ihm
auch noch verheimlicht?

Jed bemerkte ihren Zorn und nickte kurz, wandte den Blick aber

nicht von ihrem Gesicht, als würde er dort vergeblich nach der
Wahrheit suchen. "Dann muss ich wohl annehmen, dass er rein
zufällig auf Netherhaye war und die unverhoffte Gelegenheit ergrif-
fen hat, dich um Geld zu bitten."

Elena spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, während

Wut, Enttäuschung und Hass in ihr tobten. Gerade als Jed und sie
dabei waren, wieder zueinander zu finden, als er bereit war, sie
wieder zu lieben und ihr zu vertrauen, da tauchte Liam auf und
machte alles zunichte.

"Können wir diesen Widerling nicht vergessen?" stieß sie im-

pulsiv hervor. "Ich hatte nichts mit seinem Auftauchen hier zu tun.
Er hat von der Preis Verleihung gelesen und ist uns vom Hotel aus
gefolgt.

Vorhin hat er angerufen und vorgeschlagen, dass wir uns

treffen.

Glaub mir, ich wollte es nicht, aber ich habe zugestimmt, damit

er nicht im Dorf herumhängt und lästig wird."

Sie hoffte, dass Jed sich damit begnügen würde, dass er die gan-

ze schlimme Episode aus dem Gedächtnis streichen würde. Und es
schien, als würde ihre Hoffnung erfüllt, denn er öffnete die Beifahr-
ertür des Jaguar. "Steig ein. Ich kann dich ebenso gut bis zum Haus
mitnehmen."

Er setzte sich hinters Lenkrad, ließ den Motor an und sagte

kühl:

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"Catherine hält wahrscheinlich ihr Nachtmittagsschläfchen,

oder? Sag Edith doch bitte, sie möchte den Tee auf die Terrasse
hinausbringen.

Ich brauche eine Erfrischung, bevor ich dusche."
Diese distanzierte Höflichkeit zeigte er auch für den Rest des

Nachmittags und Abends. Es war, als würde sein Verstand nur an
der Oberfläche funktionieren, während er insgeheim darüber
nachdachte, was es zu bedeuten hatte, dass er Elena und Liam
zusammen erwischt hatte.

Es gelang Elena nicht, dem ausgezeichnetem Lachssteak, das

Edith zum Abendessen mit jungen Kartoffeln und würzigem Rata-
touille servierte, Genüge zutun. Sie riskierte einen Seitenblick auf
Jed. Er wirkte so verdammt beherrscht. Zu beherrscht? Wann
würde er die Kontrolle über seine Gefühle verlieren?

"Ihr braucht euch wirklich keine Sorgen um mich zu machen",

sagte Catherine, nachdem Edith den Tisch abgeräumt hatte. Jed
hatte ihr schon angekündigt, dass er und Elena am nächsten Mor-
gen abreisen würden - in diesem seltsamen, ausdruckslosen Ton.
"Susan kommt für einige Tage her. Sie ist eine hervorragende Sch-
neiderin, also werden wir schon mal für die Vorhänge Maß nehmen
und in die Stadt fahren, um Stoffe auszusuchen. Genießt ihr nur
den Rest eurer Flitterwochen und verschwendet keinen Gedanken
an mich!"

"Apropos: Ich muss noch einige Dokumente für das Grundstück

in Sevilla zusammensuchen." Jed lächelte Catherine gezwungen zu.

"Bevor du fragst: Nein, ich werde nicht die ganze Zeit arbeiten."

Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und nahm sie mit ins Arbeit-
szimmer. Elena wusste, dass es für ihn nur ein Vorwand war, um
sich zurückzuziehen und in Ruhe über alles nachzudenken.

"Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm über das

Baby zu sprechen", erklärte Catherine traurig. "Bevor du zum Essen
nach unten kamst, habe ich es versucht, aber er war so abweisend,
dass ich mich nicht getraut habe. Ich mache mir Sorgen um ihn."

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"Das musst du nicht", sagte Elena. "Ich glaube, Jed kann mit al-

lem fertig werden." Dessen war sie sich ganz sicher. Die Frage war
nur, ob er dazu nach dieser Szene mit Liam nicht wieder seine
frühere Methode anwenden würde - sie völlig aus seinem Leben
und seinem Herzen zu verbannen.

Sie wusste, dass sie das nicht ertragen könnte. Nicht, nachdem

er doch schon angefangen hatte zu verstehen, wie es zu ihrer Sch-
wangerschaft gekommen war, und bereit war, ihr zu verzeihen ihr
und Dan.

Liam hatte mehr Schaden angerichtet, als er je wissen würde.
"Ich mache mir Sorgen, weil es doch Dans Baby ist..."
"Versuch, nicht daran zu denken", beruhigte Elena sie. Plötzlich

fühlte sie sich völlig erschöpft - die Anstrengungen des Tages
forderten ihren Tribut. Am liebsten hätte sie sich irgendwo verk-
rochen, bis dieser Alptraum vorbei war. "Es ergibt sich bestimmt
bald Gelegenheit, mit ihm zu reden. Über das Baby und über Dans
Kindheit. Im Moment muss Jed erst selbst damit zurechtkommen.
Er braucht Zeit." Sie trank ihren Kaffee aus und stand müde auf.
"Ich gehe jetzt hinauf und packe. Vielleicht sehen wir uns später
noch, wenn ich nicht in der Zwischenzeit einschlafe!"

Das Packen war schnell erledigt. Elena betrachtete das Doppel-

bett und fragte sich, ob Jed es mit ihr teilen würde. Wenn Liam
nicht aufgetaucht wäre, hätte er es sicher getan. Vielleicht hätten
sie die halbe Nacht geredet. Oder er hätte sie im Arm gehalten.
Oder einfach an ihrer Seite geschlafen, selbst das hätte ihr genügt.

Sie legte einige Kissen und eine weiche Decke auf dem Sofa

zurecht und bereitete sich darauf vor, das Bett allein zu benutzen.

Am nächsten Tag herrschte dieselbe Stimmung. Erst als sie im

Mietwagen den Flughafen von Jerez verließen, Beutete sich eine
leichte Entspannung an.

Sie hatten die Fenster hinuntergekurbelt, und Elena meinte, in

der heißen Luft den Sherry zu riechen, der so typisch für diese
reiche und geschäftige Gegend Andalusiens war. Jed schien sich

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sichtlich zu entspannen, und sie fragte: "Macht es dir etwas aus,
nach Cadiz hineinzufahren?"

"Nein," Er lenkte den Wagen in Richtung Süden. "Ich denke, wir

müssen ohnehin einkaufen. Bestimmt bist du nicht dazu gekom-
men, Pilar von unserer Ankunft zu benachrichtigen, oder?"

Sie hatte nicht einmal daran gedacht, weil sie ihre gesamte En-

ergie auf ihn konzentriert hatte. Doch dass er vom Einkaufen
sprach, lieferte ihr den Vorwand, nach dem sie sich den Kopf zer-
martert hatte.

"Ich muss zur Bank, und danach könnten wir auf den Wochen-

markt gehen", sagte sie erleichtert. "Sollen wir in der Stadt essen
oder gleich nach Las Rocas fahren, was meinst du?"

"Ein ruhiger Abend in den Bergen wäre mir lieber." Er trat auf

die Bremse, als ein staubiger gelber Seat direkt vor ihnen die Spur
wechselte und laut dabei hupte. Jed lächelte, und seine Zähne
hoben sich weiß von seiner sonnengebräunten Haut ab. "Allmählich
gewöhne ich mich an diese verrückten Spanier!"

Während er den Wagen parkte, ging Elena in die "Banco de An-

dalucia". Sie fühlte sich schäbig und schuldbewusst, weil sie etwas
hinter Jeds Rücken tat. Doch er hätte sie daran gehindert, Liams
Erpressung nachzugeben, und die Konsequenzen wahrscheinlich
gar nicht bedacht. Das wusste sie, und deshalb tat sie es eigentlich
für ihn, weil sie ihn liebte. Ginge es nur um sie selbst, wäre sie nie
auf Liams Forderung eingegangen.

Zum Glück war die Transaktion schnell beendet, denn sie war in

der Filiale eine bekannte und geschätzte Kundin. Und so trat sie auf
die Straße hinaus, das Geld für Liam ganz unten in der Handtasche
versteckt, und einige Scheine für den Haushaltsbedarf im
Portemonnaie.

Jed kam auf sie zu, und die leichte Brise vom Meer zerzauste

ihm das Haar. Ihr Herz schlug schneller. Er war etwas so Beson-
deres, und sie liebte ihn so sehr, dass es schmerzte. Seine Augen
leuchteten auf, als er sie sah, und sie lächelte ihm heiter zu. Viel-
leicht würde es ihr gelingen, zu glauben, dass er über alles

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nachgedacht hatte, dass ihre gemeinsame Zeit hier etwas Beson-
deres und Wichtiges war, dass sie wieder zueinander finden und
ihren Weg zusammen gehen könnten.

Ohne dass Liam ihr Glück störte.
"Eigentlich müsste ich auch noch einen Scheck einlösen." Jed

warf einen Blick auf die geöffneten Türen der Bank. "Kommst du
noch einmal mit hinein?"

Um genau das zu vermeiden, hatte sie ihn gebeten, sie abzuset-

zen, während er einen Parkplatz suchte. "Das brauchst du nicht",
erwiderte sie fröhlich. "Ich habe genug abgehoben!" Und das stim-
mte sogar.

"Na gut. Also auf zum Markt - ich muss mich erst an den

Gedanken gewöhnen, dass ich von meiner reichen Frau ausgehalten
werde!"

Sein entspanntes Lächeln machte ihr Mut, und sie hakte sich bei

ihm unter. Rein freundschaftlich, nicht so wie damals bei Cather-
ines Besuch, als sie ihn durch ihr aufreizendes Verhalten heraus-
fordern und verletzen wollte, weil er sie verletzt hatte.

Jetzt wollte sie einfach nur seine Freundschaft. Einträchtig

schlenderten sie über den bunten Markt, steckten die Köpfe zusam-
men, während sie die Vielfalt der frischen Waren begutachteten,
und überlegten, ob sie nun Schwertfischsteaks, Garnelen oder
Muscheln kaufen sollten. Schließlich entschieden sie sich für etwas
von jedem.

Als sie mit Taschen und Tüten beladen waren, blickten sie sich

lächelnd an.

"Als hätten wir eine ganze Armee zu versorgen!" Jeds silber-

graue Augen leuchteten, und seine Züge waren ganz entspannt. Es
fiel Elena nicht schwer, sich wieder dem warmen Gefühl seiner
Liebe zu überlassen.

Zumindest erschien es ihr so, hier auf dem lauten, geschäftigen

Wochenmarkt, unter der heißen spanischen Sonne. Und sie hoffte
nur, dieses Gefühl würde anhalten und durch nichts gestört
werden.

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"Ich glaube, wir sollten nach Hause fahren und anfangen, uns

durchzufüttern. Aber wie wäre es vorher mit einem Orangensaft?"

schlug sie vor.
"Du bist nicht nur schön, sondern auch klug." Jed nahm ihr die

Taschen aus der Hand. "Geh du voraus. Dieses Gewirr von engen
Gassen bringt mich durcheinander."

Nichts würde ihn je durcheinander bringen. Sobald ein Problem

auftauche, löste er es auf seine ruhige und intelligente Art.

Genau so hatte er es auch mit den Problemen in ihrer Ehe

gemacht.

Seine anfängliche heftige Reaktion war ganz natürlich, weil die

Gefühle seinem Verstand im Weg gestanden hatten. Doch er hatte
Zeit zum Nachdenken gehabt, und nun würde alles wieder gut
werden.

Dessen war sie sich plötzlich ganz sicher.
Im Restaurant am Plaza Topete fanden sie auf der von Blumen

gesäumten Terrasse einen Tisch, und während sie ihren frisch ge-
pressten Orangensaft tranken, sagte Jed: "Bestimmt wollte der Bas-
tard gestern gerade gewalttätig werden, wie es unter diesen Typen
üblich ist, oder?"

Elena nickte. Sie brauchte nichts zu sagen, denn er hatte über

die Szene nachgedacht und die richtigen Schlüsse gezogen. Sie woll-
te nicht über ihren Exmann reden, jetzt nicht und niemals. Dazu
fühlte sie sich viel zu schuldbewusst, weil sie seiner Erpressung
nachgegeben hatte.

Doch Jed ließ nicht locker. "Ich kenne ihn zwar nicht, aber

nachdem ich ihn gesehen habe, ist mir schleierhaft, warum du ihn
geheiratet hast. Du bist doch eine intelligente, unabhängige Frau,
Elena."

Am liebsten hätte sie nichts mehr davon gehört. Sie wollte, dass

Jed nicht mehr über ihn redete, dass er ihn einfach vergaß. Doch
Jed verdiente es, alles zu erfahren, was er wissen wollte. Und er
hatte nicht vorwurfsvoll geklungen, sondern ganz ruhig und
interessiert.

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Sie drehte das Glas zwischen den Fingern und wunderte sich,

dass ihre Hände nicht zitterten, denn das Herz schlug ihr bis zum
Hals. "Er hat nicht immer so ausgesehen oder sich wie ein Rüpel
benommen.

Früher war er sehr attraktiv und charmant. Und ich war naiv,

fühlte mich geschmeichelt, war überwältigt von seinen großzügigen
Geschenken - Designerkleider, teure italienische Schuhe, Schmuck.

Ein wenig protzig, nichts, was Nolan auch nur in Betracht

ziehen würde, aber trotzdem wertvoll." Sie legte sich einen Finger
an den Mundwinkel und sah, dass Jed an dieser kleinen, nervösen
Geste merkte, wie sehr dieses Gespräch sie verstörte.

Elena war verstört - weil sie ihm nichts von Liams Erpressung

erzählt hatte. Doch wenn sie sich nicht vorsah, könnte Jed denken,
dass sie um den Mann trauerte, der Liam einmal gewesen war.

Deshalb zwang sie sich weiterzusprechen. "Nach einiger Zeit

begann der Reiz zu verblassen - die teuren Restaurants, die
Nachtclubs, das Gefühl, zur Schau gestellt zu werden. Und als ich
irgendwann wieder klar denken konnte, fragte ich ihn, woher all
das Geld komme.

Er sagte, er habe es beim Spielen gewonnen, und das gefiel mir

nicht. Arm, aber ehrlich, nach diesem Prinzip hatte meine Mutter
mich erzogen. Deshalb war ich so schockiert, als ich seine kriminel-
len Machenschaften entdeckte. Deshalb bin ich zur Polizei gegan-
gen und habe mich später von ihm scheiden lassen. Und jetzt...", sie
blickte Jed flehend an, "... können wir ihn nicht vergessen?"

"Mit Vergnügen." Jed stand auf und griff nach den Taschen.

"Das Thema ist abgehakt. Machen wir uns auf den Weg?"

Erleichtert atmete sie auf. Wenn er dies als Test geplant hatte,

dann hatte sie ihn glänzend bestanden.

Am späten Nachtmittag erreichten sie Las Rocas. Während Jed

die Fenster in allen Räumen weit öffnete, kümmerte Elena sich um
die Einkäufe. Nacheinander duschten sie, zogen sich um und
achteten darauf, keine Intimität zu erzwingen, bevor die Probleme
in ihrer Ehe gelöst waren.

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Mit Intimität hatten sie es in der Nacht nach der Preisverlei-

hung schon einmal versucht, und das war in einer Katastrophe
geendet.

Nach einem schnell zubereiteten Essen aus Garnelen mit Kno-

blauch, Gemüse und Obst machten sie es sich auf den Liegen auf
der Terrasse bequem, blickten in den sternenübersäten Himmel
hinauf und atmeten den betäubenden Duft der Lilien ein.

Bei ihrer Ankunft hatte Elena sich so verschwitzt gefühlt, dass

sie sich nach dem Duschen für Shorts und eine kurzärmelige Bluse
entschieden hatte. Auch Jed trug nur ein weites schwarzes Hemd,
das seine breiten Schultern betonte, und knappe weiße Shorts, in
denen seine langen, sonnengebräunten Beine muskulös und un-
glaublich sexy wirkten.

Elena wandte schnell den Blick ab und betrachtete die Sterne,

überwältigt von der Versuchung, die Hand auszustrecken und seine
Haut zu berühren. Beim Gedanken daran, wie hemmungslos sie
sich hier geliebt hatten, schlug ihr Herz schneller, und ihr Mund
war plötzlich wie ausgetrocknet.

"Hast du etwas dagegen, wenn wir reden?" Aus den Augen-

winkeln sah sie, wie Jed sich auf die Seite drehte, den Kopf auf eine
Hand gestützt. "Elena, sieh mich an."

Sie gehorchte. Die Sterne spiegelten sich in seinen Augen wider,

tiefe Schatten unterstrichen sein markantes Gesicht und ließen
seinen Mund verlockend und sinnlich aussehen.

"In Ordnung?"
"Natürlich." Ihre Lippen bebten, und sie spürte, dies war der

Durchbruch. Sie würde ihm alles erzählen, was er wissen wollte

"Ich glaube dir. Nein, ich habe nicht in der Klinik nachgefragt,

denn wegen der ärztlichen Schweigepflicht hätte man mir ohnehin
keine Auskunft gegeben. Aber je mehr ich darüber nachdachte,
desto mehr Sinn schien alles zu machen. Hast du dir wirklich so
sehr ein Kind gewünscht?"

Sie erwiderte seinen Blick ohne Zögern. "Ja", stieß sie hervor.

"Es war wie ein körperlicher Schmerz, der schließlich so stark

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wurde, dass mir alles, was ich erreicht hatte, bedeutungslos
vorkam.

Nach meiner Scheidung habe ich mir geschworen, nie wieder zu

heiraten, sondern mir mein eigenes Leben aufzubauen. Das war,
bevor ich dich traf und merkte, wie sehr ich mich geirrt hatte",
flüsterte sie.

"Auch Dan wünschte sich ein Kind, aber nicht aus einem ge-

fühlsmäßigen Bedürfnis heraus, sondern weil er glaubte, sich nur so
unsterblich machen zu können. Vielleicht ahnte er damals auch
schon, dass er nicht mehr lange zu leben hatte."

Mit der unbewussten, beschützenden Geste der werdenden

Mutter legte sie sich die Hand auf den Bauch. Jed ließ die Hand
unter ihre gleiten und berührte zärtlich die sanfte Rundung.

"Kommt das vom guten Essen? Oder ist es das, was ich denke?"
Seine heisere Stimme war wie eine Liebkosung, und sein

Gesicht war ihrem so nahe, dass sie seinen Atem auf der Haut
spürte.

Elena rückte ein Stück beiseite, um für ihn auf ihrer Liege Platz

zu machen. Er legte sich ganz dicht neben sie, und sie war sicher,
dass er ihr lautes Herzklopfen hören musste, als sie flüsterte: "Es ist
das, was du denkst." Sie hielt den Atem an, denn seine Reaktion
würde über ihre Beziehung entscheiden. Wenn er sich jetzt zurück-
zog, wusste sie, dass er Dans Band immer ablehnen würde und dass
für ihre gemeinsame Zukunft wenig Hoffnung bestand.

Jed sagte nichts, sondern öffnete langsam den obersten Knopf

ihrer Shorts, die jetzt schon beinahe zu eng waren, und ließ die
Hand hineingleiten.

Im ersten Moment wurde ihr vor Erleichterung schwindlig, und

dann stieg Verlangen in ihr auf wie eine mächtige, heiße Woge.

Begehrte er sie auch nur halb so sehr wie sie ihn?
Wurde er ihr wieder sein Herz öffnen? Würde er sie lieben und

sich von ihr lieben lassen?

"Jed ..." Sie wollte ihn fragen, doch er unterbrach sie.

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"Auf Netherhaye hast du einmal gesagt, du liebst mich noch.

Aber in jener Nacht im Hotel hast du mir deutlich zu verstehen
gegeben, dass es nicht so ist. Welche Version soll ich glauben?"

"Die erste." Elena barg den Kopf an seiner Schulter. Wie sie ihn

liebte! "Wenn wir zusammen geschlafen hätten, hättest du dich und
mich später dafür verachtet. Du hast mich gehasst, mich
weggestoßen, dich geweigert, mir zu glauben. Also musste ich dich -
uns - irgendwie aufhalten."

Sie verlor zusehends die Kontrolle über sich. Die Sehnsucht,

seine Hände auf ihrem Körper, seine Lippen auf ihren zu fühlen,
sich an ihn zu schmiegen, mit ihm vereint zu sein, war so groß, dass
sie es nicht länger ertragen konnte.

Als er plötzlich aufhörte, ihr sanft den Bauch zu streicheln, hielt

sie den Atem an und spürte wieder die alte Angst vor Zurück-
weisung in sich. Das Herz lag ihr wie ein Stein in der Brust. Doch er
sagte rau:

"Kannst du mir jemals verzeihen? Dass ich dir zuerst nicht

zuhören wollte und dich dann eine Lügnerin genannt habe? Dass
ich dir nicht vertraut habe? Ich glaube, ich war damals halb
wahnsinnig."

"O mein Liebling ..." Als Antwort legte sie ihm die Arme um den

Nacken. "Natürlich verzeihe ich dir! Ich verstehe ja, wie du dich ge-
fühlt haben musst. Wahrscheinlich hätte ich mich an deiner Stelle
nicht anders benommen!"

"Ich glaube, ich verdiene dich nicht", sagte er heiser und fing

wieder an, sie ganz zärtlich zu streicheln. "Eines verspreche ich dir:
Ich werde dieses Kind lieben wie mein eigenes. Nicht um Dans wil-
len und auch nicht, weil ich dich liebe. Sondern um des Kindes
selbst willen."

Tränen liefen über ihre Wangen, und er wischte sie sanft fort.

Sie spürte, wie er erschauerte, als er sie küsste und mit der Zunge
ihre Lippen auseinanderzwang. Ihr letzter zusammenhängender
Gedanke war, dass Catherine nun doch nicht mehr die Chance

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gehabt hatte, Jed zu überzeugen, dass er nicht nur die zweite Wahl
nach seinem charmanten, leichtsinnigen Bruder gewesen war.

Jed hatte dieses Missverständnis selbst aus der Welt geschafft.

Er hatte die alte Eifersucht besiegt. Er war über seinen eigenen
Schatten gesprungen, und dafür liebte und bewunderte sie ihn
umso mehr.

"Du bist so schön, und ich liebe dich so sehr." Seine Stimme war

rau vor Verlangen. Er nahm ihre Hände und bedeckte die Innen-
flächen mit Küssen. Im sanften Licht der Terrassenlampen schim-
merte sein Gesicht golden, als er sie ansah. "Zeig mir, dass du mir
verziehen hast."

Ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen, und sie konnte kein

Wort herausbringen. Stattdessen küsste sie ihn fieberhaft, und er
erwiderte ihre Küsse, während sie sich gegenseitig hastig die
Kleidung abstreiften.

Elena hörte ihn stöhnen und schlang die Beine um seinen Körp-

er, hob sich ihm entgegen. Sie sah, wie er die Lippen zusammen-
presste, und hatte einen furchtbaren Moment Angst, es würde doch
wieder alles schief gehen, bis er heiser flüsterte: "Ich bin ganz wild
auf dich, aber ich habe Angst, dir und dem Baby wehzutun. Hilf
mir, dich ganz sanft zu lieben."

Nichts hätte seine Liebe besser beweisen können als diese

Worte.

"Wir tun es so langsam und lange und ausgiebig, wie du es

willst, Liebling", versprach sie ihm. Und als er ganz vorsichtig in sie
eindrang und sie die Arme fest um seinen Nacken legte, wusste sie,
dass sie das Paradies wieder gefunden hatte.

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11. KAPITEL

Es war früher Abend, und in den Tälern lagen dunkle Schatten.
Elena bereitete in der Küche das Abendessen vor: gegrillte Gar-

nelen mit Knoblauch, Zitrone und Petersilie aus ihrem Garten. Im-
mer wieder blickte sie in den Garten hinaus, wo Jed mit dem Wass-
erschlauch hantierte.

Wie sehr sie diesen Mann liebte! In den letzten beiden Tagen

hatten sie die Tiefe ihrer wieder gefundenen Liebe in jeder Ber-
ührung, jeder Liebkosung, jedem Wort gespürt - doppelt wertvoll,
weil sie all das beinahe verloren hätten.

"Sollen wir bis zur Geburt des Kindes hier bleiben?" hatte er sie

gefragt, als sie heute Morgen auf der Terrasse standen und über-
legten, was im Garten zu tun sei. Er zog sie ganz dicht an sich und
streichelte sanft ihre Brüste, die sich unter dem Stoff ihres Kleides
abzeichneten.

"Würde es dir etwas ausmachen?" Sie legte den Kopf zurück,

berührte mit den Lippen seinen Hals und spürte, wie ihre Brust-
spitzen sich unter seinen Liebkosungen aufrichteten.

"Im Gegenteil. Hier ist dein Zuhause, und mir gefällt es auch.

Die Firma könnte ich ebenso gut von hier aus leiten. Ab und zu se-
hen wir auf Netherhaye nach dem Rechten, verbringen dort Weih-
nachten und laden die Mütter dazu ein. Ansonsten bleiben wir hier
und bekommen Babys. Würde dir das gefallen?" fragte er
scherzhaft.

Sie hatte sich an ihn geschmiegt und die Augen geschlossen, als

sie spürte, wie sich erneut Verlangen in ihm regte. "Ich möchte dir
Kinder schenken", hatte sie geflüstert. "Mindestens ein Dutzend!"

Und jetzt beobachtete sie diesen geliebten, großzügigen Mann,

wie er den Gartenschlauch hinter sich herzog. Der Anblick seiner
muskulösen Gestalt verzauberte sie und ließ ihr die Kehle eng
werden.

Er war so wunderbar.

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Und wahrscheinlich sehr hungrig nach all der Gartenarbeit. Sie

durfte nicht mehr tun, als vertrocknete Bluten abzuschneiden, so
sehr lag ihm ihr Wohlergehen am Herzen.

Jetzt war er mit der Arbeit fertig, und während er dann duschte,

würde sie die Garnelen zubereiten.

Das Telefon kungelte. Sie trocknete sich die Hände, griff zum

Hörer und meldete sich.

"Hast du's?" Es war Liam, aggressiv wie immer.
Im ersten Moment stockte ihr das Herz, um dann wie rasend

weiterzuklopfen. "Wo bist du?" Plötzlich zitterte sie. Alles war so
schön gewesen, Jed war so wunderbar, so verständnisvoll, und sie
hatte den Gedanken an Liam verdrängt.

Jetzt stieg Panik in ihr auf. Am liebsten hätte sie aufgelegt und

ihn vergessen.

"Ganz nahe", beantwortete er ihre Frage. "Ich sehe mir gerade

die Vorderfront deines Hauses an. Es muss richtig was gekostet
haben.

Also, wann und wo treffen wir uns?"
Elena zwang sich, die Beherrschung zu wahren. Sie musste jetzt

nachdenken, und zwar schnell, denn jeden Moment konnte Jed
hereinkommen.

Hastig warf sie einen Blick zur Tür und sagte schroff: "Dann

siehst du ja die Doppeltür in der Mauer. Dort liegt morgen bei
Tagesanbruch ein Paket für dich." Sie legte auf, und als gleich da-
rauf Jed in der Küche erschien, stieg ihr das Blut in die Wangen.

"Alles in Ordnung?" fragte er besorgt. "Wer hat denn angerufen

hoffentlich keine schlechten Nachrichten?"

Elena versuchte, sich zusammenzunehmen und dieses lächer-

liche Zittern zu unterdrücken. Sie atmete tief ein. "Nein. Es war nur
meine Agentin, die mich daran erinnert hat, dass ich ihr eine
Zusammenfassung meines nächsten Buches schicken wollte." Sie
fühlte sich schuldig, weil sie ihn anlog, aber schließlich tat sie es
auch für ihn.

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"Liebling ..." Jed lächelte sie so liebevoll an, dass sie am liebsten

geweint hätte. "Lass dich nicht unter Druck setzen." Er kam zu ihr
und zog sie an sich. Dankbar lehnte sie den Kopf an seine breite
Brust und spürte seine warme Haut unter ihren Lippen.

"Du bist nicht auf sie angewiesen", sagte er energisch. "Und du

solltest ihnen klarmachen, dass du nur zu deinen Bedingungen
weiterschreiben wirst."

Jed war auf ihrer Seite, ergriff Partei für sie, wie er es immer tun

würde. Er würde immer versuchen, gemeinsam mit ihr alle Prob-
leme zu lösen.

Elena legte ihm die Arme um den Nacken. "Ich liebe dich!" sagte

sie heftig.

"He, glaubst du, ich wüsste das nicht? Deshalb bin ich hier, de-

shalb habe ich dich geheiratet." Lächelnd küsste er sie.

Elena löste sich vorsichtig aus Jeds Umarmung, um ihn nicht zu

wecken.

Sie hatte nicht geschlafen, sondern unruhig die Stunden gezählt.
Und nur die Tatsache, dass sie es für ihn tat, hatte sie davon

abgehalten, ihm alles zu beichten.

Jed schlief fest. Er hatte ja ein reines Gewissen. Morgen - oder

inzwischen heute - würden sie nach Sevilla fahren.

Beim Abendessen hatte er ihr erzählt, dass er den Architekten

treffen wollender das jetzige Gebäude in eine der unauffälligeleg-
anten Geschäftsstellen von Nolan's umwandeln sollte.

"Ich möchte gern deine Meinung hören. Außerdem will ich dich

bei mir haben. Ein Tag ohne dich ist verschwendete Zeit!" Seine
Augen funkelten, als er sie ansah.

"Denkst du, ich würde dich allein fahren lassen?" Elena lächelte

ihm zu. Wenn sie in Sevilla waren, hatte Liam das Paket mit dem
Geld längst abgeholt, und sie konnte ihn endlich aus ihren
Gedanken verbannen und sich auf ihr wunderbares Leben mit Jed
konzentrieren.

Jetzt glitt sie behutsam aus dem Bett. Wahrscheinlich würde sie

in Sevilla zu müde sein, um überhaupt etwas zu dem Treffen

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beitragen zu können. Nein - im Gegenteil, die Erleichterung, dass
alles vorbei war, würde ihr neuen Elan verleihen.

Im grauen Zwielicht schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und

spurte den weichen Stoff kühl auf ihrer nackten Haut.

Sie wagte kaum zu atmen. Jed schlief weiter, und sie verließ

leise das Zimmer.

Es würde nicht lange dauern, das Päckchen draußen zu de-

ponieren und wieder ins Bett zu schlüpfen. Und wenn Jed in dieser
Zeit aufwachte, würde er annehmen, sie sei im Badezimmer.

Absichtlich hatte sie ihre Handtasche auf der Arbeitsplatte in

der Küche stehen gelassen, so dass sie sie auch im Dunkeln finden
konnte.

Als sie hastig danach griff, fiel die Pfeffermühle mit lautem Ge-

polter auf den gefliesten Boden. Sie hatte vergessen, dass sie direkt
daneben stand.

In Panik umklammerte Elena die Handtasche, doch als der

Lärm verklang, hörte sie nur ihren eigenen lauten Herzschlag.

Jed war nicht aufgewacht. Sie zog das Päckchen aus der Tasche

und schlich zur Eingangstür. Jed hatte vorm Schlafengehen die
Riegel vorgeschoben. Sie quietschten furchtbar, und sie hatte sie
immer ölen wollen, fiel ihr jetzt ein.

In Angstschweiß gebadet mühte sie sich mit der Tür ab, konnte

sie endlich öffnen und trat in den kleinen Vorhof hinaus, der das
Haus von der Straße trennte.

Jetzt musste sie nur noch das Paket vor der Außentür ablegen.

Im ersten Licht des Morgens stand sie auf der steinigen Straße, und
als sie sich bückte, um das Päckchen zu deponieren, trat Liam
plötzlich aus den Schatten.

Sie presste sich die Hand vor den Mund, um einen Angstschrei

zu unterdrücken, und ließ das Päckchen fallen. Warum wartete er
hier auf sie? Sie wollte ihn nie wieder sehen, nie wieder mit ihm
sprechen.

Liam griff nach dem Paket und lächelte. "Danke, Süße. Du bist

sehr vernünftig."

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Er sah besser aus als beim letzten Mal. Seine Kleidung wirkte

neu, und ein Stück die Straße hinunter parkte ein bunter Pick-up.
Hatte er ihn geliehen? Oder gestohlen? Es kümmerte Elena nicht.
Sie wollte, dass Liam endlich ging.

"Verschwinde", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen

hervor.

"Erst wenn ich sicher bin, dass du mir keine Zeitungen unter-

schieben willst." Er öffnete das Päckchen, zog die neuen Scheine
heraus und grinste höhnisch. "Die Summe wird ja wohl stimmen.
Ich denke nicht, dass du so dumm bist, mich noch mal zu betrügen.
Das wird fürs erste Mal reichen."

"Es wird kein zweites Mal geben", erwiderte sie kalt und ruhig,

obwohl sie ihn am liebsten angeschrien hätte. "Nimm es und geh,
und sei dankbar, dass ich dich nicht ins Gefängnis gebracht habe!"

Sie hörte, wie hinter ihr die Tür in der Mauer geöffnet wurde,

und plötzlich durchflutete sie eine Welle der Erleichterung. Um
Jeds willen hatte sie versucht, ihm diesen schmutzigen Handel zu
verheimlichen, doch er war aufgewacht und ihr gefolgt. Und das
bedeutete, dass sie ihn nun endlich nicht mehr hintergehen musste.

Sollte Liam seine Lügen tatsächlich an die Schmierblätter

verkaufen, wenn sie sich weigerte, noch mehr zu zahlen - und das
würde Jed verhindern -, dann wäre er zumindest vorgewarnt.

"Verschwinden Sie, Forrester." Jeds Stimme war hart und kalt.
"Wenn ich Sie hier noch einmal sehe, sorge ich persönlich dafür,

dass Sie es nie vergessen werden." Sein energischer Ton tat seine
Wirkung.

Liam stopfte die Scheine schnell ins Päckchen zurück, als hätte

er Angst, Jed würde sie ihm wegnehmen.

Elena drehte sich um und rannte zu Jed. Sie legte ihm die Hand

auf den Arm und spürte seine warme Haut unter ihren kühlen
Fingern.

"Danke", sagte sie heiser, und es kam von Herzen.
"Geh wieder rein, bevor du dich erkältest." Mit einem kurzen

Blick streifte er den seidenen Morgenmantel, der ihren nackten

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Körper kaum verbarg, und ging in den Hof zurück. Er wartete, bis
sie gefolgt war, verriegelte dann die große Doppeltür von innen und
ging ins Haus, direkt ins Badezimmer. Elena stand davor, zitternd
vor Ungewissheit, und lauschte auf das Geräusch der Dusche.

Er dachte doch wohl nicht, dass sie ...
Sie stieß die Tür auf, als Jed gerade die Dusche abstellte und

nach einem Handtuch griff. "Geh wieder ins Bett. Dein heimliches
Stelldichein hat dich anscheinend sehr erschöpft. Komisch, ich
hätte nicht einmal etwas davon gemerkt, wenn ich mich nicht um
dich sorgen würde. Was hast du getan? Ihm Geld zugesteckt, weil er
dir Leid tut? Oder weil es dir gefällt, Männer an der Leine zu
halten?

Kannst du ihn nicht gehen lassen?"
Immer noch sprach er in diesem gleichgültigen, gefühllosen

Ton.

Das machte alles noch schlimmer. Es konnte doch nicht zum

zweiten Mal so schief gehen!

Jed warf das Handtuch beiseite. "Ich habe Geräusche gehört,

das Quietschen der Türriegel. Ich dachte, du könntest nicht sch-
lafen, und wollte nicht, dass du allein bist. Aber du warst nicht
allein."

Elena wusste, wie es auf ihn wirken musste. Doch sie würde

nicht tatenlos abwarten, bis ihre gemeinsame Zukunft sich in
Nichts auflöste. Als er an ihr vorbei ins Schlafzimmer ging, sagte sie
energisch: "Jed, würdest du mir bitte zuhören?"

"Nein, das habe ich schon zur Genüge getan." Er schlüpfte in

einen leichten hellgrauen Anzug und band sich eine schwarze
Krawatte um.

"Du bist eine verdammt gute Märchenerzählerin.
Ich weiß manchmal selbst nicht mehr, was Wahrheit und was

Fantasie ist." Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und
wandte sich zur Tür. "Vielleicht komme ich heute Abend aus Sevilla
zurück.

Vielleicht auch nicht."

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Er ging, und Elena ließ sich auf die Bettkante sinken, ohne auf

die Tränen zu achten, die ihr die Wangen hinabliefen.

Das alles konnte doch nicht zum zweiten Mal passieren, oder?

Er hatte sich schon einmal geweigert, ihr zuzuhören - hatte er
nichts daraus gelernt?

Doch. Er hatte lange nachgedacht, alles, was passiert war, gegen

das abgewogen, was er von ihr kannte, und war am Ende zur
Wahrheit gelangt.

Andererseits hatte er seine Meinung über sie vielleicht geändert,

weil er sie mit Liam gesehen hatte. Mit ihrer Erklärung für das erste
Treffen hatte er sich noch zufrieden geben können, doch heute ...
All das Geld, das nur von ihr kommen konnte. Die Tatsache, dass
sie sich heimlich hinausgeschlichen hatte, um ihren Exmann zu
treffen.

Glaubte Jed, sie hätte ihn die ganze Zeit angelogen? Auch über

Dans Baby?

Sie verbrachte den Tag zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Jed kam abends nicht. Dafür tauchte Pilar auf.

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12. KAPITEL

Elena wusste, dass sie um des Babys willen etwas essen musste.
Gleichgültig bereitete sie sich gerade einen Obstsalat zu, als sie

das vertraute Geräusch eines Mopeds hörte.

Es war Pilar, die nach dem Bewässerungssystem für die Topfp-

flanzen auf der Terrasse und im Hof sehen wollte, wie sie es
mindestens einmal in der Woche tat, wenn Elena auf Reisen war.

Anscheinend hatte sie erfahren, dass Elena zu Hause war, und

wollte ihre normalen Pflichten wieder aufnehmen.

Doch Elena wollte niemanden sehen. Nur Jed. Und der hatte es

anscheinend nicht eilig, zurückzukommen.

Seufzend fügte sie sich ins Unvermeidliche, als sie Pilars

schwere Schritte im Flur hörte. Pilar war eine stämmige Frau voller
Humor und Energie. Elena mochte sie sehr und schwor sich, sie
nicht merken zu lassen, dass sie lieber allein gewesen wäre.

"Sie bekommen also ein Baby - wie schön! Sie werden viel

Freude damit haben. Ich als fünffache Mutter weiß das!" sagte Pilar
in ihrem gebrochenen Englisch.

Elena sah an sich hinunter. Sie war erst im vierten Monat - sah

man ihr die Schwangerschaft schon so deutlich an?

Gleich darauf klärte Pilar sie auf. "Senor Nolan hat mir die gute

Nachricht erzählt. Er sagt, dass Sie wieder zu Hause sind und Hilfe
brauchen."

"Wann war er bei Ihnen? Heute Morgen?" War er etwa im Dorf

gewesen, ohne bei ihr vorbeizukommen? Schloss er sie schon
wieder aus seinem Leben aus?

"Nein, nein." Pilar sah Elena an, als zweifelte sie an ihrem Ver-

stand. "Gestern um die Mittagszeit. Er hat im Dorf nach mir ge-
fragt. Und weil ich all die Jahre darauf bestanden habe, dass Sie
Englisch mit mir sprechen, konnte ich ihn sogar ganz gut
verstehen."

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Elena allerdings verstand nichts. Gestern Mittag hätte Jed in

Sevilla sein müssen. Doch Pilar ließ ihr keine Zeit zum Nachden-
ken. "Tomas soll den Garten bewässern und die andere schwere
Arbeit machen.

Das ist sehr gut. Er ist mit dem Fahrrad auf dem Weg hierher,

weil mein Moped uns beide nicht trägt. Wollen Sie nur Obst essen,
oder soll ich Ihnen eine schöne Tortilla machen?"

"Obst", erwiderte Elena schwach und fuhr in ihrer Arbeit fort,

bevor Pilar ihre Drohung wahr machen konnte.

Sie konnte Pilars Begeisterung verstehen. Pilars Mann Tomas

arbeitete nur höchst ungern. Er saß lieber den ganzen Tag im Café,
trank Kaffee, rauchte seine stinkenden Zigarillos und las die Zei-
tung, während er es seiner Frau überließ, die Familie zu ernähren.
Sie war sicher entzückt, dass er etwas hinzuverdienen konnte.

Als Pilar mit Eimern und Besen herumzuklappern begann,

nahm Elena ihren Obstsalat mit in den Garten und setzte sich in
den Schatten des großen Feigenbaumes. Pilar würde sie holen,
wenn Jed anrief. Obwohl sie aufgehört hatte, auf seinen Anruf zu
hoffen.

Aus Pflichtgefühl hatte er dafür gesorgt, dass sie alle Hilfe hatte,

die sie brauchte, hatte Pilar wahrscheinlich auch ermahnt, darauf
zu achten, dass sie, Elena, genug aß. Er kümmerte sich um ihr
Wohlergehen und um das des ungeborenen Kindes seines Bruders,
aber das war auch alles.

Gegen Abend waren der Schmerz und das Gefühl des Verlustes

unerträglich geworden. Seine Geschäfte in Sevilla konnten so lange
doch nicht dauern, oder? Wenn er zurückkommen wollte, dann
wäre er jetzt schon hier. Vom ständigen Lauschen auf seinen Wa-
gen hatte sie Kopfschmerzen.

Als Pilar ihr Moped durch den Hof schob, um sich auf den

Heimweg zu machen, ermahnte sie Elena, auch ja von dem Häh-
nchen in Tomatensauce zu essen, das sie zubereitet hatte. Elena
stand an der Tür, rang sich ein Lächeln ab und versprach es. Sie

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wollte sich Pilar gegenüber nicht anmerken lassen, wie verzweifelt
und unglücklich sie sich fühlte.

Dann hörte sie das Geräusch eines sich nähernden Wagens, und

jetzt lächelte sie vor Freude und Erleichterung. Er war
zurückgekommen!

Die Knie wurden ihr weich, und sie ließ sich gegen den Türrah-

men sinken, als Jed durch die Außentür in den Hof trat. Selbst
durch den Tränenschleier in ihren Augen bemerkte sie, wie er-
schöpft und müde er aussah. Nachdem er einige Worte mit Pilar
gewechselt hatte, kam er auf Elena zu, und seine finstere Miene ließ
sie frösteln. Nichts hatte sich geändert.

Er ging an ihr vorbei ins Haus. Sie folgte ihm, und als sie ins

Wohnzimmer traten, fragte er: "Sollen wir reden?"

Genau das wollte sie. Seine eiskalte Stimme, seine Augen, sein

Verhalten verrieten ihr jedoch, dass er etwas sagen würde, das sie
nicht ertragen konnte.

Ihr zitterten die Knie so stark, dass sie sich an der Rückenlehne

eines Stuhls festhalten musste. Jed stellte seine Aktentasche auf
dem Tisch ab und sagte: "Sicher hast du schon bemerkt, dass Pilar
und Tomas dir jede Hilfe geben werden, die du brauchst. Gestern
Abend habe ich Catherine angerufen und ihr gesagt, dass du die Ge-
burt des Kindes in Las Rocas abwarten willst, weil du dich hier am
wohlsten fühlst."

Er schob die Hände in die Hosentaschen und blickte zum Fen-

ster hinaus, als wäre sie gar nicht da. "Morgen fliege ich für vier, vi-
elleicht fünf Wochen nach New York. Danach werde ich ab und zu
vorbeikommen, und kurz vor der Geburt werden wir in ein Hotel in
Cadiz ziehen. Ich habe dich dort in einer Privatklinik angemeldet."

Ausdruckslos fügte er hinzu: "Du hast dich doch bestimmt mit

diesen Dingen beschäftigt, als du beschlossen hast, ein Kind zu
bekommen."

Ungläubig hatte Elena zugehört, wie er in leidenschaftslosem

Ton Pläne für eine düstere Zukunft machte, und jetzt stieß sie her-
vor: "Tu uns das nicht an, Jed!"

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Langsam drehte er sich zu ihr um. "Meine Liebe, ich glaube

nicht, dass ich es bin, der ,uns' etwas antut."

Er öffnete seine Aktentasche und zog ein allzu vertrautes

Päckchen hervor. "Das gehört dir. Ich hoffe, du gehst jetzt vernün-
ftiger damit um." Als er ihren verwirrten Blick bemerkte, fügte er
schroff hinzu:

"Gestern Morgen bin ich auf der Suche nach ihm durchs Dorf

gefahren. Ich dachte mir, dass er in der Nähe wohnen muss, an-
gesichts eurer nächtlichen Verabredung. Vor einer billigen Pension
stand sein Auto. Ich habe ihn überredet, dies hier zurückzugeben."
Jed ließ das Paket auf den Tisch fallen, einen angewiderten Aus-
druck im Gesicht.

"Hoffentlich bist du nicht zu enttäuscht - aber du wirst nie mehr

etwas von ihm hören oder sehen. Ich habe ihm das so deutlich
gemacht, dass selbst er es nicht missverstehen könnte."

Jed schloss die Aktentasche. "Ich rufe dich von New York aus

an."

Damit ging er.
Elena ließ ihn gehen. Es hätte keinen Zweck gehabt, ihm hinter-

herzulaufen, mit ihm zu streiten, ihn anzuflehen. Jed Nolan hatte
sich zu etwas entschlossen, und sie konnte nichts tun oder sagen,
um ihn davon abzubringen.

Pflichtbewusst rief er jede Woche aus New York an. Elenas

Verzweiflung wich Hoffnungslosigkeit und dann stumpfer Apathie.

Seine Fragen waren einseitig und unverblümt, und sie musste

sich zwingen, sie zu beantworten: Ja, es ging ihr gut. Ja, sie ging re-
gelmäßig zu ihrem Gynäkologen in Cadiz. Ja, sie hatte sich das
Krankenhaus angesehen.

Und das war es. Das war alles.
Noch mehr als seine Anrufe deprimierte sie Jeds erster Besuch.

Es war Mittags, und er trug ein dünnes weißes T-Shirt und eine
leichte graue Hose. Elena schwitzte in der Mittagshitze, und das
Haar fiel ihr strähnig ins Gesicht. Sie fühlte sich dick und hässlich
und wollte ihn nicht sehen.

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Er ging, als Pilar ging, und Elena kauerte sich auf dem Sofa

zusammen und weinte. Ihr war, als hätte man sie in ein tiefes Loch
gestoßen, aus dem sie nie wieder herauskommen würde. Vielleicht
wollte sie es auch nicht.

Bei seinem zweiten Besuch einen Monat später ging er lange vor

Pilar, die ganz außer sich war vor Aufregung. "Senor Nolan küm-
mert sich so um Sie! Nur schade, dass er wegen seiner Arbeit im-
mer weg ist. Aber ...", sie konnte kaum an sich halten, "... letztes
Mal hat er gesagt, dass er uns ein Auto kauft. Und gestern ist es
gekommen. Ein neues Auto, für uns, damit Tomas Sie überall hin-
fahren kann. Senor Nolan wollte wissen, ob Tomas auch ein sicher-
er Fahrer ist, und ich habe ihm gesagt, dass er viel zu faul ist, um
schnell zu fahren!"

Jed tat seine Pflicht. Darin war er gut. Elena fürchtete sich vor

seinem nächsten Besuch. In einem Monat würde sie noch dicker
sein.

Sie wollte nicht, dass er sie so sah: fett, langweilig, leblos. Sie

fürchtete seine höflichen Fragen nach ihrem Befinden, ob sie genug
esse und sich genügend ausruhe.

Er brachte auch einige Neuigkeiten, nicht über sich, sondern

über Catherine und Susan - wie gut sie sich in ihrem Cottage
eingelebt hätten, dass sie den ganzen Garten umgestalten ließen
und Flohmärkte und Antiquitätenläden auf der Suche nach Möbeln
durchstreiften.

Also musste er inzwischen auf Netherhaye gewesen sein.
Er erzählte ihr auch, dass die beiden mit dem Gedanken spiel-

ten, sie zu besuchen, und dass er ihnen abgeraten habe, indem er
ihnen sagte, dass sie an einem neuen Buch arbeite. Schrieb sie
zurzeit?

Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie versuchte nur, einen Tag nach

dem anderen hinter sich zu bringen, und selbst das überstieg
manchmal ihre Kräfte.

Ohne dass er darüber gesprochen hatte, wusste sie, dass er sich

nach der Geburt scheiden lassen würde. Catherine hatte sich

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gefangen und war mit ihrem neuen Leben beschäftigt. Es gab kein-
en Grund mehr, ihr etwas vorzumachen.

Seltsamerweise verstand Elena ihn jetzt besser als zuvor. Er war

ein durch und durch ehrenhafter Mann, der Pflicht und Verantwor-
tung ernst nahm - das bewies allein die Tatsache, dass er sich um
sie kümmerte, wenn auch nur aus der Ferne.

Ein Mann, der Wort hielt. Für eine Frau, die etwas getan hatte,

das er als Verrat betrachtete, konnte er nur Verachtung übrig
haben.

Sie wusste, dass er sie einmal geliebt hatte. Aber er konnte nicht

bei ihr bleiben.

Nichts würde ihn halten.
Nicht einmal ihre große und ehrliche Liebe?
Anfang Oktober, als die ersten kühlen Herbstwinde von den

Bergen herabwehten, traf ein Paket mit Babysachen ein und riss
Elena aus ihrer Lethargie.

Das Paket kam von Catherine und Susan, und Elena wählte die

Nummer, die Jed ihr gegeben hatte, um mit den beiden zu
sprechen.

Es war Catherine, die sagte: "Wie schön, dass es dir besser geht.

Als wir letztes Mal telefoniert haben, klangst du so teilnahmslos,
dass ich mir Sorgen gemacht habe. Du musst Jed sehr vermissen -
ich verstehe nicht, warum er die Auslandsreisen nicht jemand an-
ders überträgt."

"Eure netten Sachen haben mich richtig aufgeheitert." Und

Elena meinte es wirklich so. Bisher hatte sie sich noch nicht um die
Babyausstattung gekümmert.

"Erinnerst du dich, als ich dir damals sagte, ich hätte Dan im-

mer vorgezogen, und warum? Inzwischen habe ich mit Jed darüber
geredet." Catherine lachte leise. "Und weißt du, was er gesagt hat?

Dass er sich das schon gedacht habe und dass es in bestimmten

Situationen geholfen habe. Ich weiß nicht, was er damit meinte,
und er wollte es mir nicht sagen. Trotzdem bin ich froh, dass ich
mit ihm gesprochen habe."

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Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, überlegte Elena

traurig, dass sie wusste, was er damit gemeint hatte: dass er
nachgedacht hatte.

Er glaubte, was sie ihm über die Empfängnis des Babys erzählt

hatte, glaubte auch, dass er bei ihr immer an erster Stelle kommen
würde.

Liams Auftauchen in Las Rocas hatte alles geändert. Jed stellte

ihre Ehrlichkeit erneut in Frage, zweifelte an seinem Urteilsvermö-
gen über ihren Charakter, wog alle ihm bekannten Tatsachen ge-
geneinander ab und entschied sich gegen sie, Elena.

Es war das Schlimmste, was ihr je passiert war, doch sie musste

akzeptieren, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Deshalb
machte sie sich mit Pilar und Tomas daran, das Schlafzimmer in ein
Kinderzimmer umzugestalten, und als das geschafft war, gingen sie
gemeinsam einkaufen.

Sie und Pilar saßen in ihren besten Kleidern auf dem Rücksitz,

während Tomas, in seinem guten blauen Anzug, stolz den Wagen
lenkte.

Nachdem sie stundenlang in den Geschäften herumgelaufen

waren und von der Wiege bis zum Teddybär alles gekauft hatten,
waren sie völlig erschöpft. Elena lud die beiden zum Mittagessen
ein und war überrascht, dass sie hungrig war. Und dass sie sich
amüsierte.

Das Leben ging also weiter. Jetzt war es Anfang November, und

in den kalten Nächten brannte ein großes Feuer im Kamin, für das
Tomas täglich Holz hackte.

Elena vermutete, dass Jed bald kommen würde, um sie bis zur

Geburt ins Hotel in Cadiz zu bringen, damit sie in der Nähe des
Krankenhauses war. Er würde sein Wort halten, egal, wie schwierig
es dadurch für sie beide werden würde. Egal auch, wie sehr seine
Gegenwart den schrecklichen, brennenden Schmerz in ihrem
Herzen wieder aufleben lassen würde.

Er kam an einem Abend, als es in Strömen regnete. Elena hörte,

wie er ihren Namen rief, befahl sich, nicht in Panik auszubrechen,

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und unterdrückte den Schmerz und die Sehnsucht nach etwas, das
nie wieder sein würde.

Mühsam erhob sie sich aus dem Sessel, in dem sie gegessen, in

die tanzenden Flammen im Kamin geschaut und auf das Heulen
des Windes im Schornstein gelauscht hatte. Sie strich sich die weite
Bluse glatt, die sie über ihrer Umstandshose trug, und weigerte sich
energisch, sich wegen ihres Aussehens zu schämen.

Sie legte sich die Hand auf den Bauch. Dies war ihr Baby und ihr

Leben. Jed wollte von beiden nichts wissen. Als er den warmen,
gemütlichen Raum betrat, sagte sie: "Ich glaube, du kehrst besser
sofort um, bevor die Straße unpassierbar wird."

Bei seinen Besuchen war er nie über Nacht geblieben. Sie hatte

ihn nicht dazu aufgefordert, und er hätte es wahrscheinlich auch
nicht gewollt. "Bei einem solchen Wetter könnte es Steinschlag
geben, und die Straße ins Dorf verwandelt sich in einen Fluss." Sie
bemerkte, wie blass und hohlwangig er aussah, traute sich aber
nicht, ihm ihr Mitgefühl zu zeigen. "Du hättest nicht herzukommen
brauchen."

"Das finde ich doch", sagte er schroff, als wäre nur seine Mein-

ung von Bedeutung. Er zog seinen tropfnassen Regenmantel aus
und ließ ihn zu Boden fallen. Und als er sie anblickte, erkannte sie
Gefühle in seinen Augen, die sie seit Monaten vermisst hatte.

"Erstens." Er trat näher. "Du solltest bei einem solchen Wetter

nicht allein sein. Zweitens." Jetzt war er so nahe, dass er sie hätte
berühren können. "Ich musste herkommen. Ich kann nicht ohne
dich sein.

Schick mich nicht weg."
Elena betrachtete ihn forschend, sah die Entschlossenheit in

seinen Gesichtszügen und noch etwas, das fast an ein Flehen
erinnerte.

Meinte er, dass er aus Verantwortungsbewusstsein für sie und

Dans ungeborenes Kind keine ruhige Minute hätte, weil sie nach
Pilars und Tomas' Heimkehr nachts hier allein war?

Oder meinte er etwas anderes?

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"Ich verstehe nicht ...", stieß sie hervor und verstummte, als die

leichten Rückenschmerzen, die sie den ganzen Tag über gehabt
hatte, sich plötzlich zu einem Krampf verstärkten. Sie unterdrückte
ein Stöhnen, wartete, bis es vorbei war, und ließ sich in ihren Sessel
sinken.

Sofort kniete er vor ihr nieder. "Alles in Ordnung?"
"Ja." Am liebsten wäre sie mit der Hand durch sein nasses,

zerzaustes Haar gefahren - doch sie verbot es sich.

Jed betrachtete sie forschend und schien sich damit zufrieden

zu geben. Er stand auf, um einige Scheite aufs Feuer zu legen, und
begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.

"Ich habe dich in den Himmel gehoben", begann er mit tiefer

Selbstverachtung. "Und dazu hatte ich kein Recht. Niemand ist per-
fekt." Er lächelte leicht. "Nicht einmal ich. Gerade ich nicht. Ich
habe geglaubt, was du mir über das Baby erzählt hast, weil ich im
Herzen wusste, dass du die Wahrheit gesagt hast. Aber diese
Geschichte mit Forrester hat mich völlig aus der Bahn geworfen.
Ich wusste nicht mehr, was ich glauben sollte."

Er sah in die Flammen, eine Hand auf das Kaminsims gestützt,

als die nächste Wehe kam. Elena hielt den Atem an und schwieg.
Dies hier war wichtiger.

Er sprach weiter. "Und das war dumm von mir. Wenn du

Mitleid mit ihm hattest und ihm helfen wolltest, wieder auf die
Beine zu kommen, dann hatte ich nicht das Recht, dich aus Eifer-
sucht daran zu hindern. Schließlich warst du mit ihm verheiratet
und musst ihn irgendwann einmal geliebt haben."

Schweigend stand Elena auf und presste sich die Hände in den

Rücken. Die Wehen kamen jetzt stärker und in kürzeren
Abständen.

Doch bevor sie ihm etwas davon sagte, musste sie alles wissen.
"Willst du damit sagen, wir sollten noch einmal versuchen, un-

sere Ehe zu retten?"

"Nicht versuchen." Jed drehte sich zu ihr um. "Es wird klappen

wenn du mir verzeihen kannst."

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"Warum jetzt?" fragte sie heiser und traute sich kaum, an seinen

plötzlichen Sinneswandel zu glauben. "Vor vier Monaten bist du
gegangen, und selbst bei deinen Pflichtbesuchen war es, als würden
wir auf verschiedenen Planeten leben."

"Glaubst du, ich wusste das nicht? Glaubst du, es hätte mir nicht

wehgetan?" Er betrachtete sie gequält. "Glaubst du, ich wusste
nicht, was für ein Idiot ich war? Ich kann nicht ohne dich leben,
Elena. Ich liebe dich, verdammt noch mal!"

Das war Jed, ihr Jed. Der die Gefühle zeigte, die er unterdrückt

hatte. Seine Schwächen waren menschlich, genau wie ihre. Doch es
kam nur auf seine Stärken an, und sie würde sie mit ihren eigenen
vereinen. Sie würde den Mut finden, seine Worte zu akzeptieren.

Langsam ging sie auf ihn zu und legte ihm die Hände auf die

Schultern.

"Ich liebe dich. Es hat wehgetan, aber ich habe nie damit

aufgehört."

Mit zitternden Händen griff er nach ihr, umarmte sie, und sein

Kuss war sanft und unendlich liebevoll. "Ich möchte dich immer so
halten", stieß er heiser hervor. "Eigentlich bin ich ein Verstandes-
mensch, aber bei dir lasse ich mich nur von meinen Gefühlen leiten.
Ich wollte dir das alles schon vor Monaten erzählen, doch ich hatte
Angst, alles zu verderben - dass du mir keine zweite Chance geben
würdest. Wenn ich mich nächstes Mal wie ein Idiot benehme, ver-
passt du mir eine Ohrfeige, versprochen?"

"Versprochen. Wenn du etwas für mich tust."
"Alles."
Es gab keinen Zweifel an seiner Ehrlichkeit. "Ruf Tomas an und

sag ihm, er soll Pilar sofort herbringen. Sie hat fünf Kinder und
Dutzenden auf die Welt geholfen."

Der Schock dauerte nur eine Sekunde. "Das Baby kommt?"

fragte er.

Sie nickte. "Einige Wochen zu früh."
"Pack deine Sachen. Ich fahre dich nach Cadiz."

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Doch Elena wusste es besser. "Zu spät. Ruf Pilar an." Die näch-

ste Wehe kam und trieb ihr Schweißperlen auf die Stirn. Sie hätte
nie gedacht, dass alles so schnell gehen würde.

Jed betrachtete sie kurz und verließ das Zimmer. Gleich darauf

war er zurück. "Sie sind unterwegs. Und auch ein Arzt und eine He-
bamme aus dem Krankenhaus." Er griff nach ihrer Hand. "Es wird
schon gut gehen. Mach dir keine Sorgen."

Sie umklammerte seine Hand. Der Arzt und die Hebamme

würden es nicht mehr rechtzeitig schaffen, aber solange Jed bei ihr
war, war alles in Ordnung. "Liebst du mich?" stieß sie zwischen den
Wehen hervor, die in immer kürzeren Abständen kamen. "Das ist
das Einzige, um das ich mir jetzt Sorgen mache."

"Mehr als mein Leben!" Er umfasste ihr Gesicht mit beiden

Händen. "Ich habe dich immer geliebt und werde dich immer
lieben, das musst du mir glauben."

Das tat sie. Lächelnd blickte sie zu ihm auf. "Und ich liebe dich.
Das einzige Problem ist jetzt also, wie ich ins Schlafzimmer

komme."

"Ganz einfach." Behutsam nahm er sie auf die Arme, trug sie

hinüber und legte sie vorsichtig aufs Bett.

"Du bist ein echter Held, wenn du so ganz einfach das Gewicht

eines jungen Elefanten tragen kannst!" sagte sie scherzhaft und er-
hob sich mühsam wieder vom Bett. "Ich glaube, es ist besser, wenn
ich mich bewege. Hilf mir bitte in den Morgenmantel, Jed."

Er gehorchte, liebevolle Besorgnis im Blick, und sie sah die Er-

leichterung in seinen Augen, als Pilar ins Zimmer stürmte, einen
Stapel Handtücher auf dem Arm. Elena berührte seine Wange sanft
mit der Hand. "Es wird schon klappen."

"Natürlich!" sagte Pilar energisch. "So was passiert ständig! To-

mas sorgt für heißes Wasser." Sie prüfte, in welchem Abstand die
Wehen kamen, und nickte dann, "Es geht bald los. Ich hole alles,
was wir brauchen."

Sehr bald sogar, das spürte Elena. "Etwas solltest du noch wis-

sen, mein Liebling. Über Liam ..."

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"Psst." Jed legte ihr den Finger auf die Lippen. "Wenn du um

ihn besorgt bist und ihm wirklich helfen willst, dann finde ich ihn
und gebe ihm das Geld zurück. Ich hatte kein Recht, es ihm
wegzunehmen."

"Lässt du mich bitte ausreden?" Der körperliche Schmerz

machte sie nicht sanft und gefügig, sondern gereizt. "Verdammt, ich
habe ihm die zehntausend Pfund nicht freiwillig gegeben! Er hat
mich erpresst.

Er hat gedroht ...", sie stöhnte vor Schmerz, "... meinen Namen

in die Sensationspresse zu bringen, wenn ich ihm das Geld nicht
geben würde. Und damit auch deinen und den der Firma. Ich
wusste, dass du

... nie darauf eingehen würdest. Ich habe nicht an mich gedacht,

sondern ... an dich. Wollte es von dir fern halten. Lieber Himmel..."

Das Baby hatte es sehr eilig, auf die Welt zu kommen! Pilar war

wieder da, übernahm das Kommando und half ihr ins Bett. Jed
hielt Elenas Hand und sprach beruhigend und liebevoll auf sie ein.

Dann sagte er stockend: "Dieses Baby ist wie sein Vater.
Ungeduldig. Dan konnte sich nie zurückhalten, selbst als er

noch ganz klein war. Wenn ihm etwas in den Kopf kam, wollte er es
sofort tun: zum Beispiel auf hohe Bäume oder aufs Dach klettern.
Meine Eltern mussten ihn ständig im Auge behalten. Deshalb
wurde er nie in ein Internat geschickt." Jed tauchte ein Tuch in
Lavendelwasser, um ihr die Schweißperlen von der Stirn zu tupfen.
"Körperlich war er sehr zart, aber er sprühte vor Temperament. Er
hätte sich kaputtgemacht, wenn man nicht auf ihn aufgepasst
hätte."

"Hat es dir etwas ausgemacht?" Sie konnte kaum sprechen und

umklammerte seine Hand, als wollte sie sie zerquetschen.

"Am Anfang ja. Ich habe geglaubt, meine Eltern wollten mich

loswerden, weil das Baby da war. Manchmal habe ich Dan sogar ge-
hasst. Erst mit fünfzehn oder sechzehn fing ich an, alles zu ver-
stehen. Du hattest Recht. Als ich wusste, dass du mit Dans Kind
schwanger warst, kamen die alten Gefühle wieder hoch, aber nicht

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für lange. Ich habe mich geirrt - wegen Liam", fügte er hinzu.
"Hätte ich gewusst, dass er dich erpresst hat, dann hätte ich ihm
noch einiges angetan, anstatt nur das Geld zu nehmen und ihm zu
drohen."

Elena hörte ihn nicht mehr. Jed hebte sie, und ihre Welt war

wieder in Ordnung. Jetzt musste sie ihre Arbeit tun, und es war
harte Arbeit, wie es schien.

Fünfzehn Minuten später hielt sie ihre Tochter im Arm: neun

Pfund schwer, voller Leben, mit blauen Augen und dichtem blon-
dem Haar.

"Sie sieht genau aus wie du. Sie hat sogar dein eigensinniges

Kinn!" Jed kitzelte die Zusammengeballten winzigen Finger. "Bevor
du fragst: Nein, es macht mir nichts aus, dass sie biologisch nicht
mein Kind ist. In jeder anderen Hinsicht ist sie es, und wird es im-
mer sein. Deins und meins."

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Epilog

Auf stämmigen Beinchen kletterte Daniela Nolan die Stufen

vom Garten zur Terrasse hinauf. Sie hatte Tomas geholfen, die
Pflanzen zu bewässern, und ihre Latzhose war feucht.

Sie mochte Tomas und Pilar gem. Eigentlich mochte sie alles

gern, außer Spinat. Mummy sagte zwar, dass das anders werden
würde, wenn sie größer wäre, aber Daniela glaubte ihr nicht. Sch-
ließlich war sie ja schon groß, fast vier Jahre alt!

Sie kletterte die letzten Stufen hinauf. Jetzt würde sie ihren

Zwillingsbrüdern das Sprechen beibringen. Sie waren fast ein Jahr
alt, also wurde es Zeit. Danach würde sie ihnen Lesen beibringen,
und dann, wie man richtige Bilder malte.

Die beiden krabbelten unter den wachsamen Augen von

Mummy und Daddy auf der Terrasse herum. Mummy und Daddy
lagen dicht nebeneinander auf ihren Liegen und hielten sich schon
wieder bei der Hand.

Sie hielten sich ständig bei der Hand und schmusten. Daniela

hatte nichts dagegen, solange sie ihren Anteil bekam. Sie liebte die
beiden sehr. Ohne auf ihre strampelnden Brüder zu achten, rannte
sie über die Terrasse und warf sich in vier liebevoll ausgestreckte
Arme.

-ENDE

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