Blue, A J ROCK ME, SANTA

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ROCK

ME

SANTA

A.J. Blue

Kindle Edition – 21.12.2014

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Copyright

Copyright © 2014 by A.J. Blue

Motiv Cover: © gpointstudio - Fotolia.com

Motiv ‘Merry Christmas’ Titelseite: © tatishdesign - Fotolia.com

Covergestaltung: © A.J. Blue

Lektorat: Frauke von Essen

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher

Genehmigung von A.J. Blue.

Kontakt: ajblue@web.de

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Über den Autor

A.J. Blue ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen
Autorin. Ihre Romane gehören zu den Bestsellern im Bereich
erotische Liebesromane. Nach der Erfolgsserie „Herren der
Liebe“ will A.J. Blue nun mit ihrer neuen Serie „Bad Boys
Agency“, die Anfang 2015 erscheinen wird, die Herzen der Leser
erobern. Mehr Informationen über A.J. Blue und alle aktuellen
Projekte findet ihr auf ihrer Facebook-Seite:

http://www.face-

book.com/AJBlue

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Inhaltsverzeichnis

ROCK ME
SANTA
Copyright
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
1
2
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6
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10
Impressum

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1

Elias (Leo)

Sie tänzelt über den Boden, dreht eine perfekte Pirouette, läuft

dann auf mich zu, hebt ab und fliegt mir entgegen. Ich strecke die
Arme aus, fange sie auf, umfasse ihre schlanke Taille, hebe sie hoch
und lasse sie über meinem Kopf schweben, als wäre sie leicht wie
eine Feder.

Kleine Schneeflocken wirbeln um uns herum, während wir uns

bereit machen für den schwierigsten Part: in dieser Position ge-
meinsam nach hinten zu fallen. Ich atme tief durch, konzentriere
mich und übe mit dem rechten Daumen leichten Druck auf ihre
Hüfte aus - unser Zeichen für den Absprung.

Ich spüre, wie sie ihren Körper noch mehr anspannt und hebele

sie mit aller Kraft nach oben, damit sie genügend Spielraum für
ihre Flugrolle hat und wir uns nicht in die Quere kommen. In dem
Moment, in dem ich sie loslasse, seufzen meine Muskeln erleichtert
auf und ich konzentriere mich auf meinen Part.

Ich kann diesen Sprung schwer beschreiben, er ist eine Mis-

chung aus Rückwärtssalto und Drehung und hat mich jahrelange
Übung und sehr viele blaue Flecken gekostet. Es ist mein Sprung –
der Löwensprung.

Ich lande auf den Füßen, stütze die Hände auf den Boden und

fixiere das unsichtbare Publikum mit meinem Blick, als ich direkt
hinter mir einen Schrei höre.

Oh Scheiße, denke ich, richte mich auf und wirbele herum.
Sophia liegt am Boden und hält sich den Knöchel. Ihr hübsches

Gesicht ist schmerzverzerrt ihre braunen Augen schimmern feucht.

„Sophia!“

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„Elias, ich …“, keucht sie und bricht dann ab, während die Trän-

en über ihre Wangen laufen. Ich knie mich neben sie und betrachte
ihren Knöchel. Innerhalb weniger Sekunden sind auch alle anderen
Tänzer neben uns.

„Scheiße, Baby, was ist passiert?“ Marc, Sophias Freund, drängt

mich zur Seite und zieht sie in seine Arme. Sie vergräbt den Kopf an
seiner nackten Brust, während unser Produzent Adam nun eben-
falls auf die Bühne gestürmt kommt.

„Sophia, Schätzchen. Oh Gott! Wie geht es dir? Kannst du ihn

bewegen?“

Er nimmt ihr Bein in die Hand, betastet den Knöchel und Sophia

schreit laut auf vor Schmerzen.

„Was steht ihr hier herum? Ruft vielleicht mal jemand einen

Krankenwagen?“, zetert Adam und rauft sich die Haare. Die An-
spannung steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Wie aufgeregte Hühner flattern alle um Sophia herum. Und ob-

wohl ich gar nicht weiß, wie genau das eigentlich passiert ist, fühle
ich mich schuldig.

Raphael und Dennis, unser Ehepaar im Ensemble und außerdem

meine besten Freunde, kommen auf mich zu. Rapha legt mir fre-
undschaftlich einen Arm um die Schultern, während Dennis mir ein
Handtuch reicht, damit ich mir den Schweiß von der nackten Brust
wischen kann.

„Es war nicht deine Schuld, Leo. Du hast sie perfekt abgestoßen.

Sie ist bei der Landung auf den Schneeflocken ausgerutscht.“

Ich nicke hilflos und sehe zu, wie Marc Sophia hochnimmt und

sie von der Bühne trägt.

So eine Scheiße! Das sah gar nicht gut aus. Was soll denn jetzt

werden?

Sophia und ich sind die beiden Hauptdarsteller der, wie Adam es

gerne beschreibt, ‚heißesten Weihnachtsshow ever!‘

Rock me, Santa ist eine Mischung aus Ballett, Tanz und Ak-

robatik, einer Kombination aus Rock und Klassik und sehr viel

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nackter Haut. Unser Motto lautet: den Zuschauern ordentlich
einzuheizen.

Ich spiele den Santa Claus und tanze eher Freestyle mit Hip-

Hop- Elementen, während Sophia den klassischen Ballettpart
übernommen hat. Das gerade eben sollte das Highlight unseres Pas
de deux sein …

So eine verdammte Scheiße! Unser erster Auftritt ist schon in

einer Woche und wir haben verflucht hart trainiert. Sophia und ich
sind perfekt eingespielt. Mit der Verletzung ist sie erst einmal
schachmatt. Wie soll ich so schnell eine neue Partnerin finden?

Wer hatte bloß die Idee mit den dämlichen Schneeflocken?
„Komm schon, Leo. Du hast wirklich keine Schuld. Hauptsache,

Sophia geht es bald wieder gut. Adam wird schon eine Lösung find-
en.“ Rapha sieht mich aufmunternd an.

„Du unverbesserlicher Optimist“, erwidere ich. Ich kann mir

nicht vorstellen, wie Adam das Problem lösen soll.

„Wir können jetzt nichts für Sophia tun, außer zu hoffen, dass sie

sich nichts gebrochen hat. Marc kümmert sich um sie. Willst du mit
zu uns kommen? Dennis kocht heute Indisch.“

Ich stimme zu. Ich bin gerne bei den beiden zu Hause. Sie haben

eine schöne, sehr stilvoll eingerichtete Wohnung, die absolut nicht
vergleichbar ist mit meiner eher spärlich möblierten Ein-Zimmer-
Bude. Außerdem kann Dennis phänomenal gut kochen. Besser, als
den Abend allein zu verbringen, ist es auf alle Fälle. Ich kann jetzt
Gesellschaft gebrauchen.

***

Ich stürme über den Gang, reiße die Tür zum Backstagebereich

auf, weiche Requisiten und am Boden liegenden Kabeln aus und be-
trete die Bühne. Ich bin spät dran. Ich habe heute Morgen total ver-
schlafen. Ich hätte gestern Abend bei Dennis und Raphael definitiv

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weniger trinken sollen. Aber die Schuldgefühle wollten nicht ver-
schwinden, also habe ich sie betäubt.

Das ganze Team, bestehend aus rund dreißig Tänzer und Tänzer-

innen, sitzt auf der Bühne und sieht Adam gespannt an.

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für euch“,

erzählt er gerade. „Sophia geht es den Umständen entsprechend
gut. Der Knöchel ist nur verstaucht. Aber sie wird nicht weitertan-
zen können.“

Lautes Gemurmel ertönt und ich bleibe wie erstarrt stehen. Ich

habe damit gerechnet, aber so gehofft, dass meine Befürchtung
nicht wahr wird. Verdammt!

„Ich habe gestern Abend noch herumtelefoniert und die gute Na-

chricht ist, dass ich jemanden gefunden habe, der für Sophia ein-
springen wird. Einen mehr als würdigen Ersatz. Ich fühle mich
geehrt, dass sie uns in dieser schwierigen Situation hilft, obwohl sie
eigentlich gerade eine kleine Tanzpause einlegen und Urlaub
machen wollte.“

Eine zierliche Gestalt erhebt sich vom Boden. Eine zierliche

Gestalt mit langen blonden Haaren in einem schwarzen Stretch-
kleid, das die ihre tadellose Figur betont - eine Gestalt, die ich nie
nie nie mehr wiedersehen wollte.

„Begrüßt

mit

mir

Catherine

Levevre,

unseren

neuen

Weihnachtsengel!“

„Nein!“ Mir war nicht klar, dass ich das Wort laut ausgesprochen

habe, doch alle drehen sich plötzlich zu mir herum. Babyblaue Au-
gen betrachten mich überrascht an. Babyblaue Augen, die beim Sex
dunkel werden. Babyblaue Augen, die jeden in diesem Raum
täuschen werden. Mein schlimmster Albtraum, meine schlimmste
Niederlage – Apocalypse now!

Catherine Levevre ist kein Weihnachtsengel, sie ist der

leibhaftige Teufel. Sie ist der Mensch, dem ich wehtun will, dem ich
den kleinen süßen Arsch so versohlen will, sodass sie nie wieder
sitzen kann.

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Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, das Gegenteil von Liebe ist

nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.

Doch leider ist es mir nie gelungen, ihr gegenüber gleichgültig zu

sein.

Ich hasse sie aus tiefstem Herzen. Ich kann unmöglich mit ihr

tanzen!

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2

Catherine (Cat)

‚Nein?‘
Ich war gerade dabei, ein paar Worte an die Gruppe zu richten,

doch nun drehe ich mich um.

Wer hat das gesagt?
Suchend lasse ich meinen Blick über die Köpfe der Tänzerinnen

und Tänzer schweifen.

Wer hat das gesagt?
Und dann, ganz plötzlich, sehe ich IHN.
Er steht am hinteren Ende der Bühne und starrt mich fas-

sungslos an. Sein Blick würde dampfend heißen Glühwein sofort in
klirrendes Eis verwandeln.

Der Schock, der mir bei seinem Anblick in die Glieder fährt, ist

so heftig, dass ein großer Schwall Adrenalin durch meine Adern jagt
und mein Herz anfängt, schneller zu schlagen.

Elias? Was zur Hölle macht DER hier?
Er scheint ebenso entsetzt über meinen Anblick zu sein wie ich

über seinen.

„Adam, das ist jetzt nicht dein Ernst?! Schlam... Personen wie sie

eignen sich nicht als Weihnachtsengel“, sagt er mit einem fiesen
Unterton.

Schuss und Volltreffer. Direkt ins Schwarze. Ganz kurz zieht sich

mein Herz schmerzhaft zusammen, getroffen von dem vor Gift
triefenden Wortpfeil. Doch dann werde ich wütend. Was erlaubt er
sich, so über mich zu reden? Tickt der noch ganz sauber?

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Doch bevor ich antworten kann, übernimmt Adam das Wort:

„Elias, wie schön, dass du uns auch noch mit deiner Anwesenheit
beehrst. Du bist zu spät. Du weißt, dass ich Unpünktlichkeit hasse.
Das macht zehn Euro für die Gemeinschaftskasse und fünf Euro,
weil du deine zukünftige Tanzpartnerin beleidigt hast.“

Wie bitte?
Zukünftige Tanzpartnerin?
„Adam, wie meinst du das?“, frage ich leise.
„Elias ist Santa Claus, Catherine, und du bist seine Partnerin.“
„Nein!“ Nun ist es an mir, das Wort laut auszusprechen. Ich

kann die Anspannung zwischen Elias und mir deutlich spüren. Wie
zwei falsch gepolte Magnete stoßen sich unsere Auren voneinander
ab. Wir können nicht im selben Raum sein, das geht nicht. Und wir
können ganz sicher nicht miteinander tanzen.

Der Hass steht ihm so deutlich in die Augen geschrieben, dass es

mich fröstelt. „Adam, ich kann nicht mit Elias tanzen.“

Die Augen aller Anwesenden wandern von Elias zu mir und

wieder zurück. Keiner von uns ist in der Lage, etwas zu sagen. Die
Stille, die sich ausbreitet, ist fast greifbar.

„So, ihr geht euch jetzt alle umziehen“, befiehlt Adam und

klatscht laut in die Hände. Ich schicke mich an, die Bühne zu ver-
lassen, ich will nur noch weg, ganz weit weg, doch er hält mich am
Arm fest. „Catherine, Elias, ihr bleibt.“

Murmelnd verzieht sich der Tross, bis nur noch wir drei übrig

sind.

„Hör zu, Catherine. Du bist eine großartige Tänzerin und ich bin

froh, dass du hier bist. Sicher hast du Gründe für deine Reaktion,
aber ich bin der Produzent dieser Show und du hast soeben einen
Vertrag mit mir unterschrieben. Du wirst mit Elias tanzen und er
mit dir. Ich habe keine Ahnung, woher ihr euch kennt und was euer
Problem ist, aber ihr werdet das hinbekommen. Ich lasse nicht zu,
dass unsere ganze Show an zwei einzelnen Tänzer scheitert.“

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Elias kommt näher und bleibt eine Armlänge von mir entfernt

stehen. Ich kann ihn riechen. Er riecht ein wenig nach Alkohol, aber
auch nach dem Aftershave, das er schon immer benutzt hat und das
mich an unvergessliche Stunden erinnert.

An unsere nassen, verschwitzten Körper, die sich überall, wo sie

nur konnten, geliebt haben. An seine Zunge, die mich so gut ver-
wöhnt hat, dass ich schon bei dem Gedanken daran, von ihr geleckt
zu werden, feucht geworden bin.

An seinen Schwanz in mir – den ersten Schwanz, der meine

Pussy erobert, sie in Besitz genommen, mir fast den Verstand
geraubt und mich nächtelang gevögelt hat.

An all die Dinge, die er mir ins Ohr flüsterte, während er mich

gefickt hat. Als wir noch so gepolt waren, dass wir uns angezogen
und nicht abgestoßen haben und wir nie genug voneinander
bekommen konnten.

In einer anderen Zeit, in einem anderen Leben.
Ich beiße mir auf die Zunge, bis ich Blut schmecke, und heiße

den Schmerz willkommen. Doch er kann nicht von dem Schmerz
ablenken, der mein Herz füllt. Ich hätte nicht gedacht, dass mich
sein Anblick so aus der Fassung bringen würde. Nach all den
Jahren …

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***

Leo

Sie verzieht das Gesicht, als ob sie Schmerzen hätte. Gut so, den-

ke ich und freue mich insgeheim ein bisschen darüber, dass sie so
genauso geschockt aussieht, wie ich mich fühle. Ihre Augen schim-
mern feucht im Bühnenlicht, aber ich lasse mich nicht täuschen.
Ich weiß, dass meine Worte hart waren, aber sie hat sie verdient.
Die Prinzessinnennummer kann sie vergessen. Sie ist keine Prin-
zessin, sie ist ein Hexenbiest, das sich geschickt tarnen kann.

Aber in einem Punkt hat sie recht: Wir können nicht

zusammenarbeiten.

„Adam, kann nicht vielleicht Bianca für Sophia einspringen und

Catherine tanzt Biancas Part?“, schlage ich vor. „Bianca ist eine
gute Tänzerin. Nicht so gut wie Sophia, aber wir könnten es
versuchen.“

Adams Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen und er schürzt

abfällig die Lippen. „Elias Leonhard, willst du etwa meinen Job
übernehmen? Ich entscheide hier, wer welche Rolle bekommt. Es
kommt nicht in Frage, dass Bianca den Part übernimmt. Ein guter
Tänzer kann mit jeder Partnerin tanzen. Und Catherine ist die
Beste für die Weihnachtsengelrolle. Ich will nichts mehr hören. Von
keinem von euch. Geht euch umziehen! Die Probe beginnt in fünf
Minuten.“

Er dreht sich um und verlässt, ohne uns weiter zu beachten, die

Bühne.

Fuck!
So ein verdammter Mist!

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Ich habe ewig versucht, eine Rolle in einer Show von Adam zu

bekommen, denn seine Kreationen sind außergewöhnlich und eine
große Chance für mich. Und die liebe Catherine hat einfach so zu
Hause gesessen und die Rolle bekommen, während ich mir den Ar-
sch aufgerissen habe. Sicher, sie ist gut, sehr gut sogar, aber fair ist
das trotzdem nicht.

Sie steht immer noch auf der Bühne und starrt unschlüssig auf

ihre Fußspitzen.

Weihnachtsengel – pah!
„Ich werde dich so hart rannehmen, dass dir die Füße bluten“,

knurre ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Sie hebt den Blick und da ist kein Bedauern, keine Angst. Sie

sieht mich direkt an. Ihre Augen sind dunkel vor Wut, als sie ant-
wortet: „Nur die Füße, Schatz?“

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3

Cat

Ich drücke die Schultern durch und verlasse hocherhobenen

Hauptes die Bühne. Ich habe einen dicken Kloß im Hals und meine
Beine fühlen sich wackelig an. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen,
Catherine.

Vielleicht hätte ich Elias nicht provozieren sollen, aber ich kon-

nte es nicht mehr ertragen. Diese hasserfüllten Blicke waren ein-
fach zuviel. Niemand hat es verdient, so abfällig behandelt zu
werden.

Am liebsten würde ich den Auftritt absagen, aber als Profi hat

sich Adam natürlich abgesichert. Wenn ich gegen die Vertrags-
bedingungen verstoße, muss ich eine hohe Konventionalstrafe zah-
len und das kann ich mir im Moment nicht erlauben.

Ich brauche das Geld dringender als je zuvor. Deshalb habe

überhaupt nur zugesagt, denn eigentlich ist der Stil der Show nicht
der, den ich normalerweise tanze. Ich komme eher aus dem
klassischen Ballett-Bereich. Gut, ich kann auch Hip-Hop tanzen
und Akrobatik war für mich immer schon ein schöner Ausgleich
zum Ballett, aber ich habe noch nie in einer Produktion mitgewirkt,
die die verschiedenen Richtungen miteinander kombiniert.

Und nun muss ich diese schwierige Kombination auch noch mit

Elias bewältigen.

Adam hätte Elias Vorschlag annehmen sollen. Ich tanze zwar ei-

gentlich nur Hauptrollen, aber in diesem Fall hätte ich liebend gern
Biancas Part übernommen. So wird die Show ein Desaster werden.

Innerlich total aufgewühlt, betrete ich meine Umkleidekabine

und schließe die Tür hinter mir. Ich bin froh, dass ich als

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Hauptdarstellerin meine eigene Garderobe habe. So sehen die an-
deren Tänzerinnen wenigstens nicht, wie durcheinander ich bin.
Mein Herz schlägt immer noch in einem wilden Stakkato. Ich muss
mich unbedingt beruhigen.

Es klopft an der Tür und ich zucke erschrocken zusammen. Doch

es ist zum Glück nicht Elias, sondern nur die Kostümbildnerin, die
mir einen Kleidersack reicht. „Catherine? Wir üben heute zuerst
einen der Gruppenauftritte. Adam will, dass ihr in den Kostümen
probt. Das hier ist deins. Beeil dich! Adam hasst es zu warten.“

Ich bedanke mich, nehme ihr den Kleidersack aus der Hand und

sie lässt mich mit einer weiteren Ermahnung, mich zu sputen
wieder allein.

Gespannt ziehe ich den Reißverschluss auf und starre auf das

bisschen Stoff, das zum Vorschein kommt.

Oh Gott!
Was zum Teufel ist das denn?
Das ist kein Kostüm, das ist ein Nichts. Ein Hauch von Nichts.

Adam hat mir zwar erzählt, dass die Show sehr körperbetont sein
soll, aber es ist schlimmer, als ich dachte. Das ‚Kostüm‘ ist ein
glitzernder, halbdurchsichtiger Stringbody, der nur die Nippel und
den Schambereich bedeckt. Und dazu gehören glitzernde halterlose
Strümpfe.

Ich finde es nicht schlimm, darin zu tanzen, ich bin bestimmt

nicht prüde, aber in dem Ding halbnackt mit Elias zu tanzen… das
ist schlimm! Womit habe ich das verdient? Wäre ich doch gestern
Abend bloß nicht ans Telefon gegangen, dann hätte Adam vielleicht
eine andere Tänzerin angerufen. Wie gemein kann das Schicksal
sein?

Mit roten Wangen betrete ich die Bühne. Die anderen machen

gerade Dehnübungen zu ruhiger klassischer Musik. Auch sie zeigen
Haut, aber im Gegensatz zu meinem Body sind die Bodys der Tän-
zerinnen nicht durchsichtig und sie tragen auch keine halterlosen
Strümpfe. Die Männer haben sogar noch ein bisschen mehr an. Sie

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tragen weiße Hosen und weiße halb aufgeknöpfte Hemden, die ihre
Brustmuskeln erkennen lassen. Sie sehen sexy aus, aber nicht billig.

Ganz toll, denke ich. Da habe ich ja den Joker gezogen.
Ich lasse die Augen über die Bühne schweifen, kann Elias aber

nicht entdecken.

„Sophia stand das Kostüm besser. Ist dein Arsch dicker ge-

worden, Kitty Cat?“

Ich wirbele herum, eine passende Antwort auf den Lippen, doch

sein Anblick lässt mich verstummen. Sein ‚Kostüm‘ ist nicht viel
besser als meins. Außer einer roten, gut geschnitten Hose trägt er
nichts. Sein Oberkörper ist komplett nackt und er sieht so heiß aus,
dass mir fast der Atem stockt.

Seine braunen Augen mustern mich spöttisch.
„Bereit für die erste Runde?“

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***

Leo

Mein Spruch war nicht besonders nett und außerdem auch noch

gelogen, denn was ich sehe, ist der Wahnsinn. Der durchsichtige
Body verdeckt nur ein paar kleine pikante Stellen ihres Körpers, an-
sonsten lässt er sie fast nackt erscheinen. Dazu diese Strümpfe ….

Fuck, sie sieht echt hammermäßig aus.
Ihre langen Beine, der Hintern, der trotz ihrer schlanken Figur

schöne Rundungen hat, die kleinen, festen Brüste, deren Ansätze
man unter dem Stoff erkennen kann, die langen blonden Haare …
Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass fast augenblicklich mein
Kopfkino anspringt.

Sophia hatte das gleiche Kostüm, aber das war etwas ganz an-

deres. Sophia ist Marcs Freundin und sie war immer nur eine Tan-
zpartnerin für mich und nichts weiter.

Aber Cat, Cat habe ich gevögelt. Und wie ich sie gevögelt habe.

Wir waren verdammt jung und neugierig und es war unglaublich.
Es war magisch.

Ich spüre, wie ihr Anblick mich erregt und das Blut in meinem

Schwanz pulsiert.

Gott, am liebsten würde ich sie von der Bühne zerren, den Body

zur Seite schieben, ihre Perle mit meiner Eichel und meinen
Fingern massieren, ihre Brüste kneten, bis ihre Nippel hart sind,
und dann, wenn sie vor Lust laut stöhnt, meinen Schwanz in ihr
weiches, warmes Fleisch rammen. Ich würde sie so lange ficken, bis
ihre Muschi glühend heiß ist und sie sich unter meinen Stößen win-
det. Und dann würde ich ihr den Arsch versohlen und sie noch

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härter vögeln, bis sie vor Lust und Schmerz schreit und dann in ihr
abspritzen.

Ich betrachte sie unverhohlen, während sie noch ein paar

Dehnübungen macht. Mist, auch das noch! Jetzt nimmt sie ihr
rechtes Bein direkt vor meinen Augen hoch in einen Spagat. Der
Body bedeckt nur knapp ihre Schamlippen.

Das macht sie doch absichtlich. Ich hasse es, dass mein Körper

so auf sie reagiert. Ich habe meine Männlichkeit nicht unter
Kontrolle.

Hör auf damit, schimpfe ich in Gedanken. Krieg dich wieder ein.

Du brauchst das Blut woanders. Du musst dich konzentrieren.
Denk daran, dass du sie eigentlich nicht ausstehen kannst.

Sie stellt sich neben mich und ihr Blick bleibt kurz an meinem

Schritt hängen. Arrgghhh!

„Was jetzt? Wollen wir anfangen?“, fragt sie schnippisch. „Oder

bist du etwa nicht bei der Sache, Master Leo?“

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***

Cat

Mit Genugtuung sehe ich, dass ihn meine Verrenkungen nicht

kalt lassen. Seine Hose ist so eng, dass ich die Beule in der Mitte gut
erkennen kann. Ich grinse. Leos kleiner Freund scheint weitaus
positivere Erinnerungen an mich zu haben als sein Besitzer.

Leo ist selbst Schuld. Er hätte mich eben nicht provozieren

sollen.

Er ist dabei, sich aufzuwärmen und ich betrachte das Spiel seiner

Brust- und Bauchmuskeln. Seine Figur ist der Wahnsinn. Er war
früher schon durchtrainiert, aber sein Kreuz ist breiter geworden
und er sieht insgesamt viel männlicher aus. Auch der Bart, den er
sich vermutlich für die Rolle als Santa hat stehen lassen, gefällt mir.
Er verleiht ihm etwas Verwegenes. Adam hat mit Elias einen echt
megaheißen Santa ausgesucht.

Ich wende den Blick ab, damit ich nicht noch anfange zu sab-

bern. Einige Paare haben schon mit dem Training angefangen. Ich
beobachte sie und merke mir die Schrittfolgen. Mit einem guten
Tanzpartner müsste ich das schnell hinkriegen. Mit Elias? Hm, mal
sehen!

Adam kommt zurück auf die Bühne. Er geht von einem Paar zum

anderen, beobachtet das Zusammenspiel und gibt Kommentare ab.
Plötzlich sieht er zu uns herüber und zieht kritisch eine Augenbraue
hoch.

„Elias“, flüstere ich. „Wir müssen anfangen. Adam beobachtet

uns.“

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Elias sieht alles andere als begeistert aus, aber er kommt näher

und stellt sich dicht vor mich. Ich sehe kleine Schweißperlen auf
seiner Brust glänzen, rieche erneut sein Aftershave und muss
schlucken. Verdammt, er verwirrt mich!

„Wenn dieser Job nicht so eine große Chance für mich wäre,

würde ich sicher nicht mit dir tanzen. Ich hatte geschworen, nie
wieder mit dir zu reden, geschweige denn dich anzufassen“, knurrt
er und seine braunen Augen funkeln böse.

„Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen“, zische ich.

„Aber ich brauche den Job auch. Also reiß dich zusammen und sei
gefälligst professionell. Ich denke, den Grundschritt habe ich schon
kapiert. Lass es uns probieren.“

Ich kann sehen, wie die Muskeln seines Unterkiefers vor An-

spannung zucken, aber er nickt und reicht mir die Hand.

Ich versuche, einfach nur an die Schrittfolge zu denken und alles

andere komplett auszublenden. Aber es ist verdammt schwierig.
Elias dreht mich und zieht mich mit einer fließenden Bewegung zu
sich heran. Ich kann seine Muskeln an meinem Bauch spüren, sein-
en Schwanz an meinem Oberschenkel.

„Fuck, Catherine. Es funktioniert nicht!“
Adam hat sich so leise herangeschlichen, dass ich ihn gar nicht

gehört habe. „Das sollen meine besten Tänzer sein?“ Er klingt
aufgebracht. „Was ist los mit euch beiden? Ehrlich Leute, das geht
gar nicht! Ihr seid ja steif wie Zaunlatten. Wo ist das Feuer? Wo ist
die Leidenschaft? Ihr probt heute länger. Wie und wo ist mir egal,
aber wenn das Morgen nicht läuft, überlege ich mir wirklich, eure
beiden Rollen neu zu besetzen. Ich habe keine Zeit für Spielchen.
Das muss sitzen. Haben wir uns verstanden?“

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4

Leo

„Wir würden ja noch länger bleiben und euch unterstützen, aber

heute ist die Weihnachtsfeier eines guten Freundes und wir sind
sowieso schon zu spät dran.“ Raphael klopft mir freundschaftlich
auf die Schulter und Dennis zuckt entschuldigend mit den Achseln.

„Tut uns wirklich leid, Leo. Aber wenn du willst, können wir

euch morgen helfen und Catherine die Grundschritte zeigen.“

Ganz toll, denke ich und sehe zu, wie meine beiden Freunde als

letzte Mitglieder des Ensembles die Bühne verlassen. Alle anderen
haben sich bereits umgezogen und sind nach Hause gegangen,
Adam eingeschlossen. Ich hatte gehofft, dass wenigstens Dennis
und Raphael bleiben würden. Mir bereitet es Unbehagen mit Cath-
erine allein zu sein. Zwischen uns gibt es zu viele unausgesprochene
Dinge, zu viele negative Emotionen, aber auch, was noch viel ge-
fährlicher ist: zu viel sexuelle Anspannung.

Gibt es so etwas?
Dass der Körper eine andere Erinnerung an einen Menschen hat

als der Kopf?

Ich kann das gefährliche Knistern zwischen uns förmlich spüren.

Doch anstatt dass es uns perfekt miteinander tanzen lässt, be-
hindert uns das Zusammenspiel erotischer Anziehung und geistiger
Ablehnung.

Adam hatte recht. Steifer geht es kaum.
Ich setze mich auf den Bühnenrand, lasse die Beine baumeln und

warte auf den blonden Weihnachtsteufel. Cat musste noch einen
Anruf tätigen, vermutlich irgendeinen ihrer Lover vertrösten oder
etwas in der Art. Schlampen wie sie haben doch immer einen
frischen Stecher zur Verfügung.

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Lass es Leo, denke ich und schüttele unwillig den Kopf. Es geht

dich nichts mehr an, mit wem sie vögelt. Bring die vier Wochen
Showprogramm hinter dich und dann bist du sie wieder los. Und
dieses Mal hoffentlich für immer.

„Hey.“
Ich ignoriere ihre Stimme und blicke stur zu Boden. Aus dem

Augenwinkel sehe ich, dass sie näherkommt und sich mit angezo-
genen Knien neben mich setzt.

„Hör zu, Leo. Es tut mir leid“, beginnt sie so leise, dass ich sie

kaum verstehen kann. Sie klingt gequält. „Ich habe nicht gewusst,
dass ich mit dir tanzen muss. Ich habe noch nicht einmal gewusst,
dass du bei dieser Show mitmachst. Wenn ich es gewusst hätte,
hätte ich abgesagt. Mir macht das hier auch keinen Spaß. Das
kannst du mir glauben.“

„Und wie stellst du dir das vor? Wie soll das mit uns funktionier-

en? Diese Rolle… Ich habe so hart dafür gearbeitet. Du … du machst
alles kaputt! Du machst immer alles kaputt!“, erwidere ich wütend.

Sie zuckt kurz zusammen, doch dann schüttelt sie sich, dass ihre

blonden Haare durch die Luft wirbeln und antwortet: „Ich mache
immer alles kaputt? Ich denke dazu gehören zwei.“

„Was soll das heißen?“ Ich springe auf. „Willst DU MIR etwa

Vorwürfe machen, Bitch?“

„Nein, das würde zu nichts führen“, entgegnet sie. „Vielleicht

sollten wir einfach so tun, als ob wir uns gar nicht kennen würden.“

„Genau“, lache ich höhnisch. „Das wird sicher funktionieren. Wie

naiv bist du, Kitty Cat?“

„Du könntest zum Beispiel aufhören, mich die ganze Zeit zu

beleidigen.“

„Du hast noch viel mehr verdient als das!“
„Ach ja?“ Sie hebt den Kopf und funkelt mich böse an. „Und was

habe ich deiner Meinung nach verdient?“

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„Du hast es verdient, permanent gevögelt und verprügelt zu wer-

den, Miststück!“, knurre ich. Ich habe meine Emotionen nicht mehr
im Griff.

Mit dem Zeigefinger greift sie unter den Träger ihres Bodys und

streift ihn über ihre Schulter.

„Was soll das? Was machst du da?“
Der Blick, den sie mir zuwirft, ist eisig. „Ich ziehe mich aus“, er-

widert sie kalt. „Das machen Schlampen so. Ich glaube, wir können
erst miteinander tanzen, wenn wir gevögelt haben und du deine
negative Energie im Griff hast. Also, lass uns spielen, Dom Leo!
Oder hast du Angst?“

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***

Cat

Ich versuche, so cool wie möglich zu bleiben, obwohl mein Herz

wie verrückt klopft.

Gott, Catherine, was tust du?, hämmert es in meinem Kopf. Bist

du total irre?

Aber ich höre nicht auf mein inneres Warnsystem, sondern

streife auch den zweiten Träger des Bodys über meine Schultern
und ziehe ihn so weit herunter, dass meine Brustansätze erkennbar
sind. Leichtfüßig tänzele ich über das Parkett bis auf die andere
Seite der Bühne und schalte die Musikanlage an.

Der heiße Rhythmus des Gruppentanz-Songs hallt durch den

Theatersaal und vertreibt die gespenstische Stille.

Hüftekreisend tanze ich zurück zu Leo, beuge mich nach vorne

und gewähre ihm einen tiefen Einblick in mein Dekolleté.

Unendlich oft habe ich daran gedacht, wie es sich anfühlen

würde, wenn ich ihn jemals wiedersehen würde. Unendlich oft habe
ich von ihm geträumt, habe mich im Schlaf herumgewälzt, bin sch-
weißgebadet und mit einem schmerzhaften Stechen im Herzen
aufgewacht.

Doch niemals hat es sich so schlimm angefühlt, wie es nun in

Wirklichkeit der Fall ist.

Ich weiß, dass ich mit dem Feuer spiele und ich weiß, dass er mir

wehtun will, aber ich brauche das jetzt. Ich will es so. Ich will, dass
er mich hart fickt und so den Schmerz in meinem Inneren vertreibt.
Ich will mich endlich wieder lebendig fühlen, als Teil des Hier und

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Jetzt und nicht hilflos dem Schicksal ausgeliefert und unfähig, et-
was daran zu ändern, wie in den letzten Monaten.

Und ich will, dass er den Schmerz betäubt, den ich empfinde,

wenn ich ihn ansehe.

Ich nehme meinen Zeigefinger in den Mund und sauge daran,

während ich ihm die ganze Zeit über in die Augen sehe und meinen
Körper im Takt der Musik bewege. Ganz langsam nehme ich den
Finger aus dem Mund, schiebe den Body weiter herunter, lege
meine Brüste frei und reibe meine Nippel zwischen den Finger-
spitzen, bis sie hart sind.

Er zieht scharf die Luft ein. Seine Augen glänzen gefährlich im

Licht der Scheinwerfer und sein Atem geht schneller.

Leo, der Löwe.
Der Name hat nie besser gepasst. Er fixiert mich mit seinem

Blick, bereit für den Angriff, bereit, mich zu vernichten.

Aber ich habe keine Angst.
„Du willst es nicht anders, oder?“, grollt er. „Ich gebe dir noch

eine Chance, jetzt sofort damit aufzuhören. Andernfalls….“

„Andernfalls?“
„Bist du selbst Schuld.“
„Ich kann mit Schuld umgehen, das solltest du wissen“, erwidere

ich und ziehe den Body mit einem Ruck nach unten.

Er ist augenblicklich neben mir, greift in meine Haare und zieht

meinen Kopf nach hinten. „Das war ein großer Fehler, Kitty Cat“,
murmelt er und umfasst mit der anderen Hand so kräftig meine Po-
backe, dass ich vor Schmerz aufkeuche. „Jetzt ‚tanzen‘ wir nach
meinen Regeln.“

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***

Leo

Verdammt, sie macht mich wahnsinnig!
Hätte mir heute Morgen, als ich aufgestanden bin, jemand

erzählt, dass ich zum ersten Mal nach acht Jahren Catherine
wiedersehen und kurz darauf mehr als bereit dazu sein würde, sie
zu bumsen, hätte ich denjenigen für verrückt erklärt.

Aber jetzt, nur ein paar Stunden nach unserem Aufeinandertref-

fen bin ich dabei, genau das zu tun – sie zu vögeln, obwohl ich nie
wieder mit ihr reden, geschweige denn sie anfassen wollte. Aber
mein Schwanz hat für mich entschieden und ich habe weder die
Kraft noch die Lust, mich zu wehren.

Ich vergrabe meine rechte Hand in ihrer blonden Mähne und

kralle meine linke Hand in das nackte Fleisch ihres Hinterns. Sie
stöhnt kurz. Es tut ihr weh und ich genieße es. Das ist nur ein klein-
er Vorgeschmack, Baby.

Ich habe kein schlechtes Gewissen. Sie hätte aufhören können.

Sie hat entschieden und ich kann nicht leugnen, dass ich mich
insgeheim über ihre Entscheidung freue. Aber ich bin kein
Unmensch.

„Wie weit willst du gehen, Kitty Cat?“, frage ich mühsam be-

herrscht, bewege die Hüften und reibe meinen Schwanz an ihrem
Oberschenkel.

„Was soll die Frage?“, will sie wissen und hebt die rechte Augen-

braue. „Hast du etwa vor, Rücksicht auf mich zu nehmen?“

„Nicht im Geringsten“, entgegne ich. „Aber ich will keine Anzeige

wegen sexueller Belästigung am Hals haben.“

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„Traust du mir so etwas zu?“
Ich lache trocken auf. „Oh, DIR traue ich alles zu!“
Ihre Hand landet so schnell in meinem Gesicht, dass ich keine

Chance habe, auszuweichen. Es tut nicht besonders weh, eigentlich
schmerzt es gar nicht. Sie wollte ein Zeichen setzen und ich habe
verstanden.

Wie du willst, denke ich. Mögen die Spiele beginnen.
Mit einer einzigen fließenden Bewegung meines rechten Fußes

fege ich ihre Beine vom Boden, halte sie an den Oberarmen fest und
lasse sie auf das Parkett gleiten. Ein kurzer Schreckenslaut verlässt
ihren Mund und sie reißt überrascht die Augen auf.

„Hast du vergessen, dass ich auch Kampfsport mache, Schatz?“,

raune ich und drehe sie mit einem Ruck auf den Bauch. Sie wehrt
sich nicht wirklich.

Ich starre auf ihre Rückansicht. Die marmorweiße Haut, die lan-

gen blonden Haare, die wohlgeformten Beine und dazu die halter-
losen Strümpfe, die ihren runden nackten Hintern perfekt betonen.
Ich hasse sie, aber ihr Körper macht mich echt an.

Mit den Knien schiebe ich ihre Schenkel auseinander, sodass ich

ihre rosige Muschel sehen kann und lege meine Hände auf ihren
Arsch.

„Schön liegenbleiben“, befehle ich und sie hebt den Kopf.
„Ich sagte liegenbleiben!“ Mit der flachen Hand schlage ich ihr

so kräftig auf den nackten Hintern, dass sie zusammenzuckt und
meine Finger rote Abdrücke auf ihrer zarten weißen Haut
hinterlassen.

„Ist es das, was du willst?“, frage ich und schlage sie erneut. Sie

keucht. Ohne Vorwarnung schiebe ich meine Finger in sie.

Klar denke ich, dass sie sogar schon feucht ist. Die Schlampe ist

immer bereit, genommen zu werden.

„Gefällt dir das Kitty Cat? Wolltest du es so?“
Sie stöhnt, während ich sie mit meinen Fingern ficke. „Antworte

gefälligst!“

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***

Cat

Ich liege auf dem Parkettboden und Leo kniet über mir. Mein

Hintern prickelt von seinen Schlägen und ich kann nicht leugnen,
dass der rohe Schmerz mich anmacht. Ich habe gemerkt, dass er
erst gezögert hat, also habe ich nachgeholfen.

Es ist ein Vorteil, wenn man den anderen kennt, auch wenn der

letzte Sex schon Jahre her ist. Ich weiß, dass er es hasst, ins Gesicht
geschlagen zu werden. Und ich wusste, dass er sich revanchieren
würde.

Kraftvoll dringen seine Finger in mich ein, bewegen sich ohne

jede Rücksicht in mir.

„Antworte gefälligst!“, befiehlt er.
„Ich denke, du bist ganz schön verweichlicht, Schatz“, entgegne

ich spitz und wappne mich für den nächsten Schlag. Doch der kom-
mt nicht. Ganz plötzlich zieht er seine Finger aus meiner feuchten
Pussy und erhebt sich. Hey, was soll das?

Ich richte meinen Oberkörper auf und hocke mich auf die

Fersen. Er sieht mich mit einem wilden Ausdruck in den Augen an,
sein Atem geht stoßweise, aber er rührt sich nicht von der Stelle.

„War das alles?“, frage ich, lasse mich in einen perfekten Spagat

gleiten, sodass er mir genau zwischen die Schenkel blicken kann.

Ich merke, dass er mit sich ringt – hin und hergerissen zwischen

Faszination und Abneigung. Aber ich will diesen Kampf gewinnen,
ich will, dass er weitermacht. Erneut nehme ich meinen Finger in

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den Mund, befeuchte ihn und reibe dann lasziv über meine Scham-
lippen, ohne Leo aus den Augen zu lassen.

„Du bist der leibhaftige Teufel, Catherine“, presst er hervor.

„Los, steh auf!“ Er reicht mir die Hand, zieht mich hoch und wirft
mir dann den Glitzerbody zu. „Wir spielen in meiner Umkleide
weiter. Ich habe keine Lust, dass doch noch jemand kommt und
uns überrascht. Außerdem kann ich dort abschließen. Ich will sich-
er sein, dass du nicht weglaufen kannst, wenn ich dich gleich richtig
rannehme.“

Er hat Recht. Ich habe auch keine Lust, erwischt zu werden. Eilig

ziehe ich den Body wieder an. Mit einem grimmigen Funkeln in den
Augen greift er nach meinem Handgelenk und zieht mich hinter
sich her Richtung Umkleide. Ich habe Mühe, mit ihm Schritt zu
halten.

Du gehörst in die Klapsmühle, Catherine. Was machst du? Du

bist überhaupt nicht zurechnungsfähig.

Ich atme tief ein und wieder aus, verdränge meine Gedanken

und betrete mit klopfendem Herzen hinter Leo den Raum. Kaum
dass ich im Raum bin, schließt er die Tür, dreht den Schlüssel her-
um und zieht ihn aus dem Schloss.

Grinsend lässt er den Schlüssel vor meinen Augen baumeln und

legt ihn dann auf einen kleinen schwarzen Beistelltisch, der neben
der Tür steht.

Gefangen in der Höhle des Löwen, denke ich mit einem leichten

Schaudern und sehe mich in seiner Garderobe um, die meiner sehr
ähnlich sieht. Ein Sofa, zwei Sessel, ein kleiner Schreibtisch mit
einem Vintage-Stuhl, eine Kleiderstange, an der ein paar Kostüme
hängen, ein großer Spiegel, das ist alles. Der Raum hat nichts Per-
sönliches, keine Fotos auf dem Schreibtisch oder an den Wänden,
nichts, das darauf hindeutet, was ihn als Mensch ausmacht. Nur der
betörende Geruch seines Aftershaves beweist, dass er sich öfter in
diesem Zimmer aufhält. Ich liebe diesen Duft, auch wenn die Erin-
nerungen daran wehtun.

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Er zieht seine Geldbörse aus der Tasche einer schwarzen

Daunenjacke, die über dem Bürostuhl hängt, und holt etwas
heraus. Ein Kondom?

„Komm her“, sagt er und fixiert mich mit seinem Raubtierblick.
Zögernd mache ich einen winzigen Schritt auf ihn zu. Mit schnel-

len Schritten geht er mir entgegen, legt die Hand unter mein Kinn
und zwingt mich, ihn anzusehen. Eigentlich dachte ich, dass braune
Augen immer sanft aussehen, aber Elias beweist mir gerade das Ge-
genteil. In dem gedimmten Licht der Deckenleuchte sehen seine
Augen fast schwarz aus. Schwarz und kalt wie zwei dunkle
Kieselsteine.

„Damit das klar ist: Das hier ist nur Sex und nichts weiter. Ich

werde dich nicht küssen und ich werde dich auch nur mit Gummi
ficken. Und mir ist es egal, ob du Spaß hast oder nicht!“

Ich erwidere seinen Blick genau so kühl und lasse mir nicht an-

merken, dass mich seine Worte verletzen. „Redest du immer so
viel?“ Schnell und kräftig kratze ich mit den Fingernägeln über
seinen nackten Rücken. Es ist an der Zeit, die Krallen auszufahren.
Nur weil ich hart vögeln will, heißt es nicht, dass er sich alles er-
lauben darf. Ich werde nicht das Opfer spielen. Und den blöden
Spruch hätte er sich auch sparen können.

Er schnappt kurz nach Luft.
„Hast du sie nicht alle?“ Brutal umfasst er meine Arme und dreht

sie mir auf den Rücken. „Ich brauche meinen Körper noch für den
Auftritt.“

Adrenalin peitscht durch meine Venen, als er mich unsanft zum

Sofa führt, ich mit den Beinen den Stoff berühre und er mich mit
seinem Griff zwingt, mich über die Lehne zu beugen.

Das Geräusch einer reißenden Verpackung ertönt und kurze Zeit

später spüre ich seine Erektion, sorgfältig in Latex verpackt an
meinem Oberschenkel. Unsanft schiebt er meinen Body zur Seite,
lässt seine Eichel über meine Schamlippen gleiten und dringt so
rücksichtslos in mich ein, dass ich laut aufstöhne. Blut rauscht in
meinen Ohren, als er meine Hüften umfasst und kraftvoll in mich

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stößt. Doch trotz der groben Behandlung spüre ich, dass es mich
anmacht. Ich beiße die Zähne zusammen, atme tief ein und aus,
versuche mich zu entspannen und mich seinen festen Stößen anzu-
passen. Als er, der von mir am meisten gehasste Mensch, immer
tiefer und tiefer in mich fährt, mich unbarmherzig weitet, fühle ich
auf einmal ein prickelndes Ziehen, dass jeden klaren Gedanken ver-
treibt und mich vor Lust betäubt. Ich spüre, wie meine Muschel
ihm entgegen strebt, ihn willkommen heißt und mich halb besin-
nungslos werden lässt. Mit einem Knurren stößt er noch einmal fest
zu, dass ich ihn so tief in mir spüre, wie nie jemanden zuvor. Er
krallt seine Finger in meine Pobacken, während er abspritzt und
der plötzliche Schmerz und sein Schwanz tief in mir, bringen auch
mich zum Höhepunkt. Ich beiße in das Sofakissen, das vor mir
liegt, um meine Schreie zu dämpfen.

„Gar nicht so schlecht“, murmelt er und zieht seinen Schwanz

aus mir. Ich erhebe mich mit wackeligen Knien.

Er streift das Kondom ab, knotet es zusammen und entsorgt es

in einen Mülleimer, der unter dem Schreibtisch steht.

Er nimmt den Schlüssel von der Kommode, schließt die Tür

wieder auf und macht eine ziemlich eindeutige ‚Du kannst jetzt ge-
hen‘– Geste.

„Genug trainiert“, grinst er. Er wirkt zufrieden. „Wir machen

morgen weiter!“

Ohne ihm zu antworten oder zu beachten, verlasse ich hoch er-

hobenen Hauptes das Zimmer. Er sieht mich kurz irritiert an, dann
zuckt er mit den Schultern und schließt die Tür hinter mir.

Mit zittrigen Beinen gehe ich in meine Garderobe und schließe

die Tür. Oh mein Gott! Was war das denn?

Ich schlüpfe langsam aus dem Body. Er hat unter der rohen Be-

handlung gelitten. Eine Naht ist gerissen.

Verdammt, denke ich. Ich muss das irgendwie bis morgen

reparieren.

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Schnell ziehe ich meine Unterwäsche, die Strumpfhose und mein

schwarzes Stretchkleid an und stopfe den Glitzerbody in meine
Handtasche. Es reicht mir für heute. Ich will nach Hause. Weg von
Elias!

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5

Cat

Ich parke meine kleine weiße Knutschkugel ein paar Häuserb-

locks entfernt. Vor meinem Haus ist leider, wie eigentlich fast im-
mer, kein Parkplatz frei und das Glück hat mich heute als allerlet-
zen Kandidaten auf der Liste. Ich bin sowohl körperlich als auch
geistig total erledigt.

Das mit Elias war aufwühlend und grenzwertig, aber auch erre-

gend und sehr besonders. Ich kenne viele Leute, die nach einer ges-
cheiterten Beziehung Sex mit dem Ex hatten, aber ich glaube nicht,
dass der Sex bei diesen Menschen so voller Rachsucht und Gewalt
gewesen ist. Und doch bereue ich es nicht, mit ihm geschlafen zu
haben, auch wenn es absolut skurril ist. Irgendwie habe ich das Ge-
fühl, wir haben das gebraucht – alle beide. Vielleicht hilft es uns,
die nächsten Tage, die wir gezwungenermaßen miteinander ver-
bringen müssen, zu überstehen.

Völlig in Gedanken schließe ich die Haustür auf und steige die vi-

er Stockwerke bis zu meiner kleinen Altbauwohnung nach oben.
Normalerweise machen mir die Treppen nicht viel aus, ich be-
trachte sie als Teil meines täglichen Fitness-Trainings, aber heute
merke ich jede einzelne Stufe. Ich fühle mich wund gevögelt und
meine Oberschenkel schmerzen. Und auch mein Hintern beschwert
sich über die anstrengende Betätigung. Elias hat seine Finger so
fest in mein Fleisch gekrallt, dass er mit Sicherheit Spuren hinter-
lassen hat. Das wird lustig, wenn wir morgen mit den anderen
zusammen trainieren werden, denn meine Kratzspuren auf seinem
Rücken werden ganz bestimmt auch noch zu sehen sein.

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Egal. Sollen die anderen denken, was sie wollen.
Ich bin erleichtert, als ich endlich vor meiner Wohnungstüre

stehe, den Schlüssel ins Schloss stecke und aufschließe.

„Hey Mum. Ich bin wieder da!“, rufe ich leise.
Sie kommt mir aus dem Wohnzimmer entgegen. Ihre Haare sind

ein wenig verwuschelt und sie sieht müde aus. Es ist auch schon
spät. Vermutlich ist sie auf meinem Sofa eingeschlafen.

„Hallo Schatz. Wie war es?“, fragt sie. Ihre Stimme klingt

kraftlos. Jetzt sehe ich auch die tiefen schwarzen Ringe unter ihren
Augen.

Verdammt, denke ich. Es ist zu anstrengend für sie. Sie sieht gar

nicht gut aus. Wenn Elias und ich die Choreografie nicht schnell
hinbekommen und wir öfter länger bleiben müssen, muss ich mir
etwas anderes einfallen lassen.

„Geht so“, antworte ich. „Das Stück ist interessant und Adam,

der Produzent, hat wirklich gute Ideen. Wir haben ein bisschen
wenig an, aber die Tanznummern sind toll. Ich habe nur Probleme
mit meinem Tanzpartner.“

Sie fährt sich mit den Fingern durch die Haare, um ihre

Kurzhaarfrisur wieder einigermaßen zu richten und sieht mich ab-
wartend an. Ein paar Sekunden lang, überlege ich, es ihr nicht zu
sagen. Ihr nicht zu erzählen, dass ich mit Leo tanzen muss. Aber
das würde nichts bringen. Meine Mum würde es spätestens bei der
Premiere erfahren, denn sie hat bisher alle meine Auftritte angese-
hen. Und wenn sie es erst dann erführe, würde sie sich übergangen
fühlen.

„Mein Tanzpartner ist Elias.“ So, jetzt ist es raus.
„Was?“ Sie macht große Augen. „Elias? Elias Leonhard?“
Ich nicke.
„Dein Elias? Oh mein Gott, Catherine. Und jetzt?“
Ich zucke mit den Schultern. „Gar nichts und jetzt. Ich muss da

wohl durch. Ich habe versucht, Adam davon zu überzeugen, dass er
mich entweder aus dem Vertrag entlässt oder mir einen anderen

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Partner zuweist. Ich hätte sogar auf die Hauptrolle verzichtet. Aber
er lässt nicht mit sich reden.“

„Oh Schatz, das tut mir so leid. War es sehr schlimm, ihn

wiederzusehen?“

„Ja, war es“, flüstere ich. „Ich möchte lieber nicht darüber

reden.“

„Wenn das Schicksal zuschlägt, dann richtig, nicht wahr?“ Sie

klingt traurig.

Ich nehme sie in die Arme. „Wir schaffen das, Mum. Irgendwie

schaffen wir das! Erzähl mir lieber von euch. Was habt ihr heute
gemacht?“

„Luis hatte Stress im Kindergarten. Er hat sich mit einem ander-

en Jungen geprügelt. Die Kindergärtnerin will in den nächsten Ta-
gen mit dir sprechen.“

Oh nein, denke ich. Nicht auch das noch!
„Luis wollte mir nicht erzählen, warum er und der andere Junge

Streit hatten. Er war ziemlich durcheinander. Ich habe ihm unter-
wegs ein Eis gekauft, aber er hat fast nichts davon gegessen, obwohl
es seine Lieblingssorte war. Danach waren wir auf dem Spielplatz.
Er hat Sandskulpturen gebaut, Raumschiffe und Sternenflotten und
so. Und er ist zum Glück ziemlich früh ins Bett gegangen. Ich habe
mich den ganzen Tag nicht besonders gut gefühlt, deshalb war ich
sehr dankbar darüber.“

Ich betrachte sie kritisch. „Du hast wieder einen Schub, oder?“
„Ich fürchte, ja.“
„Oh Mum.“ Hilflos sehe ich sie an. Wenn sie einen ihrer Schübe

bekommt, ist sie oft wochenlang außer Gefecht gesetzt. Sie hat eine
seltene Immunschwäche, die ihr in letzter Zeit in immer kürzeren
Abständen zu schaffen macht.

„Es wird schon gehen“, antwortet sie und macht eine wegwer-

fende Handbewegung und wiederholt den Satz, den wir uns in let-
zter Zeit gegenseitig wie ein Mantra aufsagen: „Wir schaffen das
schon.“

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„Bestimmt“, murmele ich. Um uns abzulenken, hole ich den

Body aus meiner Tasche und halte ihn ihr hin. „Kannst du helfen?
Ich brauchen ihn morgen früh für die Proben.““

„Gott, Catherine. Was ist denn damit passiert?“ Sie nimmt mir

das Ding aus der Hand, betrachtet die kaputte Naht und mustert
das Fähnchen von einem Kleidungsstück kritisch. „Ist das etwa
alles, was du auf der Bühne trägst?“

„Nein, nicht alles“, erwidere ich und verkneife mir zu sagen, dass

zu dem Outfit auch noch halterlose Strümpfe gehören.

„Ich schau mal, was ich tun kann“, erwidert sie und steckt textile

Nichts in ihre Tasche, während sie Jacke und Schuhe anzieht. „Bis
morgen!“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange.

Als die Tür hinter ihr zugefallen ist, kann ich einfach nicht mehr.

Ich lasse mich auf den Fußboden sinken, umschlinge meine Knie
mit den Armen und fange haltlos an zu schluchzen. Die Tränen
rinnen mir wie Sturzbäche über die Wangen und tropfen auf den
Holzfußboden. Alle Emotionen, die ich den ganzen Tag über ver-
sucht habe zu verdrängen, stürzen nun mit voller Wucht auf mich
ein. Dass Elias mein neuer Tanzpartner ist, ist nur der berühmte
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. So viele Probleme wie
jetzt hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben. Und so wenige
Ideen, wie es weitergehen soll, ebenfalls nicht. Dabei ist das
wahrhaftig nicht die erste schwere Zeit, die ich durchmache.

„Weinst du wegen Mami?“
Ich habe ihn nicht kommen hören. In seinem Star Wars-Schla-

fanzug und mit seinem Kuschelkissen im Arm steht er keine zwei
Meter von mir entfernt und sieht mich mit seinen großen blauen
Augen bekümmert an.

Ich versuche meine Tränen wegzuwischen.

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„Ich habe heute im Kindergarten auch geweint“, sagt er so ehr-

lich, wie nur Kinder es sein können, und kommt auf mich zu. „Aber
ich bin keine Heulsuse, oder?“

Ich ziehe seinen kleinen, warmen Körper auf meinen Schoß und

er schlingt die Arme um mich.

„Ich bin immer so traurig wegen Mami“, flüstert er und reibt sich

die Augen.

„Oh Luis!“ Ich streichele seinen kleinen Kopf und er schmiegt

sich an mich. „Natürlich bist du keine Heulsuse. Hat der Junge, mit
dem du dich geprügelt hast, Heulsuse zu dir gesagt?“

„Nein.“ Er schüttelt den Kopf. „Er hat blöde Heulsuse gesagt.

Und dann bin ich wütend geworden und habe ihm auf die Nase ge-
hauen. Und dann hat die Kindergärtnerin mit mir geschimpft,
dabei hat er angefangen.“

„Das tut mir leid. Ich rede mit der Kindergärtnerin.“
Er nickt. „Ich vermisse Mami so schrecklich.“
„Ich auch“, sage ich mit einem dicken Kloß im Hals. Der Kinder-

psychologe, zu dem ich einmal in der Woche mit Luis gehe, hat
gesagt, dass es wichtig für ihn ist, über seine Gefühle zu reden und
ich bin froh darüber, dass er es tut.

Luis‘ Mum, Susanna, meine sieben Jahre ältere Schwester ist

nun seit zweieinhalb Monaten tot.

Plötzlicher Herzstillstand. Sie war mit Luis im Wald spazieren,

als es passiert ist. Als sie gefunden wurde, war es schon zu spät. Sie
war bereits tot und Luis hat Laub aufgesammelt und sie damit
zugedeckt. Weil sie so kalt war, hat er gesagt. Sie soll nicht frieren.

Die ersten Wochen waren der blanke Horror. Er hat überhaupt

nicht verstanden, warum seine Mami nicht mehr wiederkommt.
Leider hat Susanna uns nie verraten, wer Luis Vater ist und so habe
ich das Sorgerecht für ihn bekommen und meine Mum hilft uns, so
gut es ihre Krankheit zulässt. Ich habe schon immer eine starke
Bindung zu Luis gehabt und oft auf ihn aufgepasst. Das hat es

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leichter gemacht, aber ich kann natürlich niemals seine Mami
ersetzen.

Die letzten Monate habe ich alle Auftritte abgesagt, um mich um

Luis zu kümmern, aber Adams Angebot konnte ich nicht ablehnen.
Wir brauchen dringend Geld …

„Wenn jemand Heulsuse zu dir sagt, haue ich ihm auch auf die

Nase!“, sagt er finster. „Ich bin dein Beschützer.“

„Ja.“ Ich muss lächeln. „Du bist mein Luke Skywalker, oder?“
„Ich kann auch Darth Vader sein. Der ist noch stärker.“
Ich erhebe mich und nehme ihn auf den Arm. Er ist noch so

klein, denke ich. So klein und schon so tapfer. „Willst du heute bei
mir schlafen?“, frage ich. „Ich könnte einen Darth Vader als
Beschützer gebrauchen.“

Er nickt dankbar und kuschelt sich an mich.
Ach Luis, denke ich. Wie soll das alles bloß weitergehen?

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Leo

Meine Hand zittert leicht, als ich versuche, die Wagentür meines

schwarzen Audis aufzuschließen. Ich fühle mich hundeelend. Gäbe
es eine Möglichkeit, den heutigen Tag zu löschen, würde ich sie
gerne in Anspruch nehmen. Die Begegnung mit Cat und der Sex mit
ihr haben mich emotional total ausgelaugt. Mir geht es richtig
schlecht.

Obwohl sie mich provoziert hat, ist es eigentlich nicht meine Art,

Frauen so gefühllos zu behandeln. Ich habe in den letzten Jahren
mit vielen verschiedenen Frauen geschlafen, eine feste Beziehung
war weder zeitlich noch gefühlsmäßig eine Option für mich, und
klar habe ich manchmal auch härteren Sex gehabt, aber ich habe
meine jeweiligen Affären immer fair behandelt und zu einigen habe
ich sogar noch guten Kontakt.

Das gerade eben mit Catherine war anders.
Es war eine wahre Explosion negativer Gefühle. Am meisten

Angst macht mir, dass ich mich überhaupt nicht mehr im Griff
hatte. Wie konnte ich ihren Körper, den Körper, den ich früher
verehrt habe, so roh behandeln? Auch wenn ich das Gefühl hatte,
dass sie es so wollte und es sogar genossen hat, es war falsch. Ich
bin doch einer von den Guten, oder?

Aber Cat hat es innerhalb weniger Stunden geschafft, das Tier in

mir zu wecken und mich mein Benehmen und meinen Anstand ver-
gessen zu lassen. Gott, was für fiese Sachen ich zu ihr gesagt habe.
So bin ich eigentlich gar nicht. Aber ihr Anblick und ihre giftige Art
haben mich verletzt – mehr verletzt, als ich zugeben wollte.

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Und ausgerechnet heute sind Dennis und Raphael anderweitig

beschäftigt. Ich würde mir liebend gerne den Ballast von der Seele
reden und ich weiß, dass die beiden mir zuhören würden, ohne mir
Vorwürfe zu machen.

Ach verdammt. Wütend auf mich selbst schlage ich auf das Len-

krad und lasse den Motor an.

Wie in Trance fahre ich nach Hause und gehe auf direktem Weg

ins Bad und unter die Dusche. Es brennt wie Feuer, als das warme
Wasser über die Kratzspuren läuft, die Catherine mir zugefügt hat.

Ach Cat, was ist nur aus uns geworden?

***

Ich bin schon wieder reichlich spät dran. Das reißt langsam ein.

Ich habe diese Nacht so schlecht geschlafen, dass ich heute Morgen
nicht sehr gut aus dem Bett gekommen bin. Nach stundenlangem
Hin- und Hergewälze bin ich endlich eingeschlafen und habe von
Cat geträumt. Ich kann mich nicht mehr genau an den Traum erin-
nern, aber er war nicht schön. Ich bin von meinem eigenen gequäl-
ten Schrei aufgewacht und war so nassgeschwitzt, dass ich direkt
noch einmal unter die Dusche gestiegen bin. Und danach konnte
ich gar nicht mehr schlafen. Ich habe mich daran erinnert, wie wir
früher gemeinsam eingeschlafen sind, wie ich sie in meinen Armen
gehalten und den Vanilleduft ihrer Haare eingeatmet habe. Cats
Haare haben immer nach Vanille gerochen. Ich habe den Geruch
geliebt.

Schnell ziehe ich meine Schuhe, Jeans und das weiße Longsleeve

aus und schlüpfe in die enge, rote Santa-Hose. Ich stelle mich vor
den Garderobenspiegel und werfe einen Blick über meine Schulter.
Die Kratzspuren sind heute nicht mehr so feuerrot wie gestern, aber
sehen kann man sie trotzdem noch deutlich. Ich verziehe das

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Gesicht. Das wird bestimmt eine Menge Kommentare von den an-
deren hageln.

Gerade noch rechtzeitig betrete ich die Bühne. Einige machen

bereits Aufwärmübungen. Dennis und Raphael winken mir zu und
ich gehe zu ihnen hinüber. Cat kann ich nirgendwo entdecken. Ist
sie auch zu spät? Sähe ihr gar nicht ähnlich. Zumindest früher war
sie die Pünktlichkeit in Person. Vielleicht hat sich das in den letzten
Jahren ja geändert.

„Hey Leo, wie lief das Training mit Catherine?“, fragt Dennis,

unterbricht kurz seine Dehnübung und sieht mich auffordernd an.

„Geht so“, antworte ich ausweichend. Es stehen zu viele Leute in

der Nähe. Zu viele Leute, die das Ganze nichts angeht.

„Gott, Leo, was sind denn das für Kratzer?“, fragt Rapha und be-

trachtet meinen Rücken mit großen Augen.

„Ein Unfall“, murmele ich und versuche ihn mit meinen Blicken

zum Schweigen zu bringen. Doch Rapha steht manchmal leider et-
was auf der Leitung.

„Ein Unfall?“, lacht er. „Ein Trainingsunfall mit Catherine? Was

habt ihr zwei denn in Wirklichkeit trainiert? Wo ist sie überhaupt?
Hast du sie um die Ecke gebracht? Du hast ja gestern ausgesehen,
als ob du sie gleich töten willst. Woher kennt ihr euch überhaupt?“

„Sei ruhig, Rapha“, flüstert Dennis. Ich nicke ihm dankbar zu. Im

Gegensatz zu Rapha hat er verstanden, dass jetzt nicht der richtige
Zeitpunkt und der richtige Augenblick zum Reden ist. „Da kommt
Catherine übrigens!“ Ich folge seinem Blick und sehe, dass Cather-
ine gemeinsam mit Adam die Bühne betritt.

„Guten Morgen“, erschallt Adams markante Stimme durch den

Saal. „Kommt ihr dann alle kurz zusammen?“

Die Gruppe unterbricht ihre Übungen und wir setzen sich im

Halbkreis um Adam herum. Catherine hockt genau am anderen
Ende und vermeidet es, mich anzusehen.

Adam erklärt kurz das heutige Trainingsprogramm und gibt die

neusten Zahlen des Kartenvorverkaufs bekannt. Die ersten

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Aufführungen sind so gut wie ausgebucht. Die Werbung für das
Stück gepaart mit Adams Namen scheint gut anzukommen.

„Das heißt natürlich, dass wir alles geben müssen. Ich will die

Leute auf keinen Fall enttäuschen“, sagt Adam und sieht erst mich,
dann Cat an. „Elias, Catherine, ihr seid im Moment unser Schwach-
punkt. Ich will sehen, ob es heute mit euch beiden besser funk-
tioniert. Also, tanzt für uns!“

Shit. Adam ist echt ein harter Hund. Ich hoffe, Catherine spielt

mit. Langsam stehe ich auf und trete in den Kreis. Auch sie erhebt
sich. Sie sieht müde aus. Ihre blauen Augen funkeln nicht vor lauter
Wut wie gestern, sondern sehen trüb aus.

So, als hätte sie die ganze Nacht geweint, denke ich und spüre

ein schmerzhaftes Ziehen in der Brust. Mit der Cat von gestern, die
mich gereizt und beleidigt hat, konnte ich irgendwie umgehen, auch
wenn sie damit meine dunklen Seiten zum Vorschein gebracht hat.

Mit der Person heute, die einfach nur tieftraurig aussieht, wird

es schwerer werden. Obwohl ich es eigentlich gar nicht will, frage
ich mich, warum sie so niedergeschlagen ist. Das kann doch nicht
nur an mir liegen, oder?

***

Cat

Luis hat sehr unruhig geschlafen und er hat im Schlaf geweint.

Die Hälfte der Nacht habe ich seinen kleinen Kopf gestreichelt und
über ihn gewacht. Ich bin so müde, dass ich kaum geradeaus guck-
en kann. Zu allem Überfluss ist heute Morgen mein Auto verreckt

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und Luis und ich mussten mit den Öffentlichen fahren. Ich hoffe
mein Auto hat nichts Schlimmes, denn eine teure Reparatur kann
ich mir nämlich nicht leisten.

Zum Glück hat meine Mum es geschafft, das Kostüm zu flicken.

Als ich den Body bei ihr abholte, nachdem ich Luis zum Kinder-
garten gebracht hatte, sah sie noch ein bisschen schlechter aus als
gestern Abend. Ich hoffe, sie hält noch ein bisschen durch und kann
Luis heute Nachmittag wieder abholen. Ich mache mir große Sor-
gen um sie. Aber ich weiß auch keine Alternative. Einen Babysitter
kann ich mir im Moment nicht leisten. Und ich will Luis auch nicht
einfach irgendjemandem anvertrauen. Er hat es schwer genug.

Jetzt vor dem ganzen Ensemble vortanzen zu müssen, hat mir

gerade noch gefehlt. Aber es ist nicht das erste Mal, dass ich tän-
zerisch vor so einer Herausforderung stehe. Ich hatte eine ziemlich
strenge Ballettlehrerin, die keine Schwäche zugelassen hat.

Ich spüre die Blicke der anderen Tänzer im Rücken, als ich auf

Elias zugehe. Ein leises Raunen geht durch die Menge und ich kann
mir denken, was es bedeutet. Die anderen haben unsere „Kampf-
spuren“ entdeckt. Ich habe ein paar ziemlich beeindruckende blaue
Flecken auf meinem Hinterteil, das von dem Body leider so gut wie
gar nicht bedeckt wird. Und Leos Rücken sieht ebenfalls schlimm
aus. Die Kratzspuren, die ich ihm verpasst habe, leuchten in einem
unschönen Dunkelrot auf seiner gebräunten Haut. Er nickt mir
kurz zu, reicht mir die Hand und die Musik ertönt. Ich versuche,
mich zu konzentrieren und alle Schritte richtig zu tanzen. Auch Eli-
as gibt sich Mühe und führt mich durch die Nummer.

„Schon besser“, meint Adam, als wir fertig sind. „Aber noch nicht

perfekt. Das hier ist einer der einfacheren Tänze und ihr har-
moniert immer noch nicht richtig. Ich will, dass ihr so lange probt,
bis ihr Blasen an den Füßen habt. Ich verlasse mich auf euch.“ Ich
halte kurz die Luft an, in der Erwartung, dass er noch etwas zu un-
seren Blessuren sagt, aber es kommt nichts. Puh! Die anderen
stehen auf und nehmen ihre Positionen für den nächsten Tanz ein,
als Adams Stimme noch einmal ertönt: „Und Elias und Catherine:

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ich habe keine Ahnung, wie genau eurer Training abläuft, aber
blaue Flecken und Kratzspuren will ich hier nicht sehen. Eure
Körper müssen perfekt sein, habt ihr verstanden?“

Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.
„Das war ein Unfall“, höre ich Leo sagen. „Wir haben eine He-

befigur ausprobiert und sind abgerutscht!“

Adam runzelt kurz die Stirn, aber er sagt nichts weiter.
„Danke“, flüstere ich leise.
„Wofür?“, will er wissen.
„Für die Notlüge.“
„Reines Eigeninteresse“, erwidert er mit einer wegwerfenden

Handbewegung. „Ich werde Adam bitten, mir sein iPad zu geben.
Er hat alles aufgezeichnet. Dann kannst du dir ansehen, was du als
nächstes tanzen musst.“

Er geht hinüber zu Adam und kommt kurze Zeit später mit dem

Tablet zurück. „Gut, dann wollen wir mal“, meint er. „Wir können
das Gerät für ein paar Tage ausleihen. Du kannst es später mit nach
Hause nehmen und dir die Schritte ansehen. Ich zeige dir kurz un-
seren Part bei der Szene, die wir heute üben wollen.“

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Leo

Es läuft gar nicht so schlecht. Auf jeden Fall um ein Vielfaches

besser als gestern. Wir bemühen uns beide, professionell zu sein
und uns einfach nur auf das Tanzen zu konzentrieren. Irgendwie ist
es heute entspannter, wir haben die aggressiv-sexuelle Anspannung
weggevögelt.

Außerdem lernt Cat wahnsinnig schnell. Auch wenn ich es un-

gern zugebe, sie ist wirklich phänomenal gut. Ich kenne
niemanden, der Tanzabfolgen so schnell adaptiert. Auch Adam
sieht einigermaßen zufrieden aus.

Es ist bereits Nachmittag und wir sind alle am Limit, als er uns

endlich eine Pause gönnt.

„Ihr habt eine halbe Stunde. Danach will ich euch wieder hier

oben sehen. Wenn alles gut läuft, machen wir heute etwas früher
Schluss.“

Ich drehe mich zu Cat um, doch sie ist schon verschwunden.

Dafür warten Dennis und Rapha auf mich.

„Wir kommen mit in deine Garderobe“, bestimmt Dennis. „Du

bist uns noch eine Erklärung schuldig.“

Leicht genervt verdrehe ich die Augen. Gestern Abend hätte ich

gerne geredet, aber jetzt habe ich mich eigentlich auf eine kleine
Erholungspause gefreut. Ich hätte gerne für einen Moment die Au-
gen zugemacht. Die Müdigkeit hat mich gerade richtig in ihren
Klauen. Aber die beiden lassen sich nicht abschütteln.

Dennis betritt als letzter meine Garderobe, schließt die Tür und

nimmt auf meinem Schreibtischstuhl Platz. Ich setze mich zu
Rapha aufs Sofa.

„Ich höre“, sagt er und sieht mich erwartungsvoll an.

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Ich hebe fragend eine Augenbraue. „Was?“
„Hör mal, Hübscher. Verarschen kann ich mich selbst. Ich will

wissen, was das zwischen dir und Catherine ist. Was zur Hölle habt
ihr gestern gemacht? Ihr seht aus, als hättet ihr mit Raubtieren
gekämpft.“

„Nicht mit Raubtieren“, murmele ich leise. „Nur miteinander.“
„Bist du bescheuert, Leo?“ Dennis ist aufgesprungen. „Seit wann

schlägst du wehrlose Frauen?“

Ich lache verächtlich. „Wehrlos ist Catherine ganz bestimmt

nicht. Außerdem wollte sie es.“

Nun starrt auch Raphael mich an. „Ihr habt gevögelt, oder? Mein

Gott, ich wusste gar nicht, dass du auf SM stehst.“

„Seid ihr Cops und nehmt mich ins Kreuzverhör oder was soll

das werden?“, antworte ich mürrisch.

„Wir sind deine Freunde, Leo. Wir wollen nur wissen, was mit

dir los ist. Und warum ihr beide euch so komisch benehmt. Glaubst
du etwa, die anderen hätten es nicht gemerkt? Die Gerüchteküche
brodelt. Und Adam ist nicht sehr begeistert. Ich glaube, am liebsten
würde er euch tatsächlich beide rausschmeißen. Du weißt, wie sehr
er unprofessionelles Verhalten hasst.“

Ich zucke resigniert mit den Schultern. „Wie wäre es denn für

euch, wenn ihr euch getrennt hättet, euch nach Jahren wiedersehen
würdet und dann auch noch miteinander tanzen müsstet?“

„Sie ist deine Ex. Ich wusste es!“ Rapha klatscht in die Hände.

„Siehst du Dennis. Habe ich doch gesagt.“

Dennis ignoriert seine bessere Hälfte einfach. „Wir würden uns

dann sicherlich nicht gegenseitig verprügeln, sondern versuchen,
professionell zu sein.“

„Du hast leicht reden“, erwidere ich. „Du hast ja keine Ahnung,

wie wir auseinander gegangen sind. Nur jemand, der einen andern
Menschen so geliebt hat, wie ich Catherine geliebt habe, kann das
Gefühl der absoluten Ohnmacht nachvollziehen. Alle anderen
haben nicht ansatzweise eine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt

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innerlich zerfetzt zu werden. Ich bin niemals zuvor von einem
Menschen so verletzt und enttäuscht worden.“

Dennis rollt mit dem Stuhl zu mir herüber, legt die Hände auf

meine Knie und sieht mir mit einer Mischung aus Mitleid und Neu-
gier in die Augen. „Erzählst du es uns? Wenn es drauf ankommt,
kann sogar Rapha seinen Mund halten.“

„Hey …“, macht Rapha beleidigt.
„Schon gut, Schatz. Du weißt, wie ich das meine.“ Dennis wirft

ihm einen Luftkuss zu und Rapha lächelt wieder.

Schön, wenn man sich so gut versteht.
„Also, Leo. Wir sind hier und hören zu.“
Ich presse meine Handflächen auf meine Oberschenkel und hole

tief Luft. „Catherine und ich waren noch sehr jung, als wir zusam-
mengekommen sind“, beginne ich. „ Sie war erst siebzehn und ich
ein Jahr älter. Wir waren auf der gleichen Schule. Ich war der erste
Mann, mit dem sie geschlafen hat. Sie war so wunderschön, klug
und nett und wir hatten die gleiche Leidenschaft fürs Tanzen. Ich
habe sie wahnsinnig geliebt. Und auch im Bett war sie der Ham-
mer. Ihre mangelnde Erfahrung hat sie durch Experimentier-
freudigkeit und Neugierde ausgeglichen. Sie war meine absolute
Traumfrau. Nach dem Abi habe ich ein freiwilliges soziales Jahr
gemacht, während sie das letzte Jahr in der Schule war. Ich habe
nur darauf gewartet, dass sie den Abschluss in der Tasche hat und
wollte dann mit ihr unseren großen Traum verwirklichen – gemein-
sam auf eine berühmte Tanzakademie in England. Wir haben mon-
atelang trainiert, haben dann unser Erspartes zusammengekratzt,
sind nach England geflogen und haben vorgetanzt. Doch leider lief
es nicht so wie geplant. Meine Chancen waren wesentlich besser,
weil es nicht gerade viele männliche Bewerber gab. Am Ende woll-
ten sie mich nehmen, aber Catherine nicht. Für mich kam es gar
nicht in Frage, das Angebot ohne sie anzunehmen.“

„Aber du bist doch dort gewesen – auf dieser Academy. Oder

nicht?“Rapha sieht mich verständnislos an.

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„Ja. Das war danach. Nach unserer Trennung.“ Ich verziehe das

Gesicht. Die Erinnerung schmerzt noch immer.

„Ich wollte Catherine beweisen, dass sie mir mehr bedeutet als

irgendeine Tanzschule im Ausland, also habe ich sie am Abend vor
ihrem Abiball gefragt, ob sie mich heiraten will.“

„Was? Nicht dein Ernst?“, fragt Dennis.
„Doch. Ich war mir sicher, dass sie meine Traumfrau ist, auch

wenn sie zu dem Zeitpunkt erst achtzehn war.“

„Und was hat sie gesagt?“, hakt Rapha gespannt nach.
„Sie war irgendwie geschockt. Ich fand, sie war den ganzen

Abend über ein bisschen seltsam. So still und blass. Ich Idiot habe
es darauf geschoben, dass es die Aufregung vor dem Ball sein
musste, denn sie sollte dort auch vortanzen. Sie hat sich einen Tag
Bedenkzeit erbeten. Das fand ich in Ordnung, denn wir waren ja
wirklich noch sehr jung und das war eine große Entscheidung. Aber
ich war mir sicher, dass sie am Ende ja sagen würde.“

„Aber das hat sie nicht?“, fragt Dennis mit sanfter Stimme und

legt eine Hand auf meine verkrampften Finger. Er hat gemerkt, wie
schwer es mir fällt, darüber zu reden und wie verletzt ich immer
noch bin, obwohl es schon so lange her ist. Es ist schön, einen so
einfühlsamen Freund zu haben.

„Nein. Und sie hat aus ihrer Antwort eine große Show gemacht.

Noch nie hat mich jemand so gedemütigt. Ich war auf dem Abiball
und habe mir ihren Auftritt angesehen. Sie hat mit einem
Mitschüler getanzt und die beiden waren echt gut. Als sie fertig
waren, hat sie sich das Mikro geschnappt und sich bei den Leuten
für den Applaus bedankt. Und dann hat sie mich angesehen. ‚Leo‘,
hat sie gesagt, ‚ich bin dir noch eine Antwort schuldig. Die Antwort
lautet Nein. Ich liebe dich nicht mehr. Ich habe jemand anderen.‘
Und dann hat sie ihren Tanzpartner geküsst. Vor allen Leuten. Ich
war wie erschlagen.“

„Oh Gott, Leo. Das tut mir leid. Das muss schrecklich gewesen

sein“, meint Dennis mitfühlend.

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„Es war mehr als das. Es war grausam. Ich bin direkt danach

nach England gegangen. Ich wollte ganz weit weg und sie nie mehr
wiedersehen. Aber irgendwann bin ich zurückgekommen. Die Stadt
ist ja groß und ich dachte, nach so vielen Jahren würde es mir
nichts mehr ausmachen, wenn ich sie zufällig auf der Straße sehen
würde. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass ich eines
Tages mit ihr tanzen muss.“

Es klopft an der Tür und ich stoppe meine Erzählung. Dennis‘

Tanzpartnerin steckt den Kopf zu uns herein.

„Jungs? Kommt ihr? Beeilt euch, wir warten!“
Wir erheben uns und Dennis legt den Arm um meine Schultern.

„Du schaffst das, Leo. Du bist unser Löwe!“

„Wir werden sehen“, murmele ich leise und straffe die Schultern.

„Gehen wir zurück aufs Schlachtfeld!“

***

Cat

Pause. Gott sei Dank. Schnell verschwinde ich in meine Garder-

obe, schnappe mir meine Handtasche und hole mein Handy heraus.

Zwei Anrufe in Abwesenheit, beide von meiner Mum. Oh nein!

Hoffentlich ist nichts Schlimmes passiert.

Mit klopfendem Herzen wähle ich ihre Nummer. Nach einer ge-

fühlten Ewigkeit nimmt sie endlich den Hörer ab.

„Levevre?“ Sie klingt schon wieder sehr müde.
„Mum, hier ist Catherine. Du hast versucht mich anzurufen. Ist

alles in Ordnung?“

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„Nicht so richtig. Ich war gerade beim Arzt. Er hat mir neue

Medikamente verschrieben und mir strenge Bettruhe verordnet. Er
hat gesagt, ich muss mich unbedingt schonen, sonst weist er mich
ins Krankenhaus ein. Was machen wir denn jetzt? Ich muss mich
doch um Luis kümmern.“ Sie ist kurz davor, in Tränen
auszubrechen.

„Mum, ich mache das schon. Ich lasse mir etwas einfallen. Ruh

dich aus, ich hole Luis nachher ab“, sage ich mit fester Stimme. Sie
soll nicht merken, wie sehr mich diese Nachricht umhaut. Ich habe
zwar damit gerechnet, aber trotzdem gehofft, dass ihre Krankheit
uns noch ein bisschen Schonzeit lässt. Doch eigentlich war klar,
dass es so kommen wird. Das Schicksal hat mich gerade eindeutig
auf der Abschussliste.

Ich rede noch ein paar Minuten beruhigend auf sie ein und lege

dann auf.

Ich muss mich zusammenreißen, um vor Verzweiflung nicht laut

zu schreien. Ich bin wütend – wütend auf das Schicksal, das sein
perverses Spiel mit den Menschen spielt, die ich am meisten liebe.
Wäre das Schicksal eine leibhaftige Person, würde ich ihm ins
Gesicht spucken und ihm dann die Augen auskratzen.

Panisch werfe ich einen Blick auf die Uhr meines Smartphones.
Mist!
Wenn ich rechtzeitig zum Kindergarten kommen will, muss ich

dringend los. Die Fahrt- und Umsteigzeit mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln eingerechnet, könnte es ganz schön knapp werden.

Adam wird mich einen Kopf kürzer machen, wenn ich jetzt gehe.

Aber ich habe keine Wahl!

Schnell ziehe ich mich um, drehe meine blonden Mähne zu

einem seriösen Knoten auf und wappne mich innerlich für den
Kampf mit Adam, als ich die Bühne wieder betrete.

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Leo

Erstaunt beobachte ich, wie Cat in ihren normalen Straßenk-

lamotten, einer Hüftjeans, einem grauen Sweatshirt und Winter-
stiefeln, die Bühne betritt und auf Adam zugeht. Was soll das denn
jetzt? Wieso hat sie sich umgezogen?

Adam gestikuliert wild und schüttelt heftig den Kopf. Ich kann

nicht hören, was die beiden sagen, also gehe ich näher heran. Ich
will wissen, was da los ist.

„Du kannst jetzt auf keinen Fall gehen, Catherine. Wir sind hier

noch nicht fertig.“

„Adam, es tut mir wirklich leid, aber ich muss gehen. Es ist wirk-

lich ein Notfall. Ich habe dir doch von meiner familiären Situation
erzählt.“

„Was ist denn los?“, frage ich.
Sie hebt den Kopf und runzelt die Stirn. Ich habe das Gefühl, es

passt ihr nicht, dass ich mich in das Gespräch einmische. „Ich habe
einen Notfall in der Familie. Meine Mum ist krank und ich muss et-
was erledigen“, sagt sie. „Und deshalb muss ich jetzt weg. Ich bin
auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen, mein Auto ist heute
Morgen verreckt.“

„Was ist mit deiner Mum?“, frage ich. Ich habe sie immer sehr

gemocht. Ihren Vater habe ich leider nicht kennengelernt, er ist
gestorben, als sie zwölf war, aber ihre Mutter ist eine tolle Frau.

Wenn zwei Menschen sich trennen, ist nicht nur diese Bindung

Geschichte, weil immer auch noch andere, die man im Laufe der
Zeit sehr lieb gewonnen hat, an dem dünnen Band zwischen den
beiden Liebenden hängen. Und ist das Band zerstört, verliert man

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diese Menschen leider auch – so wie ich Catherines großartige
Mutter.

„Sie ist krank“, erwidert sie unwirsch. „Und ich muss jetzt wirk-

lich los. Ich habe keine Wahl, Adam.“ Sie sieht verzweifelt aus.

„Und wenn ich dich fahre?“, höre ich mich sagen. „Dann hättest

du doch noch Zeit ein bisschen mit mir zu trainieren, oder?“

Sie sieht mich überrascht an. So richtig scheint ihr mein Vorsch-

lag nicht zu gefallen. Ich weiß auch nicht, warum ich es überhaupt
angeboten habe. Vielleicht um mein schlechtes Gewissen zu
beruhigen?

„Hervorragende Idee!“ Adam klatscht zufrieden in die Hände.

„So machen wir das. Und vielleicht findet ihr beide ja dann auch
noch ein bis zwei Stunden Zeit um irgendwo anders weiter zu train-
ieren. Ist mir egal wo. Ich erwarte, dass ihr funktioniert und endlich
anfangt miteinander zu harmonieren.“

Catherine sieht alles andere als glücklich aus. „Ich würde lieber

den Bus nehmen.“

„Kommt nicht infrage. Ihr trainiert weiter und Elias fährt dich.

Denk an unseren Vertrag. Da steht auch etwas über Arbeitsverwei-
gerung“, meint Adam.

„Aber ich sage doch, es ist ein Notfall!“
„Geht es um Leben und Tod oder musst du nur pünktlich da

sein?“

„Pünktlich da sein. Aber ...“
„Nichts aber. Elias fährt dich und jetzt macht weiter. Ausnahms-

weise kannst du in den Klamotten trainieren.“ Mit diesen Worten
lässt Adam sie einfach stehen und geht zu einer anderen Gruppe
hinüber.

„Ich weiß nicht, ob ich jetzt danke sagen soll. Denn eigentlich

wäre mir der Bus wirklich lieber gewesen“, seufzt sie und schüttelt
den Kopf. „Warum hast du dich eingemischt?“

„Ich wollte nur helfen.“
„Na klar.“

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„Doch, wirklich. Ich mag deine Mum. Und wenn es tatsächlich

ein Notfall ist, tue ich das gerne.“

Sie sieht nicht besonders begeistert aus, nimmt aber ihre Tanz-

position ein. „Gut, machen wir noch eine halbe Stunde weiter.“

***

Cat

Schweigend sitze ich neben Leo in seinem schwarzen Flitzer und

tue so, als ob ich der Musik aufmerksam zuhöre, die aus seinem
Autoradio erklingt. Aber eigentlich bekomme ich nichts von dem
mit, was dort gerade läuft. Ich bin viel zu sehr mit meinen
Gedanken beschäftigt.

Warum hat er angeboten, mich zu fahren? Wieso verhält er sich

heute so offensichtlich freundlich? Erst die Sache mit dem iPad und
nun das? Sollte er tatsächlich ein schlechtes Gewissen wegen
gestern haben? Oder hat er Angst, dass ich pikante Details unseres
Intermezzos preisgeben könnte?

Bei jedem anderen wäre ich froh gewesen, wenn er angeboten

hätte, mich zu fahren, aber ich will nicht, dass Elias irgendetwas
von meinem Privatleben mitbekommt. Es geht ihn nichts an – nicht
mehr.

Ja, es gab eine Zeit, in der ich mir gewünscht hätte, dass er und

ich für immer zusammen sein würden. Aber da war ich noch dumm
und naiv und sehr jung.

Ich hätte mir gewünscht, dass damals alles anders gelaufen wäre.

Aber ich musste mich entscheiden …

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„Catherine? Wohnt deine Mutter noch in der Fasanenstraße?

Oder wo müssen wir hin?“

Ich zucke erschreckt zusammen. Ich habe ihm nur gesagt, er soll

auf der Stadtautobahn Richtung Kreuz West fahren.

„Nein, wir fahren nicht zu meiner Mum“, sage ich und zeige ihm,

wo er abbiegen soll.

Er fragt nicht weiter nach, sondern folgt meinen Anweisungen.
„Du kannst mich hier rauslassen“, sage ich, als wir in die Straße

des Kindergartens einbiegen.

Erstaunt sieht er sich um. „Hier?“
Statt zu antworten, nicke ich nur.
„Ok“, murmelt er und parkt am Straßenrand, keine zwanzig

Meter vom Kindergarten entfernt.

„Danke fürs Bringen“, sage ich und steige aus.
„Halt! Die Abmachung war, dass wir nach deiner Mutter sehen

und dann, weiter trainieren, wenn es möglich ist.“ Er steigt eben-
falls aus dem Wagen.

Verdammt, denke ich. Und jetzt?
„Hör mal, Leo. Ich danke dir für deine Hilfe, aber ich glaube

nicht, dass ich heute noch arbeiten kann.“

„Ich habe das nicht für dich gemacht, Kitty.“ Er klingt gereizt.

„Wir stehen bei Adam auf der Abschussliste. Ich will die Show rock-
en. Und das kann ich nur, wenn wir beide alles geben. Also muss
ich dir wohl helfen.“

„Ich habe nie gesagt, dass ich nach meiner Mutter sehen will.“
„Was tun wir dann hier?“

Bevor ich mir eine Antwort überlegen kann, was ich antworten

kann, um ihn schnell loszuwerden, höre ich plötzlich, wie jemand
meinen Namen ruft.

„Catherine!“
Luis, denke ich und drehe mich um.

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Er steht am Gartenzaun des Kindergartengeländes und winkt

wild mit seinen kleinen Händen durch die Luft. „Komm schnell, du
musst dir ansehen, was ich gebaut habe!“

***

Leo

Was zur Hölle …?, denke ich und starre das kleine Kerlchen an,

dass da am Gartenzaun steht. Ein Kind? Catherine hat ein Kind?
Oh Gott! Und der Vater dazu? Hat sie ihn etwa mit mir betrogen?

Ich weiß nicht, warum ich davon ausgegangen bin, dass sie,

genau wie ich, nicht liiert ist. Was für ein Miststück. Obwohl… dann
hätte ihr Mann oder Partner sie ja auch abholen können und sie
wäre sicher nicht zu mir ins Auto gestiegen. Bestimmt ist sie al-
leinerziehend und weiß entweder nicht, wer der Vater ist oder hat
sich schon wieder von ihm getrennt.

Ich schnaube verächtlich. Das würde zu ihr passen.
„Luis!“, ruft Cat und geht auf den Jungen zu. Meine Neugierde

bewegt mich dazu, ihr zu folgen. Vor dem Zaun bleibt sie stehen.

Der Kleine ist dick eingepackt. Erträgt einen Schneeanzug und

einen Schal und unter der roten Wollmütze lugen blonde Haare
hervor. Er hat große, runde blaue Augen, genau wie Catherine.

„Komm schnell. Ich will dir was zeigen“, sagt er atemlos und

zeigt in den hinteren Bereich des Spielgartens. Seine kleinen Finger
sind ganz rot vor Kälte. Handschuhe trägt er keine. Dann entdeckt
er mich.

„Wer ist das?“, will er wissen und mustert mich interessiert.

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„Das ist Elias, mein Tanzpartner. Er hat mich hergebracht und er

geht gleich wieder!“

Sie will mich loswerden.
„Willst du auch sehen, was ich gebaut habe?“, fragt der Kleine.
Ich nicke. „Wenn ich darf, gerne.“
„Dann kommt schnell.“
Cat scheint das nicht recht zu sein, doch gegen den Kleinen hat

sie keine Chance. „Ach bitte. Er soll es auch sehen.“

Bei diesem Hundeblick wäre ich auch machtlos. Ich muss

lächeln. Der kleine Mann scheint Cat gut im Griff zu haben. Ver-
mutlich ist er das einzige männliche Wesen, das es schafft, sie dazu
zu bringen, das zu tun, was es will.

Sie geht um den Zaun herum zum Eingang des Gebäudes und ich

folge ihr einfach.

Als wir den Kindergarten betreten, kommt uns eine der

Erzieherinnen entgegen.

„Frau Levevre. Ich muss kurz mit Ihnen reden. Luis hat sich

heute schon wieder mit einem anderen Jungen geprügelt!“

Catherine seufzt und sieht mich leicht hilflos an.
„Ich gehe schon mal nach draußen, ok?“, sage ich und lasse sie

einfach stehen. Ich bin gespannt auf den Kleinen. Wenn sie nicht
dabei ist, kann ich ja mal nach seinem Vater fragen.

Leo, was soll das?, schimpft mein Kopf. Warum interessiert dich

das überhaupt?

Ich gehe auf die Tür zu, die in den Garten führt und sehe schon

von Weitem die rote Wollmütze leuchten. Er steht draußen und
wartet.

„Wo ist Catherine?“, fragt er, als ich auf ihn zugehe.
„Deine Mutter kommt gleich. Sie muss noch etwas mit der

Kindergärtnerin bereden“, antworte ich.

Er zieht die Stirn kraus. „Bestimmt wegen vorhin. Ich hatte

Streit!“

„Weswegen denn?“

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„Ich zeig es dir“, sagt er und marschiert auf den Sandkasten zu.
Auf jeden Fall ein aufgeschlossenes Kerlchen, denke ich und

folge ihm. Wie alt mag er sein? Ich kenne mich nicht wirklich gut
mit kleinen Kindern aus, aber er spricht schon ziemlich gut. Also
fünf oder sechs?

„Catherine ist nicht meine Mami“, erklärt er, als wir vor der

großen Sandkiste angekommen sind. „Catherine ist meine Tante.
Meine Mami wohnt da oben.“ Er zeigt mit seinen kleinen Fingern in
den Himmel. „Aber sie ist da noch ganz neu, weißt du. Und sie
muss Weihnachten ohne uns feiern. Deshalb habe ich das hier
gemacht. Damit sie es von oben sieht und sich freut!“

Oh Gott, denke ich und fröstele plötzlich. Das sind ein bisschen

viele Informationen auf einmal. Catherines Schwester ist tot? Und
sie hatte ein Kind?

Ich kannte Susanna nicht wirklich. Sie war um einiges älter als

Cat und hat schon nicht mehr zu Hause gewohnt, als wir zusammen
waren. Ich habe sie nur ein-, zweimal gesehen. Sie wirkte sehr nett
und aufgeschlossen und sie sah Cat ziemlich ähnlich. Der Kleine
lässt mir keine Zeit zum Nachdenken. Er sieht mich auffordernd an
und deutet auf den Sandkosten. Mein Blick folgt seiner Geste und
fällt auf eine riesige Sandskulptur, die entfernt an einen Weih-
nachtsbaum erinnert. Etwas unförmig, aber durchaus zu erkennen.
An einigen Stellen führen Fußspuren durch die Figur.

„Siehst du das?“ Er wirkt bekümmert. „Das war Matteo. Er ist

einfach durch meinen Baum gelaufen. Jetzt ist er kaputt!“

„Und deshalb hast du dich geprügelt?“
„Ich habe ihn nur weggeschubst. Mami soll doch einen schönen

Baum haben und keinen kaputten.“ Seine blauen Augen sind voller
Tränen und ich bekomme sofort Mitleid mit ihm.

„Soll ich dir helfen, ihn zu reparieren?“
Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen und zieht

die Nase hoch. „Das schaffen wir nicht mehr. Der Kindergarten ist
jetzt aus.“ Doch dann scheint er eine Idee zu haben, denn er lächelt

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plötzlich. „Aber wir könnten auf den Spielplatz gehen. Da gibt es
auch einen großen Sandkasten.“

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Cat

Ich sehe Leo und Luis, wie sie vor der Sandkiste stehen und sich

unterhalten. Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht, dass Leo Luis
kennenlernt. Ich wollte nicht, dass Leo mehr über mein Privatleben
erfährt und ich wollte mich schützen. Der Schmerz, den ich spüre,
als ich die beiden nebeneinander stehen sehe, ist fast nicht zu ertra-
gen. Ich muss mich beherrschen, denn der dicke Kloß in meinem
Hals schnürt mir die Kehle zu. Das Bild, das ich gerade vor mir
sehe, hat mich lange Zeit im Schlaf verfolgt. Es war nicht Luis,
neben dem Elias in meinen Träumen gestanden hat, es war ein
Kinderwagen mit einem gesichtslosen Baby – unserem Baby.

Ich kann mich noch genau an den Nachmittag erinnern, als ich

den Test gemacht habe. Es war am Tag vor meinem Abiball. Abends
war ich noch mit Leo verabredet. Er wollte mit mir Essen gehen.

Nachdem ich auf den Streifen gepinkelt hatte, hockte ich eine

Stunde lang in unserem Badezimmer gehockt und traute mich
nicht, einen Blick auf das kleine weiße Plastikteil zu werfen. Als ich
es endlich doch gewagt habe, hat es mich umgehauen. Der Test-
streifen zeigte ein positives Ergebnis. Schwanger. Ich war den gan-
zen Tag so durcheinander, dass ich keinen klaren Gedanken fassen
konnte.

Und dann hat Leo abends Pläne für uns gemacht. Er wollte das

Angebot in London nicht annehmen und stattdessen mit mir eine
Weltreise machen. „Was ist schon London?“, hat er gesagt. „Die
hatten keine Ahnung, Cat. Lass uns in New York vortanzen oder in
Sydney. Wir versuchen es einfach überall, bis wir beide gemeinsam
einen Platz haben. Ich bin so froh, dass ich mit dir jemanden

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gefunden habe, der meine Leidenschaft fürs Tanzen teilt und der
mit mir etwas erleben will. Ewig hierbleiben, eine langweilige Ausb-
ildung machen und irgendwann ein Haus bauen und Kinder krie-
gen, das wär nichts für mich.“ Ich war wie in Trance und hatte im-
mer nur noch den Satz ‚…Kinder kriegen, das wäre nichts für mich‘
in meinem Ohr. Und zur Krönung des Abends hat er mir einen
Heiratsantrag gemacht.

Ich war wie vor den Kopf geschlagen und erbat mir Bedenkzeit.

Nachts konnte ich nicht schlafen. Ich wollte, dass wenigstens einer
von uns seinen Traum verwirklicht und ich wusste, dass es schwer
werden würde, Leo loszuwerden. Er hätte mich niemals verlassen,
wenn er es gewusst hätte. Also habe meinen damaligen Tanzpartner
Lars um einen Gefallen gebeten: einen Kuss auf der Bühne, vor al-
len Leuten …

Niemals werde ich Elias‘ Gesicht vergessen. Niemals den Sch-

merz in seinen Augen. Aber es musste sein …

Ihn jetzt neben meinem Neffen zu sehen, tut weh.
„Catherine“, ruft Luis, als er mich gesehen hat und kommt auf

mich zugelaufen. Ich fange ihn auf und drehe ihn im Kreis. Dann
setze ich ihn wieder ab und versuche, ein ernstes Gesicht zu
machen. „Luis, warum hast du dich heute schon wieder geprügelt?“

„Ich habe mich gar nicht geprügelt, ich habe Matteo nur

geschubst. Er hat meinen Baum kaputt gemacht“, sagt er und
deutet auf ein Gebilde im Sand. „Aber Elias hat gesagt, er baut
gleich einen neuen mit mir. Auf dem Spielplatz!“

***

Leo

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„Nein.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das ist keine gute Idee, Luis. Es

ist viel zu kalt für den Spielplatz. Und außerdem hat Elias gar keine
Zeit.“

Kommt überhaupt nicht infrage, denke ich. So einfach lasse ich

mich nicht abwimmeln. Und ich halte normalerweise meine
Versprechen.

Dass sie immer nur an sich denkt, macht mich wütend.

„Ich habe sehr wohl Zeit“, erwidere ich bestimmt. „Und dir wird

schon warm werden, Kitty Cat. Wir proben ein paar Hebefiguren im
Sand. Dann fällst du weicher!“

„Oh ja. Tanzt ihr mir was vor?“ Der Kleine klatscht begeistert in

die Hände.

„Klar, gerne“, erwidere ich.
Du tust das für das Ensemble und für den kleinen Mann hier, der

nichts dazu kann, rede ich mir ein, als ich mit den beiden den Spiel-
garten verlasse und wieder im Gebäude stehe.

„Du hast aber gar keinen Kindersitz.“ Sie lächelt siegessicher.

„Tut mir leid, aber wir können so nicht mit dir mitfahren.“

„Das kriegen wir hin“, antworte ich und halte sie am Mantel fest.

„Warte mal kurz. Ich muss mit dir sprechen.“

Sie sieht mich skeptisch an, bleibt aber stehen. „Luis, hol doch

schon mal deine Kindergartentasche. Ich muss kurz mit Elias
reden.“

„Was soll das?“, zischt sie, als der Kleine verschwunden ist. „Es

ist schlimm genug, dass wir miteinander arbeiten müssen. Halt
dich aus meinem Privatleben raus und lass Luis und mich in Ruhe.“

„Den ganzen Tag über tat es mir tatsächlich leid, dass ich gestern

so grob zu dir war. Aber eigentlich verdienst du stures Miststück es,
dass man dir permanent den Hintern versohlt.“

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Sie schnaubt verächtlich. „Das durftest du nur, weil ich es dir er-

laubt habe. Bild dir nichts ein!“

„Weißt du überhaupt, warum Luis diesen Sandbaum bauen

will?“

„Er spielt eben gerne im Sandkasten. Er baut auch ständig diesen

Star Wars-Kram. Sternenflotten und so was!“

„Er wollte einen großen Baum bauen, damit seine Mami den von

oben im Himmel sehen kann.“

„Das wusste ich nicht.“ Betroffen sieht sie mich an. „Wieso

erzählt er dir das? Ihr kennt euch doch gar nicht.“

Ich zucke mit den Achseln. „Keine Ahnung. Manchmal ist es viel-

leicht leichter, mit Fremden über solche Sachen zu reden.“

Sie starrt unschlüssig auf ihre Winterstiefel. Dann strafft sie die

Schultern. „Gut, ich frage die Erzieher, ob ich mir einen Sitz leihen
kann. Sie haben immer ein paar Sitze für Notfälle da. Aber länger
als eine Stunde bleiben wir nicht.“

***

Cat

Nachdem Leo Luis geholfen hat, Sand auf einen Haufen zu

schaufeln, kommt er zu mir herüber. Ich sitze mit dem iPad in der
Hand auf einer der Holzbänke und sehe mir die Aufnahmen an, die
Adam während der Proben gemacht hat. Der Höhepunkt des
Abends, die Hebefigur bei der Leos Tanzpartnerin Sophia eine Flu-
grolle macht, er gleichzeitig einen Salto nach vorne schlägt, mit
einem katzenartigen Sprung landet und das Publikum mit seinem
Blick fixiert, ist der Hammer. Aber diese Figur werden wir niemals

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umsetzen können. Ich denke schon, dass ich diese Flugrolle auch
hinbekommen könnte, aber nur mit einem Partner, dem ich hun-
dertprozentig vertraue. Und der mir ebenso vertraut. Leo und ich
werden das sicher nicht schaffen.

„Wie findest du die Nummer?“, fragt er.
„Sieht grandios aus, aber ich denke, wir können das nicht.“
Er nickt. „Da sind wir uns ausnahmsweise mal einig. Was

schlägst du vor?“

„Wir könnten uns eine andere Figur überlegen, bei der ich mich

am Ende zur Seite wegdrehe und du dann deinen Sprung machst.“

„Ok“, sagt er und hilft mir hoch. „Zieh den Mantel aus. Wir ver-

suchen es.“

Verbissen probieren wir verschiedene Möglichkeiten aus, bis wir

drei Figuren gefunden haben, die uns einigermaßen überzeugen.
Währenddessen baut Luis zufrieden an seiner Skulptur und
klatscht hin und wieder in die Hände, wenn ihm eine Figur beson-
ders gefallen hat. Er hat eine rote Nase vor Kälte. Aber er wirkt
glücklich. So glücklich, wie schon lange nicht mehr.

Leo hat nicht gelogen, kalt wird mir nicht. Er nimmt mich hart

ran. Aber es macht Spaß.

Nach einer halben Stunde setzen wir uns schnaufend nebenein-

ander auf die Bank.

„Was ist mit seiner Mutter passiert?“, fragt Leo leise während

wir Luis zusehen.

Ich weiß nicht warum, aber plötzlich sprudeln die Worte nur so

aus mir heraus. Ich erzähle ihm von Susanna, von meiner Mutter
und ihrer Krankheit und davon, wie es ist, plötzlich das Sorgerecht
für ein sechsjähriges Kind zu haben. Vielleicht hatte er recht. Viel-
leicht ist es manchmal gut zu reden. Er ist mir zwar nicht fremd,
aber ich kenne ihn auch nicht mehr wirklich. Wir haben uns weiter-
entwickelt, alle beide.

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Unruhig wälze ich mich im Bett herum. An Schlaf ist nicht zu

denken. Leo hat uns, als es schon so dunkel draußen war, dass wir
nichts mehr erkennen konnten, nach Hause gefahren und hat sich
dann verabschiedet.

Hätten so unsere Nachmittage mit Kind ausgesehen? Ich muss

zugeben, dass es schön war. Auch Luis war ganz begeistert und er
meinte, wenn seine Mami morgen früh im Himmel aufwacht,
würde sie als erstes den schönen Baum sehen. Er ist ganz zufrieden
eingeschlafen.

Leo wäre bestimmt doch ein guter Vater gewesen, denke ich und

spüre wieder das schmerzhafte Ziehen im Bauch.

Drei Wochen, nachdem er nach London gegangen ist, habe ich es

nicht mehr ausgehalten. Meine Mum meinte, dass ich es ihm sagen
müsste und so ließ ich mich überrede, zu ihm zu fliegen. Mit klop-
fendem Herzen saß ich in einem Café gegenüber der Academy und
wartete, dass er rauskommt. Und dann kam er. Aber nicht alleine.
Im Arm hatte er eine schwarzhaarige Schönheit und sie haben
händchenhaltend an der Ampel gestanden und sich geküsst.

Blind vor Tränen blieb ich solange sitzen, bis er weg war,

bezahlte meinen Tee und flog zurück nach Hause. Dass er sich ein
neues Leben aufbauen sollte, hatte besser funktioniert, als ich
gedacht hätte. So schnell ist man ersetzbar.

Ich weiß nicht, woran es lag. Vielleicht an meinem seelischen

Kummer, aber wahrscheinlicher ist, dass es eine Chromosomenan-
omalie war. Drei Wochen nachdem ich Leo in London gesehen
hatte, habe ich unser Kind verloren – und danach versucht zu ver-
gessen. Alles zu vergessen. Uns zu vergessen. Und ich habe so hart
trainiert wie nie zuvor in meinem Leben.

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10

Leo

Es hat sich etwas zwischen uns geändert. Vielleicht hat Luis es

geschafft, dass ich wieder ein bisschen mehr Respekt vor Catherine
habe. Sie macht das wirklich gut mit dem Kleinen, obwohl es sicher
nicht einfach für sie ist und er scheint sie sehr zu mögen. Seit ein
paar Tagen arbeiten wir nun ganz gut miteinander und benehmen
uns wie Tanzprofis. Auch Adam ist zufrieden. Wir haben ihm un-
sere alternativen Versionen für das Show-Highlight gezeigt und er
hat sich für die Variante mit der Drehung entschieden. „Es ist zwar
nicht so spektakulär wie die Nummer mit Sophia, aber wir haben
schließlich keine Wahl“, hat er gesagt.

Cats Mutter muss sich immer noch schonen, deshalb haben wir

unsere Nachmittagsproben in die Wohnung von Dennis und
Raphael verlegt. Ich musste die beiden nicht lange dazu überreden,
sich um Luis zu kümmern, während wir in ihrem riesigen Wohnzi-
mmer trainieren. Sie lieben Kinder. Besonders Rapha geht völlig in
seiner Onkelrolle auf. Er hat mit Luis gebastelt, Plätzchen gebacken
und stundenlang mit Lego gespielt. Cat war anfangs nicht sehr
begeistert von der Idee, aber sie wusste auch keine bessere Lösung.
Und Luis scheint es mit meinen beiden Freunden ziemlich viel Spaß
zu machen. Da ihr Auto noch in der Werkstatt ist, spiele ich gerade
den Chauffeur für die beiden. Jeden Nachmittag holen wir Luis ge-
meinsam vom Kindergarten ab und abends fahre ich sie und Luis
nach Hause. Dennis und Rapha reden nicht viel mit Catherine.
Nachdem ich ihnen meine Geschichte erzählt habe, haben sie keine
allzu hohe Meinung von ihr. Sie behandeln sie höflich, bleiben je-
doch distanziert. Aber den Kleinen lieben sie. Und ich muss
zugeben, dass ich ihn auch sehr mag. Er ist ein niedliches,

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aufgewecktes Kerlchen. Cat gegenüber versuche ich mich neutral zu
verhalten, was nicht immer einfach ist. Sobald ich nur die Nähe
ihres Körpers spüre, würde ich sie am liebsten vögeln. Es ist schwi-
erig mit uns beiden, aber zum Glück müssen wir nicht mehr lange
durchhalten. Morgen ist schon die erste Show und wir üben heute
im Theater. Catherine durfte Luis ausnahmsweise mitbringen. Da
die Show aber nicht wirklich kindgerecht ist, passt heute eine der
Kostümbildnerinnen auf ihn auf.

Ich hatte eine Idee, wie wir Luis, der das erste Weihnachten ohne

seine Mutter verbringen muss, eine Freude machen können und
habe ihm gesagt, er soll ein Bild für sie malen, damit wir einen
Gruß in den Himmel schicken können. Ich habe da so einen Plan,
aber der soll nachher unsere Überraschung für ihn werden. Dennis
und Rapha gefiel die Idee auch und die beiden werden mir helfen.

***

Cat

Es funktioniert. Es funktioniert tatsächlich. Außer den kleinen

Pannen, die immer bei Generalproben passieren, läuft alles richtig
gut. Leo und ich haben es geschafft, uns so zusammenzureißen,
dass wir miteinander arbeiten können. Wir haben es vermieden
über die Vergangenheit zu reden und es gab auch keine anzüglichen
Berührungen mehr. Wenn wir trainieren, sind wir so konzentriert,
dass ich gar nicht dazu komme, über uns beide nachzudenken. Nur
abends, wenn ich zu Hause bin und Luis im Bett liegt, kochen die
Gedanken und Emotionen hoch und ich denke darüber nach, was
passiert wäre, wenn ich mich damals nicht dazu entschieden hätte,

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Elias loszuwerden und wie es wäre, ein Kind mit ihm zu haben.
Auch wenn ich nicht über solche Dinge nachdenken möchte, in der
Stille der Nacht kann ich nichts dagegen tun, die Gedanken kom-
men von alleine.

Wenn ich sehe, wie liebevoll er mit Luis umgeht, wird mir warm

ums Herz. Er wäre wirklich ein toller Vater gewesen. Und der
Kleine, der leider nie viel Kontakt zu Männern hatte, da Susanna al-
leinerziehend war und keinen Freund hatte, blüht mit Raphael,
Dennis und Leo richtig auf. Ich kann diesen Star Wars- und Auto-
gesprächen manchmal gar nicht folgen, aber Luis freut sich, an
echte Experten geraten zu sein. Besonders Raphael hat es ihm an-
getan. Zuerst war ich nicht besonders überzeugt von der Idee, dass
Dennis und Raphael Luis betreuen, aber nachdem ich gesehen
habe, wie toll sie mit ihm umgehen, war ich einfach nur dankbar für
ihre Hilfe.

Zu mir sind sie zwar freundlich, wirken aber leicht distanziert.

Wer weiß was Elias ihnen über mich erzählt hat? Aber das ist nicht
wichtig. Die Hauptsache ist, dass Luis sich wohlfühlt.

Meiner Mutter geht es auch schon wieder besser und sie wird ab

morgen Abend, wenn die Shows losgehen, die Betreuung von Luis
wieder übernehmen können.

Heute ist Luis ausnahmsweise mit im Theater, denn auch Dennis

und Raphael müssen die ganze Zeit anwesend sein. Adam hat er-
laubt, dass er mitkommen darf. Im Moment kümmert sich Christin,
eine der Kostümbildnerinnen, um ihn.

„Willst du mitkommen?“, fragt Leo, als Adam uns eine halbe

Stunde Pause gönnt.

„Wohin?“
„Dennis, Raphael und ich haben eine kleine Überraschung für

Luis. Aber du musst dir was anziehen. Wir treffen uns im Hof.“

„Na Luis, geht es dir gut?“, frage ich, als ich meine Garderobe

betrete.

Er nickt.

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Christin verlässt die Garderobe und ich schlüpfe schnell in meine

warmen Klamotten. „Luis, ziehst du dich auch an? Leo hat gesagt,
er hat eine Überraschung für dich. Wir sollen nach draußen
kommen.“

„Vielleicht wegen Mami“, sagt Luis und zeigt auf einen Briefum-

schlag. „Da ist ein Bild drin. Das habe ich gemalt, auf Spezialpapier.
Das hat Leo mir gegeben. Er hat gesagt, das Bild schicken wir Mami
- als Weihnachtsgruß!“

„Schön“, lächele ich und frage mich gleichzeitig, was Leo wohl

vorhat.

Ich helfe Luis seinen Schneeanzug und die dicken Boots an-

zuziehen und setze ihm seine rote Mütze auf. „Dann komm. Gehen
wir uns die Überraschung ansehen“, sage ich und nehme seine
kleine Hand in meine. Er angelt den Briefumschlag vom Schreibt-
isch. „Leo hat gesagt, ich soll das Bild mitbringen“, meint er und
hüpft neben mir her.

Draußen ist es schon stockdunkel, obwohl es erst später Nach-

mittag ist. Wir gehen die schwach beleuchte Treppe hinunter, die
von dem Stockwerk mit den Umkleidekabinen in den Hof führt,
hinunter. Leo steht unten im Hof. Er trägt eine dicke Daunenjacke
und winkt, als er uns sieht.

Luis lässt meine Hand los und läuft auf ihn zu.
„Hallo Kleiner“, sagt er. „Hast du das Bild dabei?“
„Ja“, antwortet Luis und schwenkt den Umschlag.
„Toll“, erwidert Leo. „Dann komm mit!“
Wir überqueren den Hof und marschieren auf die Lagerhalle zu,

in der die großen Requisiten aufbewahrt werden. Luis hüpft neben
Leo her und ich folge den beiden gespannt.

„Wir kommen“, ruft Leo, als wir die Halle fast erreicht haben.
Der große Scheinwerfer, der plötzlich aufleuchtet, taucht den

Hof in helles Licht. Jetzt erkenne ich auch Dennis und Raphael, die
vor dem Tor stehen und auf uns warten.

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„Oh“, staunt Luis.
„Das ist unsere Überraschung“, sagt Raphael und ich weiß plötz-

lich, was sie vorhaben. Was für eine süße Idee, denke ich gerührt.

***

Leo

„Hast du das Bild für deine Mama dabei?“, fragt Dennis.
„Ja“, erwidert Luis und gibt ihm den Umschlag.
„Dann wollen wir ihr mal deinen Gruß schicken.“ Vorsichtig

zieht Dennis das Bild aus dem Umschlag, schiebt es auf den Schein-
werfer und richtet ihn gen Himmel.

Begeistert klatscht Luis in die Hände. „Das ist toll. Das sieht

Mami bestimmt“, jubelt er und wir sehen alle nach oben, auf sein
Bild, das nun mit allen Details am Himmel erstrahlt.

„Was ist das denn alles?“, will ich wissen. „Ein Tannenbaum,

Geschenke, ein Herz und das Baby mit einem Stern darüber ist das
das Jesuskind?“

„Nein!“ Luis schüttelt den Kopf. „Das ist nicht das Jesuskind.

Das ist Catherines Baby. Das ist auch im Himmel. So wie meine
Mama. Ich habe gehört, wie Mama mal mit Oma darüber geredet
hat und habe gefragt, wo das Baby denn ist. Und da hat Oma
gesagt, es ist im Himmel. Und da dachte ich, ich schicke dem Baby
auch einen Himmelsgruß, damit es sich freut. So wie Mami.“

Ich drehe mich zu Cat um. Sie hat die Hand vor den Mund

geschlagen und Tränen laufen ihr wie Sturzbäche über die Wangen.
Schnell stelle ich mich vor sie, damit Luis nicht sieht, wie fas-
sungslos sie ist. Aber er beachtet sie gar nicht, sondern sieht glück-
lich hoch in den Himmel. Was hat er gemeint? Sie hatte ein Baby?

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Ich nehme ihren Arm und führe sie von den anderen weg.
„Willst du reden?“, frage ich und sie beginnt hemmungslos zu

schluchzen, doch sie nickt und lässt sich von mir in meine Garder-
obe führen.

***

Sie sieht sehr mitgenommen aus, versucht aber, sich zusammen-

zureißen. Auch ich bin immer noch durcheinander. Leider dauerte
unser Gespräch nur kurz denn Adam hat uns zurück auf die Bühne
beordert, aber dass hat gereicht, um mein Bild zu ändern, auch
wenn ich noch nicht alles verstehe. So viele Missverständnisse. So
viele Jahre lang der Hass und der Groll. Und wozu?

Das Schicksal hat es nicht gut mit uns gemeint und wir haben

viel aufzuarbeiten. Ich habe ihr erzählt, dass ich mich nach unserer
Trennung in viele Affären geflüchtet habe, aber dass es nie so war,
wie mit uns und es deshalb nicht lange gehalten hat. Und wenn ich
gewusst hätte, dass sie schwanger war – von mir schwanger war …

Ich versuche mich zu konzentrieren, obwohl es mir schwerfällt.

Sie dreht ihre Pirouette, sieht mich an und lächelt plötzlich ein
klitzekleines bisschen. Was hat sie vor?

Als sie auf mich zuläuft, weiß ich es und ein kleiner Adren-

alinkick schießt durch meine Venen. Oh Gott, Cat, du bist irre,
schießt es mir durchs Hirn und dann denke ich gar nichts mehr,
sondern reagiere nur noch. Ich fange sie auf und hebe sie hoch über
meinen Kopf. Perfekt gestreckt schwebt sie über mir. „Jetzt“, sagt
sie leise, ich spüre, wie sie ihre Muskeln anspannt, stemme sie weit-
er nach oben und lasse sie los. Ich drücke mich ab, mache einen
Salto, lande mit dem Löwensprung und bete, dass sie die Flugrolle
geschafft und sich nicht verletzt hat.

Ich sehe kurz in die Menge und schon ist sie neben mir. Ich er-

hebe mich, greife nach ihrem Handgelenk und ziehe sie mit einer

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Drehung zu mir heran. „Hi, ich bin Elias, aber meine Freunde
nennen mich Leo“, flüstere ich, während ich ihr in die Augen sehe.

„Hi, ich bin Catherine, aber meine Freunde nennen mich Cat“,

sagt sie leise und erwidert meinen Blick.

Während um uns herum die Spotlights erlöschen, halte ich sie in

den Armen und hauche ihr einen klitzekleinen Kuss auf die Lippen.
„Hallo Cat. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Hast du Weih-
nachten schon was vor?“

ENDE

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Liebe Leser,

eigentlich sollte diese Geschichte nur ein kleiner täglicher Advent-

skalender für meine Facebookfans werden. Doch im Laufe der Zeit

ist sie mehr als das geworden, sie hat sich zu einer richtigen kleinen

Story mit Höhen und Tiefen entwickelt. Deshalb habe ich

beschlossen, sie auch als E-book zu veröffentlichen.

Ein Autor ist als Geschichtenerzähler immer die Summe seiner Er-

fahrungen gemischt mit einer großen Portion Fantasie. In diesem

Fall hat sich eine kleine Person aus meinem Kopf in diese
Geschichte geschlichen. Der kleine Luis wollte, dass seine

Geschichte erzählt wird und er wollte natürlich ein Happy End.

Einem Menschen, der Fehler gemacht hat, vergeben zu können, ihn

nicht zu hassen, sondern ihm die Chance zu geben, ihn neu kennen-

zulernen, ist manchmal der bessere und befreiendere Weg und

kann der Beginn von etwas Neuem, ganz Großem sein.

Ich wünsche euch allen ein stressfreies und besinnliches Weih-

nachtsfest und kommt gut ins neue Jahr.

2015 wird spannend werden – versprochen!

Bis ganz bald,

A.J. Blue

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Impressum

Alexander Pohl

IDEEKARREE Leipzig

Alfred-Kästner-Str. 76

04275 Leipzig

E-Mail:

office@ideekarree.de

Tel.: 0341 / 51 99 - 475

Herausgegeben von

Alexander Pohl

IDEEKARREE Leipzig

www.ideekarree.de

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