Field, Sandra Bilder der Liebe

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Bilder der Liebe

Sandra Field

Romana 1180 – 20-1/97

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1. KAPITEL

Marcia Barnes stand im Wohnzimmer ihres

Apartments und blickte hinaus auf den Rideau
Kanal. Einige beherzte Radfahrer fuhren trotz des
Regens den Uferweg entlang. Die Szenerie wirkte
beschaulich: An den Bäumen zeigten sich die er-
sten Blätter, in den Beeten standen blühende
Tulpen in schnurgeraden Reihen, und die Häuser
sahen gut gepflegt aus. Kurz, alles war nett und
ordentlich.

Nicht so bei ihr.
Marcia verzog das Gesicht. Seit der Sitzung

nachmittags im Institut, in dem sie als Immunolo-
gin arbeitete, quälten sie Befürchtungen. Bei der
Besprechung hatte der Direktor darauf hingew-
iesen, dass Budgetkürzungen notwendig seien, die
zu, Personaleinsparungen führen könnten. Marcia
arbeitete zwar schon seit sieben Jahren im Institut,
aber das war keine Garantie für einen gesicherten
Job.

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Solange sie sich erinnern konnte, war die Arbeit

ihr Lebensinhalt. Ohne die wäre sie verloren.

Um sich zu beruhigen, atmete Marcia tief durch.

Wenigstens habe ich Lucys und Troys Einladung
zum Abendessen ausgeschlagen, dachte sie. Sch-
limm genug, dass sie zugestimmt hatte, die beiden
in der Galerie zu treffen, in der die Ausstellung
ihres Freundes Quentin Ramsey eröffnet wurde.

Der Name ließ sie an Tweedjacketts und Pfeifen

denken. An einen vornehmen englischen Akzent.
Und Landschaftsbilder aus dem vorigen Jahrhun-
dert - mit Wolken wie Wattebällchen und
gelassen wirkenden braunen Kühen …

Marcia fühlte sich ganz und gar nicht •gelassen.

Dabei glaubte jeder, sie habe stets alles unter
Kontrolle. Nun aber hatte sie das Gefühl, ihre
geordnete Welt würde wie ein Kartenhaus
einstürzen.

Sie ging in die Küche und suchte die Einladung

zur Vernissage heraus. Diese fand in einer der ex-
klusivsten Galeriei; statt, was Marcia allerdings
egal war. Sie wollte sich nicht umziehen und

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ausgehen. Und sie wollte Quentin Ramsey nicht
kennenlernen, für dessen Ausstellung mit dem
Titel „Vielschichtige Persönlichkeiten” überall
begeistert Werbung gemacht wurde. Außerdem
mochte sie ihre Schwester Lucy und ihren Sch-
wager Troy nicht sehen, die am Vortag in .Ottawa
eingetroffen waren.

Am liebsten hätte Marcia die Wanne mit heißem

Wasser und duftendem Badeschaum gefüllt, san-
fte Musik gehört und die Welt draußen vergessen.
Wie sonst sollte man einen derartig anstrengenden
Tag beenden?

Marcia seufzte. Nein, das ging nicht. Lucy hatte

sich schon gewundert, warum sie nicht mit ihr
und Troy zu Abend essen wollte. Die beiden
lebten eigentlich in Vancouver, waren aber mit-
samt ihrem Baby für zwei Monate nach Ottawa
gekommen, da Troy am Krankenhaus Kurse in
Kinderheilkunde abhielt. Wenn ich nicht in der
Galerie erscheine, glaubt Lucy, dass mit mir et-
was nicht in Ordnung sei, dachte Märcia.

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Aber das stimmt nicht, sagte sie sich heftig und

rieb sich die Stirn. Es bestand nur die Möglich-
keit, dass sie den Job verlieren würde. Sie hatte
sich verändert und verstand sich selbst nicht mehr
- und sie hatte keine Lust, ihre Schwester zu
treffen.

Lucy war groß und schön, und die unge-

bändigten roten Lok-.ken umrahmten ihr Gesicht.
Sie hatte eine üppige Figur, und sie konnte herz-
lich und unbeschwert lachen.

Ja, sie war so ganz anders als ihre ältere Sch-

wester Marcia.

Beneide ich Lucy und will sie deshalb nicht se-

hen? fragte Marcia sich. Was war nur mit ihr los?

Die alte Standuhr, die ihrem Großvater gehört

hatte, schlug die halbe Stunde. O nein, ich komme
zu spät, dachte Marcia. Aber dann würde sie nur
die Reden am Beginn der Ausstellungseröffnung
verpassen … Und Lucy und Troy inmitten einer
Menge fremder Menschen treffen, so dass ein ver-
trauliches Gespräch unmöglich sein würde. Das
war ihr eigentlich ganz recht.

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Marcia ging ins Schlafzimmer und musterte den

Inhalt des Kleiderschranks. Da Lucy meist intuit-
iv genau erfasste, wie ihre Schwester sich fühlte,
wollte Marcia zumindest nach außen hin kühl und
kompetent erscheinen. So wie sie sich bisher auch
gefühlt hatte: als sachliche, beherrschte Frau, die
ihr Leben meisterte.

Rasch zog sie sich aus, duschte kurz und zog

dann ein elegantes marineblaues Kostüm an.
Dazu eine seidig glänzende marineblaue Nylon-
strumpfhose, italienische Pumps und dezenten
Goldschmuck. Anschließend legte Marcia Make-
up auf, bürstete sich das schimmernde dunkle
Haar, das zu einem kurzen Pagenkopf geschnitten
war, und überprüfte ihr Aussehen in dem hohen
Wandspiegel.

Sie sah, wie sie fand, jünger als dreiunddreißig

aus. Aber wen kümmerte das schon?

Rasch setzte sie die Brille auf, obwohl sie die

Kontaktlinsen hätte tragen können.

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Aber hinter der Brille konnte sie sich sozusagen

verstecken. Und das Gefühl brauchte sie jetzt, so
kurz vor dem Treffen mit Lucy.

Schließlich nahm Marcia Regenmantel und

Schirm und verließ das Apartment. Mit dem Lift
fuhr sie in die Tiefgarage. Ich begebe mich direkt
zur Galerie, lerne den berühmten Quentin Ramsey
kennen und lobe jede seiner vielschichtigen Per-
sönlichkeiten, nahm Marcia sich vor. Dann wollte
sie Lucy und Troy für Sonntag zum Abendessen
einladen, zusammen mit ihrer Mutter und der
jüngsten Schwester Catherine. Damit wäre die Pf-
licht getan, und sie, Marcia, konnte wieder nach
Hause fahren.

„Vielschichtige Persönlichkeiten”, was ist das

bloß für ein alberner Titel für eine Gemäldeauss-
tellung, dachte sie missmutig, als sie aus der
Parklücke zurücksetzte.

Viel zu intellektuell. Reine Effekthascherei.

Aber sie musste Quentin Ramsey ja nicht mögen,
nur weil er Lucys und Troys Freund war.

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Kritisch überprüfte Quentin sein Aussehen, be-

vor er sich zur Galerie aufmachte. In dem teuren
Anzug, den er ohnehin nur etwa ein halbes
dutzendmal im Jahr tragen wollte, sah er wie auf
einem Reklamefoto aus: Der erfolgreiche und
weltgewandte Maler Quentin Ramsey bei der
Eröffnung seiner - sicher von Erfolg gekrönten
Ausstellung „vielschichtige Persönlichkeiten”.

Wie war er nur auf diesen albernen Titel

gekommen?

Quentin kämmte sich das dunkle lockige Haar

zurück, das ihm sofort widerspenstig in die Stirn
fiel. Wenigstens weigert sich mein Haar, das zu
tun, was man von ihm erwartet, dachte er. Seine
Laune besserte sich. Er ging nicht gern zu den
Vernissagen seiner Ausstellungen, aber es musste
sein.

Dass andere Menschen seine Bilder betrachteten

und darauf reagierten, war durchaus in seinem
Sinn. Aber er ertrug es nicht, wenn sogenannte
Experten seine Werke mit nichtssagenden
Etiketten

wie

„Dekonstruktivismus”

und

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„postmodernem Abstraktionismus” versahen und
ihnen damit jede Eigenart raubten.

Wenigstens müssen sich die Kunstkritiker dies-

mal einige neue Begriffe einfallen lassen, dachte
Quentin und lächelte schadenfroh. Es war höchste
Zeit, dass er sie mal ein bisschen vor den Kopf
stieß. Seine neuesten Bilder waren nämlich ganz
anders als seine bisherigen Werke.

Plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Da für

ein Abendessen keine Zeit mehr blieb, plünderte
er den gesamten Vorrat an Erdnüssen und
Salzbrezeln aus der Minibar.

Quentin freute sich schon darauf, Lucy und

Troy wiederzusehen. Deren Einladung zum Din-
ner hatte er leider ablehnen müssen, da er früh in
den Galerie erwartet wurde.

Aber wenn es nach ihm ging, würde er den

Abend bei ihnen in der Wohnung beschließen. Er
würde die Krawatte abnehmen und die Schuhe
ausziehen, die ihn jetzt schon drückten, und ein,
zwei Bier trinken. Und Lucys und Troys kleinen

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Sohn Chris bewundern. Quentin wusste besser als
viele andere, wie viel das Baby ihnen bedeutete.

So bald wie möglich würde er Ottawa wieder

verlassen. Er fand die Stadt zu ordentlich und
hübsch. Ihm jedoch gefiel die Natur besser.
Wälder, sprudelndes Wasser und Berge liebte er.
Kein Hotelzimmer - egal wie luxuriös.

Was ich wirklich brauche, ist eine Pause vom

Malen und statt dessen Zeit, mal wieder ein Haus
zu bauen, überlegte Quentin. Stämme zu zersä-
gen, den würzigen Duft des Holzes einzuatmen -
danach sehnte er sich.

Das war nichts Neues. Auf seinen Reisen durch

die ganze Welt hatte Quentin sich schon immer
zwischen Phasen intensiver künstlerischer Arbeit
der befriedigenden Tätigkeit des Häuserbauens
gewidmet. Neu war allerdings, dass er diesmal ein
Haus für sich bauen wollte. Seine eigenen vier
Wände.

Er schaute auf die Uhr und stöhnte. Schon so

spät! Rasch nahm er den Mantel, fuhr mit dem
Lift nach unten und rief ein Taxi. Während

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Quentin durch die regennassen Straßen fuhr,
dachte er erneut an sein zukünftiges Haus. Er
wollte sesshaft werden, das war ihm klar. Bisher
war er sozusagen ein Vagabund gewesen schon
von dem Moment an, als er mit drei Jahren dem
Milchwagen nachgelaufen war und unbedingt
mitgenommen werden wollte: Aber nun sehnte er
sich nach einem Zuhause.

Quentin war sechsunddreißig. Und er wollte

nicht nur ein Zuhause, sondern eine Frau, die es
mit ihm teilte. Aber es musste die richtige Frau
sein.

Nachdenklich betrachtete er die Tulpenbeete

entlang der Straße, die ordentlichen Reihen farb-
lich aufeinander abgestimmter Blüten, die er aus-
gesprochen langweilig fand. Mit ungefähr elf
Jahren* war er zu der Überzeugung gekommen,
er würde seine Traumfrau sofort erkennen. Das
lag wohl daran, dass seine Eltern eine ungewöhn-
lich gute Ehe geführt hatten. Und sie hatten ihm
oft und gern erzählt, wie sie sich auf den ersten

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Blick ineinander verliebt und sofort gewusst hat-
ten, den Partner fürs Leben gefunden zu haben.

Mit fünfundzwanzig hatte Quentin Helen ge-

heiratet, obwohl Sie nicht seine Traumfrau
gewesen war. Den Fehler hatte er schon sechs
Wochen später bereut, aber trotzdem versucht,
das Beste aus der Ehe zu machen. Als Helen ihn
schließlich wegen eines Bankdirektors verließ,
der doppelt so alt war wie sie, hatte Quentin nur
erleichtert geseufzt und sich geschworen, nicht
noch einmal die falsche Frau zu heiraten.

Da er nicht eitel war, überraschte es ihn immer

wieder, dass sich die Frauen in Scharen um ihn
drängten. Schöne Frauen, verführerische Frauen
und interessante Frauen - aber sie hatten ihn alle
kaltgelassen.

Wenn er aber nun seine Traumfrau nie finden

würde? War er ein Narr, an dem romantischen
Ideal von damals festzuhalten? War es verrückt,
überhaupt ans Sesshaftwerden zu denken? Bisher
hatte er gehen können, wohin er wollte

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und bleiben, solange es ihm gefiel. Wenn er heir-
atete, wäre es aus damit.

Die ideale Frau … gab es die überhaupt?
Das Taxi hielt vor der Galerie. Ich bin einsam,

wurde es Quentin plötzlich bewusst. Er hatte Er-
folg, er war frei - und einsam.

„Das macht zehn Dollar fünfundsiebzig”, sagte

der Taxifahrer.

Quentin kehrte in die Wirklichkeit zurück. Er

bezahlte, stieg aus und eilte zur Galerie. So frei,
wie ich glaube, bin ich gar nicht, sagte er sich.
Denn er wäre lieber durch die regennassen
Straßen gegangen als zur Eröffnung seiner
Ausstellung.

Die Galeriebesitzerin Emily Harrington-Smythe,

eine Frau in den Fünfzigern, begrüßte Quentin
und führte ihn kurz durch die Ausstellungsräume.
Die Bilder waren ideal platziert und kamen be-
stens zur Geltung. Trotzdem hatte er das unan-
genehme Gefühl, sich gleich in aller Öffentlich-
keit ausziehen zu müssen.

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Emily gab ihm einen Katalog und berichtete,

welche prominenten Gäste zur Eröffnung er-
scheinen würden.

Nicht übel für mich einfachen Jungen aus einem

kleinen Dorf in New Brunswick, dachte Quentin
und versuchte, sich die Namen zu merken. In
diesem Moment klingelte es an der Tür. Er
wappnete sich, um die nächsten Stunden zu über-
stehen, ohne die guten Manieren zu vergessen, die
ihm seine Mutter mit so viel Mühe beigebracht
hatte.

Eine Dreiviertelstunde später herrschte reges

Gedränge in der Galerie. Elf Gemälde waren
bereits verkauft worden: Quentin war äußerst höf-
lich zu dem einen Ehrengast - einem Minister -
gewesen, der nichts von der Malerei nach neun-
zehnhundert hielt und dieser Meinung wortreich
Ausdruck verlieh.

„Quentin”, hörte er eine Frau sagen und wandte

sich um.

„Lucy, wie schön, dich zu sehen.” Er umarmte

sie freudestrahlend.

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„Warst das wirklich du eben? So höflich?”

fragte sie schalkhaft. „So kenne ich dich ja gar
nicht.”

„Ich habe heute meine allerbesten Manieren aus

der Versenkung geholt. Du siehst umwerfend aus,
Lucy.”

Sie trug ein tief ausgeschnittenes violettes Kleid,

das ihre schimmernden roten Locken und ihre
wohlgeformte Figur bestens zur Geltung brachte.

„Ich dachte mir, dass das Kleid dir gefallen

würde”, sagte Lucy selbstzufrieden.

„Troy hat es für mich ausgesucht.”
Troy, ein großer, attraktiver, blonder Mahn,

klopfte Quentin freundschaftlich auf die Schulter.
„Schön, dich zu treffen. Wenn das hier vorbei ist,
kommst du mit zu uns und erzählst uns alle
Neuigkeiten. Okay?”

„Abgemacht”, erwiderte Quentin. „Vorausgeset-

zt, du hast Bier im Haus.”

„Heute nachmittag habe ich zwei Sechserpack-

ungen besorgt.”

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Emily näherte sich mit einem Mann, der nach

einem weiteren Ehrengast aussah.

Quentin zog die Brauen hoch. „Die Pflicht ruft.

Ich unterhalte mich später mit euch.”

Der prominente Gast - ebenfalls ein Minister -

stellte einige scharfsinnige Fragen und lauschte
Quentins Antworten mit echtem Interesse. Dann
musste dieser sich um eine reiche Witwe küm-
mern, die nichts von Kunst verstand, danach um
einen Autohändler, der sich einbildete, viel von
Malerei zu verstehen, und seine Theorien dem
Künstler aufdrängte. Endlich wurde Quentin den
selbsternannten Kunstexperten los, besorgte sich
ein Glas Wein und trank einen Schluck.

Nicht übel, dachte er und hoffte, dass er bald

wieder Lust verspüren würde, sich in den Trubel
zu stürzen. In diesem Moment wurde die
Eingangstur aufgestoßen.

Geistesabwesend beobachtete Quentin die Frau,

die eintrat, Sie schloss den Regenschirm, schüt-
telte ihn aus und straffte sich. Ihr dunkles Haar
schimmerte im Licht.

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Meine Güte, dachte Quentin, es ist passiert.

Ausgerechnet bei einer Vernissage.

Das war sie: Die Frau, auf die er sein ganzes

Leben lang gewartet hatte.

Er stellte das Glas ab und bahnte sich einen Weg

durch die Menschenmenge.

Einige Leute, die ihn anzusprechen versuchten,

beachtete er einfach nicht. Er hatte nur Augen für
die Unbekannte.

Sie ist überhaupt nicht mein Typ, dachte

Quentin wie benommen. Das strenggeschnittene
Kostüm gefiel ihm gar nicht. Und erst die
schreckliche Brille!

Was, um Himmels willen, passierte mit ihm?
Die Frau drehte sich um, nahm die Brille ab und

putzte die beschlagenen Gläser mit einem
Taschentuch. Gelassen sah sie sich um. Sie ist vi-
elleicht nicht mein Typ, aber sie ist absolut hin-
reißend, dachte Quentin.

Rasch ging er zu der Unbekannten. „Ich glaube

nicht, dass wir uns kennen, oder?”

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fragte er und fühlte sich unbeholfen wie ein

Jüngling.

Sie war nur ungefähr einen Meter fünfund-

sechzig groß und zierlich. Ihre veilchenblauen
Augen wurden von dichten dunklen Wimpern
umrahmt. Das Gesicht war fein geschnitten, das
Make-up makellos. Schließlich blickte Quentin
auf ihre Lippen, die weich aussahen und wie zum
Küssen geschaffen waren. Sein Herz schien einen
Schlag lang auszusetzen.

Verwundert fragte die Unbekannte: „Sind Sie

der Galerist? Ich dachte…”

„Nein, ich bin der Maler.”
Fast feindselig sah sie ihn an. „Quentin

Ramsey?”

„Ja. Und wer sind Sie?”
„Sie begrüßen doch sicher nicht jeden Gast an

der Tür, oder?” erwiderte sie.

„Nein, Sie sind die erste.”
„Und welchem Umstand verdanke ich diese

Ehre?” fragte Marcia kühl.

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„Reden Sie doch nicht wie eine Romanheldin

aus dem vorigen Jahrhundert. Das passt nicht zu
Ihnen”, meinte Quentin.

Mit dem vornehmen britischen Akzent war es

wohl nichts, dachte Marcia. Und auch nichts mit
entsprechend vornehmen Manieren. „Wie wollen
Sie beurteilen, was zu mir passt, Mr. Ramsey?”
fragte sie. „Sind Sie möglichen Kunden ge-
genüber immer so unhöflich?”

Quentin runzelte die Stirn, denn er versuchte,

eine flüchtige Erinnerung festzuhalten. „Irgendwo
habe ich Sie schon einmal gesehen”, meinte er.

„Eine sehr originelle Bemerkung”, meinte Mar-

cia ironisch. „Aber Sie irren sich.

Ich bin Ihnen noch nie begegnet.” Denn sonst

würde ich mich an Sie erinnern, fügte sie im stil-
len hinzu. Allein schon wegen seiner unglaublich
blauen Augen….

„Wie heißen Sie?” fragte Quentin.
Sie atmete tief durch. Das Bild, das sie sich von

Quentin Ramsey gemacht hatte, war absolut
falsch gewesen. Vor ihr stand kein kultivierter

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Engländer, der gefällige Landschaftsbilder malte,
sondern ein rauer Individualist, der aussah, als
würde er sich mit einer Motorsäge in der Hand
wohler fühlen als mit einem Pinsel zwischen den
Fingern. Endlich antwortete sie: „Ich bin Dr. Mar-
cia Barnes.”

„Was?” fragte Quentin entgeistert. „Sie sind

Lucys Schwester?”

Er sah so geschockt aus, als hätte Marcia ihm

gerade ein Glas Wein ins Gesicht geschüttet.
Wütend erwiderte sie: „Lucy und ich sind völlig
verschieden.”

„Und ob. Aber jetzt weiß ich, warum ich dachte,

ich hätte Sie schon einmal gesehen: Bei Lucy im
Wohnzimmer steht ein Foto von Ihnen.” Quentin
war völlig durcheinander - und vor allem
enttäuscht. „Sie sind die Immunologin.”

„Ja genau.”
Er funkelte Marcia an. „Warum haben Sie sich

nicht die Mühe gemacht, Lucy zu besuchen, seit
das Baby da ist?”

„Aber das habe ich doch! Vorigen November.”

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„Na klar, Dr. Barnes. Sie haben es geschafft, auf

dem Weg zu einer medizinischen Tagung gerade
mal zwei Stunden bei Lucy vorbeizukommen.
Nennen Sie das einen Besuch?”

„Das geht Sie wirklich nichts …”
„Wenn Ihnen eine Tagung wichtiger ist als Ihre

Angehörigen, dann steht es schlecht um Sie. Lucy
hat mir von Ihnen erzählt. Ich würde Sie als
,Workaholic’ bezeichnen.”

Plötzlich tauchte Emily Harrington-Smythe

neben ihnen auf und fragte betont charmant:
„Quentin, darf ich Sie kurz entführen? Mr. Brace
möchte Ihnen noch ein, zwei Fragen stellen, be-
vor er das größte Ihrer Bilder kauft.” Sie lächelte
Marcia höflich an. „Sie entschuldigen uns?”

„Mit dem größten Vergnügen”, erwiderte Mar-

cia betont.

Quentin wollte das letzte Wort behalten. „Ihre

Schwester und Ihren Schwager finden Sie neben-
an”, teilte er ihr mit. „Falls Sie Zeit für die beiden
erübrigen können.”

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Wütend sah Marcia ihm nach, als er sich wieder

ins Gedränge begab. Sein Haar ist im Nacken et-
was zu lang, stellte sie fest.

Wenigstens war sie jetzt nicht mehr dem

forschenden Blick seiner blauen Augen ausgesetzt
… Was bildete Quentin Ramsey sich eigentlich
ein, sie, Marcia, wenige Minuten nach dem
Kennenlernen zu kritisieren?

Sie holte sich ein Glas Wein. Lucy musste sich

bei Quentin über den Besuch damals beklagt
haben, der tatsächlich sehr kurz gewesen war.

Nun lag Marcia noch weniger daran, Lucy zu

treffen. Marcia ging durch den Ausstellungsraum
Und betrachtete aufmerksam die Gemälde. Es
waren abstrakte Bilder, und doch drückten sie Ge-
fühle aus.

Plötzlich wurde Marcia sich klar darüber, dass

sie sich nicht erst seit heute verwirrt und innerlich
leer fühlte. Die Gefahr, den Job zu verlieren, hatte
diese Empfindungen nur verstärkt.

Schließlich stand sie vor einem Bild mit dem

Titel „Komposition Nummer acht”, dessen

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farbige Spiralen sie wie reißende Strudel förmlich
in die Tiefe zu ziehen schienen. Ihre Kehle fühlte
sich wie zugeschnürt an.

Mit einemmal wurde es Marcia bewusst, dass

sie niemals die Gefühle empfunden hatte, die das
Bild symbolisierte: Entzücken, Leidenschaft und
Lebensfreude. Und nun war es dafür vielleicht zu
spät. Ich kann hier nicht weinen, dachte Marcia
bestürzt.

Nicht in einem Räum voller fremder Menschen.

Ich weine doch niemals, ermahnte sie sich.

„Stimmt etwas nicht?”
Diese Stimme hätte Marcia überall wiedererkan-

nt. Mühsam antwortete sie:

„Lassen Sie mich in Ruhe, Mr. Ramsey.”
Tränen schimmerten in ihren Augen. Das ging

Quentin zu Herzen. „Es tut mir leid, dass ich eben
unhöflich zu Ihnen war”, sagte er ausdruckslos.
„Sie hatten recht.

Die Beziehung zwischen Ihnen und Lucy geht

mich nichts an.”

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Orange, Gelb, ein Aufleuchten von Scharlachrot

- die Farben des Gemäldes flimmerten Marcia vor
den Augen und schienen zu flackern wie zün-
gelnde Flammen, die sie verbrennen würden,
wenn sie ihnen zu nahe kam.

Quentin umfasste ihren Arm, führte sie in einen

kleinen, leeren Raum und schloss die Tür.

„So, jetzt können Sie nach Herzenslust weinen”,

meinte Quentin. „Niemand sieht Sie hier.”

Doch, Sie, Mr. Ramsey, dachte Marcia. „Ich

weine gar nicht”, behauptete sie. „Ich weine
niemals.”

. „Ach so, dann sind Sie wahrscheinlich gegen

Farben allergisch. Ihre Augen tränen nämlich. Hi-
er, bitte.” Er hielt ihr ein blütenweißes Taschen-
tuch hin.

„Sie wirken nicht wie ein Mann, der sich etwas

aus weißen Taschentüchern macht”, sagte Marcia
unüberlegt.

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete

Quentin sie. „Und wie wirke ich?”

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Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten.

„Wie eine Schaufensterpuppe. Sie müssten ei-
gentlich Jeans und ein Sweatshirt tragen, nicht
einen teuren Anzug und eine Designer-Krawatte.”

„Der Anzug hat mich ein kleines Vermögen

gekostet”, informierte Quentin Marcia kühl.

„Und Ihnen tut es um jeden einzelnen Cent

dafür leid, stimmt’s?” erwiderte sie unbedacht.

Er lachte schallend. „Wie wahr.”
Marcia sah ihn erstaunt an. „Der Anzug sitzt wie

angegossen”, meinte sie ausweichend. „Ich wollte
nicht unhöflich sein.”

Das stimmte tatsächlich. Und gerade deshalb

wirkte Quentin überwältigend männlich und
beeindruckend athletisch. Er war ungefähr einen
Meter achtzig groß und muskulös. Sein dunkles
lockiges Haar war dicht und schimmerte.

Und seine Bilder strahlten eine mitreißende

Lebenskraft aus, die Marcia nie

empfunden hatte. Plötzlich war sie äußerst beun-

ruhigt, wusste aber nicht, worüber.

Fast fürchtete sie sich. Aber wovor?

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„Sie sind ganz anders, als ich Sie mir vorgestellt

hatte”, sagte Marcia unvermittelt.

„Meine Bilder wahrscheinlich auch”, bemerkte

Quentin scharfsinnig.

Darüber wollte sie nicht sprechen. Sie nahm ein-

en kleinen Spiegel und ein Papiertaschentuch aus
der Handtasche und tupfte sich die Wangen trock-
en. „Wir sollten wieder nach nebenan gehen. Man
vermisst Sie sicher schon”, meinte Marcia
sachlich.

So leicht ließ Quentin sie nicht davonkommen.

„Warum hat ausgerechnet dieses bestimmte Bild
Sie zu Tränen gerührt?” fragte er.

Weil es all das symbolisiert, was ich mein gan-

zes Leben lang verpasst habe - und was ich jetzt
bitter bereue, antwortete Marcia im stillen. Laut
sagte sie, bemüht gelassen: „Da Sie mit Lucy über
mich gesprochen haben, müssten Sie doch wissen,
dass ich ein sehr zurückhaltender Mensch bin.
Meine Reaktion auf Ihr Bild geht nur mich etwas
an.”

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Lucy hatte ihm nicht viel über Marcia erzählt.

Dennoch hatte Quentin den Eindruck gewonnen,
dass Lucy ihre Schwester zwar liebte, sich ihr
aber nicht nahe fühlte. Offensichtlich war Marcia
eine Frau, die in ihrer Arbeit aufging und Gefühle
nicht an sich herabließ.

Und das sollte die Frau sein, von der er seit

Jahren träumte? Sein Gefühl sagte ihm ganz deut-
lich, dass sie es wäre. Aber vielleicht irrte er sich?

Quentin hatte schon einmal den Fehler gemacht,

nicht auf seine innere Stimme zu hören. Damals,
als sie ihn gewarnt hatte, Helen zu heiraten.
Machte er jetzt wieder einen Fehler? Hielt er Mar-
cia nur deshalb für seine Traumfrau, weil er end-
lich seiner Traumfrau begegnen wollte? Weil er
sich nämlich einsam fühlte?

„Warum sehen Sie mich so an?” fragte Marcia

gereizt.

Quentin riss sich zusammen. „So wie Lucy Sie

beschrieben hat, sind Sie keine Frau, die wegen
eines abstrakten Bilds zu weinen anfängt.”

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Marcia war wütend. War es deshalb, weil Lucy

mit Quentin über sie geredet hatte, oder weil er
sie, Marcia, so gut durchschaute? Sie wusste es
nicht. „Ach ja?

Und was …”
Es klopfte an der Tür. Erleichtert meinte Mar-

cia: „Ihr Publikum wartet auf Sie, Mr. Ramsey.”

„Bitte, nennen Sie mich doch Quentin. Gehen

Sie nachher noch zu Lucy und Troy, wenn die
Vernissage vorbei ist?”

„Nein, sicher nicht.”
Die Tür wurde geöffnet, und Emily Harrington-

Smythe schaute herein.

„Quentin? Ich brauche Sie dringend hier

draußen.”

„Ich komme sofort.” Er streckte die Hand aus

und nahm Marcia die Brille weg.

„Sie haben wunderschöne Augen. Vor wem ver-

stecken Sie sich eigentlich?”

„Vor aufdringlichen Menschen wie Ihnen.

Geben Sie mir die Brille zurück!”

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Quentins Augen glitzerten. „Nur, wenn Sie mir

versprechen, morgen mit mir essen zu gehen.”

„Ich bin mir sicher, fast jede Frau hier wäre

begeistert, Ihre Einladung anzunehmen, Mr. Ram-
sey, aber ich zähle nicht dazu.”

„Auch nicht, wenn ich mir Jeans anziehe?” Sein

Lächeln war fast unwiderstehlich.

Es kostete Marcia einige Willenskraft, nicht

ebenfalls zu lächeln. „Meine Brille, bitte!”

„Lucy gibt mir sicher Ihre Telefonnummer.”
„Mein Telefon zeigt die Nummer desjenigen an,

der mich anruft. Und wenn ich glaube, dass Sie es
sind, hebe ich einfach nicht ab”, warnte sie ihn.

„Es braucht mehr als moderne Technik, um

mich abzuschrecken, Dr. Barnes. Ich will nämlich
unbedingt wissen, warum mein Bild Sie zum
Weinen gebracht hat.”

Quentin reichte ihr endlich die Brille und küsste

Marcia auf die Nasenspitze. „Wir sehen uns
noch.”

Er ging hinaus, hakte Emily unter und sagte

eindringlich: „Das Bild .Komposition Nummer

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acht’ ist unverkäuflich. Hängen Sie bitte eine
entsprechende Notiz daneben.”

„Das kann ich nicht”, erwiderte sie sachlich.

„Schließlich steht es im Katalog.”

„Dann schreiben Sie, es sei schon verkauft. Ich

kaufe es.”

„Was ist denn in Sie gefahren, Quentin? So selt-

sam haben Sie sich bei einer Vernissage noch nie
aufgeführt. Sie können nicht Ihr eigenes Bild
kaufen. Außerdem hat Mr. Sorensen ein Auge
darauf geworfen, und er ist in unserer Stadt sehr
einflussreich.”

„Tut mir leid für Mr. Sorensen, aber er bekom-

mt es nicht. Ich will es.”

„Aber…”
„Tun Sie, was ich Ihnen sage, Emily”, meinte

Quentin und lächelte freundlich.

„Wenn Sie nächstes Jahr wieder eine Ausstel-

lung mit meinen Bildern organisieren wollen.”

„Na schön”, erwiderte .Emily gekränkt. „Aber

ich verlange die volle Provision von Ihnen.”

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„So gut wie sich die anderen Bilder verkaufen,

kann ich mir das leisten”, meinte er. „Ist der Herr
dort drüben der letzte Ehrengast? Dann werde ich
mal wieder meine Show abziehen.”

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2. KAPITEL

Marcia blieb in dem leeren Raum und versuchte,

ihren Ärger über Quentins Unverfrorenheit zu un-
terdrücken. Allerdings war sie zugleich amüsiert
wegen seiner Hartnäckigkeit. Mr. Quentin Ram-
sey war es nicht gewöhnt, abgewiesen zu werden.

Darauf

hätte

Marcia

gewettet.

Mit

der

Ablehnung war es ihr allerdings völlig ernst
gewesen. Sie hatte genug Probleme, auch ohne
sich mit einem Mann zu treffen, der ihr Fragen
stellte, die sie nicht beantworten wollte. Und der
ihr mit seinen unglaublich blauen Augen bis auf
den Grund der Seele zu schauen schien.

Außerdem war Quentin - wie Marcia sich wider-

strebend eingestand - umwerfend sexy. Er war
zwar nicht im üblichen Sinn gut aussehend, aber
sein markantes Gesicht verriet Charakter und
Lebenserfahrung. Seine Hände wirkten zugleich

kräftig und sensibel, sein Körper war fest und

durchtrainiert.

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Sie hatte viel bemerkt in den wenigen Minuten.

Zuviel für ihren Seelenfrieden. Ihr Gefühl sagte
ihr, sie solle unverzüglich die Galerie verlassen.
Doch wenn ich das tue, bekommen Lucy und
Troy einen Anfall, dachte Marcia. Sie straffte die
Schultern und ging in den Ausstellungsraum
zurück.

Quentin sprach mit einem Mann in einem

grauen Nadelstreifenanzug und wirkte höflich und
aufmerksam. In diesem Moment wandte er sich
um und zwinkerte ihr zu. Marcia hob das Kinn
und ging rasch in den Nebenraum.

Dort standen Lucy und Troy und betrachteten

ein kleines Bild. Er hatte ihr den Arm um die
Schultern gelegt, und Lucy schmiegte sich
liebevoll an ihren Mann.

Wieder stiegen Marcia Tränen in die Augen.

Bisher hatte sie Ehe und seelische Bindungen
gemieden. Warum fühlte sie sich, angesichts des
Glücks ihrer Schwester, plötzlich wie eine
Versagerin?

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Mühsam riss sie sich zusammen. Immerhin war

sie für ihre Selbstbeherrschung bekannt. „Hallo,
Lucy. Guten Abend, Troy.”

Lucy wirbelte herum. „Marcia! Ich freu’ mich ja

so, dich zu sehen.” Sie küsste sie auf die eine
Wange, Troy auf die andere. Dann trat Lucy einen
Schritt

zurück

und

betrachtete

Marcia

aufmerksam. „Du siehst müde aus”, bemerkte sie.
„Ist alles in Ordnung?”

„Mir geht es ausgezeichnet. Ich hatte nur

außergewöhnlich viel zu tun. Was hältst du von
der Ausstellung?”

„Dort drüben hängen vier Seidendrucke, die ich

am liebsten sofort mitnehmen würde. Und die
realistischen Bilder finde ich brillant. Sie weichen
völlig von Quentins üblichem Stil ab.” Lucy wies
auf das kleine Bild. „Dieses hier ist bezaubernd.”

Fast fotografisch genau hatte Quentin drei

kleine Mädchen gemalt, die über eine Wiese mit
buhten Blumen liefen. Das Bild wirkte jedoch
keineswegs kitschig und sentimental. „Die sehen
ja aus wie wir”, meinte Marcia spontan.

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„Du, Catherine und ich? Stimmt - zwei dunkel-

haarige Mädchen und ein Rotschopf.”

Lucy lachte. „Vielleicht hat Quentin bei mir das

Kinderfoto von uns drei Schwestern gesehen “

„Würdest du das Bild gern haben, Schatz?”

fragte Troy und betrachtete seine Frau zärtlich.

„Ich hätte es gern”, verkündete Marcia, ohne zu

überlegen.

Lucy blickte sie nachdenklich an, und Troy zog

die Augenbrauen hoch.

Entsetzt über sich, sägte Marcia rasch: „Nein,

das meinte ich nicht ernst. Nimm du es, Lucy.”

„Hast du Quentin schon kennengelernt?” erkun-

digte sich ihre Schwester.

„Ja, aber ich habe nur ganz kurz mit ihm ge-

sprochen. Bitte, Lucy, vergiss, dass ich gesagt
habe, ich wolle das Bild. Kauf es ihr, Troy.”

„Nein, liebe Schwägerin, ich kaufe es für dich”,

entgegnete Troy. „Zum letzten Geburtstag habe
ich dir nichts geschenkt.”

„Wir schenken uns doch nie etwas Teures”,

protestierte Marcia.

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„Dann ist das die Ausnahme, die die Regel be-

stätigt. Ich bin gleich wieder da.”

Und zum drittenmal an diesem Abend spürte

Marcia Tränen in den Augen. Lucy

stellte sich vor sie, um sie gegen die Blicke der

anderen Besucher abzuschirmen. „Du bist heute
gar nicht wie sonst”, bemerkte Lucy. „Was stim-
mt denn nicht?”

„Nichts, Alles. Ich weiß nicht.”
„Iß morgen mit mir zu Mittag.”
„Das geht nicht. Ich muss arbeiten.”
„Zum Kuckuck mit deiner Arbeit, Marcia.”
„Für Sonntag möchte ich Mom und Catherine

zum Abendessen einladen. Kannst du mit Troy
ebenfalls kommen?”

„Liebend gern”, erwiderte Lucy prompt.
„Also um sechs Uhr. Ach, ich wünschte, Troy

würde mir das Bild nicht kaufen.”

„Unsinn, Marcia. Schade, dass wir es nicht

gleich mitnehmen können. Es paßt wundervoll in
dein Schlafzimmer.”

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Ein Bild von Quentin Ramsey in ihrem Schlafzi-

mmer? Unter gar keinen Umständen, dachte Mar-
cia und sah, wie Emily Harrington-Smythe mit
Troy an der Seite auf sie zukam.

„Eine exzellente Wahl”, lobte Emily und klebte

die kleine rote Marke, die das Bild als verkauft
auswies, an die Wand.

„Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Ge-

burtstag, Marcia”, sagte Troy und lächelte.

Das Bild gehörte jetzt also ihr, ob sie es wollte

oder nicht. Marcia stellte sieh auf die Zehen-
spitzen und küsste ihren Schwager aufs Kinn.
„Danke; Troy, das ist wirklich lieb von dir.”

„Und nun suchen wir Quentin und erzählen ihm,

was wir getan haben”, schlug er vor.

Bestürzt erwiderte Marcia: „Nein, jetzt muss ich

wirklich gehen. Ich sehe euch beide ja am Son-
ntag.” Sie lächelte flüchtig und eilte aus dem
Raum.

Quentin stand lachend am anderen Ende der

Galerie, umringt von drei äußerst attraktiven

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Frauen. Marcia zog sich den Mantel an, nahm den
Schirm und lief nach draußen in den Regen.

Am nächsten Morgen rief Marcia ihre Mutter

an. Dr. Evelyn Barries war Gerichtsmedizinerin,
eine gelassene und freundliche Frau sowie eine
ausgezeichnete Golfspielerin. Am Telefon klang
sie diesmal ungewöhnlich aufgekratzt.

„Ein Familienessen?” fragte sie. „Sonntag

abend? Moment, ich hole rasch meinen Ter-
minkalender … Hör mal, Marcia, könnte ich je-
mand mitbringen?”

„Ja natürlich, Mom. Deine Freundin Lilian?”
„Nein, die nicht…” antwortete Mrs. Barnes.

„Einen Mann.”

Marcias Mutter mangelte es nicht an Verehrern,

aber sie hatte diese nie mit ihren Töchtern
zusammengebracht.

„Du tust ja so geheimnisvoll, Mom”, bemerkte

Marcia. „Wie heißt er denn?”

„Henry Woods. Er ist Börsenmakler. Ich …

also, ich hätte gern, dass ihr ihn kennenlernt.”

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Marcia versuchte, sich ihre Neugier nicht an-

merken zu lassen. „Okay, Mom. Um sechs Uhr
abends also?”

„Fein. Wir sehen euch dann.” Obwohl Evelyn

sich normalerweise immer nach den letzten
Neuigkeiten erkundigte, hängte sie diesmal ohne
ein weiteres Wort den Hörer auf.

Marcia legte ebenfalls auf. Wenn sie es nicht

besser gewusst hätte, hätte sie gesagt, ihre Mutter
wäre verliebt. Aber ihre kühle, sachliche Mutter
verliebt? Unvorstellbar.

Jedenfalls wird meine Party sicher nicht lang-

weilig, dachte Marcia.

Kurz bevor Sonntag abend die Gäste kamen,

überprüfte Marcia ihr Make-up. Sie hatte aus-
nahmsweise ihre eleganten, aber langweiligen
Sachen im Kleiderschrank gelassen und auch die
Brille nicht aufgesetzt. Vielmehr trug Marcia eine
enge schwarze Hose und einen langen schwarzen
Pullover, dazu hochhackige Pumps. Schließlich
ist es, trotz des unbekannten Mr. Woods, nur ein
Familientreffen, dachte Marcia trotzig, frischte

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den leuchtendroten Lippenstift auf und befestigte
große goldene Ohrringe an den Ohrläppchen.

Kurz darauf klingelte es, und sie öffnete. Lucy

reichte ihr das Baby, um sich den Mantel aus-
zuziehen, und sagte: „Wir haben Quentin mitgeb-
racht. Das macht dir doch nichts aus, oder, Mar-
cia? Die Cocktailparty, zu der er heute eingeladen
war, wurde nämlich abgesagt.”

Christopher Stephen Donovan, wie das Baby

mit vollem Namen hieß, griff nach Marcias
glitzernden Ohrringen und sabberte ihr auf den
Pullover. Marcia ging beiseite, damit ihre Gäste
eintreten konnten. Quentins Augen waren noch
blauer, als sie sie in Erinnerung gehabt hatte …

„Nein, einer mehr macht gar nichts”, versicherte

Marcia.

Lucy hängte den Mantel auf und tupfte Marcias

Pullover mit einem Papiertuch ab.

„Chris zahnt mal wieder”, erklärte sie. „So, ich

nehme dir das Baby ab.”

Der Kleine hatte allerdings die Ärmchen um

Marcias Nacken geschlungen und den Kopf an

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ihre Schulter gepresst. Das Baby duftete nach
Puder und fühlte sich weich und warm an. Ach du
meine Güte, gleich weine ich wieder, dachte Mar-
cia und drückte Chris fester an sich. Dabei hatte
sie bisher niemals Kinder gewollt, nicht eine
Sekunde lang in dreiunddreißig Jahren.

Quentin hatte inzwischen seinen Mantel aufge-

hängt und sich das Haar glattgestrichen. Nicht,
weil er besonders ordentlich aussehen wollte, son-
dern um Zeit zu gewinnen und sich zusammen-
zureißen. Denn als er Marcia erblickt hatte, war
ihm zumute gewesen, als hätte ein Blitz ihn getro-
ffen. Er hätte sie am liebsten umarmt und bis zur
Besinnungslosigkeit geküsst. Aber sie hielt das
Baby im Arm, und unwillkürlich stellte sich
Quentin vor, es wäre sein und Marcias Kind.

Du bist verrückt, sagte sich Quentin. Sie hatte

noch nicht einmal seine Einladung zum Essen an-
genommen, und er dachte schon an Vaterfreuden.

„Die sind für Sie, Marcia”, sagte er und hielt ihr

einen üppigen Strauß aus orangefarbenen, rosa,
dunkelroten und violetten Blumen hin.

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Sie schaute Quentin an und konnte plötzlich den

Blick nicht mehr abwenden.

„Danke”, sagte sie atemlos. „Lucy gibt Ihnen

eine Vase.”

„Ich habe meinen Anzug im Hotel gelassen”,

fügte Quentin hinzu.

Er trug eine graue Cordhose und einen dunkel-

blauen Pullover und sah umwerfend attraktiv aus.

„Ja, das ist mir nicht entgangen”, erwiderte

Marcia.

Quentin gab Lucy den Blumenstrauß und ging

zu Marcia. „Der Kleine wird Ihnen noch die
Haare ausreißen. Lass los, Chris.” Sie spürte
Quentins Finger auf dem Nacken und seinen war-
men Atem auf der Haut. Ein erregendes Prickeln
überlief Marcia. Steif stand sie da, während Chris,
protestierend brabbelte und noch fester zupackte.
Sie zuckte zusammen.

„Vorsicht, Chris … so, lass schon los. Na bitte.”
Ganz sanft hatte Quentin die Finger des Babys

aus dem Haar gelöst. Als er ihr das Kind abnahm,
streifte sein Arm ihre Brust. Hitze durchflutete

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Marcia, was Quentin sicher nicht verborgen blieb.
Ich werde nicht rot, ermahnte sie sich und sagte:
„Ich muss mich kurz ums Essen kümmern. Bin
gleich wieder da.”

Lucy folgte Marcia in die Küche.
„Kommt Mom auch?” fragte Lucy.
„Ja. Sie bringt einen Freund mit”, erklärte Mar-

cia und berichtete ihrer Schwester kurz den Inhalt
des Telefongesprächs. Noch bevor sie damit fertig
war, erschien Catherine in der Küche, und Marcia
musste den Bericht wiederholen.

Catherine war zierlich und dunkelhaarig wie

Marcia, elegant wie ihre Mutter,

ebenfalls Medizinerin und arbeitete in der

Krebsforschung. „Ich habe drei Wochen lang Ur-
laub”, jubelte Catherine. „Und da ich nächste
Woche auf Lydias Hunde aufpasse, werde ich viel
Bewegung an frischer Luft bekommen. Etwas
mehr Sonne könntest du auch brauchen, Marcia.
Du bist blass.”

„Zufällig hat es die letzten vier Tage ständig

geregnet”, erwiderte Marcia trocken. „Oder ist dir

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das entgangen? Würdest du den Krabbendip und
die Cracker herumreichen, Catherine? Troy kann
sich um die Drinks kümmern.”

Lucy hatte inzwischen den Blumenstrauß in

Marcias größte Vase gesteckt. „Wo soll ich ihn
hinstellen?”

Plötzlich tauchte Quentin an der Küchentür auf.

„Ich stelle ihn auf den Tisch”, verkündete er.

Marcia hatte ein hübsches Seidenblumengesteck

dort platziert, das genau zu ihrem Porzellan
passte. Er stellte das Gesteck beiseite und setzte
stattdessen seinen kunterbunten Strauß mitten auf
den Tisch. Quentin war wirklich unausstehlich: Er
traf Entscheidungen, ohne sie zu fragen, und be-
nahm sich, als gehörte die Wohnung ihm.

Als er in die Küche zurückkam, bemerkte Mar-

cia eisig; „Das einzige, was Ihrem Strauß noch
fehlt, ist ein Blumenkohl.”

„Vielleicht habe ich nächstes Mal mehr Glück

und erstehe einen.”

„Nächstes Mal? Sie sehen nicht aus wie jemand,

dem das Leben in der Stadt gefällt, Quentin. Ich

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kann mir nicht vorstellen, dass Sie es lange in Ot-
tawa aushalten”

„Stimmt, aber ich bleibe ganz in der Nähe”, er-

widerte er. „Ein Freund von mir besitzt ein Land-
haus in den Gatineau Hügeln, und da er verreist
ist, verbringe ich einige Tage dort. Sie und ich
wollen ja noch zusammen zum Essen gehen,
Marcia.

Oder haben Sie das schon vergessen?”
„Sie sind sehr selbstsicher, Mr. Ramsey.”
„Selbstvertrauen bringt Erfolg, Dr. Barnes.”
„Bisher hat es Ihnen vielleicht dazu verholfen”,

erwiderte Marcia zuckersüß.

„Schlagen Sie mir vor, die Taktik zu ändern?”
„Nein, sondern das Projekt fallenzulassen.”
„Das möchte ich nicht. Sie sind eine interessante

Herausforderung.”

Marcia funkelte Quentin an. „Sie beleidigen

mich.”

Er kam näher zu ihr und sagte leise: „Es hat

Ihnen gefallen, als ich Sie vorhin zufällig
berührte.”

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Marcia presste die Lippen zusammen und

dachte an Eisberge, Gletscher und Whisky mit
Eiswürfeln, um nicht rot zu werden. „Na und?”
erwiderte sie schließlich.

„Deswegen sinke ich Ihnen noch lange nicht zu

Füßen.”

Quentin machte das Gespräch nun richtig Spaß.

„as wäre ja auch ein ziemlich verrücktes Beneh-
men. Jedenfalls ist mir noch nie eine Frau vor die
Füße gesunken, O je, bin ich als Mann deshalb
ein Versager? Ach Troy, für mich ein Bier bitte.”

Hatte Troy etwa den Wortwechsel gehört? Ent-

setzt sagte Marcia steif:

„Entschuldigt mich. Oh, es klingelt. Das wird

Mom sein.”

Evelyn Barnes sah sehr attraktiv aus. Sie trug

ein rosa Kleid, und ihr graues Haar umrahmte
locker ihr Gesicht. Ihre bisherigen Verehrer - so-
weit Marcia sie kennengelernt hatte - waren groß,
gut aussehend und selbstsicher gewesen. Henry
Woods hingegen war ziemlich klein, rundlich und

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kahl, aber er hatte warm blickende braune Augen.
Sie mochte ihn auf Anhieb.

Während Troy die Drinks herumreichte, legte

sie noch ein Gedeck für Quentin auf, und zwar so,
dass der Blumenstrauß ihn vor ihr verbergen
würde.

Zweieinhalb Stunden später füllte Marcia die

Kaffeefilter in der Küche. Das Abendessen war
ein Erfolg gewesen. Quentin und Henry hatten
sich als witzig und unterhaltsam erwiesen. Cath-
erine war nicht so reserviert wie sonst gewesen,
und wenn die Unterhaltung zu erlahmen drohte,
hatte das Baby für Gesprächsstoff gesorgt. Marcia
hatte den Kontakt zu Quentin auf das Nötigste
beschränkt. Wenn es nach ihr ging, konnte er gar
nicht schnell genug in die Gatineau-Hügel
übersiedeln.

Als sie die Sahne aus dem Kühlschrank nahm,

stellte Marcia fest, dass nicht mehr genug da war
und sie vergessen hatte, neue zu besorgen. Rasch
ging sie ins Wohnzimmer, wo Troy und Quentin
gerade das Schachbrett aufbauten und Evelyn

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ihrem Enkelsohn die Flasche gab.
„Ich muss kurz ins Geschäft an der Ecke”, sagte

Marcia. „Es ist nicht mehr genug Sahne da.”

Quentin stand auf. „Ich begleite Sie. Nach dem

hervorragenden Essen brauche ich unbedingt et-
was Bewegung.”

Da es unhöflich gewesen wäre, ihn abzuweisen,

nahm Marcia das Portemonnaie,

zog sich Mantel und Stiefel an und verließ mit

Quentin die Wohnung. Er trug einen Trenchcoat
und sah wie ein besonders verwegener Agent aus.

„Gehen wir doch die Treppe hinunter”, schlug

Quentin vor. „Ich hätte keine zweite Portion
Schokoladenmousse essen sollen, aber sie
schmeckte hervorragend.”

„Sie bestand nur aus Schokolade, Butter und

Schlagsahne”, erklärte Marcia unschuldig. „Und
sechs Eiern.”

„Haben Sie als Medizinerin kein schlechtes

Gewissen, wenn Sie eine so verlockende Choles-
terinbombe fabrizieren?”

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„Mousse ist Catherines Lieblingsdessert, ob-

wohl meine Schwester eine Gesundheitsfanatiker-
in ist. Übrigens, der Artikel, von dem Catherine
uns erzählte, war sehr interessant, oder?”

Quentin hatte sich allerdings nicht in den strö-

menden Regen gewagt, um über Catherine zu re-
den. Er spannte den Schirm auf, hielt ihn über
sich und Marcia und hakte sie unter. „So”, sagte
er. „Endlich allein.”

Sein Gesicht war ihrem ganz nah, sein Blick

wirkte forschend. Kühl erwiderte

Marcia: „In einer Großstadt wie Ottawa ist man

nie wirklich allein.”

„Keine Haarspalterei, Marcia. Unter diesem Re-

genschirm befinden sich nur zwei Menschen.
Machen Sie doch wenigstens einmal keine
Ausflüchte.”

„Gut, wir beide sind also allein. Na und?”
„Warum haben Sie in der Galerie beim Anblick

meines Gemäldes geweint?” fragte Quentin
nachdrücklich.

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„Quentin, ich habe Gäste, die auf den Kaffee

warten. Beeilen Sie sich doch.”

„Sie sind intelligent, dazu kompetent, kochen

hervorragend -und haben Angst vor Ihren Gefüh-
len. Das ist eine interessante Kombination,
Marcia.”

Sie wandte sich Quentin zu. „Möchten Sie die

Wahrheit wissen? Ohne Ausflüchte?

Sie vergeuden Ihre Zeit mit mir. Ich bin dreiun-

ddreißig Jahre alt. Falls ich vor Gefühlen Angst
habe, dann mit gutem Grund. Als intelligente
Frau, wie Sie sagen, kann ich das beurteilen. Aber
ich erzähle meine Lebensgeschichte nicht jedem
Mann, dem ich zufällig begegne.”

Ihm gefiel es nicht, als flüchtige Bekanntschaft

abgetan zu werden. Er wollte für Marcia jemand
Besonderes sein und sie aus ihrem kühlen Gleich-
mut aufrütteln. Mit der freien Hand streichelte er
ihr glattes Haar. „In den Sachen sehen Sie sehr
sexy aus”, meinte Quentin rau.

Marcia wurde rot. „Wenn ich gewusst hätte,

dass Sie als ungebetener Gast kommen, hätte ich

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etwas anderes angezogen”, erwiderte sie scharf
und hätte sich gleich darauf am liebsten auf die
Zunge gebissen.

„Möchten Sie nicht, dass ich Ihr wahres Ich

sehe?” fragte er.

„Ich weiß nicht, was mein wahres Ich ist”, rief

Marcia entnervt. „Und jetzt los, Quentin, es
regnet in Strömen.”

„Vielleicht bringe ja ich Sie dazu, die Wahrheit

zu erkennen”, meinte Quentin. Er umfasste ihr
Kinn und küsste sie auf den Mund. Ihre Lippen
waren weich und verführerisch, und für eine
Weile verlor Quentin alles Zeitgefühl. Als Marcia
ihn schließlich wegschob, war es wie ein Schock
für ihn.

„Sie dürfen mich nicht küssen, als wären wir ein

Liebespaar in einem Hollywoodfilm”, sagte sie
stockend. „Sie kennen mich doch kaum. Außer-
dem haben Sie jetzt Lippenstift auf dem Mund.”

Nun klang sie nicht mehr kühl und gelassen,

denn sie hatte unwillkürlich den Kuss kurz er-
widert. Quentin zog ein Taschentuch heraus und

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reichte es ihr. „Wischen Sie mir bitte die Farbe
ab?”

„Deshalb haben Sie immer ein sauberes

Taschentuch dabei. Das hätte ich mir

denken können”, erwiderte sie schnippisch und

rieb ihm unnötig heftig über die Lippen.

Plötzlich wurde Quentin wütend. „Ich will Ihnen

mal eins sagen: Mein Vater war Holzfäller in
einem kleinen Ort in New Brunswick und meine
Mutter arbeitete als Putzfrau. Für sie war ein
weißes Taschentuch das Zeichen eines Gentle-
man. Als ich mit zwölf Jahren einen kleinen Kun-
stpreis gewann, schenkte sie mir drei Dutzend
weiße Taschentücher. Ich bin vielleicht kein Gen-
tleman geworden, aber ich liebte und schätzte
meine Mutter. Deshalb habe ich immer ein weißes
Taschentuch eingesteckt.”

Marcia stand still da. Wasser tropfte vom

Schirm, und ihr wurden allmählich die Füße kalt.
„Die

dumme

Bemerkung

tut

mir

leid”,

entschuldigte sie sich.

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Das klang - wie Quentin fand - aufrichtig.

„Okay. Aber Sie gehen mir wirklich unter die
Haut, Marcia.”

„Das beruht auf Gegenseitigkeit”, erwiderte sie

heftig und wischte ihm die letzte Spur Lippenstift
ab. Quentins Nase war leicht schief, seine Augen-
brauen und Wimpern waren so dunkel wie sein
Haar. Und sein Mund …Sie erschauerte, aber

nicht vor Kälte. Marcia war noch nie in ihrem

Leben so geküsst worden. Kurz, intensiv und
verwirrend.

Sie hakte sich bei Quentin unter und ging mit

ihm weiter. Nach einer Weile sagte er: „Essen Sie
morgen mit mir zu Abend.”

„Ich kann nicht.”
„Dann am Dienstag.”
„Sind Sie dann nicht schon aufs Land gezogen?”
„Na und? Ich habe ein Auto. Die Fahrt dauert

eine knappe Stunde.”

„Dort ist das Geschäft. Ich brauche nur eine

Minute”, sagte Marcia atemlos und flüchtete sich
förmlich in den Laden. Noch ein Kuss, und ich

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wäre Quentin tatsächlich zu Füßen gesunken,
dachte sie kritisch. Sie nahm einen Becher Sahne
aus dem Regal und ging zur Kasse. Aber nur, weil
ihre

Hormone

plötzlich

verrückt

spielten,

brauchte sie, Marcia Barnes, noch lange nicht mit
Quentin auszugehen. Es war vielmehr ein Grund,
sich von ihm fernzuhalten. Sie hatte genug Prob-
leme, auch ohne sich mit ihm einzulassen.

Draußen stand Quentin wartend unter einer

Laterne. Er bringt mich tatsächlich dazu, mich mit
meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, wurde es
Marcia bewusst, und sie war darüber nicht sehr
glücklich. Denn davor hatte sie bisher immer die
Augen zu schließen versucht. Nein, sie wollte auf
keinen Fall mit ihm ausgehen. Aber wie sollte sie
ihm das klarmachen?

Während sie sich noch den Kopf darüber zer-

brach, kam Quentin ihr zuvor. „Wenn Sie zuviel
zu tun haben, um während der Woche mit mir
auszugehen,

warte

ich

gern

bis

zum

Wochenende.”

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Marcia biss sich auf die Lippe und machte sich

auf den Rückweg. „Quentin, ich möchte Sie nicht
mehr treffen. Tut mir leid, wenn das schroff
klingt, aber so ist es nun einmal.”

„Warum wollen Sie nicht?”
„Eben darum”, antwortete sie. „Okay?”
„Nein, verdammt noch mal, es ist nicht okay.

Ich weiß, dass Sie sich zu mir hingezogen fühlen.
Und ich wette, Sie verlieren Ihre Gelassenheit
sonst nicht so wie bei mir. Mein Gemälde hat Sie
zum Weinen gebracht. Ihr Körper reagiert un-
willkürlich, wenn ich Sie berühre. Und je mehr
ich von Ihnen sehe, desto

überzeugter bin ich, dass Lucy nicht die gering-

ste Ahnung hat, wie Sie wirklich sind.”

Er atmete tief durch. „Außerdem wollten Sie un-

bedingt mein Bild von den drei kleinen Mädchen
haben.”

„Wenn ich ein bestimmtes Bild haben möchte,

heißt das noch lange nicht, dass ich mit dem
Maler ausgehen muss”, entgegnete Marcia
wütend. „Sie sind kein Dummkopf, Quentin, und

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die Botschaft ist einfach. Warum kapieren Sie sie
nicht?”

„Weil ich nicht will”, erwiderte er angespannt.

Obwohl er sich nichts anmerken ließ, bekam er
plötzlich Angst. Wenn er sich vorgestellt hatte,
seine Traumfrau zu finden, hatte er sich immer
ausgemalt, sie wäre ebenso begeistert, ihn zu ent-
decken wie umgekehrt. Aber Marcia wirkte über-
haupt nicht begeistert.

„Warum bedrängen Sie mich so?” fragte sie

aufgebracht. „Das verstehe ich nicht.”

„Wenn ich es Ihnen zu erklären versuche,

lachen Sie mich wahrscheinlich aus.”

„Dann lassen Sie es doch einfach gut sein,

Quentin.”

„Das kann ich nicht.” Wieder atmete er tief

durch und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
„Da ich vorhabe, Troy und Lucy öfter zu be-
suchen, werden Sie und ich uns zwangsläufig
wieder begegnen. Außer, Sie meiden Ihre Sch-
wester und Ihren Schwager in den nächsten zwei
Monaten.”

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„Das nicht, aber wenn ich sie besuche, werde

ich mich absichern, dass Sie dann nicht auch ein-
geladen sind”, sagte Marcia ärgerlich.

„Ich bin Ihnen also nicht gleichgültig, denn

sonst wäre es Ihnen egal, mich zu treffen.”

„Ich mag es nicht, ständig belästigt zu werden.”
Quentin ging langsamer. „Das ist ein hässliches

Wort.”

„Dann hören Sie doch einfach auf, mich zu

bedrängen.” Widerspenstig hob sie das Kinn.

Verzweifelt sagte Quentin: „Marcia, ich habe

noch nie eine Frau angefleht, Zeit mit mir zu ver-
bringen. Bisher hatte ich das nicht nötig. Wenn
ich mich jetzt ungeschickt anstelle, liegt es an
mangelnder Übung. Trotzdem bitte ich Sie in-
ständig, mir eine Chance zu geben. Sie bedeuten
mir sehr viel, auch wenn ich mir das selbst nicht
erklären kann. Aber das Gefühl ist echt.”

Erleichtert sah Marcia, dass sie vor dem Haus

angekommen waren. Sie musste ihren ganzen
Mut

zusammennehmen,

um

Quentin

an-

zuschauen. Er wirkte so

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verzweifelt, dass sie in ihrem Entschluss fast

wankend geworden wäre.

„Es hat keinen Sinn. Bitte, glauben Sie mir,

Quentin.” Marcia versuchte zu lächeln.

„Es tut mir leid.”
Das war das einzig Vernünftige, wie sie genau

wusste. Eine Beziehung mit Quentin würde nicht
oberflächlich sein. Besser, sie zu beenden, bevor
sie richtig begonnen hatte.

Aber warum verspüre ich dasselbe bittere

Bedauern wie beim Anblick seines

Gemäldes? fragte Marcia sich. Ein Gefühl, als

hätte sie mutwillig etwas Schönes zerstört?

Sie eilte nach drinnen und die Treppe hinauf.
Die nächsten zwei Stunden waren für Marcia

eine Tortour. Aber schließlich standen Evelyn
und Henry auf, und die anderen folgten ihrem
Beispiel.

Quentin erhob sich und dehnte die verspannten

Schultern. Troy hatte ihn beim Schach geschla-
gen, weil er mit den Gedanken ganz woanders
gewesen war. Ich hätte meine Gelassenheit

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bewahren sollen, sagte sich Quentin. Alles leicht
und oberflächlich lassen sollen. Statt dessen hatte
er Marcia geküsst, bevor sie dazu bereit gewesen
war, und sie so bestürmt, als wäre es seine Ab-
sicht gewesen, sie zu überrumpeln.

Für einen Mann, der kein Dummkopf war, wie

sie gesagt hatte, hatte er alles gründlich ver-
dorben. Und er hatte keine Ahnung, was er beim
nächsten Mal unternehmen sollte, um es wieder-
gutzumachen. Das hieß, laut Marcia würde es ja
kein nächstes Mal geben …

Quentin verließ als letzter die Wohnung. Marcia

wich vor ihm förmlich zurück, und ihm fiel auf,
dass sie müde und erschöpft wirkte. Mitgefühl er-
füllte ihn. Und die Furcht, Marcia tatsächlich nie
mehr wiederzusehen. Rau sagte er: „Wenn Sie es
sich anders überlegen, lassen Sie es mich wissen.
Lucy und Troy können Ihnen sagen, wo Sie mich
finden.”

„Ja … ja, natürlich”, erwiderte sie und schloss

die Tür.

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Marcia kann es kaum erwarten, mich loszuwer-

den, dachte Quentin. Er ging zum Lift, wo die an-
deren auf ihn warteten, und plauderte über Belan-
gloses mit ihnen, bis Troy ihn am Hotel absetzte.
Dort ging er in die Bar und bestellte sich einen
Rum.

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3. KAPITEL

Am folgenden Sonntag aß Marcia mit Lucy in

einem Bistro zu Mittag. Nachdem sie bestellt hat-
ten, sagte Lucy unverblümt: „Du siehst nicht
gerade toll aus, Marcia.”

Marcia wusste es und kannte auch den Grund

dafür; Aber sie wollte nicht über Quentin
sprechen, deshalb nahm sie zu einer Halbwahrheit
Zuflucht.

„Vorigen Dienstag wurde ich zum Direktor zit-

iert, der mir mitteilte, wegen der Budgetkürzun-
gen müssten die Angestellten, die erst seit weni-
gen Jahren im Institut sind, eine Woche unbezahl-
ten Urlaub nehmen. Sobald wie möglich. Deshalb
habe ich seit Freitag Ferien.”

Lucy kam ohne Umschweife zum Kernpunkt.

„Und wie wirken sich die Sparmaßnahmen auf
deine Forschung aus?”

„Die Medikamente, die ich teste, werden nicht

mehr gekauft, weil sie zu kostspielig geworden

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sind. Also könnte die Arbeit von drei Monaten
den Bach runtergehen.”

Frustriert verzog Marcia das Gesicht. „Das

macht mich noch verrückt.”

„Wie sicher ist dir dein Job?” fragte Lucy

geradeheraus.

Marcia drehte ihr Weinglas zwischen den

Fingern. „Ich könnte ihn verlieren”, sagte sie mit
verräterisch zitternder Stimme.

„Ach Marcia, das tut mir leid.” Lucy streckte ihr

die Hand hin.

Marcia biss sich auf die Lippe. „Es ist verrückt,

sich deswegen so sehr den Kopf zu zerbrechen,
aber ich liebe nun mal meine Arbeit.” Sie trank
einen große« Schluck Wein. „In zwei oder drei
Wochen erfahre ich Genaueres.”

„Dein ganzes Leben dreht sich um deine

Forschungen, stimmt’s?” bemerkte Lucy sanft.

„Hör auf, oder ich fange gleich zu heulen an.”

Marcia lächelte schwach.

„Weinen kann durchaus das Richtige sein.”
„Nicht in einem Restaurant.”

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„Da hast du recht.” Lucy bestrich eine Scheibe

Weißbrot mit Butter. „Was hast du denn jetzt
vor?”

„Ich bin mir noch nicht sicher.” Um nichts in

der Welt hätte Marcia ihrer Schwester gestanden,
dass die Aussicht auf sieben arbeitsfreie Tage sie
in Panik versetzte.

„Fahr doch in das Landhaus von Quentins Fre-

und in den Gatineau-Hügeln”, schlug Lucy vor.

„Sei nicht albern”, erwiderte Marcia scharf.

Schon die Erwähnung von Quentins Namen
machte sie nervös.

„Es wäre aber ideal für dich. Quentin ist ohne-

hin nicht dort. Er ist nach New York geflogen,
weil jemand in einer Galerie eins seiner Bilder
mutwillig zerstört hat und er den Schaden be-
gutachten muss. Erst am Freitag oder Samstag
kommt Quentin zurück.

Hat er mir jedenfalls gesagt.”
Dann könnte ich aus meinem Apartment und der

Stadt flüchten, dachte Marcia.

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Trotzdem meinte sie: „Ich war noch nie eine

große Naturliebhaberin.”

„Gestern war ich mit Troy und dem Baby dort

draußen. Es ist herrlich. Das Haus liegt an einem
See, umgeben von Wäldern, und es ist richtig
luxuriös.”

„Ich müsste aber vorher Quentin fragen, ob es

ihm recht ist Lucy. Und das kann ich ja nicht, da
er in New York ist.”

„Keine Sorge, ich übernehme die Verantwor-

tung. Quentin hoffte nämlich, ich und Chris
würden bis zu seiner Rückkehr im Haus bleiben.
Aber Troy hat mittags und zwei Nachmittage in
der Woche frei, und ich möchte soviel Zeit wie
möglich mit ihm verbringen. Quentin hätte sicher
nichts dagegen, wenn du im Landhaus wohnst
und nach dem Rechten siehst.”

Marcia wusste, warum ihre Schwester nicht ein-

mal eine Woche ohne ihren Mann auskommen
wollte. Lucys und Troys erstes Kind war im Alter
von sieben Monaten gestorben, und diese
Tragödie hatte ihre Ehe in eine schwere Krise

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gestürzt. Ein ganzes Jahr lang hatten die beiden
getrennt gelebt. Jetzt, da sie wieder zusammen
waren, wollte Lucy nicht auf die Gesellschaft
ihres Mannes verzichten. Außerdem fühlte sie
sich weniger besorgt, wenn sie Troy - der ja
Kinderarzt war - jederzeit erreichen konnte, falls
Chris etwas fehlte.

„Chris ist wirklich ein kleiner Schatz”, meinte

Marcia unvermittelt.

Tränen

schimmerten

plötzlich

in

Lucys

graublauen Augen. „Ja, das ist er. Wir haben
Glück. Und jetzt ist der Kleine älter als sieben
Monate, also mache ich mir nicht mehr so viele
Sorgen.” Sie nahm sich noch eine Scheibe Brot.
„Möchtest du eigentlich jemals Kinder haben,
Marcia?”

„Was soll die Frage?” Das klang betont

beiläufig.

„Du sahst so süß aus, als du Chris im Arm ge-

halten hast.”

„Meiner Meinung nach gehört zur Mutterschaft

mehr, als mit einem Baby im Arm süß

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auszusehen”, erwiderte Marcia. „Wie gefällt es
Troy, Kurse abzuhalten?”

„Gut. Aber du hast meine Frage nicht

beantwortet.”

„Das werde ich auch nicht. Weil ich nämlich die

Antwort nicht weiß.”

Lucy betrachtete Marcia nachdenklich. „Du hast

dich mit Quentin nicht gut verstanden, oder?”

Finster blickte Marcia drein. „Hast du mich zum

Essen eingeladen, um mich einem Verhör zu
unterziehen?”

„Genau.” Lucy lächelte entwaffnend.
In dem Moment erschien die Kellnerin und ser-

vierte das Essen. „Wünschen Sie sonst noch et-
was?” fragte sie.

„Nein danke”, antwortete Marcia und begann zu

essen. Über Quentin wollte sie sich nicht unter-
halten. Obwohl sie ihn erst zweimal getroffen
hatte, dachte sie ständig an ihn. Wenn sie am
Computer arbeitete, sah Sie Quentins Gesicht vor
sich, und wenn sie durchs Institut ging, stellte sie
sich vor, er wäre an ihrer Seite.

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Noch schlimmer erging es ihr zu Hause, wo

nichts sie ablenkte. Marcia hatte seit Tagen nicht
gut geschlafen. Und wenn sie schlief, träumte sie
von Quentin.

Manchmal waren es erotische Träume. Erhitzt

und erregt wachte sie dann auf, erfüllt von
brennender Sehnsucht. Und hin und wieder
wachte sie mit wild

klopfendem Herzen und feuchten Händen aus

Alpträumen auf.

Es waren immer dieselben: Sie ertrank im Meer,

wurde immer weiter hinuntergezogen, Und wenn
sie dann durch das wirbelnde Wasser Quentins
Gesicht über sich sah und ihm bedeutete, er solle
sie retten, unternahm er nichts. Sein dunkles Haar
umrahmte wie Seetang sein Gesicht, und sein
Lächeln wirkte spöttisch …

„Ich möchte wirklich nicht über Quentin reden,

Lucy”, sagte Marcia endlich kurz angebunden.

Lucy, die sonst oft sehr impulsiv war, aß sch-

weigend weiter.

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Marcia stocherte in ihrem Salat herum. „Wie

fandest du Moms Freund Henry?” fragte sie.

„Er ist wirklich sehr nett. Glaubst du, Mom will

ihn heiraten?”

„Unsere Mutter noch mal heiraten? Nein”, ant-

wortete Marcia überzeugt.

„Sie fühlt sich sicher manchmal einsam, da Troy

und ich so weit weg leben und du und Catherine
äußerst beschäftigt seid.”

„Wir sind Workaholics, wolltest du wohl

sagen”, meinte Marcia trocken. Mit dem Wort
hatte Quentin sie beschrieben.

„Ja, das lag mir auf der Zunge, aber ich wollte

nicht unhöflich sein.” Lucy lachte.

„Ach Marcia, ich finde es herrlich, Zwei Monate

hier in Ottawa zu bleiben. Ich liebe Vancouver
und natürlich meinen Mann und meinen Sohn,
aber manchmal vermisse ich Mom, dich und
Catherine sehr.”

Nun hätte Marcia ebenfalls sagen können, dass

ihr Lucy fehle. Aber stimmte das?

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War es ihr, Marcia, nicht lieber, ihre Schwester

nicht zu sehen, die sie mit ihrer unbefangenen
Art, Gefühle zu zeigen, immer wieder aus dem in-
neren Gleichgewicht brachte?

„Familienbande sind etwas ganz Besonderes”,

bemerkte Marcia ausweichend.

„Stimmt. Übrigens, ich hätte gedacht, du würd-

est dich mit Quentin bestens verstehen, wenn ihr
euch kennenlernt.”

„Hör auf, Lucy.”
„Seltsam, als wir ihn gestern trafen, sah er

genauso elend aus wie du. Und er wollte
ebensowenig über dich reden wie du über ihn.”

„Dann solltest du den Wink mit dem Zaunpfahl

kapieren und endlich das Thema wechseln.”

„Er war ein so wunderbarer Freund, als ich dam-

als während meiner Trennung von Troy auf Shag
Island lebte”, redete Lucy unbeirrt weiter. „Wie
der Bruder, den ich mir immer gewünscht hatte.”

Marcia konnte sich Quentin nicht als ihren

Bruder vorstellen. Deshalb sagte sie ausdruckslos:
„Er ist mir zu energiegeladen, irgendwie zu

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überwältigend. Tut mir leid, wenn ich dir damit
deine Träume zerstöre, ihn eines Tags als Sch-
wager zu bekommen, aber so ist es nun mal.
Können wir uns jetzt, bitte, über etwas anderes
unterhalten? Oder jemand anders?”

Lucy seufzte. „Troy behauptet immer, ich sei

unverbesserlich romantisch. Okay, okay - ich hör
ja schon auf. Trotzdem gebe ich dir den Schlüssel
für das Landhaus und eine Wegbeschreibung.
Nimm übrigens Vorräte mit. Quentin ist kein vor-
bildlicher Hausmann. Und wenn du Freitag früh
von dort abfährst, besteht keine Gefahr, dass du
ihm in die Arme läufst. Schade …”

Marcia funkelte ihre Schwester an, deshalb

fügte diese schnell hinzu: „Möchtest du nächsten
Samstag mit mir und Troy ins Kino und danach
zum Essen gehen?

Catherine hat versprochen, auf Chris aufzu-

passen.” Lucy lächelte verlegen. „Ich fühle mich
noch immer nicht wohl dabei, Chris in der Obhut
eines Babysitters zu lassen, der keine medizinis-
che Ausbildung hat. Albern von mir, oder?”

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„Ich finde es verständlich”, erwiderte Marcia

und füllte die Gläser nach.

„Welchen Film würdest du dir denn gern

ansehen?”

Während Lucy über die Vorzüge verschiedener

neuer Filme sprach, erinnerte sich Marcia un-
willkürlich an das Jahr, in dem Lucy und Troy
getrennt gewesen waren.

Beide waren damals äußerst unglücklich - ein

Zeichen dafür, wie tief ihre Liebe trotz allem
ging. Marcia hatte das verstanden. Aber sie hatte
ihrer Schwester nicht helfen können, und das war
für sie eine ganz neue Erfahrung gewesen. Sonst
meisterte sie nämlich alle Schwierigkeiten.

Vielleicht ist mir damals zum erstenmal bewusst

geworden, •wie langweilig mein Leben eigentlich
ist, dachte Marcia nun. Seitdem fühlte sie sich
zunehmend verwirrt und ziellos, was für sie völlig
ungewohnt und beunruhigend war.

Und deshalb durfte sie sich auf keinen Fall mit

Quentin einlassen, der sie jetzt schon aus dem
Konzept brachte - nach nur zwei Begegnungen.

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Marcia widmete sich wieder Lucy, und sie un-

terhielten sich über alles mögliche außer Männer
und Familienbande. Und als Marcia zu ihrem
Auto ging, hielt sie den Schlüssel zu dem Land-
haus und eine flüchtig auf die Rechnung skiz-
zierte Wegbeschreibung in der Hand. Warum
auch nicht?

Wenn ich die nächste Woche allein in meinem

Apartment verbringe, fange ich womöglich an,
mit meinen Topfpflanzen zu reden, dachte Mar-
cia. Einige Tage an einem See, mit vielen Büch-
ern und ohne eine Menschenseele würden ihr
sicher guttun. Aber sie würde schon Donnerstag
abends wieder nach Ottawa fahren, um ganz
sicherzugehen, dass sie Quentin nicht begegnete.

Montag morgen belud Marcia ihr kleines graues

Auto mit Vorräten, Kleidern, Büchern und einem
tragbaren Fernseher. Danach fuhr sie los und
summte dabei fröhlich vor sich hin. Wann hatte
sie das letzte Mal etwas so Spontanes getan?
Jedenfalls war es zu lange her. Wenn sie sonst

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Ferien machte, plante sie alles sorgfältig im
voraus.

Marcia hatte sich vorgenommen, alle Romane

zu lesen, die sie im letzten Jahr gekauft und aus
Zeitmangel ungeöffnet ins Bücherregal gestellt
hatte. Außerdem wollte sie einige neue italienis-
che Rezepte ausprobieren und sich diejenigen
Sendungen im Fernsehen anschauen, die sie sonst
immer verpasste, weil sie meist Überstunden im
Institut machte. Kurz gesagt, sie würde eine herr-
liche Zeit verleben.

Beim Versuch, Lucys Wegbeschreibung zu fol-

gen, verfuhr Marcia sich zweimal. Kein Wunder,
denn Lucy besaß nicht viel Orientierungssinn.
Aber endlich gabelte sich die Straße, wie bes-
chrieben, und die rechte Abzweigung endete nach
dreihundert Metern tatsächlich an einem Tor mit
dem Schild „Richardson” - Das war der Name
von Quentins Freund, dem das Landhaus gehörte.

Nachdem Marcia das Tor geöffnet hatte,

hindurchgefahren war und es hinter sich wieder
geschlossen hatte, fuhr sie einen holprigen Weg

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unter Buchen und Ahornbäumen entlang, an der-
en Zweigen sich die ersten Blätter zeigten. Sch-
ließlich gelangte sie auf eine Lichtung und
bremste.

Zwischen den Bäumen schimmerte der See, und

der Boden war wie mit einem weißen Teppich aus
Buschwindröschen bedeckt. Das Landhaus war
beeindruckend. Es war aus Zedernholz gebaut,
mit Holzschindeln gedeckt und passte perfekt zur
Umgebung. Marcia lächelte freudestrahlend, fuhr
vor und hielt an.

Als sie ausstieg, bemerkte sie zuerst die Stille,

die nur vom leisen Plätschern der Wellen und Vo-
gelgezwitscher durchbrochen wurde. Die Haus-
front, die zum See wies, war fast ganz aus Glas
zwischen massiven Balken gefertigt, und in ihr
spiegelten sich die Bäume und der Himmel.

Wie im Traum ging Marcia zur Haustür schloss

auf und ging hinein. Entsetzt stöhnte sie, auf.

Was hatte Lucy gesagt? Quentin sei kein vor-

bildlicher Hausmann? Das war die Untertreibung
des Jahres.

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Hemden und Pullover hingen über Sesseln.

Bücher, Zeitungen und schmutziges

Geschirr türmten sich auf den Tischen und sogar

dem Boden, und in der Ecke mit dem meisten
Licht standen eine Staffelei und Malutensilien.
Marcia rümpfte die Nase. Es roch nach Terpentin
und Leinöl - und etwas anderem, Unangenehmer-
en. Der Geruch drang aus der Küche.

Marcia riss sich zusammen; stieg über einten

Stapel Zeitschriften und entdeckte auf dem
Küchentisch die Reste von Quentins letzter
Mahlzeit: einen gemischten Salat mit Sardellen,
die den strengen Geruch ausströmten und einige
Fliegen angelockt hat.

Quentin war ein großartiger Künstler-und ein

Chaot So wie es hier aussieht, komme ich heute
nicht dazu, meine Romane zu lesen, dachte Mar-
cia. In einem derartigen Durcheinander hielt sie es
nicht aus.

Zuerst holte sie ihr Gepäck aus dem Auto und

zog sich Shorts und ein T-Shirt an.

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Dann machte sie sich an die Arbeit. Als erstes

warf sie die Essensreste weg und öffnete sämt-
liche Fenster.

Der Inhalt des Kühlschranks verriet Marcia,

dass Quentin ausländisches Bier,

Schweizerkäse und Steak mochte. Im Regal ent-

deckte sie einige Bücher, die sie ebenfalls lesen
wollte.

Quentins

Sachen

waren

ziemlich

abgetragen.

Auf der hinteren Veranda fand sie Jeans und ein

Hemd, die völlig mit Lehm bespritzt waren. Sie
steckte sie in die Waschmaschine im Keller. Nun
musste sie nur noch die Teppiche saugen und den
Boden fegen, und die untere Etage wäre fertig.

Überrascht stellte Marcia fest, dass es schon

Nachmittag war. Rasch machte sie sich Tee und
ein Sandwich und setzte sich damit aufs Sofa.

Interessiert sah sie sich um. Im unteren Stock-

werk gab es nur einen großen Raum mit der
Küchenregion an einem Ende. Dicke Balken tru-
gen die Decke. Die Sonne malte Kringel auf die
polierten Holzdielen, und von jedem Fenster bot

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sich der Ausblick auf Bäume, den See und den
Himmel. Jetzt erst, nachdem Marcia aufgeräumt
hatte, kam die Atmosphäre des Hauses richtig zur
Geltung: eine behagliche Atmosphäre, in der man
sich wohl fühlte.

Über dem Kamin hing eins von Quentins ab-

strakten

Bildern.

Seine

sanften

Blau- und

Grüntöne spiegelten die Farben von draußen
wider und holten sozusagen die Natur nach
drinnen.

Ich räume nicht nur deshalb auf, weil mir

Unordnung zuwider ist, überlegte Marcia und biss
in ihr Sandwich. Nein, sie machte es deshalb, um
möglichst viele Spuren von Quentins Anwesen-
heit zu verwischen. Seine Sachen zu falten, das
von ihm benutzte Geschirr zu spülen und die
Hosentaschen zu durchsuchen, bevor sie die Jeans
in die Waschmaschine steckte, waren ihr wie ein
Einbruch in seine Privatsphäre erschienen. Marcia
wusste nun viel mehr über Quentin als noch drei
Stunden vorher.

Mehr, als ihr lieb war.

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Das einzige, was sie nicht angerührt hatte, war-

en seine Malsachen. Die waren ihr wie ein Tabu
vorkommen. Sie hatte auch vermieden, das Bild
auf der Staffelei genauer zu betrachten: inein-
ander verschlungene Kreise, die trotzdem einen

Eindruck von Unverbundenheit vermittelten.

Das Bild war beunruhigend. Darüber, dass es
womöglich Quentins Gefühle für sie, Marcia, aus-
drückte, wollte sie keinesfalls nachdenken.

Sie machte sich wieder an die Arbeit und war

eine halbe Stunde später fertig.

Zufrieden schaute Marcia sich um. Alles wirkte

ordentlich und frisch. Energisch ging sie nach
oben. Vor der Tür zu Quentins Schlafzimmer
zögerte sie jedoch kurz und betrat es dann nur
widerstrebend.

Als erstes fiel ihr das ungemachte Bett auf. Der

Mund wurde ihr bei dem Anblick seltsam trocken,
und sie ließ rasch einen Blick durchs Zimmer
gleiten. Der Raum war schön proportioniert und
hatte eine schräge Decke mit Dachfenstern sowie

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Nischen, in denen Sitzkissen lagen. Die Wände
zwischen den Balken waren weiß gestrichen.

Das Bild über dem Bett brachte Marcia un-

willkürlich zum Lächeln. Es zeigte einen kleinen
Jungen, der angelnd an einem Fluss saß. Die
Szene strahlte Frieden aus, ähnlich wie das Bild
mit den drei kleinen Mädchen, das Troy ihr zum
Geburtstag geschenkt hatte. An der gegenüberlie-
genden Wand hing allerdings ein Gemälde, das
Marcia wie ein Schlag aus dem Hinterhalt traf,
denn es drückte tiefe Verzweiflung aus.

Und es erinnerte sie an den gequälten Ausdruck

auf Quentins Gesicht, als sie ihn das letzte Mal
gesehen hatte.

Es ist aber das einzig Richtige gewesen, Quentin

abzuweisen, sagte Marcia sich.

Hastig ging sie zum Bett und zog die

Bettwäsche ab. Einen Pyjama entdeckte sie nicht.
Vielleicht schlief Quentin nackt?

Hör auf, Marcia, ermahnte sie sich. Sie hatte seit

ihrer Ankunft unablässig an Quentin gedacht.

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Aber wie er schlief - und mit wem - ging sie über-
haupt nichts an.

Schließlich hatte sie ihn abgewiesen.
Und wenn es mir zuviel wird, hier ständig an

ihn erinnert zu werden, kann ich sofort nach
Hause fahren, dachte Marcia, während sie frische
Laken und Bezüge aus dem Schrank holte. Aber
das wollte sie nicht. Denn wenn sie sich jetzt ins
Auto setzte und nach Ottawa zurückfuhr, hätte
Quentin gewöhnen. Indem sie mit ihrer Flucht
zugab, dass er ihr alles andere als gleichgültig
war.

Wenn ich mit Aufräumen fertig bin, denke ich

einfach nicht länger an ihn, sagte Marcia sich.
Seine Bilder konnte sie ja für die Dauer ihres
Aufenthalts unter dem Bett verstecken.

Sie wollte auch deswegen nicht in ihr Apartment

zurück, weil sie dringend Urlaub von ihren Sor-
gen brauchte: ihrem Job und ihrer Familie. Viel-
leicht fand sie dann heraus, was mit ihr eigentlich
los war. Warum sie Lucy zugleich liebte und
beneidete.

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Warum sie die ganze Zeit arbeitete.
Und warum ein Mann mit unglaublich blauen

Augen sie in ihren Träumen heimsuchte.

Vor dem Abendessen machte Marcia einen

Spaziergang und entdeckte dabei am Seeufer eine
überdachte Terrasse mit einer Hängematte, die an
den Streben befestigt war. Eine ganze Stunde lang
machte sie es sich darin bequem, ein offenes
Buch im Schoß, das sie allerdings nicht las. Das
leise Plätschern der Wellen versetzte sie in eine so
friedliche Stimmung, wie sie sie sonst nicht em-
pfand. Nicht empfinden wollte.

Schließlich ging Marcia ins Haus zurück, legte

eine CD auf, kochte grüne Nudeln mit Muschel-
soße und bereitete als Dessert einen Obstsalat zu.

Die Sonne ging hinter den Bäumen unter und

warf lange Schatten auf das Gras.

Die Vögel zwitscherten nicht mehr. Es war völ-

lig still.

Marcia erschauerte vor Unbehagen. Weit und

breit war kein anderes Haus zu sehen, und sie
hatte nicht daran gedacht, ein Stück die Straße

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entlangzufahren, um festzustellen, wo die näch-
sten Nachbarn wohnten. Sie ging in die Küche
und versicherte sich, dass die Hintertür versperrt
war. Daraufhin zog sie die Jalousien herunter und
verriegelte alle Fenster im unteren Stockwerk.
Anschließend spülte sie und trocknete ab. Danach
legte sie eine andere CD auf und griff sich einen
ihrer Romane.

Es war ein gutgeschriebenes Buch, das sie den-

noch nicht zu fesseln vermochte.

Sie klappte es zu, ging in die Küche und machte

Karamelbonbons. Wieder spülte Marcia das ben-
utzte Geschirr und wünschte sich, sie hätte nicht
schon so gründlich aufgeräumt, denn dann hätte
sie sich jetzt noch beschäftigen können.

Draußen war es dunkel. Um sich zu beweisen,

dass sie vor der Finsternis keine Angst hatte, ging
Marcia vor die Tür. Der Himmel war mit Sternen
übersät, und Marcia fühlte sich unsagbar einsam.

Jeder fühlt sich gelegentlich so, sagte Marcia

sich gereizt und ging wieder nach drinnen. Dort

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nahm sie sich ein anderes Buch und zwang sich,
bis halb elf zu lesen.

Anschließend duschte sie, zog sich den Pyjama

an und begab sich ins Schlafzimmer.

Ohne zu überlegen, nahm sie das abstrakte Bild

von der Wand, wickelte es in ihren anderen Py-
jama und versteckte es hinter dem Schreibtisch.
Dann stellte sie sich aufs Bett und öffnete das
eine Dachfenster einen Spaltbreit, denn es war
warm, im Zimmer, und mit Regen war nicht zu
rechnen. Schließlich legte Marcia sich hin und
knipste die Lampe aus. Vor zwei Nächten hatte
Quentin noch in demselben Bett gelegen.

Aber ich denke nicht an Quentin, sondern sch-

lafe jetzt, sagte Marcia sich streng.

Und tatsächlich schlief sie ziemlich schnell ein.
Marcia wachte in völliger Dunkelheit auf und

rieb sich die Augen. Sie zog sich die Decke bis
ans Kinn, denn ihr war kalt. Der Wecker zeigte
an, dass es zehn vor eins war.

Plötzlich hörte Marcia ein Geräusch und richtete

sich kerzengerade auf.

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Vor

dem

Haus

wurde

eine

Autotür

zugeschlagen.

War draußen ein Einbrecher? Jemand, der das

Haus verwüsten wollte? Oder ein Mörder? Eins
war sicher: Sie würde nicht bleiben, um es
herauszufinden.

Ganz leise öffnete Marcia das Dachfenster, so

weit es ging, umklammerte den Fensterrahmen
und sprang hoch. Sie landete bäuchlings auf dem
Rahmen. Dann schlängelte sie sich durch das Fen-
ster, lag reglos auf dem Dach und lauschte

angestrengt.
Im unteren Stockwerk wurde das Licht an-

geknipst, Lichtstreifen schimmerten auf dem
Rasen. Marcia schloss die Augen und verstand
plötzlich, warum Strauße bei Gefahr den Kopf in
den Sand steckten. Im nächsten Moment
verkrampfte sie sich unwillkürlich, als jemand das
Schlafzimmer betrat. Licht fiel herein, und sie
fühlte sich auf dem Dach wie auf dem Präsentier-
teller. Marcia hielt den Atem an. Erleichtert hörte

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sie, wie die Schritte sich wieder entfernten und
auf der Treppe erklangen. Jetzt war es ganz still.

Marcia stemmte die Zehen gegen das Dach, um

nicht abzurutschen, und fragte sich, wie lange sie
sich würde halten können.

Irgendwo unten wurde ihr Name gerufen. „Mar-

cia? Wo, zum Kuckuck, stecken Sie? Ich bin’s,
Quentin. Sie brauchen keine Angst zu haben.
Marcia!”

Quentin war hier. Kein Einbrecher. Marcia at-

mete auf und lockerte unwillkürlich den Griff am
Fensterrahmen, woraufhin sie abzurutschen dro-
hte. Mit einem Schrei klammerte sie sich wieder
fest.

Sie hörte, wie jemand zwei Stufen auf einmal

nehmend die Treppe hinaufeilte.

Gleich darauf knarrte der Holzfußboden im

Schlafzimmer.

„Marcia? Wo sind…” Plötzlich erschien

Quentin am Dachfenster. „Um Himmels willen,
Sie haben mich fast zu Tode erschreckt”, sagte er
und blickte ihr in die Augen.

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„Ich Sie?” fragte Marcia heiser. „Was glauben

Sie, was Sie mit mir gemacht haben?”

„Wieso sind Sie da draußen auf dem Dach?”
Quentin sah so stark, verlässlich und vertraut

aus, dass, Marcia vor Erleichterung fast über-
mütig wurde. „Warum wohl? Um die Sterne zu
bewundern und Eulen zu beobachten? Nein, ich
verstecke mich vor einem Eindringling, der mich
kurz zuvor in meinem Schlafzimmer überfallen
wollte.”

„Das ist nicht Ihr Schlafzimmer, Marcia, son-

dern meins.”

„Seien sie doch nicht so pingelig”, erwiderte sie

gereizt.

Quentin verspürte nun keine beklemmende

Angst mehr, sondern überschwängliche Freude.
Marcia war da. Warum, wusste er nicht, und es
war ihm auch egal.

Hauptsache, dass sie bei ihm war. Ihre Augen

wirkten so dunkel wie der Nachthimmel, und das
Haar umrahmte ihr feingeschnittenes Gesicht. Am
liebsten hätte er sie geküsst. „Sie sind so schön

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wie die Königin der Nacht”, sagte er. „Ich würde
Ihnen gern ein Ständchen bringen nach alter
Minnesängerart.”

Marcia taten inzwischen die Arme weh. Aber

sie schien ihr übliches, vernünftiges Ich zurück-
gelassen zu haben, als sie aufs Dach kletterte,
denn sie antwortete: „Ich habe noch nie ein Ständ-
chen bekommen, während ich auf einem Dach
hing.”

Quentin verspürte Eifersucht. „Und bei welcher

Gelegenheit hat man Ihnen ein Ständchen geb-
racht, Marcia?”

Sie lachte. „Bei einer Fahrt auf einem ziemlich

schmutzigen Kanal in Venedig.

Der Gondoliere hat für das Vergnügen einen ho-

hen Preis gefordert. Nicht besonders romantisch,
oder?”

„Ich mache das sicher besser”, meinte Quentin.

„Sind denn die Männer in Ottawa solche Wasch-
lappen, dass sie sofort die Flucht ergreifen, wenn
Sie sie von oben herab ansehen?”

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„Alle Männer sind nicht besser als Ratten”, be-

hauptete Marcia heftig.

„Und auf wie vielen Exemplaren beruht diese

Schlussfolgerung?” erkundigte sich Quentin und
stellte sich unwillkürlich vor, wie Männer von
Marcias Haustür weg bis ins Zentrum von Ottawa
Schlange standen.

„Quentin,

ich

möchte

mein

bisheriges

Liebesleben nicht diskutieren, während ich mich
fünf Meter über dem Erdboden mit letzter Kraft
an einen Fensterrahmen klammere.”

„Das klingt vernünftig. Hier, halten Sie sich

fest.” Er hielt ihr die Hand hin.

„Gemeinsam schaffen wir Sie sicher ins Zimmer

zurück.”

Sie umklammerte sein Handgelenk und ver-

suchte, sich wieder durch das Fenster zu schieben.
Die Schindeln schürfte» ihren Knöchel auf, und
sie stieß schmerzhaft mit dem Ellbogen gegen den
Fensterrahmen. Dann glitt sie irgendwie durch die
Öffnung und Quentin in die Arme. Er stolperte

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rückwärts, und sie landeten, eng umschlungen,
auf dem Bett.

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4. KAPITEL

Marcia lag unter Quentin. Durch sein dünnes

Hemd konnte sie die Wärme seiner Haut spüren,
und seine Schulter drückte gegen ihre Brust.
Seine Schenkel pressten ihre Beine gegen die
Matratze. Er war schwer, aber nicht so unan-
genehm schwer, dass Marcia ihn hätte weg-
schieben wollen.

Er stützte sich auf den Ellbogen. „Alles in Ord-

nung mit Ihnen?” fragte Quentin besorgt.

Feine Fältchen zeigten sich in den Augen-

winkeln, und das Haar fiel ihm wirr in die Stirn.
Nur gut; dass ich mich nicht bewegen kann, sonst
würde ich dich umarmen und an mich ziehen,
damit du mich küsst, Quentin, dachte Marcia
sehnsüchtig und erschrocken zugleich.

Wahrscheinlich konnte man ihr die Gefühle an-

sehen, denn Quentin bemerkte rau:

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„Wenn mir heute morgen jemand gesagt hätte,

dass ich abends mit dir im Bett liege, Marcia,
hätte ich ihn für verrückt erklärt.”

„Wir liegen nicht im …”
„O doch, das tun wir.” Er betrachtete ihre festen,

runden Brüste. „Das sollten wir ausnutzen, findest
du nicht auch?”

Daraufhin senkte er den Kopf, um sie zu küssen,

und sie protestierte nicht. Wie hypnotisiert
schloss sie die Augen und spürte Quentins warme
Lippen auf ihren. Sanft und zugleich aufreizend
sinnlich küsste er sie, ließ danach den Mund Über
ihre Wange gleiten und strich ihr durchs Haar.

Marcia war sich Quentins Körper überdeutlich

bewusst. Schüchtern berührte sie seih Gesicht und
schob die Finger in sein dichtes lockiges Haar.
Quentin seufzte erfreut. Sein Nacken fühlte sich
kräftig an, ebenso seine breiten muskulösen
Schultern.

Hitze und fast schmerzliche Sehnsucht durch-

fluteten Marcia. Dass Quentin sie begehrte, spürte

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sie ganz deutlich. Unwillkürlich stöhnte sie
verlangend.

„Marcia”, flüsterte er zärtlich und küsste sie

wieder, diesmal leidenschaftlich.

Sie hatte das Gefühl zu versinken. Rasch wandte

sie den Kopf ab. „Nein, Quentin.

Wir dürfen das nicht.”
Heißes, ungezügeltes Verlangen durchzuckte

ihn. Erneut wollte er sie küssen, aber sie stieß ihn
weg. Sie wirkte erschrocken und sah ihn flehend
an. Ihm war es, als erwache er aus einem Traum.
„Habe ich dir weh getan?” erkundigte sich
Quentin rau.

„Das wollte ich nicht.”
„Nein, das hast du nicht. Aber wir müssen

aufhören.”

Er strich ihr das Haar zurück. Seine Finger zit-

terten leicht. „Warum?” fragte er.

„In meinem ganzen Leben hat sich noch nichts

so gut und richtig gefühlt, wie hier mit dir zu
liegen.”

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Marcia sah ihn groß an. „Wie kannst du das

sagen? Wir kennen uns doch kaum.”

„Mir kommt es vor, als hätte ich dich schon im-

mer gekannt.”

Jeden anderen Mann hätte Marcia ausgelacht,

aber intuitiv wusste sie, dass Quentin das völlig
ernst meinte. „Eins muss ich dir lassen”, meinte
sie anerkennend.

„Deine Methode ist einzigartig.”
Leicht verärgert blickte er sie an. „Du glaubst

wohl, ich will dich mit schönen Worten betören,
damit du mit mir schläfst?”

„Ja, so sieht es für mich aus. Aber wenn das erst

die Generalprobe sein sollte, dann muss die
Premiere einfach unglaublich werden”, erwiderte
sie kühn.

„Das wird sie, glaub mir”, erwiderte er und ließ

die Hand zu ihrer Brust gleiten.

Marcia erschauerte vor Verlangen, und ihre

Brustspitzen richteten sich auf.

Ungeduldig fügte Quentin hinzu: „Lass uns

miteinander schlafen, Marcia. Jetzt. So lernen wir

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uns vielleicht am besten kennen. Auf die üblichen
gesellschaftlichen Spielregeln können wir doch
verzichten, weil wir wissen, worauf es wirklich
ankommt.”

Er umspielte eine Brustknospe mit den Fingern

und bemerkte, wie sich Marcias Augen vor Ver-
langen verdunkelten. „Darauf, dass wir vereint
sind, kommt es an”, fügte Quentin leidenschaft-
lich hinzu. „Dass wir einander Freude schenken.
Uns lieben. Das andere können wir später nach-
holen, dazu haben wir dann noch viel Zeit.

Aber jetzt begehre ich dich so sehr, dass ich

nicht mehr klar denken kann.”

Sie spürte, dass sein Herz wie rasend pochte. Da

er völlig aufrichtig seine Gefühle gestand, musste
auch sie aufrichtig sein. „Ich habe zuviel Angst,
Quentin”, erwiderte Marcia ernst.

„Ich würde dir doch niemals weh tun.”
„Nein, ich habe Angst vor meinen Gefühlen. So

wie jetzt habe ich mich noch nie aufgeführt.”

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Quentin hob ihre Hand an die Lippen und küsste

jeden Finger. „Wie führst du dich sonst nicht auf?
Zeig es mir.”

Seine Lippen fühlten sich warm auf ihrer Haut

an, und Marcia gab allen

Widerstand und alle Zurückhaltung auf. Lang-

sam und verführerisch ließ sie die Hüften kreisen
und presste sich an Quentin. Dann küsste sie ihn
so leidenschaftlich, wie sie es nie für möglich ge-
halten hätte. Er drehte sich auf den Rücken und
wollte sie auf sich ziehen. Dabei stieß ihr Knöchel
gegen sein Bein, und sie zuckte vor Schmerz
zusammen.

„Was ist los?” Quentin setzte sich auf, die Arme

noch immer um sie gelegt. „Dein Knöchel blutet
ja, Marcia.”

„Das muss auf dem Dach passiert sein”, meinte

sie. „Wahrscheinlich habe ich mich an der schar-
fen Kante einer Schindel verletzt.”

Eigentlich wollte sie gar nicht über Schindeln

reden. Nein, sie wollte sich ganz ihrem Verlangen
hingeben, wollte, dass aus der vernünftigen,

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beherrschten Marcia, die sie bisher gewesen war,
eine spontane, sinnliche wurde. Sie streckte die
Hände nach Quentin aus.

Er bemerkte es nicht, sondern stand auf. „Bleib

liegen, ich bin gleich wieder da.”

Marcia ließ die Hände sinken. Sie hätte ohnehin

nicht aufstehen können, denn ihre Knie fühlten
sich schwach an. Durch das offene Dachfenster
strömte kühle Luft herein und strich ihr über die
Haut.

Quentin kam mit einer Schüssel Wasser, einem

Handtuch und dem Erste-Hilfe-Kasten zurück.
„Hoffentlich,

hast

du

dir

keine

Splitter

eingezogen.”

Marcia betrachtete ihren Knöchel. „Das glaube

ich nicht. Mach nicht so ein Aufhebens darum,
Quentin, es ist nur ein Kratzer.”

„Ich weiß, du bist Ärztin, aber lass mich das

machen, ja?”

„Okay”, sagte Marcia so nachgiebig, dass Lucy

sicher erstaunt gewesen wäre, hätte sie es gehört.

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Quentin schob das Handtuch unter Marcias Bein

und wusch behutsam die Kratzer

aus. Ihr Knöchel war so schmal, dass er ihn mit

einer Hand hätte umfassen können, und die Haut
so zart, dass sich darunter die Adern auf dem
Spann abzeichneten.

Quentin fiel es schwer, sich auf seine Aufgabe

zu konzentrieren. Nachdem er die Wunde gerein-
igt hatte, strich er desinfizierende Salbe darauf
und klebte ein Pflaster darüber.

Unwillkürlich streichelte er sanft Marcias

Fußrücken. Obwohl sie einen langärmeligen Py-
jama trug, sah sie bezaubernd verführerisch aus,
denn das seidige Material schmiegte sich an ihre
Figur .und betonte mehr, als es verbarg. „Die Pro-
gnose ist gut. Die Patientin wird überleben”, sagte
Quentin betont forsch.

Marcia lachte allerdings nicht über den Scherz.

In ihren Augen schimmerten plötzlich Tränen.
Rasch legte Quentin ihr die Hand aufs Knie.
„Habe ich dir etwa weh getan?” fragte er.

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Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin es nur

nicht gewöhnt, dass sich jemand so fürsorglich
um mich kümmert.”

„Du lässt ja auch nicht zu, dass man sich um

dich kümmert.”

Trotzig hob sie das Kinn. Diese Geste kannte er

inzwischen. „Ich bin nun mal gern unabhängig”,
sagte Marcia.

„Wie wahr.”
„Daran ist doch nichts Schlechtes. Ich treffe

gern meine eigenen Entscheidungen und verdiene
mein eigenes Geld und …”

„Marcia, um zwei Uhr morgens wollen wir doch

nicht über Unabhängigkeit diskutieren. Leg dich
hin. Ich hole dir noch eine Decke. Du siehst so
aus, als wäre dir kalt.”

„Aber das ist dein Schlafzimmer”, protestierte

sie zaghaft.

„Ich schlafe heute nacht im Gästezimmer.” Er

nahm eine flauschige Decke aus dem Schrank.
Marcia saß mitten auf dem Bett, das Laken bis
zum Kinn hochgezogen, und ihre Augen wirkten

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unnatürlich groß. Quentin hatte keine Ahnung,
was sie gerade dachte. Er war ein Narr, ihr noch
eine Decke zu geben, wenn es doch angenehmere
Methoden gab, sie warmzuhalten …

Allerdings warnte ihn eine innere Stimme, sein

Glück nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, in-
dem er zu schnell vorging. Dass Marcia hier bei
ihm war, grenzte schon an ein Wunder. Dräng sie
nicht, ermahnte Quentin sich. Morgen früh würde
sie noch immer da sein. Sie war es wert, dass man
auf sie wartete. Hatte er nicht schon sein ganzes
Leben lang auf sie gewartet? Dann kam es doch
auf einige Stunden oder Tage mehr auch nicht an.

„Leg dich jetzt hin”, schlug er ihr vor. „Du sieh-

st völlig erledigt aus.”

Heißt das, dass er mich nicht mehr begehrt?

fragte Marcia sich. Folgsam legte sie sich hin, und
Quentin deckte sie zu. „Gute Nacht”, flüsterte sie.

Flüchtig küsste er sie auf die Wange. „Schlaf

gut”, sagte er leise, knipste das Licht aus und ging
hinaus.

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Allein im Dunkeln fragte Marcia sich, was in sie

gefahren war. Sie verstand sich selbst nicht mehr.
Beinahe hätte sie mit einem Mann geschlafen, den
sie nicht einmal richtig kannte. Und der ihr un-
bestimmte Ängste einflößte. Ich hätte ihm fast die
Sachen vom Körper gerissen, ich, Marcia Barnes,
dachte sie ungläubig. Was war nur mit ihr los? Sie
musste möglichst bald abreisen, bevor sie etwas
tat, was sie später bereuen würde.

Sie kuschelte sich unter die Decke und

beschloss, am nächsten Morgen gleich nach dem
Frühstück abzufahren. Während sie noch über-
legte, dass sie dann die Vorräte im Kühlschrank
nicht vergessen durfte, schlief sie ein.

Marcia wachte auf. Draußen zwitscherte ein

Rotkehlchen hingebungsvoll. Der Himmel war
strahlend blau - und es war schon halb elf.

An sich hatte sie früh aufstehen und abfahren

wollen, bevor Quentin aufwachte …

Sie reckte sich und spürte einige schmerzende

Stellen, Folgen ihres nächtlichen Dachausflugs
und der abrupten Rückkehr ins Schlafzimmer. Mit

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Quentin im Haus habe ich mich sicher, ja sogar
geborgen gefühlt, stellte sie fest. Wie konnte ein
und derselbe Mann ihr zugleich ein Gefühl der
Sicherheit und der Bedrohung geben? Das ergab
doch keinen Sinn …

Eigentlich will ich nicht unbedingt abreisen,

dachte Marcia. Es war so schön hier.

Gestern hatte sie sich tatsächlich eine Stunde

lang in der Hängematte auf der Terrasse entspan-
nt, was für sie einen Rekord darstellte.

Sie wollte nicht die restliche Woche einsam in

ihrem Apartment verbringen. Warum war Quentin
nicht in New York geblieben?

Dann wäre ihr auch die Erkenntnis erspart

geblieben, dass sie keineswegs so kühl und be-
herrscht war, wie sie immer geglaubt hatte. Als
Marcia sich daran erinnerte, wie verführerisch sie
sich verhalten und wie hingebungsvoll sie
Quentin geküsst hatte, errötete sie beschämt. Wie
hatte sie nur so hemmungslos sein können? Das
passte überhaupt nicht zu ihr. Je eher sie nach Ott-
awa zurückkehrte und diese überraschend zum

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Vorschein gekommene Seite ihres Charakters ver-
gaß, desto besser.

Marcia stand auf. Sie zog ein langärmeliges

Hemd an, um die blauen Flecken auf den Armen
zu verbergen, und eine lange Hose, die das
Pflaster am Knöchel verdeckte.

Dann setzte Marcia die Brille auf, packte ihren

Koffer und ging anschließend ins Bad.

Zehn Minuten später ging sie nach unten, per-

fekt geschminkt und frisiert. Den Koffer nahm sie
mit.

Quentin war nirgendwo zu sehen. Rasch öffnete

Marcia den Kühlschrank, nahm ihre Vorräte
heraus und verstaute sie in der Kühltasche.
Danach packte sie die restlichen Lebensmittel, die
sie mitgebracht hatte, in Plastiktüten. Als sie
gerade ihre Bücher einsammelte, bemerkte sie
eine Bewegung zwischen den Bäumen vor dem
Fenster. Marcia richtete sich auf. Ihre Kehle
fühlte sich plötzlich trocken an.

Quentin

war

offensichtlich

schwimmen

gewesen. Nun kam er aufs Haus zu, nur mit einer

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Badehose bekleidet, das Handtuch über der
Schulter. Licht und Schatten malten Muster auf
seinen athletischen Körper. Quentin sieht umwer-
fend aus: muskulös, schlank und breitschultrig -
ausgesprochen männlich, dachte Marcia unwillig.
Und er blickte so glücklich drein wie ein sor-
gloser Junge.

Nur gut, dass sie abreiste. Quentin Ramsey

würde ihr sonst große Probleme bereiten.

Er kam herein und lächelte sie strahlend an.

„Schenkst du mir bitte eine Tasse Kaffee ein? Das
Wasser ist eiskalt und …” Aus zusam-
mengekniffenen Augen musterte er ihr Gepäck.
„Was, zum Kuckuck, hast du vor?”

Wassertropfen liefen ihm über die Brust. Marcia

wandte mühsam den Blick ab und sagte betont
sachlich: „Ich reise ab.”

„Warum denn?”
„Ganz einfach: weil du früher als erwartet aus

New York zurückgekommen bist.”

Quentin rieb sich mit dem Handtuch die Brust

trocken. „Ich habe es dort nicht ausgehalten”,

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erklärte er. „Es ist schmutzig, stickig, und es gibt
zu viele Menschen.

Deshalb erledigte ich, was in der .Galerie zu tun

war, und bin nachts gleich zurückgeflogen. Aber
nun erklär du mal, warum du nicht bleiben
kannst.”

Marcia musste sich beherrschen, um nicht

aufzubrausen. „Das sagte ich doch schon: weil du
jetzt hier bist.”

„Was ist denn an mir so schrecklich?”
Dass du mich zu unglaublichem Benehmen ver-

anlasst, antwortete sie im stillen.

Laut sagte sie jedoch so betont und langsam, als

würde sie mit einem kleinen Kind reden: „Ich bin
nur hergekommen, weil es hieß, du seist bis Freit-
ag verreist. Da du vorzeitig zurückgekehrt bist,
fahre ich ab.”

„Heute ist Dienstag. Warum bist du eigentlich

nicht im Institut?” erkundigte Quentin sich.

„Budgetkürzungen”, erwiderte sie kurz ange-

bunden. „Unbezahlter Zwangsurlaub.”

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„Ein Hoch auf die Regierung. Das Beste, was

sie für mich dieses Jahr getan hat. Gefällt dir das
Haus nicht, Marcia?”

„Es ist bezaubernd.”
„Aber der See und der Wald sagen dir nicht

zu?”

„Quentin, hör mit diesem Spielchen auf. Wir

beide wissen ganz genau, was letzte Nacht hätte
passieren können. Ich …”

„Was wäre, wenn es passiert wäre?” unterbrach

er Marcia. „Wäre das so schrecklich gewesen?”

„Ja sicher. Ich halte nichts von flüchtigen

Affären.”

„Ich auch nicht”, erwiderte er leise.
Marcia wurde rot. Sie atmete tief durch und

sagte aufgebracht: „Genau deshalb müsstest du
mich jetzt eigentlich vor die Tür setzen.”

„Meine Gefühle für dich sind alles andere als

flüchtig oder oberflächlich”, gestand Quentin.
„Hast du das noch nicht bemerkt?”

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„Ich habe nur bemerkt, dass andere Frauen nur

allzu bereit wären, sich mit dir einzulassen”,
erklärte sie unzusammenhängend.

„Du meine Güte, das klingt ja, als hätte ich ein-

en ganzen Harem”, meinte Quentin amüsiert.

„Ich habe doch selbst gesehen, wie diese Frauen

bei der Vernissage dich belagert haben. Und du
hast sie nicht gerade entmutigt”, warf sie ihm vor.

„Eifersüchtig, Marcia?”
„Natürlich nicht!”
„Das glaube ich dir nicht.”
„Unterstellst du mir, dass ich lüge?” fragte Mar-

cia heftig.

„Nein, sondern dass du dir etwas vormachst.

Und was mich betrifft: erstens bin ich kein Don
Juan. Zweitens bedeutest du mir sehr viel, auch
wenn ich mir das selbst nicht genau erklären
kann. Drittens: Wenn wir letzte Nacht mitein-
ander geschlafen hätten, hätte ich mein Bestes
getan, um dir Freude zu bereiten und dir das Ge-
fühl zu geben, begehrenswert zu sein. Weil ich
so…”

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„Hör auf, Quentin!” unterbrach Marcia ihn

heiser und hielt sich die Ohren zu. „Ich kenne
dich doch kaum. Wieso sollte ich mit dir sch-
lafen?” Sie ließ die Hände sinken.

,;Weil du es möchtest. Oder sehe ich das

falsch?”

In allen Einzelheiten erinnerte sie sich daran,

wie sie ihn geküsst hatte, und brach zu ihrem Ent-
setzen in Tränen aus. Sie setzte sich aufs Sofa,
barg das Gesicht in den Händen und weinte.

Erschrocken ließ Quentin das Handtuch fallen

und kniete sich vor sie. Nachdem er ihr die Brille
abgenommen hatte, zog er ihren Kopf an seine
Schulter. Marcia wurde von Schluchzern förmlich
geschüttelt.

„Ich weine sonst nie”, erklärte sie mühsam.

„Niemals. Ich hasse es, zu weinen.”

„Niemals” schien Marcias Lieblingswort zu

sein. Quentin flüsterte ihr Trostworte ins Ohr und
fragte sich, ob er jemals Ähnliches für eine andere
Frau empfunden hatte. Nein, denn das hätte er
nicht vergessen.

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Marcias Haar duftete wundervoll. Ihre Schultern

fühlten sich fast zerbrechlich an.

Das erregte und erschreckte ihn zugleich, denn

er empfand den Wunsch, Marcia zu beschützen.
Lust kannte er ja. Aber Zärtlichkeit? Liebe?

Eine Frau zu lieben würde sein Leben grundle-

gend verändern - vor allem, wenn die betreffende
Frau nicht geliebt, werden wollte. War Marcia die
richtige Frau für ihn? Wie sollte er das beant-
worten? Die Antwort hing, wie ihm zum ersten-
mal klar wurde, von zwei Menschen ab.

Da ihm diese Gedanken nicht benagten, sagte

Quentin: „Weißt du was, Marcia?

Ich habe ausnahmsweise kein Taschentuch

eingesteckt.”

Marcia fühlte sich elend und erschöpft. Sie at-

mete mühsam tief durch und sagte: „Ich habe ein
Papiertuch in der Tasche.”

Quentins Schulter war nass von ihren Tränen.

Marcia richtete sich auf, wobei sie vermied, ihn
anzusehen, und putzte sich die Nase. „Ich hasse
es, wenn Frauen weinen. Nur ein hinterhältiger

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Trick, um bei einer Auseinandersetzung Siegerin
zu bleiben.”

„Wer sagt denn, dass du gewonnen hast?” fragte

Quentin.

Sie funkelte ihn an. Ihre Nasenspitze und ihre

Lider waren gerötet, an ihren Wimpern hing eine
Träne, und plötzlich empfand er noch mehr Zärt-
lichkeit für Marcia.

„Quentin, ich fahre ab.”
„Nur über meine Leiche, Marcia.”
Lächelnd erwiderte sie: „Ich mag mich ja so

rapide verändern, dass ich mich kaum noch wie-
dererkenne, aber ich glaube nicht, dass ich zur
Mörderin werde.”

„Gut.” Quentin lächelte sie an und setzte sich

neben sie. „Du bleibst also hier.”

„Ach ja? Das glaubst du vielleicht.” Was für

eine kindische Antwort, einer erwachsenen Frau
mit akademischen Titeln völlig unwürdig, dachte
sie ironisch.

„Die Richardsons, denen das Haus gehört, sind

für einen Monat verreist.

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Inzwischen passe ich auf das Haus auf”, erklärte

Quentin. „Ich darf einladen, wen ich will. Und ich
will dich.”

„Ach, du passt aufs Haus auf? Ein schöner

Aufpasser bist du. Als ich herkam, sah es hier wie
in einem Schweinestall aus.”

Marcia rieb sich die nassen Wangen mit dem

Handrücken ab und setzte die Brille wieder auf.

„Und als ich gestern nacht hier reinkam, dachte

ich zuerst, ich sei im falschen Haus”, gab Quentin
kleinlaut zu. „Weißt du, wenn ich male, kann ich
mich um nichts anderes kümmern. Deshalb sah es
hier so schlimm aus. Ansonsten bin ich ziemlich
zivilisiert.”

Das war das letzte Wort, mit dem sie Quentin

beschrieben hätte. „Ich verstehe nicht, warum du
unbedingt möchtest, dass ich bleibe.”

„Das sage ich dir, wenn du mir verrätst, warum

du geweint hast.”

„Nein, das geht dich nichts an.”
„Du hast dein ganzes Leben lang alles für dich

behalten”, bemerkte Quentin schonungslos. „Und

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es hat dich nicht gerade glücklich gemacht, stim-
mt’s?”

„Ich mag es aber nicht, wenn du mit Lucy über

mich sprichst”, erwiderte Marcia widerspenstig.

„Was immer du mir sagst, bleibt unter uns

beiden”, versicherte er ihr.

Das glaubte Marcia ihm. „Na gut”, sagte sie

endlich. „ Aber du zuerst.”

Quentin hätte nicht gedacht, dass sie so rasch

nachgeben würde. Er überlegte kurz, ehe er
erklärte: „Als ich gestern nacht herkam und vor
dem Haus ein fremdes Auto entdeckte und dazu
das aufgeräumte Wohnzimmer, wusste ich zuerst
nicht, was los war. Dann sah ich eins deiner
Bücher mit deinem Namen darin. Ich war nicht
einfach glücklich, Marcia. Das ist ein viel zu
schwaches Wort für mein Gefühl.

Überschäumende Freude. Ja, das war es, was ich

fühlte. Und nun erklär mir mal meine Reaktion,
wenn du kannst.”

Er strich sich durch das feuchte Haar. „Ich

suchte dich im ganzen Haus. Als ich dich nicht

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fand, machte ich mir schreckliche Sorgen. Aber
als ich dich dann auf dem Dach entdeckte, wollte
ich dich nie wieder gehen lassen.”

Quentin stand auf und ging rastlos hin und her.

„Du bedeutest mir unendlich viel.

Das habe ich dir schon mal gesagt. Letzte Nacht

hat es sich bestätigt.” Nachdenklich betrachtete er
das Bild auf der Staffelei. „Schau dir das an: Das
drückt die Gefühle aus, die ich empfinde, seit du
mir erklärt hast, du wolltest mich nie mehr
wiedersehen.

Bleib, Marcia. Bitte.”
Sie hatte also richtig vermutet, dass dieses Bild

mit ihr zu tun hatte. „Du kommst ja wirklich
direkt zur Sache”, meinte Marcia leise.

„Ich mache mir nichts aus all dem üblichen

Drumherum und Getue, das andere für nötig
halten.”

Da ihr darauf keine Antwort einfiel, vers-

chränkte Marcia nervös die Finger.

Quentin trocknete sich den Nacken ab, denn ihm

liefen noch immer Wassertropfen aus dem Haar.

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„Ich möchte, dass du bleibst. Auch in deinem In-
teresse, nicht nur in meinem”, erklärte er
schließlich.

Langsam stand Marcia auf und verschanzte sich

hinter dem Sofa. Quentin hatte gesagt, was er zu
sagen hatte. Nun war sie an der Reihe.

„Ich habe mein Leben und meine Gefühle bisher

immer unter Kontrolle gehabt”, begann Marcia
stockend. „Aber in letzter Zeit … ach, ich weiß
nicht, was da mit mir passiert. Und das liegt nicht
nur an dir. Normalerweise weine ich wirklich nie.
Und dreimal hintereinander war mir allein in der
blöden Galerie zum Heulen zumute.” Sie umk-
lammerte die Sofalehne. „Ich hasse das - über
mich zu sprechen, meine ich.”

Quentin unterdrückte den Impuls, Marcia in die

Arme zu nehmen, und versicherte ihr leise: „Du
machst das ganz ausgezeichnet.”

„Sex”, sagte sie plötzlich heftig. „Deswegen

habe ich geweint.”

Er verkrampfte sich unwillkürlich. „Wie meinst

du das?”

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Sie schluckte mühsam. „Ich schäme mich, wenn

ich nur daran denke, wie ich mich vergangene
Nacht benommen habe. Aber wahrscheinlich war
ich nach der ausgestandenen Angst nicht ganz bei
Verstand und habe mich deshalb so unnormal
verhalten.”

„Glaubst du wirklich, was du da sagst?” fragte

er scharf.

„Ich bin nicht so sinnlich wie Lucy”, erwiderte

Marcia verzweifelt.

Behutsam tastete sich Quentin sozusagen an den

Kernpunkt heran. „Natürlich bist du das nicht. Du
bist so sinnlich wie Marcia.”

„Aber du hättest doch sicher lieber, ich wäre wie

Lucy.” Quentin zögerte kurz. Er erinnerte sich,
wie Marcia in der Galerie ausgesehen hatte: mit
dem

strenggeschnittenen

Kostüm,

perfekt

geschminkt und frisiert, und mit der Brille, hinter
der sie sich vor der Welt versteckte. So wie jetzt
auch wieder. Da war er enttäuscht gewesen, auch
daran erinnerte er sich genau.

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Plötzlich wurde Marcia blass. „Du bist in Lucy

verliebt”, warf sie ihm unvermittelt vor.”

„Um Himmels willen, Marcia, ich …”
„Das musst du sein. Du warst viel mit ihr

zusammen, als sie von Troy getrennt lebte. Sie ist
so schön und liebevoll und zeigt ihre Gefühle im-
mer ganz offen. Nur ein Holzklotz würde sich
nicht in sie verlieben.”

„Marcia”, unterbrach er sie streng, „ich war

noch nie in Lucy verliebt.”

„Sie hat eine tolle Figur”, meinte Marcia kla-

gend. „Ich kann mir gut vorstellen, wie du …
Was hast du gerade gesagt?”

„Dass ich nie auch nur eine Sekunde lang in

Lucy verliebt war”, erklärte Quentin.

„Als sie damals auf Shag Island auftauchte, so

einsam und verloren wie eine ausgesetztes
Kätzchen, da war sie für mich wie die Schwester,
die ich nie gehabt habe.

Und ich war überglücklich, als sie sich mit Troy

versöhnte. Seitdem sind die beiden meine besten
Freunde.”

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„Oh”, sagte Marcia nur.
„Lucy ist tatsächlich schön”, fügte Quentin hin-

zu und fragte sich, ob er sich damit alles verdarb.
„Aber ich empfinde nur freundschaftliche Ge-
fühle für sie. Ich wollte nie mit ihr schlafen. Mit
dir allerdings schon.”

„Aber…”
Er setzte sich auf eine Sessellehne und lächelte

Marcia an. „Du ziehst dich so züchtig an wie eine
Klosterschülerin, und trotzdem bin ich vor Ver-
langen nach dir fast verrückt. Ich wage nicht
daran zu denken, was passiert, wenn ich dich in
Shorts sehe.”

Leise sagte Marcia: „Ich habe Lucy seit Jahren

beneidet, wie mir allmählich klar wird. Sie war
immer in jemand verliebt, sie tat, was sie wollte,
selbst wenn wir anderen nicht damit einver-
standen waren. Außerdem ist sie die einzige von
uns drei Töchtern, die nicht Medizin studiert hat,
wie es die Familientradition vorschreibt. Sie ist
mir immer so frei vorgekommen.”

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„Lucy ist einer der glücklichen Menschen, die

schon früh wissen, was sie wollen und genug
Selbstvertrauen haben, ihr Ziel anzustreben. Bei
dir hat das nur etwas länger gedauert”, erklärte
Quentin eindringlich. „Du hast in der vergangen-
en Nacht nichts getan, wofür du dich schämen
müsstest, Marcia. Du hast nur bisher dein wahres,
leidenschaftliches Ich verdrängt, und jetzt hat es
sich sozusagen Bahn gebrochen.”

„Ich bin aber nicht in dich verliebt”, rief Marcia

heftig.

Das hörte er nicht gern. „Es ist zu früh, um über

Liebe zu reden”, erwiderte er schroff.

„Aber du wolltest doch mit mir schlafen. Das

hast du jedenfalls behauptet.” Sie umklammerte
die Sofalehne so fest, dass ihre Knöchel weiß
wurden.

Marcia erinnerte Quentin an ein in die Enge

getriebenes Tier, das jeden angriff, der sich ihm
näherte. „Wenn du einige Tage hierbleibst,
schwöre ich, dich nicht anzurühren”, versicherte
er ihr.

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Nun entspannte Marcia sich sichtlich. „Nicht

mal, wenn ich Shorts trage?” fragte sie und
lächelte.

„Nicht mal dann”, bekräftigte er. „Also, bleibst

du hier?”

„Ja …. ich glaube schon”, sagte Marcia.
Plötzlich fühlte sich Quentin so erschöpft, als

wäre er quer über den ganzen See geschwommen
und wieder zurück. „Na schön. Pack du wieder
aus, während ich Frühstück mache, okay?”

„Wir sollten aber die Zimmer tauschen,

Quentin.”

Er zog die Brauen hoch. „Lieber nicht. Dann

kannst du notfalls immer noch vor mir über das
Dach flüchten. Ich gehe jetzt rauf und ziehe mich
an. Es dauert nicht lange.”

Marcia stellte die Vorräte in den Kühlschrank

und in die Regale zurück und fragte sich, ob sie
völlig verrückt geworden war, weil sie zugestim-
mt hatte, bei Quentin zu bleiben.

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5. KAPITEL

Zwei Tage später überlegte Marcia noch immer,

ob ihr Entschluss richtig gewesen sei. Quentin
hielt sich an sein Versprechen, sie nicht an-
zurühren, Hatte sie nur geträumt, er hätte gesagt,
dass er sie begehre? Am Vortag hatte sie Shorts
getragen, und er hatte ihren Beinen, die sie für
ziemlich wohlgeformt hielt, nicht mal einen
flüchtigen Blick gegönnt.

Quentin ließ ihr viel Freiraum. Zweimal pro Tag

schwamm er im See, dessen Wasser so kalt war,
dass Marcia allein beim Gedanken daran fröstelte.
Außerdem ging Quentin oft im Wald spazieren.
Das Malen schien er fürs erste aufgegeben zu
haben, aber er zeichnete viel.

Sie unterhielten sich so höflich wie flüchtige

Bekannte, was Marcia unerklärlich frustrierte.
Dass er eine Allergie gegen Krabben hatte, war
das Wichtigste, das sie über ihn erfuhr.

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Es war fast, als wäre der richtige Quentin ver-

schwunden und an seine Stelle ein freundlicher,
rücksichtsvoller und zurückhaltender Fremder
getreten.

Marcia lag viel in der Hängematte auf der Ter-

rasse und las, fragte, sich allerdings häufig dabei,
was Quentin wohl gerade unternahm. Wenn er
sich im Haus aufhielt, schlenderte sie meist ziel-
los am See entlang und fühlte sich beklagenswert
gereizt, wogegen sie allerdings nichts tun konnte.
Sie versuchte, sich mit Hausarbeiten abzulenken,
ging früh ins Bett und stand morgens spät auf.

Nichts half. Jeden Moment des Tages war Mar-

cia sich Quentins schmerzlich bewusst. Und das
machte sie wütend.

Donnerstag nachmittag saß Quentin am Tisch

über einige Zeichnungen gebeugt.

Um ihn nicht zu stören, ging sie an den See. In

einer kleinen Bucht setzte Marcia sich, auf einen
Felsen und blickte mürrisch aufs Wasser. Schon
vier freie Tage lagen hinter ihr, und bisher hatte
sie nur geschafft, das Institut nicht zu vermissen.

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Denn sie war damit beschäftigt, gewesen Quentin
zu vermissen.

Aber wie konnte man jemand vermissen, der im

selben Haus lebte?

Plötzlich sah sie eine Bisamratte, die zwischen

den Felsen hindurch zum schilfbestandenen Ufer
schwamm. Marcia saß ganz still da und
beobachtete

fasziniert, wie das Tier an frischen Schösslingen

zu nagen begann. Da erschien eine zweite Bisam-
ratte und näherte sich demselben Schilfbüschel.
Das erste Tier stürzte sich wütend auf den Ri-
valen, dann verschwanden beide Tiere aus ihrem
Blickfeld.

Lächelnd stand Marcia auf und eilte zum Haus

zurück. Quentin saß noch immer am Tisch.

„Rate mal, was ich gesehen habe. Zwei

Bisamratten.”

„Ach

ja?”

erwiderte

Quentin,

ohne

aufzublicken.

Sie blieb vor ihm stehen. „Quentin, ich rede mit

dir.”

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„Einen Moment, bitte.”
Plötzlich verlor sie die Geduld. Und die Be-

herrschung. „Ich weiß gar nicht, warum du so
sehr darauf bestanden hast, dass ich hierbleibe”,
brauste Marcia auf. „Du schenkst mir weniger
Aufmerksamkeit als den Steaks, die du grillst.
Und das, obwohl ich dir angeblich viel bedeute.
Wie würdest du dich eigentlich verhalten, wenn
ich dir gleichgültig wäre?”

Er schob den Stuhl zurück. „Was, zum

Kuckuck, ist denn plötzlich in dich gefahren?”

„Ich hasse es, wie ein Möbelstück behandelt zu

werden.”

„Das war so abgemacht”, erwiderte Quentin

wütend. „Ich sollte dich nicht berühren.”

„Aber wir haben nicht ausgemacht, dass du

mich völlig ignorierst”, hielt Marcia ihm vor.

„Immer, wenn ich dich sehe, räumst du gerade

auf.”

„Wenn du nicht so schlampig wärst, müsste ich

das nicht.”

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„Weißt du, was dein Problem ist, Marcia? Du

weißt nicht, was das Wort Ferien bedeutet.”

Damit traf er genau ihren wunden Punkt. „Ich

wünschte, du wärst nicht von New York zurück-
gekommen”, sagte sie bissig.

„Das wünsche ich mir auch.”
Ihre Wut verflog genauso schnell, wie sie aufge-

flammt war. „Ist das wahr?” fragte Marcia
beklommen.

Quentin schob die Hände in die Hosentaschen.

„Nein.”

Sie versuchte, sich ihre Erleichterung nicht an-

merken zu lassen. Schmollend meinte sie:
„Ausgerechnet du musst mir etwas über Ferien
sagen. Ständig zeichnest du.” Stirnrunzelnd be-
trachtete sie die Blätter auf dem Tisch genauer.
„Das sieht ja wie der Bauplan für das Haus hier
aus.”

„Genau das ist es auch”, erwiderte er

ungeduldig.

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„Wenn du so ein Haus möchtest, warum bittest

du den Baumeister nicht einfach um eine Kopie
des Plans?”

„Ich war der Baumeister.”
Marcia blickte ihn überrascht an. „Du hast

dieses Haus hier gebaut?”

„Hat Lucy dir das nicht erzählt?”
„Nein.” Sie schaute sich um und betrachtete die

Umgebung mit ganz anderen Augen. „Hast du es
auch entworfen?” Als er nickte, fügte sie ehrlich
hinzu: „Es ist ein wunderschönes Haus. Wo hast
du gelernt, Häuser zu entwerfen und zu bauen?”

Marcia sah wirklich interessiert aus. Quentin

schob die Hände tiefer in die Taschen und
erklärte: „Von meinem Vater. Ich habe zu malen
angefangen, sobald ich alt genug war, einen Stift
festzuhalten. Es war Dad klar, dass ich einmal
Künstler werden würde T vor allem, nachdem ich
Porträts unserer sieben Hühner auf die Küchen-
wand gemalt hatte, als ich fünf Jahre alt war.”
Quentin lachte. „Dad hat mich nie entmutigt, aber
er glaubte, nicht, dass ich mir mit Malerei meinen

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Lebensunterhalt verdienen könnte, Deshalb best-
and er darauf, dass ich von ihm alles über die
Zimmermannsarbeit lernte, was er selbst wusste.
Damit ich etwas Solides hatte.”

Quentin lächelte versonnen. Dass er seinen

Vater geliebt hatte, sah man ihm an.

Marcias Vater war gestorben/als sie erst fünf

Jahre alt gewesen war, und sie hatte lange geb-
raucht, um den Verlust zu überwinden. „Hat dein
Vater auch Häuser gebaut?” erkundigte sie sich.

„Nein, nur Schuppen und Baracken im

Holzfällerlager. Aber als sich eine Familie im
Dorf ein Holzhaus bauen ließ, verliebte ich mich
förmlich in diese Bauweise. Die freiliegenden
Balken und Streben und diese offenen, großzü-
gigen Räume faszinieren mich.”

„Quentin, das ist das erste richtige Gespräch in

drei Tagen”, bemerkte Marcia, Er lächelte. „Ja.
Ich musste mich von dir fernhalten, weil ich sonst
mein Versprechen gebrochen hätte.”

„Ich dachte schon, du begehrst mich nicht

mehr.”

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Freudlos lachte er. „O doch, das tue ich.”
Bevor sie der Mut verließ, sagte sie rasch: „Der

Grund, warum ich nicht viel von Männern halte,
liegt darin, dass die beiden Männer, mit denen ich
eine Beziehung hatte, mich belogen haben. In
wichtigen Dingen. Und dann sagtest du mir,
wieviel ich dir bedeute, und wie sexy und
begehrenswert ich sei. Sicher, wir machten aus,
dass du mich in Ruhe läßt, aber ich dachte, das
Ganze sei nur Süßholzraspelei gewesen, um mich
ins Bett zu bekommen.” Sie atmete tief durch.
„Anders ausgedrückt: ich glaubte, auch du hättest
mich belogen.”

Quentin kniff die Augen zusammen. „Meinst du

das ernst?”

„Natürlich. Da ich nicht gern über mich rede,

würde ich dir nicht zum Spaß etwas über mich
und meine Gefühle erzählen.”

Es gab nur eine Methode, um Marcia zu

überzeugen, wie ehrlich er es mit ihr meinte.
Rasch ging er zu ihr und umarmte sie. Er küsste
sie zärtlich und verlangend.

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Einige Augenblicke später ließen sie sich los

und blickten einander so erstaunt an, als würden
sie sich zum erstenmal sehen. Quentin atmete
schwer, und Marcia fühlte sich schwach.

„Lass uns ins Dorf fahren und Eis essen”, schlug

er rau vor. „Wenn wir hierbleiben, werfe ich dich
nämlich über meine Schulter und schleppe dich
ins Bett.”

„Ich mag aber nur Vanilleeis”, flüsterte Marcia.
„Du bist wählerisch, stimmte?”
„Sehr wählerisch”, bestätigte sie und lächelte

ihn an.

Sein Herz schien einen Schlag lang auszusetzen,

denn ihr Lächeln verriet ihre wahren Gefühle.
„Marcia”, begann Quentin. „Ich … verdammt, ich
weiß nicht, wie ich es sagen soll. Ich verspreche
dir, dass ich dich niemals anlügen werde.”

Sie schluckte mühsam, denn ihr war klar, dass

sie einen entscheidenden Schritt wagte. „Ich
glaube dir”, erwiderte sie ernst.

„Du schenkst mir dein Vertrauen? Das ist ein

wunderbares

Geschenk.”

Quentin

lächelte

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strahlend und fügte hinzu: „Wenn es im Dor-
fladen kein Vanilleeis gibt, fahren wir so lange
herum, bis wir welches auftreiben. Also, auf ge-
ht’s.”

Hand in Hand gingen sie nach draußen.
„Wir können meinen Wagen nehmen”, meinte

Marcia.

Quentin warf ihrem verbeulten grauen Auto

«einen schrägen Blick zu. „Ich dachte immer,
Mediziner verdienen viel Geld.”

„Autos sind mir nicht wichtig”, erklärte Marcia.

. „Und wofür gibst du dein Geld aus?” erkundigte
sich Quentin beiläufig und stieg in seinen gelben
Sportwagen.

Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und bewun-

derte die vielen Anzeigen auf dem Armaturenbrett
und die Lederpolster. „Ach, für das Übliche.“, an-
twortete Marcia ausweichend. „Essen, Kleider,
die Hypothek für die Eigentumswohnung. Warum
willst du das wissen?”

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„Geld bedeutet in unserer Gesellschaft viel, de-

shalb interessiert es mich, wofür Leute es
ausgeben.”

Sie suchte in ihrer Handtasche nach der Sonnen-

brille. „Vor fünf Jahren reiste ich nach Indien”,
erzählte Marcia leise. „Seitdem unterstütze ich ein
Krankenhaus nahe Delhi.”

Quentin umfasste den Schalthebel fester. „Und

seit ich vor vier Jahren in Peru war, unterstütze
ich ein Waisenhaus dort. Je besser ich dich
kennenlerne, desto mehr fällt mir auf, dass du der
Welt nur eine glatte, undurchdringliche Fassade
präsentierst und in Wirklichkeit ganz anders bist.
Erzähl mir mehr von dem Krankenhaus.”

Zögernd beschrieb Marcia die Augenklinik und

die Abteilung medizinischer Vorbeugung, die ihre
beiden Lieblingsprojekte waren.

Nachdem sie fertig war, meinte Quentin sach-

lich: „Du bist ein guter Mensch,

Marcia.”
Das machte sie verlegen. „Du doch auch”, er-

widerte sie.

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„Dann können wir ja einen Ramsey-Barnes-Fan-

Club gründen.” Quentin lächelte sie an und star-
tete den Wagen. „Und nun zu etwas ganz ander-
em: Erzähl mir von den beiden Männern, die du
vorhin erwähnt hast.”

„Muss ich wirklich?” Sie verzog das Gesicht.
„Ja. Lass dir ruhig Zeit. Ich möchte alle scheuß-

lichen Einzelheiten wissen. Fang mit dem ersten
an. Name, Alter und Beruf?”

„Dafür bekomme ich aber eine doppelte Portion

Eis”, sagte Marcia schalkhaft.

„Okay, ich fange ja schon an. Paul Epson. Med-

izinstudent im dritten Jahr.

Einundzwanzig. Ich war damals achtzehn und

zum erstenmal von zu Hause fort. Wir verliebten
uns, und ein halbes Jahr lang glaubte ich, dass der
Himmel voller Geigen hinge, wie es so schön
heißt.”

Sie seufzte. „Dann hatte Paul nicht mehr so viel

Zeit für mich, aber das machte mir zuerst nichts
aus. Immerhin stand er vor seiner Abschlussprü-
fung und hatte viel Stress. Die Seifenblase platzte

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allerdings, als ich Paul mit einer anderen Frau
sah, mit der er eindeutig ein intimes Verhältnis
hatte. Er hatte sich in die andere Frau verliebt
- und er hatte versäumt, mir das zu sagen.”

Quentin stieß einen groben Fluch aus. „So ein

Mistkerl”, fügte er gemäßigter hinzu.

„Schuft,

Schurke,

Feigling,

Soll

ich

weitermachen?”

Marcia lächelte erfreut. „Nein danke. Ich war

wie am Boden zerstört. Die Prüfungen absolvierte
ich wie in Trance, danach bekam ich Grippe, die
ich einfach nicht loswurde. Es war schrecklich”

„Was sagten denn deine Mutter und Lucy

dazu?”

„Sie wussten es nicht. Mora hätte nicht gutge-

heißen, dass ich mit Paul schlief, und Lucy war zu
sehr mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt.”
Marcia räusperte sich.

„Die Erfahrung mit Paul hatte mich fürs erste

entmutigt. Außerdem war ich entschlossen, einen
guten Abschluss zu machen und mich zu

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spezialisieren, deshalb war ich schließlich schon
fünfundzwanzig, als ich den nächsten traf.”

„Fast schon eine alte Frau”, spöttelte Quentin

liebevoll.

„Er hieß Lester, war einunddreißig Jahre alt und

Nierenspezialist. Er lebte in Toronto und sah gut
aus, war aber zurückhaltend, beinahe schüchtern.
Wir mochten uns, und wenn ich nach Toronto
kam, trafen wir uns. Schließlich erzählte Lester
mir, er sei verheiratet, könne sich aber nicht
scheiden lassen, da seine Frau geisteskrank sei
und in einem Sanatorium lebe. Ich bewunderte
Lester, weil er zu ihr hielt. Einige Wochen später
wurden wir ein Liebespaar.”

Marcia schwieg kurz, ehe sie heftig hinzufügte:

„Das passte mir, Quentin. Eine diskrete Affäre
ohne Verpflichtungen. Ich ging so in meiner
Arbeit auf, dass ich ohnehin keine tiefe Bez-
iehung wollte, die mich abgelenkt hätte. So ging
es vier Jahre lang. Dann fuhr ich überraschend zu
einer medizinischen Tagung, an der Lester auch
teilnahm. Und weißt du was? Er war dort mit

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seiner Frau, die nicht verrückter ist als ich.
Allerdings ist sie sehr reich, deshalb wollte er sich
nicht scheiden lassen.”

Quentin verdammte auch Lester.
Marcia zog die Nase kraus. „Danke für dein

Mitgefühl. Aber eigentlich geschah es mir recht.
Lester war verheiratet, und ich hätte mich mit ihm
nicht einlassen sollen.

Nur fragte ich mich, wie er mich solange hatte

hinters Licht führen können.” Sie seufzte. „Ich
kam zu dem Schluss, dass ich vielleicht eine gute
Wissenschaftlerin sei, aber bei Männern nicht das
richtige Gespür hatte.”

Nun verstand Quentin, warum Marcia ihn zun-

ächst auf Abstand gehalten hatte.

„Beide Beziehungen sind dir sehr nahegegan-

gen?” fragte er mitfühlend.

„Ja. Ich vertraue nicht leicht jemand, aber wenn,

dann bedingungslos.”

„Wie kann ich dich überzeugen, dass ich anders

als Paul und Lester bin?” meinte Quentin zögernd
und bremste. „Dort ist der Laden. Vielleicht

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verhilft mir ja ein Schokoladeneis zu klarerem
Denken. Moment mal, was ist denn da los?”

Eine junge Frau kniete an der Treppe zum

Geschäft neben einem kleinen Jungen, der vor
Schmerzen schrie. Kaum hatte Quentin den Wa-
gen angehalten, sprang Marcia heraus und eilte zu
dem Kleinen.

„Ich bin Ärztin”, sagte sie und kniete sich eben-

falls hin. „Was ist denn passiert?”

„Er ist die Treppe runtergefallen”, antwortete

die Mutter verzweifelt.

Marcia lächelte den Jungen beruhigend an und

tastete behutsam den Knöchel ab.

„Er hat ihn sich verstaucht, so wie es sich an-

fühlt.” Sie blickte sich um. „Quentin, könntest du
im Laden um einen Eisbeutel bitten? Schon gut,
Kleiner, eine kalte Kompresse lindert die Sch-
merzen ein bisschen. Wie heißt du?”

„Jason”, antwortete die Mutter an seiner Stelle.

„Er ist vor mir aus dem Geschäft gelaufen, und
bevor ich ihn festhalten konnte, ist er schon
gestürzt.”

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Quentin kam zurück und reichte Marcia ein

Plastiksäckchen mit Eiswürfeln. Sie legte es um
den geschwollenen Knöchel des Jungen. „So,
Jason, das hilft. Du musst nur ein bisschen
Geduld haben, bevor es wirkt. Bleib die nächsten
Tage ganz still liegen.”

Beruhigend lächelte sie seine Mutter an. „Ich

glaube wirklich nicht, dass er sich etwas
gebrochen hat. Sind Sie mit dem Auto hier?”

,;Ja, es steht gleich da drüben.”
„Ich trage den Kleinen”, bot Quentin an.
Jason, der ungefähr vier Jahre alt war, hatte zu

weinen aufgehört. „Mein Lolli ist ganz dreckig”,
klagte er. Sein Eislutscher lag auf dem Boden.

„Ich hole dir einen anderen, während mein Fre-

und Quentin dich zum Auto trägt”, sagte Marcia.

Sie sah, wie Quentin den Kleinen sanft auf die

Arme nahm, und wandte sich um.

Worum ich Lucy ganz besonders beneide, ist

das Baby, wurde es Marcia plötzlich klar.

Kein Wunder, dass sie ihrer Schwester aus-

gewichen war. Die unangenehme Wahrheit

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bestand darin, dass sie, Marcia, sich seit Jahren
vorgemacht hatte, keine Kinder zu wollen.

Ob Quentin Kinder wollte?
Sie eilte in das Geschäft und ging zur Gefrier-

truhe. Du bist ein bisschen voreilig, Marcia,
tadelte sie sich. Noch versetzte sie der Gedanke,
mit Quentin zu schlafen, in Angst und Schrecken,
und trotzdem dachte sie schon an Kinder?

Als sie wieder nach draußen kam, saß Jason auf

der Rückbank im Auto. Der Junge nahm den Eis-
lutscher mit einem schwachen Lächeln an, und
seine Mutter bedankte sich überschwänglich bei
Marcia. Diese winkte ihnen nach, als sie
abfuhren.

„Du kannst gut mit Kindern umgehen”, meinte

Quentin nachdenklich.

„Jetzt haben wir uns wirklich unser Eis verdient,

Quentin”

„Ich hätte gern welche. Irgendwann. Und du?”

Er betrachtete sie und fügte hinzu:

„Du siehst bezaubernd aus, wenn du rot wirst.

Und wenn dir ausnahmsweise die Worte fehlen.”

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„Ein Wunder, dass dich keine deiner bisherigen

Freundinnen erwürgt hat”, erwiderte Marcia
schnippisch.

„Es gab gar nicht so viele. Mit fünfundzwanzig

habe ich geheiratet, und zwei Jahre später war ich
schon wieder von Helen geschieden. Sie brannte
mit einem Bankdirektor durch, der doppelt so alt
war wie sie und dreimal soviel verdiente wie ich.
Mit einem Künstler zu leben sei nur in der Vor-
stellung romantisch, erklärte sie mir.”

Dass sie auf eine Frau eifersüchtig war, die sie

nicht einmal kannte, fand Marcia lächerlich. „Sie
hat dich verletzt”, stellte sie fest.

„Wir

haben

uns

gegenseitig

verletzt”,

verbesserte er sie. „Ich hätte auf meine innere
Stimme hören sollen. Die sagte mir, schon
während ich mit Helen nach der Trauung durch
die Kirche ging, dass ich die falsche Frau geheir-
atet hätte. Weil ich zu ungeduldig war, auf die
Richtige zu warten.” Er fuhr sich durchs Haar.
„So, jetzt besorgen wir uns das Eis.”

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Eigentlich hatte Quentin noch mehr sagen

wollen, dessen war sich Marcia sicher.

Sie ging voraus in das Geschäft, in dem es von

Dosensuppen angefangen bis zu Gartengeräten
alles zu kaufen gab. Vor der Tiefkühltruhe blieb
sie stehen. Quentin folgte Marcia und legte ihr
von hinten die Arme um die Taille.

„Wir haben Glück”, stellte er fest. „Es gibt

tatsächlich Vanille-und Schokoladeneis.”

Marcia lehnte sieh an ihn und genoss das Ge-

fühl, seinen warmen festen Körper zu spüren.
Quentin schmiegte die Wange an ihr Haar. „Habe
ich dir heute schon gesagt, dass du eine wun-
derbare Frau bist?”

„In diesem Moment bin ich eine absolut glück-

liche Frau”, gestand Marcia ihm ehrlich.

Er umfasste sie fester. „Du bist atemberaubend.”

Sanft küsste er sie auf den Nacken. Der Duft ihrer
zarten Haut berauschte Quentin förmlich. „Am
liebsten würde ich dich gleich hier auf der
Tiefkühltruhe lieben.”

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„Ja, das spüre ich ganz deutlich”, erwiderte

Marcia aufreizend und sah sich rasch um, ob je-
mand sie beobachtete. Da das nicht der Fall war,
bewegte sie verführerisch die Hüften.

„Hör auf”, bat Quentin rau.
„Du hast damit angefangen”, erklärte sie.
„Am besten kaufen wir eine Vierliterpackung

Eiscreme, um uns abzukühlen”, meinte er und
ließ Marcia los.

Sie wandte sich zu ihm um, und ihre Augen

strahlten. „Ich mag dich so viel lieber, als wenn
du schweigsam und undurchschaubar bist.”

„Und woran, glaubst du, hat das gelegen? Und

meinst du etwa, ich wäre zum Vergnügen so oft
im eiskalten See geschwommen?” fragte er, und
sie wurde wieder rot.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?” fragte der

Ladenbesitzer.

„Zwei Tüten Eis, einmal Vanille, einmal

Schokolade, jeweils zwei Kugeln bitte”, sagte
Marcia rasch.

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Quentin bezahlte, danach gingen sie hinaus ans

Flussufer und setzten sich auf eine Bank. Noch
nie hat mir ein Eis so gut geschmeckt, dachte
Marcia, wie bezaubert von dem frischen Grün der
Erlenblätter und der Spiegelung des blauen Him-
mels im Wasser zwischen den moosigen Felsen.
Alles wirkte wie neu erschaffen. Ob Quentin die
Welt immer so sah? Und könnte sie die Welt öfter
so sehen, wenn sie sich nur die Zeit dafür nahm?

Nachdem sie das Eis gegessen hatten, ging

Quentin noch einmal ins Geschäft und kam mit
einer riesigen Wassermelone zurück. „Ich liebe
Melonen”, erklärte er. „Wir könnten einen
Wettbewerb veranstalten, wer die Kerne am wei-
testen spuckt.”

„Und was ist der Gewinn?”
„Der Verlierer muss tun, was der Gewinner

sagt.”

„Ich will aber auf keinen Fall im See

schwimmen.”

Er wischte Marcia einen Klecks Eiscreme von

den Lippen. „Daran hatte ich auch gar nicht

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gedacht”, sagte Quentin bedeutungsvoll. Daraufh-
in beugte er sich vor und küsste sie auf den Mund.

Marcias Herz schlug schneller. „Der Wettbew-

erb könnte gefährlich enden”, meinte sie zaghaft.
„Für den Gewinner und den Verlierer.”

„Lass uns nach Hause fahren”, bat Quentin

unvermittelt.

Nach Hause. Diese beiden einfachen Worte gin-

gen ihr plötzlich zu Herzen. „Wo bist du eigent-
lich zu Hause, Quentin?” fragte sie. „Lebst du
noch immer in New Brunswick?”

Zu Hause ist da, wo du bist, dachte er. „Nein,

seit Jahren habe ich kein richtiges Zuhause mehr”,
erwiderte er. „Ich bin durch die ganze Welt gere-
ist - Asien, Afrika, Südamerika. Fast jeden Som-
mer fahre ich nach Shag Island und miete mir dort
eine Blockhütte. Allmählich überlege ich, ob ich
mir nicht selbst ein Haus bauen soll.

Irgendwo an der Westküste.”
Und ich lebe in Ottawa, mehr als dreitausend

Kilometer von der Westküste entfernt, dachte

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Marcia traurig. Höflich erwiderte sie: „Das wird
sicher herrlich für dich. Gehen wir?”

Zehn Minuten später schloss sie die Eingangstür

auf und ging ins Haus. „Was du tust, ist so greif-
bar, Quentin”, bemerkte Marcia unwillkürlich.
„Du kannst deine Werke immer wieder berühren
und betrachten, sogar darin leben. Ich hingegen
sitze vor Computern und Messgeräten. Außerdem
verfasse ich Abhandlungen, die nur von anderen
Immunologen gelesen werden. Natürlich weiß
ich, dass die Ergebnisse meiner Forschungen ir-
gendwann Menschen helfen. Aber es ist alles so
indirekt.” Sie seufzte; „Warum sage ich das ei-
gentlich? Ich liebe meine Arbeit. Sie ist alles, was
meinem Leben …”

Marcia verstummte, als in der Küche das Tele-

fon klingelte. Überrascht zog Quentin die Brauen
hoch und ging hin. „Hallo … ach, Lucy, wie ge-
ht’s? … Nein, ich bin früher als geplant aus New
York zurückgekommen … Ja, sie ist noch hier.
Willst du sie sprechen?” Er hielt Marcia den
Hörer hin.

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Nun weiß Lucy, dass ich mit Quentin seit Tagen

hier zusammen bin, dachte Marcia. Das behagte
ihr gar nicht. „Hallo, Lucy”, sagte Marcia kühl.

„Ich möchte dich nicht lange aufhalten, sondern

wollte mich nur vergewissern, ‘ob du dort
draußen allein okay bist. Dass Quentin schon
zurück ist, habe ich nicht geahnt. Finde ich aber
toll. Er ist ein ganz besonderer Mann, stimmt’s?”

„Nein, hier hat es überhaupt nicht geregnet”, er-

widerte Marcia betont. „Wie, ist das Wetter in der
Stadt?”

„Schon gut, ich verstehe”, meinte Lucy schmol-

lend. „Übrigens, Catherine hat mich uni die Tele-
fonhummer des Landhauses gebeten. Wahr-
scheinlich ruft sie dich demnächst auch an. Wann
kömmst du denn nach Ottawa zurück?”

„Das weiß ich nicht.”
„Bleib ruhig noch übers Wochenende. Troy und

ich können am Samstag auch allein ins Kino ge-
hen. Freut mich, dass du eine schöne Zeit ver-
lebst, Marcia. Bis bald.”

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Marcia legte den Hörer auf. Wenn es nach ihrer

Schwester ginge, würden sie,

Marcia, und Quentin in Windeseile heiraten.

Während sie noch nachdenklich dastand, klingelte
das Telefon schon wieder. .Mit einem seltsam un-
behaglichen Gefühl hob Marcia ab. „Hallo?”

„Hier Catherine. Ich brauche Hilfe. Lucy sagte

mir, dass du die ganze Woche frei hast. Könntest
du herkommen und an meiner Stelle bis Sonntag
auf Lydias Hunde aufpassen?”

Catherine verschwendete selten Zeit auf nichtige

Höflichkeiten und bat fast nie um einen Gefallen.

„Was ist denn los?” Marcia versuchte, Zeit zu

gewinnen.

„Ich habe ein Flugticket nach New York plus

drei Theaterkarten und einen Hotelaufenthalt ges-
chenkt bekommen. Ich kann aber nur fahren,
wenn jemand auf die Hunde aufpasst.”

„Wann müsste ich denn kommen?” erkundigte

Marcia sich.

„Heute abend.”

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Also müsste sie sofort abfahren. Und Quentin

zurücklassen. Das wäre ohnehin das vernünftig-
ste. Von Minute zu Minute verstrickte sich Mar-
cia tiefer in ihre Gefühle, und eine Atempause
würde ihr nicht schaden. „Okay”, sagte Marcia.
„Ich springe gern für dich ein.”

„Du bist ein Schatz”, bedankte Catherine sich

herzlich. „Mom hat meinen Zweitschlüssel. Du
kannst ihn bei ihr abholen. Ich lasse dir Notizen
da, was du mit den Hunden zu tun hast. Der große
heißt Tansy. Sie ist absolut hirnlos - wahrschein-
lich völlig überzüchtet. Aber Artie ist wirklich
klug. Danke, Marcia. Ich bin am Sonntag unge-
fähr um vier Uhr nachmittags wieder in Ottawa.”

„Viel Vergnügen”, wünschte Marcia ihrer Sch-

wester, aber die hatte schon aufgelegt.

Langsam hängte auch Marcia den Hörer ein.
„Was ist denn los?” fragte Quentin misstrauisch.
„Catherine hat mich gebeten, bis Sonntag bei ihr

zu wohnen und auf die Hunde einer Freundin
aufzupassen. Ich muss sofort weg.”

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Quentin hatte sich schon etwas Ähnliches

gedacht. Er unterdrückte seinen Zorn und sagte:
„Dafür kann man doch Leute engagieren.”

„Aber nicht so kurzfristig. Außerdem bittet

Catherine mich fast nie um einen Gefallen.”

„Ich will nicht, dass du wegfährst.”
„Ich halte es für eine gute Idee, abzureisen”,

meinte Marcia sächlich. „Wir brauchen beide
Zeit, um unsere Gefühle zu …”

„Sprich für dich selbst”, unterbrach Quentin sie.
„Okay. Ich möchte eine Zeitlang allein sein. Ich

fühle mich von dir überrumpelt. Zu vieles ist zu
schnell passiert. Ich muss in Ruhe darüber
nachdenken.”

„Du hast dein ganzes Leben lang gedacht, statt

zu fühlen, Marcia. Das letzte, was du jetzt
brauchst, ist Nachdenken.”

„Mach mir keine Vorschriften”, erwiderte sie

aufgebracht.

Sie sah aus, als würde sie ihm am liebsten das

Telefon an den Kopf werfen.

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Quentin

schluckte

mühsam

und

sagte

beschwichtigend: „Ich weiß, ich fange es falsch
an. Können wir noch mal von vorn beginnen?
Darf ich dich begleiten? Und dir mit den Hunden
helfen?”

„Nein danke”, antwortete Marcia. „Ich will

wirklich eine Weile allein sein.”

„Das klingt ganz nach der alten Marcia. Nicht

nach der wirklichen.”

„Hör auf, mich ständig wie ein Psychiater zu

analysieren.”

Quentin achtete nicht darauf. „Du läufst nicht

nur vor mir, sondern auch vor dir selbst und dein-
en Gefühlen davon.”

„Wir sind völlig gegensätzlich”, erwiderte Mar-

cia heftig. „Ich bin ordentlich, du bist schlampig.
Ich bin Wissenschaftlerin, du bist ein Künstler.
Ich komme aus der Stadt, du stammst vom Land.
Ich mag Pasta, du hast lieber Steak. Verstehst du
denn

nicht,

Quentin?

Wir

sind

zu

unterschiedlich.”

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„Ach ja? Wie wäre es mit dieser Aufzählung:

Du unterstützt finanziell ein Krankenhaus in Indi-
en, ich unterstütze ein Waisenhaus in Peru. Ich
liebe meine Arbeit, du liebst deine. Ich möchte
mit dir schlafen, und du möchtest mit mir sch-
lafen. Wir sind gar nicht so unterschiedlich. Nicht
in den Bereichen, auf die es wirklich ankommt.”

„Ich möchte ja gar nicht wegfahren …”
„Du lässt dich nicht gern anlügen”, unterbrach

er sie. „Also lüg jetzt nicht mich an.”

Er weiß doch auf alles eine Antwort, dachte

Marcia wütend und sagte: „Sobald

ich meine Sachen gepackt habe, fahre ich nach

Ottawa. Schade, dass wir soviel streiten.”

„Wundert dich das? Du lebst sonst allein, ich

auch. Wir treffen gewöhnlich unsere Entscheidun-
gen, ohne andere zu berücksichtigen. Das ist einer
der Gründe, warum wir soviel streiten -und noch
etwas, was wir gemeinsam haben”, erwiderte
Quentin und lächelte triumphierend.

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„Und ein weiterer Grund, warum wir uns nicht

mehr sehen sollten”, fügte Marcia unüberlegt hin-
zu und erschrak.

„Glaub bloß nicht, dass du mich so einfach los

wirst wie mein Bild im Schlafzimmer, das du ver-
steckt hast. Ich kämpfe nämlich nicht nur für
mein Glück, sondern auch für deins.”

„Niemand hat dich darum gebeten, Quentin.”
„Allmählich verspüre ich Mitgefühl für Paul

und Lester”, erwiderte Quentin schroff. „Die
beiden hatten es sicher nicht leicht mit dir. Mach
doch, was du willst, Marcia. Ich gehe jetzt jeden-
falls Holz hacken.”

Wenigstens bin ich zu wütend, um zu weinen,

dachte Marcia. Sie eilte nach oben und packte in
Rekordzeit ihren Koffer. Anschließend nahm sie
das Bild aus dem Versteck, hängte es auf und
streckte ihm die Zunge heraus - eine kindische
Geste, die ihr viel Befriedigung verschaffte.

Dann trug Marcia das Gepäck nach draußen und

verstaute es im Kofferraum.

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Hinter dem Haus ertönte das regelmäßige

dumpfe Geräusch von Stahl auf Holz. Ich sollte
mich von Quentin verabschieden, sagte Marcia
sich. Das wollte sie aber nicht.

Rasch stieg sie ins Auto.

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6. KAPITEL

Die Zündung klickte, sonst tat sich nichts. Mar-

cia probierte es noch mal. Nichts.

„Du blödes Ding musst mich ausgerechnet jetzt

im Stich lassen”, schimpfte sie.

„Was soll ich jetzt machen?”
„Probleme,

Marcia?”

fragte

Quentin

ausdruckslos.

„Das Auto springt nicht an”, erklärte sie, ohne

ihn anzuschauen.

„Vielleicht solltest du aussteigen und ihm einen

Tritt geben.”

„Damit würde ich zwar meine Wut abreagieren,

aber das Auto bricht wahrscheinlich völlig
zusammen.”

„Na ja, dann sieht es so aus, als müsste ich dich

in die Stadt fahren”, meinte Quentin.

Nun blickte sie doch hoch. Holzspäne hingen an

Quentins T-Shirt, das seine muskulöse Brust um-
spannte. Seine Hände und die Jeans waren

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schmutzig, seine Augen funkelten. Marcia sagte
mürrisch: „Du hast Späne im Haar.”

„Ich brauche eben eine Frau, die sich um mich

kümmert.”

„Du meinst eine, die deine Socken stopft und

deine Hemden bügelt? Dann bist du im falschen
Jahrhundert geboren.”

„Nein, eine, die in kalten Nächten mein Bett

wärmt”, erwiderte er. „Ich schaffe schon mal dein
Gepäck in mein Auto. Okay?”

Was blieb ihr anderes übrig, als nachzugeben?

Sie nahm die Kühltasche vom Rücksitz, kurbelte
das Seitenfenster hoch und stieg aus. Nachdem
Quentin sich saubere Jeans und ein Hemd angezo-
gen hatte, ging es los. Einige Kilometer fuhren sie
schweigend, bis Marcia steif sagte: „Danke, dass
du mich in die Stadt bringst. Ich weiß das zu
schätzen.”

„Das solltest du auch. Schließlich handle ich ge-

gen meine Interessen.”

Marcia hatte sich inzwischen beruhigt. Kurz

legte sie Quentin die Hand aufs Knie.

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„Tut mir leid, dass ich so bissig war. An sich

verliere ich nicht dauernd die Beherrschung. Aber
ehrlich, Quentin, mir geht das alles zu schnell,
und ich brauche Zeit für mich allein.”

„Darf ich dich am Wochenende anrufen?”
„Ja. Warum nicht.”
Unterdrückt heftig bat Quentin: „Schließ mich

nicht aus. Das macht mir angst.”

„Ich wünschte nur, du würdest mich nicht so

bedrängen.”

„Und was ist mit dir?” fragte er. „Du hältst dich

für reserviert und zurückhaltend, aber ich würde
meinen letzten Dollar darauf wetten, dass du dich
vor

deinen

eigenen

intensiven

Gefühlen

fürchtest.”

Darauf wusste Marcia keine Antwort, deshalb

schwieg sie, bis sie Quentin erklären musste, wie
er zum Haus ihrer Mutter gelangte. Dort parkte er
hinter einem schwarzen Mercedes und verkündete
kurz angebunden, dass er draußen warten

würde.

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Marcia eilte zur Tür und klingelte. Als niemand

öffnete, klingelte sie noch einmal ungeduldig.
Gerade wollte sie zum drittenmal läuten, da er-
schien ihre Mutter und öffnete.

„Marcia”, rief sie erstaunt. „Was willst du denn

hier? Ach ja, Catherines Schlüssel.

Das hatte ich ganz vergessen.” Sie blickte

nervös hinter sich. „Wo habe ich ihn nur?

Komm doch rein.”
Evelyn trug einen Morgenmantel aus bestickter

Seide, ihre Wangen waren gerötet - und die Ein-
ladung hatte nicht sehr begeistert geklungen.

„Tut mir leid, dich zu stören, Mom”,

entschuldigte Marcia sich. „Ich hätte anrufen sol-
len.

Machst

du

dich

gerade

fertig,

um

auszugehen?”

Evelyn errötete stärker. „Nein, eigentlich nicht”,

antwortete sie und wich dem Blick ihrer Tochter
aus.

„Stimmt irgend etwas nicht?” fragte Marcia

scharf.

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Rasch trat Evelyn einen Schritt zurück. „Nein,

alles in Ordnung. Ich wollte nur … also, wo habe
ich den Schlüssel hingelegt? Er muss doch hier ir-
gendwo sein.”

Normalerweise war Evelyn ruhig und gelassen.

Verwundert über das seltsame Verhalten ihrer
Mutter wartete Marcia im Flur. Von da aus kon-
nte sie ins

Wohnzimmer sehen. Auf dem Tisch stand ein

herrlicher Tulpenstrauß, und über einem Sessel
hing ein Jackett. Henry ist hier, dachte sie benom-
men. Deshalb ist Mom so durcheinander. Henry
ist oben. In ihrem Bett.

Nun wollte Marcia nur noch weg.
Endlich kam Evelyn zurück. „Die Schlüssel

waren in der Küche”, erklärte sie und reichte
Marcia den Bund. „Entschuldige, dass ich dich
habe warten lassen. Du willst sicher so schnell
wie möglich zu Catherines Haus.”

Das war ein ziemlich deutlicher Wink mit dem

Zaunpfahl. Und Marcia wollte

wirklich nicht länger bleiben.

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„Danke. Pass auf dich auf”, verabschiedete sie

sich und eilte nach draußen.

Quentin wartete natürlich noch auf sie. Marcia

setzte eine ausdruckslose Miene auf und stieg ins
Auto. „Fahr diese Straße Weiter geradeaus bis zur
zweiten Ampel und bieg dann links ab”, erklärte
sie

und

befestigte

umständlich

den

Sicherheitsgurt.

„Stimmt etwas nicht?” fragte Quentin. „Du bist

nicht lange geblieben.”

„Meine Mutter machte sich gerade zum Ausge-

hen fertig”, log Marcia, denn die Wahrheit konnte
sie ihm unmöglich sagen. Meine Mutter war
gerade mit ihrem Liebhaber im Bett: Wie würde
das klingen?

Wie prüde ich doch bin, tadelte Marcia sich.
Quentin würde sicher sagen, ihre eigenen erot-

ischen Wünsche verursachten ihr Unbehagen,
nicht die ihrer Mutter. Aber das stimmte nicht.
Marcia sehnte sich nur danach, allein zu sein. Ge-
fühle laugten einen aus. Leidenschaft, Glück,
Zorn, Eifersucht, Schock … das alles hatte sie in

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wenigen Tagen erlebt und brauchte nun eine
Atempause, in der sie an niemand denken musste.
Weder an ihre Mutter, noch Henry, Lucy oder
Quentin.

„An der nächsten Kreuzung wieder links”, sagte

Marcia.

Catherine wohnte in einem hübschen Haus in

einer ruhigen Straße. Als Marcia den Gartenweg
entlangging, erklang Gebell im Haus. Sie öffnete
die Tür.

Ein großer Hund jagte auf Marcia zu, sprang an

ihr hoch und versuchte, ihr das Gesicht
abzulecken.

„Sitz”, befahl Marcia streng.
Der Hund legte ihr die Pfoten auf die Schultern.

„Du musst Tansy sein”, meinte sie, ließ den Kof-
fer los und schob den Hund weg. Tansy nahm den
Griff zwischen die Zähne und versuchte, wild
knurrend, den Koffer in die Küche zu zerren.

„Bist du ganz sicher, dass ich nicht bleiben und

dir helfen soll?” erkundigte Quentin sich.

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Marcia schaute sich um. Er stand da, ihre

Kühltasche und ihre Jacke in der

Hand, und wirkte verlässlich und stark. Ich

werde dich vermissen, Quentin, dachte Marcia
unglücklich. „Ich habe eine bessere Idee”, er-
widerte sie. „Nimm doch Tansy mit ins Landhaus
und …”

Der Koffer stieß gegen den kleinen Tisch im

Flur. Marcia fing gerade noch die herunterfal-
lende Vase auf, der Tisch kippte um, und Tansy
flüchtete sich winselnd unter den Küchentisch.
Artie, ein Scotchterrier, knurrte missmutig.

„Genau das wollte ich auch sagen, Artie”,

meinte Marcia und stellte die Vase ab.

Artie wedelte mit dem Schwanz, kam zu Marcia

und beschnupperte ihre Hand.

Quentin ging in die Küche, und Tansy wollte

sich auf ihn stürzen und nach seinen Knöcheln
schnappen. „Stop”, befahl er ruhig.

Gereizt sah Marcia, dass Tansy tatsächlich

stehenblieb und Quentin hingerissen betrachtete.

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„Du kannst mit Frauen gut umgehen”, bemerkte

Marcia ironisch.

„Dann frage ich mich, warum es bei dir nicht

funktioniert.” Er zog einen Zettel aus der Tasche
und notierte darauf Catherines Telefonnummer.

Ob Quentin mich wohl bald anruft? überlegte

Marcia.

Im Flur schlug die Standuhr. Marcia war über-

rascht, wie spät es schon war. „Ich sollte dich ei-
gentlich zum Abendessen einladen”, meinte sie.
„Vor allem, weil du mich in die Stadt gefahren
hast.”

„Aber du tust es nicht”, fügte Quentin hinzu und

schlug zu Marcias und seiner eigenen Überras-
chung mit der Faust heftig gegen die Wand. Artie
jaulte erschrocken auf, und Tansy flüchtete sich
erneut unter den Tisch. Wütend rief Quentin: „Ich
dränge dich zu sehr, Marcia, ich weiß. Aber wenn
ich dich jetzt hier allein lasse, habe ich Angst, ich
sehe dich nie wieder. Das ist die reine, un-
geschminkte Wahrheit. Geh am Samstag mit mir
essen.”

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„Quentin, ich möchte dich am Wochenende

nicht sehen”, entgegnete sie bemüht ruhig. „Ich
brauche eine Atempause, eine kurze Unter-
brechung - nenn es, wie du willst.”

„Am Montag musst du wieder ins Institut. Und

wir beide wissen, was das bedeutet.”

Das Institut kam ihr wie eine ferne, unbedeu-

tende Welt vor. „Am folgenden

Wochenende vielleicht”, sagte Marcia.
„Vielleicht, vielleicht. Ist das alles, worauf du

dich festlegst?”

Nun brauste sie auch auf. „Ja.”
„Schön. Wenn ich dann noch im Land bin, rufe

ich dich an. Falls nicht, schicke ich dir eine
Postkarte. Aus Peru. Oder Australien. Oder vom
Nordpol.” Er zog sie an sich, küsste sie heftig und
eilte hinaus. Die Tür fiel krachend zu.

Tansy hob den Kopf und heulte wie ein Wolf.
“Ich werde nicht weinen”, schwor sich Marcia.
Und mit übermenschlicher Anstrengung schaffte

sie es. Quentin würde doch nicht wirklich nach
Peru reisen, oder? An dem Abend trank Marcia

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viele Tassen Kräutertee und dachte nach. Um
neun Uhr war ihr klar, dass ihre Mutter sich so
seltsam verhalten hatte, weil sie ihrer ältesten
Tochter nicht die Wahrheit über Henry gestehen
wollte. Kein Wunder, wenn ich jahrelang den
Eindruck vermittelt habe, dass mir die Arbeit
wichtiger wäre als meine Familie, gestand Marcia
sich ein.

Bevor sie es sich anders überlegen konnte,

wählte sie die Telefonnummer ihrer Mutter.

„Evelyn Barnes.”
„Mom, ich bin’s, Marcia.” Sie befeuchtete sich

nervös die Lippen. „Wie geht es dir?” Dann fügte
sie schnell hinzu: „Nein, ich rufe nicht an, um
dich das zu fragen.

Ich möchte dir vielmehr sagen … mir ist inzwis-

chen klargeworden, dass Henry heute nachmittag
bei dir war, und ich …”

„Ich hätte es dir nicht verschweigen sollen”, un-

terbrach ihre Mutter sie. „Aber ich konnte es ir-
gendwie nicht.”

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„Mom, ich habe doch nichts dagegen, ehrlich

nicht. Ich freue mich, dass du

glücklich bist.”
Lange schwieg ihre Mutter, ehe sie zögernd er-

widerte: „Also, Marcia … das ist lieb von dir.”

„Henry ist ein ausgesprochen netter Mann. Ich

freue mich wirklich für dich,

Mom. Tut mir leid, dass ich dich all die Jahre so

auf Abstand gehalten habe. So sehr, dass du mir
von eurer Freundschaft nicht einfach unbefangen
erzählen konntest.”

Evelyn lachte leise. „Weißt du, ich hätte nie

gedacht, mich in meinem Alter noch zu verlieben.
An manchen Tagen fühle ich mich wie ein Teen-
ager, Marcia. Es ist herrlich.” Wieder zögerte sie
und fragte dann: „Du hättest nichts dagegen,
wenn Henry und ich uns verloben?”

„Überhaupt nicht”, versicherte Marcia ihrer

Mutter. „Ich wäre begeistert. Wir geben eine tolle
Party, um Henry in die Familie aufzunehmen.”

„O Marcia, ich bin ja so froh, dass du angerufen

hast.” Evelyn schluckte -mühsam.

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„Hier sitze ich nun und weine vor Freude. Ich

hatte Angst, du würdest meine Beziehung zu
Henry nicht gutheißen. Wir möchten heiraten, und
zwar, bevor Lucy und Troy nach Vancouver
zurückkehren. Was hältst du davon? Ich wollte ja
ganz im stillen heiraten, aber Henry sagt, er sei so
stolz auf mich, dass er all unsere Verwandten und
Freunde bei der Hochzeit dabeihaben will.”

..Henry hat völlig recht”, stimmte Marcia zu.

“Ich helfe dir gern beim Planen der Feier.”

„Ich lass’ dich den Termin wissen, sobald Henry

und ich uns darauf geeinigt haben.

Marcia, meine Liebe, vielen, vielen Dank.”
Marcia räusperte sich. „Bestell Henry schöne

Grüße von mir. Ich hab dich lieb, Mom.”

„Ich dich auch, Schatz. Danke. Gute Nacht.”
Jetzt weine ich ja doch noch, dachte Marcia und

putzte sich die Nase. Sich zu verändern war harte
Arbeit. Aber es lohnte sich.

Am Freitag war Marcia viel mit den Hunden un-

terwegs und dachte dabei intensiv nach. Die
Spaziergänge waren nicht ungefährlich, da Tansy

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überhaupt nicht auf den Verkehr achtete und zu-
dem jeden Menschen, jede Katze und jeden Hund,
dem sie begegnete, unbedingt begrüßen wollte.

Sie gingen viermal spazieren, weil Marcia

hoffte, Tansy zu ermüden, aber deren Energie
schien unerschöpflich zu sein. Schließlich waren
es Marcia und Artie, die erledigt waren.

Morgens hatte sie ihre Werkstatt angerufen und

gebeten, das Auto abzuschleppen und zu reparier-
en. Nachmittags ging Marcia einkaufen. Ihre
Kleidung war streng, konservativ und langweilig.
Höchste Zeit, das zu ändern. In einer Boutique
kaufte sie sich ein himbeerfarbenes Kleid, in einer
anderen eine weiße Seidenbluse und Designer-
Jeans, dazu einen mexikanischen silberbeschla-
genen Gürtel und Türkisschmuck.

Danach verbrachte Marcia eine Dreiviertels-

tunde in einem Wäschegeschäft und gab viel Geld
aus. Unter anderem für himbeerfarbene Dessous.

Mit Paketen beladen, kam sie nach Hause und

rief Lucy an, um ihr zu sagen, dass sie in der

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Stadt war und Samstagabends auf Chris aufpassen
könne.

„Komm doch schon zum Essen”, schlug Lucy

vor. „Samstags lassen wir uns meistens etwas
bringen. Wie geht es denn Quentin?”

„Gut, nehme ich an.”
„Du nimmst es an?” Lucy seufzte. „Wenn ich

gewusst hätte, dass Catherine dich in die Stadt
zurücklockt, hätte ich ihr deine Telefonnummer
nicht gegeben. Weißt du was? Ich frage Mom, ob
sie und Henry nicht auf Chris aufpassen. Dann
können du und Quentin mit ins Kino gehen.”

„Nein”, wehrte Marcia ab.
„Marcia, eines Tags wirst du aufwachen und

feststellen, dass das Leben an dir vorbeigegangen
ist”, warnte Lucy eindringlich. „Bedauern ist ein
kalter Bettgenosse, wie ich gemerkt habe, als
Troy und ich getrennt lebten. Also, bis morgen.”
Lucy knallte den Hörer auf die Gabel.

Quentin hatte die Tür zugeknallt, Lucy knallte

den Hörer auf. Es wäre nett^ wenn andere Leute

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sich nicht so sicher wären, was das beste für mich
ist, dachte Marcia.

Aber wenn Lucy Quentin ins Kino einladen

wollte, bedeutete das immerhin, dass er nicht
nach Peru gereist war. Noch nicht, jedenfalls.

Marcia brühte sich eine Kanne Kräutertee auf

und setzte sich auf die kleine Terrasse in die
Sonne. Artie ließ sich zu ihren Füßen nieder, und
Tansy raste im Garten herum, bevor sie sich end-
lich auch hinlegte.

Marcia verdrängte den Gedanken an das Ge-

spräch mit Lucy und dachte statt dessen an den
kleinen Jungen, dem sie geholfen hatte, daran,
wie lange es her war, dass sie über eine Blumen-
wiese geschlendert war und an das Krankenhaus
in Indien, das sie zwar finanziell unterstützte, für
das sie sich aber gefühlsmäßig nicht einsetzen
musste. Sie dachte an alles mögliche, nur nicht an
Quentin.

Nachts hatte sie wieder den Alptraum, in dem

sie in den Strudeln eines tiefblauen Meers
versank. Sie wachte mit wild klopfendem Herz

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auf. Ich habe schreckliche Angst vor Quentin und
all dem, was er repräsentiert, wurde Marcia be-
wusst. Wenn sie sich ihm hingab, würde sie sich
selbst verlieren.

Aber Quentin behauptete, sie würde sich dann

selbst finden. Konnte das stimmen?

Wenn sie mit ihm schlief, wäre bestimmt nichts

mehr wie vorher. Was würde geschehen, wenn er
jetzt hier bei ihr wäre?

Ein Prickeln überlief sie, und ihre Phantasie

gaukelte ihr ungewohnte Bilder vor.

Gereizt stand Marcia auf, ging in die Küche,

machte sich ein Sandwich und sah sich einen völ-
lig albernen Film im Fernsehen an. Morgens um
sieben wachte sie auf dem Sofa mit steifem Nack-
en auf. Der Fernseher lief noch.

Sie schaltete ihn aus. Männer sind schrecklich,

dachte sie erbost. Vor allem Quentin mit seinen
selbstgebauten Häusern, den Bildern, die geheim-
ste Gefühle zeigten - und der sie geküsst hatte,
ohne an die Folgen zu denken. Quentin wusste,
was er wollte.

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Nämlich sie, Marcia. Daraus hatte er nie ein Ge-

heimnis gemacht.

Allerdings hatte, er sie nicht angerufen, seit sie

bei Catherine war.

Tansy winselte jämmerlich an der Hintertür, und

Artie bellte. Vorsichtig bewegte Marcia den Kopf
hin und her, um die verspannten Nackenmuskeln
zu lockern. Später wollte sie sich ein neues Auto
kaufen. Ein Psychiater hätte das einen klassischen
Fall von Ersatzhandlung genannt. Marcia presste
die Lippen zusammen, ging zur Hintertür und
wappnete

sich

gegen

Tansys

übermütige

Begrüßung.

Marcia kaufte sich tatsächlich ein neues

leuchtendrotes Auto. Es war zwar nicht größer,
aber viel auffälliger als ihr alter Wagen.

Nachdem sie das Auto in Catherines Auffahrt

geparkt hatte, ging sie einige Male darum herum,
berührte die glänzenden Seiten und spiegelte sich
in den blanken Chromteilen. Danach ging Marcia
mit den Hunden spazieren.

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Am späten Nachmittag fuhr sie zu Lucy und

Troy. Sie hatte das himbeerfarbene Kleid angezo-
gen, obwohl es nicht das Richtige fürs Babysitten
war. Das Kleid symbolisierte jedoch etwas, was
Marcia noch nicht in Worte zu fassen bereit war.

„Toll!” rief Lucy, als sie die Tür öffnete. „Du

siehst umwerfend aus, Marcia. Komm doch rein.
Sicher bist du die bestangezogene Babysitterin in
ganz Ottawa. Übrigens haben wir Pizza bestellt.
Hoffentlich bist du hungrig.”

Nachdem sie gegessen hatten, fütterte Lucy das

Baby. Chris schob sich immer wieder die Finger
in den Mund und wimmerte.

„Er bekommt schon wieder einen Zahn”,

erklärte Lucy bedrückt, als Troy den Kleinen aus
dem Kinderstuhl hob. „Bist du sicher, dass wir ins
Kino gehen sollten, Schatz? Ich lasse Chris in
dem Zustand nicht gern allein.”

„Natürlich geht ihr”, antwortete Marcia. „Sch-

ließlich bin ich Ärztin.” .

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„Das vergesse ich manchmal. Dein Job hat doch

nichts mit zahnenden Babys und überbesorgten
Müttern zu tun”, bemerkte Lucy.

„Schreib mir die Telefonnummer des Kinos auf,

dann kann ich euch notfalls verständigen, falls
Chris sich nicht beruhigt”, schlug Marcia vor.

Lucy biss sich auf die Lippe und sah unglück-

lich aus. Troy sagte unnachgiebig:

„Hol deine Jacke, Lucy, oder wir kommen zu

spät.” Er reichte Marcia das Baby. „Im Medizins-
chrank ist eine Lotion für sein Zahnfleisch. Danke
fürs Aufpassen.”

Kurz darauf waren sie weg. Chris begann zu

jammern. Marcia ging mit ihm ins Bad und rieb
sein Zahnfleisch behutsam mit dem Mittel ein. Er
schob sich die Faust in den Mund. Marcia schal-
tete sanfte Musik ein und ging mit dem Baby im
Wohnzimmer hin und her.

Eine halbe Stunde später ließ Chris den Kopf

sinken. Der Kleine war schon erstaunlich schwer,
und ihr taten die Arme weh. Sie trug ihn zu
seinem Zimmer und wollte ihn gerade ins Bett

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legen, als an die Tür geklopft wurde. Marcia
zuckte zusammen. Chris öffnete die Augen und
begann zu weinen. Verärgert ging sie zur Tür und
blickte durch die Spion.

Draußen stand Quentin.
Marcias Herz schien einen Schlag lang auszu-

setzen. Sie hielt Chris wie ein Schutzschild vor
sich und öffnete. Völlig entgeistert sah Quentin
sie an, dann strahlte er.

„Lucy hat dich also auch eingeladen. Wie

schön!”

Er hielt eine Flasche Wein in der Hand, trug

eine braune, abgewetzte Lederjacke und aus-
gebleichte Jeans. Er sah umwerfend attraktiv aus.
Marcia trat beiseite, um ihn hereinzulassen. „Du
wusstest nicht, dass ich auch komme, oder?”
fragte Quentin. „Wo ist denn Lucy?”

„Mit Troy ins Kino gegangen. Wenn meine

liebe Schwester nach Hause kommt,

drehe ich ihr den Hals um … Schon gut, Chris,

alles in Ordnung.”

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Quentin schloss die Tür. „Es gibt also kein Din-

ner für drei um halb acht?”

„Es gibt überhaupt kein Dinner. Wir haben

Pizza bestellt und schon alles gegessen.”

„Na, macht nichts”, meinte Quentin gut gelaunt.

„Wenigstens habe ich eine Flasche Wein mitgeb-
racht. Sehr guten, wenn ich das bemerken darf.
Damit verwöhne ich dich jetzt.”

„Babysitter dürfen sich keinen Schwips an-

trinken, Quentin.”

Er zog die Brauen hoch. „Du siehst bezaubernd

aus, Marcia. Rot steht dir wirklich gut. Was ist
denn mit Chris los?”

„Er zahnt. Er war fast eingeschlafen, als du an-

geklopft hast.”

„Quentin zog die Jacke aus, unter der er ein

Jeanshemd trug. „Gib mir den Kleinen. Er hat
dein Kleid vollgesabbert. Ist es neu?”

„Ja. Seit gestern habe ich ein kleines Vermögen

ausgeben”, erwiderte Marcia trotzig.

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Quentin nahm ihr das Baby ab. „Hu, er ist ja

ganz nass. Na los, Dr. Barnes. Dafür sind Sie
zuständig.”

„Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er eine neue

Windel braucht”, sagte sie nervös. „Wie können
ihn im Schlafzimmer neu wickeln.”

Quentin beobachtete, wie Marcia mit der Salbe

und dem Puder herumhantierte und sich mit den
Verschlüssen der Windel abplagte. „Das hast du
seit der Ausbildung sicher nicht mehr gemacht”,
bemerkte er.

„Schenk mir ein Glas Wein ein, Quentin”, er-

widerte sie schroff. „Es wird sicher ein langer
Abend.”

Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, brannte

nur noch die Stehlampe. Zwei Gläser Wein und
ein Thunfischsandwich standen auf dem Coucht-
isch. Ein Thunfischsandwich passt genausowenig
zu einer Verführungsszene wie ein schreiendes
Baby, dachte Marcia. Nicht, dass Quentin einen
Versuch machte, sie zu verführen.

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Chris steckte den Daumen in den Mund und

hörte zu jammern auf. Marcia trug ihn hin und
her, bis ihr die Arme weh taten, dann setzte sie
sich - mit gebührendem Sicherheitsabstand zu
Quentin - aufs Sofa. Nachdem er das Sandwich
gegessen hatte, nahm er ihr das Baby ab. „Keine
Angst, ich beiße dich nicht, Marcia. Trink deinen
Wein und erzähl mir alles über das Vermögen,
das du ausgegeben hast.”

Der Wein war ein schwerer Burgunder. Marcia

trank einen Schluck und sagte: „Ich habe mir et-
was zum Anziehen und ein Auto gekauft, und
nichts davon ist marineblau, braun oder grau.”

Quentin lachte schallend. „Du machst keine hal-

ben Sachen, stimmt’s?”

Unter dem Kleid trug sie die roten Dessous.

„Nein”, sagte Marcia fest.

„Das finde ich ermutigend. Aber, aber, nicht

weinen, Chris, es ist alles in Ordnung.”

Chris wimmerte und lutschte wieder heftig am

Daumen. Quentin setzte sich bequemer hin und
lächelte Marcia an. „Du sitzt so weit weg, dass

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ich beinahe schreien muss, um mich verständlich
zu machen. Rutsch doch etwas näher.”

Argwöhnisch sah sie ihn an und trank noch ein-

en Schluck Wein.

Sie sieht in dem roten Kleid wunderschön aus,

dachte Quentin und sagte betont beiläufig: „Ich
bin fast verrückt vor Verlangen nach dir, Marcia.
Aber ein zahnendes Baby ist besser als jede An-
standsdame. Daran hat Lucy sicher nicht gedacht,
als sie uns hierherlockte. Du bist also völlig sicher
vor mir und meinen Verführungskünsten.

Schade.”
Marcia funkelte ihn an. „Ich fühle mich über-

haupt nicht sicher, wenn du in meiner Nähe bist.”

„Nur weiter so, das höre ich gern.”
„Ich bin froh, dass du nicht nach Peru gefahren

bist”, sagte sie rasch.

„Ich auch. Jetzt.”
Marcia fühlte sich eigenartig, als sie Quentin be-

trachtete. Zärtlich hielt er das Baby im Arm, das
seinen Kopf vertrauensvoll an seine Brust
geschmiegt hatte.

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Marcia konnte sich nur zu gut vorstellen, dass

sie und Quentin ein ganz normales Ehepaar
wären, das einen ruhigen Samstag abend zu
Hause mit dem Baby verbrachte. Plötzlich ver-
spürte sie eine seltsam schmerzliche Sehnsucht.

„Meine Mutter will wieder heiraten”, berichtete

Marcia unvermittelt. „Und zwar Henry.”

„Wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf?”

fragte Quentin leise.

„Du hast wirklich ein Talent, unbeantwortbare

Fragen zu stellen. Mochtest du Henry?”

„Sehr. Mein linker Arm braucht ein Ge-

gengewicht zu Chris. Komm her zu mir.”

Marcia trank noch einen großen Schluck, dann

rückte sie näher zu Quentin. „Es ist nicht sehr ro-
mantisch, eine Frau in die Arme zu locken, indem
man sie ein Gegengewicht nennt”, meinte sie.

„In den Arm. Einzahl”, verbesserte Quentin sie.

Sanft streichelte er ihr die Schulter. „Entspann
dich, Marcia. Ich möchte dir eine Geschichte
erzählen.”

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Sie streifte die Pumps ab, zog die Füße aufs

Sofa und schmiegte den Kopf an Quentins Schul-
ter. Er umfasste Marcia unbewusst fester. „Ich bin
mir nicht sicher, ob ich mich auf deine Geschichte
konzentrieren kann”, meinte sie leise.

„Marcia …” sagte er und küsste sie.
Verwunderung

und

bittersüßes

Verlangen

durchfluteten sie, während sie den Kuss hinge-
bungsvoll erwiderte.

So fühlt es sich wahrscheinlich an, wenn man

ertrinkt, dachte Quentin und wünschte das Baby
dahin, wo der Pfeffer wuchs. Oder wenigstes in
sein Bettchen.

Marcia duftete so gut, ihr Haar streichelte seine

Wange und schien all seine Sinne zu reizen. Sie
strich ihm mit den Fingerspitzen über den Nacken
und schob sie dann in sein Haar. Quentin verlor
alles Zeitgefühl.

Chris wimmerte leise, dann lutschte er wieder

laut an seinem Daumen. Marcia flüsterte an
Quentins Lippen: „Babysitter sollten eigentlich

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auch nicht auf der Couch schmusen, Du wolltest
mir doch eine Geschichte erzählen.”

„Ja, das wollte ich.”
„Warum bin ich deine Traumfrau?” fragte sie

unvermittelt. „Das verstehe ich nicht.”

„Genau darum geht es in meiner Geschichte”,

sagte Quentin, schloss die Augen und presste
Marcia an sich. „Es war einmal”, begann er, „ein
kleiner Junge namens Quentin im Dorf Holton. Er
hatte keine Geschwister, aber das machte ihm
nicht viel aus, denn es gab ja die Wälder und
Felder, wo er spielen und die Tiere beobachten
konnte. Und sie zeichnen, denn er wusste von
klein an, dass er einmal ein Maler werden würde.
Vielleicht vermisste er auch deshalb keine
Geschwister, weil er ja seine Eltern hatte. Auf sie
konnte er sich felsenfest verlassen, und schon als
kleiner Junge fühlte er, dass sie sich liebten wie
die wilden Schwäne, die nur einmal im Leben
heiraten und dann immer zusammenbleiben.”

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Ein schmerzliches Gefühl durchzuckte Marcia.

Sie hatte ihren Vater verloren, als sie erst fünf
Jahre alt war. „Und weiter?” drängte sie sanft.

Ohne es zu merken, wechselte Quentin zur er-

sten Person. „Ich wusste schon immer, dass meine
Eltern etwas Besonderes waren, nämlich zwei
Menschen, die einander leidenschaftlich liebten.
Je älter ich werde, desto ungewöhnlicher kommt
es mir vor, dass ein Ehepaar diese Liebe in guten
wie in schlechten Zeiten aufrechterhält. Lucy und
Troy haben es auch geschafft, allerdings unter
enormen Schwierigkeiten. Deshalb schätze ich sie
so sehr.”

Er blickte auf Marcia, die sich vertrauensvoll an

ihn schmiegte. „Mit ungefähr elf Jahren war ich
mir zum erstenmal absolut sicher, eines Tages die
richtige Frau zu treffen, diejenige, die so zu mir
passte wie meine Mutter zu meinem Vater. Und
als du in die Galerie kamst, wusste ich sofort, du
bist diejenige - die Frau, auf die ich fast mein
ganzes Leben lang gewartet habe.” Quentin

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räusperte sich. „Ende der Geschichte. Oder sollte
ich sagen, der Anfang?”

Marcia richtete sich kerzengerade auf. „Heißt

das, du hast dich in mich verliebt?”

„Ja, das heißt es wohl. Obwohl das Wort so

abgegriffen ist, dass ich es nicht gern sage. Zwis-
chen uns besteht eine Bindung Marcia. Wir sind
wie füreinander geschaffen. Ach, zum Kuckuck,
ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich bin
Maler, nicht Dichter.” Er überlegte einen Moment
lang. „Du bist einfach mein Ideal.

Die Frau, von der ich insgeheim immer

geträumt habe.”

„Das meinst du wirklich ernst, was du da gesagt

hast, oder?” fragte Marcia aufgewühlt.

„O ja.” Er streichelte sie. Sie sah so argwöh-

nisch aus wie ein Reh, das Gefahr wittert. „Ich
habe gegen mein Gefühl angekämpft”, erklärte
Quentin. „Weil ich dachte, du wärst nicht mein
Typ. Selbstbeherrschung und Zurückhaltung habe
ich noch nie für bewunderungswürdig gehalten.
Und Lucy hat dich damals auf Shag Island nicht

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sehr schmeichelhaft beschrieben.” Er zögerte.
„Damals mag die Beschreibung ja gestimmt
haben … aber jetzt sicher nicht mehr. Glaube
ich.”

Plötzlich hatte Quentin genug vom Reden. Er

ließ die Hand über Marcias Hals gleiten und weit-
er zu ihren Brüsten, dann zu ihrem flachen Bauch
und schließlich zu ihrem Oberschenkel.

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7. KAPITEL

Quentin hörte, wie Marcia tief einatmete, und

sah, wie ihre Augen groß wurden. Aber sie sagte
kein Wort.

„Rot ist die Farbe der Leidenschaft”, meinte er

leise. „Das wusstest du doch, oder?”

„Es geht hier nicht um Leidenschaft”, ent-

gegnete sie. „Wir beide haben nur längere Zeit
keine Partner gehabt, das ist alles.”

„Jetzt machst du dir etwas vor.”
Sie gab Quentin insgeheim recht. „Willst du

wirklich behaupten, dass ich die Frau bin, mit der
du dein ganzes Leben verbringen möchtest?”
hakte Marcia nach.

.„Ja, genau das”, bestätigte er.
„Aber wir haben uns doch erst vor zwei Wochen

kennengelernt, Quentin.”

„Dann verbring mehr Zeit mit mir, damit wir

uns besser kennenlernen.”

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Marcia nahm ihr Weinglas und leerte es mit

einem Schluck. „Warum hast du mir das alles
nicht vorher gesagt?” fragte sie.

„Weil du es nicht hören wolltest”, erwiderte er.
„O nein, sondern weil ich geglaubt hätte, du

belügst mich nur wieder”, entgegnete sie scharf.

„Widersprich mir nicht dauernd. Du bist wirk-

lich die aufreizendste und sturste Frau, die ich
kenne. Frag mich jetzt nicht, warum ich mich in
dich verliebt habe, denn ich habe nicht die gering-
ste Ahnung. Und ich dulde nicht, dass du mir vor-
wirfst, ich hätte dich jemals angelogen.”

Chris hob den Kopf und sah Quentin erstaunt

an. „Hallo, Kleiner”, sagte Quentin ruhiger. „Du
störst, weißt du das?” ‘ Chris lächelte ihn strah-
lend an und gluckste.

Hilflos sagte Marcia: „Ich habe mich schon

wieder aus der Ruhe bringen lassen.”

„Wenn man an sexueller Frustration leidet, ver-

liert man schnell die Gelassenheit”, erklärte
Quentin.

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Plötzlich lachte sie. „Du solltest es dir notieren

und rot anstreichen, dass ich dir tatsächlich zus-
timme, Quentin. Hiermit verkünde ich, in deiner
Gegenwart - unter anderem - sexuelle Frustration
zu empfinden.”

„Und was noch?” fragte er, ehrlich interessiert.
„Wut, Panik, Sehnsucht, Glücksgefühle, Trüb-

sal, Eifersucht.”

„Du hast Reserviertheit vergessen.”
„O je, das habe ich wirklich”, gestand sie

kleinlaut.

Chris streckte die Hand nach Marcia aus und

lächelte, wobei er drei winzige Zähne zeigte. Sie
nahm das Baby in den Arm und blies ihm sanft
auf den Nacken. Chris gluckste wieder.

In einem seltsamen Ton sagte Quentin: „Wenn

ich dich so sehe, male ich mir aus, Chris wäre un-
ser Kind. Kannst du dir vorstellen, die Mutter
meiner Kinder zu sein, Marcia?”

Aufrichtig antwortete sie: „Wenn ich allein mit

dir bin, denke ich fast ausschließlich an Sex. Aber
wenn ich dich mit Chris im Arm sehe, spüre ich

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eine seltsam schmerzliche Sehnsucht.” Sie verzog
das Gesicht. „Das muss das verrückteste Ge-
spräch sein, das ich jemals geführt habe. Ich habe
noch nie mit einem Mann wirklich zusam-
mengelebt, Quentin. Mit ihm den Alltag geteilt,
meine ich. Wer spült das Geschirr, wer macht das
Waschbecken sauber? Ich wette, wir beide
würden uns gegenseitig innerhalb eines Monats in
den Wahnsinn treiben.”

„Das lässt sich leicht herausfinden. Zieh zu mir

ins Landhaus”, erwiderte Quentin prompt.

Verblüfft sah Marcia ihn an. „Weißt du, was

noch verrückter ist als das

Gespräch? Dass ich tatsächlich ernsthaft über-

lege, dein Angebot anzunehmen.”

„Du musst nur ja sagen. Ein ganz einfaches

Wort.”

Quentins Lächeln ließ Marcias Herz schneller

schlagen. Mit zittriger Stimme sagte sie: „Wir
sollten Chris ein Fläschchen geben und ihn ins
Bett bringen. Lucy ist uns sicher nicht dankbar,
wenn wir ihn die halbe Nacht wach halten.”

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„Wechsle nicht das Thema. Sag einfach ja.”
„Hältst du ihn, während ich das Fläschchen

warm mache?” bat Marcia, stand auf und fügte
hinzu: „Ich verspreche dir, dass ich dir die Ant-
wort Ende nächster Woche gebe. Bitte dräng mich
nicht, Quentin.”

Im sanften Licht wirkte sie so zart und feminin,

dass heißes Verlangen Quentin erfüllte. Aber das
musste er verbergen, um Marcia nicht abzus-
chrecken. Er durfte sie nicht drängen, auch wenn
<»r seine Ungeduld kaum zügeln konnte. Rasch
trank er einen großen Schluck Wein, dann stand
er ebenfalls auf und nahm Marcia das Baby ab,
wobei er darauf achtete, sie nicht zu berühren.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Wenn du

so nett bist, tut es mir wirklich leid, dich zu ver-
trösten. Ich weiß, es scheint dir unsinnig, warten
zu sollen, aber ich muss mir sicher sein, das
Richtige zu tun. Wir reden hier über etwas sehr
Ernstes, und das macht mir angst. Bitte versuch,
mich zu verstehen.”

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„Weißt du, was ich hasse?” fragte Quentin rau.

„Dass mir keine andere Wahl bleibt, als zu
warten. Weil du die Frau bist, die ich will, und
keine andere genügen würde.” Er lachte freudlos.
„Als ich elf Jahre alt war, kam mir nie in den
Sinn, dass Liebe wie eine Falle sein könnte, dass
sie mir die Entscheidungsfreiheit raubt. Dass die
Frau, die ich liebe, mich vielleicht nicht liebt,
habe ich mir nie ausgemalt. Ganz schön arrogant,
oder?”

Chris, den der Ton ihrer Stimmen erschreckte,

fing wieder zu wimmern an. Quentin wiegte ihn
sanft. „Ich gehe jetzt besser, Marcia. Wir sollten
Chris nicht beunruhigen, und es führt ohnehin zu
nichts, weiterzureden.”

„Ich will aber nicht, dass du gehst.”
„Dann stecken wir anscheinend beide in einer

Falle”, sagte er bedrückt.

„Vielleicht hält man die Liebe nur dann für das

Schönste und Einfachste, wenn man nicht verliebt
ist”, erwiderte Marcia unzusammenhängend.

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„Man muss im Leben für alles, was man haben

möchte, gewisse Opfer bringen. Das weiß ich aus
Erfahrung”, erklärte Quentin. „Ich habe bisher
wie ein Nomade gelebt und bin gereist, wohin ich
gerade wollte. Da ich dich liebe, muss ich diese
Freiheit aufgeben. Allerdings bin ich mir nicht
sicher, ob ich dann nicht eine andere Freiheit
entdecke.”

„Ich würde auf jeden Fall meine Unab-

hängigkeit verlieren”, sagte sie leise. „Seit ich er-
wachsen bin, habe ich im Privatleben getan, was
ich wollte. Ich musste niemanden fragen,
niemandes Pläne berücksichtigen. Das würde sich
ändern, stimmt’s?” Sie lächelte. „So wie ich dich
kenne.”

„Wir würden mehr gewinnen als verlieren”, er-

widerte er heftig.

Darauf sagte sie nichts. Rastlos ging Marcia hin

und her. „Weißt du, wann meine heile kleine Welt
zu bröckeln anfing?” fragte sie unvermittelt. „Als
Lucys und Troys erstes Baby starb. Ich hatte sie
beneidet um ihr Glück und das Kind. Aber nach

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seinem plötzlichen Tod geriet die Ehe in eine
Krise, und beide waren so unglücklich.

Es war schrecklich. Obwohl es mich nur in-

direkt betraf, fing ich an, mir Gedanken darüber
zu machen, was im Leben wirklich zählt. Das
war, glaube ich, der Moment, als ich endlich er-
wachsen wurde.”

Sie hatte die Arme verschränkt und die Schul-

tern hochgezogen. Quentin stand ganz still da.
Ihre Worte bestärkten seine Gewissheit, dass
Marcia im Grund eine leidenschaftliche und em-
pfindsame Frau war, das aber vor der Welt
verbarg. Leise sagte er: „Ich liebe dich, Marcia.”

„Es ist zu früh, Quentin”, sagte sie verzweifelt.

„Ich tue mein Bestes, aber es ist einfach zu früh.”

•Er musste all seine Vernunft zu Hilfe nehmen,

um seine Ungeduld zu bekämpfen.

Es gelang ihm. „Jetzt bringen wir Chris ins Bett,

und dann gehe ich”, sagte Quentin ruhig. „Wie
wäre es mit einem ganz normalen Rendezvous in
den nächsten Tagen?

Pizza essen und ins Kino gehen, zum Beispiel.”

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Sie lächelte zaghaft. „Klingt gut.”
Eine halbe Stunde später lag Chris im Bett, und

Quentin zog sich gerade die Jacke an. Marcia
stand neben ihm, auf ihrem Gesicht spiegelten
sich Anspannung, Unsicherheit und Glück wider.
„Ich fühle mich …” begann Marcia, dann
umarmte sie Quentin plötzlich so stürmisch, als
würde er nach Südamerika fahren und nicht bloß
in die Gatineau-Hügel.

Quentins Herz hämmerte wild. Er presste Mar-

cia an sich und küsste sie leidenschaftlich und
dankbar zugleich. Hingebungs

voll erwiderte sie den Kuss.
Da wurde der Schlüssel im Türschloss gedreht.

Quentin blickte auf, ließ Marcia jedoch nicht los,
und sie hielt sich an ihm fest, als wäre er ihre ein-
zige Stütze.

Lucy kam herein und rief übertrieben. überras-

cht: „Hallo, Quentin, wie schön, dich zu sehen.”

Marcia trat einen Schritt zurück, ihre Wangen

waren so rot wie ihr Kleid. „Er wollte gerade
gehen.”

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„Der Film war schrecklich”, berichtete Lucy.

„Deshalb sind wir früher gegangen.”

Troy blickte amüsiert von Quentin zu Marcia.

„Bleib doch noch ein bisschen,

Quentin. Wie geht es Chris?”
„Er ist vor wenigen Minuten eingeschlafen”, in-

formierte Marcia ihn. „Wir haben ihm noch mal
ein Fläschchen gegeben, weil er hungrig zu sein
schien. Ich hoffe, das war richtig.”

„Wenn es hilft, ist es auch richtig”, meinte Troy,

der Kinderarzt.

Quentin war nicht in der Stimmung für Ge-

plauder über Filme und zahnende Babys. „Ich
fahre jetzt ins Landhaus zurück”, verkündete er.
„Morgen rufe ich dich an, Marcia. Mach’s gut.”
Er küsste sie auf den Mund und ging hinaus.

Als Quentin die Treppe hinunter eilte, pfiff er

vor sich hin: Dass er Marcia liebte, stand außer
Frage. Ob sie ihn liebte, war nicht sicher. Den-
noch fühlte er sich viel zuversichtlicher als noch
vor vierundzwanzig Stunden. Und das war ihm
fürs erste genug.

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Am Sonntag ging Marcia morgens mit den Hun-

den spazieren. Als sie zurückkam, blinkte das
Lämpchen am Anrufbeantworter. Sie drückte auf
den Startknopf, und Quentins Stimme erklang.

„Marcia, ich hasse diese Maschinen, da ich im-

mer befürchte, sie unterbrechen mich mitten im
Wort, bevor ich alles gesagt habe. Gleich fahre
ich mit dem Kanu über den See, weil ich so in-
tensiv von dir geträumt habe, dass ich mich un-
bedingt körperlich abreagieren möchte. Später
rufe ich dich noch mal an. Könnten wir heute
abend zusammen essen? Auf Wiedersehen. Ach,
zum Kuckuck, von wem verabschiede ich mich
eigentlich, wenn ich auf den Anrufbeantworter
spreche? Du bist ja nicht mal da.

Ich liebe dich.”
Marcia hob Artie hoch, drückte ihn an sich und

setzte ihn dann wieder auf den Boden. „Bin ich in
Quentin verliebt?” fragte sie laut. „Mit Paul oder
Lester habe ich mich ganz anders gefühlt.”

Artie bellte. Tansy winselte. Marcia schob eine

CD mit Opernarien in den CD-Spieler und sang

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mit, während sie das Haus aufräumte und ihre
Sachen packte. Sie duschte und zog die neue
Jeans und die Seidenbluse an, dazu trug sie den
mexikanischen

Gürtel

und

die

silbernen

Türkisohrringe. Sie legte mehr Make-up auf als
üblich und bürstete sich das Haar. Nicht schlecht,
dachte Marcia zufrieden, als sie sieh im Spiegel
betrachtete.

Ob die neue Bluse Quentin gefiel? Was war

schon dabei, mit ihm zu Abend zu essen? Vor
sich hin summend, bereitete Marcia einen Salat
und wünschte sich, Quentin würde wieder an-
rufen. Er war mit dem Kanu schon lange
unterwegs.

War es ein Zeichen von Liebe, sich Sorgen um

jemand zu machen? War sie in Quentin verliebt?

Jedenfalls hatten sie beide noch eine Ei-

genschaft gemeinsam: Ungeduld. Auch Marcia
hasste es, zu warten.

Tansy raste im kleinen Garten herum, und Artie

saß neben der Sonnenuhr und sah zu. Ich gehe mit
den beiden noch mal spazieren, um die Zeit zu

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vertreiben, bis Quentin endlich anruft, beschloss
Marcia.

Sie nahm die Leinen und ging in den Garten.

Wie üblich drehte Tansy fast durch bei der Aus-
sicht auf einen Spaziergang.

Die Sonne schien, und Marcia fühlte sich über-

schwänglich glücklich. Sie schlenderte ziellos
dahin und entwirrte gelegentlich die Leine von
dem jeweiligen Objekt, um das Tansy sie gewick-
elt hatte. Artie trottete gelassen an Marcias Seite.

Nach einer halben Stunde machte Marcia sich

auf den Rückweg. Da sie mehr an Quentin dachte,
als auf die Umgebung zu achten, übersah sie die
riesige Dogge, die neben ihrer eleganten Besitzer-
in auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand.
Doch Tansy entdeckte den anderen Hund, und
ihre Augen leuchteten förmlich auf.

Mit einem Satz stürmte sie vorwärts. Marcia

verlor das Gleichgewicht und kam ruckartig aus
ihrem Tagtraum in die Wirklichkeit zurück. Sie
stolperte seitwärts und hielt sich an einem
Laternenpfahl fest, aber die Leine wurde ihr aus

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der Hand gerissen. Entsetzt sah Marcia, wie
Tansy auf die Straße lief. „Tansy!” rief sie.

„Komm sofort her.”
Mit quietschenden Bremsen kam eine schwarze

Limousine am Zebrastreifen zum Stehen. Allerd-
ings nicht rechtzeitig genug. Wie in Zeitlupe sah
Marcia Tansy durch die Luft fliegen und mit
einem dumpfen Aufprall auf dem Asphalt landen.
Eine Sekunde lang war Marcia wie gelähmt, dann
versicherte sie sich, dass kein anderes Auto kam,
und lief auf die Straße, wobei sie Artie mit sich
zog.

Tansy lag da, die Augen geschlossen. An der

Flanke hatte sie eine blutende Wunde.

Marcia nahm den Hund vorsichtig auf die Arme.
Der Besitzer der Limousine stieg aus. Er sah so

typisch britisch aus, wie Marcia sich Quentin vor
der ersten Begegnung vorgestellt hatte. „Es tut
mir wirklich leid, aber ich konnte nicht mehr
rechtzeitig stoppen”, entschuldigte er sich. „Kom-
men Sie, ich bringe Sie zur Tierklinik. Die ist nur
wenige Straßen entfernt.”

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„Danke”, sagte Marcia stockend. „Hoffentlich

werden die Polster nicht schmutzig.”

„Bitte sehr.” Höflich hielt er ihr die Tür auf.
Zehn Minuten später kümmerte sich bereits die

Tierärztin in der Klinik um Tansy.

Marcia saß, mit Artie auf dem Schoß, im

Warteraum.

Nach zwanzig Minuten kam die Tierärztin

zurück. „Dem Hund ist nicht viel passiert”, ber-
uhigte sie Marcia: „Er hat eine Gehirnerschütter-
ung, deshalb behalte ich ihn bis morgen zur Beo-
bachtung hier. Die Wunde ist genäht worden. Es
gibt keine Knochenbrüche oder innere Verletzun-
gen. Tansy hat noch mal Glück gehabt.”

Marcia atmete auf, bezahlte die Rechnung und

gab Catherines Adresse und Telefonnummer an.
Dann fuhr sie mit dem Taxi zu ihrer Schwester.

Ein gelber Sportwagen stand vor dem Haus, und

Quentin saß auf den Stufen vor der Tür. Er stand
auf und kam Marcia entgegen. Plötzlich blieb er
unvermittelt stehen und fragte: „Marcia, was ist
passiert? Deine Bluse ist voller Blut.”

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„Ja, von Tansy. Sie ist in ein Auto gelaufen”,

erklärte Marcia und begann zu zittern.

„Ach, Liebste”, sägte Quentin in einem Ton,

den sie noch nie vorher bei ihm gehört hatte.
„Warte, gib mir den Hausschlüssel - undArtie.”

Er legte den Arm um sie und führte sie ins Haus.

Als sie sich im Flur in dem großen Wandspiegel
sah, erschauerte sie.

„O nein”, jammerte Marcia. „Ich habe die Bluse

erst vor kurzem gekauft. Nun ist sie völlig
ruiniert.”

„Um Himmels willen, es ist doch nur eine

Bluse. Einen schrecklichen Augenblick lang
glaubte ich vorhin, es wäre dein Blut.”

Quentin sah - wie sie geistesabwesend feststellte

- tatsächlich blass aus. Marcia rang die Hände.
„Wie soll ich das bloß Catherine erklären? Es war
allein meine Schuld. Ich dachte an etwas anderes,
und Tansy rannte auf die Straße und wurde
angefahren.”

„Ist sie schlimm verletzt?”

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„Nein, es wird ihr bald wieder gutgehen. Aber

ich bin für den Unfall verantwortlich, verstehst du
nicht?”

.
Marcia sah wirklich verzweifelt aus. Behutsam

sagte Quentin: „Tansy ist ein absolut idiotischer
Hund, und du müsstest schon Superwoman sein,
um sie unter Kontrolle zu halten.”

„Ich sagte, ich würde auf sie aufpassen. Und das

habe ich nicht getan.”

Er war sich nicht sicher, worauf sie hinauswoll-

te. Beruhigend legte er ihr die Hand auf die
Schulter, aber Marcia wich vor ihm zurück. „Mar-
cia, worum geht es eigentlich wirklich? Unfälle
passieren nun mal, und wir machen alle gelegent-
lich Fehler. Du bist auch nur ein Mensch. Und
was die Verantwortung betrifft, die liegt genauso
bei Tansys Besitzerin, die den Hund nicht richtig
erzogen hat. Sogar bei Catherine, weil sie dich
nicht gewarnt hat, auf was du dich mit Tansy
einlässt.”

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Marcia wich noch weiter zurück, als wäre

Quentin ihr Feind. „Ich bin verantwortlich”,
wiederholte sie, und plötzlich liefen ihr Tränen
über die Wangen.

Quentin ertrug es nicht, sie weinen zu sehen. Er

ging zu ihr, hob sie auf die Arme und ging zur
Treppe.

„Was machst du?” rief Marcia durchdringend.
„Ich bringe dich nach oben, lasse dir ein Bad

ein, und dann wasche ich deine Bluse in der
Küche.”

Sie trommelte ihm mit den Fäusten gegen die

Brust. „Ich will nicht, dass du das Kommando in
meinem Leben übernimmst, mir sagst, was ich zu
tun habe, und dich dauernd einmischst. Hörst du?
Lass mich sofort runter!”

„Nein”, entgegnete Quentin. „Hör auf, mich zu

schlagen!”

„Lass mich runter, dann höre ich auf.”
„Dieses eine Mal wirst du tun, was ich sage, und

nicht, was du willst. Das ist eine neue Erfahrung

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für dich, Marcia. Es wird dir guttun. Autsch, das
hat mir weh getan.”

„Prima”, erwiderte sie aufgebracht, als er sie im

Bad absetzte. „Geh nach Hause, Quentin. Ich will
dich nicht hier haben.”

Ihm wurde plötzlich eiskalt. „Das meinst du

nicht ernst.”

„Doch. Seit vielen Jahren kümmere ich mich um

mich selbst. Ich brauche dich nicht.”

„Wenn du das ganz ehrlich meinst, gehe ich”,

erklärte er eisig. „Und ich komme nicht zurück.
Nie mehr.”

Statt wütend sah Marcia plötzlich geschockt aus.

Ihr Gesicht war so weiß wie die Wand. Aber
Quentin war zu weit gegangen, um einen Rück-
zieher zu machen. Scharf sagte er: „Bei Liebe ge-
ht es nicht nur um schöne Stunden, sondern auch
um Krisen, Unfälle und Verluste. Darum, dass
zwei Menschen teilen, was immer ihnen
geschieht. Weil sie dadurch beide stärker werden.
Weil sie einander brauchen … Aber wenn du
mich nicht an dich heranlässt, ist alles sinnlos.”

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Wie er ohne Marcia leben sollte, daran wollte er

nicht denken.

Unzusammenhängend sagte sie: „Das ist

Erpressung.”

„Wenn du es so ansiehst, gehe ich. Für immer.”
Sie fing zu weinen an und setzte sich auf den

Rand der Badewanne. „Du verstehst mich nicht,
Quentin. Ich war für Tansy verantwortlich. Sie
hätte getötet werden können. Ich kann es nicht er-
tragen, Quentin, ich kann es einfach nicht.”

Er kniete sich vor Marcia. Ihr Gesicht war trän-

enüberströmt, und er war sich sicher, dass soviel
Kummer nicht mit Tansy zusammenhing. Oder
ihm. „Was kannst du nicht ertragen?” fragte
Quentin sanft.

Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter.

„Mein Vater starb, als ich fünf Jahre alt war”,
erzählte Marcia leise. „Im Kindergarten war dam-
als ein kleiner rothaariger Junge mit mir zusam-
men. Kevin Meade. Ich konnte ihn nicht aus-
stehen. Er zog mich immer an den Haaren und
warf meine Sachen in Pfützen. Er behauptete, es

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sei meine Schuld gewesen, dass mein Vater starb.
Als Strafe, weil ich auf dem Heimweg vom
Kindergarten Äpfel aus einem Garten geklaut
hatte. Ich wusste, dass man nicht stehlen darf, de-
shalb glaubte ich Kevin. Ich war ein böses Mäd-
chen gewesen, deswegen war mein Vater
gestorben. Es war alles meine Schuld.”

Quentin stellte sich Marcia als kleines Mädchen

vor, das über einen Zaun kletterte und einen re-
ifen roten Apfel vom Baum pflückte. „Warum
hast du nicht mit deiner Mutter darüber geredet?”
fragte er.

„Sie ging weg, als Daddy starb. Nicht in Wirk-

lichkeit, aber es schien, als wäre sie innerlich völ-
lig abwesend. Ich dachte, auch das sei meine
Schuld.” Marcia blickte Quentin an. Ihre Augen
waren vom Weinen gerötet. „Ich weiß, dass das
unsinnig klingt. Aber ich war ja erst fünf.”

„Eigentlich hast du damals beide Eltern

verloren.”

Groß sah sie Quentin an. „Damit hast du irgend-

wie recht. Und ich konnte nicht mit meinen

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Schwestern reden, denn Lucy war erst drei und
Catherine noch ein Baby.

Also versuchte ich, besonders brav zu sein,

damit nicht wieder etwas Schlimmes passierte.
Ich war immer die Beste in der Schule und habe
nie mehr etwas angestellt.”

Endlich wusste Quentin, woher Marcias wider-

sprüchlicher Charakter rührte. Sie hatte gelernt,
sich stets zu beherrschen, um kein Unheil
anzurichten.

Marcia wischte sich die Tränen von den Wan-

gen. „Ich wurde natürlich Ärztin; weil das in un-
serer Familie Tradition ist. Nur Lucy ist keine ge-
worden, aber sie hat immerhin einen Arzt geheir-
atet. Ich machte alles richtig. Ich bekam
Auszeichnungen während des Studiums, machte
einen glänzenden Abschluss, schrieb Veröffent-
lichungen über ineine Forschungen, die viel
Aufmerksamkeit erregten, und war Vortragende
bei Tagungen. Erst nachdem Lucys erster Sohn
gestorben war - und seit ich dich kenne - habe ich
allmählich gemerkt, wie unglücklich ich bin und

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wie leer mein Leben ist. Das eine Bild von dir bei
der Vernissage, das mich zum Weinen gebracht
hat, drückte alle Empfindungen aus, die ich mir
nie erlaubt hatte zu fühlen.”

„Kein Wunder, dass du geweint hast.”
Marcia rieb die Wange an seiner Brust.

„Merkwürdig, aber mir ist jetzt viel leichter zu-
mute, weil ich dir alles erzählt habe.”

„Gut”, sagte Quentin sachlich, obwohl er sich

ihrer Nähe und Wärme überdeutlich bewusst war.

„Ich brauche dich”, fügte Marcia unvermittelt

hinzu. „Aber was, wenn ich dich brauche und du
nicht da bist?”

„Marcia, ich werde, soweit es mir irgendwie

möglich ist, immer für dich da sein”, schwor er
ihr.

„Jetzt weine ich wieder”, flüsterte sie und

lächelte ihn unter Tränen so liebevoll an, dass
sein Herz einen Schlag lang auszusetzen schien.
„In ungefähr einer Stunde kommt Catherine nach
Hause. Was machst du hier überhaupt, Quentin?

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Ich dachte, du wärst weit weg auf dem See, im
Zwiegespräch mit der Natur.”

„Als ich von meinem Ausflug zurückkam, hier

anrief und wieder nur den blöden Anrufbeant-
worter erreichte, beschloss ich, in die Stadt zu
fahren. Um dich zu sehen.” Er stand auf, stöpselte
die Wanne zu und ließ heißes Wasser einlaufen.
Dann begutachtete er die Kosmetika auf der
Ablage, öffnete eine Flasche Badezusatz und goß
eine großzügige Portion in die Wanne.

„Das ist Catherines Lieblingsschaumbad - und

schrecklich teuer”, protestierte Marcia.

„Dafür, dass du auf die Hunde aufgepasst hast,

schuldet sie dir einen Gefallen”, erwiderte
Quentin und goss noch etwas nach.

Marcia lachte. „Vor lauter Schaum wirst du

mich nicht mehr sehen können.”

„O doch”, widersprach er und knöpfte ihre

Bluse auf. Marcia errötete zart. Sein Herz pochte
so wild, als würde er mit dem Kanu über Strom-
schnellen fahren. Er zog die Bluse aus dem
Hosenbund und streifte sie Marcia von den

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Schultern. Ihre Haut war so glatt und weich wie
Seide. Heiser sagte Quentin: „Ich würde dich gern
so malen - weil mir die Worte fehlen, um dir zu
sagen, wie wunderschön du bist.”

Er Süßte Marcia leidenschaftlich, und sie er-

widerte den Kuss hingebungsvoll.

Quentin streichelte ihre Schultern, die Arme und

den Rücken, dann schmiegte er den Kopf an ihre
Brust. Marcia presste ihn an sich und streichelte
das dichte dunkle Haar. Süße, nie gekannte Em-
pfindungen erfüllten sie. Wahre Gefühle, dachte
Marcia verwirrt. Echte Gefühle.

Plötzlich spürte sie etwas am Rücken und sah

sich um. „Gleich gibt es hier eine Überschwem-
mung”, sagte sie und lachte. Der Schaum stieg
schön über den Wannenrand.

Quentin fluchte und drehte das Wasser ab. Mar-

cia stand auf. Sie sah so zauberhaft aus, dass er
zugleich Zärtlichkeit und Verlangen empfand.

„Ich gehe jetzt lieber raus, sonst schlafe ich

noch mit dir auf der Badematte.”

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Er war schon fast draußen, da sagte Marcia:

„Danke, Quentin.”

Sie stand da, von Dampf umhüllt, eine zierliche,

schlanke Frau in Jeans und BH, die ihm mehr
bedeute als jemals ein anderer Mensch. Er nickte
ihr nur zu, ging in die Küche und weichte die
Seidenbluse in kaltem Wasser ein. Ich sollte mich
auch kalt duschen, dachte er selbstironisch und
blickte hinaus auf Catherines Vorgarten.

Dass Troy Marcia das Bild mit den drei kleinen

sorglosen

Mädchen

geschenkt hatte,

freute

Quentin. Sie hatte diese Sorgenfreiheit viel zu
früh verloren, und es hatte fast dreißig Jahre
gedauert, bis sie sich das eingestehen konnte.
Machte er sich etwas vor, wenn er glaubte, dass
sie erst dann ganz sie selbst würde, wenn sie mit
ihm schlief?

Eine halbe Stunde später kam Catherine nach

Hause. Artie bellte zur Begrüßung.

Catherine umarmte Marcia flüchtig und meinte:

„Sag bloß, du hast Tansy abgewöhnt, jeden ver-
schlingen zu wollen, der an die Haustür kommt.”

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„Nein, Tansy ist in der Tierklinik”, erwiderte

Marcia und berichtete, was passiert war. Quentin
fiel auf, dass ihre Stimme dabei zittrig klang.

Sorglos erwiderte Catherine: „Das wundert mich

gar nicht. Ich sagte dir doch, dass bei dem Hund
eine Schraube locker ist.”

„Du hast mich nicht gewarnt, wie ungezogen

Tansy ist.”

„Mach doch nicht so ein Drama daraus, Marcia.

Ich bin froh, dass es Tansy halbwegs gut geht.
Aber du brauchst dir nicht die Schuld an dem Un-
fall zu geben. Ich erstatte dir natürlich das Geld
für die Behandlung zurück.”

Catherine ahnte nicht, was der Vorfall für Mar-

cia bedeutet hatte.

Ruhig fragte Marcia: „Wie war’s denn in New

York?”

Begeistert beschrieb Catherine die Theater-

stücke, die sie gesehen hatte.

Schließlich meinte Marcia: „Jetzt muss ich ge-

hen. Ich bin nämlich müde. Freut mich, dass du
eine schöne Zeit hattest.”

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„Danke für alles. Ich lade dich zum Dank dem-

nächst in das Restaurant ein, von dem alle
schwärmen. Tschüs, Quentin.”

Quentin folgte Marcia den Gartenweg entlang,

wobei er ihren Koffer trug. Er ärgerte sich über
Catherines lässige Einstellung und war erstaunt,
wie unterschiedlich die drei Schwestern waren.

Nachdem er den Koffer auf dem Rücksitz von

Marcias Auto verstaut hatte, richtete Quentin sich
auf. Sein Gefühl sagte ihm, bei ihr zu bleiben und
sie zu trösten.

Vielleicht gestand sie ihm dann ja endlich, dass

sie ihn liebte? Sein Verstand sagte ihm allerdings,
sie jetzt allein zu lassen, damit sie über das Ges-
chehene nachdenken konnte. Ausdruckslos fragte
Quentin: „Kommst du allein klar, Marcia? Ich
sollte jetzt ins Landhaus zurückfahren.”

Sie sah erleichtert aus. Quentin biss die Zähne

zusammen. Würde jemals der Tag kommen, an
dem sie mit ihm immer Zusammensein wollte?

„Troy und Lucy möchten uns am Dienstag zum

Essen einladen”, sagte Marcia.

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„Hättest du Lust?”
Zwei lange Tage, bevor er sie wiedersah. „Wenn

das dein bestes Angebot ist”, sagte Quentin.

Mit einem Anflug von Verzweiflung erwiderte

sie: „Am Freitag lasse ich dich

wissen, ob ich zu dir ins Landhaus ziehe. Das

verspreche ich dir.” Impulsiv umfasste sie sein
Gesicht und strich ihm mit den Fingerspitzen zärt-
lich über die Wangen, die Nase, die Brauen und
die Fältchen in seinen Augenwinkeln.

Es ist fast so, dachte Quentin, als würde sie

mich zum ersten Mal richtig wahrnehmen. Als
wolle sie sich sein Gesicht einprägen. Er fragte
sich, ob er je vorhersehen würde, was Marcia als
nächstes tat. „Ich will nicht verreisen”, meinte er
rau.

Scheu sah sie ihn an und küsste ihn auf den

Mund. „Ich sehe dich also am Dienstag. Troy und
Lucy erwarten uns um sieben Uhr.”

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8. KAPITEL

Am nächsten Morgen stellte Quentin eine Lein-

wand auf die Staffelei und begann zu malen,
wobei er sich immer wieder die Familienfotos bei
Lucy ins Gedächtnis rief.

Zwei Tage lang malte er fast pausenlos. Am Di-

enstag war das Bild nachmittags fertig.

Als er in die Stadt fuhr, nahm er es mit. Behut-

sam trug er es zu Marcias Tür und klingelte.

Marcia öffnete. Sie trug das rote Kleid und

große goldene Ohrringe. Quentin schluckte müh-
sam. „Das habe ich für dich gemalt”, sagte er.

Sie strahlte. „Ein Bild? Für mich?”
„Vorsicht, die Farbe ist noch nicht trocken.

Kann ich es irgendwo abstellen?”

Marcia führte ihn ins Wohnzimmer und wies auf

die Kommode. Quentin stellte das Bild darauf und
trat einen Schritt zurück. Schweigend betrachtete
Marcia es.

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Im Mittelpunkt stand eine Frau in einem roten

Kleid: sie selbst. Im dunklen Hintergrund waren
die Gesichter ihrer Mutter und ihres Vaters zu
erkennen und schattenhaft ein kleiner rothaariger
Junge, in einer Ecke ein kleines Mädchen. Das
war auch sie. Die Frau im Mittelpunkt wirkte
schön und anmutig.

Leise fragte Marcia: „Werde ich jemals wie die

Frau auf dem Bild sein, Quentin?”

„Ich glaube, das bist du schob.”
„Das ist das schönste Geschenk, das ich jemals

bekommen habe”, sagte sie ernst.

„Du hast mir mich selbst geschenkt - und dich

dazu.” Denn es war offensichtlich - wie sie sofort
erkannt hatte -, dass der Maler sein Modell liebte.

Sie wandte sich ihm zu und lächelte ihn strah-

lend an. „Du hast den Anzug an”, stellte sie fest.
„Ich fühle mich geschmeichelt. Und weißt du
was? Wenn du nicht bei mir bist, kann ich kaum
glauben, dass deine Augen wirklich so unglaub-
lich blau sind. Und dass du so viel Sex-Appeal
hast …”

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„Liebste Marcia, versuchst du, mich zu

verführen?”

Nervös antwortete sie: „Ich bin aus der Übung.

Ach was, wem will ich etwas vormachen? Ich
habe nie Übung gehabt. Um auf deine Frage
zurückzukommen: Ja, ich glaube, ich will dich
verführen.”

„Deine Methode ist Wunderbar, aber der Zeit-

punkt ist schlecht gewählt. Wir werden nämlich in
fünf Minuten von Lucy und Troy erwartet.”

Marcia meinte zögernd: „Du liebst mich wirk-

lich. Oder, Quentin?”

„Davon versuche ich dich zu überzeugen, seit

ich dich kenne. Und wenn ich alt und zu rheumat-
isch bin, um einen Pinsel halten zu können, werde
ich dich immer noch lieben.”

„Wenn du mich so ansiehst”, sagte sie und

lächelte verlegen, „möchte ich dir den Anzug vom
Körper reißen und dich ins nächste Bett zerren.”

„Bedien dich”, sagte Quentin und hob sie hoch

wie ein kleines Kind. Er lachte. „Ich werde es
genießen, von dir verführt zu werden.”

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„He, wir kommen zu spät”, protestierte sie.
„Küss mich”, befahl er und ließ sie wieder

runter.

Als sie ihn hingebungsvoll küsste, durchflutete

ihn heißes Verlangen. Quentin hob den Kopf.
„Ruf Lucy an und sag ihr, dass uns nach ganz an-
deren Genüssen als gutem Essen zumute ist.”

„Ich möchte nicht unromantisch klingen, aber

ich habe heute Mittag nichts gegessen”, erwiderte
Marcia schelmisch. „Mir wäre Essen recht.
Vorher.”

„Was ist denn seit Sonntag geschehen?” fragte

Quentin verwundert. „Du bist so anders.”

Heftig antwortete sie: „Ich bin es leid, immer

auf Nummer Sicher zu gehen.

Plötzlich fühle ich mich wie eine Blume, die im

Frühling ans Licht drängt. Vermutlich hängt es
damit zusammen, dass ich dir von meinem Vater
erzählt habe. Jetzt ist mir irgendwie eine Last von
der Seele genommen. Quentin, wir müssen los.
Du kennst ja Lucy, sie vermutet immer gleich das
Schlimmste.”

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„Falls du mit ,dem Schlimmsten’ dasselbe

meinst wie ich, werden sich ihre Vermutungen
bestätigen. So bald wie möglich”, erwiderte er.

Als sie bei Lucy und Troy ankamen, warteten

diese schon. Mit zwei Autos fuhren sie zum Res-
taurant, da Quentin Marcia anschließend nach
Hause bringen wollte.

Im Restaurant gab es eine kleine Tanzfläche und

eine so umfangreiche Speisekarte, dass Marcia
ganz unschlüssig wurde.

„Am liebsten hätte ich von allem ein bisschen”,

meinte sie. „Was nimmst du, Quentin?”

„Fischsuppe, wenn keine Shrimps drin sind. Das

kann mir ja sicher der Kellner sagen. Und dann
Schweinefilet mit Mango.”

Sie bestellten Cocktails, und Marcia entschied

sich endlich für gebackenen Brie und gegrillten
Lachs. Danach führte Quentin sie auf die
Tanzfläche.

Ob er ein guter oder mittelmäßiger Tänzer war,

konnte Marcia nicht sagen, denn sie war sich nur
seiner Nähe und seines festen muskulösen

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Körpers bewusst. Sie wollte, dass der Abend
damit endete, dass sie mit Quentin ins Bett ging,
In seinen blauen Augen stand ein Ausdruck von
Liebe und Verlangen, Erregung durchzuckte Mar-
cia, zugleich auch Panik.

Die Musik verklang. Quentin führte Marcia an

den Tisch zurück, und kurz darauf bat Troy sie
zum Tanz. Während er sie gekonnt über die Tan-
zfläche wirbelte, meinte er amüsiert: „Es sieht
aus, als würde Lucy Quentin einem Ver-
hör unterziehen.”

„Troy”, fragte Marcia unvermittelt, „wusstest du

von Anfang an, dass Lucy die richtige Frau für
dich ist?”

„Ja. Obwohl ich mich zuerst dagegen wehrte. So

wie du dich gegen Quentin wehrst.”

„Das will ich nicht länger tun. Aber ich habe ir-

gendwie noch Angst.”

„Quentin ist absolut aufrichtig, Marcia. Er ist

unser bester Freund, ehrlich und loyal, und das
kann man nicht heucheln. Falls du also meinen
Rat willst, würde ich sagen: Versuch es mit

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Quentin. Die Liebe ist das Schönste auf der
Welt.” Er lächelte sie an. „Übrigens, du gefällst
mir in dem roten Kleid. Die Farbe passt zu dir.”

Marcia wollte noch mehr wissen. „Du bist mit

Lucy seit sechs Jahren zusammen, und ihr wirkt
verliebter denn je. Wird das dauern, Troy? Kann
man einen Menschen ein ganzes Leben lang
lieben?”

„Du stellst aber schwierige Fragen”, erwiderte

Troy und lächelte. „Quentin hat dich völlig aus
dem Konzept gebracht, stimmt’s?”

Sie stolperte. „Quentin und meine Hormone.”
Troy überlegte einen Moment lang. Dann sagte

er: „Wenn Lucy und ich nicht ein ganzes Leben
zusammenbleiben wollten, hätten wir uns damals
nach dem Tod unseres ersten Kinds scheiden
lassen.” Er schnitt ein Gesicht. „Dem sind wir
ohnehin gefährlich nahe gekommen. Aber etwas
hat uns zusammengehalten, etwas, das ich Liebe
nenne* weil mir kein besseres Wort dafür einfällt.
Ich werde Lucy bis ans Ende meiner Tage lieben,

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das spüre ich. Aber ich kann es nicht vernünftig
erklären.”

Da habe ich ja meine Antwort, dachte Marcia.

Troy glaubte an immerwährende Liebe und Lucy
ebenfalls. Wahrscheinlich glaubte auch Quentin
daran. Aber was war mit ihr? War sie zu solcher
Liebe überhaupt fähig?

Der Walzer verklang, und Troy führte Marcia an

den Tisch zurück. „Viel Glück, Marcia”, wün-
schte Troy ihr leise. „Und gib dein Bestes.”

Beim Essen unterhielten sie sich über alles mög-

liche und lachten viel. Marcia amüsierte sich
prächtig. Ihre Panik war verflogen, statt dessen
knisterte es zwischen ihr und Quentin förmlich
vor erotischer Spannung, wenn sie sich nur ansa-
hen oder leicht berührten. Marcia fühlte sich sinn-
lich und lebendig.

Vor dem Dessert ging sie mit Lucy kurz in den

Waschraum. Marcia betrachtete ihre glänzenden
Augen und rosigen Wangen im Spiegel und
erkannte sich kaum wieder.

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„Du siehst phantastisch aus, Marcia”, bemerkte

Lucy. „Du solltest immer strahlende Farben
tragen.”

„Vielleicht tue ich das ab jetzt”, erwiderte Mar-

cia und kämmte sich das Haar.

Da sie beide allein im Waschraum waren, nahm

sie allen Mut zusammen und sagte:

„Darf ich dir eine wirklich persönliche Frage

stellen?”

Stirnrunzelnd betrachtete Lucy ihre Lippen. „Ja,

sicher. Nur zu.”

„Was ich fragen will, ist … ich meine, macht dir

Sex wirklich Freude? Du bist schon mehr als
sechs Jahre verheiratet. Ist es noch immer schön?”
Sie war zu verlegen, um Lucy in die Augen zu se-
hen, deshalb suchte sie in der Tasche nach dem
Lippenstift.

Lucy überlegte kurz. „Es ist nicht immer so hin-

reißend leidenschaftlich, wie Liebesromane uns
glauben machen wollen”, meinte sie schließlich
nachdenklich.

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„Aber man möchte ja nicht immer Orchester-

musik in voller Lautstärke hören, oder?

Sex kann auch freundlich und spielerisch sein -

oder so zärtlich, dass man vor Glück fast zu
vergehen meint. Und manchmal ist es reine, un-
verfälschte Lust.”

Sie lachte unbeschwert. „Vorige Woche haben

Troy und ich uns in der Küche geliebt, während
ich das Abendessen zubereitete. Die Karotten
brannten an, der Brokkoli verkochte zu Püree,
und wir haben uns schließlich chinesisches Essen
liefern . lassen.” Lucy erwärmte sich offensicht-
lich für das Thema. „Es ist wie bei allem im
Leben - man bekommt, was man gibt. Manchmal,
wenn Troy viel zu tun hat, treffen wir eine
richtige Verabredung und freuen uns den ganzen
Tag lang auf unser Zusammensein. Und dann ist
es besonders schön. Weißt du, wir lieben uns
nicht nur, wir vertrauen einander völlig, Marcia.
Wir können uns auf den anderen verlassen.”

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Lucy trug Lippenstift auf. „Ich rede zuviel”,

meinte sie dann selbstkritisch. „Hat es dir wenig-
stens irgendwie geholfen?”

„Ich … ich glaube schon.”
„Manchmal muss man einfach den Sprung ins

kalte Wasser wagen”, verkündete Lucy.

„Schwimmen oder untergehen”, fügte Marcia

hinzu und lächelte ihre Schwester im Spiegel an.

„Ja, man muss nun mal was riskieren im

Leben”, meinte Lucy, eindringlich. „Weis
Quentin nicht ab, nur weil du Angst vor Gefühlen
hast, Marcia. Das wäre das Schlimmste, was du
tun könntest. So, jetzt bin ich still. Troy sagt mir
ständig, dass ich mich zuviel einmische.” Sie be-
trachtete sich und sagte beiläufig: „Meine Frisur
ist katastrophal. Ich muss mal wieder zum
Friseur. Gehen wir?”

Als sie an den Tisch zurückkamen, saß Troy al-

lein dort. Er rückte Lucy den Stuhl zurecht und
erklärte: „Quentin geht es schlecht. Für die Fis-
chsuppe wurde nämlich Brühe aus Krabben ver-
wendet, was der Kellner nicht wusste. Quentin ist

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gerade gegangen. Er kennt die Symptome seiner
Allergie und meint, er komme allein klar. Ich
bringe dich dann nach Hause, Marcia.”

„Will er etwa zum Landhaus zurückfahren?”

fragte Marcia bestürzt.

„Ja. Ich habe ihm angeboten, in unserer

Wohnung zu übernachten, aber er wollte nicht.”

„Wie lang ist er schon weg?”
„Erst wenige Minuten. He, wohin willst du,

Marcia?”

„Ich versuche, ihn noch im Parkhaus zu erwis-

chen. Er soll zu mir kommen, nicht den weiten
Weg zum Landhaus fahren. Wenn ich Quentin
verpasse, bin ich gleich wieder da.” Sie eilte
hinaus.

Quentin hatte das Auto in einer Tiefgarage jen-

seits der Straße abgestellt. Marcia lief hinüber.

„Ist ein Mann in einem gelben Sportwagen

gerade weggefahren?” erkundigte sie sich atemlos
bei dem jungen Mann in der Kabine an der
Schranke.

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„Nein, in der letzten Viertelstunde ist überhaupt

niemand weggefahren.”

„Und das hier ist die einzige Ausfahrt?”
„Ja.” Neugierig betrachtete der junge Mann

Marcia.

Also warte ich am besten hier, dachte sie. Da

hörte sie das Brummen eines Motors, trat beiseite
und sah, dass sich Quentins Auto näherte. Als er
an der Schranke anhielt und das Fenster öffnete,
nahm sie Quentin den Parkschein ab, reichte dem
jungen Mann fünf Dollar und sagte zu Quentin:
„Rutsch rüber. Wir fahren in meine Wohnung.”

Er sah schrecklich blass aus, und feine Sch-

weißperlen bedeckten seine Stirn. „Ich will dir
nicht zumuten, mich …”

„Dann fahre ich dich zum Landhaus.”
Der junge Mann hielt ihr das Wechselgeld hin.

Sie nahm es und sagte ungeduldig:

„Also, Quentin, zu dir oder zu mir?”
Quentin umklammerte das Steuer und verzog

vor Schmerzen das Gesicht. Als er wieder

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sprechen konnte, sagte er: „Ich bin allein besser
dran. Ich will nicht, dass du …”

„Du brauchst mich jetzt”, unterbrach sie ihn

heftig.

„Ich lasse niemals jemanden …”
„Dann wirst du das ändern. Ich habe mich ja

auch verändert, seit wir uns kennen”, rief sie un-
überlegt. „Und ich bin Ärztin, vergiss das nicht”,
fügte sie ruhiger hinzu.

Quentin wischte sich über die Stirn. „Warum

verschwindest du nicht einfach?”

„Darum nicht.”
„Dann steig, um Himmels willen, ein”, er-

widerte er schroff und rutschte auf den
Beifahrersitz.

Marcia stieg ein. Während sie den Rückspiegel

für sieh ein stellte, sagte Quentin boshaft: „Du
hast gewonnen. Wie fühlst du dich jetzt?”

„Wenn du mich dafür hasst, dass ich gewinne,

verlieren wir beide.”

„Eine kluge Antwort”, spottete Quentin.

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Sie fuhr los, glücklicherweise ohne den Motor

abzuwürgen. „Du bist genauso schlimm wie ich”,
warf sie Quentin vor. „Du lässt auch niemanden
an dich heran.”

„Ich bin ein Mann und …” Plötzlich umklam-

merte er seine Taille mit den Armen und beugte
sich vor. „Bring mich schnellsten zu deiner
Wohnung, okay?”

Auf dem kürzesten Weg fuhr Marcia zu ihrem

Apartment.

Quentin

lehnte,

die Augen

geschlossen, im Sitz. Mit einer Hand umklam-
merte er den Sicherheitsgurt so fest, dass die
Knöchel weiß hervortraten.

„Nur noch zwei Blocks”, sagte Marcia sachlich.

„Sag mir, mit welchen Symptomen ich rechnen
muss.”

„Zuerst habe ich scheußliche Krämpfe”, mur-

melte er. „Dann muss ich mich stundenlang
übergeben. Das ist kein Vergnügen.”

Sie parkte vor dem Haus, stieg aus und versper-

rte die Fahrertür. Quentin war schon ausgestiegen

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und versuchte, sich aufzurichten. Er schwankte.
Rasch packte Marcia ihn beim Arm.

„Tut mir leid, Doktor”, sagte Quentin sarkas-

tisch. „Ich habe eben die Schwindelanfälle zu er-
wähnen vergessen.”

„Los jetzt, Quentin.”
Sie stützte ihn, bis sie in der Wohnung waren.

Dort eilte er sofort ins Bad und schloss die Tür.
Marcia ging ins Schlafzimmer, zog sich etwas
Bequemes an und bezog das Bett frisch.

Dann ging sie zum Bad. Sie hörte, dass Quentin

sich übergab, und kam sich nutzlos vor, weil sie
ihm nicht helfen und seine Schmerzen lindern
konnte. Nervös lief sie im Flur hin und her, dann
begab sie sich in die Küche und machte sich eine
Tasse Kaffee, die sie dann doch nicht trank. Sch-
ließlich ging Marcia wieder zum Bad. Drinnen
war es still. Erschrocken rief sie Quentins Namen.

Seine Antwort schien von weit her zu kommen.

„Keine Sorge, mir geht es gut.”

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Danach klang es allerdings nicht. Marcia wollte

die Tür öffnen, aber sie war versperrt. „Quentin,
lass mich rein”, forderte Marcia ihn wütend auf.

„Nein, ich brauche hier drin noch Stunden, und

du kannst ohnehin nichts für mich tun. Fahr ruhig
wieder ins Restaurant. Ich kann mich um mich
selbst kümmern.”

Dasselbe hatte Marcia erst vor wenigen Tagen

zu ihm gesagt -und er hatte daraufhin gedroht, sie
zu verlassen.

Das funktioniert auch umgekehrt, dachte sie

nachtragend. „Spiel nicht den starken Mann, son-
dern mach endlich auf”, rief sie und rüttelte an der
Klinke.

Plötzlich wurde die Tür so rasch geöffnet, dass

Marcia fast das Gleichgewicht verloren hätte.’ Sie
stolperte ins Bad. Quentin lehnte, aschgrau im
Gesicht, an der Wand.

„Geh doch weg, Marcia. Ich habe keine Kraft,

um mit dir zu streiten.”

Er sah so krank aus, dass ihr Zorn sich ver-

flüchtigte. Aber sie wusste, dass sie für ihr und

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Quentins Glück kämpfte, deshalb gab sie nicht
nach „Ich bin Ärztin”, erwiderte sie kurz ange-
bunden. „Ich falle schon nicht in Ohnmacht, wenn
du nicht perfekt aussiehst. Außerdem hast du mir
erst vor kurzem gesagt, du würdest gern dein
Leben mit mir verbringen. Meintest du damit nur
die guten Zeiten, Quentin? Oder wirklich dein
ganzes Leben, in guten wie in schlechten Tagen,
in Gesundheit und Krankheit?”

„Du kannst momentan nichts für mich tun, Mar-

cia. Geht das nicht in deinen Sturschädel?”

Obwohl der Zorn in seiner Stimme sie zurück-

zucken ließ, blieb Marcia standhaft.

„Ich kann wenigstens bei dir sein”, erwiderte

sie.

„Du weißt nicht, wann du aufgeben musst,

oder?” fragte Quentin.

Das klang - wie Marcia fand - nicht nach einem

Kompliment. „Möchtest du denn, dass ich
aufgebe?”

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„Was für eine höllisch komplizierte Frage”,

sagte er stockend. Dann änderte sich sein Aus-
druck. „Verschwinde.”

Sie gehorchte. Aber als Quentin das Schlimmste

überstanden hatte, ging sie wieder ins Bad. Er saß
auf dem Rand der Badewanne, den Kopf auf die
Hände gestützt. Sein Haar war feucht, und er zit-
terte. Marcia holte einen Pullover, den sie vor
Jahren gestrickt hatte, und legte ihn Quentin um
die Schultern.

Dann umarmte sie ihn, um ihn zu wärmen. Er

stieß sie nicht weg, zog sie aber auch nicht näher
an sich. „Soviel zum romantischen Ausklang des
Abends”, meinte er undeutlich.

„Quentin”, sagte Marcia nachdrücklich, „wenn

du noch willst, schlafen wir miteinander. Allerd-
ings nicht heute nacht. Aber bald.”

Er sah sie an, dunkle Schatten lagen unter seinen

Augen. „Wenn ich noch will? Ich kann mir nicht
vorstellen, dass ich je aufhöre, dich zu begehren.
Ich liebe dich doch so sehr.”

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Dass er in seinem elenden Zustand nur die

Wahrheit sagen konnte, dessen war sich Marcia
sicher. Quentin meinte es also völlig ernst mit ihr.
Befangen fragte sie: „Warum finden unsere ver-
trautesten Momente eigentlich immer im Bad
statt?”

„Wenn ich erst wieder auf dem Damm bin,

ändere ich das sofort.”

„Das Schlafzimmer wäre tatsächlich bequemer”,

neckte sie. „Und jetzt befehle ich dir als Ärztin,
viel zu trinken, damit du nicht völlig austrock-
nest.” Sie ließ ihn allein.

Die Nacht zog sich hin. Allmählich schien es

Quentin besser zu gehen, und schließlich hörte
Marcia, wie er sich das Gesicht wusch und
gurgelte. Dann kam er aus dem Bad, wobei er
sich mit einer Hand an der Wand abstützte.

„Auch wenn es meinen Ruf als starker Mann

verdirbt, muss ich zugeben, dass ich mich unfähig
fühle, ins Landhaus zu fahren”, gestand Quentin.
„Darf ich auf deiner Couch schlafen?”

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„Nein”, entgegnete Marcia und lächelte er-

leichtert, weil nun alles überstanden war. „Du
darfst dich in mein Bett legen. Ich schlafe auf der
Couch.”

„Marcia …” Sie sah blass und müde aus, wie

Quentin auffiel. Es war drei Uhr morgens, und sie
hatte noch nicht geschlafen. „Danke”, sagte er
rau. „Es war lieb von dir, dich so um mich zu
kümmern.”

„Ich habe nur meine Pflicht als Ärztin getan”,

erwiderte sie sachlich und merkte dann, wie ab-
weisend das geklungen hatte. „Entschuldige,
Quentin. Da hat die frühere Marcia aus mir ge-
sprochen. Die Frau, die immer alle auf Abstand
gehalten hat. Und jetzt komm und leg dich hin,
bevor du umfällst.”

Im Schlafzimmer stand ein großes altes Mahag-

onibett, die Wände waren weiß gestrichen, die
Vorhänge und die Bettdecke pastellfarben
geblümt. Im Schimmer der Nachttischlampe
wirkte das Zimmer ruhig und freundlich. Flüchtig
sah Quentin sich um. Das Bild mit der Frau im

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roten Kleid hatte Marcia inzwischen auf den
Schreibtisch gegenüber dem Bett gestellt.

Nervös sagte Marcia: „Du bist der erste Mann,

der jemals hier in dem Zimmer war.”

Weil Quentin sich schwach fühlte, setzte er sich

aufs Bett. „Ich vertraue darauf, dass ich auch der
einzige und letzte bin”, sagte er und sah, dass sie
den Blick senkte.

„Schlaf bei mir, Marcia.”
Bestürzt blickte sie hoch. „Ich würde dich mor-

gens stören, wenn ich aufstehe.”

„Nach einem meiner allergischen Anfälle kann

mich

höchstens

Kanonendonner wecken.”

Quentin lächelte schief. „Ich kann ohnehin nur
schlafen. Das war kein Angebot, Liebste.”

Sie wurde rot. „Ja, das glaube ich dir. Wenn du

… also, wenn du wirklich willst.”

Ihm gefiel es, wenn sie ihre kühle Art verlor.

„Was ich wirklich will, kann ich jetzt leider nicht
tun. Nicht…” Er verstummte, denn Schüttelfrost
packte ihn.

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„Ach, Quentin, was bin ich für eine schlechte

Ärztin. Du brauchst Ruhe”, rief Marcia und
knöpfte ihm mit bebenden Fingern das Hemd auf.

„So habe ich mir das erste Mal in deinem Sch-

lafzimmer nicht vorgestellt”, meinte Quentin
rauh.

Marcia lächelte so liebevoll, dass sein Herz ein-

en Schlag lang auszusetzen schien.

„Ich auch nicht”, erwiderte sie und streifte ihm

die Hose ab. „Aber ich bin froh, dass du da bist.”

„Und ich erst. Du bist eine tolle Frau.” Er-

leichtert legte Quentin sich ins Bett und zog die
Decken hoch. „Auf welcher Seite schläfst du?”

Dass er in ihrem Bett lag, erfüllte sie mit Ver-

langen. „In der Mitte, um genau zu sein.”

Rasch rollte er sich in die Mitte des Betts. „Bee-

il dich. Die Laken sind eiskalt.”

Er klang eher wie ein Ehemann als wie ein

leidenschaftlicher Liebhaber. Sie nahm ihr Nach-
themd und ging ins Bad. Als sie kurz darauf
wieder ins Schlafzimmer kam, war Quentin noch

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hellwach, obwohl sie gehofft hatte, er wäre schon
eingeschlafen.

Das Nachthemd hatte sie erst vor kurzem bei

dem Einkaufsbummel erstanden. Es war aus dün-
ner geblümter Seide gemacht, mit schmalen
Trägern und einem drapierten Oberteil, das den
Ansatz ihrer Brüste freigab. Eng schmiegte sich
das zarte Material an ihren Körper.

Quentin betrachtete Marcia bewundernd. Sie

hängte das rote Kleid in den Schrank, dann setzte
sie sich an den Frisiertisch und entfernte Ohrringe
und Armband. Danach bürstete sie sich das Haar.
Als sie schließlich zum Bett ging und nach dem
Schalter der Lampe griff, schimmerte das Licht
durch ihr Nachthemd und betonte die Linien ihres
schlanken Körpers. Und Quentin wusste, dass es
für ihn nie eine andere Frau geben würde als Mar-
cia. Dann wurde es dunkel im Zimmer, und er
hörte nur das Rascheln, als sie sich ins Bett legte.

Er zog sie in die Arme.
„Hu, du bist ja eiskalt”, bemerkte sie

schaudernd.

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„Ich liebe dich”, sagte Quentin heiser.
Marcia schmiegte den Kopf an seine Schulter,

ihr Atem strich ihm sanft über die Haut.

„Ich glaube nicht, dass ich für die Worte schon

bereit bin”, flüsterte Marcia. „Aber du sollst wis-
sen, dass ich mich mit noch keinem Menschen so
wohl gefühlt habe wie mit dir, Quentin.” Sie
kuschelte sich an ihn, um ihn zu wärmen. „Das
ist, als wären wir seit Jahren verheiratet”, meinte
sie und lachte leise.

„Ich finde es wunderbar”, sagte Quentin. Sekun-

den später war er eingeschlafen.

Es war herrlich, seinen Körper zu spüren. Mar-

cia schloss die Augen … und als sie sie wieder
öffnete, sagte ihr ein Blick auf den Wecker, dass
sie schon längst im Institut sein müsste.

Quentin schlief noch, an ihren Rücken

geschmiegt, und sein Atem strich ihr über die
Haut. Marcia wollte nicht aufstehen, sondern
wäre am liebsten den ganzen Tag im Bett
geblieben. Sie Wollte da sein, wenn Quentin
aufwachte.

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Aber das ging nicht. Vorsichtig stand sie auf. Er

drehte sich um. Sein Haar hob sich dunkel vom
Kopfkissen ab, und er nahm fast das ganze Bett
ein. Wir brauchen ein größeres Bett, dachte Mar-
cia und fragte sich dann überrascht, ob sie nicht
insgeheim schon beschlossen hatte, mit Quentin
zu leben.

Eine halbe Stunde später eilte Marcia, an einem

Brötchen kauend, aus dem Apartment. Nur wider-
willig ließ sie Quentin zurück. Obwohl widerwil-
lig ein zu schwaches Wort war, um ihr Gefühl zu
beschreiben.

Wegen der Gerüchte über Kürzungen und Ent-

lassungen war die Atmosphäre im Institut an-
gespannt und gereizt. Die einen sagten, es würde
keine Kündigungen geben, andere behaupteten,
die Hälfte des Forschungsteams würde entlassen
werden. Natürlich jene Mitarbeiter, die noch nicht
so lange angestellt waren.

Um sich der unangenehmen Stimmung zu ent-

ziehen, beschloss Marcia, in ihrem Büro an einem

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Vortrag zu arbeiten, den sie im September auf
einer Tagung halten sollte.

Um halb drei ertappte sie sich dabei, wie sie

starr durchs Fenster blickte, den erst zur Hälfte
korrigierten Vortrag vor sich, den Bleistift in der
Hand. Fünfzig Prozent der jüngeren Angestellten
konnten durchaus sie selbst enthalten …

Ihr Job war ihr Lebensinhalt. Sie durfte ihn nicht

verlieren.

Marcia dachte an Quentin und beschloss, zu ihm

nach Hause zu fahren. Sie hatte nicht vor, ihm
von ihren Befürchtungen zu erzählen, aber wenig-
stens würde sie nicht daran denken müssen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie sich de-

shalb nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte,
weil sie sich Sorgen um Quentin machte und sich
fragte, ob es ihm inzwischen besser gehe. Und ob
er noch mit ihr schlaf en wolle …

Rasch schob Marcia das Vortragsmanuskript in

eine Schublade, zog sich den weißen Mantel aus
und eilte, mit der Miene einer Frau, die Wichtiges
zu erledigen hat, zum Auto. Eine Viertelstunde

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später schloss Marcia die Tür zu ihrem Apartment
auf.

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9. KAPITEL

Quentin sang laut und unmelodisch im Bad,

Wasser plätscherte. Marcia lächelte glücklich,
ging zur offenen Badezimmertür und blieb stehen.
Im Spiegel sah sie ihn an.

Quentin hatte sich gerade rasiert. Er hörte zu

singen auf und wandte sich um.

„Du malst besser, als du singst”, bemerkte

Marcia.

„Ich glaube, ich träume” sagte er. Seine Augen

leuchteten. „Oder du bist früher von der Arbeit
nach Hause gekommen.”

„Du bist hellwach, und wir stehen mal wieder

gemeinsam im Bad.”

„Tatsächlich.” Er betupfte einen kleinen Schnitt

am Kinn. „Dein Rasierer ist für meinen Bart völ-
lig ungeeignet, Liebste, und ich habe nichts zum
Anziehen.”

„Dann geh wieder ins Bett.”

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„Nur, wenn du mitkommst. Schließlich warst du

auch die halbe Nacht lang wach.”

„Willst du damit sagen, dass ich nicht so toll

aussehe?” fragte Marcia gespielt beleidigt.

„Du siehst wunderschön aus, Marcia. Obwohl

du den langweiligen Rock und die brave Bluse
ganz hinten im Schrank verstecken solltest.”

„Offensichtlich geht es dir viel besser, Quentin.

Du meckerst schon wieder.”

Er drehte sich zum Waschbecken um und spülte

den Rasierer ab. „Ich habe rund um die Uhr
geschlafen und fühle mich herrlich. Und du bist
drei Stunden früher als erwartet nach Hause
gekommen.”

„Ich konnte mich nicht konzentrieren.”
„Weil du müde warst? Oder weil es Frühling ist

und die Sonne scheint?” fragte Quentin.

Lucy hatte gesagt, man müsse im Leben etwas

riskieren … „Nein, weil ich bei dir sein wollte”,
gestand Marcia Quentin ehrlich.

Er kam zu ihr und küsste sie. Sie umarmte ihn

und erwiderte den Kuss zärtlich und verlangend.

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Als Quentin ihr Gesicht mit zarten Küssen be-
deckte, strich sie ihm übers Haar und bemerkte:
„Du duftest hinreißend.”

„Deine Seife war etwas zu feminin für mich -

ich bin kein Maiglöckchentyp. Also habe ich
mich mit deinem Kräutershampoo gewaschen”,
erklärte er.

Sie biss ihn leicht in die Schulter. „Das Resultat

ist jedenfalls phantastaromatisch.”

„Deine Wörtererfindungsgabe ist beachtlich”,

erwiderte er heiser. „Und du hast viel zuviel an.”

Rasch streifte er ihr die Bluse und den Rock ab.

Darunter trug Marcia die himbeerroten Dessous.

Quentin zog die Brauen hoch. „Du überraschst

mich immer wieder”, sagte er, umfasste ihre
Brüste und streichelte die Brustknospen.

Marcia schmiegte sich an ihn und küsste ihn

leidenschaftlich. Das Handtuch glitt ihm von den
Hüften und fiel auf den Boden. Sie streichelte
Quentin, während er sich verlangend an sie
drängte. Hitze durchflutete Marcia, und sie konnte
es kaum erwarten, sich mit ihm zu vereinigen. Er

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streifte ihr den BH ab und umspielte die Brust-
spitzen abwechselnd mit der Zunge. Marcia er-
schauerte vor Begehren.

Kurz hob Quentin den Kopf und sah sie zärtlich

an. „Sollten wir uns nicht lieber ins Schlafzimmer
begeben?”

Sie ließ die Fingerspitzen aufreizend seinen

Rücken entlanggleiten. „Ich bin mir nicht sicher,
ob ich so weit gehen kann”, gestand sie Quentin.

„Dann trage ich dich”, sagte er, hob sie auf die

Arme und brachte sie ins Schlafzimmer.

Sie legte ihm einen Arm um den Nacken und

berührte sanft den kleinen Schnitt am Kinn. „Wir
müssen dir einen richtigen Rasierer kaufen.”

„Und für dich einen neuen, ich habe deinen

nämlich ruiniert.” Quentins Stimme klang heiser.
„Aber das hat Zeit bis später. Zuerst stehen
wichtigere Dinge auf dem Programm.”

Mit der Fingerspitze zog^ Marcia die Konturen

seiner schön geschwungenen

Lippen nach. „Deine Nase hat Charakter”, stell-

te sie fest.

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„Ich habe sie mir bei einer Rauferei gebrochen,

als ich dreizehn war”, erklärte Quentin, und ein
seltsamer Ausdruck zeigte sich kurz auf seinem
Gesicht. „Sie ist nicht richtig zusammengewach-
sen.” Dann lächelte er Marcia so zärtlich an, dass
sie alles andere vergaß. „Du willst mich doch
nicht etwa ablenken, mein Schatz?”

„Im Gegenteil”, erwiderte sie leidenschaftlich.
Lachend ließ er sie aufs Bett gleiten und legte

sich auf sie. Mit einer Hand streifte er ihr den Slip
ab. Marcia spürte Quentins raues Haar auf der
Haut und bewegte langsam und verführerisch die
Hüften.

„Du bringst mich fast um den Verstand, wenn

du das tust”, meinte er heiser.

„Gut”, sagte sie und richtete sich leicht auf den

Ellbogen auf, so dass ihre Brustknospen ihn ber-
ührten. Er umspielte sie aufreizend mit der Zunge,
und Marcia erschauerte vor Sehnsucht. Sie spürte,
wie sehr Quentin nach ihr verlangte. Diesen Mo-
ment würde sie niemals vergessen. Und Quentin

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nicht, der so ungezügelte, nie gekannte Empfind-
ungen in ihr weckte.

Er liebkoste sie zärtlich und sinnlich zugleich,

bis sie, fast schluchzend, seinen Namen sagte. Da
hörte er so plötzlich auf, dass sie protestierend
stöhnte. Er küsste sie stürmisch, rollte sich auf
den Rücken und zog sie auf sich.

Sie schmiegte sich an Quentin, ihre Augen wirk-

ten dunkel vor Leidenschaft und stürmischem
Begehren.

Zärtlich erforschte sie seinen Körper, legte ihre

Wange an seine Brust, wo das Herz wie rasend
schlug, ließ die Hände über seinen flachen Bauch
gleiten und noch tiefer.

Quentin stöhnte. Heiser flüsterte sie: „Quentin,

ich möchte dich in mir spüren.”

Rasch nahm er ein Kondom vom Nachttisch und

streifte” es über, dann küsste er Marcia so hinge-
bungsvoll, als wolle er sie für immer an sich bind-
en. Sie hob sich ihm entgegen, und endlich ver-
einigte er sich mit ihr. Wir sind wie füreinander
geschaffen, dachte sie benommen, dann gab sie

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sich ganz den Gefühlen hin, die sie in heißen
Wellen durchfluteten und mit sich rissen bis zum
gemeinsamen Höhepunkt der Ekstase.

Heiser flüsterte Quentin Marcias Namen, dann

schmiegte er sich eng an sie. Sie umarmte ihn und
streichelte sein Haar, erfüllt von einem über-
schwänglichen Glücksgefühl.

Als er schließlich den Kopf hob, wusste Quentin

nicht, wieviel Zeit vergangen war, ob Sekunden,
Minuten Oder Stunden. Er strich Marcia das Haar
zurück und sagte unsicher: „Vom ersten Augen-
blick an habe ich vermutet, dass du eine
leidenschaftliche Frau seist, und jetzt weiß ich es.
Du hast mich genauso begehrt wie ich dich, stim-
mt’s, Liebste? Weißt du eigentlich, wie herrlich
ich mich jetzt fühle?”

„Du kannst dich unmöglich so gut fühlen wie

ich mich”, erwiderte Marcia leise und reckte sich
genüsslich.

„Pass auf, was du tust”, warnte Quentin sie rau.

„Oder du bringst dich in Schwierigkeiten.”

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„Heißt das, du bist nicht befriedigt?” fragte sie

und sah ihn groß an.

„Du Hexe! Du weißt genau, dass du mich be-

friedigt hast. Allerdings könntest du mich dazu
bringen, noch mal von vorn anzufangen.”

Quentin wurde es bewusst, dass er bisher insge-

heim bezweifelt hatte, jemals mit Marcia zu sch-
lafen. Selbst jetzt, nachdem sie sich stürmisch
geliebt hatten, fehlte ihm noch immer etwas zu
seinem absoluten Glück. Denn er hatte gehofft,
sie würde ihm gestehen, dass sie ihn liebe. Sie
war leidenschaftlicher und einfühlsamer gewesen,
als er sich vorgestellt hatte, aber sie hatte nicht die
drei magischen Worte gesagt. Ich liebe dich.

Allerdings hatte er sie auch nicht gesagt.
Er legte sich neben Marcia und betrachtete be-

wundernd ihren nackten Körper.

„Ich würde dich gern so malen”, meinte

‘Quentin leise. „Wir könnten das Bild in unserem
Schlafzimmer aufhängen.”

Marcia hätte sagen können: welches Schlafzim-

mer? Oder: zieh keine voreiligen

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Schlüsse, Quentin. Sie hätte sagen können, sie

sei sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich liebe.
Aber all das sagte sie nicht, sondern: „Weißt du,
was ich jetzt möchte? Ein Croissant aus der klein-
en Bäckerei an der Ecke.”

Kein Grund zur Panik, beruhigte sich Quentin.

Vor drei Wochen hatte er noch nicht einmal
gewusst, dass es Marcia gab. Und nicht jeder ver-
liebte sich, so wie er, auf den ersten Blick. „Ich
bin mir nicht sicher, ob mir ein Croissant genügt”,
erwiderte Quentin beiläufig. „Heute habe ich
noch keinen Bissen gegessen.”

Marcia richtete sich auf und sah ihn besorgt an.

„Du Ärmster musst ja fast verhungert sein. Mal
überlegen, was habe ich im Gefrierfach?”

„Lass uns essen gehen”, schlug er vor.
„Nur wenn du mir versprichst, auf keinen Fall

Shrimps zu essen”, erwiderte sie trocken. . „Ver-
sprochen”, sagte Quentin und küsste sie.

Sie standen auf, zogen sich an, gingen Hand in

Hand zur Bäckerei und aßen dort Croissants.

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Anschließend besorgten sie einen Rasierer und
Seife für Quentin, danach Jeans und einen
Pullover.

Dann gingen sie ins Apartment zurück, um sich

zum

Abendessen

umzuziehen, aber

ihre

Leidenschaft war stärker als der Hunger. Wieder
liebten sie sich hingebungsvoll. Danach schlief
Marcia ein. Als sie aufwachte, lag sie allein im
Bett.

Sie hörte Quentin in der Küche hantieren und

nahm den würzigen Duft von Curry wahr.

Marcia lag ganz still da und gestand sich ein,

dass sie bei allem Glück auch ein seltsames Unbe-
hagen, ja, fast Furcht verspürte. Sie hätte nicht er-
wartet, dass wahre Leidenschaft wie eine Nat-
urgewalt sein könnte, mitreißend und unwider-
stehlich. Nun werde ich nie mehr so kühl und be-
herrscht sein wie vorher, dachte Marcia. Und sie
war sich nicht sicher, ob sie für die Veränderung
wirklich schon bereit war.

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10. KAPITEL

Am nächsten Tag kam Marcia nur eine halbe

Stunde zu spät zur Arbeit. Verstohlen begab sie
sich in ihr Büro, denn sie war sich sicher, dass
man ihr ansehen konnte, was sie seit dem Vortag
erlebt hätte.

Aber ihre Kollegen hatten ganz andere Dinge im

Kopf. Die Leiter des Instituts hatten eine stunden-
lange Besprechung abgehalten, und nun schwir-
rten die unterschiedlichsten Gerüchte durchs
Haus.

Marcia arbeitete hinter verschlossener Tür an

ihrem Vortrag, damit niemand sie sehen konnte,
wenn sie verträumt lächelnd vor sich hin blickte
und sich erregenden Phantasien hingab.

Um vier Uhr schaltete sie den Computer aus, um

halb fünf eilte sie die Treppe zu ihrem Apartment
hinauf. Marcia hatte Quentin den Zweitschlüssel
gegeben, damit er kommen und gehen konnte,

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wie er wollte. Sie hoffte, dass er zu Hause sei,
öffnete die Tür und blieb überrascht stehen.

Die Wände” im Flur waren mit Kohlezeichnun-

gen bedeckt, auf denen ein Mann und eine Frau
zu sehen waren. Beide nackt.

Marcia ging langsam den Flur entlang und be-

trachtete errötend die freizügigen Skizzen.
Quentin hatte sich keinen Zwang auferlegt, son-
dern alles detailliert wiedergegeben. Sie lachte
verlegen, als er aus dem Wohnzimmer kam.

„Was, wenn ich zufällig den obersten Pol-

izeichef mitgebracht hätte?” fragte sie.

„Dann müssten wir die Nacht im Gefängnis

verbringen.”

Quentin lächelte. „Ich war so eingebildet, an-

zunehmen, dass du allein mit mir sein wolltest.”

„Das will ich auch. Aber Lucy hätte doch

vorbeikommen können … oder meine Mutter mit
Henry.”

„Ich hätte sie an der Tür abgefertigt.”
„Ach, du meine Güte, habe ich das tatsächlich

getan?” Marcia wies auf ein Bild und presste dann

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die Hände an die heißen Wangen. „Ja, das habe
ich - und jede Sekunde davon genossen. O
Quentin, was soll ich nur mit dir machen?”

„Mich heiraten”, antwortete er prompt.
„Was?”
„Du hast richtig gehört. Heirate mich.”
„Zuletzt hieß es noch, ich solle erst mal zu dir

ziehen”, antwortete sie hitzig.

„Da habe ich mir und dir etwas vorgemacht. Ich

möchte mit dir leben, egal wo.

Aber als Ehepaar, Marcia.”
„Ich sagte dir doch, ich gebe dir die Antwort am

Freitag”, erwiderte sie ungehalten.

Quentin versuchte, seinen Ärger zu zügeln.

„Heute ist Donnerstag. Was soll sich bis morgen
ändern?”

„Wie kann ich das sagen? Seit ich dich kenne,

hat sich schon so vieles verändert.

Bis morgen kann alles mögliche passieren.”
„Du liebst mich, Marcia. Das weiß ich.”
Dass er sich dessen so sicher war, erboste sie

seltsamerweise. „Dann weißt du mehr als ich”,

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erwiderte sie kühl und erschrak, wie zornig das
klang. „Ich hasse das. Ich will nicht mit dir streit-
en.” Ihre Stimme klang zittrig. „Ich will nur ins
Bett mit dir, das ist alles.” Marcia sah ihn
zugleich trotzig und bittend an.

Quentin ließ sich davon nicht umstimmen. „Ich

liebe dich”, sagte er unnachgiebig.

„Und ich werde meine Gefühle nicht leugnen.”
Unerwarteterweise zuckten ihre Lippen. Sie

blickte die Wände entlang und lachte.

„Schön, dass du es mir gesagt hast. Ich hätte es

nämlich niemals vermutet.”

Ihr Lachen ließ seinen Zorn verrauchen. Quentin

zog Marcia in die Arme und küsste sie
leidenschaftlich. Dann führte er sie ins Bad. „Ich
habe dir Schaumbad gekauft, wie Catherine es
hat. Möchtest du es ausprobieren?”

Mit dem Gefühl, dass etwas Entscheidendes

noch rechtzeitig abgewendet worden war, sagte
Marcia: „Wie lieb von dir, Quentin.”

Während das heiße Wasser einlief, begann

Quentin, Marcia auszuziehen. „Wie war es heute

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bei der Arbeit?” erkundigte er sich und knöpfte
ihre Bluse auf. „Du bist wieder früh nach Hause
gekommen. Damit ruinierst du deinen Ruf als
Workaholic.”

Da Marcia ihm über die Gerüchte und Spannun-

gen im Institut nichts berichten wollte, sagte sie
ausweichend: „Ich habe den Vortrag für Brüssel
Jetzt endlich fertig.

Morgen beginne ich mit einem anderen.”

Während er ihre nackten Brüste streichelte, fügte
sie ungestüm hinzu: „Den ganzen Tag lang habe
ich mich danach gesehnt, bei dir zu sein, und ich
bin mir nicht sicher, ob die Wanne groß genug für
zwei ist.”

„Wo ein Wille ist …” erwiderte Quentin

vielsagend, und ihr Herz klopfte so wild, als wäre
sie den ganzen Weg nach Hause gelaufen.

Rasch zog Quentin sich aus, setzte sich in die

Wanne und zog Marcia zu sich. Sie lehnte sich an
ihn, den Kopf unter sein Kinn geschmiegt, und
Quentin streichelte ihre Brustknospen.

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Beglückt schloss sie die Augen, erfüllt von

heißer Sehnsucht. Als er die Hand zwischen ihre
Schenkel gleiten ließ, verwandelte sich die Sehn-
sucht in unwiderstehliches Verlangen. Quentin
liebkoste Marcia so aufreizend, dass sie sich
schließlich nicht länger zurückhalten konnte und
einen Höhepunkt erlebte.

Quentin küsste sie aufs Ohr und flüsterte zärt-

liche Worte, bis sie sich beruhigt hatte.

„Mit dir ist es jedesmal noch schöner als beim

vorigen Mal”, gestand Marcia ihm leise.”

Liebevoll umarmte er sie. „Dir wird kalt. Komm

jetzt ins Bett.’*

Nachdem sie sich gegenseitig abgetrocknet hat-

ten, gingen sie ins Schlafzimmer. An der Tür
blieb Marcia wie gebannt stehen. Der Baum war
wie eine Laube aus Blumen - Chrysanthemen,
Löwenmäulchen, Bösen und Margeriten - ein üp-
piges, buntes

Chaos.

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Mit leuchtenden Augen wandte Marcia sich

Quentin zu. „Du bist ein wundervoller, völlig ver-
rückter Mann, weißt du das?”

„Da ich in einer Gegend aufgewachsen bin, wo

es manchmal noch im Juni und schon wieder im
September Frost gab, verspüre ich jedesmal den
Drang, alle Blumen zu kaufen, wenn ich auf einen
Markt komme”, erklärte er.

„Diesmal scheinst du deinen Traum ja fast ver-

wirklicht zu haben”, sagte sie ernsthaft. „Du gibst
mir das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein.
Und ich finde dich umwerfend – deine Muskeln,
deine warme Haut, deinen Duft … Schlaf mit mir.

Jetzt.”
Sie erschauerte vor Verlangen und weckte damit

auch in Quentin Begehren. „Sag mir, was ich tun
soll, um dir Freude zu schenken.”

Sie zog seinen Kopf an ihre Brust. „Das … und

das. Alles Und jedes. Kann man vor Freude ei-
gentlich ohnmächtig werden?”

„Das werden wir ja sehen”, sagte er und hob sie

aufs Bett.

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Marcia fühlte sich so frei wie noch nie zuvor.

Alle Hemmungen fielen von ihr ab.

Sie gab sich den herrlichen Empfindungen, die

Quentin in ihr weckte, zügellos hin und schenkte
ihm dieselben sinnlichen Freuden, die er ihr
bereitete. Schließlich erlebten sie gemeinsam ein-
en Höhepunkt der Ekstase, so stürmisch und
mitreißend wie die Brandung des Ozeans.

Marcia umarmte Quentin und sagte leise: „Das

war, als hätten sich auch unsere Seelen vereint.”

„Wir beide sind seelenverwandt”, erwiderte er.
„Mein Leben wird nie wieder wie früher sein.”
„Denkst du etwa meines?”
Sie senkte den Kopf und küsste Quentins Brust.

„Ich liebe deinen Körper”, sagte Marcia ablen-
kend, als hätte sie schon zuviel verraten.

Ich liebe dich, hätte Quentin gern erwidert, aber

er sagte statt dessen: „Körper und Seele kommen
bei mir im Doppelpack.”

Sie zog die Nase kraus. „Du gibst wohl nie auf,

oder?”

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„Ich kann ebensowenig aufhören, dich zu

lieben, wie ich aufhören kann zu atmen.”

Er legte ihr die Hand auf die Hüfte und sagte

ruhig: „Lass uns jetzt nicht streiten Marcia. Ich
habe nicht mehr die Kraft dazu. Weil ich mich
nämlich fühle, als wäre ich mit einer Tigerin im
Bett gewesen.”

Marcia errötete. „Ich wollte dir nicht weh tun.”
„Und ich wollte mich nicht beklagen. Mir hat es

gefallen. Auch, dass du deinen Wünschen und
Gefühlen lautstark Ausdruck verleihst”, fügte er
amüsiert hinzu.

„Das habe ich früher nie gemacht”, gestand sie

ihm. „Wahrscheinlich gab es nie viel zu sagen.”

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns beiden

das jemals passiert.”

Marcia konnte das auch nicht. Was also hielt sie

davon ab, Quentin zu sagen, dass sie ihn liebte?
Und wie sollte ein, einziger Tag daran noch etwas
ändern?

Am nächsten Tag kam Marcia wieder zu spät

ins Institut. Sie war am Vorabend noch mit

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Quentin in ein elegantes Restaurant gegangen,
und danach hatten sie sich bis zum Morgen
geliebt.

Ihre Sekretärin teilte ihr mit, dass der Direktor

sie, Marcia, um zwei Uhr in seinem Büro sehen
wolle.

Marcia unterdrückte einen Anflug von Panik.

„Danke, Rosemary”, sagte sie beherrscht. „Ist
Post für mich da?” Dann ging sie ins Büro und
schaltete den Computer ein.

Bis mittags hatte sie erfahren, dass drei andere

Mitarbeiter ebenfalls zu einem Gespräch zitiert
worden waren, was sie allerdings nicht tröstete.
Sie hätte Quentin anrufen können, tat es aber
nicht.

Pünktlich um zwei Uhr erschien sie beim

Direktor.

Dr. Wayne Martell war übergewichtig und un-

geheuer effizient. Marcia respektierte ihn, mochte
ihn allerdings nicht sehr.

„Setzen Sie sich doch, Marcia”, forderte er sie

auf.

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Nach außen hin gelassen, tat sie es und faltete

die Hände im Schoß. Dr. Martell setzte sich hinter
den Schreibtisch.

„Sie haben ja sicher die Gerüchte über die

Budgetkürzungen gehört”, begann der Direktor.
„Unglücklicherweise sind sie wahr. Deshalb sind
ich und das Management zu dem Schluss gekom-
men, dass wir unsere Belegschaft reduzieren
müssen. Das tun wir mit größtem Bedauern und
nur aus äußerster Notwendigkeit, wie Sie sicher
verstehen.” Er zögerte und spielte mit seinen
goldenen Manschettenknöpfen.

Marcia hatte vorher nie bemerkt, was für eine

ölige Stimme er hatte.

„Sie arbeiten”, sprach Dr. Martell weiter, „erst

seit sieben Jahren bei uns und fallen somit in die
sogenannte Juniorenkategorie, wie es im Verwal-
tungsjargon heißt.

Und diese Gruppe müssen wir leider reduzieren.

Das Institut wird unter dem Verlust Ihrer äußerst
wertvollen Forschungsarbeit leiden. Wir hoffen

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allerdings, dass Ihnen persönlich keine Verluste
daraus erwachsen.”

Erwartungsvoll sah er Marcia an. Er möchte

wohl, dass ich ihm applaudiere, dachte sie hitzig:
Gut gemacht, Dr. Martell, Sie sollten öfter Leute
entlassen.

Ausdruckslos erwiderte sie: „Mir ist also

gekündigt.”

„Ab Mitte des Monats, ja. Bis dahin erhalten Sie

natürlich das volle Gehalt.”

Na toll, dachte sie und fragte sich, wie sie halb-

wegs würdevoll das Büro verlassen konnte.

„Ich kann Ihnen nicht sagen, wie leid mir das

alles tut, Marcia”, meinte Dr. Martell betont
mitfühlend.

„Ja”, sagte Marcia. „War’s das?”
Er stand auf und streckte ihr die Hand hin.

Zögernd schüttelte Marcia sie. Seine Hand fühlte
sich schlaff und feucht an. Da Marcia nichts mehr
zu sagen einfiel, nickte sie dem Direktor zu,
wandte sich um und eilte hinaus.

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Ihre Sekretärin war glücklicherweise gerade

beim Kaffeetrinken. Marcia machte sich nicht die
Mühe, eine Nachricht zu hinterlassen, sondern
nahm ihre Tasche und verließ das Gebäude.

•Als sie im Auto saß, merkte sie, dass ihr die

Knie zitterten. Erst beim zweiten Versuch gelang
es ihr, den Zündschlüssel ins Schloss zu schieben.
Mechanisch fuhr sie auf den Highway und weiter
ostwärts. Sie war zu keinem klaren Gedanken
fähig.

Die Sonne schien warm. Marcia kurbelte das

Seitenfenster herunter und ließ sich das Haar vom
Wind zerzausen.

Es herrschte dichter Verkehr. Marcia war nicht

die einzige, die an diesem sonnigen Freitag-
nachmittag die Stadt verließ. Wahrscheinlich
fuhren die anderen zu ihren Wochenendhäusern
am Fluss.

Plötzlich fiel ihr Quentin ein, aber sofort ver-

drängte sie den Gedanken an ihn. Ohne anzuhal-
ten, fuhr sie zwei Stunden lang den St.-Lorenz-

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Strom entlang, verließ die Provinz Ontario und
gelangte nach Quebec.

Als Marcia feststellte, dass das Benzin zur

Neige ging, fuhr sie zu einer Tankstelle, ließ voll-
tanken und ging in den Waschraum. Dann
bezahlte sie, kaufte sich eine Flasche Limonade
und eine Packung Kartoffelchips und fuhr weiter.

Die Sonne sank immer tiefer. Marcia hatte mit-

tags nur einen Teller Suppe gegessen, und die Li-
monade und die Chips waren magere Weg-
zehrung. Um Viertel vor sechs hielt Marcia an
einem Rasthaus an und ging hinein.

Es war einfach eingerichtet, Rockmusik dröhnte

aus der Musikbox, und die Luft war von Zigar-
ettenrauch erfüllt. Was für ein Unterschied zu
dem Restaurant gestern abend, dachte Marcia,
und plötzlich wurde ihr das ganze Ausmaß ihrer
Situation schlagartig wieder bewusst. Sie schaute
auf die Armbanduhr: zwanzig Minuten nach
sechs. Quentin erwartete sie sicher längst zu
Hause.

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Ich kann ihn nicht anrufen und ihm sagen, dass

ich meinen Job verloren habe, dachte Marcia
verzweifelt.

Ohne zu überlegen, ging sie zur Telefonzelle

neben dem Eingang und wählte Lucys Nummer.
Troy meldete sich.

„Troy, ich bin’s, Marcia. Es ist etwas … Un-

vorhergesehenes geschehen, und ich muss eine
Weile allein sein. Ruf bitte Quentin an und sag
ihm, er solle sich keine Sorgen machen. Ich …”

„Marcia, du klingst ja völlig aufgelöst. Was ist

denn passiert?””

„Sag Quentin, dass es mir gutgeht. Ich weiß nur

noch nicht, wann ich nach Hause komme, deshalb
…”

„Was ist los?” fragte ihr Schwager eindringlich.
„Bitte Troy, richte Quentin meine Nachricht

aus. Ich will momentan niemanden von euch se-
hen, das ist alles. Tschüs, ich muss jetzt auf-
hören.” Sie hängte den Hörer ein und setzte sich
an einen freien Tisch. Die Musik schien plötzlich
noch viel lauter zu sein. Marcia bestellte

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Truthahnschnitzel, aß es ohne Appetit und trank
anschließend zwei Tassen ausgezeichneten Kaf-
fee. Dann setzte sie sich wieder ins Auto und fuhr
weiter.

Quentin hatte den ganzen Tag lang gezeichnet

und dabei alles Zeitgefühl verloren.

Die Skizzen drückten auf symbolische Weise

seine Gefühle für Marcia aus. Als die Standuhr
fünf schlug, ließ er den Kohlestift fallen. Marcia
würde bald nach Hause kommen.

Er eilte in die Küche und räumte dort auf. Dann

machte er das Bett und entfernte die Blütenblätter,
die von den Blumen gefallen waren. Die Zeich-
nungen im Flur ließ er noch hängen, Quentin
duschte, machte das Bad sauber, ging wieder in
die Küche und öffnete eine Flasche Rotweih.
Dann richtete er einen Teller mit Gänseleberpas-
tete und Crackern her. Inzwischen war es fast
sechs Uhr. Offensichtlich war Marcia später dran
als sonst.

Erneut nahm Quentin seinen Skizzenblock, aber

er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Heute

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wollte ihm Marcia sagen, ob sie mit ihm leben
würde. Oder ihn sogar heiraten.

Geistesabwesend goss er sich ein Glas Wein ein

und aß etwas Pastete, wobei er die neuen Skizzen
betrachtete. Sie waren gut, das wusste er. Was
Marcia wohl von ihnen halten mochte?

Er wünschte sich, sie wäre schon da.
Um halb sieben klingelte das Telefon. Er eilte

hin, hob ab und sagte: „Der Wein steht bereit, das
Bett ist gemacht, und jetzt brauche ich nur noch
dich.”

Kurzes Schweigen, dann erklang eine Männer-

stimme. „Hier Troy. Ich habe gerade einen Anruf
von Marcia bekommen. Sie hat mich gebeten, dir
auszurichten, dass etwas geschehen ist und sie
eine Weile allein sein möchte. Es geht ihr gut,
und du sollst dir keine Sorgen machen.”

Quentin konnte plötzlich kaum atmen. „Was,

zur Hölle, meinst du? Was ist denn passiert?”

„Das wollte sie mir nicht sagen.”
Mit Quentin ging die Phantasie durch. „Viel-

leicht ist sie entführt worden, und die Gangster

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haben sie mit Waffengewalt gezwungen, etwas
harmlos Klingendes …”

„Unsinn Quentin, das hätte sie mir irgendwie

mitgeteilt. Es geht eher um etwas Persönliches,
würde ich sagen.”

„Von wo aus hat sie angerufen?”
„Auch das hat sie mir nicht gesagt. Den Ger-

äuschen im Hintergrund nach Rockmusik und
Stimmengewirr - tippe ich auf ein Lokal.”

„Das kann jedes verdammte Lokal in diesem

Land sein”, brauste Quentin auf.

„Sie sagte jedenfalls, du solltest dir keine Sor-

gen machen”, wiederholte Troy ausdruckslos.

„Tut mir leid”, entschuldigte sich Quentin. „Du

kannst ja nichts dafür, die schlechten Nachrichten
zu übermitteln. Aber, verdammt noch mal, was
geht hier vor?”

„Eure Beziehung ist ziemlich stürmisch ver-

laufen. Wie lange kennt ihr euch? Drei Wochen,
stimmt’s? Vielleicht braucht Marcia einfach eine
Atempause”, vermutete Troy.

„Warum ruft sie dann dich an und nicht mich?”

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„Ich weiß es nicht, Quentin. Wahrscheinlich ruft

sie dich später noch an.”

Es geht um ihre Antwort, dachte Quentin. Eine

Antwort, die ihm nicht gefallen würde. Ein Nein.
Marcia war weggelaufen, weil sie es ihm nicht
sagen wollte …

„Wir sind übrigens den ganzen Abend zu

Hause”, versicherte Troy ihm.

„Wenn Marcia noch mal bei euch anruft, teilst

du es mir bitte sofort mit, Troy. Ich lege jetzt auf,
falls sie mich hier zu erreichen “versucht. Danke,
Troy.”

Quentin legte den Hörer auf und ging ins

Wohnzimmer. Die Skizzen wirkten plötzlich wie
Botschaften aus einer anderen Welt, wie bedeu-
tungslose Kritzel, die das Papier nicht wert waren,
das sie bedeckten. Quentin leerte das Glas Wein
und saß fast eine Stunde lang still da. Er versuchte
förmlich, das Telefon zu hypnotisieren, damit es
endlich klingelte. Dann stand er auf, ging ans
Fenster und sah hinaus auf die hübschen Häuser
und das grüne Wasser des Kanals.

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Ich kann das Apartment nicht verlassen, falls

Marcia anruft, dachte Quentin. Oder falls sie doch
nach Hause kommt. Er fühlte sich inmitten der
Stadt plötzlich wie gefangen. Weil er eine Frau
mit veilchenblauen Augen und dunklem Haar
liebte …

Er hatte seine Freiheit verloren.
Was, wenn er auch Marcia verloren hatte?

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11. KAPITEL

Um halb neun abends hielt Marcia vor einem

Einkaufszentrum an und kaufte

sich, was sie zum Übernachten brauchte. Dann

ging sie, völlig erschöpft, in ein Motel. Dort saß
sie wie benommen in ihrem Zimmer und sah Na-
chrichten im Fernsehen an. Ein großer Ölkonzern
entließ Mitarbeiter, lautete eine Nachricht.

Marcia verbarg das Gesicht mit den Händen

‘und ließ den Gefühlen, die sie bisher unterdrückt
hatte, freien Lauf.

Sie hatte also den Job verloren, der sieben Jahre

lang ihr Lebensinhalt gewesen war. Ohne ihre
Arbeit war sie ein Niemand.

Ich fühle mich wie eine Versagerin, dachte Mar-

cia und begann zu weinen - vor Zorn, Frustration
und Kummer. Schließlich rollte sie sich auf dem
Bett zusammen und schlief wie betäubt ein.

Als Marcia morgens aufwachte, streckte sie

automatisch die Hand nach Quentin aus. Nur zwei

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Nächte hatte sie das Bett mit ihm geteilt und sich
schon daran

gewöhnt, dass er bei ihr war. Quentin wollte sie

heiraten. Aber wie konnte sie zustimmen, wenn
sie keinen Job mehr hatte? Sie wollte Quentin
nicht zur Last fallen. Ihn um Geld zu bitten war
für sie undenkbar. Zur ausgehaltenen Frau eignete
sie sich nicht, dazu war sie zu unabhängig.

Gestern hätte ich Quentin meine Antwort geben

sollen, dachte Marcia, und ihr wurde elend* zu-
mute. Sie hatte sich am Donnerstag gefragt, was
sich an einem Tag Entscheidendes ändern konnte.
Nun wusste sie es. Und sie war sich sicher, dass
sie Quentin nicht heiraten durfte. Das wäre ihnen
beiden gegenüber nicht fair.

Der Kummer, den sie letzte Nacht gefühlt hatte,

war nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der sie
jetzt erfüllte. Ein Schmerz zu groß für Tränen.
Mühsam riss Marcia sich zusammen, duschte,
frühstückte im Motelrestaurant und machte sich
wieder auf den Weg. Wohin sie wollte, war ihr
plötzlich klar, obwohl sie sich das nicht

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vernünftig erklären konnte: Sie wollte nach
Holton, dem Ort, in dem Quentin aufgewachsen
war.

Mittags aß sie in einem Rasthaus, und am frühen

Abend bog sie von der Autobahn in das Tal ab, in
dem Holton lag. Ein Fluss schlängelte sich durch
Wiesen am Fuß sanfter Hügel. Amseln sangen in
den Zweigen, Lerchen trillerten über den Wiesen.
Eine alte Brücke überspannte den Fluss, und Mar-
cia fühlte sich wie in ein vergangenes Jahrhundert
zurückversetzt.

Holton bestand aus einigen Häusern und Far-

men, einer Tankstelle und einem Geschäft. Nun,
da sie endlich hier war, wusste Marcia nicht, was
sie anfangen sollte.

Sie ging als erstes in den Laden, kaufte sich eine

Tafel Schokolade und fragte das junge Mädchen
an der Kasse: „Können Sie mir zufällig sagen, wo
Quentin Ramsey früher gewohnt hat?”

„Nie von ihm gehört.”
„Gibt es denn jemanden, der mir Auskunft

geben könnte?” erkundigte Marcia sich.

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„Ich ruf mal Margie an”, bot das Mädchen un-

willig an. „Die kennt jeden in der Gegend.”

Nach einem längeren Telefongespräch legte das

junge Mädchen den Hörer auf und sagte zu Mar-
cia: „Geradeaus die Schotterstraße entlang, bis
Sie zu einem gelben Haus kommen. Ed und Kaye
Miller. Die werden Ihnen weiterhelfen.”

„Vielen Dank”, sagte Marcia und eilte un-

geduldig aus dem Geschäft. Bald fand sie das
gelbe Haus. Es wirkte schäbig, aber neben der
Auffahrt wuchsen dichte Narzissenbüschel, und
einige Hühner scharrten vor der Veranda im
Staub. Marcia atmete tief durch und klopfte an die
Tür.

Diese wurde von einem drahtigen alten Mann

mit den buschigsten Augenbrauen geöffnet, die
Marcia je gesehen hatte.

„Guten Tag, Mr. Miller”, sagte sie zaghaft. „Ich

versuche herauszufinden, wo Quentin Ramsey
früher gelebt hat. Eine Frau namens Margie hat
mich an Sie verwiesen.”

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„Der kann man doch kein Wort glauben”,

schnauzte er. „Die schlimmste Klatschbase im
Umkreis von fünfzig Meilen.”

Marcia wich einen Schritt zurück. „Sie können

mir also nicht helfen, Mr. Miller?”

„Hab’ ich das behauptet? Kommen Sie rein.

Und nennen Sie mich Ed. Kaye, wir haben Be-
such”, rief er. „Kaye fühlt sich nicht so gut, hat
einen entzündeten Finger.

Ich lieg’ ihr schon die ganze Woche in den

Ohren, sie soll zum Doktor gehen. Aber sie hört
ja nicht auf mich.”

Er führte Marcia durch ein altmodisch ein-

gerichtetes Wohnzimmer in eine behagliche große
Wohnküche.

Kaye Miller kam herein. Sie hatte schneeweißes

Haar, sanft blickende blaue Augen und ein herz-
liches Lächeln,

„Ich bin Marcia Barnes”, stellte Marcia sieh vor.

„Ich komme aus Ottawa. Tut mir leid, Sie so zu
überfallen,

Mrs.

Miller,

aber

ich

hoffe

herauszufinden,

wo

Quentin

Ramsey

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aufgewachsen ist. Man hat mich zu Ihnen
geschickt.”

Kayes Augen leuchteten auf. „Sie kennen

Quentin also? Bitte, setzen Sie sich doch.”

„Ja, wir sind … befreundet.”
„So ein netter Junge war er damals.”
„Hatte den Teufel im Leib”, brummte Ed.
„Alle Jungen machen gern Streiche. Aber er hat

sich gut entwickelt und malt wunderschöne
Bilder.”

„Was? Die Farben würde ich nicht mal für die

Scheune verwenden”, meinte Ed.

„Aber Edward”, sagte Kaye beschwichtigend.

„Setz doch mal den Teekessel auf.

Was wollten Sie über Quentin wissen, meine

Liebe?”

Amüsiert stellte Marcia fest, dass Ed fügsam

zum Herd ging und Wasser aufsetzte.

„Ich habe mich gefragt, ob sein Vater und seine

Mutter noch leben und wo sein Elternhaus steht”,
erklärte sie.

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„Nein, seine Eltern sind vor Jahren mit dem

Auto tödlich verunglückt. Quentin hat sich dam-
als über Nacht verändert. Er wurde ein stiller
Junge. Seine nächsten Verwandten lebten in St.
John, also musste er in die Stadt ziehen. Ein
schlimmer Platz für einen Jungen wie ihn, der die
Natur so liebt.”

„Der rannte draußen frei herum, sobald er über-

haupt laufen konnte”,

kommentierte Ed und stellte Teetassen und

Milch auf den Tisch.

„Das Haus musste natürlich verkauft werden. Es

war nicht mal genug Geld für das Begräbnis da.”
Kaye seufzte. „Die Möbel wurden versteigert, und
die Martins kauften das Haus.”

„Gesindel”, brummte Ed.
„Sie” waren tatsächlich keine besonders netten

Leute. Das Haus brannte ein Jahr später ab. Wir
wollten Quentin eigentlich zu uns nehmen, aber
sein Onkel mochte davon nichts hören.”

Eds Kommentar zum Onkel war nicht druckreif.

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„Aber Edward!” tadelte Kaye und seufzte

wieder. „Wir hörten dann, dass Quentin in St.
John dauernd in Raufereien geriet. Die Stadtjun-
gens machen es denen vom Land oft schwer.
Quentin brach sich die Nase und einmal das
Handgelenk, wie man uns erzählte.” Sie wirkte
fröhlicher, als Ed den starken Tee einschenkte.
„Quentin besucht uns einmal im Jahr. Er sieht
wirklich gut aus, oder?”

„Ja”, bestätigte Marcia und errötete.
Sie schämte sich zutiefst; weil sie sich nie für

Quentins bisheriges Leben interessiert hatte.
Nein, sie war viel zu sehr mit sich selbst
beschäftigt gewesen.

Eigensüchtiges Biest, tadelte Marcia sich. Wie

hatte sie nur so engstirnig und lieblos sein
können?

„Sie sind ja weit gereist, um was über Quentin

zu erfahren”, meinte Ed bärbeißig.

„Wollen Sie ihn heiraten?”

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Die Frage riss Marcia aus dem Grübeln. „Er hat

mich zumindest gebeten, seine Frau zu werden”,
erzählte sie.

„Sie könnten es schlimmer treffen”, erwiderte

Ed.

„Misch dich da nicht ein, Edward”, ermahnte

Kaye ihren Mann. „Hol mal lieber die alten Al-
ben. Vielleicht möchte Miss Barnes Fotos von
Quentin als Jungen sehen.”

„Bitte, nennen Sie mich doch Marcia. Ja, ich

möchte mir gern Fotos ansehen.”

Als Ed das Album Kaye reichen wollte, glitt es

ihm aus den Fingern und fiel ihr auf die Hand.
Kaye stöhnte vor Schmerz.

„Was ist denn?” fragte Marcia besorgt. „Ich bin

Ärztin. Zeigen Sie mir Ihre Hand.”

Kaye streckte den Finger aus, der geschwollen

und entzündet war.

„Das ist ein Abszess, das möglichst bald

geöffnet werden sollte”, diagnostizierte Marcia.
„Ich kann es nicht selber machen, weil ich nicht

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als Ärztin praktiziere. Aber ich fahre Sie gern
zum nächsten Arzt.”

„Das können wir Ihnen nicht zumuten, meine

Liebe”, wehrte Kaye bescheiden ab.

„Quentins Freunde sind auch meine”, sagte

Marcia. Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie
den weiten Weg hatte kommen müssen, um die
wahre Bedeutung des Worts Freundschaft
herauszufinden.

Nach Troys Anruf am Freitagabend verbrachte

Quentin die längsten vierundzwanzig Stunden
seines Lebens. Die Standuhr tickte laut und
schlug die Stunden. Er ging rastlos hin und her,
erfüllt von einer Mischung aus Wut, Verzwei-
flung und Furcht. Vor Besorgnis wurde er fast
verrückt.

Warum war Marcia weggelaufen? Wie hatte sie

nach den gemeinsamen Tagen

einfach ohne ein Wort verschwinden können?

Hatte sie etwa Angst vor ihm?

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Der Gedanke beunruhigte Quentin. Die Zeit ver-

strich qualvoll langsam, und das Telefon blieb
still.

Um zwei Uhr morgens schlief er auf dem Sofa

ein, denn er ertrug es nicht, allein in Marcias Bett
zu liegen. Alpträume quälten ihn, und immer
wieder wachte er auf.

Er fühlte sich einsamer als jemals zuvor.
Auch der Samstag verging zäh, und um vier Uhr

nachmittags hielt Quentin die Stille und Ein-
samkeit nicht länger aus.

Er hatte sein Glück auf eine Karte gesetzt - auf

eine Frau, von der er geglaubt hatte, sie wäre mit
ihm seelenverwandt. Und er hatte verspielt. Er
liebte Marcia von ganzem Herzen. Aber sie liebte
ihn nicht und hatte nicht den Mut, es ihm zu
gestehen. Je eher er das akzeptierte, desto besser.

Langsam suchte Quentin seine Sachen zusam-

men. Im Schlafzimmer vermied er es, zum Bett zu
blicken, in dem er so viel Glück erlebt hatte. Das
hatte er jedenfalls geglaubt. Aber sein Instinkt
hatte ihn offensichtlich getrogen. Die Gewissheit,

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endlich die richtige Frau gefunden zu haben, war
eine Illusion gewesen.

Müde räumte Quentin weiter auf, bis er alle

Spuren seines kurzen Aufenthalts in der Wohnung
beseitigt hatte. Und nun? Er wollte weg, mög-
lichst weit weg. Rasch ging er zum Telefon und
rief am Flughafen an.

Marcia brachte Kaye im Auto zum Arzt. Ed saß

auf dem Rücksitz, was seine Redelust allerdings
nicht eindämmte. „Wieso sind Sie keine richtige
Ärztin, Marcia?” wollte er wissen.

„Ich arbeite in der medizinischen Forschung.”
„Pah. Sind Ihnen Menschen nicht gut genug?”
Marcia überlegte. Als sie dem kleinen Jungen

geholfen hatte, der vor dem Laden die Treppe
hinuntergefallen war, oder Quentin und jetzt
Kaye, hatte sie sich nützlich gefühlt. Und das war
ihr mit einemmal wichtig. Schon wieder eine Ver-
änderung, dachte sie zugleich aufgeregt und be-
stürzt. Was war nur mit ihr los?

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„Gestern wurde ich übrigens entlassen”, erklärte

Marcia, und auf einmal fiel es ihr nicht schwer, es
zu sagen.

„Auf dem Land werden immer gute Ärzte geb-

raucht. Wenn unser alter Dr. Meade stirbt, müssen
Kaye und ich den weiten Weg in die Stadt
machen”, meinte Ed brummig.

„Ich habe Quentin noch gar nicht gesagt, dass

ich meinen Job verloren habe”, gestand Marcia
unvermittelt.

Ed lachte schallend. „Quentin wurde aus jedem

Job gefeuert, den er jemals hatte.

Am ersten sonnigen Tag ließ er nämlich alles

stehen und liegen und verschwand in den Wald.”

„Glauben Sie, dass es Quentin nicht viel aus-

macht, wenn ich arbeitslos bin?” fragte Marcia
ausdruckslos.

„Dem sicher nicht.”
„Ich habe mich geschämt, es ihm zu erzählen.

Deshalb bin ich überstürzt aus Ottawa wegge-
fahren.” Plötzlich hatte sie das Gefühl, vor ihr

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würde sich ein gähnender Abgrund öffnen. „Ich
bin wegen nichts davongelaufen.”

„Richtig erkannt”, bemerkte Ed.
„Ob Quentin mir das jemals verzeiht?” über-

legte Marcia laut.

„Aber sicher”, sagte Kaye tröstend.
„Wissen Sie was, Marcia”, mischte sich Ed ein.

„Ich wette, Quentin wäre viel glücklicher, wenn
Sie eine richtige Ärztin werden würden. Er hat
sich immer um irgendwelche kranken Viecher
gekümmert. Dieses Forschungszeugs, das ist doch
nur etwas für Leute, die nicht genug Mumm für
das wahre Leben haben.”

Dr. Martell würde dem sicher nicht zustimmen,

dachte Marcia. Aber für den arbeitete sie ja nicht
länger. Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass die
Entlassung ihr eine Chance für eine grundlegende
Veränderung bot.

„Da ist Dr. Meades Haus”, verkündete Edward.
Während Kaye behandelt wurde, saß Marcia im

Warteraum und dachte über die Ereignisse der let-
zten zwei Tage nach. Ihr wurde klär, dass sie

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deshalb geflüchtet war, weil sie ihre Gefühle
niemand hatte offenbaren und ihre Probleme nicht
hatte teilen wollen. Ganz wie früher …

Quentin hatte ihr schon einmal in so einer Situ-

ation gedroht, sie für immer zu verlassen.

Ich muss sofort mit Quentin sprechen, dachte

Marcia panisch. Sie musste ihm sagen, dass sie
einen schrecklichen Fehler gemacht hatte und
dass es ihr leid tat. Aber im Warteraum gab es
kein Telefon.

Ich liebe Quentin, dachte Marcia und lächelte

glücklich. Und er liebte sie. Nicht die Forscherin,
die gut verdiente, sondern die Frau.

Am liebsten hätte Marcia gelacht, gesungen und

wäre durch den schäbigen Warteraum getanzt.
Aber vor allem wollte sie Quentin sagen, dass sie
ihn liebte. Sie wollte seine Stimme hören. Und in
seinen Armen liegen.

Ungeduldig wartete Marcia auf Ed und Kaye.

Endlich kamen sie aus dem Behandlungszimmer.

Sobald sie wieder bei den Millers waren, bat

Marcia, das Telefon benützen zu dürfen.

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„Ja, gern. “Vielleicht können wir dann ja auch

mit Quentin sprechen”, sagte Kaye freundlich.

Marcia wählte zuerst ihre eigene Nummer. Nach

fünfmaligem Klingeln meldete sich der Anruf-
beantworter. Quentin ist nicht zu Hause, dachte
sie verzweifelt und sagte nach dem Signalton:
„Quentin, ich bin hier bei Ed und Kaye Miller.
Am Sonntag bin ich wieder in Ottawa. Ich liebe
dich. Tut mir leid, dass ich einfach weggelaufen
bin.”

Dann legte sie auf und wählte anschließend

Lucys Nummer. Troy meldete sich. „Ist Quentin
bei euch?” fragte Marcia drängend.

„Nein”, antwortete ihr Schwager. Es klang ir-

gendwie seltsam. „Wo steckst du denn?”

„In dem Dorf, in dem Quentin aufgewachsen ist.

Weißt du, wo er ist? Ich muss unbedingt mit ihm
reden.”

„Du bist zu spät dran”, informierte Troy sie.

„Quentin ist vor zwei Stunden nach Baffin Island
geflogen. Er will Freunde in Clyde River
besuchen.”

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„Er hat nicht auf mich gewartet”, sagte Marcia

enttäuscht.

„Nein, und er wollte auf keine vernünftigen Ar-

gumente hören. Er dachte, dass du ihn nicht heir-
aten wolltest. Und dass er zuviel Druck auf dich
ausgeübt hätte.

Länger in der Stadt zu warten würde ihn

wahnsinnig machen, hat er behauptet. Er war
auch ein bisschen verärgert, dass du weggelaufen
bist”, fügte Troy ironisch hinzu.

„Das ist sicher eine Untertreibung”, meinte

Marcia.

„Wir haben versucht, ihm gut zuzureden. Lucy

hat ihm eine richtige Standpauke gehalten, aber
nicht einmal das hat was genutzt. Er ist trotzdem
abgefahren.”

„O nein.” Marcia stöhnte. „Ich liebe ihn. Das

war mir bis heute nicht bewusst. Und frag mich
nicht, warum ich so lange gebraucht habe, es
herauszufinden. Troy, weißt du, wie die Freunde
heißen, die er besuchen will?”

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„Nein, nur dass sie in Clyde River wohnen.

Aber versuch doch, Quentin am Flughafen aus-
rufen zu lassen. Vielleicht ist die Maschine nach
Baffin Island noch nicht gestartet.”

„Eine gute Idee. Danke, Troy.”
Marcia legte auf. Dann rief sie am Flughafen in

Ottawa an und bat, Quentin Ramsey ausrufen zu
lassen.

Die Minuten verstrichen, und Quentin kam nicht

ans Telefon. Deprimiert legte Marcia schließlich
auf.

Quentin war fort. Er hatte sie verlassen, weil sie

nicht den Mut gehabt hatte, ihm zu sagen, dass sie
ihn liebte.

„Alles in Ordnung, Marcia?” fragte Kaye

mitfühlend.

„Quentin ist fort”, antwortete Marcia. „Er

glaubt, ich würde ihn nicht lieben.

Deshalb ist er nach Baff in Island geflogen. Das

ist doch jenseits des Polarkreises”, fügte sie verz-
weifelt hinzu.

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„Na und?” sagte Ed. „Am besten sausen Sie ihm

sofort hinterher und klären das Missverständnis.”

„Aber Baffin Island ist eine große Insel”, er-

widerte sie, verblüfft über den guten Rat.

„Sie finden Quentin”, ermutigte Ed sie. „Und

Sie müssen für die Reise nicht mal Urlaub neh-
men, weil Sie ja ohnehin gefeuert worden sind.”

Unwillkürlich musste Marcia lächeln. „Stimmt.

Ich lasse nichtlocker, bis ich Quentin gefunden
habe. Da oben gibt es nicht viele Orte, und selbst
in einer Menschenmenge fällt er auf.”

„Und dann reden Sie nicht lang um den heißen

Brei herum, sondern sagen Quentin, dass Sie ihn
lieben”, forderte Ed sie auf.

„Sie müssen aber hier übernachten”, meinte

Kaye. „Jetzt ist es schon zu spät. Ed steht beim er-
sten Hahnenschrei auf, also können Sie morgen in
aller Frühe losfahren.”

Marcia schlief gut, stand früh auf und war um

halb sieben fertig zum Aufbruch.

„Vergessen Sie bloß nicht, uns zur Hochzeit ein-

zuladen”, sagte Ed zum Abschied.

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„Falls es eine gibt.”
Ed funkelte sie an. „Kein ,falls’. Wenn ich

jünger wäre, würde ich eigenhändig Vernunft in
den Burschen klopfen. Warum läuft er vor einer
patenten jungen Frau wie Ihnen weg? Meine
Kaye hat Sie ins Herz geschlossen, und die kennt
sich mit Menschen aus. Und sehen Sie zu, dass
Sie beim richtigen Doktern bleiben.”

„Ja, Ed”, sagte Marcia nachgiebig und lächelte

ihn an. „Ich melde mich”, versprach sie, winkte
Ed zu und fuhr los.

Je näher sie Ottawa kam, desto mehr befürchtete

sie, Quentin würde sie nicht mehr wollen, weil sie
ihre Lektion zu spät gelernt hatte. Allerdings
weinte sie nicht, denn sie konnte nicht gleichzeit-
ig weinen und Auto fahren. Aber ihre Augen
brannten, und ihre Hände waren eiskalt.

Am Autobahnkreuz am Stadtrand bog Marcia,

ohne lange zu überlegen, zum Flughafen ab. Sie
wollte sich erst nach ein Ticket für den nächsten
Flug nach Baffin Island sichern, bevor sie in ihr

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einsames Apartment zurückkehrte, in dem alles
sie an Quentin erinnerte.

Marcia parkte vor dem Flughafengebäude und

betrachtete sich im Rückspiegel.

Sie sah - wie sie fand - schrecklich aus. Die

Bluse trug sie schon seit Freitag, dazu Jeans und
das Sweatshirt, die sie unterwegs gekauft hatte.
Es war violett und mit neongelben Lupinen
verziert.

Nachdem’ Marcia sich gekämmt hatte, schloss

sie den Wagen ab und ging in den Terminal. Von
der langen Fahrt tat ihr alles weh, und ihre Ge-
fühle waren ein einziges Chaos. Dabei hatte sie
ein Leben lang Gefühle vermieden …

Zufällig sah sie auf der Anzeigetafel, dass zwan-

zig Minuten vorher ein Flugzeug aus Baff in Is-
land gelandet war. Wie in Trance ging Marcia zur
Gepäckabfertigung.

Quentin war natürlich nicht dort.
Enttäuscht sagte sich Marcia, dass es albern

wäre, anzunehmen, Quentin wäre, kaum auf

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Baffin Island angekommen, umgekehrt und nach
Ottawa zurückgeflogen.

Vor allem, wenn er sie nicht mehr liebte.
Sie wandte sich um. Als hätten ihre Gedanken

ihn herbeigezaubert, stand Quentin an einem der
öffentlichen Telefone. Wie benommen betrachtete
sie ihn.

Heftig hängte er den Hörer ein und strich sich

durchs Haar. Dann schwang er sich die Reis-
etasche über eine Schulter und ging zum Aus-
gang. Quentin sieht noch mitgenommener aus als
ich, dachte Marcia.

Er hatte sie nicht gesehen. „Quentin”, rief sie

heiser. „Hallo, Quentin!”

Langsam, wie in Zeitlupe, wandte er den Kopf.

Sie blickte Quentin an, und eine scheinbare
Ewigkeit lang stand er bewegungslos da. Dann
kam er auf sie zu.

Er liebt mich, er liebt mich nicht, dachte Marcia.

Quentin blieb einen Meter vor ihr stehen, setzte
die Tasche ab und sagte ausdruckslos: „Ich habe
gerade Versucht, dich anzurufen.”

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„Ich bin nicht zu Hause.”
Seine Lippen zuckten unwillkürlich. Er wirkte

müde und erschöpft, Bartstoppeln bedeckten sein
Kinn. „Das sehe ich, Marcia. Was machst du denn
hier?”

„Ich wollte ein Ticket nach Clyde River kaufen.

Dabei weiß ich nicht mal, wo das genau liegt.”

„An der Ostküste von Baffin Island”, antwortete

Quentin ausdruckslos. „Warum wolltest du
dorthin?”

„Du machst es mir nicht leicht”, beklagte Mar-

cia sich. „Und du siehst noch schlimmer aus als
ich.”

„Ich habe ja auch die schlimmsten zwei Tage

meines Lebens hinter mir. Was dein Aussehen be-
trifft: Das Sweatshirt solltest du verschenken - ob-
wohl es wahrscheinlich niemand haben will.”

„Nein, ich behalte es lieber. So schnell kann ich

mir kein neues leisten. Ich habe nämlich am Freit-
ag meinen Job verloren.”

Ein seltsamer Ausdruck erschien flüchtig in

Quentins Augen. „Ach ja? Warum?

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Weil du dreimal hintereinander zu spät gekom-

men bist?”

„Unsinn. Wegen der Budgetkürzungen.”
„Hast du dich denn das ganze Wochenende im

Institut versteckt? Wo, natürlich, alle Telefone
nicht funktioniert haben?” fragte er aufgebracht.

Sie hatte nicht erwartet, dass Quentin so zornig

sein würde. „Nein, ich war bei Ed und Kaye”,
erklärte sie rundheraus.

Überraschung, Wut und Erleichterung spiegel-

ten, sich nacheinander auf seinem Gesicht wider”

„Quentin, liebst du mich noch?” fragte Marcia

unwillkürlich.

„Meinst du etwa, ich sei zum Vergnügen inner-

halb von vierundzwanzig Stunden nach Baff in Is-
land und zurück geflogen?” brauste er auf.
„Natürlich liebe ich dich.

Und ich bin dazu verdammt, dich mein ganzes

Leben lang zu lieben.”

Die Aussicht schien ihn nicht glücklich zu

machen. „Oh”, sagte Marcia leise. „Das ist gut.
Ich liebe dich nämlich auch.”

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„Hör zu, Marcia Barnes - ich bin schmutzig, un-

rasiert, hungrig, durstig und

erschöpft. Treib also keine Spielchen mit mir,

dazu bin ich nicht in der richtigen Stimmung.”

„Das tue ich nicht”, erwiderte sie und wieder-

holte sachlich: „Ich liebe dich. Das ist mir endlich
bewusst geworden. Ich liebe dich jetzt, ich werde
dich morgen lieben und die ganze nächste Woche,
und ich vermute, dass ich dich bis ans Ende mein-
er Tage lieben werde.”

Quentin lächelte. „Mal sehen, wie ernst es dir

ist. Willst du mich heiraten?”

„Würdest du mich in diesem Sweatshirt heir-

aten?” fragte Marcia schelmisch.

„Gott steh mir bei, sogar das würde ich.”
„Okay”, sagte sie.
Seine Miene entspannte sich, aber Quentin

machte keine Anstalten; Marcia zu umarmen.
„Ich verabscheue Flughäfen”, sagte er mürrisch.
„Lass uns nach Hause in dein Apartment fahren.”

Marcia nickte. „Mein Auto steht draußen.“
„Meines auch. Also los.”

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So leicht wollte sie ihn nicht davonkommen

lassen. „Küss mich, Quentin”, forderte sie ihn auf.

Er küsste sie leidenschaftlich und zornig

zugleich auf den Mund, dann hängte er sich die
Tasche über die Schulter und eilte zum Ausgang.

Marcia folgte Quentin. Sie nahm an, dass ihnen

der schlimmste Streit in ihrer nicht gerade fried-
lich verlaufenen Romanze bevorstand.

„Bis gleich”, verabschiedete Marcia sich und

stieg ins Auto.

Als sie zu Hause ankam, schloss Quentin schon

ihr Apartment auf. Missmutig fragte er: „Wer darf
zuerst duschen?”

„Du rasierst dich, während ich dusche, dann

föne ich mir das Haar, während du duschst”,
bestimmte sie und ging in den Flur. „Du hast ja
alle Zeichnungen abgenommen,” .

„Und verbrannt.”
Marcia ging ins Schlafzimmer und wunderte

sich nicht, dass die Blumen ebenfalls verschwun-
den waren. Quentin hatte alle Spuren seines
Aufenthalt beseitigt. Sie zog sich aus, hüllte sich

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in einen Flanellmorgenmantel und ging ins Bad.
Dort stellte sie sich unter die Dusche.

Das heiße Wasser entspannte ihre verkrampften

Muskeln. Anschließend trocknete Marcia sich ab.
Quentin stand wortlos am Waschbecken, er war
gerade mit Rasieren fertig.

Sie flüchtete sich förmlich ins Schlafzimmer

und fönte sich das Haar. Dann ging sie in die
Küche und stellte unnötig heftig eine Pfanne auf
den Herd.

„Was machst du?” fragte Quentin hinter ihr.
„Haferbrei mit Rosinen, braunem Zucker und

Sahne”, verkündete Marcia und wandte sich um.
„Das ist so ein tröstliches Essen.”

„Ich mache mir lieber ein Sandwich. Bei meiner

Tante gab es an dreihundertfünfundsechzig Tagen
im Jahr Haferbrei. Seitdem habe ich ihn nicht
mehr angerührt.”

Marcia umklammerte den Pfannengriff. „Wie alt

warst du, als du deine Verwandten verlassen
hast?”

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„Sechzehn. Vorher war es legal ja nicht gestat-

tet”, erwiderte Quentin schroff.

„Ich liebe dich”, sagte sie hilflos. „Und da

stehen wir und fauchen uns an wie zwei streun-
ende Katzen.”

Er, kam zu ihr, löste ihre Finger vom Pfannen-

griff und hielt sie fest. Quentins Blick ließ Mar-
cias Widerstand schmelzen. „Warum hast du mir
nicht gesagt, dass du deinen Job verloren hast?”
fragte

Quentin

streng.

„Warum

bist

du

weggelaufen?”

Marcia legte die freie Hand über seine. „Es gab

schon länger Gerüchte über Kündigungen, aber
ich dachte nicht, dass es mich treffen könnte. Um
zwei Uhr mittags am Freitag teilte mir der Direkt-
or mit, ich sei entlassen. Einfach so”, berichtete
Marcia. „Unsere Familie ist sehr erfolgreich. Vier
Generationen Ärzte - und ich bin die erste, die ge-
feuert wurde. Ich fühlte mich gedemütigt und
schämte mich, kam mir wertlos vor. Außerdem
war mir klar, dass ich dich niemals um Geld

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bitten könnte, denn ich bin zu lange meine eigene
Herrin gewesen. Deshalb …”

„Mir ist es völlig egal, ob du ein Vermögen hast

oder ohne einen Pfennig dastehst.

Dich liebe ich, Marcia, nicht dein Geld oder

deinen beruflichen Erfolg.”

„Am Freitag war ich zu verstört, um das ein-

zusehen”, verteidigte sie sich.

„Du hättest mich ja fragen können”, erwiderte

Quentin gefährlich sanft. „Und mir sagen, was
geschehen war,”

„Es tut mir so leid. Ich bin, ohne nachzudenken,

einfach allem davongelaufen.”

„Du hast Troy angerufen, nicht mich. Was

glaubst du, wie ich mich da gefühlt habe?” fragte
Quentin heftig. „Ich dachte, dass du mich nicht
heiraten und nicht mit mir leben wolltest. Dass dir
der Mut fehle - oder die Höflichkeit - mir das ins
Gesicht zu sagen, und du deshalb weggelaufen
seist. Deshalb bin ich nach Norden aufgebrochen.
Ich hatte dich schon öfter falsch eingeschätzt, also

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dachte ich mir, ich hätte mich überhaupt in dir
geirrt.”

Marcia schloss kurz die Augen. „Es tut mir so

leid”, wiederholte sie. „Aber ich fühlte mich, als
hätte ich meine Identität verloren, als wäre ich ein
Niemand. Erst Ed Miller hat mich wieder zur
Vernunft gebracht. Ich weiß gar nicht, warum ich
am Freitag Richtung Osten gefahren bin. Aber
verstehst du denn nicht, Quentin? Sogar als ich
vor dir davonlief, bin ich im Grund zu dir
gelaufen.”

„Du bist also direkt nach Holton gefahren?”

fragte Quentin.

Marcia nickte. „Ich habe dich nie nach deiner

Kindheit gefragt, oder nach deinen Eltern. Dafür
schäme ich mich auch. Von dem, was Ed und
Kaye mir über dich erzählten, wurde mir klar,
warum du immer wie ein Vagabund durch die
Welt gezogen bist. Und wie sehr du mich liebst,
da du es mit mir in einem Apartment in der Stadt
ausgehalten hast.” Leidenschaftlich fügte sie

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hinzu: „Ich werde versuchen, deine Freiheit nie
einzuschränken, Quentin.”

Sein Herz pochte wie wild. „Für mich bedeutet

Freiheit inzwischen, mit dir zusammenzusein. De-
shalb bin ich auch sofort von Baffin Island
wieder zurückgekommen. Als ich dich am
Flughafen sah, dachte ich, ich halluziniere.”

„O nein, ich bin wirklich”, sagte Marcia und

presste seine Hand an ihre Wange.

„Ed hat angeregt, ich solle eine wirkliche Ärztin

werden - und ich glaube, er hat recht.”

„Du

wärst

eine

wunderbare

Landärztin,

Marcia.”

„Ich müsste aber mindestens ein Jahr lang auf

die Universität zurück”, warnte sie Quentin.

„Fein, in der Zeit kann ich unser Haus bauen.”
„Du willst mich also wirklich heiraten,

Quentin?”

Er legte ihr die Arme um die Taille. „Ja.”
Mit tränenfeuchten Augen gestand Marcia ihm:

„Gestern morgen war ich mir sicher, dass du mich
nicht mehr liebst. Quentin, ich schwöre dir, dass

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ich nie mehr weglaufen werde.” Nachdenklich
runzelte sie die Stirn. „Ich weiß nicht, warum ich
nach Holton fahren müsste, um herauszufinden,
dass ich dich liebe. Aber da ich es jetzt weiß - na
ja, jetzt bist du mein sicherer Hafen, oder? Der
Mensch, dem ich alles sagen kann und … klingt
das überhaupt vernünftig?”

„Durchaus. Du hast bei Kaye und Ed viel gel-

ernt”, meinte Quentin.

„Ed möchte unbedingt zur Hochzeit eingeladen

werden.”

„Ich käme hie auf die Idee, ohne ihn zu heir-

aten.” Dicht zog er sie an sich und küsste sie zärt-
lich. „Liebste, anbetungswürdige Marcia, ich
liebe dich. Ich vermute, unsere Ehe wird nie lang-
weilig sein, und morgen kaufe ich dir einen Mor-
genmantel, der ein kleines bisschen sexyer ist als
dieser hier. Und Blumen.” Er presste die Hüften
gegen ihre. „Aber jetzt musst du die Wahl treffen:
Haferbrei oder ich.”

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Marcia legte ihm die Arme um den Nacken.

„Willst du damit sagen, dass ich dir jetzt lieber
wäre als ein Sandwich?”

„Ja, diese Botschaft versuche ich dir zu

vermitteln.”

Heißes Verlangen durchflutete sie. „Das ist dir

gelungen. Ich kann den Haferbrei ja zum Früh-
stück machen.”

Quentin löste den Gürtel des Morgenmantels

und streichelte ihre Brüste.

„Irgendwann mal werde ich dich sicher in der

Küche lieben. Aber nicht heute. Wir müssen
beide ins Bett.”

Also gingen sie ins Bett und schliefen mitein-

ander. Danach aßen sie Sandwiches und Hafer-
brei. Sie riefen Lucy, Evelyn«, Catherine und Ed
an und verkündeten ihre Verlobung. Dann gingen
sie wieder ins Bett und liebten sich nochmals.

Zwei Monate später kamen sie von den Flitter-

wochen in New Brunswick zurück und bereiteten
alles für den Umzug an die Westküste vor. Marcia
wollte dort ein Jahr Ausbildung in praktischer

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Medizin machen, und Quentin wollte ein Haus
bauen. Als letztes verstauten sie eine Kiste im
Wagen, in der drei Bilder waren: die Frau in Rot,
die drei kleinen Mädchen auf der Blumenwiese
und eine große Leinwand, bedeckt mit Spiralen in
leuchtenden Farben. Das Bild, dem Marcia ihr
Glück verdankte und den Mann, den sie über alles
liebte.

-ENDE-

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