Analysis I
N.-P. Skoruppa
Vorlesungsskript — Universit¨
at Siegen, 2000
Die folgenden Seiten stellen eine nur leicht ver¨
anderte Version eines Skripts
dar, welches ich 1990 frei nach Mitschriften zu Vorlesungen von F. Hirze-
bruch verfasste, die er in in Bonn in den Wintersemestern 1978/79 und
1989/90 gehalten hatte. Zu der zuletzt genannten Veranstaltung stellten mir
verschiedene Studenten gelegentlich ihre jeweiligen Notizen zur Verf¨
ugung.
Zu der ersten lag mir eine sehr sch¨
one, noch handschriftlich angefertigte
Vorlesungsausarbeitung von A. K¨
uster vor, die dieser “mit spitzer Feder”
niedergeschrieben hatte, wie F. Hirzebruch es nannte. Diese “spitze Feder”,
die punktgenau witzige Anmerkungen aus F. Hirzebruch’s Vortrag aufzeich-
nete und zuweilen noch extrapolierte, habe ich hier erst gar nicht nachzuah-
men versucht — obgleich ansonsten viele Details aus beiden Vorlesungen
wortw¨
ortlich ¨
ubernommen wurden —, dagegen ist aber der methodische
Aufbau der urspr¨
unglichen Vorlesungen fast unver¨
andert. Das urspr¨
ungliche
Skript von 1990 war unter dem Titel “Infinitesimalrechnung I” an der Uni-
versit¨
at Bonn verf¨
ugbar.
N.-P. Skoruppa, Siegen im September 2000
Das vorliegende Skript wurde auf PCs des Max-Planck-Instituts f¨
ur Mathe-
matik mit TEX gesetzt. Numerische Beispiele mit großen Zahlen waren
dank PARI in Sekundenbruchteilen m¨
oglich, und die Graphen von Funk-
tionen sind von MATHEMATICA gezeichnet worden.
Die raffinierteren
Aspekte des Layout w¨
aren ohne h¨
aufige R¨
ucksprachen mit Ulrich Everling
nicht zustande gekommen, und Rainer Jung verdanke ich einen wertvollen
Hinweis, wie man von MATHEMATICA erstellte Graphen “glatter” repro-
duziern kann. Karin Deutler nahm die M¨
uhe auf sich, ihren PC eine erste
TEX -Rohform der Kapitel 1 bis 9 zu lehren. Das zw¨olfte Kapitel wurde
von Hans-Olaf Herøy geschrieben (und in TEX gesetzt). Pia Bauer-Price,
Rainer Jung, Hartmut Maennel brachten die Rohform der Kapitel 5,6,7
in eine TEX-lesbare Form. Verschiedene Mathematiker im Max-Planck-
Institut f¨
ur Mathematik und die ¨
Ubungsleiter der ¨
Ubungen zu den Vor-
lesungen halfen beim Korrektur lesen. Schließlich mußte das vorliegende
Skript in Riesenauflage gedruckt und gebunden werden. Allen genannten
und ungenannten Beteiligten m¨
ochte ich an dieser Stelle aufrichtig danken.
N-P. Skoruppa, Bonn, Februar 1990
INHALT
Einige historische Bemerkungen ¨
Die Axiomatik der reellen Zahlen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
General Nonsense und elementare Kombinatorik
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
aßige Steitigkeit und gleichm¨
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Anhang
Die Graphen einiger elementarer Funktionen
. . . . . . . . . . . . . . 147
Aufgaben zu den einzelnen Kapiteln
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Im sechsten Kapitel wird die Parametrisierung x 7→ (cos 2πx, sin 2πx) des
Einheitskreises betrachtet. Allgemeiner kann man Abbildungen der Gestalt
x 7→ (cos
2π
p
x, sin
2π
q
x) studieren, wobei p und q irgendwelche positiven ganzen
Zahlen bedeuten. Die dabei entstehenden Kurven heißen Lissajou Figuren.
Das Titelblatt zeigt die Lissajou Figuren f¨
ur (p, q) = (1, 1), (1, 3), (2, 3), (3, 5),
(5, 7), (7, 11).
1
EINIGE HISTORISCHE BEMERKUNGEN
¨
UBER ZAHLSYSTEME
In diesem einf¨
uhrenden Kapitel werden die Zahlsysteme vorgestellt, denen
man in der Infinitesimalrechnung begegnet. Insbesondere werden wir die f¨
ur
sie in der Mathematik heute allgemein gebr¨
auchlichen Symbole vorstellen,
wir werden andeuten, wie die einzelnen Zahlsysteme historisch auseinander
hervorgegangen sind und wie ihre Entwicklung notwendig zur Infintesimal-
rechnung f¨
uhren mußte. Nebenbei werden wir gleichzeitig schon einige der
Schreibweisen kennenlernen, die man in der Mathematik heutzutage st¨
andig
benutzt.
Mit N bezeichnet man die Menge der nat¨
urlichen Zahlen. Dies kann man
Nat¨
urliche Zahlen
symbolisch auch durch die Schreibweise
N:={0, 1, 2, 3, . . .}.
ausdr¨
ucken. Das Zeichen “:=” besagt, daß das linke Symbol eine abk¨
urzende
Schreibweise f¨
ur den Ausdruck auf der rechten sein soll. Der Ausdruck auf
der rechten bezeichnet eine Menge, wobei die Elemente der Menge gerade
Mengen
die Objekte sind, die zwischen den geschweiften Klammern aufgef¨
uhrt sind;
da man nicht alle nat¨
urlichen Zahlen auflisten kann, behilft man sich mit
“. . .” und appelliert damit an die Phantasie des Betrachters. Der im letzten
Jahrhundert lebende Mathematiker Kronecker (1823–1891) hat gesagt, die
nat¨
urlichen Zahlen habe der liebe Gott gemacht, der Rest sei Menschen-
werk. (Die Zahl “0” ist m¨
oglicherweise auch schon als Menschenwerk zu
betrachten.) Tats¨
achlich kann man alle anderen Zahlsysteme mengenthe-
oretisch aus den nat¨
urlichen Zahlen heraus konstruieren und ihre Eigen-
schaften aus denen der nat¨
urlichen Zahlen ableiten. Mit nat¨
urlichen Zahlen
kann man rechnen, man kann sie addieren und multiplizieren: die Menge
der nat¨
ulichen Zahlen ist abgeschlossen unter den Operationen “+” und “·”.
Allerdings kann man nat¨
urliche Zahlen nicht uneingeschr¨
ankt voneinander
Ganze Zahlen
subtrahieren. Dies kann man erst im n¨
achst gr¨
oßeren Bereich
Z = {. . . , −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, . . .}
der ganzen Zahlen. Hier kann nun uneingeschr¨
ankt addiert, subtrahiert und
multipliziert werden, allerdings kann man nicht uneingeschr¨
ankt durch von
0 verschiedene Zahlen dividieren. Dies ist erst im wiederum n¨
achst gr¨
oßeren
Bereich Q der rationalen Zahlen m¨oglich. Die Elemente von Q sind Br¨
uche
Rationale Zahlen
p
q
, wobei p, q ganze Zahlen sind, allerdings q von 0 verschieden ist, und wobei
1
2
Kapitel 1
zwei Br¨
uche
p
q
und
p
0
q
0
als gleich angesehen werden, falls die ganzen Zahlen
pq
0
und p
0
q gleich sind. Letzteres schreibt man auch symbolisch
p
q
=
p
0
q
0
:⇐⇒ pq
0
= p
0
q.
Es wird hier nat¨
urlich vorausgesetzt, daß man mit rationalen Zahlen rech-
nen kann, allerdings kann man—wie schon erw¨
ahnt—die rationalen Zahlen
zusammen mit ihren Operationen “±”, “·, ÷” mengentheoretisch aus den
nat¨
urlichen Zahlen konstruieren. Nehmen wir einmal an, wir h¨
atten schon
die ganzen Zahlen konstruiert, so w¨
are eine typische Vorgehensweise zur
Konstruktion der rationalen Zahlen, einen Bruch
p
q
als Menge der Paare
(tp, tq) zu definieren, wo t die Menge der ganzen, von 0 verschiedenen
Zahlen durchl¨
auft.
Dabei w¨
are jetzt eigentlich noch der Begriff ”Paar”
zu erkl¨
aren (mengentheoretisch ein Paar (a, b) wiederum definiert als die
Menge {a, {a, b}}) etc..
Das Hauptobjekt der Infinitesimalrechnung ist die Menge R der reellen Zah-
Reelle Zahlen
len. W¨
ahlt man eine Gerade und darauf zwei Punkte, so kann man sich die
reellen Zahlen als Punkte auf dieser Geraden vorstellen. Die beiden Punkte
entsprechen den Zahlen 0 und 1, die nat¨
urliche Zahl n erh¨
alt man, indem
man n−mal die Strecke von 0 nach 1 ausgehend von der 0 in Richtung der 1
abtr¨
agt, die negativen Zahlen, indem man in die entgegengesetzte Richtung
abtr¨
agt, und die rationale Zahl
p
q
— wobei wir q als positive ganze Zahl
voraussetzen k¨
onnen — erh¨
alt man, indem man erst den p entsprechenden
Punkt auffindet und dann die Strecke von 0 nach p in q gleiche Teile teilt;
der dem Punkt 0 am n¨
achsten gelegene Teilungspunkt ist dann die Zahl
p
q
.
Die Punkte der Geraden werden durch die rationalen Zahlen nicht aus-
gesch¨
opft. Es bleiben noch Punkte ¨
ubrig: die irrationalen Zahlen, d.h. die-
jenigen reellen Zahlen, die nicht rational sind—in Symbolen: die Elemente
der Menge R \ Q. Das es tats¨achlich irrationale Zahlen gibt, war eine der
großen Entdeckungen in der Mathematik. Eudoxos entdeckte die folgende
Tatsache:
Die Seite und die Diagonale eines Quadrates sind inkommen-
surabel.
Zwei Strecken heißen kommensurabel, falls man sie beide in Strecken auftei-
len kann, von denen alle ein-und dieselbe L¨
ange haben; andernfalls heißen
sie inkommensurabel. Nimmt man ein Quadrat, dessen eine Seite gerade die
Strecke von 0 nach 1 auf unserer Zahlengeraden ist, so besagt Eudoxos Satz
also, daß die L¨
ange der Diagonalen dieses Quadrats keine rationale Zahl
ist. Die L¨
ange dieser Diagonalen ist nach dem Satz des Pythagoras
√
2,
wobei dies Symbol gerade die nichtnegative Zahl bedeutet, deren Quadrat
2 ergibt. In moderner Sprechweise besagt Eudoxos Entdeckung daher
Einige historische Bemerkungen
3
Satz. Die Zahl
√
2 ist irrational.
Beweis. Der Beweis, den wir hier geben ist ein typisches Beispiel eines
indirekten Beweises. Wir nehmen an, daß
√
2 rational ist und f¨
uhren dies
zum Widerspruch. Angenommen also,
√
2 sei rational. Dann gibt es ganze
Zahlen p und q 6= 0, sodaß
√
2 =
p
q
. Wir k¨
onnen dabei annehmen, daß p
und q nicht beide zugleich gerade sind, denn andernfalls k¨
onnen wir p und
q solange durch zwei teilen, bis mindestens eine der beiden Zahlen ungerade
ist.
Die Gleichung
√
2 =
p
q
ist gleichbedeutend mit 2q
2
= p
2
. Hieraus
folgern wir, daß p gerade sein muß, denn hiernach ist jedenfalls p
2
gerade,
und das Quadrat einer ungeraden Zahl w¨
are wieder ungerade. Also kann
man p = 2p
0
mit einer geeigneten ganzen Zahl p
0
schreiben. Setzen wir das
in die letzte Gleichung ein und teilen wir beide Seiten der resultierenden
Gleichung sogleich noch durch 2, so erhalten wir q
2
= 2p
02
. Wie eben folgt
hieraus, daß q gerade ist. Da aber nicht beide, p und q, gerade sind, haben
wir einen Widerspruch gefunden.
Wie notiert man reelle Zahlen. F¨
ur nat¨
urliche Zahlen hat man die Dezi-
Zahldarstellungen
malschreibweise
a
n
a
n−1
. . . a
3
a
2
a
1
a
0
,
mit Ziffern a
k
aus der Menge der Zahlen von 0 bis 9, die als Abk¨
urzung f¨
ur
a
n
· 10
n
+ · · · + a
2
· 100 + a
1
· 10 + a
0
steht, und die schon in Indien vor Jahrhunderten verwendet wurde. Ganze
Zahle erh¨
alt man, indem man gegebenenfalls ein Minus-Zeichen vor solche
Ausdr¨
ucke setzt, und die rationalen Zahlen notiert man als Paare solcher
Dezimalzahlen, eine ¨
uber und eine unter dem Bruchstrich. Die Notierung
von reellen Zahlen dagegen fordert eine v¨
ollig neue Begriffsbildung. Wie
wir sahen, ist nicht jede reelle Zahl rational, d.h. nicht jeder Punkt auf der
Zahlengeraden entspricht einem Bruch. Aber immerhin liegen die rationalen
Zahlen dicht auf der Zahlengeraden, d.h. die Br¨
uche kommen jedem Punkt
auf der Zahlengeraden beliebig nahe. Eine reelle Zahl notiert man also am
naheliegendsten, indem man eine Folge von rationalen Zahlen angibt, sodaß
die Glieder dieser Folge der ins Auge gefaßten reellen Zahl immer n¨
aher
kommen. Solch eine Approximation von reellen Zahlen durch rationale war
im Grunde schon den Griechen bekannt, wenn auch eine logisch einwandfreie
Fassung dieser “infiniten” Prozesse erst sehr viel sp¨
ater erfolgte. So hatte
schon Archimedes benutzt, daß
265
153
< π <
1351
780
ist, wo π den Umfang des Kreises vom Radius 1 bezeichnet.
Wie notiert man also eine reelle, nicht notwendig rationale Zahl. Wir geben
drei Beispiele; das erste ist ein Beispiel f¨
ur die Dezimaldarstellung einer
4
Kapitel 1
reellen Zahl, hier der Zahl π
π =
3.141592653589793238462643383279502884197169399375105
82097494459230781640628620899862803482534211706798214
80865132823066470938446095505822317253594081284811174
50284102701938521105559644622948954930381964428810975
66593344612847564823378678316527120190914564856692346
03486104543266482133936072602491412737245870066063155
88174881520920962829254091715364367892590360011330530
54882046652138414695194151160943305727036575959195309
21861173819326117931051185480744623799627495673518857
52724891227938183011949129833673362440656643086021394
94639522473719070217986094370277053921717629317675238
46748184676694051320005681271452635608277857713427577
89609173637178721468440901224953430146549585371050792
27968925892354201995611212902196086403441815981362977
47713099605187072113499999983729780499510597317328160
96318595024459455346908302642522308253344685035261931
18817101000313783875288658753320838142061717766914730
35982534904287554687311595628638823537875937519577818
57780532171226806613001927876611195909216420199 · · ·
Dies steht als Abk¨
urzung f¨
ur die Folge von rationalen Zahlen
3, 3 +
1
10
=
31
10
, 3 +
1
10
+
4
100
=
157
50
3 +
1
10
+
4
100
+
1
1000
=
3141
1000
,
3 +
1
10
+
4
100
+
1
1000
+
5
10 000
=
6283
2000
.
Der Nachteil dieser Darstellung ist, daß man nicht auf den ersten Blick sieht,
wie es weiter geht — aber nat¨
urlich gibt es Algorithmen, um (theoretisch
beliebig viele) weitere Dezimalstellen von π zu berechnen. In geschlossenerer
Form steht die Folge von rationalen Zahlen
1, 1 +
1
4
, 1 +
1
4
+
1
9
, 1 +
1
4
+
1
9
+
1
16
, . . . ,
die man noch pr¨
agnanter als
∞
X
n=1
1
n
2
schreiben kann. Hier wird der Algorithmus zur Berechnung der Folge von
rationalen Zahlen sofort mitgeliefert. Aber nat¨
urlich haben solche einfachen
Darstellungen auch Nachteile: man fr¨
agt sich n¨
amlich sofort, welche aus-
gezeichnete reelle Zahl durch solch eine ausgezeichnet einfach gebaute Folge
Einige historische Bemerkungen
5
dargestellt wird. Die reelle Zahl, die hier dargestellt wird, ist
π
2
6
. Aber f¨
ur
das Beispiel
∞
X
n=1
1
n
3
ist die Natur der hier dargestellte Zahl bis heute noch unklar; wir werden
unten noch einmal darauf zur¨
uckkommen und dies pr¨
azisieren.
Eine drittes Beispiel f¨
ur die Darstellung reeller Zahlen ist der unendliche
Kettenbruch
x = 1 +
1
1 +
1
1 +
1
1 +
1
1 +
1
1 + · · ·
.
Hier ist der Algorithmus zur Berechnung der Folge von rationalen Zahlen
sofort ersichtlich:
1, 1 +
1
1
= 2, 1 +
1
1 + 1
=
3
2
, 1 +
1
1 +
1
1+1
=
5
3
, . . . ,
als auch die Natur der dargestellten Zahl: aufgrund der Struktur des Ket-
tenbruchs muß offenbar gelten
x = 1 +
1
x
,
d.h.
x
2
− x − 1 = 0,
also
x =
1 +
√
5
2
(oder =
1−
√
5
2
, was aber sofort ausgeschloßen werden kann, da x offenbar
positiv sein soll).
Wie schon das eben gegebene Beispiel des Kettenbruchs nahelegt, sind die
Wurzeln von rationalen Zahlen in einem gewissen Sinne einfacher, den ra-
tionalen Zahlen n¨
aher verwandt als etwa π. Dies kann man leicht mittels
der folgenden Beobachtung pr¨
azisieren? Die rationale Zahl r ist L¨
osung der
linearen Gleichung
x − r = 0.
Die Zahl
1 +
√
5
2
6
Kapitel 1
ist L¨
osung der quadratischen Gleichung
x
2
− x − 1 = 0.
In diesem Sinne sind die den rationalen Zahlen verwandtesten Zahlen die-
jenigen reellen Zahlen x, die L¨
osung einer Gleichung
x
n
+ r
n−1
x
n−1
+ r
n−2
x
n−2
+ · · · + r
1
x + r
0
= 0,
wo n eine positive ganze Zahl und die r
n−1
, r
n−2
, . . . rationale Zahlen sind.
Solche Zahlen bezeichnet man als (reell-)algebraische Zahlen. Man kann
Algebraische Zahlen
zeigen daß der Bereich dieser Zahlen abgeschloßen ist unter Addition, Sub-
traktion, Multiplikation und Division, d.h. mit zwei algebraischen Zahlen ist
auch wieder ihre Summe, Differenz, etc. eine algebraische Zahl. Tats¨
achlich
ist nicht jede Zahl algebraisch; zum Beispiel ist die Zahl π nicht algebraisch.
Nicht algebraische Zahlen nennt man transzendent. Die Transzendenz von π
Transzendente Zahlen
ist eine ganz und gar nicht offensichtliche Tatsache. Es wurde erst 1882 von
Lindemann bewiesen, daß π transzendent ist. Die Transzendenz von π im-
pliziert auch die Unm¨
oglichkeit der Quadratur des Kreises: Es ist unm¨
oglich
lediglich mit Zirkel und Lineal die Seite eines Quadrats zu konstruieren,
welches den gleichen Fl¨
acheninhalt wie der Kreis vom Radius 1 hat (die Ko-
ordinaten aller Punkte in einem kartesischen Koordinatensystem, die sich
nur mit Zirkel und Lineal aus den Punkten mit Koordinaten (0, 0) und (0, 1)
konstruieren laßen sind algebraische Zahlen). Beim Begriff “Transzendenz”
gibt es heute noch viele ungel¨
oste Fragen. Zum Beispiel weiß man nicht, ob
die oben angegebene Zahl
P
∞
n=1
1
n
3
transzendent ist oder nicht; man weiß
— und dies erst seit relativ kurzem — lediglich, daß sie jedenfalls nicht
rational ist (Ap´
ery 1978).
Betrachtet man algebraische Zahlen, so st¨
oßt man bald auf das Problem, daß
solch einfache Gleichungen wie x
2
+ 1 = 0 scheinbar keine L¨
osung besitzen.
Nat¨
urlich besitzt diese Gleichung sehr wohl eine L¨
osung, allerdings nicht
im Bereich der reellen Zahlen, sondern im gr¨
oßeren Bereich der komplexen
Komplexe Zahlen
Zahlen. Eine komplexe Zahl notiert man in der Form
a + ib,
wo a und b reelle Zahlen bedeuten. Man rechnet mit solchen Ausdr¨
ucken wie
man es mit reellen Zahlen gewohnt ist, unter Benutzung der zus¨
atzlichen
Regel, daß stets eine Potenz i
2
durch die ganze Zahl −1 ersetzt werden
kann. Das Symbol i bezeichnet man als imagin¨
are Einheit. Es ist gerade
eine L¨
osung der Gleichung x
2
+ 1 = 0; die andere L¨
osung ist −i ( d.h. das
Symbol 0 + (−1)i). Die fundamentale Aussage in diesem Zusammenhang
ist, daß jede Gleichung
x
n
+ r
n−1
x
n−1
+ r
n−2
x
n−2
+ · · · + r
1
x + r
0
= 0
(die Koeffizienten r
k
sind irgendwelche vorgegebenen komplexen Zahlen)
mindestens eine L¨
osung im Bereich der komplexen Zahlen besitzt (Funda-
mentalsatz der Algebra, Gauß, 1799). Als algebraische Zahl schlechthin
Einige historische Bemerkungen
7
(d.h. ohne den Zusatz reell ) bezeichnet man jede L¨
osung einer solchen
Gleichung mit rationalen Koeffizienten. Ein oft ben¨
utztes Symbol f¨
ur die
Gesamtheit der algebraischen Zahlen ist Q, das heute allgemein ¨
ubliche
Symbol f¨
ur die Gesamtheit der komplexen Zahlen ist C.
Wir fassen die in diesem ersten Kapitel angedeuteten Zusammenh¨
ange noch
einmal symbolisch in einem Diagramm zusammen:
N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ Q ∩ R ⊂ R ⊂ C ⊃ Q
√
2 ∈ Q \ Q,
π ∈ R \ Q,
∞
X
n=1
1
n
3
6∈ Q, ∈ {?}.
2
DIE AXIOMATIK DER
REELLEN ZAHLEN
R hat zwei Verkn¨
upfungen + und ·, d.h.
f¨
ur zwei reelle Zahlen x und
y ist x + y ebenso wie x · y ein wohlbestimmtes Element von R. Diese
Verkn¨
upfungen erf¨
ullen eine Serie von Axiomen, von denen die ersten vier
die folgenden sind:
(A1)
F¨
ur alle x, y, z ∈ R gilt das Assoziativgesetz (x + y) + z
Axiome f¨
ur die
Addition
= x + (y + z).
(A2)
Es gibt ein Element 0 ∈ R, sodaß x + 0 = 0 + x = x f¨
ur
alle x ∈ R gilt.
(A3)
Zu jedem x ∈ R existiert ein x ∈ R ein x
0
∈ R, sodaß
x + x
0
= x
0
+ x = 0
(A4)
F¨
ur alle x, y ∈ R gilt das Kommutativgesetz x + y
= y + x.
Eine erste, einfache Folgerung aus diesen Axiomen ist die Eindeutigkeit des
additiven Neutralelements 0; genauer:
Satz. Ist 0
0
∈ R, sodaß f¨ur jedes x ∈ R die Gleichung 0
0
+ x = x + 0
0
= x
besteht, dann ist 0
0
= 0
0
.
Beweis. Die Voraussetung und Axiom (A2) angewandt auf x = 0 resp.
x = 0
0
liefert 0 = 0 + 0
0
= 0
0
.
Ferner hat man
Satz. Das zu jedem x ∈ R nach (A3) existierende additives Inverse x
0
ist
eindeutig bestimmt.
Beweis. Es gelte x + x
00
= x
00
+ x = 0. Dann hat man
x
00
= x
00
+ 0
(nach (A2)
= x
00
+ (x + x
0
)
(nach (A3))
= (x” + x) + x
0
(nach (A1))
= 0 + x
0
(nach Voraussetzung)
= x
0
(nach (A2)).
9
10
Kapitel 2
Das zu einem x eindeutig bestimmte x
0
mit x + x
0
= x
0
+ x = 0 wird mit
−x bezeichnet.
Satz. −(−x) = x
Beweis. Es gilt x + (−x) = 0. Also ist x das eindeutig bestimmte additive
Inverse zu (−x), d.h. x = −(−x).
Satz. Ist a + x = b and a + y = b, so ist x = y.
Beweis. Mit a+x = b = a+y folgt x = (−a)+(a + x) = (−a)+(a + y) = y.
Dieser Satz besagt, daß die Gleichung a + x = b zu fest gegebenen a, b von
h¨
ochstens einem x ∈ R gel¨ost wird. Es ist klar, daß es mindestens eine
L¨
osung, n¨
amlich x = b + (−a). Hierf¨
ur schreibt man auch b − a.
Es gibt noch eine Reihe weiterer wichtiger Folgerungen aus den Axiomen,
wie etwa
a − (b − a) = (a − b) + c
(Man beweise zun¨
achst −(x + y) = (−x) + (−y), womit dann −(b − c) =
(−b) + (−(−c)), wegen −(−c) = c also −(b − c) = (−b) + c folgt; setze dies
in die behauptete Identit¨
at ein und wende (A1) an.) Alle diese Folgerungen
sind nicht anderes als die vertrauten Rechenregeln f¨
ur die Addition. Der
wirklich bemerkenswerte Punkt ist hierbei, daß man alle diese Rechenregeln
formal aus den Axiomen ableiten kann.
Die Axiome f¨
ur die Multiplikation sind den Axiomen f¨
ur die Addition v¨
ollig
analog.
(M1) F¨
ur alle x, y, z ∈ R gilt das Assoziativgesetz (x·y)·z
Axiome f¨
ur die
Multiplikation
= x·(y·z).
(M2) Es gibt ein Element e ∈ R, e 6= 0, sodaß x·e = e·x = x
f¨
ur alle x ∈ R gilt.
(M3) Zu jedem x ∈ R, x 6= 0 existiert ein x ∈ R ein x
0
∈ R,
sodaß x·x
0
= x
0
·x = e
(M4) F¨
ur alle x, y ∈ R gilt das Kommutativgesetz x·y = y·x.
Meist l¨
aßt man beim Rechnen den · weg, d.h. man schreibt also ab statt
a · b etc.. Wie oben kann man beweisen
Satz. Ist e
0
∈ R, sodaß f¨ur jedes x ∈ R die Gleichung e
0
· x = x · e
0
= x
besteht, dann ist e
0
= e.
Satz. Das zu jedem x ∈ R nach (M3) existierende multiplikative Inverse x
0
ist eindeutig bestimmt.
Die Axiomatik der reellen Zahlen
11
Das somit eindeutig bestimmte multiplikative Neutralelement e bezeichnet
man ¨
ublicherweise mit 1, und f¨
ur das zu gegebenem eindeutig bestimmte
a 6= 0 multiplikative Inverse schreibt man a
−1
oder
1
a
. Weiter folgt wie
oben:
Satz. a
−1
−1
= a.
Satz. Zu a 6= 0 and b aus R existiert genau ein Element x mit ax = b.
Dieses x ist gerade ba
−1
. Man schreibt hierf¨
ur auch
b
a
.
Das letzte der f¨
ur die Addition und Multiplikation geltende Axiom ist das
Distributivgesetz:
(D)
a(b + c) = ab + ac f¨
ur alle a, b, c ∈ R.
Distributivgesetz
Satz. F¨
ur alle x ∈ R gilt 0 · x = 0.
Beweis. Man hat 0·x = (0 + 0)·x = 0·x+0·x — die erste Gleichnung nach
(A2), die zweite nach (D). Also ist 0 · x eine L¨
osung der Differenzenaufgabe
0 · x = y + 0x.
Da nach (A2) auch 0 eine ist, folgt nach einem oben
ausgesprochenen Satz 0 = 0 · x.
Satz. (−a) · b = −(ab).
Beweis. Behauptet wird also, daß (−a) · b das additive Inverse zu ab ist d.h.
ab + (−a)b =. Aber das ist wahr, denn ab + (−a)b = (a + (−a))b = 0 · b = 0.
Satz. a(b − c) = ab − ac f¨
ur all a, b, c ∈ R.
Beweis. Behauptet wird, daß a(b − c) L¨
osung der Differenzaufgaben ac + y
= ab ist. Tats¨
achlich ist ac + (a(b − c)) = ac + ab + a(−c) = ab.
Satz. Sind a
1
, a
2
6= 0, so ist auch a
1
· a
2
6= 0. Außerdem ist
b
1
a
1
+
b
2
a
2
=
b
1
a
2
+ a
1
b
2
a
1
· a
2
.
Den Beweis lassen wir als“ ¨
Ubungsaufgabe”. (Es gen¨
ugt zu zeigen, daß
b
1
d
1
+
b
2
a
2
eine L¨
osung der Divisionsaufgabe (a
1
· a
2
) · x = b
1
a
2
+ a
1
b
2
ist.)
Durch die bisher genannten Axiome
Allgemeine K¨
orper
(A1) Assoziativit¨
at
(M1) Assoziativit¨
at
(A2) Neutrales 0
(M2) Neutrales 1 6= 0
(A3) Gegenelement
(M3) Gegenelement
(A4) Kommutativgesetz
(M4) Kommutativit¨
at
(D) Distributivit¨
at
12
Kapitel 2
sind die reellen Zahlen noch nicht eindeutig festgelegt; eine beliebige Menge
M mit zwei Verkn¨
upfungen + und ·, die diese Axiome erf¨
ullt, nennt man
einen K¨
orper. Tats¨
achlich gibt es viele K¨
orper, die nichts mit dem gemein
haben, was wir uns langl¨
aufig unter reellen Zahlen vorstellen. Man kann aus
den angef¨
uhrten Axiomen nicht einmal folgern, daß es mehr als zwei reelle
Zahlen gibt, denn es gibt K¨
orper mit endlich vielen Elementen, und sogar
einen mit 2 Elementen.
Teilt man n¨
amlich die nat¨
urlichen Zahlen in die zwei Klassen “ger” der
geraden und “ung” der ungeraden Zahlen ein, addiert und multipliziert sie,
wie ihre Elemente es tun w¨
urden, d.h.
ger+ger=ger
ger ·ger=ger
ger+ung=ung
ger ·ung=ger
ung+ger=ung
ung·ger=ger
ung+ung=ger
ung·ung=ung,
so entsteht eine K¨
orper mit 2 Elementen, in dem ger der 0 und ung der 1
entspricht. Hier ist also insbesondere 1 + 1 = 0, d.h. 1 = −1.
¨
Ahnlich ist es mit den Restklassen modulo 3: Man unterteilt die nat¨
urlichen
Zahlen in 3 Klassen danach, welchen Rest sie bei Division durch 3 lassen,
z.B. geh¨
ort 17 = 5 · 3 + 2 in die “2” genannte Klasse. Addition und Multi-
plikation der Klassen geschieht wieder repr¨
asentantenweise: z.B. bestimmt
man das Quadrat der Klasse 2 als Klasse 1 :
(3k + 2)(3l + 2) = 9kl + 6k + 6l + 4 = 3z + 1,
wobei
z = 3kl + 2(k + l) + 1
wie k, l ∈ Z ist. — So entsteht ein K¨orper mit 3 Elementen. Dagegen
bilden die Restklassen modulo 4 keinen K¨
orper, sondern nur einen Ring.
Erf¨
ullt eine Menge M mit zwei Verkn¨
upfungen +, · die obigen Axiome mit
Ausnahme von (M3), so nennt man sie einen kommutativen Ring. In einem
K¨
orper folgt z.B. aus x·y = 0 stets x = 0 oder y = 0; in einem kommutativen
Ring gilt das i.a. nicht mehr. (Gilt in einem K¨
orper x · y = 0, aber y 6= 0, so
existiert das Inverse y
−1
, und es ist 0 = (x · y) · y
−1
= x. Im Restklassenring
mit vier Elementen ist 2 6= 0, aber 2 · 2 = 0.)
Wie wir eben gesehen haben, ben¨
otigen wir also weitere Axiome, um die
reellen Zahlen eindeutig zu charakterisieren. Ein Punkt, der die reellen Zah-
len weiter unter allen m¨
oglichen K¨
orpern hervorhebt, ist, daß sie angeordnet
sind. Genauer gelten f¨
ur die reellen Zahlen die sogenannten Anordnungsax-
iome.
Es gibt eine Menge P ⊂ R, sodaß gilt:
Anordnungsaxiome
(O1)
Von den drei Aussagen x ∈ P , −x ∈ P , x = 0 ist f¨
ur
jedes x ∈ R genau eine wahr.
(O2)
Sind x, y ∈ P , so sind auch x + y und x · y ∈ P .
Die Axiomatik der reellen Zahlen
13
Die Menge P nennt man die Menge der positiven reellen Zahlen.
Wir
definieren nun
x > y :⇐⇒ x − y ∈ P
x < y :⇐⇒ y − x ∈ P.
Anschaulich sind auf der Zahlengeraden die positiven Zahlen diejenigen, die
rechts von 0 liegen, und x > y genau dann, wenn x rechts von y liegt.
Insbesondere hat man in diesen Bezeichnungen
x > 0 ⇐⇒ x ∈ P,
x < 0 ⇐⇒ −x ∈ P,
und von den drei Aussagen
x > 0, x < 0, x = 0
ist f¨
ur jedes x ∈ R jeweils genau eine erf¨
ullt.
Satz. F¨
ur x, y ∈ R ist von den drei Aussagen x > y, x < y, x = y stets
genau eine erf¨
ullt.
Beweis. Man hat ja
x < y ⇐⇒ y − x ∈ P ⇐⇒ a ∈ P,
x > y ⇐⇒ x − y ∈ P ⇐⇒ a 6∈ P,
x = y ⇐⇒ y − x = 0 ⇐⇒ a = 0,
wobei a = y − x. Aus (O1) folgt nun die Behauptung.
Satz. F¨
ur x, y, z ∈ R folgt aus x < y und y < z stets x < z.
Beweis. Sind y − x und z − y in P , so ist nach (O2) auch z − x
= (z − y) + y − x in P .
Hier noch einige Regeln, die man entsprechend beweisen kann:
Satz. F¨
ur x, y, z ∈ R gilt:
x < y ⇐⇒ x + z < y + z
(x < y ∧ z > 0) ⇒ x · z < y · z.
Die zweite Aussage im letzten Satz ist ¨
ubrigens ¨
aquivalent zu
0 < z ⇒ (x < y ⇐⇒ xz < yz).
Man nennt ein x ∈ R negativ, falls −x ∈ P liegt. Damit gilt
14
Kapitel 2
Satz. F¨
ur die Multiplikation von positiven und negativen Zahlen gelten die
folgenden Regeln:
pos·pos=pos
pos·neg=neg
neg·neg=pos.
Beweis. Die erste Gleichung gilt nach (O2). Zur zweiten: Ist x ∈ P und
−y ∈ P , so ist x · (−y) = −xy ∈ P (nach (O2)), also xy negativ. Die dritte
folgt analog.
Hiermit kann man zum Beispiel zeigen:
Satz. F¨
ur alle x ∈ R gilt:
x > 0 ⇒
1
x
> 0.
(Insbesondere ist 1 > 0).
Beweis. Es ist zun¨
achst 1 > 0, denn nach dem ersten und dritten Fall des
letzten Satzes ist ja 1 · 1 > 0; aber 1 = 1 · 1. Damit ist dann aber auch
1
x
= 1 > 0; da nach Voraussetzung x > 0 ist, muß nach dem letzten Satz
also(1)x > 0gelten.
Eine weitere wichtige Folgerung des vorletzten Satzes ist der
Satz. F¨
ur alle reellen Zahlen a 6= 0 gilt a
2
> 0.
Satz. F¨
ur alle reellen Zahlen x, y gilt
0 < x < y ⇒ 0 < y
−1
< x
−1
.
(Hierbei steht a < b < c zur Abk¨
urzung f¨
ur “a < b und b < c”.)
Beweis. Es ist
1
x
−
1
y
= (y − x)(xy)
−1
.
Aber y − x > 0 nach Voraussetzung, und wegen x, y > 0 und (Ord2) ist
auch xy > 0. Nach obigem Satz ist also (y − x)(xy)
−1
> 0.
Satz. F¨
ur alle reellen Zahlen x, y gilt: x, y ∈ P ⇒ x < y ⇐⇒ x
2
< y
2
Beweis. Es ist y
2
− x
2
= (y − x)(y + x). Hierbei ist wegen x, y ∈ P nach
(O2) y + x > 0. Die Behauptung folgt nun leicht mit dem f¨
unftletzten Satz.
Schließlich f¨
uhren wir noch die folgende Bezeichnung ein:
x ≤ y :⇐⇒ (x < y oder x = y).
Die Axiomatik der reellen Zahlen
15
(lies x kleinergleich y). F¨
ur diese Relation gelten als Folgerungen obiger
Regeln zahllose ¨
ahnliche Regeln wie etwa
(x ≤ y und y ≥ 0 ⇒ xz ≤ yz,
x ≥ 0 y ≤ 0 ⇒ x ≥ y ⇐⇒ x
2
≤ y
2
.
Ist a ∈ R, gibt es dann x ∈ R, sodaß x
2
= a ? Das ist ein ernsthaftes Prob-
Quadratwurzeln
lem, denn die K¨
orper -und Ordnungsaxiome werden auch von der Menge
Q der rationalen Zahlen erf¨
ullt und seit Euklid wissen wir ja, daß die Gle-
ichung x
2
= 2 in Q keine L¨osung besitzt. Man kann also aus den bisher
angef¨
uhrten Axiomen nicht die Existenz von Quadratwurzeln folgern.
Dennoch kann man schon einiges ¨
uber Quadratwurzeln folgern, wenn auch
noch nicht ihre Existenz. Ist a < 0, dann gibt es keine L¨
osung von x
2
= a,
denn Quadrate k¨
onnen nach einem oben aufgef¨
uhrten Satz nicht negativ
sein. Ist dagegen a > 0 so gibt es entweder keine L¨
osung von x
2
= a oder
aber genau zwei. Denn gibt es eine L¨
osung — etwa x
2
1
= a — so ist auch
(−x
1
)
2
= a, und, da x
1
6= 0, ist nach (O1) −x
1
6= x
1
; es gibt dann also
mindestens zwei L¨
osungen. Ist y
2
= a, so folgt 0 = y
2
−x
2
1
= (y−x
1
)(y+x
1
),
also nach einem oben bewiesenen Satz y − x
1
= 0 oder y + x
1
= 0, d.h.
y = x
1
oder y = −x
1
; es gibt also h¨
ochstens zwei L¨
osungen. Aus dem eben
gegebenen Beweis folgt auch: Ist a ≥ 0 und gibt es ein x ≤ 0 mit x
2
= a,
dann ist dieses x eindeutig bestimmt. Dieses x wird mit
√
a bezeichnet.
Satz. Seien a ≥ 0 und b > 0, und
√
a,
√
b m¨
ogen existieren. Dann existiert
auch
√
ab und es gilt
√
ab =
√
a ·
√
b.
Beweis. Es ist
(
√
a ·
√
b)
2
=
√
a
2
·
√
b
2
= ab,
√
a ·
√
b > 0..
Also existiert die Quadratwurzel von ab und ist gleich
√
a ·
√
b.
Den Absolutbetrag einer reellen Zahl definiert man verm¨
oge
Absolutbetrag
|x| :=
x
falls
x ∈ P
−x
falls
− x ∈ P
0
falls
x = 0
Man beachte, daß die Fallunterscheidung hier nach (O1) vollst¨
andig ist: der
Absolutbetrag ist also f¨
ur jede reelle Zahl definiert. Man beachte, daß stets
|x| ≥ 0 gilt. Weitere einfache Folgerungen sind |x| ≥ x und |x| =
√
x
2
f¨
ur
alle reellen x. Letzteres w¨
are ¨
ubrigens eine alternative Definition f¨
ur den
Absolutbetrag.
16
Kapitel 2
Satz. F¨
ur alle reellen Zahlen x, y gilt:
(R1)
|x| ≥ 0, |x| = 0 ⇐⇒ x = 0
(R2)
|x + y| ≤ |x| + |y|
(R3)
|x · y| = |x| · |y| .
Beweis. Wir beweisen nur (R2), den Beweis der ¨
ubrigen Aussagen lassen
wir zur ¨
Ubung Da beide Seiten der behaupteten Ungleichung nichtnegativ
sind, gen¨
ugt es |x + y|
2
≤ (|x| + |y|)
2
zu beweisen. Dies ist aber ¨
aquivalent
zu (x + y)
2
≤ x
2
+ 2 |x| |y| + y
2
(da ja stets |x|
2
= x
2
), und dies wiederum
zu xy ≤ |xy|, was wir oben schon als wahre Aussage notiert hatten.
Hiemit schließen wir f¨
ur den Moment das Kapitel ¨
uber die Axiome f¨
ur
die reellen Zahlen.
Wie wir gesehen haben, charakterisieren die bisher
aufgef¨
uhrten Axiome die reellen Zahlen noch nicht ausreichend; die ra-
tionalen Zahlen erf¨
ullen ebenso s¨
amtliche der bisher aufgef¨
uhrten Axiome.
Wollen wir daher Lehrs¨
atze f¨
ur die reellen Zahlen ableiten, die nicht schon
f¨
ur die rationalen Zahlen gelten, so ben¨
otigen wir offenbar mehr Axiome.
Tats¨
achlich stellt sich heraus, daß lediglich genau ein weiteres Axiom hinzu-
genommen werden muß, um die reellen Zahlen von allen anderen K¨
orpern
zu unterscheiden; dieses Axiom werden wir im Kapitel 5 behandeln.
3
¨
UBER VOLLST ¨
ANDIGE INDUKTION
In dem von uns betrachteten K¨
orper R gibt es die Elemente 0, 1, also auch
1 + 1, 1 + 1 + 1, 1 + 1 + 1 + 1 . . . Diese Zahlen sind im K¨
orper R auch alle
verschieden, denn jedes Element dieser Serie ist gr¨
oßer als das vorherge-
hende. Wir nennen diese Elemente nat¨
urliche Zahlen. Des weiteren nennen
Nat¨
urliche, ganze und
rationale Zahlen in R
wir die Menge der nat¨
urlichen Zahlen zusammen mit ihren nach (A3) in
R existierenden additiven Inversen die Menge der ganzen Zahlen, und die
Teilmenge aller reellen Zahlen, die eine Gleichung px = q mit ganzen Zah-
len p, q l¨
osen, die Menge der rationalen Zahlen. Nimmt man also die Menge
der reellen Zahlen als irgendwie gegeben an — wie es unser Standpunkt
ist —, so hat man darin als Teilmengen die nat¨
urlichen, ganzen und ratio-
nalen Zahlen. Die grundlegenden Eigenschaften dieser Zahlbereiche kann
man nun aus den f¨
ur die reellen Zahlen geltenden Axiomen folgern (die
allerdings noch nicht vollst¨
andig aufgelistet wurden).
Es gibt allerdings
auch den umgekehrten Standpunkt, daß man die Menge der nat¨
urlichen
Zahlen mit geeigneten Axiomen eindeutig charakterisiert, und sodann aus
der als gegeben angenommenen Menge der nat¨
urlichen Zahlen mittels men-
gentheoretischer Operationen eine Menge und darauf Operationen “+”, “·”
konstruiert, und schließlich (aus den Axiomen f¨
ur die nat¨
urlichen Zahlen
heraus) beweist, daß diese Menge mit ebendiesen Operationen gerade alle
Axiome erf¨
ullt, die hier und im weiteren f¨
ur die reellen Zahlen ausgesprochen
werden. Wir werden hier allerdings weder den einen noch den anderen Weg
konsequent gehen; d.h. wir werden weder die grundlegenden Tatsachen ¨
uber
nat¨
urliche Zahlen mittels der Axiome f¨
ur die reellen Zahlen verifizieren, noch
werden wir die reellen Zahlen aus den nat¨
urlichen konstruieren.
Eine der grundlegendsten Tatsachen ¨
uber nat¨
urliche Zahlen ist die folgende.
Induktionsprinzip
Sei A(k) eine Aussage, die von der nat¨
urlichen Zahl k abh¨
angt; z.B. k¨
onnte
A(k) die Aussage
k
X
i=0
i
2
=
k(k + 1)(2k + 1)
6
sein. In Worten: “die Summe der ersten k Quadratzahlen ist gleich . . . ”.
F¨
ur jede nat¨
urliche Zahl k hat man also eine Aussage, die richtig oder
falsch sein kann. Wie kann man beweisen, daß gegebenenfalls A(k) f¨
ur alle
k ∈ N richtig ist? Dies geschieht mit dem sogenannten Induktionsprinzip:
17
18
Kapitel 3
man zeigt:
(I1)
A(0) ist richtig
(I2)
Ist A(n) f¨
ur irgendein n wahr, so ist auch A(n + 1) wahr.
Es ist unmittelbar einleuchtend, daß dann A(k) f¨
ur alle nat¨
urlichen Zahlen
gilt: nach (I1) ist A(0); nach dem Induktionschritt (I2) ist dann auch A(1)
wahr, also auch A(2), also A(3), etc..
Auf eine exakte Begr¨
undung des Induktionsprinzips verzichten wir hier.
Ferner weisen wir nur daraufhin, daß es noch verschiedene Varianten des
Induktionsprinzips gibt; z.B. kann der Induktionsanfang auch bei einer
von 0 verschiedenen Zahl k
0
> 0 liegen (um zu beweisen daß eine Aus-
sage f¨
ur alle k ≥ k
0
richtig ist). Schließlich ist das Induktionsprinzip noch
¨
aquivalent zu der Aussage, daß jede nichtleere Menge von nat¨
urlichen Zahlen
ein kleinstes Element enth¨
alt (was man mittels der Betrachtungen aus dem
n¨
achsten Kapitel beweisen k¨
onnte). Wir verzichten hier auf eine Diskus-
sion dieser Tatsachen und verweisen auf B¨
ucher, in denen die sogenannten
Peano-Axiome behandelt werden. Stattdessen geben wir ein Beispiel f¨
ur die
Anwendung des Induktionsprinzips.
Aus der Schule bekannt ist vermutlich die Formel
k
X
i=1
i =
k(k + 1)
2
.
Von Gauss wird erz¨
ahlt, daß er als Sechsj¨
ahriger die Zahlen von 1 bis 100
aufaddieren sollte — damit sein Lehrer Ruhe habe — ; Gauss war schnell
fertig:
100
X
i=1
i =
100 · 101
2
= 5050.
Er schrieb die Zahlen von 1 bis 100 in eine Zeile, darunter nochmals in
umgekehrter Reihenfolge, und bemerkte sodann, daß die Summe zweier
¨
ubereinander stehender Zahlen stets 101 ist, sodaß das gefragte Ergeb-
nis also
1
2
×101×(Anzahl der Zahlen in einer Zeile), also gerade die oben
gegebene Zahl sein muß.
Wir beweisen
Behauptung.
k
X
i=0
i
3
=
k(k + 1)
2
2
.
Beweis. Der Induktionsanfang — z.B. f¨
ur k = 0 — sei dem Leser ¨
uberlas-
sen. Induktionsschritt: zu zeigen ist f¨
ur beliebiges k, daß
k+1
X
i=0
i
3
=
(k + 1)(k + 2)
2
2
vollst¨
andige Induktion
19
aus
k
X
i=0
i
3
=
k(k + 1)
2
2
folgt. Tats¨
achlich hat man
k+1
X
i=0
i
3
= (k + 1)
3
+
k
X
i=0
i
3
= (k + 1)
3
+
k(k + 1)
2
2
(nach Ind.-vorausetzung)
=
k + 1 +
k
2
2
!
(k + 1)
2
=
(k + 1)(k + 2)
2
2
,
wie zu beweisen war.
4
GENERAL NONSENSE
UND ELEMENTARE KOMBINATORIK
EinigeBezeichnungen zur Mengenlehre: Seien M, N, . . . Mengen. Dann ist
Naive Mengenlehre
M ∩ N = {x | x ∈ M und x ∈ N }
der Durchschnitt von M und N ,
M ∪ N = {x | x ∈ M oder x ∈ N }
die Vereinigung von M und N ,
M \ N = {x | x ∈ M und x 6∈ N }
die Differenzmenge von M und N . Ist klar, daß eine Menge A Teilmenge
einer Allmenge X ist, schreibt man auch
Ac = {x ∈ X | x 6∈ A}
f¨
ur das Komplement von A in X. Der Beweis von Aussagen ¨
uber Mengen
geschieht am besten mittels eines naiven Gebrauchs einiger logischer Sym-
bole. Anstelle der W¨
orter ‘und’,‘oder’ und ‘nicht’ kann man die zwischen
(bzw. vor) Aussagen stehenden Zeichen ∧,∨, ¬ (oder ∼) verwenden.
a =⇒ b
steht f¨
ur ’Wenn die Aussage a gilt, so gilt auch die Aussage b’;
a ⇐⇒ b
steht f¨
ur ‘Die Aussage a ist ¨
aquivalent zur Aussage b’, also
(a ⇐⇒ b) ⇐⇒ ((a ⇒ b) ∧ (b ⇒ a)).
Man schreibt abk¨
urzend ‘∀x’ statt ‘f¨
ur alle x’, und ∃x f¨
ur ’es gibt ein x’;
also z.B.
N ⊂ M :⇐⇒ f¨
ur jedes x(x ∈ N ⇒ x ∈ M )
⇐⇒ ∀x(x ∈ N ⇒ x ∈ M ).
Es gibt zahlreiche Regeln f¨
ur den Umgang mit diesen Symbolen.
Zum
Beispiel gilt
N ⊂ M ⇐⇒ N ∩ M = N,
21
22
Kapitel 4
ferner die de Morganschen Regeln
(A ∪ B)
c
= Ac
∩ Bc
(A ∩ B)
c
= Ac ∪ Bc.
Ferner hat man die Distributivgesetze
M ∩ (N
1
∪ N
2
) = (M ∩ N
1
) ∪ (M ∩ N
2
),
M ∪ (N
1
∩ N
2
) = (M ∪ N
1
) ∩ (M ∪ N
2
),
und schließlich
Ac
c
= A.
Letzteres gilt z.B., weil
x ∈ A ⇐⇒ ¬(¬x ∈ A) ⇐⇒ x ∈ Ac
c
.
Die Potenzmenge einer Menge, d.h.
die Menge aller Teilmengen einer
Menge, bilden zusammen mit den Verkn¨
upfungen ∩, ∪, ¬ eine sogenannte
Boolesche Algebra.
Seien nun S und T zwei Mengen. Die Schreibweise
Abbildungen
f : S → T, x 7→ f (x)
bedeutet: Jedem Element x ∈ S wird (genau) ein Element f (x) ∈ T zuge-
ordnet. Man nennt dann f eine Abbildung von S nach T . S heißt Defini-
tionsbereich (engl. Source), T Wertebereich (engl. Target) der Abbildung
f . Beispiel: S = T = R, x 7→ f (x) = x
2
+ 1 oder x 7→ g(x) = x + 2. Als
besonders ausgezeichnete Typen von Abbildungen erw¨
ahnen wir die injek-
tiven, surjektiven und bijektiven:
f injektiv :⇐⇒ ∀x
1
∈ S ∀x
2
∈ S(x
1
6= x
2
⇒ f (x
1
) 6= f (x
2
)),
f surjektiv :⇐⇒ ∀y ∈ T ∃x ∈ S(f (x) = y)
f bijektiv :⇐⇒ (f injektiv und surjektiv).
Beispiel:
f : R → R, x 7→ x + 1
ist sowohl injektiv als auch surjektiv: ist n¨
amlich x
1
+ 1 = f (x
1
) = f (x
2
) =
x
2
+ 1, so folgt x
1
= x
2
; ferner ist y ∈ R das Bild von x = y − 1 unter f ,
denn f (x) = f (y − 1) = y − 1 + 1 = y.
Beispiel: S = T = R, g(x) = 2x
3
+ 9. Hier ist g auch injektiv und surjektiv.
2x
3
1
+ 9 = 2x
3
2
+ 9 ⇒ 0 = x
3
1
− x
3
2
= (x
1
− x
2
) x
2
1
+ x
1
x
2
+ x
2
2
.
General Nonsense
23
W¨
are x
1
6= x
2
, so ist x
2
1
+ x
1
x
2
+ x
2
2
= 0. Sei etwa x
2
6= 0 (Andernfalls
vertausche x
1
und x
2
). Dann folgt
x
2
1
x
2
2
+
x
1
x
2
+ 1 = 0. Die quadratische
Gleichung x
2
+ x + 1 hat aber keine reelle L¨
osung. Das ist ein Widerspruch.
Also ist x
1
= x
2
. Dies beweist die Injektivit¨
at von g. Die Surjektivit¨
at
kann noch nicht gezeigt werden, denn es fehlt uns noch ein Satz ¨
uber die
Existenz von Wurzeln, zu dessen Beweis wir noch ein Axiom der reellen
Zahlen ben¨
otigen.
Beispiel: S = T = R, h(x) = x
2
. h ist weder injektiv noch surjektiv.
Ist eine Abbildung f : S → T bijektiv, so gibt es zu jedem y ∈ T genau ein
x ∈ S mit f (x) = y. Dieses x bezeichnet man mit f
−1
(y). Damit erh¨
alt
man eine neue Abbildung
f
−1
: T → S,
die Umkehrabbildung von f .
Beispiel: S = T −R, −f (x) = x+1. Die Umkehrabbildung f
−1
ist y 7→ y−1.
Zum Verst¨
andnis der alten Literatur geben wir noch ein kleines W¨
orterbuch:
neu
alt
f : S → T surjektiv
f ist Abbildung von S auf T
f : S → T injektiv
f ist eine eindeutige Abbildung von S inT
f : S → T bijektiv
f ist eine eindeutige Abb. von S auf T
Sind f : S → T und g : T → U zwei beliebige Abbildungen, so definiert
man, die Hintereinanderschaltung (oder das Kompositum von f und g durch
(g ◦ f )(x) = g(f (x)).
Diese Kompositionsregel ist assoziativ:
f ◦ (g ◦ h) = (f ◦ g) ◦ h.
Mit dieser Verkn¨
upfung bilden die bijektiven Abbildungen einer Menge S
eine Gruppe, d.h. es gelten — abgesehen von der Kommutativit¨
at — die
gleichen Axiome f¨
ur ’◦’ wie f¨
ur die Verkn¨
upfung ‘+’ bei den reellen Zahlen;
das neutrale Element ist die Identit¨
at Id: S → S, x 7→ x, das Gegenelement
von f ist f
−1
. Diese Gruppe heiß die Permutationsgruppe von S.
Ist S eine endliche Menge mit n Elementen, so bezeichnet n!
(sprich ‘enn-fakult¨
at’) die Anzahl der bijektiven Abbildungen
von S auf S.
Die Fakult¨
at
Man kann sich leicht ¨
uberlegen, daß
n! = 1 · 2 · · · n,
24
Kapitel 4
ist. F¨
ur die ersten Werte hat man folgende Tabelle
n
n!
1
1
2
2
3
6
4
24
5
120
6
720
7
5040
8
40320
9
362880
10
3628800
11
39916800
12 479001600
n
n!
13
6227020800
14
87178291200
15
1307674368000
16
20922789888000
17
355687428096000
18
6402373705728000
19
121645100408832000
20
2432902008176640000
21
51090942171709440000
22
1124000727777607680000
23
25852016738884976640000
24 620448401733239439360000
Oft hilfreich ist der folgende
Satz. S sei endliche Menge. Dann ist jede injektive Abbildung f : S → S
bijektiv.
Beweis. f : S → S sei injektiv. Dann hat
f (S) := {y ∈ S | ∃x ∈ S(f (x) = y)} ⊂ S
auch n Elemente. Es muß also f (S) = S gelten, d.h. f muß surjektiv sein.
Wir beenden dieses Kapitel mit einigen Grundbegriffen aus der Kombina-
Kombinatorik
torik.
Sei S eine n–elementige Menge, z.B. S = {1, 2, . . . , n}. Dann setzt man
Binomialkoeffizienten
n
k
:= die Anzahl der k-elementigen Teilmengen von S
(sprich: ‘enn-¨
uber-ka’).
n
k
heißt Binomialkoeffizient. Ist etwa S die Menge
{1, 2, 3, 4}, also n = 4 und etwa k = 2, dann sind die 2–elementigen Teil-
mengen
{1, 2}, {1, 3}, {1, 4}, {2, 3}, {2, 4}, {3, 4}
Also ist
4
2
= 6.
Nat¨
urlich h¨
angt der Wert von
n
k
nur von der Anzahl der Elemente von S
ab.
General Nonsense
25
Satz.
n
k
=
n − 1
k
+
n − 1
k − 1
.
Beweis: Sei S = {1, 2, ..., n − 1, n}. Eine k–elementige Teilmenge enth¨
alt
entweder das Element n oder aber nicht. In letzterem Fall ist sie eine k—
elementige Teilmenge von S − {n}; davon gibt es
n−1
n
viele. Im anderen
Fall ist A − {n} eine (k − 1)–elementige Teilmenge von S − {n}, und davon
gibt es genau
n−1
k−1
.
Am
besten be
rechnet
man
die
Binomialkoeffi
zienten mittels der Rekur
sion des vorstehenden Satzes, wo
bei man die Ergebnisse der einzelnen
Rekursionsschritte wie im folgenden Schema,
dem
Pascalschen Dreieck,
notiert:
1
1
1
1
2
1
1
3
3
1
1
4
6
4
1
1
5
10
10
5
1
1
6
15
20
15
6
1
1
7
21
35
35
21
7
1
1
8
28
56
70
56
28
8
1
1
9
36
84
126
126
84
36
9
1
1
10
45
120
210
252
210
120
45
10
1
1
11
55
165
330
462
462
330
165
55
11
1
1
12
66
220
495
792
924
792
495
220
66
12
1
1
13
78
286
715 1287 1716 1716 1287
715
286
78
13
1
1
14
91
364 1001 2002 3003 3432 3003 2002 1001
364
91
14
1
1
15
105
455 1365 3003 5005 6435 6435 5005 3003 1365
455
105
15
1
1
16
120
560 1820 4368 8008 11440 12870 11440 8008 4368 1820
560
120
16
1
(jede Zahl ist die Summe der beiden links und rechts dar¨
uberstehenden).
Bekannt war dieses Dreieck schon den Arabern im 13. Jahrhundert, weiter
studiert haben es insbesonders Stiefel (1544) und Pascal (1659).
26
Kapitel 4
Die Berechnung der Binomialkoeffizienten kann allerdings auch nach der
folgenden Formel erfolgen:
Satz.
n
k
=
n · (n − 1) · · · (n − k + 1)
1 · 2 · 3 · · · k
=
n!
k! (n − k)!
.
Der Beweis kann leicht mittels vollst¨
andiger Induktion gef¨
uhrt werden.
Die Bedeutung der Binomialkoeffizienten liegt f¨
ur uns in folgendem Satz:
Satz.
(a + b)
n
=
n
X
i=0
n
i
a
i
b
n−i
.
Es ist zum Beispiel
(a + b)
4
= a
4
+ 4a
3
b + 6a
2
b
2
+ 4ab
3
+ b
4
.
Hierbei sind a, b etwa relle Zahlen. Der binomische Lehrsatz gilt aber auch
in jedem kommutativen Ring! Man kann die Richtigkeit des Satz leicht
durch vollst¨
andige Induktion beweisen — oder aber auch ”sehen”:
(a + b)
n
= (a + b)(a + b) · · · (a + b)
ist vollst¨
andig auszudistributieren; f¨
ur jedes k = 0, 1, 2, ...n hat man aus
obigen n–vielen a’s und n–vielen b’-s Produkte von n Faktoren zu bilden, k
davon werden aus den a’s genommen und n − k von den b’s. Die Auswahl
der a’s kann auf genau
n
k
Weisen erfolgen, die Wahl der b’s liegt dann
schon fest, da aus jeder Klammer nur ein Summand als Faktor zu nehmen
ist. Man hat also
n
k
Produkte a
k
b
n−k
, und das ist genau der Koeffizient
vor a
k
b
n−k
in der behaupteten Formel.
F¨
ur a = b = 1 folgt aus dem binomischen Lehrsatz
n
X
i=0
n
i
= 2
n
,
also nach der Definition der Binomialkoeffizienten:
Die Anzahl aller Teilmengen von {1, 2, ...n} ist 2
n
.
Schreibt man P(X) f¨
ur die Potenzmenge von X und |X| f¨
ur die Anzahl der
Elemente von X, so kann man die letztere Aussage auch schreiben als
P(X) = 2
|X|
.
Seien X, Y Mengen. Dann bezeichnet X
Y
die Menge aller Abbildungen von
Y in X.
General Nonsense
27
Satz. Sind X und Y endlich, so ist
X
Y
= |X|
|Y |
Den Beweis lassen wir als ¨
Ubungsaufgabe. Insbesondere ist also 2
n
= An-
zahl aller Abbildungen {1, 2, ...n} → {0, 1}. Die Abbildungen
{1, 2, ..., n} → {0, 1}
entsprechen in eindeutiger Weise den Teilmengen von {1, 2, ..., n}, indem
man einer Abbildung f einfach die Menge f
−1
({1}) := {k | f (k) = 1} zuord-
net. Der Satz ist in diesem Sinne also eine Verallgemeinerung des davor
ausgesprochenen Resultats.
Satz. Sei X eine Menge. Dann gibt es keine Bijektion zwischen X und
P(X).
Man bemerke insbesondere, daß P(Ø) 6= Ø!
Beweis. Angenommen, es gibt eine bijektive Abbildung g : X → P(X).
Dann betrachte man
A := {y ∈ X | ¬(y ∈ g(y))}.
Wegen der Surjektivit¨
at von g gibt es dann x
0
∈ X, s.d. g(x
0
) = A. Es ist
dann x
0
∈ A genau dann, wenn ¬(x
0
∈ g(x
0
)), wegen A = g(x
0
) hat man
also
x
0
∈ g(x
0
) ⇐⇒ ¬(x
0
∈ g(x
0
)).
Das ist absurd.
Als Folgerung erh¨
alt man insbesondere.
n < 2
n
f¨
ur jedes n ∈ N.
5
DAS VOLLST ¨
ANDIGKEITSAXIOM
Bisher haben wir die Axiome eines angeordneten K¨
orpers (Ai), (Mi), (D)
und (Oj) (i = 1, ..., 4 und j = 1, 2) betrachtet. Allerdings werden diese auch
von Q erf¨
ullt, gen¨
ugen also nicht, R vollst¨andig zu charakterisieren. Es
stellt sich heraus, daß genau ein weiteres Axiom ausreicht, um die reellen
Zahlen von allen anderen angeordneten K¨
orpern zu unterscheiden. Doch
einige Bezeichnungen zuvor: sei S eine Teilmenge von R.
S heißt nach oben beschr¨
ankt, falls es ein c ∈ R gibt, sodaß
alle x ∈ S kleiner oder gleich c sind.
Nach oben beschr¨
ankte
Mengen
Jedes solche c heißt obere Schranke von S.
Oberee Schranke
Schließlich erkl¨
aren wir noch:
Eine Zahl s heißt kleinste obere Schranke oder Supremum von
S , falls s obere Schranke von S ist, und f¨
ur jede weitere obere
Schranke c von S stets s ≤ c ist.
Supremum
Nun k¨
onnen wir das letzte Axiom f¨
ur die reellen Zahlen formulieren, das
sogenannte Vollst¨
andigkeitsaxiom:
(VA) Jede nichtleere, nach oben beschr¨
ankte Teilmenge S von
R besitzt eine kleinste obere Schranke.
Vollst¨
andigkeitsaxiom
Es ist leicht zu sehen, daß eine Menge h¨
ochstens ein Supremum besitzt, d.h.
das Supremum einer Menge S ist eindeutig bestimmt: man schreibt daf¨
ur
sup S. Man beachte, daß jedes s ∈ R eine obere Schranke von Ø ist; man
setzt daher
sup Ø = −∞.
Schließlich setzt man f¨
ur eine nicht nach oben beschr¨
ankte Menge S noch
sup S = ∞.
Diese beiden letzten Setzungen haben hier keinen tieferen Sinn; allerdings
erhalten viele Formeln, in denen das Supremum auftritt, damit eine nahe-
liegende Interpretation auch in den F¨
allen, in denen das Supremum keine
reelle Zahl bedeutet.
In Q gilt das Vollst¨andigkeitsaxiom nicht. Beispiel: M =
x ∈ Q | x
2
≤ 2
ist in Q wie in R nach oben beschr¨ankt, etwa durch 10
7
. Man kann sich
29
30
Kapitel 5
¨
uberlegen, daß ein Supremum s die Eigenschaft s
2
= 2 hat. Da
√
2 irrational
ist, hat M in Q also kein Supremum; nach dem Vollst¨andigkeitsaxiom besitzt
M aber sehr wohl eine kleinste obere Schranke. Das Vollst¨
andigkeitsaxiom
impliziert also insbesondere die Existenz der
√
2 und unterscheidet damit
den Bereich der reellen Zahlen von dem der rationalen.
Wie schon erw¨
ahnt, kann man ganz allgemein zeigen, daß R tats¨achlich
mittels des Vollst¨
andigkeitsaxioms eindeutig bestimmt ist; genauer
Satz. Gegeben seien zwei angeordnete K¨
orper K (mit den Operationen +, ·
und dem Positivit¨
atsbereich P ) und K
0
(mit den Operationen +
0
, ·
0
und dem
Positivit¨
atsbereich P
0
), die das Vollst¨
andigkeitsaxiom erf¨
ullen. Dann gibt
es eine Bijektion
ι: K → K
0
,
sodaß f¨
ur alle x, y ∈ K:
ι(x + y) = ι(x) +
0
ι(y),
ι(x · y) = ι(x) ·
0
ι(y),
x ∈ P ⇐⇒ ι(x) ∈ P
0
.
Wir werden diesen Satz hier nicht beweisen.
Einen Beweis und weitere
Erl¨
auterungen findet man zum Beispiel in [M.Spivac: Calculus].
Ganz analog wie oben definiert man “nach unten beschr¨
ankt” und gr¨
oßte
untere Schranke bzw. das Infimum einem Menge S — in Zeichen inf S —.
Es gilt nun in R der
Satz. Jede nichtleere, nach unten beschr¨
ankte Teilmenge S von R hat ein
Infimum.
.
Beweis. Sei c eine untere Schranke von S; die Menge −S = {−s | s ∈ S} ist
dann durch −c nach oben beschr¨
ankt, besitzt also nach dem Axiom (VA) ein
Supremum s. Dann ist aber −s das Infimum von S; zun¨
achst ist jedenfalls
−s untere Schranke von S, denn
x ∈ S ⇒ −x ∈ −S ⇒ −x ≤ s ⇒ x ≥ −s;
es ist aber auch die gr¨
oßte untere Schranke, denn ist c untere Schranke von
S, so ist −c obere Schranke von −S, also −c ≥ −s, also c ≤ s.
Wir wenden uns nun der grundlegendsten Folgerung aus dem (VA)–Axiom:
Satz des Archimedes. Sei d > 0 und M ∈ R. Dann gibt es ein n ∈ N,
Satz des Archimedes
sodaß n · d > M .
Man kann zeigen, daß dieser Satz noch nicht aus den Axiomen eines ange-
ordneten K¨
orpers folgt, d.h. es gibt angeordnete K¨
orper, in denen der eben
ausgesprochene Satz nicht gilt.
Vollst¨
andigkeitsaxiom
31
Beweis. G¨
abe es nicht solch ein n wie im Satz, so w¨
are S = {n · d | n ∈ N}
durch M nach oben beschr¨
ankt. Sei s = sup S. Dann ist s − d < s, also ist
s − d keine obere Schranke. Also gibt es ein Element m · d ∈ S s.d.
s − d < m · d ≤ s.
Dann folgt aber (m + 1)d > s, also w¨
are s keine obere Schranke. Das ist
ein Widerspruch.
Folgerung. Zu jedem > 0 gibt es ein n ∈ N\{0}, s.d.
1
n
< .
Wie klein > 0 auch ist, die Kehrwerte der positiven nat¨
urlichen Zahlen
werden kleiner, und je gr¨
oßer n desto kleiner
1
n
!
Beweis. Wegen
>
1
n
⇐⇒ n >
1
ist klar, daß die Behauptung aus dem Satz des Archimedes mit d = 1 folgt.
Insbesondere folgern wir aus dem letzten Satz:
∀ > 0 ∃n
0
∈ N
n > n
0
⇒
1
n
<
Das ist das erste Beispiel einer Nullfolge.
Unter einer Folge (a
n
)
n∈N
von reellen Zahlen versteht man eine
Abbildung N → R, n 7→ a
n
. Eine Folge (a
n
)
n∈N
heißt Null-
folge, falls gilt:
∀ > 0 ∃n
0
∈ N ∀n ∈ N(n > n
0
⇒ |a
n
| < ).
Folgen und Nullfolgen
Anschaulich verbirgt sich hinter dem Begriff der Nullfolge, daß sich die
Glieder a
n
der Folge mit wachsendem n der 0 immer mehr n¨
ahern.
Ist A(n) eine Aussage ¨
uber nat¨
urliche Zahlen n, so sagt man statt
∃n
0
∈ N(n > n
0
→ A(n))
auch
“f¨
ur fast alle n ist A(n) wahr”.
Damit kann man die Definition der Nullfolge auch faßlicher in der folgenden
Form ausprechen:
F¨
ur jedes noch so kleine > 0 ist f¨
ur fast alle n noch |a
n
| <
32
Kapitel 5
Beispiele f¨
ur Nullfolgen sind die oben schon erw¨
ahnte Folge n 7→
1
n
. Ein
weiteres Beispiel ist n 7→
1
n
2
: f¨
ur jedes n ≥ 1 ist n
2
≥ n, also
1
n
2
≤
1
n
.
Danach ist klar, daß mit
1
n
n
auch
1
n
2
n
eine Nullfolge ist. Diese Beispiele
haben noch etwas Weiteres gemeinsam:
Eine Folge(a
n
) heißt monoton steigend (fallend,streng mono-
ton steigend, streng monoton fallend), falls
a
n
≤ (≥, <, >) a
n+1
f¨
ur alle n ∈ N gilt.
Monotonie
Nullfolgen brauchen keineswegs monoton zu fallen, z.B. ist
1, 1,
1
2
,
1
4
,
1
3
,
1
9
,
1
4
,
1
16
...
eine nicht monotone Nullfolge. Daß dies tats¨
achlich eine Nullfolge ist, folgt
aus dem
Lemma. Sind die Folgen (a
n
)
n∈N
und (b
n
)
n∈N
Nullfolgen, dann ist auch
die Folge a
0
, b
0
, a
1
, b
1
, a
2
, b
2
, ... eine Nullfolge.
Beweis. Ist |a
n
| < f¨
ur n > n
0
und |b
n
| < f¨
ur n > n
1
, so sind die Glieder
|c
n
| der zu betrachtenden Folge kleiner als f¨
ur n > max (n
0
, n
1
)
Satz. Seien (a
n
)
n∈N
und (b
n
)
n∈N
Nullfolgen. Dann gilt:
1.
die Folge (a
n
+ b
n
)
n∈N
ist eine Nullfolge;
2.
f¨
ur jedes c ∈ R ist (ca
n
)
n∈N
eine Nullfolge;
3.
ist (c
n
)
n∈N
eine beschr¨
ankte Folge, so ist (a
n
· c
n
)
n∈N
eine Nullfolge,
insbesondere ist
4.
(a
n
· b
n
)
n∈N
eine Nullfolge.
Hierbei haben wir noch den Begriff der monotonen Folge zu erkl¨
aren:
Eine Folge (a
n
) heißt beschr¨
ankt falls ein M ∈ R existiert
sodaß a
n
< M f¨
ur all n ∈ N gilt.
Beschr¨
ankte Folgen
Beweis. Es sei > 0 gegeben. Dann gibt es n
0
und m
0
∈ N, sodaß |a
n
| <
f¨
ur n > n
0
und |b
n
| < f¨
ur n > m
0
. Also ist f¨
ur n > max (n
0
, m
0
):
|a
n
+ b
n
| ≤ |a
n
| + |b
n
| < 2.
Damit ist die Behauptung 1. bewiesen. Die Aussagen 2. und 3. folgen ganz
analog jeweils mit den Ungleichungen:
|ca
n
| = |c| |a
n
| < |c| ·
|a
n
c
n
| = |a
n
| |c
n
| < |a
n
| · M < M · ,
und 4. folgt mit der Tatsache, daß Nullfolgen beschr¨
ankt sind.
Vollst¨
andigkeitsaxiom
33
Satz. (q
n
)
n∈N
ist Nullfolge ⇐⇒ |q| < 1.
Beweis. Ist |q| > 1, so ist |q| = 1 + h mit einem geeigneten h > 0. Also ist
|q
n
| = |q|
n
= (1 + h)
n
≥ 1 + n · h, letzteres mit einer einfachen Absch¨
atzung
mittels des binomischen Lehrsatzes. Aber 1 + h · n w¨
achst ¨
uber alle Grenzen
f¨
ur n → ∞, also ist |q
n
| unbeschr¨
ankt, also keine Nullfolge. F¨
ur |q| = 1
erh¨
alt man die Folgen 1, 1, ... und 1, −1, 1..., jedenfalls keine Nullfolgen.
Schließlich sei |q| < 1. Dann ist
1
q
> 1. Daher ist
1
q
= 1 + h mit einem
geeigneten h > 0. F¨
ur gegebenes > 0 findet man dann wie oben ein n
0
,
sodaß f¨
ur n > n
0
stets
1
q
n
> 1 + n · h >
1
, also |q
n
| < gilt. Also ist (q
n
)
tats¨
achlich eine Nullfolge.
Eine Folge (a
n
)
n∈N
heißt konvergent gegen a ∈ R — in Zeichen
lim
n→∞
a
n
= a — falls (a
n
− a)
n∈N
eine Nullfolge ist
Konvergente Folgen
Satz. Konvergiert (a
n
) gegen a und b, so ist a = b (d.h. der Limes ist
eindeutig bestimmt).
Beweis. Es ist ja |a − b| = |a − a
n
− (b − a
n
)| ≤ |a − a
n
| + |b − a
n
| < 2
f¨
ur gen¨
ugend großes n. Also: 0 ≤ |a − b| < f¨
ur jedes > 0, was nur f¨
ur
|a − b| = 0 m¨
oglich ist.
Fundamental ist der folgende
Satz. Jede monoton steigende (fallende), nach oben (unten) beschr¨
ankte
Folge ist konvergent.
Beweis. Wir betrachten den Fall einer monoton steigenden Folge.
Die
Menge S = {a
n
| n ∈ N} ist nicht leer und nach oben beschr¨ankt, hat also
nach Axiom (VA) eine obere Grenze a. Wir behaupten, daß (a
n
)
n∈N
gegen
a konvergiert: F¨
ur gegebenes > 0 ist a − < a, also a − keine obere
Schranke. Also gibt es n
0
∈ N, sodaß a− < a
n
0
≤ a. Wegen der Monotonie
ist f¨
ur n > n
0
dann aber a − < a
n
≤ a, also |a
n
− a| < , und dies war
zu zeigen. Den Fall einer monoton fallenden Folge behandelt man v¨
ollig
analog, indem man im eben gegebenen Beweis sup durch inf ersetzt.
Wir geben einige Anwendungen des letzten Satzes. Jeder Dezimalbruch
a
−e
· · · a
−1
.a
0
a
1
· · ·
(e ∈ Z, e > 0, ∀n(a
n
∈ {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}))
stellt eine reelle Zahl dar: den Grenzwert x der Folge (S
n
), wo
S
n
=
n
X
k=−e
a
k
· 10
−k
34
Kapitel 5
ist. Daß dieser Grenzwert stets existiert, folgt mittels des letzten Satzes:
Die Folge (S
n
) ist monoton steigend und beschr¨
ankt. Letzteres folgt mit
S
n
≤
0
X
k=−e
a
k
+
n
X
k=0
9 · 10
−k
=
n
X
k=−e
a
k
+ 1 − 10
−n
≤
n
X
k=−e
a
k
+ 1.
Umgekehrt kann gezeigt werden, daß man jede reelle Zahl so erhalten kann,
d.h. daß sie als Dezimalbruch geschrieben werden kann.
Eine alte Aufgabe von Jakob dem Bernoulli (1654-1705) lautet
Quaeritur: si creditor aliquis pecuniae summa foenori exponet,
ea lege, ut singulis momentis pars proportionalis usurae amme
sorti ammeretur; quantum ipsi finito anno debeatur.
Also: Ein Kapital A wird nach einem Jahr mit 100 % verzinst. Nach einem
Problem der stetigen
Verzinsung
Jahr ist also das Kapital 2A. Schl¨
agt man die Zinsen schon nach einem
halben Jahr hinzu, so betr¨
agt das Kapital nach einem Jahr
A ·
1 +
1
2
1 +
1
2
.
Schl¨
agt man die Zinsen drittelj¨
ahrlich hinzu, so ist das Kapital am Ende
des Jahres
A
1 +
1
3
1 +
1
3
1 +
1
3
.
Teilt man das Jahr in n gleiche Teile, so liefert der Prozeß ein Endkapital von
A 1 +
1
n
n
. Was geschieht mit wachsendem n, d.h. bei stetiger Verzinsung?
Die Antwort ist folgendermaßen: Es ist
1 +
1
n
n
=
n
X
k=0
n(n − 1)...(n − k + 1)
k!
·
1
n
k
=
n
X
k=0
1 1 −
1
n
... 1 −
k−1
n
k!
.
Aus dieser Darstellung liest man sofort ab, daß die Folge 1 +
1
n
n
monoton
steigend ist. Diese Darstellung zeigt aber noch mehr, n¨
amlich daß die Folge
beschr¨
ankt ist:
n
X
k=0
1 1 −
1
n
... 1 −
k−1
n
k!
≤
n
X
k=0
1
k!
=
1
1
+
1
1
+
1
2
+
1
2 · 3
+
1
2 · 3 · 4
+ ...
1
n!
≤ 1 + 1 +
1
2
+
1
4
+ ... +
1
2
n−1
= 1 +
1 −
1
2
n
1 −
1
2
< 3.
Vollst¨
andigkeitsaxiom
35
Also ist die Folge nach dem letzten Satz konvergent. Man nennt den Limes
die Eulerschesche Zahl — als Symbol e —, also
Eulersche Zahl e
e = lim
n→∞
1 +
1
n
n
.
Die ersten Dezimalstellen sind
e = 2.7182818284590452353602874713526624977572470936
99959574966967627724076630353547594571382178525
16642742746639193200305992181741359662904357290
03342952605956307381323286279434907632338298807
53195251019011573834187930702154089149934884167
50924476146066808226480016847741185374234544243
71075390777449920695517027618386062613313845830
00752044933826560297606737113200709328709127443
74704723069697720931014169283681902551510865746
37721112523897844250569536967707854499699679468
64454905987931636889230098793127736178215424999
22957635148220826989519366803318252886939849646
51058209392398294887933203625094431173012381970
68416140397019837679320683282376464804295311802
32878250981945581530175671736133206981125099618
18815930416903515988885193458072738667385894228
79228499892086805825749279610484198444363463244
96848756023362482704197862320900216099023530436
99418491463140934317381436405462531520961836908
88707016768396424378140592714563549061303107208
51038375051011574770417189861068739696552126715
4688957035035396 . . . .
Dies also die Antwort auf J. Bernoullis’ Frage: bei stetiger Verzinsung mit
Zinsfuß 100% hat sich nach einem Jahr das Grundkapital ver-e–facht.
Euler (1707-1783) kannte schon eine Kettenbruchentwicklung f¨
ur e, die im
Gegensatz zur Dezimalentwicklung eine sehr einfache Regelm¨
assigkeit be-
sitzt:
e = 2 +
1
1 +
1
2 +
1
1 +
1
1 +
1
4 +
1
1 +
1
1 +
1
6 +
1
1 +
1
1 + · · ·
36
Kapitel 5
= [2, 1, 2, 1, 1, 4, 1, 1, 6, 1, 1, 8, 1, 1, 10...].
Hierzu einige allgemeine Bemerkungen ¨
uber Kettenbr¨
uche: seien b
0
eine
Kettenbr¨
uche
irgendeine ganze Zahl und irgendwelche b
1
, b
2
, b
3
, . . . > 0 nat¨
urliche Zahlen,
dann kann man dazu die Folge (z
n
) der Kettenbr¨
uche
z
n
= [b
0
, b
1
...b
n−1
] = b
0
+
1
b
1
+
1
b
2
+
1
b
3
+ · · · +
1
b
n
betrachten. Es ist z
n
∈ Q; wir k¨onnen also
z
n
=
p
n
q
n
,
mit teilerfremden, positiven ganzen Zahlen p
n
, q
n
setzen.
Durch vollst¨
andige Induktion zeigt man leicht die Formeln
p
0
= 1, p
1
= b
0
, p
n+1
= b
n
p
n
+ p
n−1
q
0
= 0; q
1
= 1, q
n+1
= b
n
q
n
+ q
n−1
(n ≥ 1).
Weiter kann man zeigen, daß die Folge (z
2n+1
)
n∈N
monoton steigend und
(z
2n
)
n∈N
monoton fallend ist. Außerdem gilt
(IV 1)
z
1
≤ z
3
≤ z
5
≤ . . . ≤ z
6
≤ z
4
≤ z
2
(es gilt hier sogar “<” statt “≤”); insbesondere ist also die Folge (z
2n+1
)
n
monoton steigend und nach oben beschr¨
ankt, und die Folge (z
2n
)
n
ist mono-
ton fallend und nach unten beschr¨
ankt. Also sind beide Folgen konvergent
— etwa gegen z und z
0
. Weiter ist nach der oben gegebenen Rekursion f¨
ur
die p
n
, q
n
p
n+1
q
n
− q
n+1
p
n
= p
n−1
q
n
− q
n−1
p
n
.
Hieraus folgt leicht durch vollst¨
andige Induktion
|p
n+1
q
n
− p
n
q
n+1
| = 1
f¨
ur alle n ∈ N. Dies bedeutet aber
p
n+1
q
n+1
−
p
n
q
n
=
1
q
n
q
n+1
,
woraus endlich
(IV 2)
lim
n→∞
|z
n+1
− z
n
| = 0.
Vollst¨
andigkeitsaxiom
37
folgt. Es ist also z = z
0
, und wir sehen daß die Folge (z
n
) stets konvergent
ist. Den Grenzwert z bezeichnet man mit
z = [b
0
, b
1
, b
2
, b
3
, . . .],
und in diesem Sinn ist die oben gegebene Kettenbruchdarstellung f¨
ur e zu
verstehen. Die Folge (z
n
) ist ein Beispiel f¨
ur einen allgemeineren Begriff
Eine Folge (z
n
)
n∈N
mit den Eigenschaften (IV1) und (IV2)
heißt Intervallschachtelung.
Intervallschachtelung
Eine Intervallschachtelung ist (nach den gleichen Argumenten wie oben)
offenbar stets konvergent.
Wir geben noch ein Beispiel f¨
ur einen Kettenbruch, n¨
amlich den schon in
Kapitel 1 betrachteten:
[1, 1, 1, 1, 1, . . .].
Hier ist also b
0
= b
1
= . . . = 1, und damit
p
0
= 1, p
1
= 2, p
n+1
= p
n
+ p
n−1
,
q
0
= 1, q
1
= 1q
n+1
= q
n
+ q
n−1
.
Also ist p
n
= q
n+1
und die ersten Glieder der Folge q
n
sind
1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89 . . .
Dies sind die ber¨
uhmtenFibonacci Zahlen (Fibonacci — alias Leonardo von
Fibonacci Zahlen
Pisa, 1180-1250) Was ist der Limes der Folge (z
n
)? Es gilt offenbar 1 +
1
z
n−1
= z
n
f¨
ur n ∈ N. Setzt man also
z = lim
n→∞
z
n
,
so folgt aus dem Hauptsatz f¨
ur konvergente Folgen
1 +
1
z
= z,
da auch lim
n→∞
z
n−1
= z. Also gilt Es folgt z =
1+
√
5
2
. Diese Zahl z h¨
angt
mit einem ber¨
uhmten Problem bei Euklid zusammen, dem Problem des
Goldener Schnitt
goldenen Schnitts:
Man finde den Punkt auf der Strecke von A nach B, sodaß
AB
AE
=
AE
BE
.
38
Kapitel 5
Setzt man
u =
AE
AB
,
so folgt
u
2
+ u − 1 = 0,
d.h.
u =
1
z
=
√
5 − 1
2
.
Diese Zahl h¨
angt auch mit dem Problem der Konstruktion des regelm¨
aßigen
F¨
unfecks zusammen. Es ist n¨
amlich gerade
cos
360
o
5
=
√
5 − 1
4
=
1
u
.
Als ¨
Ubungsaufgabe vergleiche man den die ersten N¨
aherungen
q
n
2p
n
von
√
5−1
2
mit irgendwelchen anderswo gegebenen Werten.
Wir kehren zur¨
uck zur allgemeinen Theorie der konvergenten Folgen.
Satz. Jede konvergente Folge ist beschr¨
ankt.
Beweis. Sei lim
n→∞
a
n
= a. Zu > 0 gibt es ein n
0
, sodaß f¨
ur n > n
0
stets |a
n
− a| < , also a − < a
n
< a + gilt.
Also liegen fast alle
a
n
in dieser – Umgebung von a. Eine Schranke f¨
ur alle |a
n
| ist daher
|a
n
| ≤ max (|a + | , |a − | , |a
0
| , |a
1
| , . . . , |a
n
0
|).
Satz. Seien lim
n→∞
a
n
= a und lim
n→∞
b
n
= b. Dann gilt:
Hauptsatz f¨
ur
konvergente Folgen
1.
lim
n→∞
a
n
+ b
n
= a + b
2.
lim
n→∞
a
n
· b
n
= a · b,
3.
lim
n→∞
a
n
b
n
=
a
b
, wenn alle b
n
6= 0 sind und b 6= 0 ist.
Beweis. 1. Zu zeigen ist, daß ((a + b) − (a
n
+ b
n
)) eine Nullfolge ist; dies
folgt aber mit
(a + b) − (a
n
+ b
n
) = (a − a
n
) + (b − b
n
)
sofort aus dem Hauptsatz f¨
ur Nullfolgen. 2. Hier schreibt man
ab − a
n
b
n
= a(b − b
n
) + b
n
(a − a
n
).
Nun sind nach Voraussetzung (b − b
n
) und (a − a
n
) Nullfolgen, und es ist die
Folge (b
n
) als konvergente Folge beschr¨
ankt. Also ist nach dem Hauptsatz
Vollst¨
andigkeitsaxiom
39
¨
uber Nullfolgen (ab − a
n
b
n
) eine Nullfolge. Ganz analog folgt 3. mittels der
Darstellung
1
b
−
1
b
n
=
b
n
− b
b · b
n
.
und der Tatsache daß
1
b
n
eine beschr¨
ankte Folge ist. Letzteres folgt, weil ja
|b
n
− b| <
|b|
2
f¨
ur fast alle n, d.h. |b
n
| >
|b|
2
, d.h.
1
|b
n
|
<
2
|b|
f¨
ur fast alle n.
Unter einer Teilfolge einer Folge {a
n
}
n∈N
versteht man eine
Folge der Gestalt {a
k
n
}
n∈N
, wo {k
n
}
n∈N
eine streng monoton
steigende Folge von nat¨
urlichen Zahlen bedeutet.
Teilfolgen
Der folgende Satz ist fast offensichtlich.
Satz. Jede Teilfolge einer gegen eine Zahl a konvergenten Folge ist konver-
gent, und zwar ebenfalls gegen a.
Beweis. Zu gegebenen > 0 ist f¨
ur fast alle n stets |a − a
n
| < ; also ist
auch |a − a
k
n
| < , da ja k
n
≥ n.
6
UNENDLICHE REIHEN
Wir beginnen mit einer Definition. Sei (a
n
)
n∈N
eine Folge reeller Zahlen.
Die Folge (s
k
)
k∈N
mit
s
k
=
k
X
n=0
a
n
heißt Partialsummenfolge der unendlichen Reihe
∞
X
n=0
a
n
.
Die a
n
heißen die Glieder der Reihe.
Unendliche Reihen
Ist die unendliche Reihe
P
∞
n=0
a
n
konvergent, d.h. ist die Partialsummen-
folge (s
k
)
k∈N
konvergent, so bezeichnet man auch den Wert der Reihe, d.h.
den Grenzwert der Partialsummenfolge, mit dem Symbol
∞
X
n=0
a
n
. Somit
kann dieses Symbol zweierlei Bedeutung habe: eine Folge oder ihren Grenz-
wert; die jeweilige Bedeutung erschließt sich jeweils aus dem Zusammen-
hang.
Hier ist das vielleicht grundlegendste Beispiel einer unendlichen Reihe, die
geometrische Reihe:
Geometrische Reihe
∞
X
n=0
q
n
.
Satz. Die vorstehende geometrische Reihe ist genau dann konvergent, wenn
|q| < 1. Im Fall der Konvergenz ist ihr Wert
1
1−q
.
Beweis. Ist s
k
das k–te Glied der Partialsummenfolge der geometrischen
Reihe, so hat man
s
k
= 1 + q + . . . + q
k
=
1 − q
k+1
1 − q
f¨
ur q 6= 1
s
k
= k + 1
f¨
ur q = 1.
41
42
Kapitel 6
Die geometrische Reihe ist also genau dann konvergent, falls q
k+1
kon-
vergiert. Nach einem im letzten Kapitel bewiesenen Satz ist dies genau
dann der Fall, falls |q| < 1 ist, und der Grenzwert der Partialsummenfolge
hat dann den behaupteten Wert.
Als Illustration zu diesem Satz hat man etwa:
∞
X
n=0
1
2
n
= 1 +
1
2
+
1
4
+ . . . = 2
∞
X
n=0
−
1
2
n
= 1 −
1
2
+
1
4
± . . . =
2
3
.
Wir notieren nun einige einfache Eigenschaften der unendliche Reihen.
Satz. Sei
P
∞
n=0
a
n
konvergent und
P
∞
n=0
b
n
konvergent. Dann ist auch
P
∞
n=0
(a
n
± b
n
) konvergent, und es gilt
∞
X
n=0
(a
n
± b
n
) =
∞
X
n=0
a
n
±
∞
X
n=0
b
n
.
Beweis. Sei s
k
=
P
k
n=0
a
n
, t
k
=
P
k
n=0
b
n
, s = lim
k→∞
s
k
und s =
lim
k→∞
s
k
. Aus dem Assoziativ- und Kommutativgesetz der Addition folgt
s
k
± t
k
=
k
X
n=0
(a
n
± b
n
) =: r
k
.
Der Hauptsatz f¨
ur konvergente Folgen liefert die Konvergenz von (r
k
)
k∈N
,
und zwar gegen s ± t. Dies ist die Behauptung.
Ganz analog zeigt man:
Satz. Sei
P
∞
n=0
a
n
konvergent und c ∈ R. Dann ist auch
P
∞
n=0
c · a
n
konvergent und
∞
X
n=0
c · a
n
= c ·
∞
X
n=0
a
n
.
Als weitere einfache Folgerungen aus der Theorie der Folgen kann man sich
leicht die folgenden Tatsachen ¨
uberlegen:
Man darf endlich viele Glieder vertauschen, ohne daß sich am
Konvergenzverhalten oder Limes etwas ¨
andert
(denn die Partialsummenfolge bleibt bis auf endlich viele Glieder dieselbe).
In einer Reihe darf man endlich viele Glieder weglassen, ohne
daß sich am Konvergenzverhalten etwas ¨
andert.
Unendliche Reihen
43
(Der Limes der neuen Reihe ist gleich dem Limes der alten Reihe minus der
Summe der weggelassenen Glieder, sofern letzterer Limes existiert).
Ist
P
∞
n=0
a
n
konvergent, so ist (a
n
)
n∈N
eine Nullfolge
(denn a
k
= s
k
− s
k−1
, also lim a
k
= lim s
k
− lim s
k−1
= 0). Man beachte
aber, daß die Umkehrung des letzten Sachverhalts nicht gilt: die Folge mit
den Gliedern
1
n
ist eine Nullfolge, aber
P
∞
n=0
1
n
ist divergent, wie wir unten
sehen werden.
Wir kommen nun zu der eigentlichen Theorie der unendlichen Reihen. Den
zentralen Punkt dieser Theorie bilden die Konvergenzkriterien. Wir be-
ginnen mit einer Zusammenstellung solcher Konvergenzkriterien f¨
ur Reihen
mit nichtnegativen Gliedern.
Reihen mit
nichtnegativen
Gliedern
Satz. Sei
P
∞
n=0
a
n
eine Reihe mit nichtnegativen Gliedern, d.h. es gelte
a
n
≥ 0 f¨
ur alle n ∈ N. Dann ist
P
∞
n=0
a
n
genau dann konvergent, wenn die
Folge der Partialsummenfolge beschr¨
ankt ist.
Beweis. Da die Folgenglieder nichtnegativ sind, ist die Folge der Partial-
summen monoton steigend. Nach einem Satz des letzten Kapitels ist eine
monoton steigende Folge aber genau dann konvergent, falls sie beschr¨
ankt
ist.
Man kann in der Situation des letzten Satzes sogar noch etwas mehr sagen:
man erinnere sich, daß der Limes einer nach oben beschr¨
ankten Folge gerade
das Supremum der von allen Folgengliedern gebildeten Menge ist. Daher hat
man f¨
ur eine konvergente Reihe mit nichtnegativen Gliedern a
n
die Formel:
∞
X
n=0
a
n
= sup
(
k
X
n=0
a
n
k ∈ N
)
Als Illustration zum letzten Satz betrachten wir die harmonische Reihe:
Harmonische Reihe
∞
X
n=1
1
n
= 1 +
1
2
+
1
3
+
1
4
+
1
5
+ · · · .
F¨
ur die Partialsummen s
n
hat man hier
s
2
k
= 1 +
1
2
+
1
3
+
1
4
+
1
5
+ . . . +
1
8
+ . . . +
1
2
k−1
+ 1
+ . . . +
1
2
k
> 1 +
1
2
+
2
4
+ . . . +
2
k−1
2
k
=
k + 1
2
.
Also ist die Partialsummenfolge nicht nach oben beschr¨
ankt, mithin gilt
44
Kapitel 6
Satz. Die harmonische Reihe
∞
X
n=1
1
n
ist divergent.
Satz (Majorantenkriterium). Seien
P
∞
n=0
a
n
und
P
∞
n=0
b
n
unendliche
Reihen mit nicht-negativen Gliedern, und es gelte a
n
≤ b
n
f¨
ur alle n ∈ N.
Dann gilt: ist
∞
X
n=0
b
n
konvergent, so ist auch
∞
X
n=0
a
n
konvergent, und es gilt
∞
X
n=0
a
n
≤
∞
X
n=0
b
n
.
In der in diesem Satz beschriebenen Situation nennt man
P
∞
n=0
b
n
eine
Majorante der Reihe
P
∞
n=0
a
n
.
Beweis. F¨
ur die zugeh¨
origen Partialsummenfolgen (s
k
)
k∈N
von
P
∞
n=0
a
n
und (t
k
)
k∈N
von
P
∞
n=0
b
n
gilt s
k
≤ t
k
f¨
ur alle k ∈ N. Ist die aus den b
n
gebildete Reihe konvergent, so ist dem oben angegebenen Satz die Folge der
t
k
beschr¨
ankt. Dann ist aber auch die Folge der s
k
beschr¨
ankt, nach dem
eben zitierten Satz ist die Reihe der a
n
konvergent. Die Ungleichung folgt
aus s
k
≤ t
k
und der Formel im Anschluß an den Beweis ebendieses Satzes.
Eine Reihe a
0
+ a
1
+ . . . k¨
onnte man durch Umordnung ihrer Glieder, d.h.
durch Anordnung ihrer Glieder in einer anderen Reihenfolge aufzusum-
mieren versuchen. Noch anders ausgedr¨
uckt: statt
P
∞
n=0
a
n
versucht man
P
∞
n=0
a
σ(n)
zu berechnen, wo σ eine Bijektion der Menge der nat¨
urlichen
Zahlen mit sich selbst bedeutet. Im Fall von Reihen mit nichtnegativen
Gliedern hat man hierzu den
Satz (Umordnungssatz). Sei
P
∞
n=0
a
n
eine konvergente Reihe und es
gelte a
n
≥
0 f¨
ur alle n ∈ N. Sei σ: N → N eine Bijektion. Dann ist
P
∞
n=0
a
σ(n)
konvergent und
∞
X
n=0
a
n
=
∞
X
n=0
a
σ(n)
.
Beweis. Die Partialsummenfolgen (s
k
)
k∈N
und (s
0
k
)
k∈N
der unendlichen
Reihen
P
∞
n=0
a
n
bzw.
P
∞
n=0
a
σ(n)
sind monoton steigend. Setzen wir daher
M = (s
n
|n ∈ N),
M
0
= (s
0
n
|n ∈ N),
so ist nach einer oben gemachten Bemerkung
lim
n→∞
s
n
= sup M, lim
n→∞
s
0
n
= sup M
0
.
Unendliche Reihen
45
Wir haben also zu zeigen, daß sup M
0
= sup M gilt. Nun ist aber tats¨
achlich
s
0
n
≤ s
m
, wenn nur m ≥ max (σ(k)|k ≤ n) ist. Daher ist sup M
0
≤ sup M .
Umgekehrt ist stets s
n
≤ s
0
l
, wenn l so groß gew¨
ahlt ist, daß zu jedem k ≤ n
ein k
0
≤ l existiert, sodaß k = σ(k
0
) ist. Also ist sup M ≤ sup M
0
, womit
der Satz bewiesen ist.
Im Fall einer Reihe mit sowohl unendliche vielen negativen als auch un-
endlich vielen positiven Gliedern ist die im Umordnungssatz ausgesprochene
Tatsache v¨
ollig falsch. Wir kommen darauf unten noch einmal zur¨
uck.
Ganz nat¨
urlich schließt sich an den letzten Satz die Frage an, ob man eine
gegebene Reihe durch ein Setzen von Klammern aufzusummieren versuchen
darf, d.h. ob etwa
∞
X
n=0
a
n
=
∞
X
k=0
n
k+1
X
n=n
k
a
n
f¨
ur jede beliebige streng monotone Folge (n
k
) gilt.
Satz. Ist
P
∞
n=0
a
n
konvergent, ist (n
k
)
k∈N
eine streng monotone Folge, so
ist auch
∞
X
k=0
b
k
,
b
k
=
n
k+1
X
n=n
k
a
n
konvergent, und zwar gegen denselben Limes.
Man beachte, daß hier ¨
uber die a
n
nichts weiter vorausgesetzt wird. Insbes-
ondere m¨
ussen sie nicht notwendig nichtnegativ sein.
Beweis. Die Partialsummenfolge von
P
∞
k=0
b
k
ist eine Teilfolge der Par-
tialsummenfolge von
P
∞
n=0
a
n
.
Damit folgt die Behauptung aus einem
entsprechenden Satz ¨
uber Folgen.
In der Anwendung des eben bewiesenen Satzes muß man sehr vorsichtig
sein. Die Reihe
(1 − 1) + (1 − 1) + (1 − 1) + . . .
ist eine konvergente Reihe, und zwar mit Grenzwert 0. Lassen wir aber die
Klammern weg, so erhalten wir die Reihe
1 − 1 + 1 − 1 + 1 − 1 + . . . .
Diese hat als Partialsummenfolge die Folge 1, 0, 1, 0 . . . und ist demnach
offenbar nicht konvergent ! (?) Daher
Man darf in unendlichen Reihen Klammern setzen, aber nicht
weglassen.
Die beiden folgenden Konvergenzkriterien sind vielleicht die bekanntesten.
46
Kapitel 6
Satz (Wurzelkriterium). F¨
ur alle n ∈ N gelte 0 ≤ a
n
≤ q
n
mit einer
reellen Zahl q < 1. Dann ist
P
∞
n=0
a
n
konvergent, und der Grenzwert ist
≤
1
1−q
.
Man beachte, die Voraussetzung, daß q strikt kleiner als 1 ist. F¨
ur q = 1
ist die im Satz gemachte Aussage falsch. Der Satz heißt Wurzelkriterium,
weil die Voraussetzungen des Satzes — also a
n
≤ q
n
mit q < 1 — zumeist
in Form
n
√
a
n
≤ q < 1
ausgesprochen wird. Wir haben allerdings die Existenz der n–ten Wurzel
einer nichtnegativen Zahl noch nicht bewiesen und benutzen der logischen
Strenge wegen f¨
ur den Augenblick vorsichtigerweise die gegebene Formulie-
rung.
Beweis. Die Voraussetzung des Satzes besagt nichts anderes als daß die
geometrische Reihe
P
∞
n=0
q
n
eine Majorante von
P
∞
n=0
a
n
ist. Der Satz folgt
daher aus dem oben bewiesenen Majorantenkriterium und und der ebenfalls
oben bewiesenen Konvergenz der geometrischen Reihe im Fall q < 1.
Satz (Quotientenkriterium). Sei (a
n
)
n∈N
eine Folge von nichtnegativen
Zahlen. F¨
ur alle n ∈ N gelte
a
n+1
a
n
≤ q mit einer reellen Zahl q < 1. Dann
ist
P
∞
n=0
a
n
konvergent, und der Grenzwert ist ≤
a
0
1−q
.
Beweis. Aus der Voraussetzung folgt leicht mittels Induktion
a
n
a
0
≤ q
n
.
Der Satz folgt daher aus dem Wurzelkriterium und mit
P
a
n
a
0
=
1
a
0
P a
n
.
Man beachte, daß auch hier — beim Quotientenkriterium — die Vorausset-
zung q < 1 ganz wesentlich ist und auf keinen Fall zu q = 1 abgeschw¨
acht
werden kann: Die harmonische Reihe
P
∞
n=1
1
n
ist divergent und dabei ist
stets
n
n+1
< 1.
Eine weitere, wichtige und n¨
utzliche Bemerkung ist, daß im Wurzel- und
Quotientenkriterium die Voraussetzung “f¨
ur alle n’ durch “f¨
ur fast alle n”
ersetzt werden d¨
urfen. Wie oben festgestellt, ¨
andert sich das Konvergenz-
verhalten einer Reihe ja nicht, falls man endlich viele Glieder wegl¨
aßt. (Die
Absch¨
atzungen f¨
ur die Grenzwerte im Wurzel- und Quotientenkriterium
bleiben bei der eben erw¨
ahnten Abschw¨
achung der Voraussetzungen selb-
stverst¨
andlich nicht bestehen !)
Bevor wir weitere allgemeine S¨
atze ¨
uber Reihen auflisten, wollen wir die
bisher vorgestellte Theorie an einem der grundlegendsten Beispiele anwen-
den. eine reelle Zahl. Zu einer reellen Zahl x kann man die Reihe Potenz-
Exponentialfunktion
reihe
exp (x) =
∞
X
n=0
x
n
n!
Unendliche Reihen
47
betrachten.
Satz. Die Reihe
P
∞
n=0
x
n
n!
konvergiert f¨
ur jedes x.
Den Grenzwert der hier betrachteten Reihe bezeichnet man mit exp (x), also
exp (x) :=
∞
X
n=0
x
n
n!
.
Beweis. Wir beweisen hier die Konvergenz zun¨
achst f¨
ur x ≥ 0. F¨
ur x = 0
ist die behauptete Konvergenz offenbar trivial. Sei also x > 0. Dann ist
x
n+1
(n + 1)!
/
x
n
n!
=
x
n + 1
.
Nun gilt lim
n→∞
x
n+1
= 0. Insbesondere liegen daher fast alle Glieder der
Folge
x
n+1
(n+1)!
/
x
n
n!
unterhalb — sagen wir q =
1
2
. Die behauptete Konvergenz
folgt nun mit dem Quotientenkriterium.
Zur Behandlung des Falls von
negativen x m¨
ussen wir noch etwas weitere Theorie lernen.
Wir definieren:
Die Reihe
P
∞
n=0
a
n
heißt absolut konvergent, falls
P
∞
n=0
|a
n
|
konvergiert.
Absolut konvergente
Reihen
Bevor wir zur allgemeinen Theorie der absolut konvergenten Reihen kom-
men, geben wir ein Beispiel:
∞
X
n=1
(−1)
n−1
1
n
= 1 −
1
2
+
1
3
−
1
4
± . . . .
Diese Reihe zeigt, daß die absolut konvergenten Reihen einen echten Teil-
bereich in der Gesamtheit aller konvergenten Reihen ausmachen: sie ist
konvergent, aber nicht absolut konvergent. Letzteres ist gerade der Satz
¨
uber die Divergenz der harmonischen Reihe, denn
∞
X
n=1
(−1)
n−1
·
1
n
=
∞
X
n=1
1
n
.
Zum Nachweis des ersteren betrachten wir die Partialsummenfolge der Reihe
P
∞
n=1
(−1)
n−1 1
n
; aus
s
2k
:=
1 −
1
2
+
1
3
−
1
4
+
1
5
−
1
6
+ . . . +
1
2k − 1
−
1
2k
folgt
s
2
< s
4
< s
6
< . . . ,
48
Kapitel 6
aus
s
2k+1
:= 1 −
1
2
−
1
3
−
1
4
−
1
5
− . . . −
1
2k
−
1
2k + 1
folgt
. . . < s
5
< s
3
< s
1
.
Ferner ist stets
s
2k
< s
2l+1
.
Wegen
s
2n+1
− s
2n
=
1
2n + 1
ist schließlich
lim
n→∞
|s
n
− s
n−1
| = 0.
Die Partialsummenfolge bildet also eine Intervallschachtelung, und ist mit-
hin konvergent.
Zur¨
uck zur allgemeinen Theorie: Sei
P
∞
n=0
a
n
gegeben. Hieraus leiten wir
zwei Reihen mit nichtnegativen Gliedern ab. Wir setzen f¨
ur b ∈ R
b
+
:=
|b| + b
2
=
|b| f¨ur b ≥ 0
0
f¨
ur b ≤ 0
,
b
−
:=
|b| − b
2
=
0
f¨
ur b ≥ 0
|b|
f¨
ur b ≤ 0
.
Die Reihen
∞
X
n=0
a
+
n
,
∞
X
n=0
a
−
n
haben dann offensichtlich nichtnegative Glieder. Hier ist ein Beispiel:
1 −
1
2
+
1
3
−
1
4
± . . . =
∞
X
n=1
(−1)
n−1
·
1
n
∞
X
n=1
(−1)
n−1
·
1
n
+
= 1 + 0 +
1
3
+ 0 +
1
5
+ . . .
∞
X
n=1
(−1)
n−1
·
1
n
−
= 0 +
1
2
+ 0 +
1
4
+ 0 + . . . .
F¨
ur absolut konvergente Reihen gilt nun allgemein:
Unendliche Reihen
49
Satz. Die Reihe
P
∞
n=0
a
n
ist dann und nur dann absolut konvergent, wenn
P
∞
n=0
a
+
n
und
P
∞
n=0
a
−
n
konvergent sind.
Beweis. ”⇒” ist klar, da 0 ≤ a
+
n
≤ |a
n
| und 0 ≤ a
−
n
≤ |a
n
|, sodaß die be-
hauptete Konvergenz mit dem Majorantenkriterium folgt. Die Umkehrung
folgt wegen a
+
n
+ a
−
n
= |a
n
|, wonach ja
∞
X
n=0
|a
n
| =
∞
X
n=0
a
+
n
+
∞
X
n=0
a
−
n
.
Satz. Ist die Reihe
P
∞
n=0
a
n
absolut konvergent, so ist sie auch konvergent.
Beweis. Die Behauptung folgt wegen a
n
= a
+
n
− a
−
n
mit dem letzten Satz
und dem oben angef¨
uhrten Satz ¨
uber Summen konvergenter Reihen.
Man beachte, daß der Beweis des letzten Satzes insbesondere die Formel
∞
X
n=0
a
n
=
∞
X
n=0
a
+
n
−
∞
X
n=0
a
−
n
liefert. Man kann die Idee zum Beweis der beiden letzten S¨
atze noch weiter
variieren, um etwa zu zeigen: “Ist
P
∞
n=0
a
n
konvergent und
P
∞
n=0
a
+
n
kon-
vergent, so ist
P
∞
n=0
a
n
absolut konvergent.” (Dies folgt analog zum Beweis
der letzten beiden S¨
atze, jetz aber mit |a
n
| = 2a
+
n
− a
n
), oder eine analoge
Aussage mit mit
P a
−
n
statt
P a
+
n
.
Wie wir soeben gesehen haben, impliziert die absolute Konvergenz insbe-
sondere die gew¨
ohnliche Konvergenz. Oben haben wir gezeigt, daß die Expo-
nentialreihe
P
∞
n=0
x
n
n!
f¨
ur jedes x ∈ R absolut konvergiert; also konvergiert
sie f¨
ur jedes x ∈ R, womit der Beweis des Satz ¨
uber die Konvergenz der
Exponentialreihe vollst¨
andig ist.
Wir bleiben noch eine Weile beim Beispiel der Exponentialreihe. Wir be-
trachten nun f¨
ur festes x ≥ 0 die Folge
1 +
x
n
n
n∈N
. F¨
ur x = 1 sind wir
ihr schon im letzten Kapitel im Beispiel der stetigen Verzinsung begegnet.
Wie dort schreiben wir
1 +
x
n
n
=
n
X
k=0
n
k
x
k
n
k
=
n
X
k=0
n(n − 1) · · · (n − k + 1)
n
k
·
x
k
k!
=
n
X
k=0
1 ·
1 −
1
n
· · ·
1 −
k − 1
n
·
x
k
k!
.
Hieraus ersehen wir, daß die Folge der 1 +
x
n
n
monoton steigend ist, und
— unter Benutzung des letzten Satzes — daß sie auch beschr¨
ankt ist:
n
X
k=0
1 ·
1 −
1
n
· · ·
1 −
k − 1
n
·
x
k
k!
≤
n
X
k=0
x
k
k!
≤ exp (x).
50
Kapitel 6
Also ist die Folge der
1 +
x
n
n
konvergent. Dar¨
uberhinaus zeigt die eben
gemachte Absch¨
atzung noch
lim
n→∞
1 +
x
n
n
≤ exp (x).
Wir zeigen nun, daß auch die umgekehrte Ungleichung, d.h. also, daß hier
sogar Gleichheit gilt. Wegen der Monotonie ist ja
m
X
k=0
1 −
1
m
· · ·
1 −
k − 1
m
·
x
k
k!
=
1 +
x
m
m
≤
1 +
x
n
n
f¨
ur m ≤ n. Halten wir nun m fest und lassen n gegen Unendlich streben,
Offenbar konvergiert die linke Seite gegen
P
m
k=0
x
k
k!
. Daher erhalten wir f¨
ur
die Grenzwerte
m
X
k=0
x
k
k!
≤ lim
n→∞
1 +
x
n
n
.
Dies gilt nun aber f¨
ur jedes m ∈ N. Also erhalten wir aus der letzten
Ungleichung
exp (x) = lim
m→∞
m
X
k=0
x
k
k!
≤ lim
n→∞
1 +
x
n
n
.
Damit haben wir den folgenden Satz bewiesen.
Satz. Es gilt
lim
n→∞
1 +
x
n
n
= exp (x) =
∞
X
n=0
x
n
n!
,
insbesondere
e =
∞
X
n=0
1
n!
Mit dem letzten Satz haben wir auch sofort eine Interpretation der Gr¨
oße
exp (x).
L¨
aßt man ein Kapital A bei stetiger Verzinsung zu x% genau
ein Jahr liegen, so ist es zu A · exp (x) gewachsen.
Dies folgt wie im letzten Kapitel: A 1 +
x
n
n
ist das Kapital nach einem
Jahr, wenn die Zinsen alle
1
n
Jahre zugeschlagen werden, und stetige Verzin-
sung bedeutet, daß man n gegen unendlich streben l¨
aßt.
Eine andere
m¨
ogliche Deutung w¨
are: “L¨
aßt man ein Kapital A bei stetiger Verzinsung zu
100% genau x Jahre liegen, so ist das Endkapital A · exp (x). Wir ¨
uberlassen
es den geneigten StudentInnen, dies zu ¨
uberpr¨
ufen.
Aufgrund der letzten Deutung wird man die folgende Funktionalgleichung
erwarten:
exp (x + y) = exp (x) · exp (y).
Unendliche Reihen
51
denn das Endkapital bei stetiger Verzinsung eines Kapitals A zu 100% nach
x + y Jahren (also A · exp (x + y)) sollte doch das gleiche sein wie das End-
kapital, welches man erh¨
alt, wenn man A erst x Jahre lang stetig zu 100%
verzinst, und das dabei resultierende Endkapital nochmals y Jahre lang
stetig zu 100% verzinst ( also gleich A · exp (x) · exp (y)).
Die Funktionalgleichung ist tats¨
achlich wahr, wie wir unten sehen werden.
Insbesondere hat man daher f¨
ur nat¨
urliche Zahlen n
exp (n) = exp (1 + . . . + 1) = exp (1)
n
= e
n
.
Es ist daher naheliegend und ¨
ublich
e
x
statt exp (x) zu schreiben. F¨
ur jede reelle Zahl hat damit e
x
eine wohlbe-
stimmte Bedeutung (n¨
amlich den Wert der unendlichen Reihe
P
∞
n=0
x
n
n!
).
Die hierdurch erkl¨
arte Abbildung x 7→ e
x
nennt man Exponentialfunktion.
Zum Beweis der Funktionalgleichung f¨
ur die Exponentialfunktion ben¨
otigen
wir noch einige Vorbereitungen aus der Theorie der unendlichen Reihen.
Wir kehren daher zun¨
achst wieder zur allgemeinen Theorie zur¨
uck.
Satz. Die Reihe
P
∞
n=0
a
n
sei absolut konvergent, σ : N → N eine Bijektion.
Umordnungssatz
Dann ist auch
P
∞
n=0
a
σ(n)
absolut konvergent und
∞
X
n=0
a
n
=
∞
X
n=0
a
σ(n)
.
Beweis. Es ist a
n
= a
+
n
−a
−
n
. Also ist auch a
σ(n)
= a
+
σ(n)
−a
−
σ(n)
. Nach Vor-
aussetzung und nach dem Satz ¨
uber die Vertauschung von Reihen mit nicht-
negativen Gliedern ist
P
∞
n=0
a
+
σ(n)
konvergent, und
P
∞
n=0
a
+
σ(n)
=
P
∞
n=0
a
+
n
.
Eine analoge Ausage gilt f¨
ur
P
∞
n=0
a
−
σ(n)
. Nach dem Satz ¨
uber die Summe
(hier Differenz) konvergenter Reihen haben wir daher
∞
X
n=0
a
σ(n)
=
∞
X
n=0
a
+
σ(n)
−
∞
X
n=0
a
−
σ(n)
=
∞
X
n=0
a
+
n
−
∞
X
n=0
a
−
n
=
∞
X
n=0
a
n
.
Der Aussage des letzten Satz ¨
uber die Unver¨
anderlichkeit des Grenzwerts bei
Umordnung ist definitiv falsch f¨
ur bedingt konvergente Reihen, d.h. nicht
absolut konvergente Reihen. F¨
ur eine bedingt konvergente Reihe kann man
zeigen, daß mittels geeigneter Umordnung jede beliebig vorgegebene Zahl
als Grenzwert und sogar Divergenz erreicht werden kann.
52
Kapitel 6
Satz. Die Reihen
P
∞
n=0
a
n
und
P
∞
n=0
b
n
seien absolut konvergent gegen a
Produkt unendlicher
Reihen
bzw. b. Sei α: N → N × N eine Bijektion. Dann ist die Reihe
∞
X
n=0
a
α
1
(n)
b
α
2
(n)
( α(n) = (α
1
(n), α
2
(n) )
absolut konvergent, und zwar gegen a · b.
Der Wert der Reihe
∞
X
n=0
a
σ(n)
b
σ(n)
ist insbesondere unabh¨
angig von der speziellen Wahl von α, man bezeichnet
ihn daher auch einfach mit
∞
X
m,n=0
a
m
b
n
.
Daß die Aussage des Satz nicht leer ist, d.h. daß ¨
uberhaupt Bijektionen
zwischen N und N × N bestehen, lassen wir als ¨
Ubungsaufgabee Man kann
eine solche Bijektionen etwa leicht aus folgender Skizze konstruieren:
Beweis. Es gilt
k
X
n=0
a
α
1
(n)
b
α
2
(n)
≤
m
X
n=0
|a
n
|
m
X
n=0
|b
n
| ,
wobei m zu gegebenem k jeweils so groß gew¨
ahlt ist, daß α
i
(n) ≤ m f¨
ur alle
n ≤ m gilt. Die rechte Seite dieser Ungleichung konvergiert nach Voraus-
setzung (monoton steigend) gegen
∞
X
n=0
|a
n
|
∞
X
n=0
|b
n
| ,
womit diese Zahl eine obere Schranke f¨
ur die monoton steigende Partial-
summenfolge der Reihe
∞
X
n=0
a
α
1
(n)
b
α
2
(n)
Unendliche Reihen
53
darstellt. Mithin ist letztere Reihe konvergent, d.h. die Reihe
∞
X
n=0
a
α
1
(n)
b
α
2
(n)
ist tats¨
achlich absolut konvergent. Nach dem Umordnungssatz f¨
ur absolut
konvergente Reihen ist der Grenzwert letzterer Reihe sogar unabh¨
angig von
der speziellen Wahl von α: Ist α
0
eine andere Bijektion, so erh¨
alt man ja die
mit α
0
gebidete Reihe aus der mit α gebildeten durch Umordnung mit der
Bijektion σ: N → N, wobei σ = α
−1
◦ α
0
. Zur Berechnung des Grenzwerts
unserer Reihe k¨
onnen wir das α daher gem¨
aß unseren eigenen Vorstellungen
w¨
ahlen. Wir w¨
ahlen es so, daß
k 7→
k
X
n=0
a
n
k
X
n=0
b
n
eine Partialsummenfolge unserer Reihe ist; der Grenzwert unserer Reihe
stimmt dann mit dem Grenzwert dieser Partialsummenfolge ¨
uberein, und
letztere ist offenbar gleich a · b. Daß man tats¨
achlich solch ein α finden kann,
wie wir es benutzt haben, lassen wir als ¨
Ubungsaufgabe. Damit ist der Satz
bewiesen.
Als Anwendung dieses Satzes k¨
onnen wir nun beweisen:
Satz. F¨
ur x, y ∈ R gilt exp (x + y) = exp (x) · exp (y).
Beweis: Zun¨
achst ist ja unter Beachtung der absoluten Konvergenz der
Exponentialreihe und nach unserem letzten Satz
exp (x) · exp (y) =
∞
X
r=0
x
r
r!
·
∞
X
s=0
y
s
s!
=
∞
X
r,s=0
x
r
r!
·
y
s
s!
.
Da man in konvergenten Reihen beliebig Klammern setzen darf, k¨
onnen wir
f¨
ur jedes n ∈ N diejenigen Paare (r, s) zusammenfassen, f¨
ur die r + s = n
ist. Dann wird
exp (x) · exp (y) ==
∞
X
n=0
c
n
,
c
n
=
X
r,s≥0
r+s=n
x
r
r!
y
s
s!
.
Nun ist aber nach dem binomischen Lehrsatz
c
n
=
1
n!
X
r,s≥0
r+s=n
n!
r!s!
x
r
y
s
=
1
n!
(x + y)
n
.
54
Kapitel 6
Setzen wir dies in die letzte Identit¨
at ein, so erhalten wir
exp (x) · exp (y) =
∞
X
n=0
(x + y)
n
n!
= exp (x + y),
und genau das wollten wir beweisen.
Die im Beweis mittels der dort durchgef¨
uhrten Zusamenfassung der Pro-
duktreihe gebildete Reihe, die man offenbar stets zu je zwei absolut kon-
vergenten Reihen bilden kann, nennt man Cauchy-Produkt der beiden Aus-
gangsreihen.
Aus der Funktionalgleichung erh¨
alt man insbesondere exp (x) · exp (−x) =
exp(0) = 1. Da exp (x) f¨
ur positives x positiv ist, wie man unmittelbar der
definierenden Reihe entnimmt, ist daher stets exp(x) > 0. Also k¨
onnen wir
die Exponentialfunktion als Abbildung
exp : R → R
+
:= {r | r ∈ R ∧ r > 0}
auffassen.
Man kann damit die Funktionalgleichung noch anders inter-
pretieren: R und R
+
sind Gruppen, die erste bez¨
uglich der Addition, die
zweite bez¨
uglich der Multiplikation. Die Funktionalgleichung besagt nun
nichts anderes, als daß exp einen Homomorphismus dieser Gruppen defi-
niert.
F¨
ur x
1
, x
2
∈ R, x
1
< x
2
ist exp (x
1
) < exp (x
2
), denn man hat ja exp(x) =
1+Reihe mit positiven Gliedern, d.h. exp(x) > 1 f¨
ur positive x, insbeson-
dere also exp(x
2
− x
1
) > 0, und daher
exp (x
2
) = exp (x
1
) · exp (x
2
− x
1
) > exp (x
1
).
Insbesondere ist also exp injektiv. Außerdem haben wir oben schon gese-
hen, daß exp (n) = (e)
n
. Die Folge (e
n
)
n∈N
nimmt also beliebig große Werte
an, die Folge (e
−n
)
n∈N
wiederum nimmt beliebig kleine Werte an. Es ist
daher plausibel, daß exp auch surjektiv ist. Das ist auch tats¨
achlich wahr;
allerdings reichen unsere Methoden noch nicht aus, dies zu beweisen. Den
Beweis der Surjektivit¨
at werden wir im n¨
achsten Kapitel als Folgerung un-
serer Untersuchungen an stetigen Funktionen geben.
Somit ist exp : R → R
+
ein Isomomorphismus, (= bijektiver Gruppenhomo-
morphismus). Insbesondere existiert die Umkehrabbildung, die sogenannte
Logarithmusfunktion. Diese wird mit ln oder log bezeichnet (sprich “Loga-
rithmus naturalis” oder einfach “Logarithmus”:
Der nat¨
urliche
Logarithmus
ln : R
+
→ R.
Der Logarithmus ist — als Umkehrfunktion eines Gruppenisomorphismus
— wieder homomorph, d.h. es gilt f¨
ur a, b ∈ R
+
:
ln (a · b) = ln (a) + ln (b),
ln (a/b) = ln (a) − ln (b).
Unendliche Reihen
55
Sei nun irgendeine Zahl a > 0 gegeben, x ∈ R. Dann setzt man
a
x
:= exp (x · ln a).
Offenbar definiert die Zuordnung
R → R
+
,
x 7→ a
x
wieder einen Gruppenisomorphismus. Insbesondere hat man
a
x+y
= a
x
· a
y
.
Als Folge hiervon erh¨
alt man a
n
= (a)
n
, d.h. a
n
ist gleich der n-fachen
Potenz von a. Dies wiederum zieht sofort die Existenz der n–ten Wurzel zu
Existenz n–ter Wurzeln
jeder positiven reellen Zahl y nach sich: in der Tat ist ja
exp
log y
n
n
= y.
Die Umkehrabbildung zu x 7→ a
x
bezeichnen wir mit log
a
(“Logarithmus zur
Basis a); sie definiert also einen Gruppenisomorphismus (R
+
, ·) → (R, +).
Es gilt nat¨
urlich
log
a
y =
log y
log a
,
wie man sich leicht ¨
uberlegt.
F¨
ur a = 10 ist log
a
, als der “dekadische Logarithmus” oder “Logarithmus
zur Basis 10” aus der Schule bekannt: wegen
a · b = exp (ln (a · b)) = exp (ln a + ln b)
kann man sehr große Zahlen a und b n¨
aherungsweise multiplizieren, indem
man log a und log b in einer Tabelle nachschl¨
agt, die Ergebnisse addiert, und
hierf¨
ur in der gleichen Tabelle die Zahl aufsucht, deren Logarithmus gerade
diese Summe ist. Dieses Verfahren kennt man schon seit Jahrhunderten.
Der Mathematiker B¨
urgi, ein Meister der Potenzrechnung, hatte zu Beginn
des 17. Jahrhunderts folgende geniale Idee: Die Potenzen x
n
einer Zahl x
sehr nahe bei 1 liefern eine sehr dichte Zahlenfolge. B¨
urgi stellte sich eine
Tafel auf, mit deren Hilfe er sich wegen der bekannten Identit¨
at x
k
·x
l
= x
k+l
f¨
ur k, l ∈ N das Multiplizieren zu erleichtern gedachte: Er w¨ahlte die Zahl
x = 1.0001 und tabellierte ihre Potenzen:
56
Kapitel 6
n
(1.0001)
n
1
1.0001000000000000
2
1.0002000100000000
3
1.0003000300010000
4
1.0004000600040001
5
1.0005001000100005
6
1.0006001500200015
7
1.0007002100350035
8
1.0008002800560070
9
1.0009003600840126
10
1.0010004501200210
11
1.0011005501650330
12
1.0012006602200495
13
1.0013007802860715
14
1.0014009103641001
15
1.0015010504551365
16
1.0016012005601820
17
1.0017013606802380
..
.
..
.
23027
9.9999977968106672
23028
10.000997796590348
Mit dieser Tabelle konnte er also Zahlen a, b zwischen 1 und 10 ziemlich
genau untereinander multiplizieren. Suche a und b in der rechten Spalte
auf, addiere zugh¨
orige n und n
0
aus der linken Spalte, suche x
n+n
0
in der
rechten. Hierbei kann es vorkommen, daß n + n
0
> 23028 ist. Dann sucht
man x
n+n
0
−23028
nach. Dieser Wert ist ja nur um den Faktor x
23028
≈ 10
kleiner als das gesuchte Ergebnis.
Dieses Verfahren nutzt also in mod-
erner Sprechweise den Logarithmus zur Basis x = 1, 0001 zur Multiplikation
großer (hier “sehr langer”) Zahlen.
John Napier, ein Schotte (1550-1617), fand das zu ungenau. Er verlangte
Besseres f¨
ur die Seefahrt, nahm also als Basis 1 + 10
−7
= 1, 0000001 und
erstellte eine neue Tabelle (1614). Er entdeckte auch, wie man die Tafeln
ineinander umrechnen kann. Briggs schlug dann vor, zur Basis 10 zu rech-
nen; der Vorteil sei: log
10
10 = 1. B¨
urglis Idee, als Basis eine Zahl nahe bei
1 zu nehmen, f¨
uhrt ¨
ubrigens zur Eulerschen Zahl e, denn
(1, 0001)
10000
≈ e.
Kepler benutzte Logarithmentafeln f¨
ur astronomische Berechnungen. Kep-
lers Lehrer traute den Logarithmen jedoch nicht und rechnete lieber mit
der alten Methode und der gut bekannten cos-Funktion, die wir unten be-
sprechen werden. Man hat das Additionstheorem
cos x · cos y =
1
2
(cos (x + y) + cos (x − y)).
Unendliche Reihen
57
Um A · B — etwa f¨
ur A, B zwischen 0 und 1 — auszurechnen, ging man so
vor: man sucht x, y auf, sodaß cos x = A und cos y = B. Dann bildet man
x + y und x − y, addiert die zugeh¨
origen Werte cos (x + y), cos (x − y), teilt
durch 2, etc.. Historisch ist also klar, daß auch der cos etwas mit exp zu tun
haben muß, da auch der cos ja etwas ¨
uber das Verh¨
altnis der Multiplikation
zur Addition sagt. Wir werden dies in einem Moment n¨
aher studieren.
Die
Hyperbelfunktionen
Wir beginnen zun¨
achst mit den begrifflich etwas einfacheren Hyperbelfunk-
tionen:
cosh x :=
1
2
e
x
+ e
−x
sinh x :=
1
2
e
x
− e
−x
(sprich “cosinus hyperbolicus” bzw. “sinus hyperbolicus”). Wir ordnen nun
jedem x ∈ R das Paar
(ξ, η) = (cosh x, sinh x) =
1
2
e
x
+ e
−x
,
1
2
e
x
− e
−x
∈ R
2
zu. Was geschieht nun, wenn man x variiert, d.h. wenn man x die Kurve R
durchlaufen l¨
aßt ? Dann wird wohl (ξ, η) auch eine Kurve — in der Ebene
R
2
— durchlaufen. Kann man diese beschreiben ? Setzt man ξ = cosh x
und η = sinh x, so ist
ξ + η = e
x
> 0
ξ − η = e
−x
> 0
ξ
2
− η
2
= 1
Wir haben also eine Abbildung
R → H :=
(ξ, η) | ξ
2
− η
2
= 1 ∧ ξ > 0
x 7→ (cosh x, sinh x).
Satz. Diese Abbildung ist bijektiv.
Beweis. Sei (ξ, η) ∈ H, also insbesondere ξ + η > 0. Setze x := log (ξ + η),
d.h. ξ + η = e
x
. Wegen 1 = ξ
2
− η
2
= (ξ + η)(ξ − η) = 1 folgt dann
ξ − η = e
−x
. Zusammengefaßt: ξ = cosh (x) und η = sinh (x). Dies beweist
die Surjektivit¨
at. Eine nochmalige Durchsicht dieses Beweises zeigt aber
auch, daß sich x eindeutig aus (ξ, η) berechnen l¨
aßt. Die ist aber gerade die
behauptete Injektivit¨
at unserer Abbildung.
Damit ist die Bildkurve unserer Abbildung gerade eine (die “rechte”) der
beiden zusammenh¨
angenden Teile der durch die Gleichung ξ
2
− η
2
= 1
beschriebenen Kurve im “(ξ, η)–Raum”, einer Hyperbel. Mit Hilfe von cosh
und sinh haben wir also eine Parameterdarstellung der Hyperbel gefunden,
i.e. eine (bijektive) Abbildung R → H.
Wie schon im Beweis des letzten Satz vorgef¨
uhrt, ist es leicht, Eigenschaften
der Hyperbelfunktionen aus entsprechenden Eigenschaften der Exponential-
funktion abzuleiten. Ein weiteres Beispiel hierzu ist:
58
Kapitel 6
Satz (Additionstheoreme). F¨
ur alle x und y gilt
cosh (x + y) = cosh x · cosh y + sinh x · sinh y
sinh (x + y) = sinh x · cosh y + cosh x · sinh y.
Beweis. Der Beweis dieser Additionstheorem ist offensichtlich: zum Bei-
spiel folgt die erste Identit¨
at wegen
cosh x · cosh y + sinh x · sinh y
=
e
x
+ e
−x
2
·
e
y
+ e
−y
2
+
e
x
− e
−x
2
·
e
y
− e
−y
2
= . . . =
e
(x+y)
+ e
−(x+y)
2
= cosh(x + y).
Die zweite Identit¨
at folgt mit einer analogen Rechnung.
Unmittelbar aus der Definition der Hyperbelfunktionen liest man auch ab,
daß cosh eine gerade und sinh eine ungerade Funktion ist, d.h. daß
cosh (−x) = cosh (x),
sinh (−x) = − sinh (x)
gilt.
Ferner erh¨
alt man mittels der Exponentialreihe auch sogleich eine
Formel zur Berechnung der Hyperbelfunktionen, die Potenzreihenentwick-
lung der Hyperbelfunktionen. Aus
e
x
=
∞
X
n=0
x
n
n!
,
e
−x
=
∞
X
n=0
(−x)
n
/n! =
∞
X
n=0
(−1)
n
x
n
n!
,
folgt durch gliedweises Addieren dieser beiden Reihen:
cosh (x) =
∞
X
k=0
x
2
k
(2k)!
= 1 +
x
2
2!
+
x
4
4!
+
x
6
6!
+ . . . .
Diese Reihe konvergiert absolut f¨
ur jedes x ∈ R. Genauso erh¨alt man:
sinh (x) =
∞
X
k=0
x
2
k + 1
(2k + 1)
! = x +
x
3
3!
+
x
5
5!
+ · · · .
Mittels der Exponentialfunktion konnten wir die Hyperbel ξ
2
− η
2
= 1
Die Kreisfunktionen
parametrisieren. Kann man etwas ¨
ahnliches f¨
ur den Kreis durchf¨
uhren ?
Die Gleichung, die den Kreis beschreibt — etwa in der (ξ, η)–Ebene vom
Radius 1 und mit Mittelpunkt in (0, 0) — ist gegeben durch
ξ
2
+ η
2
= 1.
Unendliche Reihen
59
Formal kommt man von der Hyperbel zum Kreis, indem man η durch
1
i
η
ersetzt, wo i die imagin¨
are Einheit bedeutet, also eine L¨
osung der Gleichung
x
2
= −1. Da nun f¨
ur jedes x stets (cosh (x))
2
+ (sinh (x))
2
= 1 ist, erhalten
wir durch formales Einsetzen, daß f¨
ur jedes x auch
(cosh (x))
2
+
1
i
· sinh (x)
2
= 1
Allerdings ist das keine Parametrisierung des Kreises, da ja
1
i
· sinh (x) nicht
reell ist. Ersetzen wir aber x durch ix, so wird man erwarten, daß die letzte
Gleichung richtig bleibt, d.h. daß gilt
(cosh (ix))
2
+
1
i
sinh (ix)
2
= 1
welche Bedeutung cosh ix und sinh ix auch haben m¨
ogen. Die Interpreta-
tion dieser Symbolik liegt aber auf der Hand: ersetzt man formal in der
oben gegebenen Reihenentwicklung von
1
i
sinh x die Zahl x durch ix, und
beachtet man, daß in dieser Reihenentwicklung nur ungerade Potenzen von
x auftreten, und daß
(ix)
2k+1
= i · i
2k
x
2k
= i · (i
2
)
k
x
2k
= i · (−1)
k
x
2k
,
so erh¨
alt man die Reihe
·
∞
X
k=0
(−1)
k
x
2k+1
(2k + 1)!
.
Dies ist f¨
ur uns ein sinnvolles mathematisches Objekt. Da die sinh–Reihe f¨
ur
jedes x absolut konvergiert, ist diese Reihe genauso gut f¨
ur jedes x absolut
konvergent. Die folgende Definition ist daher f¨
ur jede reelle Zahl einen Sinn:
sin x :=
∞
X
k=0
(−1)
k
x
2k+1
(2k + 1)!
= x −
x
3
3!
+
x
5
5!
− + · · · .
F¨
uhrt man die eben getanen ¨
Uberlegungen f¨
ur cosh anstelle von sinh durch,
so gelangt man zu
cos x :=
∞
X
k=0
(−1)
2k
x
2k
(2k)!
= 1 −
x
2
2!
+
x
4
4!
−
x
6
6!
+ − . . .
Die hier rechts stehende Reihe ist wieder f¨
ur jedes x absolut konvergent.
Aus der Definition ist sofort klar, daß der Sinus ungerade und der Cosinus
eine ungerade Funktion ist, als Formel:
cos (−x) = cos (x),
sin (−x) = − sin (x).
Ferner hat man
60
Kapitel 6
Satz (Additionstheorem). F¨
ur alle x und y gilt
sin (x + y) = sin (x) cos (y) + cos (x) · sin (y)
cos (x + y) = cos (x) · cos (y) − sin (x) · sin (y).
Diesen Satz kann man prinzipiell und ohne (wirkliche) Schwierigkeiten un-
mittelbar aus den Reihendarstellungen unter Anwendung des Satzes ¨
uber
das Produkt von unendlichen Reihen beweisen. Es wird sich aber unten ein
durchsichtiger und weniger k¨
unstlicher Beweis ergeben. Als unmittelbare
Folge des letzten Satz kann man sich leicht ¨
uberlegen:
Korollar.
cos
2
(x) + sin
2
(x) = 1
Wir werden unten noch einmal darauf zur¨
uckkommen. Gem¨
aß der im Ko-
rollar ausgesprochenen Behauptung definiert die Zuordnung
x 7→ (cos x, sin x)
eine Abbildung
R →
(ξ, η) ∈ R
2
|ξ
2
+ η
2
= 1
.
Diese Abbildung ist zwar surjektiv, allerdings nicht injektiv, wie wir unten
sehen werden
Wesentlich durchsichtiger wird die Theorie der Kreisfunktionen bei Ein-
beziehung der komplexen Zahlen.Eine komplexe Zahl ist ein “Ausdruck”
Komplexe Zahlen
der Gestalt
a + ib,
wo a und b reelle Zahlen bedeuten. Wer durch die Wendung “Ausdruck”
verunsichert ist, aber Sicherheit bei der naiven Mengenlehre findet, der mag
a+ib nur als eine andere Schreibweise f¨
ur das Paar (a, b) ∈ R
2
interpretieren.
Die Zahl a heißt Realteil, die Zahl b Imagin¨
arteil von z = a+ib; in Symbolen
a = <(z),
b = =(z).
Auf der Menge der komplexen Zahlen definiert man eine Addition und eine
Multiplikation verm¨
oge
(a + ib) + (c + id) := (a + c) + i(b + d),
(a + ib) · (c + id) := (ac − bd) + i(ad + bc).
Die komplexen Zahlen erf¨
ullen zusammen mit diesen Operationen die Ax-
iome eines K¨
orpers [vgl. Kapitel 2]. Dies ist der K¨
orper der komplexen
Zahlen, und er wird mit C bezeichnet. Er enth¨alt den K¨orper der reellen
Unendliche Reihen
61
Zahlen — dies sind gerade die komplexen Zahlen a + ib, wo b = 0. Die zu
z = a + ib konjugiert komplexe Zahl z ist definiert verm¨
oge
z = a − ib.
Die Zuordnung z 7→ z definiert einen K¨
orperautomorphismus, d.h. es gilt
(z + w) = z + w,
(z · w) = z · w.
Dar¨
uberhinaus gilt unmittelbar nach der Definition
z = z,
d.h. die komplexe Konjugation ist eine Involution. Als Betrag der kom-
plexen Zahl z bezeichnet man die Gr¨
oße
|z| =
p
a
2
+ b
2
=
√
zz.
Genaugenommen haben wir die Existenz der Quadratwurzel einer positiven
reellen Zahl bislang noch nicht bewiesen, sodaß die eben gegebene Definition
des Absolutbetrages im Rahmen eines streng logischen Aufbaus an dieser
Stelle gar keinen Sinn erg¨
abe; wir greifen hier aber etwas vor und setzen f¨
ur
den Moment die Existenz von Wurzeln voraus. Der Beweis f¨
ur ihre Existenz
wird im n¨
achsten Kapitel nachgetragen. Offenbar gilt
Satz. F¨
ur alle komplexen Zahlen z ist
|<(z)| ≤ |z| ,
|=(z)| ≤ |z| .
Etwas schwieriger ist der Nachweis der Dreiecksungleichung
Satz (Dreiecksungleichung). F¨
ur alle komplexen Zahlen z, w gilt
|z + w| ≤ |z| + |w| .
Beweis. Man hat ja
|z + w|
2
≤ (|z| + |w|)
2
⇐⇒ (z + w)(z + w) ≤ zz + 2 |z| |w| + ww
⇐⇒
wz + zw ≤ 2 |z| |w|
⇐⇒
wz + zw
2
≤ |z| |w| .
Die linke Seite der letzten Ungleichung ist aber gerade <(wz), wie man
leicht aus der einfachen Formel
<(y) =
y + y
2
62
Kapitel 6
abliest, und die rechte Seite ist gleich |wz|, und
<(wz) ≤ |wz|
ist ja nach dem letzten Satz wahr.
Wir betrachten jetzt unendliche Reihen von komplexen Zahlen.
Folgen komplexer
Zahlen
Eine Folge (a
n
)
N ∈N
von komplexen Zahlen a
n
heißt konver-
gent, falls die beiden Folgen (<(a
n
))
n∈N
und (=(a
n
))
n∈N
kon-
vergieren. Im Fall der Konvergenz setzt man
lim
n→∞
a
n
:= lim
n→∞
<(a
n
) + i lim
n→∞
=(a
n
).
Unter einer unendlichen Reihe von komplexen Zahlen verstehen wir wieder
die Folge der Partialsummen, sodaß also die unendliche Reihe
P
∞
n=0
a
n
(a
n
∈ C) genau dann konvergiert, falls die beiden Reihen
∞
X
n=0
<(a
n
),
∞
X
n=0
=(a
n
)
konvergieren. Im Fall der Konvergenz bezeichnen wir den Grenzwert wieder
mit dem gleichen Symbol wie die unendliche Reihe, also
∞
X
n=0
a
n
=
∞
X
n=0
<(a
n
) + i ·
∞
X
n=0
=(a
n
).
Man kann die Konvergenz einer Folge von komplexen Zahlen auch anders,
anolag zum reellen Fall beschreiben.
Satz. Sei (a
n
)
N ∈N
eine Folge von komplexen Zahlen. Dann gilt
lim
n→∞
a
n
= a ⇐⇒ ∀ > 0 ∃n
0
∈ N ∀n ∈ N (n ≥ n
0
=⇒ |a − a
n
| < ).
Beweis. Die Richtung “⇐=” ist eine Folge der Ungleichungen
|<(a − a
n
)| ≤ |a − a
n
| ,
|=(a − a
n
)| ≤ |a − a
n
| .
Die Richtung “⇒” folgt mit der Dreiecksungleichung, hier in der Form
|a − a
n
| ≤ |<(a − a
n
)| + |=(a − a
n
)| .
Die Details ¨
uberlassen wir dem Leser.
Unendliche Reihen
63
Eine Reihe
P
∞
n=0
a
n
von komplexen Zahlen a
n
heißt absolut
konvergent, falls
P
∞
n=0
<(a
n
) und
P
∞
n=0
=(a
n
) absolut konver-
gent sind.
Es ist klar, daß eine absolut konvergente Reihen komplexer Zahlen kon-
vergent ist. Ferner gilt f¨
ur absolut konvergente Reihen wortw¨
ortlich wie
im Fall der reellen unendlichen Reihen der Umordnungssatz und der Satz
¨
uber die Produkte von unendlichen Reihen. Auch die Beweise dieser beiden
S¨
atze k¨
onnen wortw¨
ortlich ¨
ubertragen werden, wobei man f¨
ur den Beweis
des Produktsatzes noch den folgenden Satz ben¨
otigt:
Satz. Eine Reihe
P
∞
n=0
a
n
von komplexen Zahlen a
n
ist dann und nur dann
absolut konvergent, wenn die Reihe
P
∞
n=0
|a
n
| konvergiert.
Beweis. Die Aussage folgt wie im Beweis des letzten Satzes mit den Un-
gleichungen
|<(a
n
)| , |=(a
n
)| ≤ |a
n
| ≤ |<(a
n
)| + |=(a
n
)| .
Die Details ¨
uberlassen wir wieder dem Leser.
Nach diesen Vorbereitungen ¨
uber Reihen komplexer Zahlen k¨
onnen wir nun
alle oben betrachteten Funktionen via ihrer Reihendarstellungen f¨
ur kom-
Fortsetzung der
Exponentialfunktion
ins Komplexe
plexe Argumente erkl¨
aren. Wir setzen zun¨
achst
exp(z) :=
∞
X
n=0
z
n
n!
f¨
ur
z ∈ C.
Die hier auftretende unendliche Reihe von komplexen Zahlen ist absolut
konvergent (sie konvergiert falls man z durch die reelle Zahl |z| ersetzt),
mithin ist sie konvergent, mithin ist der Grenzwert, den wir mit exp(z)
oder auch e
z
bezeichnen, f¨
ur jedes komplexe z eine wohlbestimmte komplexe
Zahl. Wie im reellen Fall kann man zeigen:
∀z, w ∈ C(exp(z + w) = exp(z) · exp(w)).
Insbesondere ist stets exp(w) · exp(−w) = exp(0) = 1, also exp(w) 6= 0.
Daher definiert die Zuordnung
z 7→ exp(z)
eine Abbildung
C → C
∗
:= C \ {0};
64
Kapitel 6
nach der Funktionalgleichung ist diese Abbildung sogar ein Gruppenhomo-
morphismus. Wir setzen weiter f¨
ur komplexes z:
sin z =
∞
X
n=0
(−1)
n
z
2n+1
(2n + 1)!
,
cos z =
∞
X
n=0
(−1)
n
z
2n
(2n)!
.
Wieder sehen wir, daß diese Reihen absolut konvergent sind, da sie ja f¨
ur
reelle Argumente z konvergieren, sodaß wir damit f¨
ur jede komplexe Zahl z
einen wohldefinierten Wert sin z bzw. cos z erhalten. Mit
i
4k
= 1,
i
4k+1
= i,
i
4k+2
= −1,
i
4k+3
= −i
(k ∈ Z)
erh¨
alt man unmittelbar aus den obigen Reihenentwicklungen den folgende
Satz (Eulersche Identit¨
at). F¨
ur alle komplexen Zahlen z ist
Eulersche Identit¨
at
e
iz
= cos z + i sin z.
Wie man sich leicht ¨
uberlegt, kann man die Eulersche Identit¨
at auch for-
mulieren als
cos z =
e
iz
+ e
−iz
2
,
sin z =
e
iz
− e
−iz
2i
.
Ist z reell, so besagt dies, daß cos x und sin x gerade gleich dem Realteil
bzw. Imagin¨
arteil von e
ix
sind. Die Eulersche Identit¨
at ist eine Quelle vieler
weiterer Identit¨
aten: Die gesamten Additionstheoreme s¨
amtlicher aus der
Schule bekannten trigonometrischen Funktionen oder ihrer Umkehrfunktio-
nen sind lediglich eine einfache Folgerung der Eulerschen Identit¨
at und der
Funktionalgleichung der Exponentialfunktion. Um sich dies klar vor Augen
zu f¨
uhren, sollte man zur ¨
Ubung die oben formulierten Additionstheoreme
f¨
ur sin und cos aus der Eulerschen Identit¨
at und dem Additionstheorem der
Exponentialfunktion ableiten (man kann im Wesentlichen den oben gegebe-
nen Beweis f¨
ur die Additionstheoreme der hyperbolischen Funktionen ab-
schreiben).
Die Exponentialfunktion definiert einen Gruppenhomomorphismus von der
Gruppe der komplexen Zahlen (versehen mit der Addition) zur Gruppe
C
∗
(versehen mit der Multiplikation). Dann definiert nat¨
urlich auch die
Zuordnung
z 7→ e
iz
eine Gruppenhomomorphismus dieser Gruppen. Was ist das Bild der reellen
Zahlen unter letzterem Homorphismus ? Es ist zun¨
achst f¨
ur reelle x
exp(ix) = cos x + i sin x = cos x − i sin x
= cos(−x) + i sin(−x) = exp(−ix),
Unendliche Reihen
65
und daher
e
ix
2
= exp(ix)exp(ix) = exp(ix) exp(−ix) = 1.
Also definiert die Zuordnung
x 7→ e
ix
bei Beschr¨
ankung auf reelle x einen Gruppenhomomorphismus
R → S
1
:= {z ∈ C| |z| = 1}.
(Man ¨
uberzeuge sich, daß die Menge S
1
bez¨
uglich der Multiplikation kom-
plexer Zahlen tats¨
achlich eine Gruppe ist.) Dies ist eine andere — allerdings
wesentlich bedeutungsvollere — Sichtweise unserer oben betrachten Abbil-
dung x 7→ (cos x, sin x). Was ist der Kern unseres Homomorphismus x 7→ e
ix
? Es wird sich im n¨
achsten Kapitel heraustellen — unsere bisherigen Meth-
ode reichen noch nicht, um dies hier schon einzusehen —, daß dieser Kern
eine Untergruppe von R der Gestalt
d · Z = {d · z|z ∈ Z}
ist, wo d eine positive reelle Zahl ist. Offenbar ist d hierdurch eindeutig
bestimmt. Angesichts des dargestellte Zusammenhangs mit der Exponen-
tialfunktion und den trigonometrischen Funktionen ist klar, daß dieses d
eine fundamentale Gr¨
oße ist. Wir f¨
uhren daher f¨
ur diese d, genauer f¨
ur
d
2
ein eigenes Symbol ein:
π :=
d
2
,
oder pr¨
agnanter
Der Kern des Gruppenhimomorphismus
R → S
1
, x 7→ e
2ix
besteht aus den ganzzahligen Vielfachen einer positiven reellen
Zahl.
Diese hierdurch eindeutig charakterisierte reelle Zahl
wird mit π bezeichnet.
Die Zahl π
Als Vorbereitung f¨
ur das n¨
achste Kapitel sind noch einige allgemeine Tat-
Weitere grundlegende
Begriffe aus der
Theorie der Folgen
sachen aus der Theorie der Folgen nachzutragen. Der Begriff des Grenz-
wertes einer Folge (a
n
)
n∈N
von reellen Zahlen a
n
ist f¨
ur manche Betrach-
tungen etwas zu eng ausgelegt. Ein weniger enger Begriff ist der Begriff des
H¨
aufungspunktes einer Folge.
Eine reelle Zahl a heißt H¨
aufungspunkt der Folge (a
n
)
n∈N
,
falls jede –Umgebung f¨
ur unendlich viele n das Folgenglied
a
n
enth¨
alt.
H¨
aufungspunkt
66
Kapitel 6
Unter der –Umgebung einer reellen Zahl a verstehen wir hierbei die Menge
{x ∈ R|a − < x < a + },
wobei wir stets voraussetzen, daß eine strikt positive Zahl ist. Die Sprech-
weise
“f¨
ur unendlich viele n gilt die Eigenschaft A(n)”
steht hierbei als Abk¨
urzung f¨
ur diejenige Aussage, die in mathematischer
Kurzschreibweise durch
∀n
0
∈ N∃n ∈ N(n ≥ n
o
∧ A(n))
wiedergegeben wird. Wir werden im Folgenden daneben noch die schon
erkl¨
arte Sprechweise
“f¨
ur fast alle n gilt A(n)”
benutzen, die f¨
ur
∃n
0
∈ N∀n ∈ N(n ≥ n
0
=⇒ A(n))
steht. Man erinnere sich, daß eine Zahl a Grenzwert der Folge (a
n
)
n∈N
genannt wird, falls jede –Unmgebung von a f¨
ur fast alle n das Folgenglied
a
n
enth¨
alt. Danach ist klar, daß der Grenzwert einer Folge insbesondere ein
H¨
aufungspunkt dieser Folge ist. Die Umkehrung ist nicht richtig: Die Folge
1, −1, 1, −1, 1, −1, . . .
hat offenbar zwei H¨
aufungspunkte — +1 und −1 — dagegen hat sie keinen
Grenzwert.
Dies Beispiel zeigt auch, daß eine Folge durchaus mehrere
H¨
aufungspunkte haben kann, wogegen sie ja h¨
ochstens einen Grenzwert
besitzt. Der genaue Zusammenhang zwischen dem Begriff Grenzwert und
H¨
aufungspunkt gibt der n¨
achste Satz wieder.
Satz. Sei (a
n
)
n∈N
eine Folge reeller Zahlen, a eine reelle Zahl. Dann sind
die beiden folgenden Aussagen ¨
aquivalent:
(i)
a ist H¨
aufungspunkt der Folge (a
n
)
n∈N
,
(ii)
es gibt eine Teilfolge (a
n
k
)
k∈N
, die gegen a konvergiert.
Beweis. Da der Grenzwert einer Teilfolge insbesondere H¨
aufungspunkt
dieser Teilfolge, und der H¨
aufungspunkt einer Teilfolge erst recht H¨
aufungs-
punkt der gesamten Folge ist, so ist klar, daß (ii) die Aussage (i) impliziert.
Sei umgekehrt die Aussage (i) wahr. Wir konstruieren dann folgenderm¨
aßen
induktiv eine gegen a konvergente Teilfolge: sei a
k
1
irgendein Folgenglied
in der 1-Umgebung von a (diese enth¨
alt ja a
n
f¨
ur unendlich viele n). Es
seien die Folgenglieder k
j
f¨
ur j < n schon definiert. Dann gibt es in der
1
n
–Umgebung von a ein a
k
f¨
ur unendlich viele k, insbesondere gibt es in
dieser Umgebung dann ein a
k
mit k > k
n−1
; wir setzen k
n
:= k. Nach
Konstruktion ist klar, daß die Folge der k
n
streng monoton steigt, und daß
die Teilfolge (a
k
n
)
n∈N
gegen a konvergiert.
Eine grundlegende Existenzaussage ist der
Unendliche Reihen
67
Satz (von Bolzano-Weierstrass). Jede beschr¨
ankte Folge hat wenig-
stens einen H¨
aufungspunkt.
Beweis. Die Folge (a
n
)
n∈N
sei beschr¨
ankt, d.h. es gibt Zahlen c < d, sodaß
c ≤ a
n
≤ d f¨
ur alle n ∈ N ist. Das Intervall [c, d] teilen wir nun in zwei
H¨
alften durch Einf¨
uhrung des Mittelpunkts
c+d
2
. Dann ist f¨
ur unendlich
viele n entweder c ≤ a
n
≤
c+d
2
, oder aber jedenfalls
c+d
2
≤ a
n
≤ d f¨
ur
unendlich viele n. Trifft ersteres zu , so setzen wir c
1
:= c, d
1
=
c+d
2
, trifft
das zweite zu, so setzen wir c
1
:=
c+d
2
, d
1
:= d. Nun wiederholen wir diesen
Prozeß f¨
ur das Intervall [c
1
, d
1
] an Stelle von [c, d]: Es gilt f¨
ur unendlich viele
n ist c
1
≤ a
n
≤
c
1
+d
1
2
oder f¨
ur unendlich viele n ist
c
1
+d
1
2
≤ a
n
≤ d. Wir
setzen c
2
:= c
1
, d
2
:=
c
1
+d
1
2
im ersten Fall und sonst c
2
=
c
1
+d
1
2
, d
2
= d
1
.
Auf diese Weise konstruieren wir induktiv eine Intervallschatelung, denn
nach Konstruktion ist zum einen
c = c
0
≤ c
1
≤ c
2
≤ . . . ≤ d
2
≤ d
1
≤ d
0
= d
1
,
und zum anderen
d
n
− c
n
=
1
2
n
(d − c).
Die beiden Folgen (c
n
)
n∈N
und (d
n
)
n∈N
konvergieren daher, und zwar gegen
ein und denselben Grenzwert a. Aber dann ist a ein H¨
aufungspunkt unserer
Folge. Sei n¨
amlich ein > 0 gegeben. W¨
ahle dann k so, daßd
k
− c
k
=
d−c
2
k
< . Nach Konstruktion liegt f¨
ur unendliche viele n das Folgenglied a
n
im Intervall [c
k
, d
k
]. In diesem Intervall liegt aber auch der Grenzwert a =
lim
n→∞
c
n
= lim
n→∞
d, da (c
n
)
n∈N
aufsteigt und (d
n
)
n∈N
f¨
allt. Folglich ist
tats¨
achlich |a − a
n
| ≤
d−c
2k
< f¨
ur diese unendlich vielen n.
Satz. Eine Folge ist dann und nur dann konvergent, falls sie beschr¨
ankt ist
und genau einen H¨
aufungspunkt besitzt.
Beweis. Eine konvergente Folge ist beschr¨
ankt und ihr Grenzwert a ist
ein H¨
aufungspunkt. Da jeder H¨
aufungspunkt Grenzwert einer Teilfolge ist,
und da alle Teilfolgen einer konvergenten Folge gegen a konvergieren, kann
es keine weiteren H¨
aufungspunkte geben. Sei umgekehrt die Folge (a
n
)
n∈N
beschr¨
ankt. Dann hat sie einen H¨
augungspunt a. Wir nehmen an, daß die
Folge (a
n
)
n
nicht gegen a konvergiert; wir haben zu zeigen daß sie dann
mindestens einen weiteren, von a verschiedenen H¨
aufungspunkt besitzt. Da
also (a
n
)
n
nicht gegen a konvergiert, gibt es ein > 0, sodaß |a − a
m
| ≥
f¨
ur unendlich viele m zutrifft. Sei dann (k
n
)
n∈N
eine aus diesen unendlich
vielen m gebildetet streng monotonen Folge. Mit (a
n
)
n
ist auch die Teil-
folge (a
k
n
)
n
beschr¨
ankt, also hat sie einen H¨
aufungspunkt b, der dann auch
H¨
aufungspunkt von (a
n
)
n
ist. Wir zeigen, daß b 6= a. Da |a − a
k
n
| ≥ ja
f¨
ur alle n, und |b − a
k
n
| <
2
f¨
ur unendlich viele n gilt, gibt es mindesten
ein n, f¨
ur das beide Ungleichungen zutreffen. Mit diesem n ist dann
|a − b| = |a − a
k
n
− (b − a
k
n
)| ≥ |a − a
k
n
| − |(b − a
k
n
)| ≥ −
2
.
68
Kapitel 6
Dies zeigt Behauptung.
Das folgende Konvergenzkriterium hat seine Bedeutung darin, daß es einem
ein Mittel in die Hand gibt, die Konvergenz einer Folge zu zeigen, ohne den
Grenzwert benennen zu m¨
ußen.
Satz (Cauchy Kriterium). Eine Folge (a
n
)
n∈N
ist genau dann konver-
gent, falls gilt:
∀ > 0∃n
0
∈ N∀m, n ∈ N(m, n > n
0
⇒ |a
n
− a
m
| < )
Beweis. Die Folge der a
n
sei konvergent gegen a. Zu gegebenem > 0 kann
man dann ein n
0
finden, sodaß
|a
n
− a| <
2
f¨
ur alle n ≥ n
0
. Sind daher n, m ≥ n
0
, so hat man
|a
n
− a
m
| ≤ |a
n
− a| + |a − a
m
| <
2
+
2
= .
Umgekehrt treffe das Cauchysche Konvergenzkriteriun zu. Dann ist (a
n
)
n∈N
jedenfalls beschr¨
ankt: zu = 17 gibt es ein n
0
∈ N sodaß f¨ur alle n > n
0
und alle m > n
0
dann |a
n
− a
m
| < 17 gilt; insbesondere liegt f¨
ur alle n >
n
0
das Folgenglied a
n
in der 17–Umgebung von a
n
0
+1
, und dies impliziert
sofort die Beschr¨
anktheit. Die Folge (a
n
)
n∈N
hat daher nach dem Satz von
Bolzano-Weierstrass mindestens einen H¨
aufungspunkt a. Dieser ist aber
dann auch Grenzwert unserer Folge: zu gegebenem > 0 gibt es ein n
1
,
sodaß |a
m
− a
n
| <
2
f¨
ur alle n, m > n
1
, und zu n
0
gibt es ein n
1
> n
0
, sodaß
|a − a
n
1
| <
2
ist (ersteres nach dem Cauchyschen Konvergenzkriterium,
letzteres, da a ja H¨
aufungspunkt ist); damit ist f¨
ur alle n > n
0
|a − a
n
| = |a − a
n
1
+ a
n
1
− a
n
| ≤ |a − a
n
1
| + |a
n
1
− a
n
| <
2
+
2
= ,
und das war zu beweisen.
Es ist instruktiv, das Cauchysche Konvergenzkriteriums speziell f¨
ur Reihen
zu formulieren:
Satz. Die Reihe
P
∞
n=0
a
n
ist genau dann konvergent, wenn gilt
∀ > 0 ∃n
0
∈ N ∀n, m ∈ N(m > n > n
0
⇒ |a
n+1
+ . . . + a
m
| < ).
Als Illustration der N¨
utzlichkeit des Cauchy Kriteriums geben wir einen
neuen Beweis der Tatsache, daß eine absolut konvergente Reihe auch kon-
vergiert: in der Tat impliziert ja
||a
n
| + . . . + |a
m
|| <
via der Dreiecksungleichung
|a
n
+ . . . a
m
| < ,
sodaß, falls das Cauchy Kriterium auf die aus den |a
n
| gebildete Reihe
zutrifft, es erst recht auf die aus den a
n
gebildete zutrifft.
7
STETIGKEIT
Im zweiten Kapitel haben wir den Begriff der Abbildung erkl¨
art:
f : M → N, x 7→ f (x)
steht f¨
ur eine Zuordnung, die jedem Element der Menge M genau ein Ele-
ment f (x) der Menge N zuordnet. In den folgenden Kapiteln werden wir
spezielle Abbildungen studieren:
Unter einer auf D definierten (reellwertigen) Funktion f ver-
stehen wir eine Abbildung f : D → B, wo B eine Teilmenge
von R ist.
Funktionen
Die Menge D heißt Definitionsbereich von f . Die Definitionsbereiche, die
im Folgenden am h¨
aufigsten vorkommen werden, sind die Intervalle
Intervalle
(a, b) := {x ∈ R|a < x < b},
[a, b] := {x ∈ R|a ≤ x ≤ b},
(a, b] := {x ∈ R|a < x ≤ b},
[a, b) := {x ∈ R|a ≤ x < b}.
Hierbei bedeuten a, b irgendwelche reellen Zahlen.
Die aufgelisteten In-
tervalle bezeichnet man gelegentlich genauer als offen, abgeschlossen, links
halboffen bzw. rechts halboffen. Daneben betrachtet man auch Intervalle
der Gestalt
(a, +∞) := {x ∈ R|a < x},
(−∞, a) := {x ∈ R|x < a},
[a, +∞) := {x ∈ R|a ≤ x},
(−∞, a] := {x ∈ R|x ≤ a}.
Die Symbole ±∞ sind hier nur eine Schreibweise ohne weitere Bedeutung.
Spezielle Intervalle, die wir schon wiederholt benutzt haben, sind die –
Umgebungen einer reellen Zahl a:
(a − , a + ) = {x ∈ R| |a − x| < }.
Beispiele f¨
ur Funktionen, die wir schon kennen, sind exp, sinh, cosh, sinh,
und cosh; die sind jeweils Funktionen auf R (also D = R). Als Beispiele
69
70
Kapitel 7
f¨
ur nicht auf ganz R definierte Funktionen haben wir schon log und log
a
kennengelernt; hier ist D = R
+
= (0, ∞).
Im Grunde ungenau, aber der Bequemlichkeit halber doch ¨
ublich ist die
Schreibweise f (x) f¨
ur eine Funktion f . Man sagt etwa “. . . die Funktion e
cos x
. . . ”, und meint damit genauer “die durch die Zuordnung x 7→ e
cos x
auf der
Menge aller x, wo diese Zuordnung Sinn macht, definierte Funktion . . . ”,
oder man sagt “. . . die Funktion f (x)/g(x) . . . ” und meint damit “. . . die
durch die Zuordnung x 7→ f (x)/g(x) auf der Menge derjenigen reellen Zah-
len, wo f (x) und g(x) erkl¨
art sind und g(x) 6= 0 ist, definierte Funktion . . . .
In einem anderen Zusammenhang kann nat¨
urlich — wenn x f¨
ur irgendeine
durch den Kontext festgelegte Zahl steht — das Symbol e
cos x
einfach die
Zahl e
cos x
bedeuten, d.h. den Wert der eben erkl¨
arten Funktion f¨
ur das
Argument x.
Weitere Beispiele f¨
ur Funktionen sind die Polynome, die in vielerlei Hinsicht
Polynome
als Modell f¨
ur Begriffsbildungen in der Theorie von Funktionen dienen. Ein
Polynom (genauer: ein Polynom mit reellen Koeffizienten ) ist ein symboli-
scher Ausdruck der Gestalt
a
0
+ a
1
X + ... + a
n
X
n
,
wo n irgendeine nat¨
urliche Zahl ist, und die a
k
reelle Zahlen bedeuten. Was
dabei X ist, lassen wir an dieser Stelle v¨
ollig offen. Hier ist es erstmal
nur ein Symbol, eine Unbestimmte. Zwei solche Ausdr¨
ucke definieren das
gleiche “Objekt”, falls alle ihre Koeffizienten ¨
ubereinstimmen. Wer sich
durch diese Erkl¨
arung verunsichert f¨
uhlt und eine klare Definition mittels
naiver Mengenlehre vorzieht, mag ein Polynom als eine Folge (a
n
)
n
∈ N
ansehen, wo f¨
ur fast alle n das Folgenglied a
n
gleich 0 ist, und die oben
eingef¨
uhrten “Ausdr¨
ucke” sind nur eine symbolische Schreibweise f¨
ur solch
eine spezielle Folge, wobei wir vereinbaren, daß man Symbole der Form
“0 · X
i
” auch einfach weglassen kann. Die Menge aller Polynome mit reellen
Koeffizienten wird ¨
ublicherweise mit R[X] bezeichnet. Das gr¨oßte aller k,
f¨
ur das a
k
6= 0 ist, heißt Grad des Polynoms a
0
+ a
1
X + ... + a
n
· X
n
. Dies ist
wohldefiniert, d.h. solch ein maximales k existiert stets abgesehen von dem
Fall, wo ¨
uberhaupt kein Koeffizient von 0 verschieden ist: diesem identisch
verschwindenden Polynom (oder auch Nullpolynom ) ordnen wir hier keinen
Grad zu.
Die Gesamtheit aller Polynome R[X] wird zu einem Integrit¨
atsbereich, d.h.
zu einem kommutativen Ring (mit 1) ohne Nullteiler, wenn man folgende
Operationen einf¨
uhrt:
(a
0
+ a
1
X + ... + a
n
X
n
) + (b
0
+ b
1
X + ... + b
m
X
m
)
:= (a
0
+ b
0
) + (a
1
+ b
1
)X + · · · ,
(a
0
+ a
1
x + ...a
n
X
n
) · (b
0
+ b
1
X + ... + b
m
X
m
)
:= c
0
+ c
1
X + ...c
n+m
X
n+m
,
Stetigkeit
71
wobei
c
k
:=
k
X
i=0
a
i
· b
k−i
.
Die hier erkl¨
arte Multiplikation ist formal identisch mit dem im letzten Kapi-
tel erkl¨
arten Cauchy-Produkt von unendlichen Reihen. Der eben erw¨
ahnte
Begriff Nullteiler bedeutet, daß das Produkt von zwei Polynomen h¨
ochstens
dann gleich dem Nullpolynom ist, wenn mindestens eines der Polynome
selbst das Nullpolynom ist. Das dies tats¨
achlich der Fall ist, macht man
sich leicht klar, indem man sich ¨
uberlegt, daß sich bei Multiplikation die
Grade addieren.
Ein Polynom p = a
0
+ a
1
· X + ... + a
n
· X
n
aus R[X] liefert offensichtlich
eine Funktion R → R, wenn wir jedem x in R die Zahl
p(x) := a
0
+ a
1
x + ... + a
n
x
n
∈ R,
zuordnen, die man erh¨
alt, indem man die Unbestimmte X durch die Zahl
x ersetzt.
Man beachte, daß “p(x)” hier lediglich eine abk¨
urzende und
naheliegende Schreibweise ist; ein Polynom an sich ist keine Abbildung.
Eine Zahl α ∈ R heißt Nullstelle des Polynoms a
0
+ a
1
· X + ... + a
n
· X
n
,
Nullstellen von
Polynomen
falls
a
0
+ a
1
· α + ... + a
n
· α
n
= 0
ist. F¨
ur Nullstellen gilt der
Satz. Sei α Nullstelle des Polynoms p in R[X]. Dann gibt es ein q ∈ R[X],
sodaß
p = (X − α) · g.
Jedes Polynom p mit α als Nullstelle kann man also durch das “einfachste”
Polynom, welches α als Nullstelle hat — n¨
amlich X − α —, im Ring R[X]
teilen.
Beweis. F¨
ur das Polynom p — etwa p = a
o
+ a
1
X + · · · + a
n
X
n
— hat
man unter Beachtung, daß α eine seiner Nullstellen ist
p = (a
0
+ a
1
· X + ... + a
n
X
n
) − (a
0
+ a
1
α + ... + a
n
α
n
)
= a
1
(X − α) + a
2
X
2
− α
2
+ ... + a
n
(X
n
− α
n
).
Setzt man hierin die Identit¨
aten
X
k
− α
k
= (X − α) X
k−1
+ αx
k−2
+ a
2
X
k−3
+ · · · + α
k−1
ein, so ist die Behauptung ersichtlich.
Als Folge des soeben bewiesenen Satzes erh¨
alt man
72
Kapitel 7
Satz. Ein Polynom vom Grad n hat h¨
ochstens n verschiedene Nullstellen.
Beweis. Sei p ein Polynom vom Grad n. Hat p keine Nullstelle, so ist nichts
zu beweisen. Ist dagegen etwa α eine Nullstelle, so kann man schreiben p =
(X − α)q mit einem geeigneten Polynom q. Wie man sich leicht ¨
uberlegt,
ist der Grad von q aber n − 1. Damit ist klar, daß die Behauptung sofort
verm¨
oge vollst¨
andiger Induktion ¨
uber den Grad n folgt.
Satz. Seien p, q zwei Polynome, die dieselbe Funktion definieren. Dann
sind p und q als Polynome gleich, d.h. s¨
amtliche Koeffizienten von p und q
stimmen ¨
uberein.
Beweis. Das Differenzpolynom p − q hat nach Voraussetzung jede Zahl α
als Nullstelle. Also kann es nach dem letzten Satz keinen Grad n haben,
d.h. es muß das Nullpolynom sein.
Solange der Grundbereich R ist, besagt der letzte Satzes, daß man zwischen
dem Polynom p in R[X] und der zugeh¨origen, auf R definierten Funktion
nicht wirklich zu unterscheiden braucht: man kann ein Polynom und die
dazugeh¨
orige Abbildung miteinander identifizieren; d.h. die Zuordnung
Polynom 7→ Abbildung
ist injektiv. Ist p ein Polynom, so sagt man daher einfach “. . . das Polynom
p(x) . . . ”, und meint damit “die durch das Polynom p auf R definierte
Abbilding x 7→ p(x) . . . ”.
Ganz wesentlich war im Beweis des letzten Satz die Tatsache, daß es un-
endlich viele reelle Zahlen gibt. Tats¨
achlich ist die Situation bei Polynomen
mit Koeffizienten in endlichen K¨
orpern (z.B. Z/2Z) vollkommen anders: die
Polynome
X, X
2
, X
3
, . . .
definieren dort alle ein- und dieselbe Abbildiung
Z/2Z → Z/2Z.
Der vorletzte Satz ¨
uber die Teilbarkeit durch X−Nullstelle gilt dagegen
sinngem¨
aß in jedem K¨
orper.
Mittels der Polynome gelangt man sofort zu einer weiteren Klasse von Funk-
tionen: zu den rationalen Funktionen. Sind f und g Polynome (gem¨
aß un-
Rationale Funktionen
serer eben gemachten Verabredung, Polynome und die durch sie definierten
Abbildungen zu identifizieren, benutzen wir konsequenterweise von jetzt ab
diejenigen Symbole f¨
ur Polynome, die wir auch f¨
ur Funktionen benutzen),
und sei g nicht das Nullpolynom. Dann ist offenbar f (x)/g(x) eine Funktion
mit Definitionsbereich R \ {α ∈ R|g(α) = 0}. Funktionen von diesem Typus
heißen rational.
Stetigkeit
73
Graphische Darstellungen von Funktionen sind jedem gel¨
aufig. Als Graph
G
f
einer auf D erkl¨
arten Funktion bezeichnet man die Menge
G
f
= {(x, f (x))|x ∈ D}.
Dies ist eine Teilmenge des R
2
, und in einem kartesischen Koordinatensys-
-1
1
-1
1
-1
1
1
tem kann man zu konkret gegebenem f einige Punkte von G
f
eintragen und
diese durch irgendwelche passenden Geraden -oder Kurvenst¨
ucke verbinden.
Links ist eine Skizze des Graphen des Polynoms (4x
2
−3)x. Die zweite Skizze
kann dagegen unm¨
oglich den Graphen eines Polynoms f (x) dritten Grades
darstellen: f (x) m¨
ußte etwa f¨
unfmal den Wert 1 annehmen; dagegen hat
f (x) − 1 als Polynom dritten Grades h¨
ochstens drei Nullstellen, und drei ist
zwei weniger als f¨
unf. Tats¨
achlich zeigt die zweite Skizze den Graphen des
Polynoms (16x
4
− 20x
2
+ 5)x +
3
2
. Der Graph der Funktion
f (x) =
1 f¨
ur x ∈ Q
0
f¨
ur x ∈ R \ Q
l¨
aßt sich dagegen weniger gut darstellen. Der Punkt ist, daß die ersten bei-
den Beispiele stetige Funktionen wiedergaben, dagegen die soeben definierte
Funktion nirgendwo stetig ist.
Diesen Begriff wollen wir nun pr¨
azisieren.
Stetige Funktionen
Eine auf D erkl¨
arte Funktion f heißt stetig in einem Punkt
c ∈ D, falls f¨
ur jede Folge (x
n
)n ∈ N, sodaß x
n
∈ D f¨
ur alle
n ∈ N und
lim
n→∞
x
n
= c
gilt, auch stets
lim
n→∞
f (x
n
) = f (c)
ist. Eine auf einer Menge D erkl¨
arte Funktion f heißt stetig
auf D
0
, falls D
0
⊂ D gilt, und sie in jedem c ∈ D
0
stetig ist.
Eine auf D erkl¨
arte Funktion f heißt stetig, falls sie in jedem
c ∈ D stetig ist.
Offenbar ist eine stetige Funktion auf jeder Teilmenge ihres Definitionsbe-
reiches stetig. Wir betrachten einige Beispiele zum Begriff der Stetigkeit:
Die Funktionen
R → R,
x 7→ x
(die Identit¨
at auf R), ist stetig in jedem c ∈ D = R, wie unmittelbar aus
der Definition der Stetigkeit abzulesen ist. Die Funktion
f (x) =
n
1
f¨
ur x ≥ 0
−1
f¨
ur x < 0
.
ist stetig an jeder Stelle c 6= 0 und unstetig (d.h.
nicht stetig) an der
Stelle c = 0. Zu letzterem: die Folge (−)
n 1
n
n∈N
konvergiert gegen 0, aber
74
Kapitel 7
die Folge der Bildwerte ist 1, −1, 1, −1..., mithin nicht konvergent. Man
beachte, daß in der Definition etwas f¨
ur jede Folge — nicht etwa etwas f¨
ur
nur eine Folge — gefordert wird. Im letzten Beispiel gibt es durchaus Folgen,
die gegen 0 konvergieren, und wo Folge die Bildwerte unter f dies auch tut
(so etwa die Folge
1
n
n
. Ein weiteres einfaches Beispiel: die konstante
Funktion a (d.h. die Abbildung x 7→ a) ist ¨
uberall stetig. Vielleicht nicht
v¨
ollig offensichtlich ist, daß die unmittelbar vor der Definition der “Stetigkeit
in einem Punkt” erkl¨
arte Funktion in keinem Punkt stetig ist.
Auf die Stetigkeit eines ganzen B¨
undels von Funktionen kann man mittels
des folgenden Satzes schließen.
Satz. Die auf D erkl¨
arten Funktionen f und g seien stetig in c ∈ D. Dann
sind auch f + g, f − g, f · g stetig in c. Ferner ist auch f /g stetig in c, falls
g(x) 6= 0 f¨
ur x ∈ D. Hierbei bezeichnet f + g, f · g etc. die auf D erkl¨
arte
Funktion x 7→ f (x) + g(x), bzw. f (x) · g(x) etc..
Beweis. . Sei eine Folge (x
n
)
n∈N
von Punkten x
n
aus D gegeben, sodaß
lim
n→∞
x
n
= c. Da f und g stetig in c sind, hat man lim
n→∞
f (x
n
) =
f (c),
lim
n→∞
g(x
n
) = g(c).
Nach dem Hauptsatz ¨
uber konvergente
Folgen folgt
lim
n→∞
(f + g)(x
n
) = lim
n→∞
f (x
n
) + lim
n→
∞
g(x
n
) = f (c) + g(c).
Dies beweist die Stetigkeit von f + g in c.
Ganz analog impliziert der
Haupsatz ¨
uber konvergente Folgen die Behauptungen f¨
ur −, “·”, “/” an
Stelle von “+”.
Nach dem eben bewiesenen Satz haben wir insbesondere
Satz. Jedes Polynom definiert eine auf ganz R stetige Funktion. Jede ra-
tionale Funktion ist in jedem Punkt, wo sie definiert ist, stetig.
Beweis. Ein Polynom a
0
+ a
1
x + ... + a
n
x
n
wird durch Multiplikation und
Addition aus den konstanten Funktionen a
0
, ..., a
n
und der Identit¨
at x 7→ x
gebildet. Also folgt die Stetigkeit eines Polynoms aus dem letzten Satz.
Damit ist dann aber auch einer rationale Funktion als Quotient zweier Poly-
nome nach dem letzten Satz stetig.
Im Beweis von allgemeinen Aussagen ¨
uber stetige Funktionen ist manchmal
eine etwas andere Charakterisierung der Stetigkeit n¨
utzlich.
Satz. Eine auf D erkl¨
arte Funktion f ist dann und nur dann stetig an der
Stelle c ∈ D, wenn gilt:
∀ > 0 ∃δ > 0 ∀x ∈ D(|x − c| < δ
⇒
|f (x) − f (c)| < ).
Stetigkeit
75
In Worte gefaßt besagt dieser Satz also, f ist genau dann in c ∈ D stetig,
wenn zu jedem > 0 ein δ > 0 existiert, sodaß
f (δ − Umgebung von c) ⊂ − Umgebung von f (c)
ist. Wir wissen nach dem vorletzten Satz, daß die Funktion f (x) = x
2
in 0
stetig ist; doch ¨
uberpr¨
ufen wir dies anhand des eben formulierten Kriteri-
ums: sei > 0 gegeben; wir suchen ein δ > 0, sodaß |f (x) − f (0)| = x
2
< ,
wenn nur |x − 0| = |x| < δ ist. Offenbar gen¨
ugt es daf¨
ur, δ: =
√
zu w¨
ahlen.
Daß dies sogar das kleinste m¨
ogliche δ ist, spielt hierbei nat¨
urlich ¨
uberhaupt
keine Rolle. Zum Beweis des Satzes.
Beweis. ”⇐”: Sei (x
n
)
n∈N
gegeben, sodaß x
n
∈ D (n ∈ N) und sodaß
lim
n→∞
x
n
= c. Zu zeigen haben wir lim
n→∞
f (x
n
) = f (c), d.h. f¨
ur jedes
> 0 ist |f (x
n
) − f (c)| < f¨
ur fast alle n ∈ N. Sei also ein > 0 gegeben.
Nach Voraussetzung gibt es dazu ein δ > 0, sodaß |f (x) − f (c)| < wenn nur
|x − c| < δ. Nun ist aber (x
n
) konvergent gegen c, d.h. es ist |x
n
− c| < δ
f¨
ur fast alle n; und damit dann auch |f (x
n
) − f (c)| < f¨
ur fast alle n.
”⇒” Bekanntlich ist eine Aussage ”a ⇒ b” ¨
aquivalent zu ihrer Kontraposi-
tion ”¬b ⇒ ¬a”. Es gen¨
ugt daher, wenn wir aus der Negation der rechten
Seite der ¨
Aquivalenz des Satzes auf die Unstetigkeit im Punkte c schließen
k¨
onnen. Die Negation der rechten Seite lautet:
∃ > 0 ∀δ > 0 ∃x ∈ D(|x − c| < δ ∧ |f (x) − f (c)| ≥ ).
Sei > 0 irgendeines der , deren Existenz hier behauptet wird. Zu jedem
δ > 0, insbesondere zu jedem
1
n
(n ∈ N) gibt es also ein x
n
∈ D, sodaß
|x
n
− c| <
1
n
und |f (x
n
) − f (c)| ≥ . Die Folge der x
n
konvergiert somit
gegen c, wogegen der Folge der f (x
n
) stets im Abstand ≥ zu f (c) bleibt.
Danach kann f in c nicht stetig sein.
Wir kommen nun zu den ersten nicht offensichtlichen Eigenschaften stetiger
Funktionen.
Satz. Die auf D definierte Funktion f sei stetig an der Stelle c ∈ D, und
es gelte f (c) > 0. Dann gibt es ein δ > 0, sodaß f (x) > 0 f¨
ur alle x aus
D ∩ (a − δ, a + δ).
Beweis. Wir w¨
ahlen in dem Stetigkeitskriterium des letzten Satzes =
f (c). Hierzu gibt es ein δ > 0, sodaß f¨
ur alle x ∈ D mit |x − c| < δ die
Ungleichung
|f (x) − f (c)| < = f (c)
gilt. Diese Ungleichung ist aber ¨
aquivalent zu
0 < f (x) < 2f (c),
womit der Satz bewiesen ist.
76
Kapitel 7
Ganz analog gilt nat¨
urlich die Aussage: “Istf : D → R stetig an der Stelle
c ∈ D und f (c) < 0, dann gibt es ein δ > 0 sodaß f (x) f¨
ur jedes x ∈
D ∩ (a − δ, a + δ) negativ ist.”
Wir kommen nun zu den drei Haups¨
atzen der Theorie der stetigen Funktio-
nen. Der erste lautet:
Satz. Sei f eine auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] stetige Funktion.
Stetige Funktionen sind
auf abgeschlossenen
Intervallen beschr¨
ankt
Dann ist f beschr¨
ankt auf [a, b], d.h. es gibt eine Zahl K, sodaß |f (x)| < K.
f¨
ur alle a ≤ x ≤ b ist.
Beweis. Wir beweisen die Kontraposition der Behauptung. Angenommen
f ist nicht beschr¨
ankt. Dann gibt es zu jedem n ∈ N ein x
n
∈ [a, b] sodaß
|f (x
n
)| ≥ n. Die so gefundene Folge (x
n
)n ∈ N liegt im Intervall [a, b], ist
daher beschr¨
ankt und hat somit nach dem Satz von Bolzano-Weierstraß eine
konvergente Teilfolge, etwa lim
k→∞
x
n
k
= c. Wir werden gleich sehen, daß
a ≤ c ≤ b liegt, d.h. daß c im Definitionsbereich von f liegt. Aber f (x
n
k
) >
n
k
, d.h. die Bildfolge der x
n
k
unter f kann nicht gegen f (c) konvergieren.
Also ist f nicht stetig in c. Wir haben noch den Beweis nachzutragen, daß
das hier konstruierte c tats¨
achlich die Ungleichung a ≤ c ≤ b erf¨
ullt. Dies
ist offensichtlich ein Spezialfall des folgenden allgemeinen Sachverhalts.
Satz. Sei (a
n
)
n∈N
eine gegen die Zahl α konvergente Folge. Sind alle a
n
≥
a, so ist α ≥ a; sind alle a
n
≤ b, so ist α ≤ b.
Beweis. Angenommen α < a. Dann gilt f¨
ur fast alle Glieder der Folge
|a
n
− α| < := a − α; aber diese Ungleichung impliziert a
n
< a. Also sind
fast alle a
n
negativ — im Widerspruch zur Voraussetzung. Den Fall von
a
n
≤ b behandelt man analog.
Wir betonen noch einmal, daß die Voraussetzung im ersten Hauptsatz, daß
das betrachtete Intervall abgeschlossen ist, ganz wesentlich ist: die Funktion
f : =
1
x
ist auf dem offenen Intervall (0, 1) stetig und unbeschr¨
ankt.
Wir wissen nun, daß f¨
ur eine auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b] stetige
Funktion die Menge
f [a, b] := {f (x)|x ∈ [a, b]}
beschr¨
ankt ist. Nach dem Vollst¨
andigkeitsaxiom (und einem Satz) besitzt
f [a, b] ein Supremum s und ein Infimum i. Kommen s und i als Funktions-
werte vor ? Die Antwort auf diese Frage gibt der zweite Haupsatz ¨
uber
stetige Funktionen:
Satz. Sei f eine stetige Funktion auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b].
Stetige Funktionen
nehmen auf
abgeschlossenen
Intervallen ihre
Extremwerte an
Dann gibt es x, y ∈ [a, b], sodaß
f (x) = sup f [a, b]
und
f (y) = inf f [a, b].
Stetigkeit
77
Beweis. Wir zeigen, daß das Supremum angenommen wird. Bezeichnet s
das Supremum, so ist s −
1
n
keine obere Schranke; also gibt es zu jedem
n ∈ N ein x
n
∈ [a, b] sodaß
s −
1
n
< f (x
n
) ≤ s.
Sei (x
n
ν
)
ν∈N
eine konvergente Teilfolge der Folge x
n
, etwa mit Limes x.
Nach dem oben bewiesenen Satz ist jedenfalls x ∈ [a, b]. Wegen der Ste-
tigkeit von f konvergiert auch die Folge (f (x
n
ν
))
ν∈N
und zwar gegen f (x).
Wegen der Ungleichung f¨
ur die f (x
n
) muß f (x) = s gelten.
Wieder ist die Voraussetzung, daß das betrachtete Intervall abgeschlossen
ist, ganz wesentlich: die stetige Funktion f : (0, 1) → R, x 7→ x nimmt im
(offenen) Intervall (0, 1) das Supremum 1 der Menge ihrer Funktionwerte
nicht an.
Der dritte Haupsatz ist folgendermaßen:
Satz (Zwischenwertsatz). Sei f eine auf dem Intervall [a, b] stetige Funk-
Zwischenwertsatz
tion, und es gelte, f (a) < 0 < f (b). Dann gibt es ein c ∈ [a, b], sodaß
f (c) = 0.
Beweis. Wir setzen
M := {x ∈ [a, b]|f (x) ≤ 0}.
Wegen f (a) < 0 ist dies jedenfalls eine nichtleere Menge. Als Teilmenge
eines abgeschlossenen Intervalls ist sie nach oben beschr¨
ankt. Also existiert
c := sup M.
Wir zeigen
f (c) = 0.
Es ist jedenfalls c < b, denn es gibt ja nach einem oben bewiesenen Satz
ein δ > 0, sodaß f (x) noch f¨
ur alle b − δ < x ≤ b positiv ist, wonach daher
c ≤ b − δ gilt. Mit dem gleichen Argument folgt c > a. Also ist f¨
ur ein
hinreichend kleines > 0 eine ganze –Umgebung von c in [a, b] enthalten.
Insbesondere gibt es daher zu jeder positiven ganzen Zahl n ein x
+
n
und ein
x
−
n
in [a, b], sodaß
c −
1
n
≤ x
−
n
< c < x
+
n
≤ c +
1
n
,
f (x
−
n
) < 0, f (x
+
n
) > 0.
Aus der Stetigkeit von f in c folgt
lim
n→∞
f (x
±
n
) = f (c);
wegen f (x
−
n
) < 0 folgt mit einem oben bewiesenen Satz dann aber f (c) ≤ 0,
wegen f (x
+
n
) > 0 folgt mit demselben Argument f (c) ≥ 0, mithin f (c) = 0.
Genau das wollten wir zeigen.
Wir geben noch eine scheinbar allgemeinere Formulierung des Zwischen-
wertsatzes.
78
Kapitel 7
Satz. Es sei f stetig auf [a, b], und es gelte f (a) ≤ f (b). Dann gibt es zu
jedem γ mit f (a) ≤ γ ≤ f (b) ein c ∈ [a, b], sodaß f (c) = γ.
Beweis. Zu gegebenem γ wende man den vorhergehenden Satz auf die
Funktion x 7→ f (x) − γ an.
Schließlich kann man sich noch eine zu der eben formulierten Version des
Zwischenwertsatzes analoge Version mit f (a) ≥ f (b) an Stelle von f (a) ≤
f (b) zurechtlegen. “f sei stetig auf [a, b] und f (a) ≥ f (b); dann gibt es zu
jedem f (a) ≥ γ ≥ f (b) ein c ∈ [a, b], sodaß f (c) = γ.”
Man kann die drei Haupts¨
atze ¨
uber stetige Funktionen sehr handlich in
einem zusammenfassen, n¨
amlich zu der folgenden Aussage
Satz. Sei f eine auf D stetige Funktion. Sei [a, b] ⊂ D. Dann ist f ([a, b])
Zusammenfasssung der
Haupts¨
atze
wieder ein abgeschlossenes Intervall.
Beweis. Da f auf D stetig ist, ist f auch stetig auf [a, b]. Also existieren
nach Haupsatz 1 i = inf f ([a, b]) und s = sup f ([a, b]); insbesondere ist
f ([a, b]) ⊂ [i, s].
Nach Hauptsatz 2 existieren x und y in [a, b], sodaß i = f (x) und y =
f (y).
Nach den diskutierten verschiedenen Versionen des Haupsatzes 3,
des Zwischenwertsatzes, wird jeder Zwischenwert im Intervall [f (x), f (y)]
angenommen. Zusammengefaßt ist f ([a, b]) = [f (x), f (y)].
Umgekehrt impliziert der eben bewiesene Satz offenbar jeden einzelnen der
angef¨
uhrten drei Haupts¨
atze.
Wir kommen nun zu einigen Anwendungen der bisher entwickelten Theorie
der stetigen Funktionen. Wir haben vom letzten Kapitel noch nachzutra-
gen, daß die Exponentialfunktion stetig ist, und daß die Quadratwurzeln
positiver reeller Zahlen existieren. Wir beginnen mit dem folgenden
Satz. Die Exponentialfunktion ist auf ganz R stetig.
Stetigkeit der
Exponentialfunktion
Beweis. Wir nehmen an, wir h¨
atten schon die Steigkeit der Exponential-
funktion im Punkt 0 gezeigt. Dann folgt sofort die Stetigkeit der Exponen-
tialfunktion in jedem beliebigen Punkt c: Sei (x
n
)
n∈N
eine Folge mit Limes
c; da (x
n
− c)
n∈N
eine Nullfolge ist, folgt aus der Stetigkeit von exp in 0,
daß exp(x
n
− c) gegen 1 konvergiert; wegen
exp (x
n
) = exp(c) · exp (x
n
− c)
konvergiert dann aber exp (x
n
) gegen exp(c).
Die Stetigkeit von exp in 0 ist ein Spezialfall des folgenden Satzes, der
allerdings sp¨
ater noch wesentlich verallgemeinert wird.
Stetigkeit
79
Satz. Die Reihe
P
∞
n=0
a
n
x
n
sei f¨
ur jedes |x| < R absolut konvergent. Es
bezeichne f die auf x ∈ (−R, +R) verm¨
oge
x 7→
∞
X
i=0
a
n
x
n
.
erkl¨
arte Funktion. Dann ist f an der Stelle 0 stetig.
Beweis. Sei (h
n
) eine Nullfolge, |h
n
| < R. Ist dann 0 < r < R, so ist
|h
n
| < r f¨
ur fast alle n, und f¨
ur ebendiese n ist
|f (h
n
) − f (0)| = |h
n
| ·
∞
X
k=1
a
k
· h
k−1
n
≤ |h
n
| ·
∞
X
k=1
|a
k
| |·h
n
|
k−1
≤ |h
n
| ·
∞
X
k=1
|a
k
| · r
k−1
≤ |h
n
| · Konstante.
Hieraus ist sofort ersichtlich, daß f (h
n
) − f (0) eine Nullfolge ist, d.h. daß
f (h
n
) gegen f (0) konvergiert, und das war zu zeigen.
Ganz analog wie die Stetigkeit der Exponentialfunktion kann man beweisen
Satz. Die Funktionen cosh, sinh, cos und sin sind auf ganz R stetig.
Stetigkeit der
Hyperbel- und
Kreisfunktionen
Beweis. Nach den Reihendarstellungen und dem vorangehenden Satz sind
diese Funktionen jedenfalls stetig in 0. Die Stetigkeit in jedem anderen
Punkt c folgt nun wie im Fall der Exponetialfunktion aus den jeweiligen
Additionstheoremen. Im Fall des Sinus etwa hat man f¨
ur jede gegen ein c
konvergente Folge (x
n
):
lim
n→∞
sin x
n
= lim
n→∞
(sin c · cos(x
n
− c) + cos c sin(x
n
− c))
= sin c · lim
n→∞
cos(x
n
− c) + cos c · lim
n→∞
sin(x
n
− c)
= sin c.
Den Nachweis der Stetigkeit der anderen Funktionen ¨
uberlassen wir dem
Leser.
Als Folge der Stetigkeit der Exponentialfunktion k¨
onnen wir nun endlich
beweisen:
80
Kapitel 7
Satz. Die Abbildung exp : R → R
+
, x 7→ e
x
ist bijektiv.
Bijektivit¨
at der
Exponentialfunktion
Beweis. Die Injektivit¨
at hatten wir in Kapitel 6 schon bewiesen; sie war
eine Folge der Tatsache, daß e
x
1
< e
x2
gilt, wenn nur x
1
< x
2
ist, was
wiederum eine Folge der Funktionalgleichung war. Es bleibt die Surjek-
tivit¨
at nachzuweisen. Sei dazu γ ∈ R
+
. Dann kann man ein n w¨
ahlen,
sodaß e
−n
< γ < e
n
, denn die Folge der e
n
= (e)
n
ist wegen e > 1 nach
oben unbeschr¨
ankt, die Folge der e
−n
= (
1
e )
n
konvergiert wegen
1
e < 1
gegen 0. Da exp nach dem oben bewiesenen Satz stetig ist, insbesondere
also auf [e
−n
, e
n
] stetig ist, folgt nach dem Zwischenwertsatz die Existenz
eines c mit exp(c) = γ, und das war zu zeigen.
Die Exponentialfunktion ist stetig, und sie ist bijektiv. Es schließ sich na-
heliegenderweise die Frage an, was k¨
onnen wir f¨
ur die Umkehrfunktion, den
Logarithmus, schließen. Hier gilt nun allgemein der
Satz. Sei f : [a, b] → [i, s] bijektiv und stetig. Dann ist die Umkehrabbil-
Stetigkeit der
Umkehrfunktion
dung
f
−1
: [i, s] → [a, b]
ebenfalls stetig.
Beweis. Sei c ∈ [i, s] und (y
n
)
n∈N
eine Folge in [i, s], die gegen c kon-
vergiert. Die Folge
f
−1
(y
n
)
n∈N
ist beschr¨
ankt und hat demnach einen
H¨
aufungspunkt α. Dies ist aber auch der einzige H¨
aufungspunkt der Folge.
Sei n¨
amlich α
1
irgendein H¨
aufungspunkt dieser Folge. Dann gibt es Teilfol-
gen f
−1
(y
k
n
)
n∈N
und f
−1
(y
l
n
)
n∈N
, die gegen α
1
bzw. α konvergieren.
Die sind aber beides Teilfolgen in [a, b]. Wegen der Stetigkeit von f ist daher
f (α
1
) = lim
n→∞
f f
−1
(y
k
n
)
= lim
n→∞
y
k
n
= lim
n→∞
y
n
= c.
Ganz analog folgt
f (α) = c.
Aus der Injektivit¨
at von f folgt endlich
α
1
= α.
Als Folge mit genau einem H¨
aufungspunkte ist f
−1
(y
n
)
n∈N
konvergent,
und zwar gegen α. Und da — wie wir gesehen haben — f (α) = c, d.h.
f
−1
(c) = α gilt, haben wir die Stetigkeit von f
−1
in c bewiesen.
Als Konsequenz des eben bewiesenen Satzes erhalten wir nun den folgenden:
Stetigkeit
81
Satz.
Stetigkeit des
Logarithmus
log: R
+
→ R
ist ¨
uberall stetig.
Beweis. Sei y ∈ R
+
und x = log y, d.h. e
x
= y. Da mit exp auch die
Einschr¨
ankung
exp : [x − 1, x + 1] → [y/e, y · e],
x 7→ exp(x)
stetig und bijektiv ist, ist nach dem eben bewiesenen Satz dann aber auch
die Umkehrfunktion
exp
−1
: [y/e, y · e] → [x − 1, x + 1],
y 7→ log y
stetig. Hieraus folgt offensichtlich die Stetigkeit von
log |
[y/
e
,y·
e
]
: [y/e, y · e] → R,
y 7→ log y.
Insbesondere ist die Einschr¨
ankung log |
[y/
e
,y·
e
]
stetig in y. Hieraus folgt nun
endlich die Stetigkeit von log in y mittels des folgenden kleinen Hilfsatzes:
Satz. Sei f eine auf D erkl¨
arte Funktion, es sei c ∈ E ⊂ D, und die
Einschr¨
ankung f |
E
von f auf E sei in c stetig. Es gebe ein δ > 0, sodaß
(t − δ, t + δ) ∩ D ganz in E enthalten ist. Dann ist auch f stetig an der
Stelle c.
Dieser Hilfssatzes mutet auf den ersten Blick wom¨
oglich etwas ¨
uberfl¨
ussig
an. Aber in der Tat kann man von der Stetigkeit der Einschr¨
ankung einer
Funktion in einem Punkt durchaus nicht auf die Stetigkeit der uneinge-
schr¨
ankten Funktion schließen: so ist etwa — wie man sich leicht ¨
uberlegt
— f¨
ur jede Funktion f : R → R die Einschr¨ankung f |
Z
stetig in jedem t ∈ Z,
wogegen nat¨
urlich nicht jede auf R erkl¨arte Funktion auf Z stetig ist. Wir
kommen nun zum Beweis des Hilfssatzes.
Beweis. Sei(x
n
)n ∈ N eine Folge von Elementen von D mit lim
n→∞
x
n
= c.
Dann gilt f¨
ur fast alle n, daß |x
n
− c| < δ, also sind nach Voraussetzung f¨
ur
fast alle n, etwa f¨
ur n ≥ n
0
, die x
n
in E gelegen. Nach der Stetigkeit
von f |
E
in c konvergiert die Folge (f |
E
(x
n
))
n≥n
0
gegen c, d.h. — wegen
f |
E
(x
n
) = f (x
n
) (n ≥ n
0
) — die Folge der f (x
n
) konvergiert gegen c, und
das war zu zeigen.
Nachdem die Stetigkeit der Exponentialfunktion und des Logarithmus be-
wiesen ist, stellt sich die Frage nach abgeleiteten Funktionen wie a
x
=
e
x log a
. Hier gilt der
82
Kapitel 7
Satz. Seien f und g stetige Funktionen auf D bzw. E, und es gelte D ⊃
Stetigkeit des
Kompositums
g(E), sodaß f ◦ g auf E erkl¨
art ist. Ist dann g stetig an der Stelle c ∈ E
und ist f stetig an der Stelle g(c)(∈ D), so ist f ◦ g stetig in c.
Beweis. Sei n¨
amlich (x
n
)
n∈N
irgendeine Folge, die gegen c ∈ E konvergiert.
Dann konvergiert die Folge (g(x
n
))
n∈N
gegen g(c) — wegen der Stetigkeit
von g in c — und somit konvergiert die Folge (f (g(x
n
)))
n∈N
, d.h. die Folge
((f ◦ g)(x
n
))
n∈N
, gegen f (g(c)) = (f ◦ g)(c) — wegen der Stetigkeit von f .
Als Folgerung erhalten wir
Satz. F¨
ur eine vorgegebene positive reelle Zahl a > 0 ist die Funktion
Stetigkeit von a
x
x 7→ a
x
= e
x·log a
auf ganz R stetig. F¨
ur eine vorgegebene reelle Zahl x ist
die auf R
+
erkl¨
arte Funktion a 7→ a
x
auf ganz R
+
stetig.
Beweis. Die erste Funktion schreibt sich als exp ◦m
log a
, wobei m
t
f¨
ur eine
vorgegebene reelle Zahl t die Funktion x 7→ x · t bedeutet. Da exp stetig
ist, und m
log a
(als Polynom) ebenfalls stetig ist, ist die Stetigkeit der ersten
im Satz aufgef¨
uhrten Funktion eine Folge des Satzes ¨
uber das Kompositum
stetiger Funktionen. Die Stetigkeit der zweiten Funktion folgt analog, indem
man sie in der Form exp ◦m
x
◦ log schreibt.
Im letzten Kapitel hatten wir schon bemerkt, daß zu vorgegebener posi-
tiver ganzer Zahl n jede positive reelle Zahl y gleich der n–ten Potenz der
Zahl exp
log y
n
ist. (Allerdings fehlte uns dort noch der Nachweis der Ex-
istenz der Logarithmus Funktion, d.h. der Nachweis der Bijektivit¨
at der
Exponentialfunktion.) Damit haben wir
Satz. Zu jeder positiven reellen Zahl y und jeder positiven ganzen Zahl n
Existenz von n–ten
Wurzeln
gibt es eine (reelle) n–te Wurzel, d.h. eine reelle Zahl a mit a
n
= y.
Die Aussage des letzten Satzes kann man formulieren, indem man sagt, daß
das Polynom X
n
− y stets eine (reelle) Nullstelle besitzt. Nun besitzt —
wie wir wissen ( z.B. X
2
+ 1 !) — nicht jedes Polynom eine reelle Nullstelle.
Immerhin kann man aber (als eine weitere Anwendung des Zwischenwert-
satzes) den folgenden Satz beweisen:
Satz. Jedes Polynom ungeraden Grades hat eine reelle Nullstelle.
Noch einmal
Nullstellen
Beweis. Sei f (x) = a
0
+ a
1
x + ... + a
n
x
n
ein Polynom ungeraden Grades n.
Offenbar k¨
onnen wir a
n
> 0 annehmen (sonst betrachte −f statt f ). F¨
ur
x 6= 0 ist
f (x) = x
n
·
a
0
x
n
+
a
1
x
n−1
+ ... + a
n
.
Man ¨
uberlegt sich leicht die Existenz eines M , sodaß f¨
ur alle x gilt
|x| ≥ M ⇒
a
0
x
n
+ ... +
a
n−1
x
<
a
n
2
.
Stetigkeit
83
F¨
ur |x| ≥ M ist dann aber
f (x)
x
≥ x
n−1
·
a
n
−
a
0
x
n
+
a
1
x
n−1
+ ... +
a
n−1
x
≥ M
n−1
·
a
n
2
,
wobei wir noch ausgenutzt haben, daß n − 1 gerade, mithin x
n−1
> 0 ist.
Danach haben wir insbesondere
f (−M ) < 0
f (+M ) > 0.
,
und nach dem Zwischenwertsatz hat f daher eine Nullstelle im Intervall
[−M, M ].
8
DIFFERENZIERBARKEIT
Sei f eine auf dem offenen Intervall (a, b) erkl¨
arte Funktion.
Einen Ausdruck der Form
f (x
0
+ h) − f (x
0
)
h
,
wobei x
0
, x
0
+ h ∈ (a, b) und h 6= 0 seien nennen wir Differen-
zenquotient von f an der Stelle x
0
..
Differenzenquotienten
Geometrisch gibt der Differenzenquotient die Steigung der Sekante des Gra-
phen von f durch die Punkte (x
0
, f (x
0
)) und (x
0
+ h, f (x
0
+ h)) an.
f heißt differenzierbar in x
0
, falls die Folge der Differenzen-
quotienten
f (x
0
+ h
n
) − f (x
0
)
h
n
.
f¨
ur jede Nullfolge (h
n
)n ∈ N mit h
n
6= 0 und x
0
+ h
n
∈ (a, b)
konvergiert.
Differenzierbare
Funktion
Ist f differenzierbar bei x
0
, so ist der Grenzwert
lim
n→∞
f (x
0
+ h
n
) − f (x
0
)
h
n
offenbar unabh¨
angig von der speziellen Wahl der Nullfolge. Sind n¨
amlich
(h
n
)
n∈N
und (k
n
)
n∈N
Nullfolgen, die die Bedingungen in der Definition
der Differenzierbarkeit erf¨
ullen, so ist auch h
1
, k
1
, h
2
, k
2
, h
3
, k
3
, ... eine solch
zul¨
assige Folge, konvergiert mithin gegen einen Grenzwert, gegen den dann
auch jede Teilfolge, insbesondere die Teilfolg der h
n
bzw.
der k
n
, kon-
vergiert. Den gemeinsamen Limes aller zul¨
assigen Teilfolgen bezeichnet man
als Ableitung von f an der Stelle x
0
und benutzt daf¨
ur das Symbol
Die Ableitung
f
0
(x
0
)
oder
df
dx
(x
0
).
Zur Erleichterung der Sprechweise vereinbaren wir eine auch sonst n¨
utzliche
85
86
Kapitel 8
Schreibweise:
Sei g eine auf einer Teilmenge D der reellen Zahlen erkl¨
arte
Funktion, sei x
0
ein H¨
aufungspunkt von D, d.h. eine (nicht
notwendig in D enthaltene) Zahl, sodaß jede –Umgebung von
x
0
mindestens ein von x
0
verschiedenes Element enth¨
alt. Eine
Zahl a heißt Grenzwert von g(x) bei Ann¨
aherung von x an x
0
,
in Zeichen
a = lim
x→x
0
g(x),
falls f¨
ur jede Folge (x
n
)n ∈ N in D \ {x
0
} mit Grenzwert x
0
lim
n→∞
g(x
n
) = a
gilt.
Man ¨
uberlegt sich leicht, daß der hier auftetende Grenzwert a, falls er
existiert, eindeutig bestimmt ist (hierbei geht wesentlich ein, daß a ein
H¨
aufungspunkt ist !) Ferner ¨
uberlegt man sich leicht Regeln f¨
ur den Um-
gang mit diesem Symbol, wie etwa
lim
x→x
0
(g(x) + h(x)) = lim
x→x
0
g(x) + lim
x→x
0
h(x),
falls die Grenzwerte auf der rechten Seite existieren, etc. Solche Regeln
ergeben sich unmittelbar aus dem Hauptsatz f¨
ur konvergente Folgen, und
wir werden sie im Folgenden stillschweigend benutzen.
Offenbar besagt die Stetigkeit einer Funktion g an einer Stelle x
0
ihres Def-
initionsbereiches in der eben eingef¨
uhrten Schreibweise nichts anderes als
daß
lim
x→x
0
g(x) = g(x
0
),
und die Differenzierbarkeit besagt nichts anderes, als das
lim
x→x
0
f (x) − f (x
0
)
x − x
0
existiert. Man kann dies noch etwas anders formulieren: die Differenzier-
barkeit von f an der Stelle x
0
ist gleichbedeutend damit, daß man die Dif-
ferenzenquotientenfunktion
(a, b) \ {x
0
} → R,
x 7→
f (x) − f (x
0
)
x − x
0
=: R(x),
zu einer im Punkt x
0
stetigen Funktion fortsetzen kann. In der Tat: ist f
differenzierbar in x
0
, so hat die Funktion
R(x) :=
R(x)
f¨
ur x ∈ (a, b), x 6= x
0
f
0
(x
0
)
f¨
ur x = x
0
Differenzierbarkeit
87
die Eigenschaft
lim
x→x
0
R(x) = R(x
0
),
ist also stetig in x
0
. Kann man umgekehrt R zu einer in x
0
stetigen Funk-
tion fortsetzen, so strebt R(x) bei Ann¨
aherung von x an x
0
gegen einen
Grenzwert, und das ist ja gerade die Definition der Differenzierbakeit von f
in x
0
.
Ist die Funktion f bei x
0
differenzierbar, so ist die eben betrachtete Funktion
R stetig bei x
0
. Nun ist aber offenbar
f (x) = f (x
0
) + R(x)(x − x
0
).
Daher impliziert die Stetigkeit von R bei x = x
0
unmittelbar den
Satz. Die auf dem offenen Intervall (a, b) erkl¨
arte Funktion f sei in x
0
∈
(a, b) differenzierbar. Dann ist f auch stetig in x
0
.
Wir betrachten Beispiele von differenzierbaren Funktionen und entwickeln
Beispiele
differenzierbarer
Funktionen und Regeln
zur Berechnung der
Ableitung
damit gleichzeitig einige Differenzierbarkeitsregeln. Die konstante Funktion,
d.h. die Funktion, die auf einem gegebenen Intervall nur einen einzigen
Wert annimmt, hat offenbar den Wert 0. Die n¨
achst einfache Funktion ist
f (x) = x
n
, die auf (a, b) = (−∞, ∞) erk¨
art ist. Hier ist
R(x) =
x
n
− x
n
0
x − x
0
= x
n−1
+ x
n−2
x
0
+ ... + x
n−1
0
f¨
ur x 6= x
0
.
Die rechte Seite dieser Identit¨
at kann man (als Polynom)
offensichtlich als eine auf ganz R stetige Funktion auffassen, und zwar mit
dem Wert nx
n−1
0
f¨
ur x = x
0
. Also ist f bei x
0
differenzierbar, und es ist
f
0
(x
0
) = nx
n−1
0
. Das spezielle Polynom f (x) = x
n
ist also in jedem Punkt
differenzierbar; nat¨
urlich gilt dies f¨
ur jedes Polynom, wie sich sofort aus
dem folgenden Satz ergibt:
Satz. Seien f und g auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte, in x
0
differenzierbare
Funktionen. Dann sind auch f + g und f · g an der Stelle x
0
differenzierbar,
und f¨
ur ihre Ableitungen gilt
(f + g)
0
(x
0
) = f
0
(x
0
) + g
0
(x
0
)
(f · g)
0
(x
0
) = f
0
(x
0
) · g(x
0
) + f (x
0
) · g
0
(x
0
).
Insbesondere ist (c · f )
0
(x
0
) = cf
0
(x
0
) f¨
ur jede reelle Zahl c.
Die hier formulierte Regel (f g)
0
= f
0
g +f g
0
ist die sogenannte Produktregel.
Beweis. F¨
ur x 6= x
0
ist
f (x) + g(x) − (f (x
0
) + g(x
0
))
x − x
0
=
f (x) − f (x
0
)
x − x
0
+
g(x) − g(x
0
)
x − x
0
.
88
Kapitel 8
Nach Voraussetzung strebt die rechte Seite bei Ann¨
aherung von x an x
0
gegen f
0
(x
0
) + g
0
(x
0
); dies gilt dann nat¨
urlich auch f¨
ur die linke Seite.
Ebenso folgt die Behauptung ¨
uber Produkte, indem man
f (x)g(x) − f (x
0
)g(x
0
)
x − x
0
=
(f (x) − f (x
0
)) · g(x) + f (x
0
) · (g(x) − g(x
0
))
x − x
0
schreibt.
Ist nun f (x) ein Polynom, etwa
f (x) = a
0
+ a
1
x + ... + a
n
x
n
,
so ist nach dem letzten Satz mit den Funktionen x
n
auch f (x) an jeder Stelle
x diefferenzierbar, und es ist f
0
(x) = a
1
+ 2a
2
x + 3a
3
x
2
+ ... + na
n
x
n−1
.
Das n¨
achste naheliegende Beispiel ist eine rationale Funktion. Hierzu be-
weisen wir zun¨
achst allgemein den
Satz. Sei f eine auf (a, b) erkl¨
arte, in x
0
∈ (a, b) differenzierbare Funk-
tion. Es gelte f (x) 6= 0 f¨
ur alle x ∈ (a, b). Dann ist die Funktion
1
f
in x
0
differenzierbar, und es gilt:
1
f
0
(x
0
) = −
f
0
(x
0
)
f
2
(x
0
)
.
Beweis. Dies ergibt sich wieder wie im vorangehenden Satz, indem man
nun
1
f (x)
−
1
f (x
0
)
x − x
0
=
−
f (x)−f (x
0
)
x−x
0
f (x) · f (x
0
)
schreibt, und noch ausnutzt, daß f als im Punkt x
0
differenzierbare Funktion
insbesondere stetig ist.
Die Voraussetzung “f (x) 6= 0 f¨
ur alle x ∈ (a, b)” war n¨
otig, um die Exis-
tenz der Funktion
1
f
zu gew¨
ahrleisten. Allerdings entspricht dies nicht der
nat¨
urlichen Situation. Die nat¨
urliche Situation ist, daß f bei x
0
differenzier-
bar ist, und f (x
0
) 6= 0 ist. Dann gibt es n¨
amlich — da f dann bei x
0
stetig
ist — nach einem Satz des letzten Kapitels ein offenes, in (a, b) enthaltenes
Intervall I, welches den Punkt x
0
enth¨
alt, und sodaß f (x) 6= 0 f¨
ur jedes
x ∈ I ist. Somit kann man die Funktion 1/f |
I
bilden. Diese Funktion ist
nun auch bei x
0
differenzierbar, und zwar mit der gleichen Ableitung wie
im Satz. Dies folgt auch aus ebendiesem Satz, wobei man aber noch den
folgenden einfachen Sachverhalt ausnutzen muß.
Differenzierbarkeit
89
Satz. Sei a ≤ a
0
< b
0
≤ b, sei f eine auf (a, b) definierte Funktion, und sei
x
0
∈ (a
0
, b
0
). Dann ist f |
(a
0
,b
0
)
genau dann in x
0
differenzierbar, wenn es f
ist.
Den offensichtlichen Beweis lassen wir als ¨
Ubungsaufgabe.
Der vorletzte Satz ist ein Spezialfall der Quotientenregel:
f
g
0
=
f
0
g − f g
0
g
2
,
Diese (und ihre pr¨
azise Formulierung) ergibt sich aus ebendiesem Satz und
der Produktregel. Damit man sich die Reihenfolge besser merken kann:
A
Z
N
=
NA(Z) − ZA(N)
N
2
=
Netz − Zahn
N
2
.
Anhand der letzten Regel und der Tatsache, daß Polynome differenzierbar
sind, erkennen wir, daß rationale Funktionen ¨
uberall, wo sie definiert sind,
differenzierbar sind, und wir sind in der Lage, ihre Ableitungen zu berech-
nen.
Die bisher betrachteten Funktionen sind Beispiele f¨
ur Funktionen, die in
jedem Punkt ihres Definitionsbereichs differenzierbar sind.
Sei f eine auf dem offenen Intervall (a, b) erkl¨
arte Funktion.
Ist f in jedem Punkt von (a, b) differenzierbar, so heißt die
Funktion
(a, b) → R x 7→ f
0
(x)
die Ableitung von f , als Symbol f
0
oder
d
dx
f .
Man kann den Prozeß des Bildens der Ableitung nat¨
urlich iterieren: Ist f
0
H¨
ohere Ableitungen
in jedem Punkt von (a, b) differenzierbar, so kann man f
00
:= (f
0
)
0
bilden,
und allgemein kann man f¨
ur eine nat¨
urliche Zahl n die n–te Ableitung
f
(n)
:= (f
(n−1)
)
0
bilden, sofern die Ableitungen f
(k)
(k < n) existieren und in jedem Punkt
von (a, b) differenzierbar sind; in diesem Fall heißt f n–mal differenzierbar.
Eine andere naheliegende Schreibweise f¨
ur f
(n)
ist
d
n
dx
n
f.
Die n¨
achst einfache Funktion ist die Exponentialfunktion. Der Differenzen-
quotient ist
e
x
0
+h
− e
x
0
h
= e
x
0
e
h
− 1
h
.
90
Kapitel 8
Was geschieht nun mit (e
h
−1)/h, falls wir h gegen 0 streben lassen ? Setzen
Ableitung der
Exponential-,
Hyperbel- und
Kreisfunktionen
wir die Reihenentwicklung der Exponetialfunktion ein, so erhalten wir
e
h
− 1
h
= 1 +
h
2!
+
h
2
3!
+ · · · .
Auf der rechten Seite steht jetzt eine f¨
ur jedes h absolut konvergente Reihe,
und nach einem Satz aus dem letzten Kapitel ist sie stetig in 0. Dami finden
wir
lim
h→0
e
h
− 1
h
= 1,
also den
Satz. Die Exponentialfunktion ist ¨
uberall differenzierbar, und es gilt
d
dx
exp(x) = exp(x).
Als Folgerung erhalten wir (unter Benutzung der angef¨
uhrten Regeln):
cosh
0
= sinh
sinh
0
= cosh .
Die Ableitungen der Kreisfunktionen sin und cos kann man ¨
ahnlich wie
im Fall der Exponentialfunktion berechnen.
Da cos (0) = 0 ist, ist der
Differenzenquotient bei x
0
= 0
cos (h) − 1
h
= −
h
2!
+
h
3
4!
− · · · .
Die rechte Seite ist absolut konvergent f¨
ur jedes h, und definiert somit eine
bei 0 stetige Funktion; also existiert der Grenzwert, wenn h gegen 0 strebt,
und ist gleich 0. Also cos
0
(0) = 0. Analog erh¨
alt man sin
0
(0) = 1. Damit
k¨
onnen wir nun an einer beliebigen Stelle x
0
differenzieren: es ist
cos(x
0
+ h) − cos x
0
h
=
cos(x
0
)(cos h − 1) − sin(x
0
) sin h
h
,
und daher
lim
h→0
cos (x
0
+ h) − cos(x
0
)
h
= − sin x
0
.
Ganz ¨
ahnlich kann man den Sinus abhandeln, und man findet
cos
0
= − sin
sin
0
= cos .
Es schließt sich die Frage nach den Differenzierbarkeitseigenschaften des Lo-
garithmus (als Umkehrfunktion der differenzierbaren Exponentialfunktion)
und der Funktionen a
x
an. Hierzu beweisen wir die folgenden zwei Regeln,
die Kettenregel und eine Regel f¨
ur Umkehrfunktionen.
Differenzierbarkeit
91
Satz. Sei f eine auf (a, b) und g eine auf (c, d) erkl¨
arte Funktion. Es gelte
Kettenregel und Regel
f¨
ur Umkehrfunktionen.
f (a, b) ⊂ (c, d) (sodaß g◦f wohldefiniert ist). Schließlich sei f differenzierbar
in x
0
und g sei differenzierbar in f (x
0
). Dann ist g ◦ f in x
0
differenzierbar,
und es gilt
(g ◦ f )
0
(x
0
) = g
0
(f (x
0
)) · f
0
(x
0
).
Beweis. Es bezeichnen R(x) und S(y) die Differenzenquotientenfunktion
von f und g bei x
0
bzw. f (x
0
), d.h.
f (x) = f (x
0
) + R(x)(x − x
0
)
g(y) = g(y
0
) + S(y)(y − y
0
)
.
Damit ist
g(f x) = g(f (x
0
)) + S(f (x) · R(x)(x − x
0
)),
d.h.
T (x) := S(f (x)) · R(x)
ist die Differenzenquotientenfunktion bei (f ◦ g)(x
0
). Nach den Differenzier-
barkeitsvorausetzungen ¨
uber f und g existiert der Grenzwert von T (x) =
S(f (x))) · R(x), wenn x gegen x
0
strebt, und ist gerade gleich dem be-
haupteten Wert.
Satz. Sei f : (a, b) → (c, d) bijektiv und stetig. Es sei f in x
0
differenzierbar
und f
0
(x
0
) 6= 0. Dann ist f
−1
: (c, d) → (a, b) im Punkt y
0
:= f (x
0
)
differenzierbar, es ist f
−1
0
(y
0
) = 1/f
0
(x
0
).
Man beachte, daß die Formel f¨
ur die Ableitung von f
−1
im Punkt y
0
eine
einfache Folgerung der Kettenregel ist: es ist ja x = (f
−1
◦ f )(x), also
1 = f
−1
0
(f (x
0
)) · f
0
(x
0
),
und dies ist gerade die behauptete Formel. Man beachte, daß dieser Schluß
auch zeigt, daß die Voraussetzung f
0
(x
0
) eine notwendige Voraussetzung
des Satzes ist, d.h. ist f differenzierbar in x
0
und ist f
−1
differenzierbar in
y
0
= f (x
0
) dann folgt f
0
(x
0
) 6= 0. Man kann sich dies auch noch an dem
Beispiel der Funktion x 7→ x
3
, x
0
= 0 illustrieren. Zum Beweis des Satzes
ist also lediglich zu zeigen, daß f
−1
¨
uberhaupt bei y
0
differenzierbar ist.
Beweis. Es ist
f
−1
(y) − f
−1
(y
0
)
y − y
0
=
1
y−y
0
f
−1
(y)−f
−1
(y
0
)
=
1
f (f
−1
(y))−f (x
0
)
f
−1
(y)−x
0
.
Die rechte Seite hat aber einen Grenzwert, wenn y gegen y
0
l¨
auft: nach
einem Satz des letzten Kapitels ist n¨
amlich mit f auch f
−1
stetig; daher
92
Kapitel 8
l¨
auft mit y gegen y
0
dann f
−1
(y) gegen x
0
, und die Existenz des Grenz-
werts der rechten Seite folgt aus der Differenzierbarkeit von f in x
0
(mit
nichtverschwindender Ableitung !)
Die Formel f¨
ur die Ableitung der Umkehrfunktion l¨
aßt sich folgendermaßen
leicht merken: Schreibt man y = f (x), so kann man die Ableitung von f als
dy
dx
schreiben und die Ableitung von x = f
−1
als
dx
dy
.
Die Formel f¨
ur die Ableitung besagt nun nichts anderes als
dx
dy
=
1
dy
dx
.
Ein Beispiel: y = f (x) = x
2
(x > 0.), also x = f
−1
(y) =
√
y. Es ist
dy
dx
= 2x, und so
(f
−1
)
0
(y) =
dx
dy
= 1/
dx
dy
=
1
2x
=
1
2
√
y
.
Ein weiteres Beispiel y = exp(x), x = log y, also
log
0
y = 1/
dx
dy
= 1/ exp(x) = 1/y.
Hieraus, mit exp
0
= exp und mittels der Kettenregel erh¨
alt man nun sofort
den
Satz. Die Funktionen log (x > 0), x 7→ a
x
(x ∈ R) und a 7→ a
x
(a > 0)
Ableitung des
Logaritmus und der
Potenz
sind in jedem Punkt ihres Definitionsbereiches differenzierbar, und es gilt
d
dx
log x =
1
x
,
d
dx
a
x
= a
x
· log a,
d
da
a
x
= xa
x−1
.
Wir behandeln als n¨
achstes die Haupts¨
atze der Theorie der differenzierbaren
Extremwerte, Satz von
Rolle, Mittelwertsatz
Funktionen.
Die auf D definierte Funktion f hat bei x
0
∈ (a, b) ein lokales
Maximum, falls
∃δ > 0∀x ∈ (x
0
− δ, x
0
+ δ) ∩ D
(f (x) ≤ f (x
0
)).
Gilt die st¨
arkere Bedingung “f (x) < f (x
0
)” statt “f (x) ≤ f (x
0
),” so
spricht man von einem strikten lokalen Maximum an der Stelle x
0
. Ganz
entsprechend definiert man die Begriffe “lokales Minimum” und “striktes
lokales Minimum”.
Differenzierbarkeit
93
Satz. Sei f eine auf (a, b) erkl¨
arte, in x
0
∈ (a, b) differenzierbare Funktion.
Hat f ein lokales Maximum (Minimum) an der Stelle x
0
∈ (a, b), so ist
f
0
(x
0
) = 0.
Beweis. Die Differenzierbarkeit ist gleichbedeutend mit der Stetigkeit der
Funktion R in x
0
, wo
R(x) =
R(x)
f¨
ur x ∈ (a, b), x 6= x
0
f
0
(x
0
)
f¨
ur x = x
0
.
Hat f etwa ein lokales Maximum in x
0
, so ist in einer δ-Umgebung von x
0
R(x) ≥ 0 f¨
ur alle x < x
0
R(x) ≤ 0
f¨
ur alle x > x
0
.
Jede –Umgebung von x
0
enth¨
alt also sowohl Punkte, in denen R(x) ≥ 0
gilt, als auch Punkte, in denen R(x) ≤ 0 ist. Wegen der Stetigkeit von R
in x
0
kann dann aber nach einem Satz des letzten Kapitels nur R(x
0
) = 0
gelten.
Satz von Rolle. Sei f eine auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] erkl¨
arte,
stetige Funktion, und f sei in (a, b) differenzierbar. Es gelte f (a) = f (b) = 0.
Dann gibt es ein x
0
∈ (a, b) sodaß f
0
(x
0
) = 0 gilt.
Beweis. Da f stetig auf [a, b] ist, nimmt f sein Supremum s und sein
Infimum i an. Werden s und i in den Punkten a, b angenommen, so folgt
s = i = 0, also f (x) = 0 f¨
ur alle x ∈ [a, b], also f
0
(x) = 0 f¨
ur jedes x ∈ (a, b).
Werden dagegen s oder i in einem Punkt x
0
∈ (a, b) angenommen, so schließt
man nach dem vorangehenden Satz f (x
0
) = 0.
Satz (Mittelwertsatz). Sei f eine auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b]
erkl¨
arte, stetige Funktion, und f sei in (a, b) differenzierbar. Dann gibt es
ein x
0
∈ (a, b), sodaß
f
0
(x
0
) =
f (b) − f (a)
b − a
.
Beweis. Man wende den Satz von Rolle auf die Funktion
g(x) := f (x) − f (a) −
f (b) − f (a)
b − a
· (x − a)
an.
Die geometrische Bedeutung des Mittelwertsatzes ist folgendermaßen: die
Gleichung der Sekante an G
f
durch die beiden Punkte (x
0
, f (x
0
)) und (x
0
+
h, f (x
0
+ h)) ist
y =
f (x
0
+ h) − f (x
0
)
h
· (x − x
0
) + f (x
0
)
94
Kapitel 8
Lassen wir h gegen 0 streben, so geht die Sekantengleichung in die Tangen-
tenlgleichung ¨
uber:
y = f
0
(x
0
)(x − x
0
) + f (x
0
).
Nun sind zwei verschiedene Geraden y = αx + β und y = α
0
· x + β
0
genau
dann parallel, wenn α = α
0
ist. Demnach besagt der Mittelwertsatz, daß
der Graph von f eine Tangente an einem ¨
uber einem x
0
∈ (a, b) gelegenen
Punkt besitzt, die parallel zur Sekante durch die Endpunkte des Graphen
ist.
Als Anwendung des Mittelwertsatzes bewiesen wir den
Satz. Sei f in (a, b) differenzierbar und f
0
(x) > 0 f¨
ur alle x ∈ (a, b). Dann
ist f streng monoton wachsend.
Beweis. Seien α, β ∈ (a, b), α < β. Nun ist [α, β] ⊂ (a, b) und die Ein-
schr¨
ankung von f auf [α, β] erf¨
ullt die Voraussetzungen des Mittelwertsatz-
es. Danach gibt es also ein γ ∈ (α, β) sodaß
f (β) − f (α)
β − α
= f
0
(γ)(> 0).
Es folgt f (α) < f (β).
Ganz analog kann man zeigen, daß f streng monoton fallend ist, wenn
f
0
(x) < 0 f¨
ur alle x ∈ (a, b) ist.
Der Satz ¨
uber das Verschwinden der Ableitung in einem lokalen Extremwert
l¨
aßt sich nicht umkehren: die Ableitung von x 7→ x
3
in x = 0 verschwindet,
obwohl dort kein lokaler Extremwert vorliegt.
Um aus dem Verschwinden der Ableitung auf ein lokales Extremum schließen
zu k¨
onnen ben¨
otigt man also noch zus¨
atzliche Informationen. Ein m¨
ogliches
hinreichendes Kriterium bietet der folgende
Satz. Sei f in (a, b) differenzierbar, x
0
∈ (a, b) und f (x
0
) = 0. Außerdem
gebe es ein δ > 0 sodaß f
0
in (x
0
−δ, x
0
+δ)∩(a, b) von positiven zu negativen
Werten ¨
ubergeht, d.h. sodaß f¨
ur alle x ∈ (x
0
−δ, x
0
+δ)∩(a, b) die folgenden
Bedingungen gelten:
f
0
(x) > 0
f¨
ur x < x
0
f
0
(x) < 0
f¨
ur x > x
0
.
Dann hat f in x
0
ein lokales striktes Maximum.
Beweis: Sei x ∈ (a, b) aus der angegebenen δ-Umgebung von x
0
. F¨
ur ein
passendes γ zwischen x und x
0
ist dann
f (x) − f (x
0
)
x − x
0
= f
0
(γ),
Differenzierbarkeit
95
also f (x) < (x
0
), falls x < x
0
, denn dann ist ja γ < x
0
und somit f
0
(γ) > 0,
als auch f (x) < f (x
0
), falls x > x
0
, denn dann ist γ > x
0
und somit
f
0
(γ) > 0.
Man legt sich leicht ein analoges Kriterium f¨
ur ein lokales Minimum zurecht
(indem man im Satz etwa f durch −f ersetzt).
Als Anwendung unserer bisher entwickelten Theorie wollen wir die Kreis-
Diskussion der
Kreisfunktionen
funktionen genauer studieren. Wir hatten oben definiert:
cos x := 1 −
x
2
2!
+
x
4
4!
−
x
6
6!
+ · · · =
∞
X
k=0
x
2k
(2k)!
sin x := x −
x
3
3!
+
x
5
5!
−
x
7
7!
+ · · · =
∞
X
k=0
x
2k+1
(2k + 1)!
Schreiben wir die Reihendarstellung des Cosinus in der Form
cos x = 1 −
x
2
2!
1 −
x
2
3 · 4
−
x
6
6!
1 −
x
2
7 · 8
−
x
10
10!
1 −
x
2
11 · 12
− · · · ,
so erkennen wir
cos 2 < 1 −
4
2
1 −
4
3 · 4
= −
1
3
.
Aus cos (0) = 1 und cos (2) < 0 schließen wir nach dem Zwischenwertsatz
auf die Existenz einer Nullstelle des Cosinus im Intervall (0,2). Sei ν das
Infimum der Menge aller positiven Nullstellen des Cosinus; aus Stetigkeits-
gr¨
unden ist dann ν > 0 (wegen cos 0 = 1 > 0 gibt es eine ganze –Umgebung
der 0, auf der der Cosinus strikt positiv ist !) und auch cos ν = 0 (nach
Definition von ν gibt es eine Folge von Nullstellen des Cosinus, die gegen ν
konvergiert und der Cosinus ist stetig !). Also hat der Cosinus eine kleinste
positive Nullestelle, die f¨
ur den Augenblick mit ν bezeichnet wird. Es ist
hierf¨
ur wegen
e
ix
= cos x + i sin x
und wegen
e
ix
2
= cos
2
x + sin
2
x
(letzteres nur f¨
ur reelle x !) offenbar e
iν
= ±i.
Wegen
sin x = x
1 −
x
2
3!
+
x
5
5!
1 −
x
2
6 · 7
+ · · · ,
ist der Sinus auf dem Intervall (0,
√
6) strikt positiv; da 0 < ν < 2 <
√
6 ist
insbesondere sin ν > 0. Wie schließen damit e
iν
= i.
Offenbar ist insbesondere e
4inν
= 1 f¨
ur jede ganze Zahl n. Sei y irgeneine
relle Zahl, sodaß e
iy
= 1 gilt. Dann gibt es jedenfalls ein n ∈ Z, sodaß
4nν ≤ y < 4(n + 1)ν.
96
Kapitel 8
Es folgt 0 ≤ y − 4nν < 4ν und e
i(y−4nν)
= 1, also e
i(y−4nν)/4
= ±i, und so
0 ≤ (y − 4nν)/4 < ν und cos(y − 4nν)/4 = 0. Da ja ν die kleinste positive
Nullstelle des Cosinus ist, muß 0 = (y − 4nν)/4, d.h. y = 4nν gelten. Damit
haben wir den
Satz. Der Kern des Homomorphismus R → S
1
,
x → e
ix
ist die Unter-
gruppe 4νZ der additiven Gruppe der reellen Zahlen, wo ν die kleinste
positive Nullstellle bezeichnet.
Dies ist eine schon in Kapitel 6 angek¨
undigte Behauptung. Dort hatten wir
Die Zahl π
erkl¨
art, daß man die hier auftretende Zahl 2ν mit π bezeichnet wird. Mit
dieser Bezeichnung haben wir
Die kleinste positive Nullstelle des Cosinus ist die Zahl
π
2
.
Wie die oben angestellten ¨
Uberlegungen zeigen, h¨
atten wir auch die let-
zte Aussage als Definition von π nehmen k¨
onnen. Eine andere Charakter-
isierung ist:
2π ist die kleinste positive Periode des Cosinus, d.h. die kleinste positive
Zahl, sodaß cos(x + 2π) = cos x f¨
ur alle x gilt.
In der Tat: Es ist jedenfalls 2π eine Periode des Cosinus, und ist P eine
weitere Periode des Cosinus, so ist mit cos P = cos 0 = 1 dann auch e
iP
= 1,
also P ∈ 2πZ. Die hier erkl¨arte Zahl π ist nat¨
urlich mit dem π identisch, in
welchem Kontext man es auch immer kennengelernt haben mag.
Wie haben oben schon gesehen, daß e
π/2
= i ist. Danach ist dann
e
x+
π
2
= e
x
· i
f¨
ur alle x. Schreibt man die letzte Gleichung f¨
ur den Real- und Imagin¨
arteil
getrennt auf, so lautet sie
(G)
cos(x +
π
2
) = − sin x,
sin(x +
π
2
) = cos x.
Der Cosinus ist in (0,
π
2
) strikt positiv, als gerade Funktion also auf dem
Intervall (−
π
2
,
π
2
) strikt positiv. Wegen (G) ist daher der Sinus auf dem
Intevall (0, π) strikt positiv. Wegen cos
0
= − sin folgt nach einem oben
bewiesenen Satz
Satz. Der Cosinus ist auf dem Intervall [0, π] streng monoton fallend.
Nach (G) haben wir dann sofort auch noch
Differenzierbarkeit
97
Satz. Der Sinus ist auf dem Intervall [−
π
2
, −
π
2
] streng monoton steigend.
Aus (G) folgt noch — indem man x durch x +
π
2
ersetzt —
cos(x + π) = − cos x,
d.h. der Cosinus ist schon durch seine Werte im Intervall [0, π] festgelegt.
Fassen wir zusammen:
Der Cosinus ist stetig und differenzierbar. Er ist periodisch
mit der Periode 2π. Von 0 nach π f¨
allt er streng monoton vom
Wert 1 zum Wert −1, von [π, 2π] steigt er streng monoton vom
Wert −1 nach 1.
Eine entsprechende Beschreibung ¨
uberlegt man sich leicht f¨
ur den Sinus
(etwa mittels der Identi¨
aten (G)). Wir erhalten damit auch eine sehr bild-
hafte Vorstellung von der Abbildung x → e
ix
: durchl¨
auft x die reelle
Zahlengerade, so durchl¨
auft e
ix
den Einheitskreis S
1
, und zwar so, daß der
Punkt e
ix
genau einmal im mathematisch positiven Sinn auf den Einheit-
skreis uml¨
auft, wenn x ein volles Intervall der L¨
ange 2π durchl¨
auft.
Die Abbildungen
[0, π] → [−1, +1],
x 7→ cos x,
[−
π
2
,
π
2
] → [−1, +1],
x 7→ sin x
sind streng monoton fallend bzw. streng monoton steigend; also existieren
hierzu die Umkehrfunktionen; sie werden mit
arccos,
bzw.
arcsin
bezeichnet. Aufgrund unserer bisher entwickelten Theorie wissen wir, daß
diese Funktionen stetig sind, und im Innern ihres Definitionsbereichs (d.h.
im Definitionsbereich ohne die Randpunkte) differenzierbar sind:
arccos
0
y =
−1
p
1 − y
2
arcsin
0
y =
1
p
1 − y
2
.
(x = arcsin y, y = sin x,
dy
dx
= cos x also
dx
dy
=
1
cos x
=
1
p
1 − sin
2
x
=
1
p
1 − y
2
!)
Den Graphen von arcsin erh¨
alt man, indem man den Graphen von sin x
an der Geraden y = x spiegelt, d.h. indem man jeweils die Koordinaten
der Punkte von G
sin
vertauscht. Entsprechendes gilt nat¨
urlich auch f¨
ur den
Arcuscosinus, wie ¨
uberhaupt f¨
ur jede Umkehrfunktion.
98
Kapitel 8
Wichtig sind noch die Funktionen
tan x :=
sin x
cos x
f¨
ur x ∈ R \
π
2
+ πZ
,
cot x :=
cos x
sin x
f¨
ur x ∈ R \ πZ.
Sie sind stetig und differenzierbar; es sind ungerade Funktionen, und sie
haben die Periode π. Sie gehen auseinander verm¨
oge
tan(x +
π
2
) = − cot(x)
hervor. Ihre Ableitungen sind
tan
0
x =
1
cos
2
x
= 1 + tan
2
x,
cot
0
x =
−1
sin
2
x
= −(1 + cot
2
)x.
Insbesondere ist die Ableitung des Cotangens strikt negativ, und somit ist
der Cotangens im jedem Intervall seines Definitionsbereichs streng monoton
fallend; l¨
auft x von 0 nach pi, so l¨
auft cot y von +∞ to −∞.
Predigt an den Cotangens
♣
Bei Dir ist alles Mahnen,
o Cotangens, vertan,
Du gleitest, hochgeboren,
hinab die schiefe Bahn.
Zwar bremst Du dazwischen Dein Sinken,
als packte Dich heilsame Reu,
doch kurz nur w¨
ahrt die Besinnung,
und hemmungslos f¨
allst Du aufs neu.
Doch wenn Du bis minus Unendlich
gest¨
urzt bist, Du haltloser Tor,
dann hebt Dich ein rettender Zauber
auf plus Unendlich empor.
Und wieder in lichten H¨
ohen
erscheinst Du wunderbar,
doch gleicht Dein n–tes Leben
dem (n − 1)–ten aufs Haar.
Du lernst nichts aus der Geschichte,
Du l¨
aufst im alten Trab,
unendlich oft wirst Du gehoben,
unendlich oft st¨
urzt Du hinab.
♣
Dieser und die weiteren Verse in diesem Kapitel sind [H. Cremer: Carmina
Mathematica, Verlag J.A.Mayer, Aachen] entnommen.
Differenzierbarkeit
99
Den Tangens kann man ¨
ahnlich diskutieren:
Elegie um den Tangens
Aus verachteter Tiefe
qu¨
alst Du Dich aufw¨
arts
in dr¨
uckender Hitze
zum siebenten Himmel.
Doch was Du erspart hast,
das rauben bekanntlich
Inflationen und Kriege
alle π Jahre —
leicht l¨
aßt sich’s beweisen.
Betrogener Tangens!
Bei so viel Tragik
bleibt mir die Spucke
weg und der Reim.
Die Umkehrfunktionen der Abbildungen
(−
π
2
,
π
2
) → R, x 7→ tan x
(0, π) → R, x 7→ cot x
werden jeweils mit
arctan,
arccot
bezeichnet. Ihre Eigenschaften ergeben sich aus denen des Tangens und des
Cotangens. Ihre Ableitungen sind
arctan
0
y =
1
1 + y
2
arccot
0
y =
−1
1 + y
2
.
Hier noch eine kurze Diskussion
Ode an die Arcustangensschlange
Du schleichst seit undenklichen Zeiten
so leis und so sanft heran,
Du stiegst in Ewigkeiten
kaum um ein δ an.
Nur langsam beginnst Du zu wachsen,
wie zum Beweis Deines Seins,
erreichst beim Schnittpunkt der Achsen
Deine h¨
ochste Steigung, die Eins.
100
Kapitel 8
Dann duckst Du Dich wieder zierlich
in stiller Bescheidenheit
und wandelst weiter manierlich
in die Unendlichkeit.
Hier stock ich im Lobgesange,
mir schwant, er wird mir vermiest:
Oh, Arcustangens-Schlange,
beißt Du nicht doch, Du Biest?!
9
TAYLOR-ENTWICKLUNG
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir verschiedene Beispiele von
Funktionen f gesehen, die sich als Potenzreihe um einen Enwicklungspunkt
t schreiben lassen, d.h. eine Darstellung der Gestalt
f (x) =
∞
X
ν=0
a
ν
(x − t)
ν
besitzen. Es liegt auf der Hand, zu fragen, welche Funktionen ¨
uberhaupt
sich so darstellen lassen. Um diese Frage zu beantworten wird man zum
einen studieren, welche Eigenschaften einer Funktion sich daraus ergeben,
daß sie eine Potenzreihendarstellung besitzt, zum anderen wird man nach
hinreichenden Kriterien f¨
ur die Existenz einer solchen Darstellung suchen.
Ersteres werden wir im n¨
achsten Kapitel diskutieren, das zweite ist der
Inhalt dieses Kapitels.
Beim Studium des zweiten Problems wird man zun¨
achst einmal zu ge-
gebener Funktion Zahlen a
ν
bestimmen wollen, die als Kandidaten einer
Potenzreihenentwicklung um einen gegebenen Punkt t in Frage kommen.
Hierzu wiederum wird man zun¨
achst einfache Beispiele studieren. Die ein-
fachsten Funktion, die eine Darstellung der gefragten Art besitzt, ist ein
Polynom
f (x) =
n
X
ν=0
a
ν
· x
ν
.
Dieses hat per definitionem eine Potenzreihenentwicklung um t = 0. Es hat
aber auch eine solche Entwicklung um jede beliebige andere vorgegebene
Zahl t: man schreibe in der Entwicklung um 0 die Variable x als (x −
t) + t und beachte, daß jede einzelne der Potenzen ((x − t) + t)
ν
nach dem
Binomischen Lehrsatz eine Entwicklung um t besitzt. Wir k¨
onnen also
f (x) =
∞
X
ν=0
b
ν
(x − t)
ν
mit geeigneten Zahlen b
ν
schreiben. Nat¨
urlich kann man die b
ν
aus dem
Binomischen Lehrsatz gewinnen, allerdings involviert diese Formel die Ko-
effizienten a
ν
. Im Sinne unserer Fragestellung ist es aber effizienter nach
einer Formel zu suchen, die die b
ν
unmittelbar aus f bestimmt, ohne Bezug
auf die a
ν
. Denn ersetzen wir in solch einer Formel das Polynom f durch
101
102
Kapitel 9
solche Funktionen, f¨
ur die die Formel noch sinnvoll bleibt, so haben wir
einen großen Schritt getan: wir haben Kandidaten f¨
ur die Koeffizienten
einer potentiellen Potenzreihenentwicklung.
Eine Formel der gesuchten Art f¨
ur die b
ν
gibt es in der Tat. Differenzieren
wir n¨
amlich f (x) genau k–mal nach x, und nutzen wir aus, daß
d
k
dx
k
(x − t)
ν
= ν(ν − 1)(ν − 2) · · · (ν − k + 1)(x − t)
ν−k
gilt, so erhalten wir
d
k
dx
k
f (x) =
n
X
ν=0
b
ν
· ν(ν − 1)(ν − 2) · · · (ν − k + 1)(x − t)
ν−k
.
Setzen wir hierin x = t, so folgt
f
(k)
(t) = b
k
· k!
Damit haben wir bewiesen:
Satz. Ist f (x) ein Polynom und t eine gegebenen reelle Zahl, so gilt
f (x) =
∞
X
ν=0
f
(ν)
(t)
ν!
(x − t)
ν
.
Zwei Beispiele: ist
f (x) = x
2
+ 3x + 4,
so findet man nach dem eben bewiesenen Satz unmittelbar
f (x) = (x − t)
2
+ (2t + 3)(x − t) + t
2
+ 3t + 4
.
Dies kann man nat¨
urlich auch mit dem binomischen Lehrsatz nachrechnen.
Als zweites betrachten wir das Polynom x
n
: Hier ist
1
k!
d
k
dx
k
x
n
x=t
=
n(n − 1) · · · (n − k + 1)
k!
t
n−k
=
n
k
t
n−k
,
und daher nach dem letzten Satz
x
n
=
n
X
ν
n
ν
t
n−ν
(x − t)
ν
.
Dies ist der binomische Lehrsatz, den wir in den Beweis des Satzes hin-
eingesteckt haben, und wie wir sehen, bekommen wir ihn also auch wieder
zur¨
uck.
Taylor-Entwicklung
103
Sei jetzt f eine auf einem Intervall (a, b) erkl¨
arte, (n−1)-mal differenzierbare
Funktion und t ∈ (a, b).
Das Polynom
n−1
X
ν=0
f
(ν)
(t)
ν!
· (x − t)
ν
heißt das (n − 1)–te Taylorpolynom von f um t.
Taylor-Polynom
Nach obigem Satz ist jedes Polynom vom Grad n gleich seinem (n − 1)–ten
Taylorpolynom um jeden beliebigen Punkt. Es ist naheliegend zu fragen,
wie gut eine beliebig gegebene Funktion durch ihre Taylorpolynome approx-
imiert wird, d.h. wie groß das Restglied
f (x) − ((n − 1)–tes Taylorpolynom um t)(x)
ist. Hat man erst einmal eine geeignete Beschreibung dieses Restgliedes,
so sind wir schon sehr nah bei ersten Antworten auf unsere uns leitende
Fragestellung nach Kriterien f¨
ur eine Potenzreihendarstellung. Man wird
erwarten, daß das Restglied desto kleiner ist, je mehr f einem Polynom
¨
ahnelt. Eine charakteristische Eigenschaft von Polynomen ist es, daß ihre
h¨
oheren Ableitungen identisch verschwinden. Also wird man erwarten, daß
das Restglied desto kleiner ist, je “kleiner” die h¨
oheren Ableitungen von
f sind, und allgemein sollte es eine Beschreibung des Restgliedes mittels
h¨
oherer Ableitungen von f geben. Diese werden wir nun herleiten.
Dazu setzen wir voraus, daß f eine auf (a, b) mindestens n–mal differenzier-
bare Funktion ist und t irgendein beliebiger Punkt aus (a, b). Dann k¨
onnen
wir schreiben
f (x) = f (t) +
f
0
(t)
1!
(x − t) + · · · +
f
(n−1)
(t)
(n − 1)!
(x − t)
n−1
+ R
n
(x, t),
mit einem durch eben diese Gleichung definierten Fehler R
n
(x, t).
Wir
w¨
ahlen jetzt ein festes x in (a, b) und betrachten die Funktion
t 7→ R
n
(x, t) = f (x) −
f (t) +
f
0
(t)
1!
(x − t) + · · · +
f
(n−1)
(t)
(n − 1)!
(x − t)
n−1
.
Wir bezeichnen sie der Einfachheit halber mit R(t). Da f ja n–mal differen-
zierbar sein soll, ist R(t) in (a, b) mindestens einmal differenzierbar. Wir
berechnen R
0
(t): differenzieren wir den k–ten Term in der Klammer auf der
rechten Seite der R(t) definierenden Gleichung, so finden wir
d
dt
f
(k)
(t)
k!
(x − t)
k
=
d
dt
f
(k+1)
(t)
k!
(x − t)
k
−
f
(k)
(t)
(k − 1)!
(x − t)
k−1
104
Kapitel 9
f¨
ur k > 0, und = f
0
(t) f¨
ur k = 0; demnach hebt sich der erste Summand
der Ableitung des k-ten Terms jeweils gegen den zweiten Summanden der
Ableitung des (k + 1)–ten Terms auf, und wir finden
R
0
(t) = −
f
(n)
(t)
(n − 1)!
(x − t)
n−1
.
Nach dem Mittelwertsatz ist nun
R(t)( = R(t) − R(x) ) = R
0
(c) · (t − x)
mit einem geeigneten c zwischen t und x. Setzen wir hierin unsere soeben
abgeleitete Formel f¨
ur R
0
(t) ein, so sehen wir, daß wir den folgenden Satz
bewiesen haben:
Satz. Es sei f eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte, n–mal differenzierbare
Cauchysches Restglied
Funktion, und es seien x, t ∈ (a, b). Dann gib es ein c zwischen x und t,
sodaß
f (x) = f (t) +
f
0
(t)
1!
(x − t) + · · · +
f
(n−1)
(t)
(n − 1)!
(x − t)
n−1
+
f
(n)
(c)
(n − 1)!
(x − c)
n−1
(x − t).
Wir geben noch eine andere Beschreibung des Restgliedes. Hierzu ben¨
otigen
wir eine etwas allgemeinere Formulierung des Mittelwertsatzes.
Satz. Seien f und g auf [a, b] erkl¨
arte, stetige und in (a, b) differenzierbare
Cauchyscher
Mittelwertsatz
Funktionen, und es sei g(x) 6= 0 f¨
ur jedes x ∈ (a, b). Dann gibt es ein
c ∈ (a, b), sodaß
f (b) − f (a)
g(b) − g(a)
=
f
0
(c)
g
0
(c)
.
Man beachte, daß g(b) − g(a) 6= 0 (denn andernfalls g¨
abe es nach dem Satz
von Rolle ein x mit g
0
(x) = 0).
Beweis. Die Funktion
f (x) − f (a) −
f (b) − f (a)
g(b) − g(a)
· (g(x) − g(a)) =: h(x)
erf¨
ullt die Voraussetzungen des Satzes von Rolle, d.h. es ist h(b) = h(a) = 0.
Also gibt es nach ebendiesem Satz ein c mit h
0
(c) = 0, d.h.
0 = h
0
(c) = f
0
(c) −
f (b) − f (a)
f (b) − g(a)
· g
0
(c),
Taylor-Entwicklung
105
und das ist gerade die Behauptung.
Wie angek¨
undigt k¨
onnen wir mittels des verallgemeinerten Mittelwertsatzes
noch eine andere Beschreibung des oben studierten Restgliedes R(t) erhal-
ten. Wenden wir ihn n¨
amlich auf f (t) = R(t) und g(t) = (x − t)
n
an, so
finden wir
R(t)
(x − t)
n
=
R(x) − R(t)
0 − (x − t)
n
=
R
0
(c)
−n(x − c)
n−1
mit einem geeigneten c zwischen x und t. Setzen wir hierin unsere oben
berechnete Formel f¨
ur R
0
(t) ein, so erhalten wir den
Satz. Es sei f eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte, n–mal differenzierbare
Lagrangesches
Restglied
Funktion, und es seien x, t ∈ (a, b). Dann gib es ein c zwischen x und t,
sodaß
f (x) = f (t) +
f
0
(t)
1!
(x − t) + ... +
f
(n−1)
(t)
(n − 1)!
(x − t)
n−1
+
f
(n)
(c)
n!
(x − t)
n
ist.
Wir kehren nun zu unserer urspr¨
unglichen Fragestellung nach der M¨
oglich-
keit einer Potenzreihenentwicklung zur¨
uck. Wir verabreden
Eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte Funktion heißt glatt oder
C
∞
-Funktion, falls sie unendlich oft differenzierbar ist, d.h.
falls die k–te Ableitung f
(k)
f¨
ur jedes jedes k ∈ N existiert.
Glatte Funktionen
Ferner verabreden wir:
Ist f eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte C
∞
–Funktion, und
ist x
0
∈ (a, b), so heißt die unendliche Reihe
∞
X
k=0
f
(k)
(x
0
)
k!
· (x − x
0
)
k
Taylor-Reihe von f um x
0
Taylor-Reihe
Es ergeben sich sofort zwei Fragen: f¨
ur welche x konvergiert diese Taylor-
reihe? Falls sie f¨
ur ein x konvergiert, ist der Grenzwert dann f (x)? Wir
werden gleich Beispiele daf¨
ur sehen, daß die Taylor-Reihe f¨
ur alle x ∈ (a, b)
konvergiert, und zwar gegen f (x). Im allgemeinen kann man aber zeigen,
daß jede beliebige Reihe der Gestalt
P
∞
n=0
a
n
x
n
als Taylor-Reihe einer glat-
ten Funktion erhalten werden kann, sodaß es insbesondere Funktionen gibt,
deren Taylorreihe nur f¨
ur x = x
0
konvergiert. Umgekehrt kann man Funk-
tionen konstruieren, deren Taylorreihe f¨
ur alle x konvergiert, aber nur f¨
ur
x = x
0
gegen f (x).
106
Kapitel 9
Immerhin k¨
onnen wir mittels unserer Restgliedbeschreibungen ein hinrei-
chendes Kriterium f¨
ur die Darstellbarkeit einer Funktion durch ihre Taylor-
Reihe aufstellen. Hierzu f¨
uhren wir noch eine Sprechweise ein.
Ist f eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte C
∞
–Funktion, so
sagen wir “die Ableitungen von f sind gleichm¨
aßig beschr¨
ankt
auf (a, b)”, falls es eine Konstante M gibt, sodaß
f
(k)
(x)
≤ M
f¨
ur alle k ∈ N und alle x ∈ (a, b) gilt.
Gleichm¨
aßig
beschr¨
ankte
Ableitungen
Satz. Sei f eine auf dem Intervall (a, b) erkl¨
arte C
∞
-Funktion. Die Ab-
Kriterium der
gleichm¨
aßigen
Beschr¨
anktheit.
leitungen von f seien im Intervall (a, b) gleichm¨
aßig beschr¨
ankt. Dann kon-
vergiert f¨
ur jedes x
0
∈ (a, b) und f¨
ur jedes x ∈ (a, b) die Taylorreihe von f
um x
0
gegen f (x), d.h. f¨
ur alle x, x
0
∈ (a, b) ist
f (x) =
∞
X
k=0
f
(k)
(x
0
)
k!
(x − x
0
)
k
.
Beweis. Es ist mit einem geeigneten (von x und x
0
abh¨
angenden) c zwis-
chen x und x
0
und einer von x, x
0
und n unabh¨
angigen Konstanten M
f (x) −
(n−1)
X
k=0
f
k
(x
0
)
k!
(x − x
0
)
k
=
f
(n)
(c)
n!
(x − x
0
)
n
≤
M
n!
|x − x
0
|
n
=: a
n
.
Die erste Gleichung folgt aus der Lagrangeschen Restgliedformel, die Un-
gleichung aus der vorausgesetzten gleichm¨
aßigen Beschr¨
anktheit der Ableit-
ungen von f in (a, b). Wir lassen es als ¨
Ubungsaufgabe, nachzupr¨
ufen, daß
die a
n
eine Nullfolge bilden. Hiermit folgt dann unmittelbar die Behauptung
des Satzes.
Wir illustrieren die Bedeutung der hier bewiesenen S¨
atze an einigen Beispie-
len.
Sei f eine auf ganz R definierte C
∞
–Funktion. Es gelte
Charakterisierung von
cos, sin und exp mittels
Differentialgleichungen
f
00
= −f.
Beispiele f¨
ur solche f sind die Funktionen cos und sin. Wir behaupten, daß
dies aber im Wesentlichen auch schon alle solche Funktionen sind, genauer:
jedes f der betrachteten Art ist eine Linearkombination von sin und cos.
In der Tat: zun¨
achst bemerken wir, daß die Ableitungen von f auf jedem
Taylor-Entwicklung
107
endlichen Intervall (a, b) gleichm¨
aßig beschr¨
ankt sind — es ist ja
f
(k)
(x)
=
|f (x)| oder = |f
0
(x)|, und f und f
0
sind stetig in R, also insbesondere auf
[a, b] beschr¨
ankt. Nach dem Satz von der gleichm¨
aßigen Beschr¨
anktheit ist
daher f¨
ur alle x und x
0
f (x) =
∞
X
k=0
f
(k)
(x
0
)
k!
(x − x
0
)
k
= f (x
0
) +
f
0
(x
0
)
1!
(x − x
0
)
−
f (x
0
)
2!
(x − x
0
)
2
−
f
0
(x
0
)
3!
(x − x
0
)
3
+
f (x
0
)
4!
(x − x
0
)
4
+
f
0
(x
0
)
5!
(x − x
0
)
5
− · · · .
Vergleichen wir dies mit den Reihenentwicklungen von sin x und cos x, so
finden wir
f (x) = f (x
0
) cos (x − x
0
) + f
0
(x
0
) sin (x − x
0
),
und das haben wir behauptet. Man beachte, daß wir gleichzeitig noch veri-
fiziert haben, daß die Reihenentwicklungen von sin x und cos x gerade ihre
Taylor-Reihen um x = 0 sind. Dies ist kein Zufall: eine Erkl¨
arung daf¨
ur
wird sich im n¨
achsten Kapitel ergeben.
Mit der gleichen Methode wie eben kann man sich zur ¨
Ubung die folgnede
Aussage ¨
uberlegen:
Es sei f eine auf R definierte C
∞
–Funktion, und es gelte f
0
= f.
Dann gibt es eine Konstante c, sodaß f = c · exp.
Insbesondere wird man dabei noch finden, daß die die Exponentialfunktion
definierende Reihe gerade ihre Taylor-Reihe um x = 0 ist.
Die Taylorreihe, sofern sie gegen die betrachtete Funktion konvergiert, ist
zun¨
achst einmal ein Mittel zur Berechnung dieser Funktion. Zur Illustration
dieser Aussage berechnen wir e: nach der Lagrangeschen Restgliedformel
hat man
e = e
1
= 1 + 1 +
1
2!
+
1
3!
... +
1
8!
+
e
c
q!
mit einem c zwischen 0 und 1. Da die Exponentialfunktion monoton steigt,
ist e
c
< e. Nun ist aber
e = 1 + 1 +
1
2!
+
1
3!
+ ... < 1 + 1 +
1
2
+
1
4
+
1
8
+ . . . = 3,
und so
e −
1 + 1 +
1
2!
+
1
3!
... +
1
8!
<
3
9!
= 0, 000008 . . . .
108
Kapitel 9
Als weiteres Beispiel betrachten wir log x. Zun¨
achst ist jedenfalls log x nach
Potenzreihen-
darstellung von log x
den Ergebnissen des letzten Kapitels eine f¨
ur x > 0 erkl¨
arte C
∞
-Funktion:
dort wurde log
0
x =
1
x
bewiesen, und offenbar ist
1
x
glatt; letzteres zeigt
auch
d
k
dx
k
log x = (−1)
k−1
(k − 1)!
x
k
.
Wir studieren damit nun die Taylor-Reihe von log(1+x) um x = 0: nach der
Lagrangeschen- bzw. der Cauchyschen Restgliedformel haben wir zun¨
achst
f¨
ur jedes x > 0
log(1 + x) =
n
X
k=1
(−1)
k−1
k
x
k
+ R
n
(x),
wobei
R
n
(x) =
(−1)
n−1
n(1 + c)
n
x
n
bzw. in der Cauchyschen Form
R
n
(x) =
(−1)
n−1
(1 + d)
n
(x − d)
n−1
x
mit einem (von x abh¨
angenden) c bzw. d zwischen 0 und x. Demnach hat
man
x = 1 =⇒ |R
n
(x)| ≤
1
n
|x| < 1 =⇒ |R
n
(x)| ≤ C(x) · |x|
n
,
letzteres mit einer geeigneten von x abh¨
angenden, aber von n unabh¨
angigen
reelle Zahl C(x). Hierbei ergibt sich die erste Aussage aus der Lagrangeschen
Beschreibung des Restgliedes, und die zweite aus der Cauchyschen. In jedem
Fall sehen wir so, daß bei vorgegebenem x ∈ (−1, 1] die Folge der Restglieder
R
n
(x) gegen 0 konvergiert. Wir haben damit den folgenden Satz bewiesen:
Satz. F¨
ur alle x ∈ (−1, 1] gilt
log(1 + x) =
∞
X
k=1
(−1)
k−1
k
x
k
.
Man beachte hierbei den Spezialfall x = 1:
ln 2 = 1 −
1
2
+
1
3
−
1
4
+
1
5
∓ · · · .
Der hier rechts stehenden Reihe, der Leibniz Reihe, sind wir fr¨
uher schon
als Beispiel f¨
ur einer konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe
begegnet; jetzt haben wir sogar ihren Wert berechnet.
Taylor-Entwicklung
109
Diese Reihe ist allerdings denkbar ungeeignet, um log 2 zu berechnen, denn
die einzelnen Glieder der Reihe konvergieren relativ langsam gegen 0. Eine
bessere Methode geht folgendermaßen (nach James Gregory 1668
†
). Es ist
f¨
ur |x| < 1
log (1 + x) = x −
x
2
2
+
x
3
3
− · · · ,
und daher auch
log (1 − x) = −x −
x
2
2
−
x
3
3
− · · · .
Subtrahieren wir die zweite dieser beiden Gleichungen von der ersten und
benutzen wir noch die Regel log a − log b = log
a
b
, so finden wir
log
1 + x
1 − x
= 2
x +
x
3
3
+
x
5
5
+ · · ·
.
Dies ist schon eine bessere Darstellung des Logarithmus als in der Taylor-
reihe im Satz: die Glieder der Reihe konvergieren etwas schneller gegen 0.
Man kann diese Methode aber noch verfeinern. F¨
ur nat¨
urliche Zahlen p, q,
p > q > 0 hat man insbesondere
log p − log q = log
p
q
= log
1 +
p−q
p+q
1 −
p−q
p+q
= 2
p − q
p + q
+
1
3
p − q
p + q
3
+
1
5
p − q
p + q
5
+ · · ·
!
(man beachte hierzu, daß stets 0 <
p−q
p+q
< 1 ist). Dies wenden wir an, um
log 2, log 3 und log 5 simultan zu berechnen. Dazu w¨
ahlen wir in der letzten
Formel
p = 16, q = 15
p = 25, q = 24
p = 81, q = 80,
und erhalten damit jeweils
4 log 2 − log 3 − log 5= 2
1
31
+
1
3
1
31
3
+ · · ·
−3 log 2 − log 3+2 log 5= 2
1
49
+
1
3
1
49
3
+ · · ·
−4 log 2+4 log 3 − log 5= 2
1
161
+
1
3
1
162
3
+ · · · ,
wobei wir log p−log q sogleich unter Ausnutzung des Additionstheorems des
Logarithmus in der Gestalt der linken Seiten dieser Gleichungen geschrieben
†
vgl. [Gerhard Kovalewski: Die Klassischen Probleme der Analysis des Un-
endlichen. Leipzig 1921]
110
Kapitel 9
haben: dabei geht ein, daß die p, q gerade so gew¨
ahlt sind, daß sie nur die
Primteiler 2,3,5 enthalten. Wir haben nun ein Gleichungssystem in den drei
“Unbekannten” log 2 ,log 3, log 5. Durch Multiplikation der Gleichungen 1
bis 3 mit 7,5,3 respektive und anschließendem Aufaddieren der resultieren-
den Gleichungen erh¨
alt man
log 2 = 14
1
31
+
1
3
·
1
31
3
+ · · ·
!
+10
1
49
+
1
3
·
1
49
3
+ · · ·
!
+6
1
161
+
1
3
·
1
161
3
+ · · ·
!
.
Bricht man die Reihe nach dem zweiten Glied ab, so ergibt sich die N¨
aherung
log 2 ≈ 0.693147076.
Diese ist tats¨
achlich auf 6 Stellen hinter dem Komma genau. ¨
Ahnlich gute
N¨
aherungen ergeben sich hierbei auch f¨
ur log 3 und log 5.
Als letztes Beispiel verallgemeinern wir den Binomischen Lehrsatz. Dazu
Die Binomialreihe
betrachten wir die f¨
ur alle x > −1 erkl¨
arte Funktion
x 7→ (1 + x)
r
= exp(r log(1 + x)).
Ist r ∈ N, so ist nach dem binomischen Lehrsatz
(1 + x)
r
=
r
X
k=0
r
k
.
Hierbei ist
r
k
=
r(r − 1) · · · (r − k + 1)
k!
.
Offenbar hat die rechte Seite der letzten Gleichung f¨
ur alle Zahlen r einen
Sinn, und wir nehmen diese Gleichung als Definition von
r
k
f¨
ur beliebige
r. Wir vereinbaren dabei noch
r
0
= 1
(es ist fast immer richtig, ein Produkt mit 0 Faktoren, ein leeres Produkt, als
1 zu interpretieren.) Man beachte nun, daß
r
k
= 0 f¨
ur nat¨
urliche r < k gilt.
Damit k¨
onnen wir in dem oben angef¨
uhrten Binomischen Lehrsatz r durch
das Symbol ∞ ersetzen, und es ist klar, daß man nun f¨
ur nicht notwendig
nat¨
urliche r erwartet, daß der Binomische Lehrsatz richtig bleibt, jedenfalls
f¨
ur gewisse x.
Taylor-Entwicklung
111
Satz. F¨
ur jedes r und alle |x| < 1 gilt
(1 + x)
r
=
∞
X
k=0
r
k
.
Beweis. Wir betrachten f¨
ur festes r ∈ R die Funktion f (x) := (1 + x)
r
auf
dem Intervall (−1, ∞). Die Ableitungen sind
f (x) = (1 + x)
r
f
0
(x) = r(1 + x)
r−1
f ”(x) = r(r − 1)(1 + x)
r−2
..
.
f
(k)
(x)
k!
=
r
k
(1 + x)
r−k
.
Die Taylorreihe von f bei x = 0 ist also genau die Binomialreihe, d.h. die
Reihe auf der rechten Seite in der behaupteten Gleichung. Wir betrachten
das Cauchysche Restglied R
n
(x) zum (n − 1)–ten Taylorpolynom um x = 0:
R
n
(x) = n
r
n
(1 + c)
r−n
(x − c)
n−1
x
(c zwischen 0 und x.) Mit einer einfachen Absch¨
atzung findet man
|R
n
(x)| ≤ A ·
n
r
n
x
n
f¨
ur |x| < 1 mit einer von n unabh¨
angigen (allerdings von x abh¨
angenden)
Konstanten A. Die hier rechts stehende Gr¨
oße ist aber das n–te Glied eine
Nullfolge (etwa, weil die Folge der Quotienten von je zwei aufeinanderfol-
genden Gliedern dieser Folge gegen |x| konvergiert und |x| < 1 ist !) Damit
folgt nun sofort die behauptete Identi¨
at.
Abel hat noch mehr bewiesen, als wir im Satz ausgesprochen haben
♣
:
“Alsdann ist
1 +
m
1
· a +
m(m − 1)
1 · 2
· a
2
+
m · (m − 1)(m − 2)
1 · 2 · 3
· a
2
+ · · ·
= (1 + a)
m
.
Dieser Ausdruck findet f¨
ur jeden Werth von m statt, wenn der
Zahlenwerth von a kleiner ist, als 1; ferner f¨
ur jeden Werth
von m, zwischen −1 und +∞, wonn a = 1 ist, und f¨
ur jeden
positiven Werth von m, wenn a = −1 ist. F¨
ur andere Werthe
von a und m ist das erste Glied eine divergente Reihe.”
Wir geben abschließend noch drei theoretische Folgerungen unserer bisher
entwickelten Theorie der Taylorreihen.
♣
Dies wurde im ersten Band von Crelles Journal [Journal Reine Angew.
Math.] ver¨
offentlicht
112
Kapitel 9
Satz. Es sei f in (a, b) erkl¨
art und (n−1)-mal differenzierbar, und außerdem
sei f
(n−1)
noch in x
0
∈ (a, b) differenzierbar. Dann ist
lim
x→x
0
f (x) −
P
n−1
k=0
f
(k)
(x
0
)
k!
(x − x
0
)
k
(x − x
0
)
n
=
f
(n)
(x
0
)
n!
.
Beweis. Wir beweisen die Behauptung des Satzes durch Induktion ¨
uber n.
F¨
ur n = 1 ist nichts zu beweisen. Angenommen, die Behauptung des Satzes
ist richtig f¨
ur n − 1. Nach dem Cauchyschen Mittelwertsatz ist zun¨
achst
f (x) −
P
n−1
k=0
f
(k)
(x
0
)
k!
(x − x
0
)
k
(x − x
0
)
n
=
f
0
(c) −
P
n−1
k=1
f
(k)
(x
0
)
(k−1)!
(c − x
0
)
k−1
n · (c − x
0
)
n−1
,
wobei c zwischen x und x
0
liegt. Durchl¨
auft hier x im ersten Ausdruck eine
gegen x
0
konvergente Folge, so durchl¨
auft die Zwischenstelle c eine ebenfalls
gegen x
0
konvergente Folge; ferner ist hier die Summe auf der rechten Seite
gerade das (n − 1)-te Taylorpolynom von f
0
an einer Zwischenstelle c. Nach
Induktionsannahme konvergiert daher die rechte Seite gegen
1
n
·
(f
0
)
(n−1)
(x
0
)
(n − 1)!
,
d.h. gegen f
(n)
(x
0
)/n!, und das war zu zeigen.
Satz. Es sei f in (a, b) erkl¨
art und (n−1)-mal differenzierbar, und außerdem
Ein
Extremwertkriterium
sei f
(n−1)
noch in x
0
∈ (a, b) differenzierbar. Es gelte
f
0
(x
0
) = f
00
(x
0
) = ... = f
(n−1)
(x
0
) = 0
und f
(n)
(x
0
) 6= 0. Dann gilt: Ist n gerade, so hat f in x
0
ein striktes
lokales Minimum oder Maximum, je nachdem ob f
(n)
(x
0
) > 0 oder < 0 ist.
Ist n ungerade, so hat f in x
0
weder ein lokales Minimum noch ein lokales
Maximum.
Beweis. Nach dem letzten Satz und den Voraussetzungen ¨
uber f kon-
vergiert
∆(x) :=
f (x) − f (x
0
)
(x − x
0
)
n
gegen f
(n)
(x
0
)/n!, wenn x gegen x
0
strebt, d.h. ∆(x) kann zu einer in x
0
stetigen Funktion ∆(x)fortgesetzt werden, und es ist
f (x) − f (x
0
) = ∆(x) · (x − x
0
)
n
.
Es ist aber ∆(x
0
)(= f
n
x
0
/n!) > 0 (bzw.< 0). Nach einem bekannten Satz
¨
uber stetige Funktionen gibt es daher eine ganze –Umgebung von x
0
, in
der ∆(x) strikt positiv (bzw.
strikt negativ) ist.
F¨
ur ein x aus dieser
Umgebung ist somit das Vorzeichen von f (x) − f (x
0
) gleich dem Vorzeichen
von (x − x
0
)
n
(bzw. −1 mal diesem Vorzeichen). Hieraus sind nun die im
Satz aufgestellten Behauptungen unmittelbar abzulesen.
Taylor-Entwicklung
113
Satz. Die Funktionen f, g seien (n − 1)-mal differenzierbar in (a, b), es seien
Regel von l’Hˆ
opital
f
(n−1)
, g
(n−1)
in x
0
∈ (a, b) differenzierbar. Gilt dann
f (x
0
) = . . . = f
(n−1)
(x
0
) = g(x
0
) = . . . = g
(n−1)
(x
0
) = 0,
aber
g
(n)
(x
0
) 6= 0,
so ist
lim
x→x
0
f (x)
g(x)
=
f
(n)
(x
0
)
g
(n)
(x
0
)
.
Beweis. Nach unserem vorletzten Satz und wegen der Voraussetzungen ist
lim
x→x
0
f (x)
(x − x
0
)
n
=
f
(n)
(x
0
)
n!
,
lim
x→x
0
g(x)
(x − x
0
)
n
=
g
(n)
(x
0
)
n!
.
Hieraus ist die behauptete Formel unmittelbar ersichtlich.
10
POTENZREIHEN
Eine Reihe der Gestalt
a
0
+ a
1
x + a
2
x
2
· · · =
∞
X
k=0
a
k
x
k
,
wobei die a
k
irgendwelche reellen Zahlen sind, nennt man Potenzreihe. Solch
eine Reihe wird f¨
ur gewisse Zahlen x konvergieren und f¨
ur andere divergie-
ren.
Satz. Falls eine Potenzreihe f¨
ur ein x
1
konvergiert, so ist sie f¨
ur jedes x mit
|x| < |x
1
| absolut konvergent.
Beweis. Da die Reihe f¨
ur x
1
konvergiert, bilden die Reihenglieder a
k
x
k
1
eine
Nullfolge, sind also insbesondere beschr¨
ankt — etwa
a
k
x
k
1
≤ M f¨
ur alle k.
Dann ist aber
a
k
x
k
≤ M
x
x
1
k
, d.h. die geometrische Reihe
P
k
M ·
x
x
1
k
ist eine Majorante f¨
ur
P
k
a
k
x
k
.
Demgem¨
aß nennt man die Zahl
Konvergenzradius
R := sup
n
r | r ≥ 0 ∧
X
|a
k
| r
k
ist konvergent
o
Konvergenzradius der Potenzreihe
P
k
a
k
x
k
.
Satz. Ist |x| < R, so ist
P
∞
k=0
a
k
x
k
absolut konvergent, ist |x| > R, so ist
P
∞
k=0
a
k
x
k
divergent.
Beweis. Ist |x| < R so gibt es — nach Definition von R — ein r, sodaß
|x| ≤ r < R und
P
∞
k=0
|a
k
| r
k
konvergiert.
Nach dem ersten Satz ist
daher
P
∞
k=0
a
k
x
k
absolut konvergent. W¨
are dagegen
P
∞
k=0
a
k
x
k
f¨
ur ein
|x| > R konvergent, so w¨
are — wieder nach dem ersten Satz — die Reihe
P
∞
k=0
|a
k
| r
k
f¨
ur jedes R < r < |x| konvergent. Dies steht im Widerspruch
zur Supremum-Eigenschaft von R.
¨
Uber das Verhalten in den Randpunkten ±R kann man keine allgemeine
Aussage machen. Zum Beispiel ist f¨
ur
∞
X
k=0
x
k
k
115
116
Kapitel 10
der Konvergenzradius R = 1; bei x = 1 ist die Reihe divergent, bei x = −1
konvergent. Man beachte ferner, daß auch die extremen F¨
alle R = ∞, d.h.
die Potenzreihe konvergiert f¨
ur alle x, oder auch R = 0, d.h. die Potenzreihe
konvergiert nur f¨
ur x = 0, auftreten k¨
onnen. Beispiele hierf¨
ur sind jeweils
die Potenzreihen
∞
X
k=0
x
k
k!
∞
X
k=0
k! x
k
.
Satz. Die Potenzreihen
P
∞
k=0
a
k
x
k
und
P
∞
k=0
ka
k
x
k−1
haben den gleichen
Konvergenzradius.
Beweis. Die Konvergenzradien der beiden Reihen seien R und R
0
. Wir
zeigen zun¨
achst R < R
0
. Sei |x| < R. ist dann |x| < |x
1
| < R, so ist
P
k
a
k
x
k
1
konvergent, also
a
k
x
k
1
≤ M mit einer geeigneten Konstanten M ,
also ist
P
k
kM
x
x
1
k
eine konvergente Majorante der Reihe
P
k
ka
k
x
k−1
,
mithin |x| ≤ R
0
. Zur umgekehrten Ungleichung R
0
≤ R: ist |x| ≤ R
0
, so ist
P
k
k
a
k
x
k−1
1
konvergent f¨
ur jedes |x| < |x
1
| < R; es ist aber
P
k
k
a
k
x
k−1
1
eine Majorante f¨
ur
P
k
a
k
x
k−1
1
, also ist
P
k
a
k
x
k
1
konvergent, also ist erst
recht
P
k
k
a
k
x
k
konvergent.
Der Satz ist eine Vorbereitung f¨
ur den n¨
achsten
Satz. Der Konvergenzradius der Potenzreihe
P
∞
k=0
a
k
x
k
sei R > 0. Dann
wird durch
f (x) :=
∞
X
k=0
a
k
x
k
(|x| < R)
eine im Intervall (−R, +R) definierte, differenzierbare Funktion erkl¨
art. F¨
ur
die Ableitung gilt
f
0
(x) =
∞
X
k=0
ka
k
x
k−1
.
Beweis. Sei |x| < R und h so klein, daß noch |x| + |h| < R ist. Dann ist
jedenfalls |x + h| < R und wir k¨
onnen schreiben:
f (x + h) =
∞
X
k=0
a
k
(x + h)
k
=
∞
X
k=0
k
X
κ=0
a
k
k
κ
x
k−κ
h
κ
.
Nun bleibt aber der hier rechts stehende Ausdruck wegen unserer Wahl von
x und h sogar noch konvergent, wenn man die einzelne Summanden jeweils
Potenzreihen
117
durch ihre Absolutbetr¨
age ersetzt; denn mit der gleichen Rechnung wie eben
ist
∞
X
k=0
k
X
κ=0
a
k
k
κ
x
k−κ
h
κ
=
∞
X
k=0
|a
k
| (|x| + |h|)
k
,
und es soll ja |x| + |h| < R gelten. Nach einem allgemeinen Sachverhalt,
den wir gleich noch als Satz nachstellen werden, folgt in dieser Situation,
daß wir auf der rechten Seite unserer eben abgeleiteten Formel f¨
ur f (x + h)
die Summationsreihenfolge vertauschen d¨
urfen, d.h. daß
f (x + h) =
∞
X
κ=0
f
κ
(x)h
κ
mit
f
κ
(x) =
∞
X
k=κ
k
κ
a
k
x
k−κ
ist, und daß hierbei die Reihe der f
κ
(x)h
κ
und die die f
κ
(x) definierenden
Reihen absolut konvergent sind. Damit haben wir dann bei festgehaltenem
x eine Darstellung von f (x + h) als Potenzreihe in h. Insbesondere ist
f (x + h) − f (x)
h
=
∞
X
κ=1
f
κ
(x)h
κ−1
,
und da nach einem fr¨
uheren Satz die durch eine Potenzreihe dargestellte
Funktion im Punkt 0 stetig ist, finden wir
lim
x→0
f (x + h) − f (x)
h
= f
1
(x).
Also ist f bei x differenzierbar, und die Ableitung ist
f
1
(x) =
∞
X
k=0
ka
k
x
k−1
.
Das war aber gerade zu beweisen.
Die im Beweis angesprochen allgemeine Tatsache ist der folgende
Satz. Die unendliche Doppelreihe
Vertauschung der
Summationsreihenfolge
bei absolut
konvergenten
Doppelreihen
∞
X
m=0
∞
X
n=0
|a
m,n
| = lim
M →∞
M
X
m=0
lim
N →∞
N
X
n=0
|a
m,n
|
!
sei konvergent. Dann sind die beiden Doppelreihen
∞
X
m=0
∞
X
n=0
a
m,n
∞
X
n=0
∞
X
m=0
a
m,n
konvergent, und ihre Werte sind gleich.
118
Kapitel 10
Der Beweis dieses Satzes kann mit ganz ¨
ahnlichen ¨
Uberlegungen wie der Be-
weis des Satzes ¨
uber das Produkt unendlicher Reihen im Kapitel 6 erbracht
werden; wir lassen ihn als ¨
Ubungsaufgabe.
Den vorletzten Satz kann man nat¨
urlich iterieren. Damit erh¨
alt man, daß
eine durch eine Potenzreihe definierte Funktion im Innern des Konvergenz-
intervalls unendlich oft differenzierbar ist, also eine C
∞
–Funktion darstellt,
und die Ableitungen erh¨
alt man stets durch gliedweises differenzieren. Funk-
tionen, die eine Potenzreihendarstellung besitzen, haben einen eigenen Na-
men.
Eine auf einem Intervall (a, b) erkl¨
arte Funktion f heißt ana-
lytisch im Punkt x
0
∈ (a, b), falls es eine Potenzreihe
∞
X
k=0
a
k
x
k
mit positivem Konvergenzradius eine > 0 gibt, sodaß
f (x) =
∞
X
k=0
a
k
(x − x
0
)
k
f¨
ur alle |x − x
0
| < gilt.
Analytische
Funktionen
Eine auf einem offenen Intervall definierte Funktion heißt analytisch, falls
sie in jedem Punkt des Intervalls analytisch ist. Wie wir im Beweis des
vorletzten Satz gesehen haben, gilt
Satz. Der Konvergenzradius der Potenzreihe
P
∞
k=0
a
k
x
k
sei R > 0. Dann
wird durch
f (x) :=
∞
X
k=0
a
k
x
k
(|x| < R)
eine im Intervall (−R, +R) definierte, analytische Funktion erkl¨
art.
Man beachte, daß keineswegs jede unendlich oft differenzierbare Funktion
analytisch ist: f (x) = e
−1/x
2
f¨
ur x > 0 und f (x) = 0 f¨
ur x ≤ 0 ist unendlich
oft differenzierbar, aber bei x = 0 nicht analytisch. Wichtig ist noch der
folgende
Satz. Ist f analytisch in x
0
, d.h. gilt f (x) =
P
∞
k=0
a
k
(x − x
0
)
k
f¨
ur alle x
aus einem x
0
enthaltenen offenen Intervall, so gilt
a
k
=
f
(k)
(0)
k!
.
Beweis. Man differenziere
P
∞
k=0
a
k
(x − x
0
)
k
gliedweise und setze x = x
0
.
Dies liefert die behauptete Formel.
Potenzreihen
119
Insbesondere zeigt der eben bewiesene Satz, daß die Potenzreihenentwick-
lung einer analytischen Funktion um einen vorgegebenen Punkt eindeutig
bestimmt ist: es ist gerade die Taylorentwicklung um diesen Punkt. Deshalb
spricht man bei analytischen Funktionen auch von der Potenzreihenentwick-
lung um einen vorgegebenen Punkt.
Als Anwendung der kleinen Theorie ¨
uber Potenzreihen berechnen wir die
Reihenentwicklung des
Arcustangens
Potenzreihenentwicklung des arctan x bei x = 0. Die Funktion
tan x =
sin x
cos x
ist definiert f¨
ur x ∈ R \
π
2
+ πZ
. Sie ist unendlich oft differenzierbar
(sogar analytisch — was uns hier aber nicht interessiert) und periodisch:
tan( x + π) = tan(x) f¨
ur alle x.
Es ist leicht zu sehen, daß sie bei
Einschr¨
ankung eine bijektive Abbildung (−
π
2
, −
π
2
) → R definiert. Die
Umkehrabbildung wird mit arctan y bezeichnet; es ist also zun¨
achst ein-
mal eine differenzierbare Funktion. Wir werden gleich sehen, daß sie bei
y = 0 analytisch ist (sie ist sogar auf ganz R analytisch — was hier aber
nicht weiter verfolgt wird.) Es gilt
tan
0
x = 1 + tan
2
x,
und daher
arctan
0
y =
1
tan
0
(arctan y)
=
1
1 + y
2
.
Entwickeln wir 1/ 1 + y
2
in die geometrische Reihe, so erhalten wir
arctan
0
y =
∞
X
k=0
(−1)
k
y
2k
(|y| < 1).
Hieraus erhalten wir durch Anwendung des oben angegebenen Satzes ¨
uber
das gliedweise Differenzieren von Potenzreihen:
arctan y = c +
∞
X
k=0
(−1)
k
x
2k+1
2k + 1
,
mit einer Konstanten c. Diese muß aber gleich 0 sein, wie man sieht, indem
man in diese Gleichung y = 0 setzt (beachte: arctan 0 = 0). Hierbei haben
wir noch den folgenden einfachen, aber wichtigen Sachverhalt benutzt:
Satz. Seien f, g zwei im Intervall (a, b) differenzierbare Funktionen, und es
gelte f
0
= g
0
. Dann ist f = g + c mit einer geeigneten Konstanten c.
Beweis. Sei h = f − g. Sind x
1
, x
2
beliebige Punkte in (a, b), so gilt nach
dem Mittelwertsatz
h(x
1
) − h(x
2
) = h
0
(ξ)(x
1
− x
2
)
mit einem geeigneten Zwischenwert ξ. Aber h
0
= f
0
− g
0
= 0, also h(x
1
) =
h(x
2
), und da x
1
, x
2
beliebige Punkte sind, folgt, daß h konstant ist, und
das wurde behauptet.
Somit erhalten wir den
120
Kapitel 10
Satz. F¨
ur alle |y| < 1 ist
arctan y = x −
x
3
3
+
x
5
5
− + · · · =
∞
X
k=0
(−1)
k
x
2k+1
2k + 1
.
11
GLEICHM ¨
ASSIGE STETIGKEIT
UND GLEICHM ¨
ASSIGE KONVERGENZ
Als Vorbereitung f¨
ur die Integralrechnung im n¨
achsten Kapitel stellen wir
hier zwei S¨
atze ¨
uber stetige Funktionen und Folgen von stetigen Funktionen
zusammen. Wir definieren zun¨
achst
Eine auf M erkl¨
arte, reellwertige Funktion f heißt gleichm¨
aßig
stetig, falls gilt:
∀ > 0∃δ > 0∀x, y ∈ M (|x − y| < δ =⇒ |f (x) − f (y)| < ).
Gleichm¨
aßige
Stetigkeit
Man beachte den Unterschied zur gew¨
ohnlichen Stetigkeit, der hier zun¨
achst
einmal in der anderen Reihenfolge der Quantoren augenf¨
allig wird: eine auf
M definierte, reellwertige Funktion f ist stetig, falls gilt:
∀y ∈ M ∀ > 0∃δ > 0∀xinM (|x − y| < δ =⇒ |f (x) − f (y)| < ).
Jedenfalls ist eine gleichm¨
aßig stetige Funktion auch stetig. Die Umkehrung
gilt im Allgemeinen nicht — es sei denn, man stellt gewisse Voraussetzungen
an M , etwa, daß M ein abgeschlossenes Intervall ist.
Satz. Sei f eine auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b] definierte, stetige
Funktion. Dann ist f gleichm¨
aßig stetig.
Beweis. Wir nehmen an, daß f nicht gleichm¨
aßig stetig w¨
are, d.h.
∃ > 0∀δ > 0∃x, y ∈ [a, b](|x − y| < δ ∧ |f (x) − f (y)| ≥ ).
Es gibt also ein > 0, sodaß wir zu jeder ganzen Zahl n > 0 x
n
und y
n
im
Intervall [a, b] finden k¨
onnen, sodaß |x
n
− y
n
| <
1
n
, aber |f (x
n
) − f (y
n
)| ≥ .
Die Folge {x
n
} ist als Zahlenfolge im Intervall [a, b] beschr¨
ankt und hat somit
eine konvergente Teilfoge — etwa {x
k
n
}. Die Folge {y
k
n
} hat aus demselben
Grund ebenfalls eine konvergente Teilfolge — etwa {y
l
n
}. Die beiden Folgen
{x
l
n
} und {y
l
n
} haben den gleichen Limes — etwa c, denn es ist ja
|x
l
n
− y
l
n
| <
1
l
n
→ 0.
Nun ist c ∈ [a, b], da das Intervall ja abgeschlossen ist. Wegen der Stetigkeit
von f ist daher
f (c) = lim
n
f (x
l
n
) = lim
n
f (y
l
n
).
121
122
Kapitel 11
Auf der anderen Seite ist aber
|f (x
l
n
) − f (y
l
n
)| ≥ ,
und dies ist absurd.
Eine Folge von auf einer Menge M definierten, reellwertigen
Funktionen f
n
heißt punktweise konvergent gegen die Funktion
f , falls f¨
ur jedes x ∈ M die Folge f
n
(x) gegen f (x) konvergiert.
Punktweise
Konvergenz
Ein engerer Konvergenzbegriff f¨
ur Folgen von Funktionen ist
Eine Folge von auf einer Menge M definierten, reellwertigen
Funktionen f
n
heißt gleichm¨
aßig konvergent gegen die Funk-
tion f , falls gilt
∀ > 0∃n
0
∈ N∀x ∈ M∀n ≥ n
0
(|f
n
(x) − f (x)| < ).
Gleichm¨
aßige
Konvergenz
Offenbar ist eine gleichm¨
aßig konvergente Folge von Funktionen insbeson-
dere punktweise konvergent. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht.
Auch die im n¨
achsten Satz ausgesprochene Tasache ist f¨
ur lediglich punk-
tweise konveergente Folgen von Funktionen falsch.
Satz. Die Folge von auf M definierten Funktionen f
n
konvergiere auf M
gleichm¨
aßig gegen die Funktion f . Sind die f
n
stetig, so ist auch f stetig.
Beweis. Wir zeigen die Stetigkeit von f in einem y ∈ M . Zu gegebenem
> 0 gibt es wegen der gleichm¨
assigen Konvergenz ein n
0
sodaß f¨
ur alle
|f (x) − f
n
0
(x)| <
3
f¨
ur alle x ∈ M
. Wegen der Stetigleit von f
n
0
gibt es ein δ > 0, sodaß
|f
n
0
(x) − f
n
0
(y)| <
3
f¨
ur alle |x − y| < δ.
Dann gilt aber f¨
ur alle |x − y| < δ.
|f (x) − f (y)| ≤ |f (x) − f
n
0
(x)| + |f
n
0
(x) − f
n
0
(y)| + |f
n
0
(y) − f (y)| < ,
und das war zu zeigen.
12
INTEGRAL
Ist eine Funktion f : [a, b] → R gegeben, so daß f (x) ≥ 0 f¨
ur jedes x ∈ [a, b]
ist, kann man die Menge M = {(x, y) | x ∈ [a, b] ∧ 0 ≤ y ≤ f (x)} betrach-
ten und ihren Fl¨
acheninhalt zu bestimmen suchen, indem man M durch
Rechtecke approximiert.
Nat¨
urlich kommt es auch vor, daß eine Funktion unter die Achse ger¨
at.
Dabei werden die “Fl¨
acheninhalte” der St¨
ucke unterhalb der Achse negativ
gez¨
ahlt.
Einige Vorbereitungen: Intervalle sind im folgenden alle Mengen eines der
folgenden Typen f¨
ur α, β ∈ R mit α ≤ β: [α, β], (α, β], [α, β), (α, β) und Ø.
Sei nun a < b. Dann ist eine Zerlegung ζ von [a, b] eine Darstellung von [a, b]
Zerlegung von
Intervallen
als disjunkte Vereinigung von endlich vielen Intervallen I
k
, ζ = {I
1
, ...I
q
}.
Wir verlangen also, daß I
i
∩I
k
= Ø falls i 6= k und weiterhin, daß
S
q
k=1
I
k
=
[a, b] ist.
Beispiel: ¨
Aquidistante Zerlegung. Man f¨
uhre Punkte x
k
: = a + k
b−a
q
ein,
f¨
ur k = 0, 1, ...q, und setze dann I
k
: = [x
k−1
, x
k
) f¨
ur k = 1, ...q − 1; I
q
: =
[x
q−1
, x
q
].
Zweites Beispiel: Man w¨
ahle irgendeine endliche Folge a = x
0
, x
1
, ...x
n
= b
in [a, b], so daß f¨
ur k = 1, 2, ...n, x
k−1
< x
k
ist. Dann ist
ζ = {(x
k−1
, x
k
), {x
e
} | k = 1, ...n; e = 0, 1, ...n}
eine Zerlegung von [a, b].
Eine Treppenfunktion t: [a, b] → R ist eine Abbildung, zu der es eine Zer-
Treppenfunktionen
legung ζ = {I
1
, ...I
q
} von [a, b] und Zahlen c
1
, ...c
k
gibt, so daß t(x) = c
k
f¨
ur jedes x ∈ I
k
ist, k = 1, ...q. Eine Treppenfunktion ist also “intervall-
weise konstant”. Die zur Treppenfunktion geh¨
orende Zerlegung ζ ist aber
keineswegs eindeutig bestimmt.
Wir wollen nun stetige Funktionen durch Treppenfunktionen approximieren.
Dazu betrachten wir den Vektorraum V = {g: [a, b] → R | g beschr¨ankt }.
Er wird zum normierten Vektorraum, indem man die Norm
kgk: = sup
x∈[a,b]
|g(x)|
123
124
Kapitel 12
einf¨
uhrt. Die Abbildung g → kgk hat die ¨
ublichen Normeigenschaften:
(a). kgk ≥ 0
(b). kλ · gk = |λ| · kgk
(c). kg + hk ≤ kgk + khk
(d). kgk = 0 ⇔ g = 0
f¨
ur jedes g und h aus V, λ ∈ R.
Satz. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann gibt es zu jedem > 0 eine Treppen-
funktion t, so daß kf − tk < , d.h. sup
x∈[a,b]
|f (x) − t(x)| < .
Bemerkung: Insbesondere gilt dann, daß
|f (x) − t(x)| <
f¨
ur
∀x ∈ [a, b].
(1)
Ist umgekehrt f¨
ur jedes x ∈ [a, b], |f (x) − t(x)| < so ist eine obere
Schranke von {|f (x) − t(x)| | x ∈ [a, b]}, deren Supremum kf − tk < ist
(eine - auf einer geschlossenen Menge definierte - stetige Funktion nimmt
ihr Supremum an). Also ist die Behauptung des Satzes ¨
aquivalent zu (1).
Beweis. Wir wissen schon, daß f sogar gleichm¨
aßig stetig ist, d.h.
∀ > 0 ∃δ > 0 so daß ∀x, y ∈ [a, b] |x − y| < δ ⇒ |f (x) − f (y)| < .
(∗)
Sei also > 0 gegeben. Dann w¨
ahlen wir eine Zerlegung ζ wie im zweiten
Beispiel, so daß |x
k−1
− x
k
| < δ f¨
ur k = 1, 2, ...n. Nun konstruieren wir wie
folgt eine Treppenfunktion t: Setzen wir
t(x): = f (x
k−1
) f¨
ur x ∈ (x
k−1
, x
k
)
t(x
k
): = f (x
k
).
Dann ist
|f (x) − t(x)| =
0,
falls x = x
k
f¨
ur ein k
|f (x) − f (x
k−1
)| < ,
falls x ∈ (x
k−1
, x
k
) f¨
ur ein k,
denn offenbar ist |x − x
k−1
| im letzteren Fall < δ. Also ist kf − tk < .
Satz. Sei f : [a, b] → R stetig. Dann gibt es eine Folge von Treppenfunktio-
Stetige Funktionen
sind gleichm¨
aßig
approximierbar durch
Treppenfunktionen
nen t
n
, die gleichm¨
aßig gegen f konvergiert.
Bemerkung: f
n
konvergiert gleichm¨
aßig gegen f ⇔ lim
n→∞
kf − f
n
k = 0
Beweis. Setze : =
1
n
und w¨
ahle Treppenfunktion t
n
, so daß kf − t
n
k <
=
1
n
(dies ist m¨
oglich nach dem letzten Satz). F¨
ur jedes x ∈ [a, b] ist
also |f (x) − t
n
(x)| <
1
n
. Dies bedeutet aber, daß die t
n
gleichm¨
aßig gegen
Integral
125
f konvergieren; ist > 0 gegeben, w¨
ahle n
0
so, daß
1
n
0
< . Dann ist f¨
ur
n > n
0
, |f (x) − t
n
(x)| <
1
n
<
1
n
0
< , unabh¨
angig von x.
Die Idee ist nun wie folgt: Wollen wir das Integral einer stetigen Funktion
f erkl¨
aren, werden wir diese durch Treppenfunktionen gleichm¨
aßig approx-
imieren, deren Integrale - die gleich definiert werden - das Integral von f
approximieren.
Dazu definieren wir die L¨
ange λ(I) des Intervalls I mit den Endpunkten α
L¨
ange eines Intervalls
und β, α ≤ β als λ(I): = β − α.
Ist t eine Treppenfunktion bez¨
uglich der Zerlegung ζ = {I
1
, ...I
q
}, so sei das
Integral einer
Treppenfunktion bzgl.
einer Zerlegung
Integral der Treppenfunktion t bez¨
uglich der Zerlegung ζ
I
ζ
(t): =
q
X
k=1
c
k
· λ(I
k
).
(wobei t = c
k
auf I
k
ist.)
Da die Zerlegung ζ zur Treppenfunktion t nicht eindeutig bestimmt ist,
k¨
onnte das Integral I
ζ
(t) auch von ζ abh¨
angen:
Satz. Das Integral I
ζ
(t) h¨
angt nicht von ζ ab.
Beweis. Eine Zerlegung ζ des Intervalls [a, b] ist eine Zerlegung in disjunkte
Teilintervalle. Diese Zerlegung kann verfeinert werden, indem man die Inter-
valle I
k
der Zerlegung ζ weiter zerlegt: I
k
= ∪
e
k
e=1
˜
I
k
e
, dabei sind die ˜
I
k
e
eben-
falls disjunkte Intervalle. Dann ist offenbar c
k
· λ(I
k
) =
P
e
k
e=1
c
k
· λ( ˜
I
k
e
). Ist
also die Zerlegung ζ
0
durch Verfeinerung aus der Zerlegung ζ entstanden, so
ist I
ζ
(t) = I
ζ
0
(t); ζ
0
ist nat¨
urlich auch eine Zerlegung zur Treppenfunktion
t. Zum Beweis des Satzes ist nun lediglich noch zu ¨
uberlegen, daß man zu je
zwei vorgelegten Zerlegungen ζ
1
und ζ
2
, bez¨
uglich welcher t Treppenfunktion
ist, eine beiden gemeinsame Verfeinerung finden kann: Ist ζ
1
=
I
1
1
, ...I
1
k
und ζ
2
=
I
2
1
, ...I
2
e
,
so kann man
ζ: =
I
1
i
∩ I
2
j
| i = 1, ...k; j = 1, ...e
nehmen.
Also ist I
ζ
1
(t) = I
ζ
(t) = I
ζ
2
(t).
Nun k¨
onnen wir das Integral I(t) f¨
ur eine Treppenfunktion t definieren:
Integral einer
Treppenfunktion
I(t) = I
ζ
(t)
,
wobei ζ irgendeine Zerlegung zu t ist.
Offenbar ist die Menge V
T F
= {t: [a, b] → R | t Treppenfunktion} ein Vek-
torraum und es gilt:
Satz.
I(t
1
± t
2
) = I(t
1
) ± I(t
2
)
I(λ · t) = λ · I(t),
126
Kapitel 12
in Worten: I ist eine lineare Abbildung vom V
T F
nach R.
Beweis. Ist t eine Treppenfunktion bez¨
uglich ζ, so gilt dies auch f¨
ur λ · t.
Nimmt also t die Werte c
k
an, so nimmt λ · t die Werte λ · c
k
an. Also ist
I(λ · t) =
X
k
λ · c
k
· λ(I
k
) = λ ·
X
k
c
k
· λ(I
k
) = λ · I(t).
Was die Summe t
1
± t
2
betrifft, w¨
ahlen wir - wie im Beweis zum vorheri-
gen Satz - eine gemeinsame Zerlegung ζ, bez¨
uglich welcher t
1
und t
2
beide
Treppenfunktionen sind und erhalten
I(t
1
)±I(t
2
) =
X
k
c
k
·λ(I
k
)±
X
k
d
k
·λ(I
k
) =
X
k
(c
k
±d
k
)·λ(I
k
) = I(t
1
±t
2
),
wenn t
1
die Werte c
k
und t
2
die Werte d
k
annimmt.
Satz. |I(t)| ≤ (b − a) · ktk
Eine Absch¨
atzung
Beweis. |I(t)| ≤
P
q
k=1
|c
k
|λ(I
k
) ≤ max
k
c
k
·
P
q
k=1
λ(I
k
) = ktk · (b − a), denn
es ist ktk: = sup
x∈[a,b]
|t(x)| = max
k
|c
k
|, da die Funktion t nur die endlich
vielen Werte c
k
annimmt.
Satz. Wenn die Folge (t
n
)
n∈N
von Treppenfunktionen t
n
gleichm¨
aßig gegen
f konvergiert, dann konvergiert die Folge (I(t
n
))
n∈N
.
Bemerkung: Den Limes werden wir das Integral von f nennen, wenn f eine
stetige Funktion ist. Wir brauchen aber noch eine Unabh¨
angigkeitsaussage,
um
R
b
a
f (x) dx definieren zu k¨
onnen.
Beweis. Entsprechend der Annahme gleichm¨
aßiger Konvergenz gibt es zu
jedem > 0 ein n
0
, so daß f¨
ur n > n
0
, kf − t
n
k < . Folglich ist
f¨
ur
n, m > n
0
, kt
n
− t
m
k ≤ kt
n
− f k + kf − t
m
k < 2.
Also ist
|I(t
m
) − I(t
n
)| = |I(t
n
− t
m
)| ≤ kt
m
− t
n
k · (b − a) < 2(b − a).
Da der Faktor 2(b − a) konstant ist, bildet die Folge der Integrale eine
Cauchy-Folge, also konvergiert sie.
Satz. Konvergieren (t
n
)
n∈N
und (˜
t
n
)
n∈N
gleichm¨
aßig gegen f, so ist
lim
n→∞
I(t
n
) = lim
n→∞
I(˜
t
n
).
Integral
127
Beweis. Die Folge von Treppenfunktionen t
1
, ˜
t
1
, t
2
, ˜
t
2
, ... konvergiert gleich-
m¨
aßig gegen f, demnach konvergiert auch die Folge
I(t
1
), I(˜
t
1
), I(t
2
), I(˜
t
2
), ...
deren Teilfolgen denselben Limes haben. Die Behauptung folgt.
Definieren wir nun das Integral einer stetigen Funktion f : [a, b] → R,
Definition des Integrals
einer stetigen Funktion
Z
b
a
f (x) dx: = lim
n→∞
I(t
n
),
wobei (t
n
)
n∈N
eine Folge von Treppenfunktionen ist, die f gleichm¨
aßig ap-
proximiert. Welche solche Folge man ausw¨
ahlt ist f¨
ur den Wert des Integrals
- nach dem letzten Satz - unerheblich.
Bemerkung: Auf die geschilderte Art kann man “
R
b
a
f (x) dx” f¨
ur jede
Funktion f : [a, b] → R , die gleichm¨aßiger Limes einer Folge von Treppen-
funktionen ist, definieren. Beispielsweise kann f dann selbst eine Treppen-
funktion sein.
Von einer Einteilung E des Intervalls wollen wir immer dann sprechen, wenn
Einteilung eines
Intervalls
wir eine endliche Folge a = x
0
< x
1
< ... < x
q
= b vorgelegt haben. Die
Feinheit der Einteilung E ist per Definition ϕ(E): = max
i=1,...q
|x
i
− x
i−1
|.
Feinheit einer
Einteilung
Zur Einteilung E hatten wir bereits eine Zerlegung ζ angegeben (Zweites
Beispiel). Zu dieser Zerlegung und einer vorgelegten Funktion f kann man
durch beliebige Wahl von Punkten ξ
k
∈ [x
k−1
, x
k
] eine Treppenfunktion
definieren, und zwar durch
t(x) = f (ξ
k
)
f¨
ur
x ∈ (x
k−1
, x
k
)
t(x
k
) = f (x
k
).
Die Riemannsche Summe von f zur Einteilung E und den gew¨
ahlten ξ
k
∈
Riemannsche Summe
[x
k−1
, x
k
] ist per Definition
q
X
k=1
f (ξ
k
) · (x
k
− x
k−1
) = I(t)
Diese Riemannsche Summe h¨
angt also von E und den ξ
k
ab. Als Spezialfall
kann man die Riemannsche Untersumme von einer stetigen Funktion f zur
Riemannsche
Untersumme
Einteilung E erkl¨
aren:
q
X
k=1
m
k
· (x
k
− x
k−1
),
wobei m
k
: = Infimum von f auf [x
k−1
, x
k
],
welches wegen der Stetigkeit von f bekanntlich an einer Stelle ξ
k
∈ [x
k−1
, x
k
]
angenommen wird.
Analog erh¨
alt man mit den Maxima M
k
von f in
[x
k−1
, x
k
] der Riemannschen Obersumme von f :
P
q
k=1
M
k
· (x
k
− x
k−1
).
Riemannsche
Obersumme
128
Kapitel 12
Satz. Es sei (E
n
)
n∈N
eine Folge von Einteilungen, f¨
ur die lim
n→∞
ϕ(E
n
) = 0
Approximation durch
Riemannsummen
ist. Dann ist
lim
n→∞
q
n
X
k=1
f (ξ
(n)
k
) · (x
(n)
k
− x
(n)
k−1
) =
Z
b
a
f (x) dx
Bemerkung: Jede Folge von Riemannschen Summen zu den Einteilungen
E
n
konvergiert also gegen das Integral von f, sofern nur die Feinheiten der
Einteilungen eine Nullfolge bilden.
Beweis. F¨
uhren wir die Treppenfunktionen t
n
ein, durch
t
n
(x) = f (ξ
(n)
k
)
falls
x ∈ (x
(n)
k−1
, x
(n)
k
)
t
n
(x
(n)
k
) = f (x
(n)
k
).
Wir wollen zeigen, daß die t
n
gleichm¨
aßig gegen f konvergieren, denn die
I(t
n
) sind ja gerade die o.g. Riemannschen Summen. Zu > 0 w¨
ahle man
ein δ > 0, so daß |x − y| < δ ⇒ |f (x) − f (y)| < , und man w¨
ahle ein n
0
,
so daß f¨
ur n > n
0
, ϕ(E
n
) < δ ist. Dann ist |f (x) − t
n
(x)| < f¨
ur alle
x ∈ [a, b], sofern n > n
0
ist. Denn in x = x
(n)
k
ist die linke Seite gleich 0; ist
aber x ∈ (x
(n)
k−1
, x
(n)
k
), so ist t
n
(x) = f (ξ
(n)
k
) und ξ
(n)
k
∈ [x
(n)
k−1
, x
(n)
k
]. Dann
ist
|x − ξ
(n)
k
| ≤ |x
(n)
k
− x
(n)
k−1
| ≤ ϕ(E
n
) < δ,
wonach
|f (x) − t
n
(x)| = |f (x) − f (ξ
(n)
k
)| <
ist.
Es sei f : [0, 1] → R, x → x
2
. Wir w¨
ahlen ¨
aquidistante Einteilungen
Beispiele
E
n
: x
(n)
0
= 0, x
(n)
1
=
1
n
, . . . , x
(n)
k
=
k
n
, . . . , x
(n)
n
= 1.
Dann ist ϕ(E
n
) =
1
n
, d.h. lim
n→∞
ϕ(E
n
) = 0. Die Obersumme zu E
n
ist
P
n
k=1
k
n
2
·
1
n
= (∗)
n
, denn die Maxima von f auf den Intervallen
[x
(n)
k−1
, x
(n)
k
] werden am rechten Rand angenommen, da f monoton w¨
achst.
(∗)
n
=
1
n
·
n(n + 1)(2n + 1)
6
=
(1 +
1
n
)(2 +
1
n
)
6
.
Demnach gilt lim
n→∞
(∗)
n
=
1
3
=
R
1
0
x
2
dx.
Zweites Beispiel: Es sei f (x): =
1
x
auf dem Intervall [a, b], wobei 0 < a < b
ist. Immerhin ist
1
x
: [a, b] → R gleichm¨aßig stetig, weil auf einem abgeschlos-
senen Intervall definiert und stetig. (
1
x
: (0, ∞) → R ist nicht gleichm¨aßig
stetig!)
Als n-te Einteilung w¨
ahlen wir:
a, ac
n
, ac
2
n
, ...ac
n
n
,
wobei
c
n
: =
n
r
b
a
.
Integral
129
Die Einteilungen sind also geometrische Folgen, d.h. man hat konstante
Quotienten aufeinanderfolgender Glieder. Die Riemannsche Obersumme ist
n
X
k=1
1
ac
k−1
n
· (ac
k
n
− ac
k−1
n
) = n · (
n
r
b
a
− 1),
da f monoton f¨
allt. Was wissen wir ¨
uber die Feinheit ϕ(E
n
)? Die Inter-
vall¨
angen sind ac
k
n
− ac
k−1
n
= ac
k
n
· (1 −
1
c
n
) Da c
n
> 1 ist, ist
ϕ(E
n
) = ac
n
n
− ac
n−1
n
= b −
b
c
n
= b · (1 −
1
c
n
),
es gilt also lim
n→∞
ϕ(E
n
) = 0. Nach unseren Satz ist demnach
Z
b
a
1
x
dx = lim
n→∞
b
a
1
n
− 1
1
n
= lim
x→0
b
a
x
− 1
x
=
= lim
x→0
ln(
b
a
) ·
b
a
x
1
(nach l’Hˆ
opital)
= ln b − ln a.
Beweisen wir nun den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung, der
Hauptsatz der
Differential- und
Integralrechnung
etwas ¨
uber die Verbindung von Integral und Differential aussagt:
Satz. Es sei F : [a, b] → R stetig, F : (a, b) → R differenzierbar. Weiter sei
f : [a, b] → R stetig und f = F
0
in (a, b). Dann ist
R
b
a
f (x) dx = F (b) − F (a)
Bemerkung: Man sagt auch, daß F Stammfunktion von f sei, wenn F
0
= f
Stammfunktion
ist. Ist F eine Stammfunktion von f , dann ist auch (F + Konstante)
0
= f,
demnach hat f mehrere Stammfunktionen (wenn - was noch gezeigt wird -
f ¨
uberhaupt eine Stammfunktion besitzt).
Beweis. Es sei eine Einteilung a = x
0
, x
1
, . . . , x
q
= b gegeben. Dann ist
nach dem Mittelwertsatz der Differenzialrechnung
F (x
k
) − F (x
k−1
) = f (ξ
k
) · (x
k
− x
k−1
),
(∗)
f¨
ur einen Punkt ξ
k
zwischen x
k−1
und x
k
. Also ist die zugeh¨
orige Rie-
mannsche Summe
P
q
k=1
f (ξ
k
) · (x
k
− x
k−1
) = F (b) − F (a), bei Wahl der ξ
k
gem¨
aß (∗). Nimmt man irgendeine Folge von Einteilungen E
n
, f¨
ur die die
Feinheit ϕ(E
n
) gegen 0 konvergiert, und w¨
ahlt man Riemannsche Summen
f¨
ur jedes E
n
auf die geschilderte Weise, so gilt nach dem vorherigen Satz
Z
b
a
f (x) dx = lim
n→∞
[F (b) − F (a)] = F (b) − F (a).
130
Kapitel 12
Zu f (x) = x
2
ist F (x) =
x
3
3
Stammfunktion , demnach ist
R
b
a
x
2
dx =
Beispiele
b
3
3
−
a
3
3
, ebenso folgt aus dem Hauptsatz
R
b
a
1
x
dx = ln b − ln a.
Betrachten wir f (x) =
√
1 − x
2
f¨
ur x ∈ [−1, 1]. Dort ist f stetig, und in
Fl¨
acheninhalt des
Einheitskreises
(−1, 1) sogar differenzierbar. Am Rand ist f nicht differenzierbar, selbst
wenn man die naheliegenden Limites nur einseitig bildete, denn die Kreis-
linie hat am Rand senkrechte Tangenten. K¨
onnen wir eine Stammfunktion
F : [−1, 1] → R (F stetig, in (−1, 1) differenzierbar und F
0
= f ) zu
√
1 − x
2
finden?
Versuchen wir es mit:
F (x) =
1
2
· (arcsin(x) + x
p
1 − x
2
).
Immerhin ist F (x) stetig, und die Ableitung kennen wir auch,
denn
arcsin
0
(x) =
1
√
1 − x
2
,
d.h.
F
0
(x) =
1
2
·
1
√
1 − x
2
+
1
2
· x ·
−x
√
1 − x
2
1
2
·
p
1 − x
2
=
p
1 − x
2
.
Man kann aber auch durch Nachdenken daraufkommen:
1
2
x
√
1 − x
2
ist die
Fl¨
ache des Dreiecks D. Kann auch arcsin(x) als Fl¨
acheninhalt gedeutet wer-
den? Wir wissen, daß die Fl¨
ache des Sektors S gleich der halben Bogenl¨
ange
ist (d.h. eigentlich d¨
urften wir es nicht wissen), also ist die Fl¨
ache des Sek-
tors S gleich
a
2
. Da aber sin(a) = x ist, ist die Sektorfl¨
ache
1
2
arcsin(x),
die Fl¨
ache von S und D zusammen deshalb gleich F (x) =
1
2
· (arcsin(x) +
x
√
1 − x
2
).
Wir haben
F (1) − F (−1) =
Z
1
−1
p
1 − x
2
dx =
1
2
arcsin(1) −
1
2
arcsin(−1) =
π
2
.
Der Fl¨
acheninhalt des ganzen Kreises ist demnach π.
Weitere allgemeine Eigenschaften des Integrals:
Satz.
Linearit¨
at des Integrals
Z
b
a
(f
1
+ f
2
)(x) dx =
Z
b
a
f
1
(x) dx +
Z
b
a
f
2
(x) dx
Z
b
a
α · f (x) dx = α ·
Z
b
a
f (x) dx
f¨
ur stetige Funktionen f, f
1
, f
2
und α ∈ R.
Bemerkung: Dieser Satz besagt, daß das Integral eine lineare Abbildung
vom Vektoraum der stetigen Funktionen auf [a, b] in den reellen Zahlen ist.
Integral
131
Beweis. Wir f¨
uhren diesen Satz auf den entsprechenden Satz ¨
uber Integrale
von Treppenfunktionen zur¨
uck. Ist f
1
= lim
n→∞
ˆ
t
n
(gleichm¨
aßig) und f
2
=
lim
n→∞
˜
t
n
(gleichm¨
aßig), dann ist f
1
+ f
2
= lim
n→∞
(ˆ
t
n
+ ˜
t
n
) (gleichm¨
aßig),
denn sind (kf
1
− ˆ
t
n
k)
n∈N
und (kf
2
− ˜
t
n
k)
n∈N
Nullfolgen, so gilt dies auch
f¨
ur (kf
1
+ f
2
− ˆ
t
n
− ˜
t
n
k)
n∈N
,
da
kf
1
+ f
2
− ˆ
t
n
− ˜
t
n
k ≤ kf
1
− ˆ
t
n
k + kf
2
− ˜
t
n
k
ist.
Nach Definition ist demnach
Z
b
a
f
1
(x) + f
2
(x) dx = lim
n→∞
I(ˆ
t
n
+ ˜
t
n
) =
= lim
n→∞
I(ˆ
t
n
) + lim
n→∞
I(˜
t
n
) =
Z
b
a
f
1
(x) dx +
Z
b
a
f
2
(x) dx.
Genauso zeigt man die zweite Behauptung, wobei man verwendet, daß
kαt
n
− αf k = |α| · kt
n
− f k ist.
Satz. Es sei f : [a, b] → R stetig. Dann ist
|
R f | ≤ kf k · (b − a)
|
Z
b
a
f (x) dx| ≤ kf k · (b − a)
Beweis. Approximiere f gleichm¨
aßig durch Treppenfunktionen t
n
, so daß
die Funktionswerte von jedem t
n
auch Funktionswerte von f sind; dann
ist kt
n
k ≤ kf k (vergleich die Definition der Norm), folglich gilt auch f¨
ur
jedes n: I(t
n
) ≤ kt
n
k · (b − a) ≤ kf k · (b − a). Deshalb ist lim
n→∞
I(t
n
) =
R
b
a
f (x) dx ≤ kf k · (b − a).
Satz. Sei f wie im letzten Satz und f (x) ≥ 0 f¨
ur x ∈ [a, b]. Dann ist
f ≥ 0 ⇒
R f ≥ 0
R
b
a
f (x) dx ≥ 0
Beweis. Approximiere
R
b
a
f (x) dx durch Riemannsche Summen. Diese sind
alle ≥ 0.
Folgerung: Sind f
1
und f
2
stetig auf [a, b] und ist f
1
≤ f
2
auf [a, b], so ist
Monotonie des
Integrals
R
b
a
f
1
(x) dx ≤
R
b
a
f
2
(x) dx
Beweis. f
2
− f
1
ist stetig und ≥ 0 auf [a, b], also ist
Z
b
a
f
2
(x) dx −
Z
b
a
f
1
(x) dx =
Z
b
a
(f
2
(x) − f
1
(x)) dx ≥ 0.
Satz. Es sei weiterhin f wie im vorletzten Satz. Dann gilt |
R
b
a
f (x) dx| ≤
|
R f | ≤ R |f |
R
b
a
|f (x)| dx.
Bemerkung: x → |f (x)| ist als Kompositum stetiger Abbildungen stetig,
demnach ist das Integral rechts wohlerkl¨
art.
132
Kapitel 12
Beweis. Man kann den Satz als eine Art Dreiecksungleichung verstehen:
Approximiert man das linke Integral mit Riemannsummen und benutzt f¨
ur
die Betr¨
age die gew¨
ohnliche Dreiecksungleichung, so erh¨
alt man eine Ap-
proximation mit Riemannsummen des rechten Integrals.
Ein zweiter Beweis: Es ist f (x) ≤ |f (x)| und −f (x) ≤ |f (x)|. Wegen der
Monotonie des Integrals ist ±
R
b
a
f (x) dx =
R
b
a
±f (x) dx ≤
R
b
a
|f (x)| dx, also
ist |
R
b
a
f (x) dx| ≤
R
b
a
|f (x)| dx.
Satz. Es sei f stetig auf [a, b], und es sei m das Minimum, M das Maximum
von f auf [a, b]. Dann ist
(b − a) · m ≤
Z
b
a
f (x) dx ≤ (b − a) · M.
Beweis. Betrachte die konstanten Funktionen x → m und x → M. Ihre
Integrale sind
R
b
a
m dx = m·(b−a) und
R
b
a
M dx = M ·(b−a). Die Monotonie
des Integrals impliziert die Behauptung.
Der Mittelwert von f in [a, b] ist per Definition
Mittelwert
1
b − a
·
Z
b
a
f (x) dx.
Dieser Begriff ist eine Verallgemeinerung des
”gewichteten Mittels:”
w
1
· y
1
+ w
2
· y
2
+ ... + w
n
· y
n
w
1
+ w
2
+ ... + w
n
von n Zahlen y
i
mit Gewichtsfaktoren w
i
. W¨
ahlt man n¨
amlich eine gen¨
ugend
feine Einteilung von [a, b], so ist der Mittelwert von f “ungef¨
ahr”
1
b−a
·
P
q
k=1
f (ξ
k
) · (x
k
− x
k−1
), da die Riemannsche Summe “ungef¨
ahr” das Inte-
gral und b − a genau
P
q
k=1
(x
k
− x
k−1
) ist.
Umformuliert heißt der letzte Satz:
Satz. m ≤
1
b−a
·
R
b
a
f (x) dx = Mittelwert von f in [a, b] ≤ M.
Der Mittelwert von f wird aber nach dem Zwischenwertsatz angenommen,
da f die Werte m und M annimmt. Demnach ergibt sich die
Folgerung: Ist f : [a, b] → R stetig, so gibt es ein ξ ∈ [a, b], so daß
Mittelwertsatz der
Integralrechnung
f (ξ) =
1
b − a
·
Z
b
a
f (x) dx
Bemerkung: Ist insbesondere
R
b
a
f (x) dx = 0, so hat f eine Nullstelle.
Integral
133
Einige Bemerkungen ¨
uber Untersummen und Obersummen: Zu jeder Ein-
Untersummen und
Obersummen
teilung a = x
0
< x
1
< ... < x
q
= b haben wir die Obersumme und Unter-
summe von f erkl¨
art:
P
q
k=1
M
k
· (x
k
− x
k−1
) und
P
q
k=1
m
k
· (x
k
− x
k−1
).
(Im Gegensatz zu den Riemannschen Summen sind Ober- und Untersumme
zu einer Einteilung wohl erkl¨
art!)
Nun ist die Untersumme kleiner oder gleich dem Integral. Dies sieht man
wie folgt: Geht man von der gegebenen Einteilung zu einer neuen ¨
uber,
indem man einen Punkt u etwa zwischen x
k
und x
k+1
einf¨
ugt, so wird die
Untersumme gr¨
oßer, denn das Minimum m
k+1
von f auf [x
k
, x
k+1
] ist nicht
gr¨
oßer als das Minimum m
(1)
k+1
von f auf [x
k
, u] und auch nicht gr¨
oßer als das
Minimum m
(2)
k+1
von f auf [u, x
k+1
], also ist der wesentliche Summand m
k+1
·
(x
k+1
−x
k
) ≤ m
(1)
k+1
·(u−x
k
) + m
(2)
k+1
·(x
k+1
−u). Nimmt man eine Folge von
Einteilungen E
n
mit lim
n→∞
ϕ(E
n
) = 0, so daß E
n
eine Verfeinerung von
E
n−1
ist f¨
ur jedes n, so bilden die Untesummen eine monoton steigende, die
Obersummen eine monoton fallende Folge, und beide Folgen konvergieren
gegen das Integral von f. Es folgt:
Untersumme ≤
Z
b
a
f (x) dx ≤ Obersumme.
Insbesondere ist
Zusammenhang mit
dem Riemannschen
Integral
Z
b
a
f (x) dx = obere Grenze aller Untersummen
bez¨
uglich aller Einteilungen
= untere Grenze aller Obersummen
bez¨
uglich aller Einteilungen
=: Riemannsche Integral vonf.
Man beachte insbesondere, daß m · (b − a) und M · (b − a) die primitivsten
denkbaren Unter- und Obersummen sind.
Wir wollen gleich zeigen, daß jede stetige Funktion eine Stammfunktion
besitzt (vgl. Bemerkung zum Hauptsatz der Differential- und Integralrech-
nung). Dazu einige technische Vorbereitungen:
Es sei f : [a, b] → R im folgenden stetig und c, d ∈ [a, b]. Man setzt
Z
d
c
f (x) dx: =
R
d
c
f |
[c,d]
(x) dx,
falls c < d. Man schr¨
anke also nur
f auf [c, d] ein und verwende die
alten Definitionen.
0,
falls c = d
−
R
c
d
f (x) dx,
falls d < c.
134
Kapitel 12
Zur Plausibilit¨
at dieser Definition: Wir hatten beim Rechteck die lotrechte
Seite negativ gez¨
ahlt, falls sich diese unterhalb der Achse befindet, also die
“Orientierung” umgedreht worden ist. Dreht man nun die Orientierung der
wagerechten Seite um, indem d < c ist, so ist es naheliegend diese Seite auch
negativ zu z¨
ahlen.
Satz. Es sei f : [a, b] → R stetig, c, d, e ∈ [a, b]. Dann ist
R
e
c
=
R
d
c
+
R
e
d
Z
e
c
f (x) dx =
Z
d
c
f (x) dx +
Z
e
d
f (x) dx.
Beweis. 1. Fall c < d < e: W¨
ahle nur Einteilungen E
n
des Intervalls [c, e],
die d als Teilungspunkt enthalten. Automatisch erhalten wir Einteilungen
von [c, d] und [d, e]. Außerdem w¨
ahle man die E
n
so, daß lim
n→∞
ϕ(E
n
) = 0.
Bez¨
uglich dieser Einteilung ist z.B. (n-te Untersumme von f |
[c,e]
) = (n-
te Untersumme von f |
[c,d]
) + (n-te Untersumme von f |
[d,e]
), woraus die
Behauptung folgt.
2. Zwei der c, d, e sind gleich, z.B. c = e: Dann ist
R
e
c
f (x) dx = 0 und die
Behauptung folgt aus den Definitionen.
3. Etwa d < c < e: Dann ist
Z
c
d
f (x) dx +
Z
e
c
f (x) dx =
Z
e
d
f (x) dx
nach Fall 1), also
Z
e
c
f (x) dx =
Z
e
d
f (x) dx −
Z
c
d
f (x) dx,
aber per Definition ist −
R
c
d
f (x) dx =
R
d
c
f (x) dx. Analog zeigt man die
verbleibenden F¨
alle.
Nun zur Konstruktion einer Stammfunktion zu f. Wir betrachten die Funk-
Konstruktion einer
Stammfunktion
tion
F (x) =
Z
x
c
f (t) dt
mit
x ∈ [a, b].
(t nennt man auch gebundene Variable, diese kann beliebig umgetauft wer-
den. Vgl.
P
n
ν=0
a
ν
=
P
n
µ=0
a
µ
).
Satz. F ist differenzierbar in (a, b) und F
0
(x) = f (x).
Beweis.
F (x + h) − F (x)
h
=
1
h
·
Z
x+h
c
f (t) dt −
Z
x
c
f (t) dt
!
=
1
h
·
Z
x+h
x
f (t) dt
!
Integral
135
falls h 6= 0, nach dem letzten Satz.
Sei nun etwa h > 0, dann ist
1
h
·
R
x+h
x
f (t) dt
= f (ξ
h
) in einem Punkt ξ
h
∈ [x, x + h] nach dem Mittel-
wertsatz der Integralrechnung.
Im Fall h < 0 ist
1
h
·
Z
x+h
x
f (t) dt
!
=
1
−h
·
Z
x
x+h
f (t) dt
= f (ξ
h
)
in einem Punkt ξ
h
∈ [x + h, x]. (Man bemerke, daß hier −h die Intervall¨
ange
ist.) Durchl¨
auft also h eine Nullfolge, so durchlaufen die zugeh¨
origen ξ
h
eine gegen x konvergente Folge; wegen der Stetigkeit von f durchlaufen
die f (ξ
h
) dann eine gegen f (x) konvergente Folge. Wir haben demnach
lim
h→0
1
h
·
R
x+h
x
f (t) dt
= f (x).
Dieses Resultat l¨
aßt sich noch verbessern; doch zuvor einige Definitionen: g
ist rechtsseitig differenzierbar an der Stelle a :⇐⇒
Differenzierbar
lim
h→0
h>0
g(a + h) − g(a)
h
existiert.
g ist linksseitig differenzierbar an der Stelle b :⇐⇒
lim
h→0
h<0
g(b + h) − g(b)
h
existiert.
Man bildet nur einseitige Limits, damit die Quotienten ¨
uberhaupt definiert
sind. g: [a, b] → R heißt differenzierbar :⇐⇒ g ist differenzierbar in (a, b),
rechtsseitig differenzierbar in a und linksseitig differenzierbar in b. Ist oben-
drein die Ableitung stetig, so heißt g stetig differenzierbar in [a, b].
Dem Beweis des letzten Satzes entnimmt man dann
Satz. F ist stetig differenzierbar in [a, b] und F
0
(x) = f (x) in [a, b].
Hauptsatz: Die
Existenz einer
Stammfunktion einer
stetigen Funktion
Bemerkung: Demnach haben wir jetzt eingesehen, daß jede stetige Funk-
tion eine Stammfunktion besitzt. Außerdem ist
R
b
a
f (x) dx = F (b) − F (a),
da
R
b
a
f (x) dx =
R
b
c
f (x) dx −
R
a
c
f (x) dx ist.
R f (x) dx ist eine Schreibweise, die man gelegentlich in der Literatur findet.
R f (x) dx bezeichnet dort eine Stammfunktion; F (x) = R f (x) dx besagt,
daß F Stammfunktion zu f ist.
Die Methode, Integrale durch Stammfunktionen der Integranden zu berech-
nen, erlaubt uns S¨
atze der Differenzialrechnung in solchen der Integralrech-
nung umzuformulieren.
136
Kapitel 12
Wir wissen, daß f¨
ur stetig differenzierbare Funktionen u und v auf [a, b] gilt:
(u · v)
0
= u
0
· v + u · v
0
. Es ist also u · v Stammfunktion zu u
0
· v + u · v
0
,
weshalb
Z
b
a
u
0
(x) · v(x) dx = u(b) · v(b) − u(a) · v(a) −
Z
b
a
u(x) · v
0
(x) dx.
Partielle Integration
Schreiben wir [F (x)]
b
a
: = F (b) − F (a), gilt
Beispiel
Z
π
2
0
sin
2
(x) dx = [− cos(x) · sin(x)]
π
2
0
+
Z
π
2
0
cos
2
(x) dx,
(man setze v = sin(x); u = − cos(x) ). Aber sin(0) = cos(
π
2
) = 0 und
Z
π
2
0
sin
2
(x) + cos
2
(x)
dx =
Z
π
2
0
dx =
π
2
,
wonach
Z
π
2
0
sin
2
(x) dx =
Z
π
2
0
cos
2
(x) dx =
π
4
.
Eine andere Anwendung der Regel der partiellen Integration: Dazu sei I
ein offenes Intervall und f auf I n-mal stetig differenzierbar. Ferner seien
a, b ∈ I, n ≥ 1. Dann ist offenbar
f (b) = f (a) +
Z
b
a
f
0
(x) dx
Dies sieht schon wie die Taylorsche Formel aus, a spielt dabei die Rolle
des Entwicklungspunktes, wenn f (b) zu bestimmen ist. Entwickeln wir das
Integral (Restglied) weiter, bekommen wir:
Z
b
a
f
0
(x) · (−1) dx = [f
0
(x) · (b − x)]
b
a
−
Z
b
a
f
00
(x) · (b − x) dx
(falls wir u = f
0
(x), v
0
= −1 und v = b − x setzen)
= −f
0
(a) · (b − a) −
Z
b
a
f
00
(x)(b − x) dx.
Demnach ist
f (b) = f (a) + f
0
(a) · (b − a) +
Z
b
a
f
00
(x) · (b − x) dx.
Satz. Sei f n-mal stetig differenzierbar auf dem Intervall I; a, b ∈ I. Dann
Taylorsche Formel
ist
f (b) =
n−1
X
ν=0
f
ν
(a) ·
(b − a)
ν
ν!
+
Z
b
a
f
(n)
(x) ·
(b − x)
n−1
(n − 1)!
dx.
Restglied in
R -form
Integral
137
Beweis. Uns fehlt nur noch der Induktionsschritt. Dazu bestimmen wir
Z
b
a
f
(n)
(x) ·
(b − x)
n−1
(n − 1)!
dx =
(setze u = f
(n)
(x), v
0
=
(b − x)
n−1
(n − 1)!
; v = −
(b − x)
n
n!
)
= −[f
(n)
(x) ·
(b − x)
n
n!
]
b
a
+
Z
b
a
f
(n+1)
(x) ·
(b − x)
n
n!
dx
= f
(n)
(a) ·
(b − a)
n
n!
+
Z
b
a
f
(n+1)
(x) ·
(b − x)
n
n!
dx.
Die Induktionsannahme - Behauptung ist f¨
ur n richtig - impliziert demnach
die Richtigkeit der Behauptung f¨
ur n + 1.
Was auf differentialisch “Produktregel” heißt, heißt auf integralisch “Regel
von der partiellen Integration”. So bedeutet das differenzialische Wort “Ket-
tenregel” im Integralischen
Satz. Es sei f : [a, b] → R stetig und ϕ: [α, β] → [a, b] ⊂ R stetig differen-
Transformations- und
Substitutionsregel
zierbar. Dann ist
Z
ϕ(β)
ϕ(α)
f (x) dx =
Z
β
α
f (ϕ(u)) · ϕ
0
(u) du
Bemerkung: Wie merkt man sich das? Setzen wir x = ϕ(u), dann “ist”
dx = ϕ
0
(u)· du (Kettenregel). Dabei geht der linke Integrand in den rechten
Integrand ¨
uber. Kennt man dann die rechten Grenzen, l¨
auft also u von α
nach β, so l¨
auft x = ϕ(u) von ϕ(α) nach ϕ(β).
Beweis. Es sei ν ∈ [α, β]. Differenzieren wir
Z
ν
α
f (ϕ(u)) · ϕ
0
(u) du
und
Z
ϕ(ν)
ϕ(α)
f (x) dx,
- die beide Funktionen von ν sind - nach ν, bekommen wir f¨
ur den er-
sten Ausdruck f (ϕ(ν)) · ϕ
0
(ν). F¨
ur den zweiten Ausdruck schreiben wir
φ(ν) =
R
ϕ(ν)
ϕ(α)
f (x) dx. Offenbar ist φ ein Kompositum: φ(ν) = ψ(ϕ(ν)),
wobei ψ(y) =
R
y
ϕ(α)
f (x) dx.
Nach der Kettenregel ist
φ
0
(ν) = ψ
0
(ϕ(ν)) · ϕ
0
(ν) = f (ϕ(ν)) · ϕ
0
(ν).
Da nun beide Integrale (als Funktion von ν) dieselbe Ableitung und densel-
ben Wert f¨
ur ν = α, n¨
amlich 0, haben, sind sie gleich.
Eine Anwendung: In
R
r
−r
√
r
2
− x
2
dx setzen wir x = r · sin(u) (= ϕ(u)),
Fl¨
ache des Kreises
d.h. dx = r · cos(u) du, weshalb
138
Kapitel 12
Z
r
−r
p
r
2
− x
2
dx =
Z
π/2
−π/2
q
r
2
− r
2
· sin
2
(u) · r · cos(u) du
= r
2
·
Z
π/2
−π/2
cos
2
(u) du =
π · r
2
2
= Fl¨
ache des Halbkreises vom Radius r,
da
R
0
−π/2
cos
2
(u) du =
R
−π/2
0
cos
2
(u) du ist, wie man durch Betrachtung der
Funktion cos
2
(u) erkennt, oder durch die Transformation v = −u herleiten
kann.
Versuchen wir nun (∗) =
R
x
0
p
r
2
− ξ
2
dξ zu bestimmen, d.h. eine Stamm-
funktion zu
√
r
2
− x
2
f¨
ur |x| ≤ r zu finden. Wir setzen ξ = r ·sin(u), wonach
dξ = r · cos(u) du ist, d.h.
(∗) =
Z
v
0
q
r
2
− r
2
· sin
2
(u) · r · cos(u) du = r
2
·
Z
v
0
cos
2
(u) du,
wo x = r · sin(v), oder umgeformt v = arcsin
x
r
ist. Es gilt x ∈ [−r, r],
demnach muß u ∈ [−
π
2
,
π
2
], und
(∗) = r
2
·
Z
v
0
cos(u) · cos(u) du = r
2
· [sin(u) cos(u)]
v
0
+ r
2
·
Z
v
0
sin
2
(u) du
= r
2
· sin(v) cos(v) + r
2
·
Z
v
0
(1 − cos
2
(u)) du
= r
2
· sin(v) cos(v) + r
2
· v − r
2
·
Z
v
0
cos
2
(u) du.
Wir bekommen deshalb (∗) =
1
2
·r
2
·(sin(v) cos(v)+v), oder weil v = arcsin
x
r
;
Z
x
0
p
r
2
− ξ
2
dξ =
1
2
· x ·
p
r
2
− x
2
+
1
2
· r
2
· arcsin
x
r
.
13
ERG ¨
ANZUNGEN ZUM INTEGRAL
In diesem abschließenden Kapitel stellen wir noch einige Tatsachen zusam-
men, die an sich nicht weiter zusammmenh¨
angen, die aber bei der Behand-
lung des Integralbegriffs nicht unerw¨
ahnt bleiben sollten.
Wir beginnen mit einem Satz ¨
uber die “Vertauschbarkeit von Integral und
Limes”.
Satz. Gegeben sei eine Folge von Funktionen f
n
, die auf dem Intervall [a, b]
Vertauschbarkeit von
“
R
und lim”
stetig sind, und die auf [a, b] gleichm¨
aßig gegen f konvergieren. Dann ist f
stetig, und es gilt
Z
b
a
f (x) dx = lim
n→∞
Z
b
a
f
n
(x) dx
Beweis. Die Stetigkei von f wurde schon in Kapitel 11 nachgewiesen, sodaß
wir lediglich noch die beuptete Identit¨
at zu beweisen haben. Sei dazu ein
> 0 gegeben. Dann gibt es ein n
0
, sodaß f¨
ur alle n > n
0
und alle x ∈ [a, b]
die Ungleichung
|f (x) − f
n
(x)| <
besteht. Ist daher n > n
0
, so haben wir
Z
b
a
f (x) dx −
Z
b
a
f
n
(x) dx
=
Z
b
a
(f (x) − f
n
(x)) dx
≤
Z
b
a
|f (x) − f
n
(x)| dx ≤
Z
b
a
dx
= · (b − a).
Da dies f¨
ur jedes > 0 gilt, ist die Behauptung bewiesen.
Die Voraussetzung, daß die Folge der f
n
gleichm¨
aßig konvergiert, ist nicht
notwendig, aber auch nicht ¨
uberfl¨
ussig. Sie ist nicht notwendig: verm¨
oge
f
n
(x) =
2nx
f¨
ur 0 ≤ x ≤
1
2n
,
2n
1
n
− x
f¨
ur
1
2n
< x ≤ 1
wird eine Folge von auf dem Intervall [0, 1] stetigen Funktionen f
n
erkl¨
art,
die punktweise gegen die identisch verschwindende Funktion konvergiert.
139
140
Kapitel 13
Die Konvergenz findet sicherlich nicht gleichm¨
aßig statt, denn es ist ja stets
f
n
(
1
2n
) = 1, wonach es kein n
0
geben kann, sodaß etwa |f
n
(x)| < .01 f¨
ur alle
x ∈ [0, 1] und alle n ≥ n
0
gilt. Dennoch hat man hier
Z
1
0
f
n
(x) dx =
1
2n
,
d.h die Integrale der f
n
konvergieren gegen 0, was ja auch der Wert des
Integrals der Grenzfunktion ist.
Die Voraussetzung ist nicht ¨
uberfl¨
ussig: hierzu variiert man das eben be-
trachtete Beispiel; wir setzen jetzt
g
n
(x) =
2n
2
x
f¨
ur 0 ≤ x ≤
1
2n
,
2n
2
1
n
− x
f¨
ur
1
2n
< x ≤ 1
.
Dies definiert wieder eine Folge von stetigen Funktionen auf dem Inter-
vall [0, 1], die punktweise und nicht gleichm¨
aßig gegen die identisch ver-
schwindende Funktion konvergiert; aber jetzt findet man
Z
1
0
g
n
(x) dx =
1
2
,
und diese Integrale konvergieren offenbar nicht gegen 0.
Mann kann die beiden Beispiele noch weiter variieren, indem man etwa
in der Definition der g
n
die Steigung der Geradenst¨
ucke 2n
2
durch 2n
3
ersetzt: dies ergibt eine Folge von gegen die Nullfunktion konvergierenden
Funktionen, deren Integrale aber sogar ¨
uber alle Grenzen wachsen.
Schließlich kann man auch Beispiele von glatten Funktionen konstruieren,
die zeigen, daß die Vorausetzung der gleichm¨
aßigen Konvergenz nicht ¨
uber-
fl¨
ussig ist:
h
n
(x) = 2nxe
−nx
2
definiert eine Folge von auf ganz R glatten Funktionen, die punktweise gegen
die Nullfunktion konvergiert; dabei ist aber
Z
1
0
h
n
(x) dx =
Z
1
0
2nxe
−nx
2
dx = −e
−nx
2
1
O
= 1 − e
−n
2
,
und dies sind die Glieder einer gegen 1, und nicht gegen 0 konvergenten
Folge.
Als n¨
achstes diskutieren wir eine Anwendung des Integralbegriffs in der The-
orie der unendlichen Reihen, ein wichtiges weiteres Konvergenzkriterium.
Erg¨
anzungen zum Integral
141
Satz. Sei f eine auf dem Intervall [1, +∞) erkl¨
arte, stetige und monoton
Integralkriterium f¨
ur
unendliche Reihen
fallende Funktion, es gelte f (x) ≥ 0 f¨
ur alle x ∈ [1, ∞). Dann sind die
beiden folgenden Aussagen ¨
aquivalent:
(i)
es gibt eine reelle Zahl a, sodaß lim
n→∞
Z
n
0
f (x) dx = a,
(ii)
die unendliche Reihe
∞
X
k=1
f (k) ist konvergent.
Beweis. Da f nirgenwo negative Werte annimmt, ist sowohl die Folge der
R
n
0
f (x) dx als auch die Partialsummenfolge der Reihe
P
∞
k=1
f (k) monoton
steigend. Daher ist jede dieser beiden Folgen dann und nur dann konvergent,
wenn sie nach oben beschr¨
ankt ist. Wegen der Monotonie von f und nach
dem Mittelwertsatz der Integralrechnung hat man nun aber
f (k + 1) ≤
Z
k+1
k
f (x) dx ≤ f (k),
und daher
n
X
k=1
f (k + 1) ≤
Z
n+1
1
f (x) dx ≤
n
X
k=1
f (k).
Also ist die Folge der Partialsummen der Reihe in (ii) dann und nur dann
beschr¨
ankt, wenn die Folge der Integrale in (i) beschr¨
ankt ist. Damit ist
der Satz bewiesen.
Als Illustration zum Satz betrachten wir die Reihe
∞
X
n=1
1
n
s
,
wobei s eine vorgegeben reelle Zahl bedeutet. F¨
ur s = 1 erkennen wir die
harmonische Reihe, und diese divergiert. F¨
ur s 6= 1 haben wir
Z
N
1
dx
x
s
=
x
1−s
1 − s
N
1
=
1
1 − s
N
1−s
− 1
,
und die rechte Seite strebt offenbar genau dann mit wachsendem N gegen
einen endlichen Grenzwert, falls s > 1 ist. Nach dem letzten Satz ist die
Reihe
P
∞
n=1
n
−s
daher genau dann konvergent, wenn s > 1 ist.
Eine andere Anwendung des Integralbegriffs ist die Berechnung der Bo-
Berechnung von
Bogenl¨
angen
genl¨
ange einer Kurve. Wir beschr¨
anken uns hier auf solche Kurven, die
man als Graph einer stetigen Funktion beschreiben kann. Sei dazu f eine
auf dem Intervall [a, b] erkl¨
arte, stetige Funktion. Zur Berechnung der Bo-
genl¨
ange des Graphen
G
f
= {(x, f (x))|a ≤ x ≤ b}
142
Kapitel 13
betrachten wir eine Einteilung
E :
a = x
0
< x
1
< x
2
< . . . < x
q
= b
des Intervalls [a, b]. Zu dieser Einteilung geh¨
ort der Streckenzug mit den
Endpunkten
P
k
:= (x
k
, f (x
k
)),
d.h. der Streckenzug, der entsteht, wenn man P
1
mit P
2
verbindet, P
2
mit P
3
etc.. Wir stellen uns vor, daß dieser Streckenzug desto besser den
Graphen G
f
approximiert, desto kleiner der Feinheitsgrad ϕ(E) ist; insbes-
ondere stellen wir uns dabei vor, daß die L¨
ange dieses Streckenzuges eine
Approximation der gesuchten Bogenl¨
ange ist. Aus der Elementargeometrie
weiß man, daß der Abstand zweier Punkte (x, y) und (x
0
, y
0
) durch
p
(x − x
0
)
2
+ (y − y
0
)
2
gegeben ist. Demnach hat unser Streckenzug die L¨
ange
q
X
k=1
p
(x
k
− x
k−1
)
2
+ (f (x
k
) − f (x
k−1
))
2
= (x
k
− x
k−1
) ·
q
X
k=1
s
1 +
f (x
k
) − f (x
k−1
)
2
x
k
− x
k−1
2
.
Unter der Wurzel steht aber ein Differenzenquotient, sodaß wir nach dem
Mittelwertsatz f¨
ur die L¨
ange des Streckenzuges auch
(x
k
− x
k−1
) ·
q
X
k=1
q
1 + f
0
(ξ
k
)
2
schreiben k¨
onnen, wo die ξ
k
∈ (x
k−1
, x
k
) geeignete Zwischenstellen bezeich-
nen. Hierbei haben wir nat¨
urlich vorauszusetzen, daß f differenzierbar ist.
Damit haben wir aber die L¨
ange des zu E geh¨
orenden Streckenzuges als
eine Riemannsche Summe der Funktion
q
1 + f
0
(x)
2
identifiziert. Nehmen wir jetzt noch an, daß die Ableitung von f im Inter-
vall (a, b) stetig ist, und stetig auf [a, b] fortgesetzt werden kann, so finden
wir, daß f¨
ur jede Folge von Einteilungen E
n
die L¨
ange der zugeh¨
origen
Streckenz¨
uge gegen das Integral
Z
b
a
q
1 + f
0
(t)
2
Erg¨
anzungen zum Integral
143
konvergiert, wenn nur die Folge der Feinheiten der E
n
gegen 0 konvergiert.
Daher ist es plausibel, die folgende Definition zu treffen:
Sei f eine auf dem Intervall [a, b] stetige, im Intervall (a, b)
differenzierbare Funktion, sodaß die Ableitung von f zu einer
auf [a, b] stetigen Funktion fortgesetzt werden kann. Als Bo-
genl¨
ange des Graphen von f bezeichnet man dann das Integral
Z
b
a
q
1 + f
0
(x)
2
dx.
Definition der
Bogenl¨
ange
Als Beispiel berechnen wir die L¨
ange eines Kreisbogens, d.h. wir berechnen
L¨
ange des Kreisbogens
die Bogenl¨
ange des Graphen der Funktion y =
√
1 − x
2
, etwa ¨
uber dem
Intervall [0, t] mit t < 1. Dazu berechnen wir zun¨
achst:
dy
dx
=
−x
√
1 − x
2
.
Damit finden wir
s
1 +
dy
dx
2
=
1
√
1 − x
2
.
Eine Stammfunktion dieser Funktion ist arcsin x, und so finden wir
Die Bogenl¨
ange des Graphen von y =
√
1 − x
2
¨
uber dem In-
tervall [0, t] ist arcsin t.
Hierbei hatten wir in der hier entwickelten Theorie vorauszusetzen, daß t
strikt kleiner als 1 ist, da ja
dy
dx
sich nicht stetig nach 1 fortsetzen l¨
aßt (strebt
x nach 1, so w¨
achst die Ableitung von y ¨
uber alle Grenzen). Allerdings hat
arcsin t einen Grenzwert, wenn t gegen 1 geht, und sehen wir diesen als
Bogenl¨
ange des Viertelkreises an, so finden wir den Wert
π
4
f¨
ur ebendiese
Bogenl¨
ange.
Abschließend wollen wir noch zwei Methoden besprechen, Integrale n¨
aher-
Trapez- und
Keplersche Faßregel
ungsweise zu berechnen. Dazu betrachten wir eine auf einem abgeschlos-
senen Intervall stetige Funktion f (x). Die Idee zur n¨
aherungsweisen Berech-
nung des Integrals von f ist, die Funktion f erst durch eine einfache, leicht
intergierbare Funktion zu approximieren, und dann das Integral der approx-
imierenden Funktion als gesuchten N¨
aherungswert zu nehmen. Die einfach-
sten Funktionen hierzu sind vielleicht die linearen und quadratischen Poly-
nome. Indem wir gegebenenfalls das abgeschlossene Intervall verschieben
(d.h. die Integrationsvariable x durch x + c mit einer geeigneten Konstan-
ten c ersetzen), k¨
onnen wir im Folgenden annehmen, daß unser Intervall die
Gestalt [−h, h] hat.
144
Kapitel 13
Als lineare Funktion l(x), die man als Approximation f¨
ur f nehmen k¨
onnte,
f¨
allt einem zuerst die Funktion ein, die an den Intervallenden die gleichen
Werte wie f annimmt:
l(x) =
1
2h
[f (h)(x + h) − f (−h)(x − h)].
Integriert man diese Funktion ¨
uber dem Intervall [−h, h], so findet man als
Wert des Integrals
h[f (h) + f (−h)].
Dies ist die sogenannte Trapezregel zur (n¨
aherunsweisen) Berechnung von
R
h
−h
f (x) dx.
Das naheliegendste quadratische Polynom q(x) zur Approximation von f
ist vielleicht dasjenige, welches an den Intervallenden und im Intervallmit-
telpunkt die gleichen Werte wie f annimmt:
q(x) =
1
2h
2
[f (h)x(x + h) − 2f (0)(x + h)(x − h) + f (−h)x(x − h)].
F¨
ur das Integral von q ¨
uber dem Intervall [−h, +h] findet man
h
3
· [f (h) + 4f (0) + f (−h)].
Dies wird als Keplersche Faßregel oder Simpsonsche Regel zur n¨
aherungs-
weisen Berechnung des Integrals von f bezeichnet.
Wir wollen nun den Fehler bei der Trapez- und Faßregel untersuchen. Dazu
setzen wir f¨
ur 0 ≤ t ≤ h
∆Tr.(t) =
Z
+t
−t
f (x) dx − t[f (t) + f (−t)]
∆Faß.(t) =
Z
+t
−t
f (x) dx −
t
3
· [f (t) + 4f (0) + f (−t)].
Zur Bestimmung von ∆Tr.(h) nehmen wir an, daß f auf [−h, +h] zweimal
stetig differenzierbar ist, d.h. daß f
0
und f
00
in (−h, +h) existieren und auf
[−h, +h] stetig fortgesetzt werden k¨
onnen. Dann ist aber ∆Tr. auf dem
Intervall [0, h] einmal stetig differenzierbar. F¨
ur die Ableitung findet man
∆
0
Tr.(t) = −h[f
0
(t) − f
0
(−t)].
Wenden wir hierauf den Mittelwertsatz an, so haben wir
∆
0
Tr.(t) = −2t
2
f
00
(ξ)
Erg¨
anzungen zum Integral
145
mit einem geeigneten ξ ∈ (−t, +t), also jedenfalls
∆
0
Tr.(t)
≤ 2t
2
· kf
00
k,
kf
00
k :=
sup
x∈(−h,+h)
|f
00
(x)| .
Dann ist aber wegen
∆Tr.(h) = ∆Tr.(h) − ∆Tr.(0) =
Z
h
0
∆
0
Tr.(t) dt
schließlich
∆Tr.(h)
≤
Z
h
0
∆
0
Tr.(t)
dt ≤
Z
h
0
2t
2
dt · kf
00
k =
2
3
h
3
· kf
00
k
Zur Absch¨
atzung von ∆Faß.(h) setzen wir voraus, daß f in [−h, +h] viermal
stetig differenzierbar ist. Mit einer etwas l¨
angeren Rechnung findet man
dann
∆
000
Faß.(t) = −
h
3
[f
000
(h) − f
000
(−h)],
nach dem Mittelwertsatz also wie oben
∆
000
Faß.(t)
≤
2t
2
3
· kf
(4)
k.
Damit findet man dann (wieder mit der gleichen Methode wie oben):
∆
00
Faß.(h)
≤
2
9
h
3
· kf
(4)
k,
∆
0
Faß.(h)
≤
1
18
h
4
· kf
(4)
k,
∆
0
Faß.(h)
≤
1
90
h
5
· kf
(4)
k
Damit haben wir den folgenden Satz bewiesen:
Satz. Sei f eine auf dem Intervall [−h, h] erkl¨
arte, stetige Funktion. Dann
Fehler bei der Trapez-
und Faßregel
gilt:
(i)
Ist f zweimal differenzierbar in (−h, h), sodaß sich die
zweite Ableitung zu einer auf [−h, +h] stetigen Funk-
tion fortsetzen l¨
aßt, so ist
Z
+h
−h
f (x) dx − h[f (h) + f (−h)]
≤
2
3
h
3
· kf
00
k.
(ii)
Ist f viermal differenzierbar in (−h, h), sodaß sich die
vierte Ableitung zu einer auf [−h, +h] stetigen Funktion
fortsetzen l¨
aßt, so ist
Z
+h
−h
f (x) dx −
h
3
[f (h) + 4f (0) + f (−h)]
≤
h
5
90
kf
(4)
k.
Hierbei ist jeweils kf
(k)
k = sup
x∈(−h,h)
f
k
(x)
.
A
DIE GRAPHEN EINIGER
ELEMENTARER FUNKTIONEN
In diesem Anhang sind die Graphen der Funktionen skizziert, die in den vor-
angegangenen Kapiteln wiederholt als Beispiele besprochen wurden. Sind
mehrere Graphen in einer einzigen Darstellung gegeben, so ist der Graph
der im Text zuerst genannten Funktion hell, der Graph der im Text als
n¨
achstes genannten Funktion etwas dunkler etc..
-3
-2
-1
1
2
1
2
3
4
5
6
7
Die Exponentialfunktion e
x
1
2
3
4
5
6
7
-3
-2
-1
1
2
Der Logarithmus log x
147
148
Anhang A
1
2
3
4
5
6
-1
-0.5
0.5
1
Cosinus cos x und Sinus sin x
Graphen
149
1
2
3
4
5
6
-3
-2
-1
1
2
3
Secans sec x =
1
cos x
und Cosecans csc x =
1
sin x
1
2
3
4
5
6
-3
-2
-1
1
2
3
Tangens tan x =
sin x
cos x
und Cotangens cot x =
cos x
sin x
150
Anhang A
-0.5
0.5
-1
1
2
3
Arcuscosinus arccos x und arcsin x
-3
-2
-1
1
2
3
-1
1
2
3
Arcussecans arcsec x und Arcuscosecans arccsc x
Graphen
151
-3
-2
-1
1
2
3
-1
1
2
3
Arcustangens arctan x und arccot x
2
4
6
8
10
12
14
16
1
2
3
4
5
6
7
8
Die Funktionen x
1
2
, x
2
3
, und x
3
4
-1 -0.75-0.5-0.25
0.25 0.5 0.75 1
-4
-2
2
4
Eine rationale Funktion:
1−72x
2
+840x
4
−3584x
6
+6912x
8
−6144x
10
+2048x
12
−3x+4x
3
B
AUFGABEN ZU DEN
EINZELNEN KAPITELN
1.
Zeigen Sie:
√
3 ist irrational.
EINIGE
HISTORISCHE
BEMERKUNGEN
¨
UBER
ZAHLSYSTEME
2.
F¨
ur welche nat¨
urlichen Zahlen n ist
√
n irrational?
3.
F¨
ur welche ganzen Zahlen p, q sind die Nullstellen der Gleichung
x
2
+ px + q = 0 irrational.
4.
Was ist der Wert des unendlichen Kettenbruchs
4 +
1
2 +
1
8 +
1
2 +
1
8 +
1
2 + · · ·
?
Berechnen Sie die ersten Konvergenten des Kettenbruchs aus der vorste-
henden Aufgabe. Berechnen Sie den Wert von 2
√
5 mit einem Taschen-
rechner. Vergleichen Sie.
5.
Was ist der Wert des unendlichen Kettenbruchs
n +
1
n +
1
n +
1
n +
1
n +
1
n + · · ·
f¨
ur eine gegebene nat¨
urliche Zahl n ?
6.
Was ist der Wert der unendlichen Reihe 1 +
1
3
+
1
9
+
1
27
+
1
81
+ · · · ?
(Subtrahiert man von der Reihe 1 und multipliziert das Ergebnis mit
3, so erh¨
alt man . . . ?)
7.
Schreiben Sie
61111
49500
als Dezimalzahl.
151
152
Anhang B
8.
Man veranschauliche die Addition und Multiplikation von komplexen
Zahlen, indem man die komplexe Zahl a + ib mit dem Punkt mit Ko-
ordinaten (a, b) in der Zahlenebene identifiziert.
9.
Man zeige, daß die Menge der komplexen Zahlen mit Absolutbetrag 1
DIE AXIOMATIK
DER RELLEN
ZAHLEN
unter Multiplikation abgeschlossen ist.
10. Es bezeichne M eine Menge und P(M ) die Menge aller Teilmengen von
M . F¨
ur zwei Elemente A, B aus P(M ) setzen wir
A + B := (A \ B) ∪ (B \ A)
und
A · B := A ∩ B.
Zeige: Die Menge P(M ) zusammen mit den Operationen “+” und “·”
bildet einen kommutativen Ring. F¨
ur welche Mengen M erh¨
alt man
sogar einen K¨
orper ?
11. (i)
Eine nat¨
urliche Zahl ist genau dann durch 3 teilbar, wenn es ihre
Quersumme ist. (Hinweis: 10 = 3 · 3 + 1.)
(ii) Finden Sie einen ¨
ahnlichen Test wie in der vorstehenden Aufgabe
f¨
ur Teilbarkeit durch die Zahl 11.
12. Seien a, b reelle Zahlen, es gelte 0 ≤ a ≤ b. Zeige:
0 ≤ a ≤
√
ab ≤
a + b
2
≤ b.
Wann kann hier das vorletzte “≤” durch “=” ersetzt werden ?
13. Bestimme die reellen Zahlen x f¨
ur die gilt:
(i)
1
x
+
1
1−x
> 0
(ii)
x−1
x+1
> 0
(iii) x
2
+ px + q > 0
(p, q ∈ R)
(iv) |x − 1| + |x + 1| < 4
(v) |x − 1| · |x + 1| < 4.
14. Zeige:
max(x, y) =
x + y + |x − y|
2
,
min(x, y) =
x + y − |x − y|
2
.
(Die Symbole max(x, y) und min(x, y) bezeichnen jeweils die gr¨
oßere
bzw. die kleinere der beiden reellen Zahlen x, y.)
Aufgaben zu den Kapiteln
153
15. Finde analoge Formeln wie in der vorhergehenden ¨
Ubungsaufgabe f¨
ur
max(x, y, z) und min(x, y, z).
16. Schreibe die folgenden Ausdr¨
ucke mit mindestens einem Absolutbe-
tragstrich weniger:
(i)
√
2 +
√
3 −
√
5 −
√
7
(ii) ||a + b| − |a| − |b||
(iii)
x
2
− 2xy + y
2
(iv) ||a + b| + |c| − |a + b + c||
(v)
√
2 +
√
3 −
√
5 +
√
7
.
17. Zeigen Sie: ||x| − |y|| ≤ |x − y| f¨
ur alle x, y ∈ R.
18. Finde und beweise (durch vollst¨
andige Induktion) eine Formel f¨
ur
¨
UBER
VOLLST ¨
ANDIGE
INDUKTION
(i)
1
1·2
+
1
2·3
+ · · · +
1
n(n+1)
,
( Hinweis:
1
n(n+1)
=
1
n
−
1
n+1
. )
(ii)
3
1
2
·2
2
+
5
2
2
·3
2
+ · · · +
2n+1
n
2
(n+1)
2
.
19. Beweise die Bernoullische Ungleichung:
(1 + h)
n
≥ 1 + hn
fuer alle n ∈ N und h ∈ R mit h ≥ −1.
Wann gilt hier “=” ?
20. Berechne die ersten Konvergenten
p
n
q
n
von
4
1 +
1
2
2 +
3
2
2 +
5
2
2 +
7
2
2 + · · ·
.
Finde eine Rekursionsformel f¨
ur p
n
und q
n
.
21. Finde und beweise Formeln f¨
ur
(i)
1 + 3 + 5 + · · · + (2n + 1)
(ii) 1 + 9 + 25 + · · · + (2n + 1)
2
.
154
Anhang B
22. Zeigen Sie
(i)
Es gibt genau eine Zahlenfolge B
n
(n ∈ N ) mit der folgenden
Eigenschaft: Es ist B
0
= 1 und f¨
ur jede nat¨
urliche Zahl n ≥ 1 und
jede reelle Zahl x ist
B
n
(x + 1) − B
n
(x) = nx
n−1
,
wenn man B
n
(x) durch
B
n
(x) =
n
X
k=0
n
k
B
k
x
n−k
erkl¨
art.
(ii) Finden Sie eine Formel f¨
ur
1 + 2
n
+ 3
n
+ 4
n
+ · · · + k
n
zu jeder nat¨
urlichen Zahl n.
23. Zeigen Sie durch vollst¨
andige Induktion:
(a
n
+ a
n−1
b + a
n−2
b
2
+ · · · + ab
n−1
+ b
n
)(a − b) = a
n+1
− b
n+1
.
24. Seien S, T endliche Mengen. Bestimmen Sie die Anzahl der injektiven
GENERAL
NONSENSE UND
ELEMENTARE
KOMBINATORIK
Abbildungen von S nach T .
25. Seien A
i
(1 ≤ i ≤ n) endliche Mengen. Zeigen Sie:
[
1≤i≤n
A
i
= −
X
ø
6=I⊂{1,...,n}
(−1)
|I|
\
i∈I
A
i
.
26. Es bezeichne R einen kommutativen Ring und M eine beliebige Menge.
Sind f, g ∈ R
M
, so erkl¨
aren wir die Summe f + g und das Produkt f · g,
indem wir
(f + g)(x) = f (x) + g(x),
(f · g)(x) = f (x) · g(x)
(x ∈ M )
setzen. Zeigen Sie: R
M
wird verm¨
oge dieser Operationen zu einem
kommutativen Ring.
27. F¨
ur beliebige Abbildungen f : S → T und Teilmengen X, Y ⊂ S gilt
im allgemeinen nicht f (X ∩ Y ) = f (X) ∩ f (Y ). Finden Sie ein Gegen-
beispiel. Was gilt mit ‘∪’ an Stelle von ‘∩’ ?
Aufgaben zu den Kapiteln
155
28. (i)
Bestimmen Sie die Anzahl der surjektiven Abbildungen einer end-
lichen Menge S auf eine endliche Menge T .
(ii) Bestimmen Sie die Anzahl der Zerlegungen einer endlichen Menge
in eine vorgegebene Anzahl von nichtleeren, paarweise disjunkten
Teilmengen. Hinweis: Die ersten Anzahlen von Zerlegungen sind:
1
1
1
1
3
1
1
7
6
1
1
15
25
10
1
1
31
90
65
15
1
1
63
301
350
140
21
1
29. Sei f : S → T eine Abbildung. Zeigen Sie, daß sich f als f = i ◦ s mit
einer surjektiven Abbildung s: S → X und einer injektiven Abbildung
i: X → T schreiben l¨
aßt.
30. Bestimmen Sie das Supremum und das Infimum der folgenden Mengen,
DAS VOLLST ¨
ANDIG-
KEITS
AXIOM
sofern sie existieren:
(i)
1
n
| n ∈ N \ {0}
(ii)
1
n
| n ∈ Z \ {0}
(iii)
x ∈ R | x
2
+ x − 1 < 0
(iv)
x ∈ R | x
2
+ x − 1 > 0
(v)
1
n
+ (−1)
n
| n ∈ N \ {0}
.
31. Seien A, B nichtleere, nach oben beschr¨
ankte Teilmengen von R. Dann
ist auch A + B nichtleer und nach oben beschr¨
ankt, und es gilt
sup(A + B) = sup(A) + sup(B).
(Hier bezeichnet A + B die Menge aller reellen Zahlen, die man in der
Gestalt x + y mit x ∈ A, y ∈ B schreiben kann. Hinweis: Die Un-
gleichung ‘sup(A + B) ≤ sup(A) + sup(B)’ ist einfach einzusehen; f¨
ur
die umgekehrte Ungleichung gen¨
ugt es sup(A+B) ≥ sup(A)+sup(B)−ε
f¨
ur jedes ε > 0 zu beweisen—warum?)
156
Anhang B
32. Zeigen Sie, daß
n!
n
n
eine Nullfolge ist.
33. F¨
ur eine von 0 verschiedene nat¨
urliche Zahl n bezeichne α(n) die Anzahl
der Primteiler von n, also
n
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 . . .
α(n)
1 1 1 2 1 2 1 3 2 2 . . .
Zeigen Sie, daß
α(n)
n
eine Nullfolge ist. (Hinweis: vergleiche mit Anwe-
senheitsaufgabe 9.)
34. Sei A eine nichtleere, nach unten beschr¨
ankte Teilmenge der reellen
Zahlen. Zeigen Sie
sup {x | x ≤ A} = inf A.
(Hierbei ist ‘x ≤ A’ eine abk¨
urzende Schreibweise f¨
ur ‘x ≤ y f¨
ur alle
y ∈ A’.)
35. Seien A, B nichtleere Teilmengen von R, und es gelte A ≤ B (d.h. x ≤ y
f¨
ur alle x ∈ A, y ∈ B). Zeigen Sie, daß A nach oben und B nach unten
beschr¨
ankt ist, und daß sup A ≤ inf B gilt.
36. Jede nach unten beschr¨
ankte, monoton fallende Folge von reellen Zah-
len ist konvergent.
37. F¨
ur eine nat¨
urliche Zahl n sei ν(n) = sup {ν ∈ N | 2
ν
≤ n} . Zeigen Sie,
daß
ν(n)
n
eine Nullfolge ist.
38. Zeigen Sie, daß sich jede reelle Zahl als Dualzahl schreiben l¨
aßt; ge-
nauer: zu jeder reellen Zahl x gibt es eine ganze Zahl e und eine Folge
(z
i
)
e≤i<∞
mit z
i
∈ {0, 1} f¨
ur alle e ≤ i < ∞, sodaß
x = sign(x) lim
n→∞
n
X
i=e
z
i
2
−i
.
Zeigen Sie, daß f¨
ur jedes von 0 veschiedene x die Folge der z
i
so gew¨
ahlt
werden kann, daß z
e
6= 0 und z
i
= 0 f¨
ur unendlich viele i ist, und daß
es zu jedem x auch h¨
ochstens eine solche Darstellung als Dualzahl gibt.
39. Konstruieren Sie eine surjektive Abbildung
f : P(N ) −→ {x ∈ R|0 ≤ x < 1}
(Hinweis: vorstehende Aufgabe). Beschreiben Sie eine Teilmenge von
P(N), sodaß die Einschr¨ankung Ihrer Abbildung auf diese Teilmenge
bijektiv wird.
40. Beweisen Sie die folgenden Identit¨
aten:
(i)
lim
n→∞
n
√
a = 1
(a > 0)
Aufgaben zu den Kapiteln
157
(ii)
lim
n→∞
n
√
a
n
+ b
n
= max(a, b)
(a, b > 0)
(iii) lim
n→∞
n
√
n = 1
(iv) lim
n→∞
n
p
17n
17
+ 16n
16
+ · · · + 2n
2
+ n = 1.
41. Finden Sie alle konvergenten Teilfolgen der Folge
1, 2, 1, 2, 3, 1, 2, 3, 4, 1, 2, 3, 4, 5, . . . .
42. Ist a
0
eine ganze Zahl, a
1
, a
2
, . . . eine Folge von positiven nat¨
urlichen
Zahlen, so setzt man
[a
0
, a
1
, . . . , a
n
] := a
0
+
1
a
1
+
1
a
2
+
1
a
3
+ . . .
+ 1
a
n
.
Zeigen Sie:
(i)
Definiert man p
n
, q
n
durch
p
0
= a
0
,
q
0
= 1,
p
1
= a
0
a
1
+ 1,
q
1
= a
1
,
p
n
= a
n
p
n−1
+ p
n−2
(n ≥ 2)
q
n
= a
n
q
n−1
+ q
n−2
(n ≥ 2),
so gilt
p
n
q
n
= [a
0
, . . . , a
n
].
(ii) Es ist p
n
q
n−1
− p
n−1
q
n
= (−1)
n−1
.
(iii) Mit x
n
:=
p
2n
q
2n
und y
n
:=
p
2n+1
q
2n+1
wird eine Intervallschachtelung
(x
n
|y
n
)
n∈N
definiert. (Insbesondere existiert stets der Grenzwert
[a
0
, a
1
, a
2
, . . .] := lim
n→∞
[a
o
, a
1
, . . . , a
n
].)
43. Zeigen Sie: Jede irrationale reelle Zahl x besitzt eine eindeutige Dar-
stellung als unendlicher Kettenbruch; genauer: es gibt eine und nur
eine Folge ganzer Zahlen (a
n
)
n∈N
mit positiven a
n
f¨
ur n ≥ 1, sodaß
x = [a
0
, a
1
, a
2
, . . .] gilt.
(Hinweis: Betrachten Sie die Folge x
0
= x, x
n
= [x
n
] +
1
x
n+1
—hierbei
steht das Symbol [y] f¨
ur die gr¨
oßte ganze Zahl, die noch kleiner oder
gleich y ist.)
44. (i)
Zeigen Sie, daß sich jede rationale Zahl in einen endlichen Ket-
tenbruch entwickeln l¨
aßt, d.h.
daß sich jede rationale Zahl als
158
Anhang B
[a
0
, a
1
, . . . , a
n
] mit geeigneten ganzen Zahlen a
r
, a
r
> 0 f¨
ur r ≥ 1,
schreiben l¨
aßt.
(ii) Entwickeln Sie −691/2730 in einen Kettenbruch. Ist Ihre Darstell-
ung eindeutig ?
45. F¨
ur welche x existiert lim
n→∞
(−1)
n
x
n
n
1+x
? Berechnen Sie den Grenz-
wert f¨
ur x ∈ Z.
(Hinweis: Man kann etwa so vorgehen: zun¨
achst untersucht man f¨
ur
solche x, wo die entsprechende Folge monoton ist (hierbei darf ohne
Beweis die f¨
ur beliebige reelle x ≥ 1 und h ≥ 0 geltende Bernoullische
Ungleichung “(1 + h)
x
≥ 1 + hx” angewandt werden); die Untersuchung
f¨
ur beliebige x f¨
uhrt man auf die schon untersuchten F¨
alle zur¨
uck, in-
dem man
x
n
=
x
n
x−1
n−1
ausnutzt.)
46. Sei a
1
≥ a
2
≥ a
3
≥ · · · ≥ 0 und lim
n→∞
a
n
= 0. Dann konvergiert die
UNENDLICHE
REIHEN
Reihe
P
∞
n=0
(−1)
n
a
n
.
(Hinweis: Denken Sie an Intervallschachtelungen !)
47. Zeigen Sie, daß
P
∞
n=0
x
n
f¨
ur jede reelle Zahl x > −1 konvergiert und
sonst divergiert. F¨
ur welche Zahlen x ist die Reihe absolut konvergent ?
Raten Sie den Wert der Reihe f¨
ur x = 1/2 —Sie m¨
ussen Ihre Vermutung
allerdings nicht beweisen.
(Hinweis: Kann man die vorstehende Aufgabe anwenden ?)
48. Entscheiden Sie, welche der folgenden Reihen konvergent bzw. diver-
gent ist.
∞
X
n=0
n
2
n!
∞
X
n=0
n
2
n
3
+ 1
∞
X
n=0
n
k
+ a
k
n
k−1
+ · · · + a
1
n + a
0
n
l
+ b
l
n
l−1
+ · · · + b
1
n + b
0
∞
X
n=0
n
n
(2.7)
n
n!
∞
X
n=0
n
n
(2.8)
n
n!
.
49. F¨
ur welche Zahlen x konvergiert
∞
X
n=1
x
n
n!
n
n
?
50. F¨
ur welche x und k konvergiert
∞
X
n=1
n
k
x
n
?
51. Streichen Sie in der harmonischen Reihe
P
∞
n=1
1
n
alle Terme
1
n
, wo
die Dezimaldarstellung von n die Ziffer 0 enth¨
alt. Ist die verbleibende
unendliche Reihe divergent oder konvergent ?
Aufgaben zu den Kapiteln
159
52. Man konstruiere eine Folge (a
n
) von positiven reellen Zahlen mit den
folgenden Eigenschaften: Die Folge
a
n+1
a
n
ist nach oben unbeschr¨
ankt
und
P
n
a
n
konvergiert.
53. Es bezeichne F
n
die n-te Fibonacci-Zahl, d.h. es ist F
n
= F
n−1
+ F
n−2
(n ≥ 2), F
0
= F
1
= 1. F¨
ur welche x konvergiert
P
∞
n=0
F
n
x
n
?
54. Sei
P
∞
n=0
a
n
eine konvergente, aber nicht absolut konvergente Reihe.
Zeigen Sie: Zu jeder reellen Zahl x existiert eine Bijektion σ : N → N,
sodaß
P
∞
n=0
a
σ(n)
= x.
55. Zeigen Sie, daß
∞
X
n=0
B
n
n!
x
n
=
x
e
x
− 1
f¨
ur hinreichend kleines |x|.
(Die B
n
bezeichnen hierbei die durch “(B + 1)
n
= B
n
” erkl¨
arten
Bernoulli-Zahlen — vgl. Aufgabe 22.)
56. Zeigen Sie, daß die Folge der Zahlen exp
P
N
`=1
1
`
/N gegen einen
endlichen Grenzwert konvergiert.
57. (i)
Man zeige f¨
ur alle reellen Zahlen x und y 6= 0 die Identit¨
aten
n−1
X
`=0
sin(x + `y) = sin
x +
n − 1
2
y
·
sin
n
2
y
sin
y
2
.
(ii) Beweisen Sie eine analoge Formel f¨
ur
n−1
X
`=0
cos(x + `y).
(Hinweis: Benutzen Sie die Eulersche Gleichung und betrachten
Sie
n−1
X
`=0
e
i(x+`y)
.)
58. Zeigen Sie, daß es zu jeder positiven reellen Zahl a und zu jeder ganzen
Zahl n ≥ 1 genau n verschiedene komplexe Zahlen b
i
(1 ≤ i ≤ n) mit
der Eigenschaft b
n
i
= a gibt.
59. Sei
STETIGKEIT
f (x) =
x sin(
1
x
)
f¨
ur x ∈ R − {0}
0
f¨
ur x = 0.
Zeigen Sie, daß f in 0 stetig ist.
160
Anhang B
60. (i)
Zeigen Sie: Ist f eine auf dem Intervall [a, b] stetige Funktion,
so gibt es eine auf ganz R definierte, stetige Funktion F , sodaß
F (x) = f (x) f¨
ur alle x in [a, b] gilt.
(ii) Zeigen Sie, daß die vorstehende Aussage falsch wird, wenn man
[a, b] durch (a, b) ersetzt.
61. Zu einer positiven reellen Zahl a und einer nat¨
urlichen Zahl n 6= 0
definieren wir eine Funktion f : (0, ∞) → (0, ∞) verm¨
oge
f (x) =
(n − 1)x
n
+ a
nx
n−1
.
Zeigen Sie, daß f¨
ur jede positive reelle Zahl x
0
die Folge
x
0
, f (x
0
), f (f (x
0
)), f (f (f (x
0
))), · · ·
konvergiert. Wogegen ? Berechnen Sie die ersten Folgenglieder im Fall
a = 5, n = 2, x
0
= 2.
62. Zeigen Sie: Ist f eine auf ganz R definierte, stetige Funktion mit den
Eigenschaften f (x + y) = f (x) · f (y), f (1) = a > 0, so ist f (x) = a
x
.
(Hinweis: Sie d¨
urfen ohne Beweis benutzen, daß x 7→ a
x
stetig ist.
Zeigen Sie zun¨
achst f (x) = a
x
f¨
ur rationale x.)
63. Sei f : [a, b] → [a, b] eine Funktion mit der folgenden Eigenschaft: es gibt
eine reelle Zahl 0 < c < 1, sodaß f¨
ur alle x, y in [a, b] die Ungleichung
|f (x) − f (y)| < c|x − y| erf¨
ullt ist.
(i)
Zeigen Sie, daß f stetig ist.
(ii) Zeigen Sie, daß eine reelle Zahl x in [a, b] existiert, sodaß f (x) = x
gilt.
(Hinweis: Betrachten Sie f¨
ur irgendein x
0
in [a, b] die Folge
f (x
0
), f (f (x
0
)), f (f (f (x
0
))), . . . .)
64. Zeigen Sie, daß f¨
ur jede reelle Zahl a und jede positive reelle Zahl das
Intervall (a−, a+) sowohl unendlich viele rationale als auch unendlich
viele irrationale Zahlen enth¨
alt.
65. (i)
Seien f, g zwei stetige Funktionen auf dem Intervall [a, b] mit der
Eigenschaft f (a) ≥ g(a) und f (b) ≤ g(b). Zeigen Sie, daß sich die
Graphen von f und g in mindestens einem Punkt schneiden.
(ii) Sei f : [0, 1] → [0, 1] eine stetige Funktion. Zeigen Sie, daß f min-
destens einen Fixpunkt hat, d.h. daß f (x) = x f¨
ur mindestens ein
x in [0, 1] gilt.
Aufgaben zu den Kapiteln
161
66. Zu jedem normierten Polynom p(X) von geradem Grad, existiert ein
c
0
, sodaß die Gleichung p(x) = c mindestens eine L¨
osung f¨
ur c ≥ c
0
und keine L¨
osung f¨
ur c < c
0
hat.
67. Zeigen Sie, daß es zu je n + 1 vorgegebenen Zahlenpaaren x
k
, a
k
(0 ≤
k ≤ n) genau ein Polynom vom Grad n gibt, sodaß p(x
k
) = a
k
f¨
ur alle
k gilt.
68. Zeigen Sie: es gibt keine auf R stetige Funktion, die jede reelle Zahl
genau 2-mal als Wert annimmt.
(Hinweis: W¨
are f eine solche Funktion und f (a) = f (b), so h¨
atte man
entweder f (x) ≥ f (a) = f (b) ≥ f (y) f¨
ur alle x in und alle y außerhalb
[a, b], oder aber das Gleiche mit ‘≤’ statt ‘≥’.)
69. Finden Sie eine auf R stetige Funktion, die jede reelle Zahl genau 3-mal
als Wert annimmt.
70. Finden Sie eine auf R definierte Funktion, die
(i)
in keinem Punkt stetig ist, wogegen ihr Absolutbetrag in jedem
Punkt stetig ist.
(ii) in einer vorgegebenen reellen Zahl a stetig und in jedem anderen
Punkt unstetig ist.
(ii) in jedem irrationalen Punkt stetig, in jedem rationalen Punkt un-
stetig ist.
71. Skizzieren Sie die Graphen der folgenden auf D definierten Funktionen:
(i)
f (x) = a
x
(a > 0, D = R)
(ii) g(x) = x
r
(r fest vorgegenben, D = (0, +∞) )
(iii) Γ(x) = lim
n→∞
(−1)
n
n
x−1
−x
n
(D = R − {0, −1, −2, −3, . . .})
(zur Existenz der Grenzwerte siehe oben; sie k¨
onnen ohne Beweis
benutzen, daß Γ(x) stetig ist).
72. Wieviele Schnittpunkte k¨
onnen die Graphen G
f
i
= {(x, f
i
(x)) | x ∈ R}
(i = 1, 2) zweier polynomialer Funktion f
1
, f
2
h¨
ochstens haben ?
73. Zeigen Sie, daß die Funktion
DIFFERENZIER-
BARKEIT
f (x) =
(
e
−1/x
f¨
ur x > 0
0
f¨
ur x ≤ 0
162
Anhang B
unendlich oft differenzierbar ist.
74. Man konstruiere zu vorgegebenen reellen Zahlen > 0 und a, M eine
auf R unendlich oft differenzierbare Funktion f (x), sodaß stets f (x) > 0
f¨
ur x in und f (x) = 0 f¨
ur x außerhalb (a − , a + ) ist, und zus¨
atzlich
noch sup
x∈R
f (x) = M gilt.
(Benutzen Sie die vorstehende Aufgabe.)
75. (i)
Seien f, g n-mal differenzierbare Funktionen. Beweisen Sie
(f g)
(n)
=
n
X
k=0
n
k
f
(k)
g
(n−k)
(hierbei bezeichnet f
(k)
die k-te Ableitung von f ).
(ii) Berechnen Sie die Formel, die man erh¨
alt, wenn man in der vorste-
henden Gleichung f (x) = e
ax
, g(x) = e
bx
(a, b ∈ R) und x = 0
setzt.
(iii) Finden Sie eine Formel, die die n-te Ableitung eines Produkts
(f
1
· · · f
m
) durch die Ableitungen f
(k)
h
(1 ≤ h ≤ m, 0 ≤ k ≤ n)
ausdr¨
uckt.
76. (i)
Beweisen Sie: zu jedem Polynom p(X) gibt es ein Polynom
e
p(X),
sodaß
n
X
k=0
n
k
p(k) = 2
n
e
p(n)
f¨
ur alle nat¨
urlichen Zahlen n.
(ii) Berechnen Sie
e
p(X) f¨
ur den Fall p(X) = x
3
.
(Hinweis: Es gen¨
ugt, den Fall p(X) = x
h
zu behandeln; betrachten
Sie hierzu den Ausdruck
d
h
dx
h
(e
x
+ 1)
n
—via Induktion sieht man leicht,
daß er einerseits in der Form
P
h
`=0
q
`
(n)e
`x
(e
x
+ 1)
n−`
mit geeigneten
Polynomen q
`
(X) geschrieben werden kann, andererseits kann man ihn
aber auch mit dem binomischen Lehrsatz berechnen.)
77. Finden Sie mindestens eine Funktion f (x), sodaß
(i)
f
0
(x) =
1
x log x
(ii) f
0
(x) = ee
e
x
ee
x
e
x
(iii) f
0
(x) = f (x)x
r
.
78. Sei R(cot) die Menge aller Funktionen f , die sich in der Gestalt f (x) =
r(cot(x)) schreiben lassen, wo r eine rationale Funktion ist. Zeigen Sie,
daß R(cot) unter Differentiation abgeschlossen ist.
Aufgaben zu den Kapiteln
163
79. Sei p(X) ein normiertes Polynom vom Grad r mit reellen Nullstellen
x
i
(1 ≤ i ≤ r). Zeigen Sie:
Y
1≤i,j≤r
i6=j
(x
i
− x
j
) =
r
Y
i=1
p
0
(x
i
).
80. Berechnen Sie
f
0
(x)
f (x)
f¨
ur
(i)
f (x) =
Q
n
r=1
(1 + e
rx
)
(ii) f (x) =
Q
n
r=1
(1 + e
rx
)
−1
(iii)
f (x) =
x
n
.
81. Zeigen Sie, daß
lim
x→0
x>0
x
r
e
−1/x
= 0
f¨
ur jede reelle Zahl r.
82. Sei f eine auf dem Intervall (−, 1 + ) zweimal differenzierbare Funk-
tion; es gelte f (0) = 0, f (1) = 1, f
0
(0) = f
0
(1) = 0. Zeigen Sie, daß es
ein x im Intervall (0, 1) gibt, sodaß |f
00
(x)| ≥ 4.
(Ein Teilchen, welches in einer Zeiteinheit die Strecke 1 zur¨
ucklegt,
erleidet zu irgendeinem Zeitpunkt mindestens die Beschleunigung 4 !
Hinweis: Ist f (
1
2
) ≥
1
2
, so gibt es ein x in (0,
1
2
) mit f
00
(x) = 4; ist
f (1) − f (
1
2
) ≥
1
2
, so gibt ein x in (
1
2
, 1) mit f
00
(x) = −4.)
83. Zeigen Sie: f¨
ur alle r ≥ 1 und h > −1 gilt
(1 + h)
r
≥ 1 + hr.
(Hinweis: Untersuchen Sie h 7→ (1 + h)
r
− (1 + hr) auf Monotonie.)
84. (i)
Sei f eine auf (a, +∞) differenzierbare Funktion, sodaß sowohl
lim
x→∞
f (x) als auch lim
x→∞
f
0
(x) existieren. Zeige: lim
x→∞
f
0
(x) = 0.
(ii) Finden Sie eine auf (0, +∞) differenzierbare Funktion, sodaß der
Grenzwert lim
x→∞
f (x) existiert, aber nicht lim
x→∞
f
0
(x).
85. Sei f eine auf dem Intervall (−a, +a) (n + 1)–mal stetig differenzierbare
Funktion und p(X) ein Polynom vom Grad n, sodaß
|f (x) − p(x)| ≤ M
x
n+1
f¨
ur alle x ∈ (−a, +a)
(M konstant)
gilt. Zeigen Sie, daß dann p(X) das n–te Taylorpolynom von f um den
Punkt 0 ist.
86. Ein Teilchen bewegt sich auf einer Geraden vom Punkt (0, a) zum
Punkt (x, 0) und dann auf einer Geraden von (x, 0) zum Punkt (1, b)
(a, b > 0). Zeigen Sie, daß die zur¨
uckgelegte Strecke minimal ist, falls
die Winkel r und s gleich sind.
164
Anhang B
87. (i)
Sei f : (a, b) → (c, d) eine bijektive, differenzierbare Abbildung, und
sei F eine Funktion auf (a, b), sodaß F
0
= f . Dann ist die Funktion
G(x) := xf
−1
(x) − F (f
−1
(x))
differenzierbar, und es gilt G
0
= f
−1
.
(ii) Finden Sie Funktionen G(x), sodaß
(a)
G
0
(x) = log(x)
(b)
G
0
(x) = arcsin(x)
(c)
G
0
(x) = arctan(x).
88. (i)
Sei f : (0, 1) → (0, 1) eine bijektive, monoton steigende Funktion,
sodaß f
−1
= f . Dann gilt f (x) = x.
(ii) Konstruieren Sie unendlich viele bijektive, monoton fallende, un-
endlich oft differenzierbare Funktionen f : (0, 1) → (0, 1) mit der
Eigenschaft f
−1
= f .
89. Sei f (x) eine auf dem Intervall [a, b] stetige, im Intervall (a, b) differen-
zierbare Funktion, sodaß |f
0
(x)| ≤ M f¨
ur alle x ∈ (a, b) gilt. Zeigen
Sie: |f (b) − f (a)| ≤ M (b − a).
90. (i)
Sei a
1
< . . . < a
n
. Finden Sie das Minimum der Funktion f (x) =
P
n
i=1
(x − a
i
)
2
.
(ii) Finden Sie das Minimum der Funktion f (x) =
P
n
i=1
|x − a
i
|.
91. F¨
ur reelle Zahlen p, q bezeichne V den Vektorraum aller auf R unendlich
oft differenzierbaren Funktionen f , die der Gleichung
f
00
+ pf
0
+ qf = 0
gen¨
ugen. Zeigen Sie, daß die Abbildung
V −→ R
2
,
f 7→ (f (0), f
0
(0))
eine Bijektion definiert (sie ist dann sogar ein Isomorphismus von Vek-
torr¨
aumen).
Hinweis: Zum Nachweis der Surjektivit¨
at betrachte man Funktionen
der Gestalt e
λt
, te
λt
, bzw. — falls λ 6∈ R — die Real-und Imagin¨arteile
dieser Funktionen. Zum Nachweis der Injektivit¨
at gen¨
ugt es zu zeigen,
daß nur die identisch verschwindende Funktion in V der Bedingung
f (0) = f
0
(0) = 0 gen¨
ugt. Warum ? Zum Nachweis des letzteren betra-
chte man zu gegebener reeller Zahl c die Funktion F
c
(t) := e
−ct
(f (t)
2
+
f
0
(t)
2
); es ist F
c
(0) = 0, F
c
(t) ≥ 0; f¨
ur ein geeignetes c ist aber
F
0
c
(t) ≤ 0, und dies ist nur m¨
oglich, falls F
c
identisch verschwindet.
Aufgaben zu den Kapiteln
165
92. Beweisen Sie das Additionstheorem des arcsin:
arcsin x + arcsin y = arcsin(x
p
1 − y
2
+ y
p
1 − x
2
).
93. Es ist
π
2
die kleinste positive Nullstelle von cos(x).
(i)
Zeigen Sie, daß tan(x) :=
sin(x)
cos(x)
bei Einschr¨
ankung eine bijektive
differenzierbare Funktion (−
π
2
,
π
2
) → R definiert. Die Umkehrab-
bildung wird mit arctan bezeichnet.
(ii) Zeigen Sie, daß
π
4
= arctan(1).
(iii) Beweisen Sie das Additionstheorem f¨
ur den Arcustangens:
arctan x + arctan y = arctan
x + y
1 − xy
(0 ≤ x ≤ 1, y < 1).
Hinweis: Beweisen Sie zun¨
achst mittels der Eulerschen Formel das
¨
aquivalente Additiontheorem f¨
ur den Tangens.
(iv) Zeigen Sie die Formel von John Machin:
π
4
= 4 arctan
1
5
− arctan
1
239
.
94. (i)
Zeigen Sie die folgende Formel f¨
ur alle m, p, q ≥ 1, m
2
+ 1 = pq
g¨
ultige Formel:
arctan
1
m
= arctan
1
m + p
+ arctan
1
m + q
.
Hinweis: Diese Formel geht im wesentlichen auf Lewis Carroll
zur¨
uck.
(ii) Zeigen Sie die Formel
π
4
= 2 arctan
1
3
+ arctan
1
7
.
(Eine Formel von Euler zur Berechnung von π.)
95. (i)
Seien r
k
reelle Zahlen, n
k
ganze Zahlen (1 ≤ k ≤ n). Man beweise,
daß die beiden folgenden Aussagen ¨
aquivalent sind:
(a)
n
X
k=1
n
k
arctan r
k
= π`
mit einem ` ∈ Z
.
166
Anhang B
(b)
n
Y
k=1
(1 + ir
k
)
n
k
∈ R.
Hinweis: x = `π (` ∈ Z) ↔ e
ix
= ±1.
(ii) Beweisen Sie mit (i) nochmals die Formeln:
π
4
= 4 arctan
1
5
− arctan
1
239
,
π
4
= 2 arctan
1
3
+ arctan
1
7
.
96. (i)
Zeigen Sie, daß die Exponentialfunktion transzendent ¨
uber dem
K¨
orper der rationalen Funktionen ist, d.h. daß es keine rationalen
Funktionen f
0
, f
1
, . . . , f
n
gibt, sodaß
e
nx
+ e
(n−1)x
f
n−1
(x) + . . . + e
x
f
1
(x) + f
0
(x) = 0
f¨
ur alle x gilt, f¨
ur die die f
k
definiert sind.
(ii) Zeigen Sie das gleiche f¨
ur den Sinus.
97.
Man berechne die Taylorentwicklung von log
1−x
1+x
um x = 0.
TAYLOR-
ENTWICKLUNG
98.
Setzt man in der Machinschen Formel
π
4
= 4 arctan
1
5
− arctan
1
239
.
die Taylorentwicklung
arctan x = x −
x
3
3
+
x
5
5
−
x
7
7
+
x
9
9
− + · · ·
(−1 < x ≤ 1)
ein, so erh¨
alt man eine unendliche Reihe, die gegen π konvergiert und
deren n-te Partialsumme s
n
eine effektiv berechenbare, rationale Zahl
ist. Finden Sie eine Fehlerabsch¨
atzung f¨
ur |π − s
n
|, und bestimmen
Sie anhand Ihrer Absch¨
atzung ein n
0
, sodaß die ersten 100 Stellen der
Dezimalentwicklung von s
n
0
mit den ersten 100 Stellen der Dezima-
lentwicklung von π ¨
ubereinstimmen.
99.
(i)
Zeigen Sie
π = 48 arctan
1
18
+ 32 arctan
1
57
− 20 arctan
1
239
.
(ii)
Setzt man in diese Formel die Taylorentwicklung des arctan um
x = 0 ein, so erh¨
alt man eine Darstellung von π als unendliche
Reihe. Bestimmen Sie ein n, sodaß die n-te Partialsumme dieser
Reihe sich von π um weniger als 10
−100
unterscheidet. Verglei-
chen Sie dieses Ergebnis mit der entsprechenden Absch¨
atzung
f¨
ur die Machinsche Formel (siehe oben).
Aufgaben zu den Kapiteln
167
(iii) Berechnen Sie die ersten 6 Stellen von π.
100. (i)
Zeigen Sie, daß die Zuordnung x 7→ tanh x :=
sinh x
cosh x
eine bi-
jektive, unendlich oft differenzierbare Abbildung R → (−1, 1)
definiert. Die Umkehrfunktion wird mit arctanh bezeichnet.
(ii)
Berechnen Sie die Taylorentwicklung von arctanh x bei x = 0,
und zeigen Sie, daß sie f¨
ur jedes x aus (−1, 1) gegen arctanh x
konvergiert.
Hinweis: Man kann die Funktion arctanh x mittels des Logarith-
mus ausdr¨
ucken.
101. Berechnen Sie die Taylorreihen der folgenden Funktionen um x = 0,
bestimmen Sie den Konvergenzradius dieser Taylorreihen, und zeigen
Sie, daß diese f¨
ur |x| < Konvergenzradius gegen die jeweilige Funktion
konvergieren:
(i)
arctan x
(ii)
arccot x
(ii)
arcsinh x
(iv)
arcsec (x
2
+ 2).
(arcsec x ist die Umkehrfunktion der Einschr¨
ankung von sec x =
1
cos x
auf das Intervall (0,
π
2
).)
102. Beweisen Sie die folgenden Aussage: Seien f, g in einem offenen Inter-
vall I definierte, differenzierbare Funktionen, und sei a ∈ R ∪ {±∞}
Randpunkt von I (d.h. es ist I = (b, a) oder I = (a, b) mit einem
geeigneten b). Es gelte
lim
x→a
x∈I
f (x) = 0,
lim
x→a
x∈I
g(x) = 0,
und lim
x→a
x∈I
f
0
(x)
g
0
(x)
existiere. Dann existiert auch lim
x→a
x∈I
f (x)
g(x)
, und es gilt
lim
x→a
x∈I
f (x)
g(x)
= lim
x→a
x∈I
f
0
(x)
g
0
(x)
.
(Dies ist eine weitere von zahlreichen Varianten von L’Hˆ
opital’s Regel.
Hinweis: benutzen Sie den Cauchyschen Mittelwertsatz.)
103. Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte:
(i)
lim
x→0
x
tan x
(ii)
lim
x→0
cos
2
x − 1
tan x
(Hinweis: Regel von L’Hˆ
opital.)
168
Anhang B
104. Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte:
(i)
lim
x→
π
4
(cot x)
tan 2x
(ii)
lim
x→0
(1 + sin x)
1
sin x
(Hinweis: Regel von L’Hˆ
opital.)
105. Berechnen Sie die Konvergenzradien der folgenden Potenzreihen:
POTENZREIHEN
(i)
P
∞
n=1
n
α
x
n
(α ∈ R)
(ii)
P
∞
n=0
sin(n)x
n
(iii)
P
∞
n=1
log(n)x
n
(iv)
P
∞
n=0
x
n
(4+(−1)
n
)
3n
.
106. Entwickeln Sie
√
x
2
− x + 1 in eine Potenzreihe um x = 1.
107. (i)
Zeigen Sie, daß
P
∞
n=0
F
n
x
n
(F
n
= n-te Fibonacci-Zahl) eine ra-
tionale Funktion ist.
(ii)
Entwickeln Sie diese rationale Funktion in eine Taylorreihe um
x = 0, indem Sie sie als Summe von geometrischen Reihen
schreiben.
(iii) Folgern Sie eine explizite Formel f¨
ur F
n
.
108. (i)
F¨
ur eine nach oben beschr¨
ankte Zahlenfolge {a
n
} bezeichnet man
als Limes superior — in Zeichen lim sup
n→∞
a
n
— die Zahl sup M ,
wo M die Menge der H¨
aufungspunkte der Folge {a
n
} bedeutet.
Zeigen Sie, daß diese Definition sinnvoll ist, d.h. daß die Menge
M tats¨
achlich nach oben beschr¨
ankt ist (wir benutzen hier die
Konvention sup Ø = −∞). F¨
ur eine nach oben unbeschr¨
ankte
Folge setzt man noch lim sup
n→∞
= ∞.
(ii)
Zeigen Sie f¨
ur den Konvergenzradius einer gegebenen Potenzreihe
P
n
a
n
x
n
die Formel von Hadamard:
sup
n
r ≥ 0 |
X
|a
n
|r
n
ist konvergent
o
=
1
lim sup
n→∞
n
p|a
n
|
.
(Hierbei ist die rechte Seite gegebenenfalls im Sinne von
1
0
= ∞
und
1
∞
= 0 zu interpretieren.)
Aufgaben zu den Kapiteln
169
109. Sei (a
n
) eine nach oben beschr¨
ankte Zahlenfolge. Zeigen Sie
lim sup
n→∞
{a
k
|k ≥ n} = lim sup
n→∞
a
n
.
110. (i)
Bestimmen Sie den Konvergenzradius R der Reihe
1 +
∞
X
k=1
1 · 3 · 5 · · · · (2k − 1)
2
k
· k!
2
t
k
.
(ii)
Zeigen Sie, daß die durch diese Potenzreihe in dem Intervall
(−R, R) definierte Funktion f der Differentialgleichung
f
00
+
1 − 2t
t(1 − t)
f
0
−
1
4t(1 − t)
f = 0
gen¨
ugt, und daß jede weitere bei t = 0 analytische L¨
osung dieser
Differentialgleichung von der Gestalt c · f mit einer geeigneten
Konstanten c ist.
111. Ein abgeschlossenes Intervall I und darin Punkte x
k
(0 ≤ k ≤ n) seien
GLEICHM ¨
ASSIGE
STETIGKEIT UND
GLEICHM ¨
ASSIGE
KONVERGENZ
vorgegeben. Konstruieren Sie eine auf diesem Intervall punktweise
konvergente Folge von stetigen Funktionen, sodaß die Grenzfunktion
auf I \ {x
0
, x
1
, . . . , x
n
} stetig und in den Punkten x
k
unstetig ist.
112. Es bezeichne I ⊂ R ein abgeschlossenes Intervall und C(I) die Menge
der stetigen Funktionen auf I. Zeigen Sie nacheinander die folgenden
Behauptungen:
(i)
Zu jedem f ∈ C(I) existiert eine Folge von auf I st¨
uckweise lin-
earen, stetigen Funktion l
n
(n = 1, 2, 3, . . .), die auf I gleichm¨
aßig
gegen f konvergiert. — Hierbei heißt eine stetige Funktion l auf
I st¨
uckweise linear, falls es eine Zerlegung I = ∪
r
k=1
I
k
von I
in paarweise disjunkte Teilintervalle I
k
gibt, sodaß zu jedem k
Zahlen a, b existieren, sodaß l(x) = ax + b f¨
ur alle x ∈ I
k
ist.
(Hinweis: Jedes Element in C(I) ist gleichm¨
aßig stetig auf I.)
(ii)
Zu jeder auf I stetigen, st¨
uckweise linearen Funktion l kann man
Zahlen a
k
und x
k
(0 ≤ k ≤ n) finden, sodaß
l(x) =
n
X
k=0
a
k
|x − x
k
|
f¨
ur alle x ∈ I.
170
Anhang B
(iii) Zu jedem > 0 existiert ein Polynom p(x), sodaß
||x| − p(x)| <
f¨
ur alle x ∈ I.
(Hinweis: Man kann die Binomialreihe und die Formel |x| =
√
x
2
benutzen.)
(iv) Zu jedem f ∈ C(I) existiert eine Folge von Polynomen p
n
(n =
1, 2, 3, . . .), die auf I gleichm¨
aßig gegen f konvergiert.
113. Zeigen Sie, daß f¨
ur auf einer Menge M definierte Funktionen f, f
n
(n = 0, 1, 2, . . .) die folgenden beiden Aussagen ¨
aquivalent sind:
(A) Die Folge f
n
konvergiert auf M gleichm¨
aßig gegen f .
(B)
Es gibt ein n
0
, sodaß die Funktionen f
n
−f f¨
ur n ≥ n
0
beschr¨
ankt sind, und die Folge sup |f − f
n
|(M ) (n ≥
n
0
) ist eine Nullfolge.
114. Zeigen Sie, daß eine Reihe von Funktionen
P
n
f
n
(x) auf einer Menge
M gleichm¨
aßig konvergiert, falls es eine konvergente Reihe
P
n
c
n
gibt,
sodaß |f
n
(x)| ≤ c
n
f¨
ur alle n und alle x ∈ M gilt. (Da die Grenz-
funktion einer gleichm¨
aßig konvergenten Folge von stetigen Funktionen
wieder stetig ist, impliziert die eben bewiesene Tatsache insbesondere,
daß eine Potenzreihe im Innern ihres Konvergenzkreises eine stetige
Funktion darstellt.)
115. Es sei f (x) = 1 f¨
ur x ∈ I ∩ Q und f (x) = 0 f¨
ur x ∈ I \ Q, wobei
INTEGRAL
I = [0, 1]. Zeigen Sie:
(i)
Es gibt eine Folge von Treppenfunktionen t
n
, die auf I punkt-
weise gegen f konvergiert.
(ii)
Es gibt dagegen keine Folge von Treppenfunktionen, die auf I
gleichm¨
aßig gegen f konvergiert.
116. Berechnen Sie
R
a
0
cos x dx mittels Treppenfunktionen, d.h. finden Sie
eine geeignete Folge von Treppenfunktionen t
n
, die auf dem Inter-
vall [0, a] gleichm¨
aßig gegen cos x konvergiert, und berechnen Sie di-
rekt und ohne Benutzung des ‘Hauptsatzes’ den Grenzwert der Folge
R
a
0
t
n
(x) dx.
117. Sei f eine auf einem abgeschlossenen Intervall I definierte, streng
monotone Funktion. Dann gibt es eine Folge von Treppenfunktionen,
die auf I gleichm¨
aßig gegen f konvergiert.
Aufgaben zu den Kapiteln
171
118. Sei f eine auf dem Intervall [0, a] definierte, streng monoton steigende
Funktion, f (0) = 0, f (a) = b. Dann gilt
Z
a
0
f (x) dx +
Z
b
0
f
−1
(y) dy = a · b.
(Hinweis: Veranschaulichen Sie sich die Behauptung an einer Skizze!)