Tolkien, JRR Sir Gawain und der gruene Ritter

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SIR GAWAIN UND

DER GRÜNE RITTER


Aus dem

Mittelenglischen

übersetzt von

Hans J. Schütz


Mit dem Essay

»Sir Gawain und der

Grüne Ritter« von

J. R. R. TOLKIEN









Klett-Cotta

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Die Übersetzung von

»Sir Gawain und der Grüne Ritter«

von Hans J. Schütz folgt der 1967 von

N. Davis veranstalteten mittelenglischen Ausgabe.

Der Essay »Sir Gawain und der Grüne Ritter«

von J. R. R. Tolkien in der Übersetzung von

Wolfgang Krege ist dem Band J. R. R. Tolkien,

»Die Ungeheuer und ihre Kritiker. Gesammelte Aufsätze«

entnommen.



Für die deutsche Ausgabe © J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart 2004

Fotomechanische Wiedergabe nur mit

Genehmigung des Verlags

Printed in Germany

Schutzumschlag: Dietrich Ebert, Reutlingen

ISBN 3-608-93263-1

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Als „eines der Meisterwerke der englischen
Dichtung im 14. Jahrhundert und der englischen
Literatur insgesamt“ rühmt Tolkien in seinem
kenntnisreichen Essay das um 1370 entstandene
Werk eines unbekannten Autors, eines
Zeitgenossen Chaucers, das hier in einer
ausgesprochen „leserfreundlichen“
Prosanachdichtung vorliegt. Sie erzählt ein
gefährliches Abenteuer, das Gawain, ein Ritter aus
König Artus’ Tafelrunde, gegen einen
unheimlichen Herausforderer zu bestehen hat und
das ihm zugleich eine moralische Prüfung
auferlegt. Ausführliche Schilderungen prächtiger
Hofgesellschaften und dramatischer Jagdszenen
machen einen Hauptreiz des in poetischer Sprache
farbig und anschaulich erzählten Epos aus, das
keineswegs nur literaturgeschichtlichen Rang
besitzt, sondern auch dem fantasygeschulten Leser
als lebendiges Zeugnis mittelalterlicher Dichtung
empfohlen wird.

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SIR GAWAIN UND DER GRÜNE RITTER

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I.



Nachdem die Belagerung vorüber und Troja
eingenommen, die Festung von Flammen verzehrt und zu

Asche geworden war, wurde der Übeltäter, der dort Verrat
begangen hatte, für seine Niedertracht, die größte, die je verübt
wurde, bestraft. Es war der edle Aeneas, und seine berühmten
Nachkommen unterwarfen später Länder und besaßen fast alle
Reichtümer der westlichen Länder.

Nachdem der edle Romulus nach Rom gekommen war,

besiedelte er den Ort sogleich mit großem Prunk und Stolz und
gab der Stadt seinen Namen, den sie noch heute trägt; Tirius
zog in die Toskana und gründete Städte, in der Lombardei ließ
Langbart Paläste bauen, und fern, jenseits des Frankenmeers,
schuf Felix Brutus auf weiten Wiesen und Hügeln das Reich
Britannien, wo in der Folgezeit wunderbare Dinge geschahen,
Krieg und Leid, Freude und Schmerz sich oft rasch
abwechselten.

Als das schöne Britannien von diesem berühmten Mann
gegründet war, wuchsen dort kühne Recken heran, die

den Kampf liebten und früher oft großes Unheil anrichteten.

In diesem Reich gab es mehr Wunder zu bestaunen als in

irgendeinem andren Land, das ich kenne. Doch von allen
Königen, die in Britannien herrschten, wurde Artus, wie ich
hörte, am meisten verehrt.

Darum will ich von einem sonderbaren Ereignis erzählen,

einem der tollsten Abenteuer unter den Wundern Artus’. Allen,

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2.

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die dieser Geschichte geduldig zuhören wollen, will ich sie
erzählen, so wie ich sie vernommen habe, denn sie ist, wie man
es früher in diesem Land liebte, in kunstvollen Worten
aufgehoben und festgehalten und berichtet von Mut und
Tapferkeit.

Dieser König hielt hof in Camelot zur Weihnachtszeit
mit vielen edlen Recken, den edelsten Rittern der

Tafelrunde, kampferprobt sie alle, voller Frohsinn und
unbeschwerter Heiterkeit. Diese tapferen Herren tjostierten
viele Male, und dann kamen sie an den Hof, um zu singen und
zu tanzen. Das Fest dort dauerte nämlich volle vierzehn Tage
mit allen Gaumenkitzeln und Lustbarkeiten, die man sich
denken kann, und der Freudenlärm war prächtig anzuhören, am
Tag von muntren Reden und bei Nacht von der Tanzmusik.
Alles war eitel Freude in den Sälen und Gemächern bei den
Damen und Herren, ganz wie es ihnen am meisten gefiel. Im
Glück dieser Welt weilten sie zusammen, die berühmtesten
Kämpen, die sich Christus geweiht hatten, und die schönsten
Frauen, welche die Erde je erblickte, zusammen mit dem
strahlendsten König, dem dieser Hof zu eigen war. Alle waren
sie, die dort weilten, in ihrer Jugendblüte, die prächtigste Schar
unter der Sonne und ihr König so reich an Ruhm, daß es
schwer wäre, auf Erden eine ebenbürtige Runde zu nennen.

Als das neue Jahr just angebrochen und noch jung war,
wurde der Gesellschaft doppelt soviel wie sonst

aufgetragen. Nachdem der König und seine Getreuen die Halle
betreten hatten und die Chorgesänge in der Kapelle beendet
waren, erschallten wieder und wieder die lauten
Weihnachtsgrüße der Kleriker und Herren. Und alle holten

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4.

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eilig die Geschenke herbei, riefen sie aus, überreichten sie und
ließen sie erraten. Die Damen lachten laut, auch wenn sie
verloren hatten, und wenn sie einen Kuß gewonnen hatten,
waren sie mitnichten traurig darüber, das mögt ihr glauben. So
waren alle fröhlich, bis das Mahl aufgetragen wurde. Als sie
sich, wie es Brauch war, die Hände gewaschen, nahmen sie
ihre Plätze ein je nach dem Rang, der ihnen zukam. Die schöne
Königin Ginevra thronte in der Mitte auf einem prächtigen,
ringsum geschmückten Podest mit feinen Vorhängen aus
Seide, einem Baldachin aus Toulouser Tuch, reichlichem
Besatz aus Tharsis und mit den kostbarsten Edelsteinen
verziert, die man überhaupt erhandeln konnte. Alle Blicke
richteten sich auf sie, denn ihre Schönheit überstrahlte alles,
und niemand könnte ernstlich behaupten, je eine schönere Frau
gesehen zu haben.

Doch Artus wollte nicht speisen, bis allen aufgetragen
war. Er freute sich seiner Jugend, ausgelassen wie ein

Knabe genoß er das Leben und liebte es nicht, lange zu liegen
oder auf einem Fleck zu sitzen, angestachelt von seinem
jungen Blut und seinem leichten Sinn. Und noch etwas anderes
bewog ihn, etwas, dem er mit Stolz zugetan war: Er wollte an
einem festlichen Tag, wie dieser einer war, erst dann speisen,
wenn ihm eine sonderbare Geschichte, ein aufregendes
Abenteuer berichtet wurde oder ein wunderliches Ereignis, an
das er glauben konnte, von Fürsten, ritterlichen Taten oder
anderen Abenteuern; und noch lieber war ihm, wenn ihm
jemand einen aufrechten Ritter nennen konnte, der mit ihm
tjostieren und bereit sein würde, sein Leben gegen das
königliche aufs Spiel zu setzen, in einem Zweikampf, dessen
Ausgang Fortuna bestimmte. Das war des Königs Gewohnheit,
wenn er bei einem prächtigen Fest mit seiner edlen Schar in

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der Halle weilte. So steht er da, kraftvoll und groß, ein Bild der
Jugend im neuen Jahr, voller Leben und Überschwang.

So steht er da, der stattliche König und plaudert mit der
Tafelrunde am erhöhten Tisch gewandt über dies und

das. Der tapfere Gawain saß zur einen, Agrawain mit der
harten Hand zur anderen Seite Ginevras, beide Schwestersöhne
des Königs und bewährte Ritter. Bischof Balduin saß am Kopf
der Tafel und bei ihm Uwain, der Sohn Uriens. Sie alle saßen
auf erhöhten Plätzen und wurden geziemend bedient, und viele
weitere Recken saßen an den Nebentischen. Dann wurde der
erste Gang aufgetragen unter dem Schmettern der Trompeten,
die mit vielen bunten Fähnchen geschmückt waren; dann
dröhnten die Kesselpauken, die Flöten, und die Musik war so
kraftvoll und mitreißend, daß die Herzen schneller schlugen.
Dann wurde ein Festmahl serviert, Gebratenes in so vielen
Schüsseln, daß vor den Gästen für die Silbergefäße auf dem
weißen Tafeltuch kaum noch Platz blieb. Jeder griff nach
Herzenslust zu, und niemand neidete dem Nebenmanne etwas,
denn je zwei hatten zwölf Schüsseln und dazu gutes Bier und
Weißwein.

Von den Speisen will ich weiter nichts sagen, denn es
versteht sich, daß es an nichts fehlte. Plötzlich ertönte

eine Fanfare, für den König ein Zeichen, mit dem Mahl zu
beginnen. Doch war die Musik kaum verstummt und der erste
Gang, wie es Brauch war, aufgetragen, als ein erschreckender
Ritter zur Tür hereinstürzte, über die Maßen groß, vom Hals
bis zur Taille so breit und massig, die Lenden und Glieder so
lang und kräftig, daß ich ihn einen Halbriesen nennen möchte;
jedenfalls läßt sich sagen, daß er der größte Mann war, den ich

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7.

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je auf einem Pferderücken sah, doch auch der anmutigste. Sein
Rücken und die Brust waren zwar breit, sein Leib und seine
Lenden jedoch fein und schmal und der ganze Körper
wohlbemessen. Doch den Zuschauern raubte seine Färbung
den Atem: Gesicht und Leib waren grün, als wäre er ein Teufel
oder Elb.

Auch die Kleider des Ritters waren vollständig grün: eine
enge Jacke, die den Leib umspannte, darüber ein

kostbarer Mantel, mit feinem Pelzwerk gefüttert und mit
grauem Hermelin besetzt, und ebenfalls die Kapuze, die
zurückgestreift war von den Haaren, die auf seine Schultern
fielen; dazu eng anliegende Strümpfe, ebenfalls grün, und die
glitzernden Sporen aus Gold mit den feinsten gestreiften
Seidenborten, die Füße ohne Schuhe in den Steigbügeln;
wahrhaftig, all seine Kleider waren leuchtend grün, die
Spangen an seinem Gürtel, sein Gewand, Sattel und die
seidenbestickte Schabracke war verschwenderisch mit
Edelsteinen verziert – es wäre zu mühevoll, wollte ich auch
nur die Hälfte der Muster beschreiben, mit denen alles bestickt
war –, Vögel und Schmetterlinge, leuchtend grün und mit Gold
durchwirkt. Die Flanken des Brustpanzers, der prachtvolle
Schwanzriemen, das Zaumzeug, jedes Stück Metall war
emaillegrün, die Steigbügel, die Sattelbögen, die Zierfransen
blitzten und funkelten von grünen Edelsteinen.

Das Pferd, das er ritt, paßte haargenau zu ihm. Es war ein

grüner Hengst, sage ich euch, groß und massig, der ungebärdig
am bestickten Zügel zerrte, seinem Herrn jedoch aufs Wort
gehorchte.


8.

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Dieser Mann war in leuchtendes Grün gekleidet, und
auch seine Haare waren grün wie das Fell seines Pferdes:

in schönen Locken wallte es über seine Schultern, ein großer,
buschiger Bart hing über die Brust, wie das Kopfhaar ringsum
bis zur Höhe der Ellenbogen gestutzt, daß die Arme davon
halb verdeckt waren, als trüge der Ritter die Tunika eines
Königs, die seinen Hals umschloß. Die Mähne des prächtigen
Pferdes war ähnlich gelockt und gekämmt, mit vielen Knoten,
in die Goldfäden geflochten waren, abwechselnd eine
Haarsträhne und ein Faden. Der Schwanz und die Stirnlocke
waren auf dieselbe Weise mit einem leuchtend grünen Band
durchwirkt, von oben bis unten mit kostbaren Edelsteinen
verziert und oben in einem kunstvollen Knoten mit einer
Schnur zusammengebunden, an der viele kleine goldene
Glöckchen baumelten. Fürwahr, ein solches Pferd und einen
solchen Reiter hatte man in dieser Halle noch nie zuvor zu
Gesicht bekommen. Seine Augen hätten Blitze geschossen,
sagte jeder, der ihn sah, und kein Sterblicher schien ihm
gewachsen zu sein.

Und doch trug er weder Helm noch Harnisch, weder
einen Schutz an der Brust noch an den Armen, weder

einen Speer noch einen Schild, weder Lanze noch Schwert,
sondern hielt in der Hand den Zweig einer Stechpalme, die in
den entlaubten Wäldern am grünsten ist – in der anderen eine
riesige, unförmige Axt, so schrecklich, daß sie kaum zu
beschreiben ist: Der Kopf der Axt war eine Elle lang, das Blatt
aus Stahl, mit Gold verziert, die Schneide mit glänzend breiter
Kante und fein geschliffen wie ein Rasiermesser; der Schaft
war aus zähem Holz und zur Gänze mit grünen eisernen
Intarsien geschmückt. Um die Axt zog sich ein Riemen, am
Axtkopf befestigt und mehrmals um den Stiel gewunden,

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versehen mit vielen feinen Quasten, die an strahlend grünen
Spangen hingen.

Das war der Mann, der jetzt zu ihnen kam, in die Halle trat

und auf das Podest zuschritt: Er fürchtete keine Gefahr; er
grüßte niemanden, gönnte keinem einen Blick und sprach:
»Wer ist der Führer dieser Versammlung? Ich würde ihn gern
sehen und persönlich mit ihm sprechen.«

Er ließ den Blick über die Recken schweifen, hin und her, um

auszumachen, wer von ihnen der an Ruhm reichste sein
mochte.

Lange starrten sie diesen Recken an, denn alle hätten
gern gewußt, was es zu bedeuten hatte, daß ein Ritter

und sein Pferd eine Farbe hatten, so grün wie sprießendes
Gras, ja grüner noch, wie ihnen schien, und leuchtender noch
als grünes Email auf Gold. Alle musterten neugierig ihren Gast
und fragten sich, was wohl seine Absicht sei. Hatten sie doch
schon vorher wundersame Dinge gesehen, nie aber so etwas;
also glaubten sie einen Zauberspuk oder eine Gestalt der
Magie vor sich zu sehen. Darum fürchtete mancher berühmte
Ritter eine Antwort, und alle waren verblüfft über seine
Stimme und verharrten wie gebannt und versteinert in der
prunkvollen Halle; ihre Gespräche verstummten, als hätte
tiefer Schlaf sie überwältigt.

Das geschah wohl weniger aus Furcht, sondern auch aus

Höflichkeit, den Recken zu Wort kommen zu lassen.

Da nimmt sich Artus dieses wundersamen Mannes an
und begrüßt ihn freundlich ohne Furcht, die ihm

fremd war, und er sagte: »Herr, seid willkommen an diesem
Hof!

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Ich bin das Oberhaupt in dieser Burg, und mein Name ist

Artus. Tut mir die Liebe und sitzt ab und laßt Euch nieder, ich
bitte Euch, und wenn Ihr irgendeinen Wunsch habt, so wollen
wir ihn anhören.«

»Nein«, erwiderte der Ritter, »so wahr mir Gott im Himmel

beistehen möge, meine Absicht war nicht, an diesem Hof lange
zu verweilen; vielmehr haben mich Euer Ruf, Fürst,
hergeführt, Eure Burg und Eure Kämpen, die man für die
besten hält, für die stärksten zu Pferde und im Harnisch, für die
tapfersten und mutigsten im Erdenrund; und bereit zum
männlichen Wettstreit. Hier herrsche, habe ich sagen hören,
Ritterlichkeit, und dieser Ruf hat mich heute hergeführt. Dieser
Zweig, den ich trage, soll zeigen, daß ich in friedlicher Absicht
komme und keinen Streit suche. Dann nämlich hätte ich mich
gerüstet mit Panzer und Helm, einem Schild, einem scharfen,
blitzenden Speer und anderen Waffen, die ich daheim habe und
wohl zu gebrauchen weiß. Da es mich aber nicht nach Kampf
gelüstet, sind meine Kleider aus weicherem Stoff. Falls Ihr
jedoch so kühn seid, wie alle Welt erzählt, werdet Ihr mir
gütigst das Spiel erlauben, das ich zu Recht erbitte.«

Artus erwiderte: »Edler Herr und Ritter, wenn Ihr unbedingt

auf Streit aus seid, wird es Euch hier an nichts zum Kämpfen
fehlen.«

»Nein, ich will keinen Kampf, bei meinem Wort! Hier
an dieser Tafel umgeben mich doch bloß bartlose

Kinder. Säße ich gerüstet zu Pferde, käme keiner mir gleich,
Schwächlinge, die sie sind. Darum wünsche ich mir an diesem
Hof ein Weihnachtsspiel, weil Jul- und Neujahrszeit ist und
viele junge Männer anwesend sind. Wenn sich in diesem Haus
jemand für so mutig hält, wenn er so tollkühnen Mutes oder so
verrückt ist, mir mit voller Kraft einen Schlag zu versetzen,

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vorausgesetzt, er ist bereit, einen Gegenschlag zu empfangen,
werde ich ihm dazu diese prächtige Streitaxt überlassen, diese
schwere Waffe, die er nach Gutdünken benutzen mag; und ich
werde den ersten Schlag, so wie ich sitze, empfangen. Wenn
ein Ritter so verwegen ist, auszuprobieren, was ich vorschlage,
so möge er rasch zu mir kommen und diese Waffe ergreifen –
ich übergebe sie ihm für alle Zeit, und er möge sie als sein
Eigentum behalten –, und ich will in dieser Halle ohne zu
zucken einen Hieb von ihm entgegennehmen, vorausgesetzt,
man gewährt mir das Recht, ihm meinerseits einen Schlag zu
versetzen! Jedoch räume ich ihm eine Frist von zwölf Monaten
und einem Tag ein. Wohlan, säumt nicht und laßt mich sehen,
ob jemand zu antworten wagt.«

Zwar hatte er sie von Anfang an in Erstaunen versetzt,
doch jetzt wurden alle in der Halle, ob von hohem

oder niederem Rang, noch stiller. Der Mann auf dem Pferd
drehte sich im Sattel herum, rollte wild mit den roten Augen,
zog seine buschigen, leuchtend grünen Brauen und strich sich
den Bart, als warte er auf eine Antwort.

Als niemand das Wort an ihn richtete, räusperte er sich laut,

reckte sich stolz in die Höhe und rief unverblümt: »Wie? Dies
soll König Artus’ Hof sein, von dessen Ruhm man in
ungezählten Ländern spricht? Wo sind der hohe Mut, die
gewaltigen Heldentaten, die Kampfeslust und Grimmigkeit
und die Prahlerein? Nun sind Prunk und Ruhm der Tafelrunde
durch das Wort eines einzigen Mannes überwältigt, denn alle
erblassen vor Angst, bevor noch der Schlag geführt ist!«

Und damit lachte er so laut, daß es den König erzürnte und

das Blut ihm vor Scham ins helle Gesicht und in die Wangen
schoß. Zorn kam wie ein Sturm über ihn, wie über alle, die in

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der Halle waren. Dann trat er auf den verwegenen Ritter zu,
ganz ein König von der furchtlosen Art.

Artus sagte: »Fürwahr, guter Mann, töricht ist Euer
Verlangen, und weil Ihr Unsinniges verlangt habt,

sollt Ihr es auch finden. Ich kenne an diesem Hof keinen Ritter,
den Eure großen Worte in Furcht versetzen. In Gottes Namen
gebt mir Eure Streitaxt, und ich werde Euch die Gunst
erweisen, um die Ihr bittet.«

Rasch trat er auf ihn zu und entwand die Axt seiner Hand.
Da sprang der kraftvolle Mann hochmütig von seinem Pferd.
Artus hält die Axt, umgreift sie am Schaft und schwingt sie

drohend hin und her, als bemesse er seinen Schlag. Der kühne
Mann stand vor ihm in seiner ganzen Größe, mehr als einen
Kopf größer als alle anderen in der Halle. Mit ernster Miene
stand er da, strich sich mit unbewegtem Gesicht den Bart und
warf seinen Mantel ab, durch die Aussicht auf die kraftvollen
Schläge weder eingeschüchtert noch entsetzt, wie jemand, dem
man an der Tafel einen Pokal mit Wein gebracht hat. Gawain,
der neben der Königin saß, verbeugte sich vor dem König:
»Ich bitte Euch ohne Umschweife, mir diesen Kampf zu
überlassen!«


»Wenn Ihr mir, würdiger König, erlauben würdet,
meinen Platz zu räumen und zu Euch zu kommen,

damit ich, ohne unhöflich zu sein, die Tafel verlassen kann,
und ohne daß meine Lehnsherrin es mir verübelt, denn ich
möchte Euch vor dieser edlen Versammlung einen Rat geben.
Ich finde es fürwahr unziemlich, daß Ihr, mag es Euch auch
reizen, da in Eurer Halle eine Forderung auf so hochmütige
Weise gestellt wird, diese selber annehmen wollt, wo doch so

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viele kühne Streiter um Euch versammelt sind, wie man sie,
wie ich meine, im Kampf auf dem Schlachtfeld nicht ein
zweites Mal findet. Ich bin, das weiß ich, hier der Schwächste
und kaum reich an Geist, und mein Leben, wenn ich das frank
und frei sagen darf, wäre wahrlich der geringste Verlust. Zur
Ehre gereicht mir nur, daß Ihr mein Onkel seid; daß Euer Blut
in meinen Adern fließt, ist meine einzige Tugend, von der ich
weiß. Und weil diese Sache so unsinnig ist, daß sie Euch nicht
ansteht und ich Euch als erster darum gebeten habe, so
überlaßt sie mir. Und sollte ich unehrenhaft sprechen, soll
niemand diesen würdigen Hof bekritteln.«

Da traten die Ritter zusammen, um zu beraten, und hießen

alle den Plan gut, ihrem gekrönten König von diesem Kampf
abzuraten und ihn Gawain zu überlassen.

Da befahl der König dem Ritter aufzustehen; und
dieser erhob sich sogleich, trat vor ihn und kniete

nach höfischem Brauch demütig vor dem König nieder und
nahm die Waffe entgegen.

Artus hob die Hand, gab ihm Gottes Segen und schärfte ihm

ein, ein kühnes Herz und eine feste Hand zu bewahren. »Denkt
daran, Neffe«, sagte er, »daß Euch nur ein einziger Schlag
bleibt, und wenn Ihr ihn damit in die Schranken gewiesen habt,
bin ich sicher, daß Ihr den Hieb, den er Euch später versetzen
wird, überstehen werdet.«

Die Streitaxt in der Hand geht Gawain auf den Ritter zu und

erwartet ihn furchtlos und ohne zu erbleichen.

Da sagt der Grüne Ritter zu Gawain: »Wir wollen den Pakt,

den wir geschlossen haben, noch einmal wiederholen, ehe wir
fortfahren. Zuerst möchte ich Euren Namen wissen, Herr
Ritter; nennt ihn mir aufrichtig und so, daß ich auf Euer Wort
bauen kann.«

17.

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»Auf Treue und Glauben«, erwidert der treffliche Ritter. »Ich

heiße Gawain und werde Euch diesen Schlag, was immer
darauf folgen mag, heute versetzen und in einem Jahr einen
anderen von Eurer Hand empfangen, welche Waffe Ihr auch
benutzen mögt und ohne Hilfe eines Dritten.«

Der andere Mann antwortete: »Ich bin überaus froh darüber,

bei meinem Leben, daß Ihr diesen Schlag ausführen wollt.«

»Bei Gott«, sagte der Grüne Ritter, »ich bin erfreut,
Herr Gawain, von Eurer Hand die Gunst zu

empfangen, um die ich bat, und Ihr habt unverzüglich, mit
klaren Worten und ohne Einschränkung den Handel
wiederholt, den ich vom König ersuchte.

Nur müßt Ihr mir als Ritter bei Eurer Ehre versichern, daß Ihr

mich aufsuchen werdet, wo ich nach Eurer Meinung zu finden
sein werde, ob nahe oder fern, um dieselbe Gabe zu
empfangen, die Ihr mir heute vor dieser ehrbaren
Versammlung zuteilt.«

»Wo soll ich Euch denn suchen«, fragte Gawain, »wo seid

Ihr zu Hause? Wo soll ich nach Eurer Wohnung suchen? Der
Herr, der mich schuf, sei mein Zeuge, daß ich nicht im
geringsten weiß, wo Ihr lebt, und ich kenne weder Euren
Namen noch Euren Hof. Doch erläutert mir genau den Weg
dorthin und sagt mir Euren Namen, und ich werde alle meine
Kräfte aufbieten, den Ort zu finden. Das schwöre ich gewiß
und sage es Euch zu meiner Ehre.«

»Das ist genug für das neue Jahr, mehr braucht es nicht«,

sprach der Grüne Ritter zum edlen Gawain. »Ich sage es Euch
ehrlich: Wenn ich den Hieb erhalten habe, werde ich Euch
ohne Verzug über meine Wohnung, meine Heimat und meinen
Namen unterrichten; und dann mögt Ihr Euch nach dem Weg
erkundigen und den Vertrag einhalten. Und falls ich nichts

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sage, dürft Ihr Euch glücklich schätzen, denn dann könnt Ihr in
Eurem Land verweilen und braucht nicht zu suchen – damit sei
es genug! Nehmt jetzt die grimmige Axt, und laßt uns sehen,
wie Ihr damit zuschlagen könnt!«

»Gern, Herr«, gibt Gawain zur Antwort und prüft die

Schneide.

Der Grüne Ritter machte sich sogleich bereit, beugte
den Kopf ein wenig, so daß seine Locken nach vorn

fielen, und legte den edlen Nacken bereitwillig bloß. Gawain
setzte den linken Fuß ein wenig vor, hielt die Axt fest in der
Hand, hob sie in die Höhe und ließ sie mit Wucht auf den
entblößten Nacken niedersausen, so daß seine scharfe Klinge
die Knochen des Ritters zersplitterte und das Fleisch glatt
durchtrennte, ehe die Schneide des schimmernden Stahls in
den Boden drang.

Das edle Haupt des Grünen Ritters fiel von den Schultern,

und einige stießen es mit dem Fuß, als es wegrollte; das Blut
spritzte aus dem Rumpf und hob sich leuchtend vom Grün ab.

Doch weder schwankte noch fiel der grausame Mann,

sondern ging auf immer noch kraftvollen Beinen dem Kopf
nach und hob ihn rasch auf. Dann eilte er zu seinem Pferd,
ergriff es am Zügel, trat in den Steigbügel, schwang sich in den
Sattel, wobei er seinen Kopf mit der Hand an den Haaren
festhielt; und er setzte sich im Sattel zurecht, als ob ihm kein
Unheil widerfahren wäre – und trug doch keinen Kopf auf dem
Hals.

Er drehte den Leib herum, diesen häßlichen, blutenden

Körper, und viele Ritter packte die Furcht, als er schließlich
sprach.

19.

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Denn den Kopf in seiner Hand hielt er in die Höhe,
drehte sein Gesicht dem edelsten Tisch zu, und es

schlug die Augen auf und blickte sie scharf an und sprach die
Worte, die ihr jetzt hören sollt:

»Haltet Euch bereit, Gawain, auf die Reise zu gehen, wie Ihr

gelobt habt, und sucht mich getreulich, guter Herr, bis Ihr mich
findet, wie Ihr es hier an diesem Ort in Anwesenheit dieser
Ritter versprochen habt. Begebt Euch zur Grünen Kapelle, und
ich werde Euch dort einen solche Schlag versetzen, wie Ihr ihn
ausgeführt habt – Ihr habt es wahrlich verdient, daß Euer Hieb
Euch am Neujahrsmorgen mit einem ebensolchen Hieb
vergolten wird!

Als der Ritter von der Grünen Kapelle bin ich vielen bekannt,

und wenn Ihr Euch nach mir erkundigt, könnt Ihr mich nicht
verfehlen. Also kommt oder man wird Euch zu Recht einen
Feigling nennen.«

Mit einem rauhen Lachen zog er die Zügel an, wendete sein

Pferd und sprengte, den Kopf in der Hand, aus der Hallentür,
so daß unter den Hufen des Pferdes die Funken stoben.

Wohin er ritt, an welchen Hof, erfuhren sie nicht,

ebensowenig den Namen des Landes, aus dem er gekommen
war.

Was nun?
Der König und Herr Gawain lachten und scherzten über den

Grünen Mann. Aber allen war ganz klar, daß es sich um ein
unglaubliches Wunder handelte.

Obwohl der Hochkönig Artus in seinem Inneren
erstaunt war, ließ er es sich nicht anmerken, sondern

sagte laut und mit liebenswürdigen Worten zur Königin: »Edle
Frau, seid jetzt nicht erschrocken; solche Dinge sind der
Weihnachtszeit angemessen, so wie bei den Interludien die

20.

21.

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Ritter und Damen sich zwischendurch in zierlichen Tänzen
drehen, lachen und singen. Doch jetzt will ich mich meinem
Mahl widmen, denn ich habe, was ich nicht leugnen will, ein
Abenteuer erlebt.«

Er schaute Herrn Gawain an und sagte liebenswürdig:

»Kommt, Ritter, hängt jetzt Eure Axt auf; sie hat genug
gehauen!«

Und man hängte sie über dem Podest an einen Wandteppich,

wo alle Männer sie als ein Zeichen des Wunders sehen und sie
als Beweis anführen konnten, wenn sie von dem wunderbaren
Abenteuer erzählten.

Dann nahmen alle ihre Plätze ein, der König und sein

trefflicher Verwandter, und höfliche Knappen servierten ihnen
alle Leckerbissen in doppelten Portionen, so köstliche
Gerichte, wie man sich nicht vorstellen kann, begleitet vom
Gesang der Spielleute.

So verbrachten sie fröhlich den Tag, bis die Nacht

hereinbrach.

Nun gebt wohl acht, Herr Gawain, daß die Furcht Euch nicht

davor zurückhält, das gefährliche Abenteuer zu wagen, das Ihr
Euch aufgehalst habt!

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II.



Diese Aussicht auf ein Abenteuer erhielt Artus, der
darauf brannte, von kühnen Taten zu hören, als

Neujahrsgabe. Zwar fehlte es den Herren noch an Worten, als
sie zu Tisch gingen, jetzt aber war in ihrem Gespräch nur noch
davon die Rede.

Gawain war froh, der Urheber dieses Spiels zu sein, aber

wundert euch nicht, wenn es ein böses Ende nimmt! Denn
wenn Männer auch ausgelassen sind, wenn sie kräftig
getrunken haben, so geht ein Jahr doch wie im Fluge vorbei,
und niemals kehrt das gleiche wieder: nur höchst selten ist der
Anfang wie der Ausgang.

Und so vergingen die Weihnachtszeit und das folgende Jahr,

und die Jahreszeiten folgten einander: nach Weihnachten
kommt die öde Fastenzeit, die unseren Leib mit Fisch und
Magerkost traktiert. Dann aber zieht das Wetter gegen den
Winter in den Krieg, die Kälte verkriecht sich in der Erde,
Wolken steigen hoch, glitzernder Regen fällt in warmen
Schauern auf den saftigen Rasen, Blumen erblühen auf den
Auen, und die Wälder legen grüne Kleider an. Vögel bauen
emsig ihre Nester und singen muntere Lieder über den
lieblichen Sommer, der bald seinen Einzug halten wird. Und
an frischen, üppigen Hecken brechen Blüten auf und leuchten;
und aus den Wäldern sind tausend wohlklingende Stimme zu
hören.

Dann kommt die Sommerzeit mit ihren sanften
Winden, wenn der Zephir durch die Gräser und

22.

23.

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Kräuter streift. Herrlich ist das Gras, das auf freier Flur wächst,
wenn die Tautropfen von den Blättern gleiten, bereit, einen
glitzernden Sonnenstrahl aufzufangen. Doch der Herbst kommt
rasch und treibt die Früchte an, sich schnell zur Reife zu
entfalten. Seine Trockenheit treibt den Staub vor sich her, bis
er sich vom Land erhebt und in die Höhe steigt; wilde Stürme
im Himmelsgewölbe ziehen gegen die Sonne zu Felde, die
Blätter lösen sich von der Linde und sinken zu Boden, und das
Gras, das vorher grün war, wird grau: alles reift und vergilbt,
was vorher heranwuchs, und so geht das Jahr dahin, ein
dauerndes Gestern, und es wird wieder Winter, wie es der Lauf
der Welt ist. Und so geht es bis zum Michaelsmond, dem
Vorboten des Winters.

Da denkt Gawain ganz plötzlich an seine gefahrvolle Reise.


Bis Allerheiligen blieb Gawain bei Artus, der ihm zu
Ehren an diesem Tag ein Fest gab, das die Tafelrunde

mit großer Fröhlichkeit beging. Die ruhmreichen Ritter und
edlen Damen liebten Gawain und waren in Sorge, aber
dennoch sprachen sie nur von erfreulichen Dingen: Viele, die
im Herzen um sein Schicksal fürchteten, scherzten dennoch.

Doch nach dem Mahl erinnerte Gawain seinen Onkel traurig

daran, seine Abreise stehe bevor, und er sagte ohne
Umschweife: »Lehnsherr meines Lebens, ich bitte darum,
Euch jetzt verlassen zu dürfen. Ihr wißt um die Eigenart dieser
Fahrt, und ich will Euch mit ihrer Schilderung nicht noch
einmal lästig fallen, bis auf eines: Ich muß morgen wegen des
Schlages ohne Verzug aufbrechen und den Grünen Ritter
suchen. Möge Gott mich leiten!«

Da traten die besten Kämpen der Burg zusammen, Iwain und

Erec und viele andere, darunter Herr Dodinal der Wilde, der
Herzog von Clarence, Lanzelot, Lionel, Lucan der Gute, Herr

24.

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Bors und Herr Bedivere, allesamt mächtige Streiter, und noch
mancher andere Ritter, wie Mador de la Port. Diese ganze
Schar begab sich zum König, um dem Ritter Rat zu erteilen,
Sorgen in den Herzen. Manche traurige Klage war in der Halle
zu hören, daß ein so prachtvoller Ritter wie Gawain eines
Schlages wegen zu seiner Queste aufbrechen mußte und nie
mehr einen Schwertstreich würde ausführen können.

Der Ritter selbst war guten Mutes und sprach: »Warum sollte

ich mich ängstigen? Was kann ein Mann anderes tun als zu
erproben, was das Schicksal ihm zugedacht hat, ob Gutes oder
Schlimmes?«

Diesen Tag verbrachte er noch dort, und am nächsten
Morgen machte er sich bereit, rief nach seiner

Rüstung, die ihm sogleich gebracht wurde. Zuerst wurde ein
Teppich aus roter Seide auf dem Boden ausgebreitet und die
zahlreichen Teile der goldglänzenden Rüstung daraufgelegt.
Der kraftvolle Ritter trat herzu und ergriff die stählernen
Stücke. Gekleidet in ein Wams von tharsischem Damast,
darüber eine kunstvolle, am Hals geschlossene Tunika, innen
mit weißem Pelz gefüttert. Zuerst zog man dem Ritter die
Stahlschuhe an, kleidete die Unterschenkel in prächtige
stählerne Beinröhren mit hellglänzenden Kniebuckeln, die am
Knie mit goldenen Spangen befestigt waren; dann folgten
Schenkelstücke, die seine kräftigen, muskelprallen
Oberschenkel umschlossen, mit Schnallen befestigt; dann
streifte er sich das aus schimmernden Stahlringen gefertigte
Kettenhemd über die Kleidung, legte die blitzenden
Armschienen, glänzenden Armkacheln und Panzerhandschuhe
an: die ganze wertvolle Ausrüstung, die ihm womöglich von
Nutzen sein konnte.

25.

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Er hatte den prachtvollen Waffenrock übergeworfen, die

goldenen Sporen sinnreich befestigt und ein zuverlässiges
Schwert angelegt, das er seitlich an seinem seidenen Gürtel
trug.

Als er seine Rüstung vollendet hatte, sah sein
Harnisch prachtvoll aus: die kleinste Lasche oder

Schnalle war vergoldet. Gewappnet, wie er war, ging er zur
Messe, die am Hochaltar gelesen und begangen wurde, und
dann kam er zum König und zu seinen höfischen Gefährten
und nahm liebevoll von den Damen und Herren Abschied, und
sie küßten ihn und begleiteten ihn hinaus und empfahlen ihn
Christus.

Sein Pferd Gringolet stand gestriegelt bereit, dem ein Sattel

aufgelegt war, der von vielen goldenen Fransen funkelte und
zu diesem Anlaß üppig mit Goldnägeln beschlagen war; der
Zügel war mit Gold umwunden und gestreift; der
ausgeschmückte Brustpanzer und das Wams, der
Schwanzriemen und die Schabracke paßten zu den
Sattelbögen.

Und überall zierten golden Nieten den prächtigen roten

Untergrund, daß alles wie Sonnenstrahlen glänzte und
glitzerte.

Dann ergriff er den Helm und küßte ihn rasch: dieser war

besonders schlagfest und innen gefüttert. Hoch saß er auf
seinem Haupt und war im Nacken festgeschnallt und gehalten
von einem leichten Halsband über dem Nackenschutz, das
bestickt war und auf einem breiten Seidenband lag, mit
prächtigen Edelsteinen besetzt und an den Säumen mit
Stickereien verziert, die Papageien, von Elfen gerahmt, und
Turteltauben darstellten und dazu Liebesknoten in so reichem
Maße, als hätten viele Näherinnen volle sieben Winter daran

26.

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gearbeitet. Der Reif, der seinen Kopf umspannte, war noch
kostbarer, und das Muster seines Diamantenschmucks trat
strahlend hervor.

Dann brachte man ihm seinen Schild von
leuchtendem Rot, bemalt mit dem Pentagramm in

reinstem Gold. Er faßte ihn beim Riemen und hängte ihn um
seinen Hals – er war diesem Ritter wohl angemessen und
seiner würdig. Doch warum das Pentagramm diesem edlen
Ritter eigen ist, will ich euch gleichwohl erzählen, auch wenn
meine Geschichte dadurch ins Stocken kommt: Es ist das
Zeichen, das Salomo vor langer Zeit verwendete, um die Treue
zu bezeichnen, denn es ist eine Figur mit fünf Ecken, und jede
Linie setzt sich fort, geht in die nächste über und hat
nirgendwo ein Ende; und allenthalben nennen die Engländer
diese Figur den Endlosen Knoten, wie ich höre. Darum paßt
dieses Zeichen zu diesem Ritter und seinen schimmernden
Waffen, denn Gawain war fünffach tugendhaft, das war
bekannt, und jede dieser Tugenden wiederum wies fünf
treffliche Eigenschaften auf, weil er rein war wie geläutertes
Gold, frei von Unritterlichkeit und mit den Tugenden des
Ritters ausgestattet.

Darum trug er das frisch gemalte Pentagramm auf Schild und

Waffenrock, als ein wahrhaftiger und edel gesinnter Ritter.

Zum ersten waren seine fünf Sinne makellos, und
auch mit seinen fünf Fingern fehlte er niemals; und

sein Glaube an die fünf Wunden Jesu war unerschütterlich, die
Christus, wie das Glaubensbekenntnis uns sagt, am Kreuz
empfing; und wo immer dieser tapfere Mann sich im Kampf
befand, dachte er mit tiefem Ernst vor allem daran, daß er

27.

28.

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seinen Mut aus den fünf Freuden bezog, welche Maria, die
Himmelskönigin, an ihrem Kind hatte. Aus diesem Grund
schmückte ihr Bild die Innenseite seines Schildes, damit ihn,
wenn sie ihn ansah, sein Mut nicht verließ.

Das fünfte Fünftel der Tugenden, die ich an diesem Ritter

erkenne, waren vor allem Reinheit und Freundlichkeit und eine
alles übersteigende Nächstenliebe. Diese miteinander
verbundenen Tugenden zeichneten ihn vor allen anderen aus,
und jede Tugend war mit der anderen durch die endlose Linie
verbunden und durch die fünf elementaren Eigenschaften
gekennzeichnet, die sich unfehlbar weder vereinen noch
trennen ließen oder in irgendeiner Spitze zusammenliefen,
soweit ich sehen kann, wo man auch begann oder aufhörte.
Darum war sein schimmernder Schild mit dem endlosen
Knoten geschmückt, mit Rotgold auf helles Rot gemalt – und
das war das makellose Pentagramm, wie es in der Sprache
gelehrter Männer heißt.

Nunmehr ist Gawain zu fröhlichen Taten bereit, nachdem er

als letztes seine Lanze ergriffen hat. Er sagte allen Lebewohl –
für immer, wie er glaubte.

Er spornte sein Pferd an und sprengte so wild davon,
daß die Funken stoben. Alle, die ihm nachblickten,

seufzten und sprachen in tiefer Sorge und aus Kummer um den
prächtigen Mann zueinander: »Bei Gott, es ist eine Schande,
daß Ihr sterben sollt, wo doch Euer Leben so edel ist! Einen
Mann wie ihn auf Erden zu finden, fiele schwer! Es wäre
klüger gewesen, ihm ein Herzogtum zu verleihen; dieser teure
Mann hätte einen prachtvollen Regenten abgegeben; und das
wäre besser gewesen, als um stolzen Hochmuts willen
hingemetzelt und um stolzen Hochmuts willen von einem
zauberischen Mann geköpft zu werden. Wer hätte je

29.

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vernommen, daß ein König während der arglosen
Weihnachtsspiele seiner Ritter einem solchen Zweikampf
zugestimmt hätte!« Es flossen viele heiße Tränen, als der
allseits geliebte Ritter an jenem Tag die Burg verließ.

Er machte nirgendwo Rast, sondern verfolgte hurtig seinen

Weg und ritt über viele einsame Pfade, wie ich erzählen hörte.

Nun reitet Herr Gawain, wie es Gott will, durch das
Königreich Logres, wenngleich ihm das kein

Vergnügen machte. Zumeist verbrachte er die Nächte verloren
und allein, denn er fand niemanden, der ihm Gesellschaft hätte
leisten können; auf seinem Marsch durch die Wälder und über
die Hügel blieb ihm nur das Zwiegespräch mit Gott, und sein
Pferd war sein einziger Gefährte, bis er in die Nähe des
nördlichen Wales kam. Er gab keine Acht auf die Inseln von
Anglesey zu seiner Linken, sondern überquerte die Furten an
den Untiefen nahe dem Meer und dann die von Holy Head, bis
er in der Wildnis von Wirral wieder festen Grund erreichte:
Dort wanderten nur wenige umher, die von Gottes Willen oder
den Menschen guten Herzens geliebt wurden. Und überall,
wohin er kam, fragte er die Leute, ob sie etwas von einem
Ritter oder von einer Grünen Kapelle gehört hätten. Aber sie
verneinten es immer und sagten, einen Menschen solcher
Farbe hätten sie noch nie zu Gesicht bekommen. Der Ritter ritt
auf merkwürdigen Wegen, durch manche einsame Flur, und
solange er die Kapelle nicht erblicken konnte, blieb seine
Stimmung schwankend.

Manch eine Klippe überstieg er in unbekannten
Landen, weit entfernt von seinen Freunden und ohne

Kameradschaft. An jedem Wasser, das er unterwegs passierte,

30.

31.

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sah er sich einem Feind gegenüber, eigenartigen, bösartigen
und wilden Gesellen, so daß er zum Kampf gezwungen wurde.

Dort in den Bergen erlebte er so viele Abenteuer, daß es

ermüdend wäre, auch nur den zehnten Teil davon zu erzählen.

Zuweilen kämpfte er mit Drachen und auch mit Wölfen, dann

wieder mit Wald-Trollen, die in den Felsklüften hausten, und
manchmal auch mit Stieren, Bären und Ebern, ja sogar mit
Ogern, die ihn von den Bergeshöhen verfolgten.

Wären nicht sein Mut, seine Ausdauer und sein Gottvertrauen

gewesen, hätte ihn zweifellos mehr als einmal der Tod ereilt.
Obwohl die Kämpfe anstrengend waren, wütete der Winter
schlimmer, wenn kalte, klare Wassermassen sich aus den
Wolken ergossen und gefroren, noch bevor sie auf die kahle
Erde fielen. Beinahe vom Hagel erschlagen schlief er manche
Nacht in seiner Rüstung zwischen den nackten Felsen, wo
kalte Sturzbäche von den Bergspitzen niederbrachen oder als
harte Eiszapfen hoch über seinem Haupt hingen.

So ritt er in Gefahr und Qual und Mühsal bis zum Tag vor

Weihnachten einsam durch das Land. An diesem Punkt betete
der Ritter zu Maria, sie möge seine Schritte lenken und ihn zu
irgendeiner Behausung führen.

Zuversichtlich ritt er an diesem Morgen über einen
Berg und in einen Wald hinein, der tief und

schrecklich wild war: zu beiden Seiten hohe Hügel und unten
graue, außerordentlich hohe Eichen, Hunderte beisammen;
Haselnußgesträuch und Weißdorngestrüpp waren miteinander
verflochten und mit dickem, zottigem Moos bewachsen;
trostlos saßen auf den kahlen Zweigen viele Vögel, die
erbärmlich piepten, denn sie litten an der Kälte.

Einsam ritt Gawain auf Gringolet an ihnen vorüber, durch

Sumpf und Moor, voller Sorgen, den Gottesdienst zu Ehren

32.

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des Herrn zu versäumen, der in selbiger Nacht von einer
Jungfrau geboren wurde, um unserer Not ein Ende zu machen.
Und darum sagte er seufzend: »Ich flehe Dich, Herr, und Dich,
Maria, die allergnädigste Mutter, um einen Unterschlupf an,
wo ich die Christmette und morgen die Frühmesse hören kann.
Darum bitte ich voller Demut und will auf der Stelle das
Paternoster, Ave und Credo beten.« Im Gebet ritt er weiter,
beweinte seine Missetaten, bekreuzigte sich oftmals und rief:
»Kreuz Christi, sei mit mir!«

Nachdem er sich dreimal bekreuzigt hatte, erspähte er
im Wald ein Gebäude, das, von einem Wallgraben

umgeben, am oberen Ende einer Lichtung auf einem Hügel
lag, von den Zweigen kräftiger Bäume längs des Grabens
eingerahmt: eine prächtige Burg, wie sie nie ein Ritter besaß,
inmitten eines Lustgartens, ganz von einem Park umgeben, der
von einer Palisade kräftiger Pfähle eingefaßt wurde, mehr als
zwei Meilen lang und von vielen Bäumen umstanden. Gawain
betrachtete die Festung von der einen Seite, wie sie durch die
Eichen schimmerte und leuchtete, und dann nahm er demütig
seinen Helm ab und dankte ehrfürchtig Jesus und Sankt Julian,
die so großmütig gewesen waren, ihm Gnade erwiesen und
seinen Hilferuf erhört hatten.

»Nun erbitte ich von euch«, sagte der Ritter, »nur noch ein

gutes Quartier.«

Darauf gab er Gringolet die goldenen Sporen, und der Zufall

wollte es, daß der Hengst den Hauptweg einschlug und seinen
Herrn schließlich bis ans Ende der Brücke trug. Diese war
hochgezogen, das Tor fest verrammelt; die Burg war
mauerbewehrt und fürchtete keinerlei Sturm.

33.

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Der Reiter zügelte sein Pferd am steilen Rand des
tiefen Doppelgrabens, der die Burg umgab. Die

Mauern reichten wundersam tief ins Wasser und stiegen zu
ungeheurer Höhe auf; bis zum Sims bestanden sie aus hartem,
behauenem Stein, der unterhalb der Brustwehr nach bester
Manier bearbeitet war. In Abständen waren die Mauern mit
feinen Türmchen besetzt, die aus vielen Schießscharten einen
guten Ausblick boten – nie hatte der Ritter ein besseres
Außenwerk gesehen. Und im Inneren gewahrte er die
aufragende Halle, eine Folge hoher Türme mit einem Übermaß
an schmückenden Zinnen, fein und lang und säuberlich
zusammengefügt, deren Spitzen geschickt und kunstreich
gemeißelt waren. Sein Blick fiel auf viele kalkweiße
Schornsteine auf den Dächern, die hell leuchteten; auf den
Wehrgängen standen dicht nebeneinander so viele
weißgetünchte Türmchen wie aus Papier ausgeschnitten.

Der edle Kämpe auf dem Pferd dachte darüber nach, auf

welchem Wege er in die Burg gelangen könne, um in dieser
Herberge freudig den Feiertag zu verbringen. Er rief, und es
erschien geschwind ein freundlicher Türhüter auf der Mauer,
horchte auf Gawains Begehr und hieß den wandernden Ritter
willkommen.

»Guter Herr«, sagte Gawain, »würdest du dem hohen
Hausherrn meine Bitte um Obdach überbringen?«

»Ja, beim heiligen Petrus«, erwiderte der Türhüter, »und ich
bin sicher, daß Ihr willkommen sein werdet, hier zu bleiben, so
lange Ihr mögt.«

Darauf ging der Mann rasch fort und kehrte umgehend mit

einer Schar anderer Diener zurück, den Ritter höflich zu
empfangen.

34.

35.

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Sie ließen die große Zugbrücke herab, gingen ihm nach

höfischem Brauch entgegen und knieten auf der kalten Erde
nieder, um den Wanderer würdig zu begrüßen.

Sie stießen das große Tor weit auf, und er forderte sie höflich

auf, sich zu erheben, und ritt über die Brücke. Zahlreiche
Diener nahmen seinen Sattel, als er absaß, und kräftige
Burschen führten sein Pferd in den Stall, während sogleich
Ritter und Knappen herbeikamen, um den Gast fröhlich in die
Halle zu geleiten.

Als er seinen Helm absetzte, beeilten sie sich, ihn

entgegenzunehmen, um dem vornehmen Gast gefällig zu sein;
auch sein Schwert und seinen Schild nahmen sie ihm ab.

Da grüßte Gawain freundlich alle diese Männer, deren viele

gekommen waren, um ihm Ehre zu erweisen.

Sie brachten ihn, noch ehe er seine schimmernde Rüstung

abgelegt hatte, in die Halle, wo in der Feuerstelle ein helles
Feuer loderte. Da kam der Hausherr aus seinem Gemach, um
den Gast geziemend in der Halle zu begrüßen.

Er sagte: »Seid in meinem Hause willkommen. Alles, was

darin mir gehört, soll auch Euch gehören.«

»Seid bedankt«, antwortete Gawain. »Christus möge es Euch

vergelten.«

Und sie umarmten sich wie Freunde.


Gawain betrachtete den guten Mann, der ihn so
freundlich begrüßt hatte, und gewann den Eindruck,

daß der Burgherr ein kühner Streiter war, sehr groß und
stämmig, in der Blüte seiner Jahre: sein biberfarbener Bart war
voll und glänzend, und er selbst stand in strenger Haltung und
ehrfurchtgebietend auf kräftigen Beinen da, die Augen wie
Feuer leuchtend und freimütig in der Rede; und es stand ihm,

36.

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wie Gawain auf Anhieb erkannte, wohl an, Herr über eine
Schar treuer Ritter zu sein.

Der Gastgeber führte ihn in ein Gemach und gab den Auftrag,

dem Gast sogleich einen Knappen kommen zu lassen, der ihm
zu Diensten sein sollte; auf seinen Befehl hin waren zahlreiche
Knappen zur Stelle, die Gawain in eine helle Kammer führten,
in der eine prächtige Bettstatt stand: die Vorhänge, mit
vergoldeten Ringen an Kordeln laufend, waren aus kostbarer
Seide mit Säumen aus leuchtendem Gold, und die Bettdecken
waren kunstvoll und anmutig gesteppt, oben mit weißem
Hermelin besetzt. Gobelins aus Damast bedeckten die Wände
und dazu passende Teppiche den Boden.

Dort befreite man den Ritter unter launigem Geplauder von

seiner Rüstung und seinen schönen Kleidern. Umgehend
brachte man ihm vornehme Gewänder, die er anprobieren und
unter denen er wählen konnte. Als er sich für eines, das mit
seinen weiten Falten gut zu ihm paßte, entschieden und es
angelegt hatte, meinten viele Ritter, angesichts der wunderbar
leuchtenden Farben, in die sein schöner Leib gekleidet war, ein
Bild des Frühlings vor sich zu sehen. Christus konnte nie einen
edleren Ritter erschaffen haben, dachten sie. Niemand wußte,
woher er kam, doch ihnen kam er wie ein Fürst vor, der auf
dem Schlachtfeld nicht seinesgleichen hatte.

Vor dem Kamin, in dem ein Holzkohlenfeuer brannte,
stellte man für Gawain einen Sessel zurecht, der mit

Stoff überzogen und mit Kissen und Steppdecken gepolstert
war. Darauf legte man ihm einen Umhang aus hellem
Seidenbrokat um die Schultern, der kostbar bestickt und auf
der Innenseite mit ausgesuchtem Pelzwerk gefüttert, mit
Hermelin gesäumt und mit einer dazu passenden Kapuze
versehen war. Und er nahm in dem kostbaren und schicklichen

37.

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Sessel Platz, wärmte sich lustvoll auf, und seine Leiden
schwanden.

Rasch wurde ein schöner Klapptisch aufgestellt und mit

einem reinen weißen Tafeltuch bedeckt und mit einer
Serviette, einem Salzfaß und silbernen Löffeln versehen. Da
wusch sich der Ritter mit Behagen die Hände und wandte sich
den Speisen zu, und viele freundliche Knappen warteten ihm
ehrerbietig auf. Sie servierten viele Arten höchst raffiniert
gewürzter Suppen in doppelten Portionen, wie es üblich war,
und verschiedene Arten von Fisch: einmal in Brotteig
gebacken oder auf Kohle geröstet, ein anderes Mal gesotten
oder schmackhaft gedämpft. Jedesmal wurden kunstvoll
zubereitete Saucen gereicht, die ihm köstlich schmeckten.

Diese Mahlzeit sei ein Festessen, sagte er wiederholt dankbar

und höflich, und die guten Männer versicherten ihm eifrig:
»Wir bitten Euch, dies ist ein Fastenessen, es wird bald besser
werden!«

Gawains Stimmung hob sich, denn der Wein stieg ihm ein

wenig zu Kopf.

Dann stellten sie dem Ritter behutsam Fragen nach
seinen persönlichen Umständen, bis er voller

Entgegenkommen enthüllte, von welchem Hof er komme, daß
sein einziger Herrscher der Hochkönig Artus sei, der dort in
Ehren regiere, der rechtmäßige König der Tafelrunde, daß er
selbst Gawain heiße, der nun ihr Gast sei, um das
Weihnachtsfest bei ihnen zu verbringen, wie es der Zufall
gefügt habe.

Als der Herr des Hauses hörte, welchen Gast ihm das Glück

beschert hatte, lachte er laut vor Freude, und alle Männer in
der Burg brachen in Jubel aus und bemühten sich, den Mann
kennenzulernen, der die Verkörperung von Ehre, Tapferkeit

38.

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und vollendetem Betragen darstellte und allezeit gelobt wurde;
von allen Männern der Erde genoß er den höchsten Ruhm.
Man flüsterte einander zu: »Jetzt werden wir die Feinheiten
höfischer Lebensart kennenlernen, die vollkommene Eleganz
höfischer Redeweise. Wie wirksam man Sprache anwenden
kann, werden wir wie von selbst lernen können, denn unter uns
weilt der wahre Vater höfischer Bildung. Gott in seiner Güte
hat uns wahrlich eine große Gnade erwiesen, indem er uns zu
einer Zeit einen Gast beschert hat, da die Menschen sich der
Geburt unseres Herrn erfreuen und sie in fröhlichen Liedern
besingen. Was höfische Gesittung bedeutet, wird dieser Ritter
jetzt offenbaren. Wer ihm zuhört, wird vermutlich einiges über
die Kunst erfahren, von der Liebe zu sprechen.«

Als das Abendessen vorüber war und er sich von der
Tafel erhoben hatte, war es beinahe Nacht geworden.

Die Priester begaben sich zur Kapelle und ließen, wie
vorgeschrieben, für die ernsten Vigilien des hohen Festtages
kräftig die Glocken läuten. Der Burgherr ging voran, begleitet
von seiner Gemahlin; sie begab sich anmutig zu einem
prächtigen Kirchenstuhl. Gawain strebte auf der Stelle dahin.
Der Herr faßte ihn beim Arm, führte ihn zu seinem Platz,
redete ihn vertraulich mit seinem Namen an und sagte, er sei
ihm von allen Gästen der Welt der liebste.

Und Gawain dankte ihm von Herzen, und sie grüßten

einander mit einer Umarmung und saßen still nebeneinander,
so lange der Gottesdienst währte.

Dann verlangte es die Dame, diesen Ritter kennenzulernen;

und sie kam mit vielen hübschen Maiden aus ihrem Gelaß. Mit
der Schönheit ihres Gesichts, ihrem Wuchs, ihrer Hautfarbe
und Haltung übertraf sie alle anderen weiblichen Geschöpfe,
und Gawain erschien sie sogar schöner als Ginevra.

39.

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Er kam durch den Chorraum, um ihr seine Aufwartung zu

machen; eine zweite Dame führte sie an der linken Hand, älter
als sie, im Grunde eine alte Frau, jedoch von allen Männern
ringsum in hohen Ehren gehalten. Aber die beiden Frauen
waren sich kaum ähnlich, denn so jugendlich frisch die eine
aussah, so verwelkt war die andere; Lippen und Wangen der
einen leuchteten rot, bei der anderen hingen die Wangen
runzlig und schlaff herab; das Gewand der einen hatte einen
mit vielen schimmernden Perlen besetzten Ausschnitt, der ihre
Brüste und den strahlend weißen Hals entblößte, die heller
waren als Schnee, der auf die Hügel fällt; die andere trug ein
Tuch, das eng den Hals umschloß, ihr dunkles Kinn war von
kreideweißen Schleiern verhüllt, die Stirn von Seide mit einem
bestickten Saum und einem verzierten Netz verdeckt, so daß
von dieser Vettel nur die schwarzen Augenbrauen, die Augen,
ihre Nase und die blassen Lippen zu sehen waren, und die
Augen waren schrecklich anzuschauen und von Tränen
getrübt; man konnte sie, Gott weiß, wirklich eine ehrwürdige
Dame nennen!

Ihr Leib war kurz und dick, ihr Hinterteil ausladend;

lieblicher für den Geschmack war die Dame, die sie mit sich
führte.

Als Gawain die junge Dame erblickte, die so anmutig
aussah, ging er den beiden mit Erlaubnis des

Burgherrn entgegen, begrüßte die ältere mit einer tiefen
Verbeugung, dann umarmte er die schönere, küßte sie mit
höfischer Schicklichkeit und sprach sie geziemend an. Sie
äußerten den Wunsch, ihn näher kennenzulernen, und sogleich
erklärte er sich als ihr aufrichtiger Diener, falls sie es
wünschten. Sie nahmen ihn in die Mitte und führten ihn
plaudernd zum Kaminplatz in einem hübschen Gemach, riefen

40.

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sogleich nach Süßigkeiten, die ihnen ohne Verzug reichlich
gebracht wurden, zusammen mit Wein nach ihrem Geschmack.

Der Burgherr sprang zu ihrer Erheiterung fröhlich umher; er

machte Späße und forderte auch sie dazu auf, nahm heiter
seine Kappe vom Kopf, hängte sie an einen Speer und
versprach sie dem als Preis, der an diesem Weihnachtstag die
größte Heiterkeit erregte.

»Und ich werde es, bei meiner Ehre, mit den besten

aufnehmen, ehe ich diese Kappe einem meiner Freunde
ausliefere.«

So sorgte der Hausherr mit Gelächter und Scherzen für gute

Laune, um Herrn Gawain an diesem Abend fröhlich zu
stimmen, bis die Zeit gekommen war, da der Hausherr nach
Licht rief.

Also verabschiedete sich Gawain und begab sich zu Bett.


Am folgenden Morgen wurde, wie man sich erinnert,
unser lieber Herr Jesus geboren, um für unser Heil zu

sterben, und in jedem Haus auf Erden gab man sich um
seinetwillen der Freude hin. So auch auf dieser Burg, und zur
Festlichkeit des Tages wurden die köstlichsten Gerichte
serviert. Zu jeder Mahlzeit gab es exquisite Speisen, die auf
dem Podest von geschickten Dienern aufgetragen wurden. Die
alte Dame führte an der Tafel den Vorsitz, während der
Hausherr bescheiden neben ihr Platz nahm; Gawain und die
schöne Dame plazierte man zusammen in der Mitte der Tafel,
wo man, wie es sich schickt, mit dem Servieren begann, ehe
dann die anderen in der Halle, je nach ihrem Rang und in der
vorgeschriebenen Reihenfolge, bedient wurden.

So wurde jeder, ohne Groll zu empfinden, seinem Rang nach

bedient, und man tafelte, feierte und war guter Dinge; es wäre
schwierig und mühevoll, wollte ich alles im einzelnen

41.

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beschreiben. Ich vermute jedoch, daß Gawain und die schöne
Dame an ihrer beider Gesellschaft, an der höfischen Plauderei
mit schönen, ziselierten, doch reinen und schicklichen Worten
wahrlich mehr Vergnügen hatten als ein Fürst bei einer
höfischen Belustigung. Pauken erschallten und Trompeten, und
viele Flöten spielten auf, so daß sich jeder nach seiner Weise
amüsierte, und die zwei taten es auf die ihre.

So feierte man den ersten und den folgenden Tag, und
auch den dritten brachte man fröhlich zu: Am Sankt-

Johannistag war der Lärm des Festes zu vernehmen, denn jeder
wußte, daß er der letzte der Feiertage war, das teure Fest der
Unschuldigen Kinder.

Einige Gäste mußten am nächsten Morgen aufbrechen, und

sie hielten eine wundersame Nachtwache, tranken Wein und
tanzten unablässig zu heiteren Melodien. Schließlich nahmen
sie voneinander Abschied, als es spät war, und alle edlen
Reisenden machten sich zum Aufbruch bereit.

Auch Gawain wollte sich verabschieden, aber der Hausherr

hielt ihn zurück und führte ihn in seinem eigenen Gemach in
die Kaminecke, und dort redete er auf ihn ein und dankte ihm
herzlich für die hohe Ehre, die er seinem Haus zu diesem
hohen Fest erwiesen, und daß er die Burg mit seiner
Gegenwart beglückt habe.

»Glaubt mir, Herr«, sagte er, »mein Leben lang werde ich

mich glücklich schätzen, daß Gawain bei diesem hohen Fest
mein Gast war.«

»Ich danke Euch, Herr«, erwiderte Gawain, »aber mit

Verlaub, Euch allein gebührt die Ehre – möge es der
Hochkönig Euch lohnen! Und ich werde allezeit Euer Diener
sein und Eure Wünsche befolgen, weil das, ob zum Guten oder
Schlechten, eine ehrenvolle Pflicht für mich ist.«

42.

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Der Burgherr gab sich alle Mühe, den Ritter länger

festzuhalten, doch Gawain gab zur Antwort, das sei auf keinen
Fall möglich.

Darauf stellte der Hausherr Gawain höflich die Frage,
welche bittere Notwendigkeit ihn zu dieser festlichen

Zeit so zwingend vom Hof des Königs vertrieben habe, daß er
allein umherziehe, noch ehe in den Häusern die Feiertage zu
Ende seien.

»In der Tat, Herr«, gab Gawain zur Antwort, »Ihr sprecht die

reine Wahrheit: eine wichtige und dringende Aufgabe hat mich
vom Hof vertrieben, denn ich bin verpflichtet, einen Ort zu
finden, obgleich ich beim besten Willen nicht weiß, wohin in
aller Welt ich mich wenden soll. Ich darf auf keinen Fall
versäumen, am Neujahrsmorgen dort zu erscheinen, und ich
würde alle Länder von Logres dafür hingeben, ihn zu finden,
so wahr mir Gott helfe! Und darum stelle ich Euch, Herr, jetzt
die Frage: könnt Ihr mir ohne Falsch sagen, ob Ihr je von der
Grünen Kapelle gehört habt, wo sie liegt, sowie von dem
prächtigen Ritter, der ganz in Grün gekleidet ist und sie hütet?
Denn wir haben einen Vertrag miteinander geschlossen, daß
ich nämlich diesen Ritter an dieser Stelle treffen soll, falls ich
noch am Leben bin, und der Neujahrstag rückt immer näher.
Beim Sohn Gottes, lieber möchte ich diesem Mann
gegenübertreten – wenn doch Gott mir diese Gunst erweisen
würde! – als irgendwelche Schätze gewinnen. Darum muß ich
mich mit Eurer gütigen Erlaubnis auf den Weg machen, denn
mir bleiben nur noch drei Tage für meine Aufgabe, und ich
möchte lieber sterben als meine Pflicht versäumen.«

Da lachte der Hausherr und sagte: »Nun müßt Ihr bleiben,

weil ich Euch zur rechten Zeit den Weg zum Ort Eurer
Verabredung zeigen werde. Es soll Euch nicht länger

43.

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bekümmern, wo die Grüne Kapelle liegt! Ruht Euch ohne
Sorgen aus bis zum hellen Tag, brecht am ersten Tag des
Jahres auf, und Ihr werdet gegen die Mitte des Vormittags an
dem Treffpunkt anlangen; dort mögt Ihr treiben, was Ihr wollt.

Bleibt bis zum Neujahrstag, dann reitet los! Wir werden Euch

den rechten Weg zeigen, der Ort ist kaum zwei Meilen von
hier entfernt.«

Da war Gawain entzückt und lachte vor Freude: »Ich
danke Euch tausendmal von Herzen! Da meine

Queste jetzt beendet ist, will ich Eurem Wunsch nachkommen,
noch ein paar Tage bleiben und Euch in allem zu Diensten
sein.«

Darauf nötigte ihn der Hausherr, sich neben ihn zu setzen,

und ließ die Damen holen, damit sie sich mit ihnen freuen
konnten, und sie fanden einträchtig ihr Vergnügen.

Der Hausherr war aus Zuneigung zu Gawain voller

Überschwang, als hätte er den Verstand verloren und wüßte
nicht, was er tat. Laut rief er dem Ritter zu: »Ihr habt das zu
tun versprochen, was ich vorschlage. Wollt Ihr jetzt, in diesem
Augenblick, dazu stehen?«

»Ja, gewiß«, sagte der aufrechte Ritter, »solange ich in

Eurem Hause weile, werde ich Eurem Befehl gehorchen.«

»Ihr seid nach einer langen, mühsamen Reise von fern

hergekommen«, sagte der Hausherr, »und dann habe ich Euch
wach gehalten: Ihr seid noch nicht bei Kräften, nicht erholt; Ihr
habt gewiß Essen und Schlaf nötig. Geht nach oben in Eure
Kammer und ruht Euch dort aus bis morgen zur Messe, und
dann setzt Euch zu Tisch mit meiner Gemahlin, wenn Ihr
wollt, die Euch Gesellschaft leisten wird, bis ich zur Burg
heimkehre. Ihr bleibt, und ich werde früh aufstehen und auf die
Jagd gehen.«

44.

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Gawain verneigte sich höflich: »Ganz, wie Ihr befehlt.«


»Eines noch«, sagte der Hausherr: »Wir wollen eine
Vereinbarung treffen: Was immer ich im Wald

erbeute, soll Euch gehören, und Ihr sollt mir dafür das geben,
was Euch durch Zufall hier beschert wird. Wollen wir dieses
Tauschgeschäft machen, lieber Freund – sagt, wie Ihr darüber
denkt –, ganz gleich, ob wir etwas Wertvolles oder etwas
Wertloses dabei gewinnen?«

»Bei Gott«, erwiderte Gawain, »ich bin mit allem

einverstanden und über alle Spiele erfreut, die Ihr vorschlagt.«

»Abgemacht, der Handel gilt! Darauf wollen wir trinken!«

sagte der Hausherr, und sie lachten, tranken und scherzten
nach Herzenslust, die Damen und Herren, und dann standen sie
nach französischer Manier auf gedämpfte höfische Art
plaudernd beisammen und küßten sich gesittet zum Abschied.

Von würdigen Dienern mit brennenden Fackeln wurde

endlich jeder auf geziemende Art zu seinem Bett geleitet. Doch
bevor sie sich endgültig niederlegten, wies der Hausherr
mehrere Male auf den Vertrag hin, denn er, der alte Fuchs in
seinem Bau, wußte, wie man ein Spiel arrangiert.

45.

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III.



Noch bevor der Tag anbrach, waren die Männer auf
den Beinen. Die Gäste, die aufbrechen wollten, riefen

nach ihren Dienern, rasch wurden die Pferde gesattelt, das
Gepäck zusammengepackt und die Reisetaschen aufgeschnallt.
Die Männer von Stand machten sich reisefertig, saßen
ungesäumt auf, ergriffen die Zügel und machten sich auf den
Weg. Der Lehnsherr war nicht der letzte von allen, der sich mit
einer Rotte seiner Männer zum Ausritt rüstete; nachdem er der
Messe beigewohnt hatte, aß er eilig einen Bissen und begab
sich, während die Jagdhörner geblasen wurden, eilends ins
Jagdrevier.

Als der Tag heraufdämmerte, saßen er und seine Jäger zu

Pferde. Darauf koppelten die Hundeführer die Tiere paarweise
zusammen, öffneten die Tür des Zwingers, riefen »Hinaus!«
und ließen dreimal hintereinander laut die Hörner ertönen, und
die Spürhunde antworteten mit kräftigem Gebell; und sie
hielten die Hunde, die ausbrechen wollten, mit der Peitsche
zurück – wie ich gehört habe, waren es hundert der besten
Jagdhunde. Die Hundeführer bezogen Stellung und ließen die
Hunde los, und die Wälder widerhallten von stürmischen
Hornsignalen.

Kaum war das Gebell der Hunde losgebrochen,
erschrak das Wild; das Rotwild brach, von Furcht

befallen, durch das Tal und floh die Höhen hinauf, doch es
wurde feurig von den Treibern empfangen, welche die Tiere
unter lautem Geschrei zurücktrieben. Die Hirsche mit ihren

46.

47.

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ausladenden Geweihen ließen sie durch und auch die
Damhirsche mit den großen Schaufeln; denn der Burgherr
hatte verboten, während der Schonzeit ein männliches Tier zu
erlegen. Die Hirschkühe wurden mit »He!« und »Achtung!«
zurückgehalten, die Rehe mit gewaltigem Geschrei in die
tiefen Täler gejagt: dort sah man einen Hagel von Pfeilen
fliegen; hinter jeder Biegung des Pfades unter den Bäumen
schnellten sie hervor und bohrten sich mit ihren Spitzen und
Widerhaken in braune Decken. Getroffen! Und sie brüllten auf
und bluteten und verendeten am Fuß des Hügels; und immer
waren ihnen die Hunde auf den Fersen, und Jäger jagten ihnen
bei lautem Hörnerschall nach und vollführten solch einen
Lärm, daß es schien, als stürzten die Berge ein. Jedes Stück
Wild, das den Bogenschützen entronnen war, wurde an den
Sammelstellen niedergezerrt und abgestochen.

Nachdem sie die Tiere auf dem Hügel in die Enge gedrängt

und hinunter zum Fluß getrieben hatten, zeigten die Jäger an
diesen tieferen Standpunkten ihre besondere Geschicklichkeit,
und ihre Windhunde waren so schnell, daß sie die Tiere auf der
Stelle packten und so blitzartig niederrissen, daß man seinen
Augen nicht trauen mochte.

Von der Jagdlust hingerissen, ob zu Pferd oder zu Fuß,

verbrachte der Hausherr freudig den Tag bis zum Anbruch der
Nacht.

Während der Hausherr sich unter dem Dach des
Waldes vergnügte, lag der tapfere Gawain unter

prächtigen Decken, von Vorhängen umgeben, müßig im
weichen Bett, bis das Tageslicht die Wände der Kammer
erhellte. Und als er im halben Schlaf dämmerte, hörte er von
seiner Tür ein unterdrücktes, leises Geräusch, als öffne sie sich

48.

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heimlich. Da zog er eine Ecke des Vorhangs ein wenig hoch,
hob den Kopf, um unauffällig zu erspähen, was dort vorging.

Es war die Hausherrin, wunderschön anzusehen, die

vorsichtig und behutsam die Tür hinter sich schloß und sich
seinem Bett näherte.

Der Ritter war in Verlegenheit und legte sich rasch wieder

hin, als schliefe er; und sie trat lautlos und verstohlen an sein
Bett, zog den Vorhang zurück, schlüpfte unter den Baldachin,
setzte sich behutsam auf die Bettkante und wartete sehr lange,
daß er aufwachte.

Er blieb einige Zeit verwirrt und verwundert liegen und

zerbrach sich den Kopf, was ihr Kommen wohl zu bedeuten
haben mochte und worauf es hinauslaufen würde – auf eine
Überraschung, wollte ihm scheinen. Doch er sagte zu sich: »Es
wäre schicklicher, wenn ich sie umgehend fragte, was sie
will.«

Er tat, als wachte er auf, drehte sich herum, wandte sich ihr

zu und hob mit scheinbar verwundertem Blick die Lider und
bekreuzigte sich, als wollte er sich schützen. Sie grüßte ihn
anmutig und zeigte ihr weißes Kinn, die lieblichen roten und
weißen Wangen, und lächelte ihn mit ihren zarten Lippen an.

»Guten Morgen, Herr Gawain!« sagte die schöne
Dame. »Ihr seid ein sorgloser Schläfer, denn man

kann unbemerkt bei Euch eindringen! Jetzt seid Ihr gefangen!
Wenn wir uns nicht verständigen, werde ich Euch ans Bett
binden, dessen könnt Ihr sicher sein«, scherzte die Dame
lachend.

»Guten Morgen, meine schöne Dame!« erwiderte Gawain

fröhlich. »Ich unterwerfe mich Eurem Willen und bin es wohl
zufrieden. Ich erkläre mich auf der Stelle für besiegt und bitte
um Gnade, denn mir scheint, das ist das Beste, was ich tun

49.

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kann.« So gab er lächelnd ihren Scherz zurück und fuhr fort:
»Aber würdet Ihr, schöne Dame, Euren Gefangenen jetzt wohl
freigeben und ihm erlauben aufzustehen, damit er das Bett
verlassen und sich angemessener bekleiden kann? Um so
angenehmer wäre es doch, dann mit Euch zu plaudern.«

»Nein, daraus wird nichts«, erwiderte die Schöne, »Ihr sollt

Euer Bett nicht verlassen, denn ich weiß mir etwas Besseres:
Ich werde Euch hier fesseln, auch auf der anderen Seite, und
dann mit meinem wahrhaftigen Ritter plaudern, den ich
eingefangen habe. Denn ich weiß sehr wohl, daß Ihr Herr
Gawain seid, den alle Welt preist, wohin Ihr auch kommt, Euer
Ehrgefühl, Eure feinen Sitten werden an den Höfen gelobt, ob
von Herren oder Damen, kurz, von jedermann. Und jetzt seid
Ihr tatsächlich hier, und wir sind allein! Mein Gatte und seine
Jäger sind weit fortgeritten, die anderen Männer sind im Bett,
und meine Hofdamen schlafen noch, die Tür ist geschlossen
und mit einem kräftigen Riegel versperrt. Und weil ich in
diesem Haus einen Mann habe, der das Entzücken aller ist,
werde ich diese Gelegenheit nutzen, solange es möglich ist.
Mein junger Leib gehört Euch, entzückt Euch nach Belieben
daran, denn ich kann nicht anders, als Euch dienen, und ich
will es tun.«

»Fürwahr«, sagte Gawain, »ich bin glücklich zu
schätzen, obgleich ich nicht der Mann bin, von dem

Ihr sprecht – einer solchen Ehre, wie Ihr sie mir zollt, bin ich
nicht würdig, das weiß ich selbst am besten – bei Gott, ich
wäre froh, wenn meine Worte Euch zusagten oder meine
Dienste Euch Vergnügen bereiteten, hohe Dame. Meine
Freude wäre grenzenlos.«

»Bei meiner Ehre, Herr Gawain«, sagte die Schöne, »wollte

ich Euren Ruhm und Eure Tapferkeit, die allgemein anerkannt

50.

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sind, verspotten oder herabsetzen, so wäre das kaum höflich.
Doch es gibt Damen ohne Zahl, die Euch gern in ihrer Gewalt
hätten – wie es mir jetzt vergönnt ist –, um im Gespräch
elegant mit Worten zu spielen, Trost zu suchen und ihren
Kummer zu lindern, und müßten sie auch alle ihre Schätze
dafür opfern. Ich aber danke Ihm, der im Himmel herrscht, daß
ich wegen seiner Gnade alles, was ich begehre, ganz und gar in
der Hand habe.«

Die Dame mit dem schönen Gesicht ließ sich nicht

zurückweisen. Der Ritter antwortete ihr, und er wußte seine
Worte wohl zu wählen.

»Meine Dame«, antwortete er freimütig, »Maria möge
es Euch lohnen. Denn ich habe fürwahr Eure große

Freigebigkeit erfahren, und auch andere hier haben mir
Achtung gezollt; aber alle Höflichkeiten, die man mir erweist,
übersteigen mein Verdienst. Es ehrt Euch selbst, wenn Ihr es
gut mit mir meint.«

»Nein, bei Maria«, wandte die Dame ein, »da bin ich anderer

Meinung. Denn wenn ich so viel wert wäre wie alle anderen
Frauen und würde alle Schätze der Welt mein eigen nennen
und sollte einen Mann erwählen, so würde ich Euch, lieber
Ritter, wegen Eures edlen Wesens, über das Ihr verfügt, wegen
Eurer Schönheit, Mildtätigkeit und Eurer höfischen Gesittung,
von denen ich bereits gehört hatte und die ich jetzt bestätigt
finde, jedem anderen Mann auf der Welt vorziehen.«

»Um die Wahrheit zu sagen, meine Dame«, antwortete er,

»habt Ihr weit besser gewählt. Aber ich bin stolz darauf, daß
Ihr mir eine solche Wertschätzung zuteil werden laßt, und Ihr
seid für mich meine Herrin, deren untertäniger Diener ich sein
und deren Ritter ich werden will – Christus möge es Euch
lohnen.«

51.

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Auf diese Weise unterhielten sie sich, bis es Mittag wurde,

und während der ganzen Zeit verhielt sich die Dame so, als
wenn sie Gawain von Herzen liebte. Er wehrte sie ab, jedoch
immer auf höfliche Art. Wenn sie auch die schönste Frau war,
die Gawain sich vorstellen konnte, ging ihm doch weniger die
Liebe durch den Kopf als der Schlag, den er in Bälde
empfangen würde und dem er nicht ausweichen konnte. Dann
bat die Dame, sich entfernen zu dürfen, und er hielt sie nicht
zurück.

Darauf warf sie ihm ein Lächeln zu, stand da und
sprach ihn mit so ernsten Worten an, daß es ihn

erstaunte: »Möge Gott, der uns mit dem Geschenk der Sprache
segnet, Euch belohnen! Aber daß Ihr wirklich Gawain seid,
will mir nicht in den Kopf.«

»Warum?« fragte der Ritter eilig, weil er besorgte, er könne

sich in der Form vergriffen haben.

»Ganz einfach«, erwiderte sie vergnügt, »weil Gawain, der

für einen derart vollkommenen Ritter gehalten wird, der alle
Artigkeit verkörpert, kaum so ausgiebig hätte plaudern können,
ohne daß er an einer Stelle der Unterhaltung, die eine solche
Andeutung erlaubte, die Dame als höfischer Ritter um einen
Kuß gebeten hätte.«

Da sagte Gawain: »Nun denn, wie Ihr wünscht, sei’s drum.

Ich werde Euch auf Euren Befehl hin küssen, wie es sich für
einen Ritter ziemt, und außerdem, um nicht Euren Unmut zu
erregen, wenn Ihr weiter darum bitten müßt.«

Darauf trat sie näher und schloß ihn in die Arme, beugte sich

zierlich zu ihm hinunter und küßte ihn. Sie tauschten höflich
ein »Gott empfohlen« aus, dann schritt sie ohne Umschweife
durch die Tür und verschwand, während er sich eilig erhob, um
sich anzukleiden.

52.

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Er rief seinen Kammerdiener, wählte seine Kleidung und

ging, nachdem er alles angelegt hatte, gutgelaunt zur Messe.
Dann setzte er sich zu einer Mahlzeit an den Tisch, der
angemessen gedeckt war, und verbrachte fröhlich den Tag bis
zum Mondaufgang.

Nie ist ein Gast besser aufgenommen worden als Gawain von

den beiden würdigen Damen, der jungen und der alten: Sie
hatten viel Spaß miteinander.

Und noch immer hielt seine Jagdlust den Hausherrn
von seiner Burg fern, und er setzte durch Wald und

Heide den Hirschkühen nach, die nicht trächtig waren. Als die
Sonne zu sinken begann, hatte er eine so große Anzahl von
Rehen und Rotwild erlegt, daß es kaum zu glauben war.
Schließlich versammelten sich alle Jäger hurtig an einem Platz
und trugen die Jagdbeute zusammen. Hier stellte sich auch
eilig der Jagdherr mit einer Schar seiner Männer ein, wählte
unter den Tieren die besten aus, und sie brachen sie sauber auf,
wie es die Regeln verlangten. Einige Männer prüften die Tiere
und fanden noch in den magersten eine zwei Finger breite
Schicht Fett. Darauf schlitzten sie die Drossel auf, zogen den
zweiten Magen heraus, reinigten ihn mit einem scharfen
Messer und banden ihn zu; dann trennten sie die vier Läufe ab,
zogen die Haut ab, schlitzten die Bauchhöhle auf und
entfernten vorsichtig die Eingeweide (die sie fortwarfen), um
den Magenknoten nicht zu lösen; sie nahmen die Gurgel,
lösten geschickt die Speiseröhre von der Luftröhre und zogen
die Eingeweide zur Gänze heraus. Danach lösten sie mit
scharfen Messern die Schulterblätter aus (durchtrennten die
Sehnen mit einem kleinen Schnitt), um die Seitenstücke
vollständig zu lassen; sie schnitten den Brustkorb auf und
trennten ihn in zwei Teile, dann setzten sie wieder bei der

53.

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Gurgel an, öffneten den Hals bis zum Ansatz der Läufe und
entfernten, was ungenießbar war, ehe sie die zarten
Hautschichten von den Rippen lösten. Mit großem Geschick
legten sie das Rückgrat frei und zogen alle Anhängsel bis zu
den Keulen herunter, hoben sie in einem Klumpen hoch und
hieben ihn ab, und sie nennen diese Masse treffend, wie ich
meine, Abfall. Sie durchtrennen die Haut an den Schenkeln,
schlagen die Lappen zurück und teilen den Körper am
Rückgrat entlang rasch in zwei Hälften.

Anschließend hieben sie Kopf und Hals ab, trennten
rasch die Seitenteile vom Rückenstück und warfen

den Krähen ihren Anteil ins Unterholz. Sie durchbohrten die
Rippen der dicken Seitenteile und hängten sie an den
Beinstümpfen auf: jedermann bekam den Anteil, der ihm
zustand; auf der Decke eines schönen Tieres wurden die
Hunde mit Leber, Lunge und Gekröse, mit blutgetränktem Brot
vermischt, gefüttert. Dann verkündete ein Hornsignal das Ende
der Jagd, die Hunde fielen bellend ein; danach luden sie ihre
Beute auf und machten sich unter stolzem Hörnerklang auf den
Heimweg. Gegen Abend hatte die Gesellschaft rechtzeitig die
Burg erreicht, wo der Ritter Gawain behaglich am hellen Feuer
saß. Sogleich ging der Hausherr zu ihm, und als die zwei
Männer sich wiedersahen, war ihr Vergnügen vollkommen.

Dann gab der Hausherr die Anweisung, alle seine
Männer sollten in die Hallen kommen, wie auch die

beiden Damen mit ihrem Gefolge; ehe sich alle versammelt
hatten, befahl er stämmigen Männern, das Wildbret vor ihm
auszubreiten, wandte sich fröhlich und gutmütig an Gawain,

54.

55.

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verkündete ihm die Anzahl der erlegten Stücke und zeigte ihm
das glänzende Fett auf ihren Rippen.

»Wie gefällt Euch dieses Spiel? Habe ich Lob verdient?
Schuldet Ihr mir ehrlichen Dank für meine Geschicklichkeit

auf der Jagd?«

»Ja, in der Tat«, gab Gawain zur Antwort, »das ist das meiste

und schönste Wildbret, daß ich in den letzten sieben Jahren im
Winter gesehen habe.«

»Ich schenke es Euch, Gawain«, sagte der Hausherr

großmütig, »denn nach dem Vertrag, den wir geschlossen
haben, steht es Euch rechtmäßig zu.«

»Das ist wahr«, entgegnete dieser, »und ich sichere Euch das

gleiche zu: Was ich reinen Herzens Wertvolles in diesen
Mauern erworben habe, das, versichere ich, gehört Euch.«

Er umarmte und küßte ihn freundschaftlich.
»Nehmt also meine Beute, Herr! Mehr habe ich nicht. Gern

würde ich sie hergeben, wenn sie größer wäre.«

»Es ist gut«, erwiderte freundlich der Hausherr. »Ich danke

Euch von Herzen. Da Euer Schatz vielleicht der größere ist, so
erzählt mir doch in Kürze, wo Ihr ihn dank Eurer Klugheit
erworben habt.«

»Das haben wir nicht abgemacht«, sagte Gawain. »Fragt

mich nicht weiter, denn Ihr habt bekommen, was Euch
gebührt, und könnt sicher sein, daß Ihr darüber hinaus nichts
von mir bekommen könnt.«

Sie lachten und machten Scherze, und darauf gingen sie zum

Abendessen, wo viele Köstlichkeiten sie erwarteten.


Anschließend nahmen sie im Kaminzimmer Platz,
reichlich Wein vom besten wurde ihnen gebracht, und

unter Scherzen schlossen sie denselben Vertrag auch für den
morgigen Tag: am Abend alles, was sie an Beute erhascht

56.

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hatten, auszutauschen, was immer auch geschehen mochte.
Diesen Vertrag schlossen sie vor der versammelten
Hofgesellschaft und stießen unter vielen Witzeleien darauf an.
Endlich nahmen sie in fröhlicher Laune Abschied voneinander
und gingen zu Bett.

Der Hahn hatte kaum dreimal gekräht, als der Burgherr und

seine Leute schon auf den Beinen waren; als Frühstück und
Frühmesse vorbei waren, ritt die Schar bei Tagesanbruch in
den Wald zur Jagd. Unter den Rufen der Jäger und den
Klängen der Hörner ritten sie übers Feld; die Hunde rasten,
von den Leinen befreit, geschwind ins dornige Gestrüpp.

Bald nahmen sie in einem Dickicht am Rande eines
Sumpfes eine Fährte auf. Die Jäger feuerten den

Hund an, der die Spur als erster gewittert hatte, stießen Schreie
aus und vollführten Lärm. Als die übrigen Hunde das hörten,
kamen sie, eine Meute von vierzig, eilends herbei. Dann
jaulten und heulten sie so laut, daß die Felsen ringsum
widerhallten. Die Jäger feuerten sie mit Geschrei und
Hornsignalen an, und dann rasten sie alle zusammen zwischen
einem Waldsee und einer schroffen Bergwand dahin. In ein
Dickicht unter einer hohen Klippe am Rand der Schlucht, wo
der nackte Fels völlig zerklüftet war, folgten sie der Spur, die
Jäger dicht hinter ihnen, welche die Klippe und das Steingeröll
einkreisten, davon überzeugt, das Wild gestellt zu haben, eben
das Tier, das die Hunde gewittert hatten.

Da schlugen sie auf die Büsche, um das Wild

aufzuscheuchen, und es kam heraus und ging gefährlich auf sie
los.

Es war ein Keiler ohnegleichen, der hervorbrach. Dieses alte,

störrische Tier hatte seine Rotte seit langem verlassen, denn

57.

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dieses größte aller Wildschweine war bösartig und grunzte
wild.

Da erschrak mancher Jäger, denn der Keiler schleuderte die

ersten der Hunde zu Boden und jagte mit großer
Geschwindigkeit davon, ohne sich um die anderen zu
kümmern. Und die Jäger schrien und brüllten ihm nach und
riefen mit Hornsignalen die Meute zusammen. Unter
gewaltigem Geschrei und Hundegebell jagten sie dem Keiler
nach, um ihn mit Lärm zu verschrecken. Viele Male hielt er
inne und die Meute geriet in Unordnung. Er verwundete viele
Hunde, und sie heulten und jaulten erbärmlich.

Doch sogleich rückten die Jäger vor, um zum Schuß
zu kommen, schossen ihre Pfeile ab und trafen ihn

oft. Aber die Pfeile, die seine Flanken trafen, zeigten keine
Wirkung, und die Widerhaken drangen nicht in seinen Nacken:
Obwohl der Schaft zersplitterte, prallten die Spitzen ab, wo sie
auch trafen. Aber als die Wucht der harten Aufschläge ihn
erschütterten, packte ihn die Kampfeswut, und er ging auf die
Männer los, spießte sie erbarmungslos auf, während er
vorwärts raste, und manch einer, der ihn kommen sah, verzagte
und wich ihm hurtig aus. Aber der Burgherr setzte ihm auf
schnellem Pferd nach, wobei er wie ein mutiger Krieger in der
Schlacht ins Horn stieß und den Ruf zum Sammeln blies,
während er durch das dichte Unterholz ritt.

Er verfolgte den Keiler, bis die Sonne sank.
Auf diese Weise verbrachten sie den Tag, während unser

braver Ritter daheim unter kostbaren, farbenprächtigen Decken
im weichen Bett lag. Die Dame vergaß ihn nicht: Sie kam, um
ihn zu begrüßen, früh schon suchte sie ihn auf, um seinen
Willen zu schwächen.

58.

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Sie schritt zum Vorhang und lugte auf den Ritter.
Herr Gawain grüßte sie höflich als erster, und sie

erwiderte leichthin seinen Gruß und nahm sanft an seiner Seite
Platz.

Plötzlich lächelte sie und sprach mit liebevollem Blick zu

ihm: »Herr, wenn Ihr Gawain seid, wundert es mich, daß ein
Mann von so edler Gesinnung und Liebenswürdigkeit mit den
höfischen Bräuchen nicht vertraut ist; und wenn man Euch
damit bekannt macht, prägt Ihr sie Euch nicht ein. Ihr habt
vergessen, was ich Euch gestern so einfach wie möglich
beizubringen versuchte!«

»Was ist das?« fragte er sogleich. »Ich weiß es wirklich

nicht. Wenn Ihr aber die Wahrheit sagt, muß ich die ganze
Schuld auf mich nehmen.«

»Was das Küssen betrifft«, sagte sie, »gab ich Euch

folgenden Rat: Wann immer Euch diese Gunst eröffnet wird,
zögert nicht, Gebrauch davon zu machen; das steht allen wohl
an, die sich um höfisches Benehmen bemühen.«

»Nehmt das zurück, meine Schöne«, sagte der aufrechte

Ritter. »Denn nur aus Furcht, zurückgewiesen zu werden, habe
ich es nicht gewagt. Hätte ich Ablehnung erfahren, so wäre es
ein Fehler gewesen, eine solche Kühnheit gewagt zu haben.«

»Meine Güte«, erwiderte die schöne Dame, »Ihr konntet

niemals zurückgewiesen werden; Ihr seid Manns genug, Euch
gewaltsam zu holen, was Ihr begehrt, wenn Ihr wollt, falls eine
Dame so schlechte Manieren hat, Euch abzuweisen.«

»Bei Gott, was Ihr sagt, hört sich köstlich an, aber in dem

Kreise, in dem ich zu Hause bin, hat Gewalt keinen Platz, und
es werden dort keine Geschenke verlangt, die nicht freudig und
freiwillig gemacht werden. Ich stehe Euch zum Küssen mit
Freuden zu Diensten. Ihr könnt die Küsse empfangen, wann
immer Ihr wollt, und damit aufhören, wenn es Euch gefällt.«

59.

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Da beugte sich die Dame nieder und küßte zärtlich sein

Gesicht.

Und dann sprachen sie noch mancherlei von den Leiden und

Freuden der Liebe.

»Ich würde gern von Euch erfahren, Herr«, sagte die
Dame, »wenn Ihr nichts dagegen hat, was das

bedeutet: Warum ein so junger, lebensvoller Mann wie Ihr, der
wegen seiner Ritterlichkeit und seines Anstandes berühmt ist,
mir gegenüber nie ein Wort über das Lieben in irgendeiner
Form geäußert hat. Wenn ich unter den Tugenden des
Rittertums zu wählen hätte, entschiede ich mich für die
Freuden wahrer Liebe, denn sie ist die Krone ritterlichen
Lebens. Die Liebe ist der Hauptgrund ihrer Werke und deren
Inhalt, daß sie nämlich um ihrer reinen Liebe willen ihr Leben
aufs Spiel gesetzt, schreckliche Prüfungen durchgemacht, sich
dann mutig gerächt, ihr Unglück gemeistert und durch ihre
Standhaftigkeit das Glück ins Gemach ihrer Liebsten gebracht
haben. Ihr seid der Ritter, der in unserer Zeit den größten
Ruhm genießt, Euer Name wird überall rühmend genannt, und
doch sitze ich zum zweiten Mal neben Euch, ohne eine
Bemerkung über die Liebe gehört zu haben. Wenn Ihr getreu
Eurem Gelübde so ritterlich und höfisch seid, sollte es Euch
ein Anliegen sein, eine junge Schülerin durch Hinweise und
Beispiele in die Kunde der Liebe einzuführen. Warum? Seid
Ihr ungeachtet aller Verehrung, der Ihr Euch erfreut, ein Mann,
der nichts weiß? Oder glaubt Ihr, ich sei zu töricht, Euren
Gedanken zu folgen? Schämt Euch! Ich komme allein zu Euch,
um ein Spiel zu erlernen; kommt also, laßt mich an Eurem
Wissen teilhaben, solange mein Gemahl weit fort ist.«

60.

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»Bei meiner Ehre«, gab Gawain zur Antwort, »möge
es Gott Euch lohnen! Ich bin froh und über die Maßen

erfreut, daß eine so edle Dame bereit war, herzukommen und
sich mit einem so armseligen Mann abzuquälen: Daß Ihr ihm
als Eurem Ritter im Spiel soviel Gunst erweist, erfüllt mich mit
Freude. Würde ich mich aber daranmachen, vor Euch die
wahre Liebe zu erörtern und mich über Inhalt und Handlung
der Rittergeschichten auszulassen, wäre ich wahrhaftig mehr
als ein Narr, denn ich weiß, daß Ihr in dieser Kunst doppelt so
geschickt seid wie hundert Männer meiner Art es auf Erden
sind oder je sein werden! Ich will für Euch tun, was ich kann,
denn ich weiß diese Ehre zu schätzen und werde, das walte
Gott, immer Euer Diener sein.«

So erprobte und prüfte ihn die edle Dame und führte ihn

immer wieder in Versuchung, ihn zu Zärtlichkeiten zu
verlocken, was immer sie sich dabei denken mochte. Aber er
wehrte sich so tapfer, daß man keinen Makel an ihm finden
konnte und auf beiden Seiten nichts Böses, sondern nur
Freude. Lange lachten sie und neckten sich; schließlich gab sie
ihm einen zarten Abschiedskuß und ging ihrer Wege.

Darauf erhob sich Gawain aus dem Bett, um in die
Messe zu gehen, und dann wurde ihnen köstliches

Frühstück serviert.

Den ganzen Tag amüsierte sich Gawain mit den Damen, der

Hausherr jedoch ritt kreuz und quer über Land und verfolgte
den grimmigen Keiler, der über die Hänge jagte und den
besten Hunden die Rücken zerfleischte, wo immer er gestellt
wurde, bis Bogenschützen gegen ihn vorrückten und ihn
ungeachtet seiner Hauer in die Flucht trieben, denn so dicht
hagelten die Pfeile, wenn die Jäger gemeinsam angriffen. Und
dennoch zwang er oft die mutigsten Verfolger, ihm

61.

62.

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auszuweichen, bis er schließlich so erschöpft war, daß die
Kräfte ihn verließen und er sich mit letzter Kraft auf ein
Felsenriff am Fluß rettete und zu scharren begann; Schaum trat
häßlich auf seine Lefzen, und er wetzte seine weißen
Stoßzähne.

Die kühnen Männer, die ihn umringten, hatten es satt, ihn aus

der Ferne zu verfolgen, wagten es wegen der Gefahr aber
nicht, näher zu kommen. Er hatte bereits so viele verwundet,
daß jetzt niemand den Wunsch verspürte, noch einmal mit den
Hauern eines so wilden und unberechenbaren Tieres
Bekanntschaft zu machen.

Da kam der Hausherr selbst angeritten auf schnellem
Pferd und sah, daß der Keiler gestellt und von allen

seinen Männern umstellt war.

Rasch sitzt er ab, läßt sein Pferd zurück, zückt ein breites

Schwert, rückt kühn vor, watet mit mächtigem Schritt durch
die Furt auf die Bestie zu. Das wilde Tier gewahrte ihn und die
Waffe in seiner Hand, sträubte die Borsten und grunzte
mächtig, so daß die Leute fürchteten, es könnte für ihren Herrn
böse ausgehen.

Das Wildschwein kam hervor und stürzte sich auf den

Gegner, und das Tier und der Mann gerieten mitten in der
reißenden Strömung wild aneinander.

Aber den Gegner traf es schlimmer, denn der Burgherr

fixierte ihn kaltblütig, und als sie aufeinandertrafen, stieß er
ihm geradewegs mit fester Hand die Klinge genau in die
weiche Stelle des Nackens, trieb sie bis zum Heft hinein, so
daß das Herz des Keilers durchbohrt wurde, er stöhnend
zusammenbrach und sogleich flußabwärts trieb.

63.

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Viele Hunde packten ihn und verbissen sich wütend in ihre

Beute. Die Männer schafften den Keiler ans Ufer, wo die
Hunde ihm den Garaus machten.

Da bliesen die Männer freudig das Halali und schrien
und brüllten aus Leibeskräften vor Stolz. Die Hunde

verbellten die Beute, ermuntert von den obersten Jägern dieser
kraftraubenden Jagd.

Dann begann einer von ihnen, der im Waidwerk bewandert

war, mit vollendeter Geschicklichkeit den Keiler aufzubrechen.
Zuerst schlug er ihm den Kopf ab und hob ihn in die Höhe,
dann spaltete er den Rumpf längs des Rückgrats mit kräftigen
Schlägen, zerrte die Eingeweide heraus, ließ sie auf glühenden
Kohlen rösten und gab sie, vermengt mit Brot, den Hunden als
Lohn zum Fressen.

Dann schnitt er das Fleisch in breite Streifen und entfernte

das Innere, das eßbar war, ganz der Regel entsprechend,
schnürte sodann die beiden Hälften fest zusammen und hängte
sie mit starken Armen an einer kräftigen Stange auf. Danach
machten sie sich mit ihrer Beute geschwind auf den Heimweg,
und der Kopf des Keilers wurde vor dem mutigen Burgherrn
hergetragen, der ihn in der Furt durch die Stärke seiner Hand
zur Strecke gebracht hatte. Er konnte es kaum erwarten, Herrn
Gawain zu sehen. Er rief nach ihm, und dieser kam sogleich
herbei, das Geschenk, das ihm zustand, in Empfang zu
nehmen.

Der Hausherr lachte laut und fröhlich und begrüßte
ihn herzlich, als er Gawain erblickte. Man rief die

edlen Damen und alle Burgbewohner herbei, und er zeigte
ihnen die abgeschnittenen Fleischbrocken und gab ihnen einen

64.

65.

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Bericht von der Massigkeit und erstaunlichen Größe und von
der Bösartigkeit, mit der das Wildschwein gekämpft hatte, als
es in die Wälder geflüchtet war.

Mit anerkennenden Worten zollte Gawain seiner Heldentat

Lob und rühmte die große Tapferkeit, die er durch seine Tat
bewiesen habe. Einen solchen Fleischberg oder solche
Schweineflanken, erklärte der brave Ritter, habe er noch nie
gesehen. Darauf stellte man den riesigen Kopf zur Schau, und
er lobte ihn und drückte laut sein Entsetzen über dieses
häßliche Stück aus.

»Nun, Gawain«, sagte der vortreffliche Mann, »diese Beute

gehört Euch, wie Ihr wohl wißt, durch den festen Vertrag, den
wir abgeschlossen haben.«

»Das stimmt«, sagte der Ritter, »und es ist ebenso sicher, daß

ich alles, was ich erhielt, an Euch weitergeben werde, bei
meiner Ehre.«

Er umarmte den Burgherrn und küßte ihn geziemend, und

sogleich danach noch ein zweites Mal. »Jetzt sind wir quitt«,
sprach er, »und heute abend erfüllen wir alle Verträge, die wir
miteinander geschlossen haben, seit ich in dieses Haus kam.«

Der Hausherr erwiderte: »Beim heiligen Ägidius, Ihr seid ein

meisterlicher Händler. Wenn Ihr so weitermacht, werdet Ihr in
Kürze reich sein.«

Dann wurden die Tische aufgeschlagen und Decken
darauf ausgebreitet, und die Wände erstrahlten in

hellem Licht, denn dort entzündete man Wachskerzen, und
Diener eilten durch die Halle, um die Speisen aufzutragen.
Rings um das Feuer erhob sich freudiger Lärm, und im Lauf
des Abendessens und später wurden viele frohe Lieder
gesungen, Weihnachtslieder und Tanzlieder, und es herrschte
ein Frohsinn, der kaum zu beschreiben ist; und immer saß

66.

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unser edler Ritter neben der Dame. Sie warf ihm huldvoll so
liebevolle Blicke zu und machte ihm heimlich, um ihm zu
gefallen, schöne Augen, daß er verwundert und im Inneren
verstimmt war. Aber aus ritterlicher Höflichkeit mochte er sie
nicht kühl in die Schranken weisen, sondern behandelte sie
zuvorkommend, mochte sie das auch verstimmen. Als sie sich
ausgiebig vergnügt hatten, riet der Hausherr Gawain zu sich in
die Kaminecke.

Dort tranken sie Wein und unterhielten sich vergnügt
und kamen überein, den Vertrag für den Tag vor dem

Neujahrstag noch einmal abzuschließen.

Doch Gawain sagte: »Ich bitte um die Erlaubnis, morgen

aufbrechen zu dürfen, denn der Zeitpunkt der Verabredung, zu
der ich mich verpflichtet habe, ist nahe.«

Der Hausherr hatte keine Lust, seine Einwilligung zu geben,

wollte ihn länger bei sich behalten und sagte: »So wahr ich ein
ehrlicher Mann bin, gebe ich Euch mein Wort, daß Ihr zur
Grünen Kapelle gelangen und Eure Angelegenheit am
Neujahrsmorgen noch vor Tau und Tag erledigt haben werdet.
Geht also schlafen und gönnt Euch in Eurer Kammer die Ruhe.
Ich werde hier im Wald jagen und den Vertrag getreulich
einhalten und den Gewinn bei meiner Rückkehr mit Euch
austauschen. Denn ich habe Euch zweimal auf die Probe
gestellt und Euch vertrauenswürdig gefunden. Aber aller guten
Dinge sind drei, denkt morgen daran! Wir wollen die Zeit
fröhlich verbringen und der Freude Raum geben, solange wir
können, denn der Mensch kann zu jeder Zeit in Trauer
verfallen.«

Da einigten sie sich, und Gawain sträubte sich nicht länger.

Dann brachte man ihnen einen letzten Trunk, und dann wurden
sie bei Kerzenschein zu Bett geleitet.

67.

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Herr Gawain erfreute sich die ganze Nacht eines tiefen,

gesunden Schlafes; sein Gastgeber hatte nur die Jagd im Sinn
und war zeitig wieder auf den Beinen.

Nach der Messe nahmen er und seine Männer einen
kleinen Imbiß zu sich. Der Morgen war herrlich. Er

rief nach seinem Pferd. Alle Jäger zu Pferde, die ihn begleiten
sollten, waren bereits zum Aufbruch bereit am Tor
versammelt.

Wundersam und wie verzaubert lagen die Felder da, denn der

Rauhreif überzog sie; in rosa Schleiern stieg die Sonne auf und
schwamm klar durch die Wolkeninseln des Himmels. Am
Waldrand machten die Jäger die Hunde los, und der Klang
ihrer Hörner widerhallte im Wald von den Felsen.

Einige Hunde nahmen die Fährte des Fuchses auf,

schnüffelten hier und da mit ihren scharfen Sinnen. Da gibt ein
Hund Laut, der Jäger ruft ihn beim Namen, die anderen Hunde
schließen sich an und rennen ihm nach, ein schnüffelnder
Haufen, endlich auf der richtigen Spur.

Der Fuchs flitzt vor ihnen davon, aber sie wittern ihn sofort,

und als sie ihn erblicken, hetzen sie ihn unter wütendem
Geheul. Er duckt sich, schlägt sich mehrmals seitlich ins wilde
Dickicht, schlägt Haken und verhält lauernd unter Hecken.
Schließlich setzt er bei einem kleinen Graben über einen
Dornbusch und schleicht am Rande eines Sumpfes verstohlen
fort, wähnt durch seine Schliche im Wald den Hunden
entronnen zu sein.

Da stößt er unverhofft auf einen Stand, wo sofort drei graue

Wildhunde, von Jägern dort postiert, über ihn herfallen. Rasch
bricht er wieder aus und rast unerschrocken davon; bekümmert
und unter großen Schmerzen kehrt er zum Wald zurück.

68.

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Die Jäger hatten Spaß daran, den Hunden zuzuhören,
als die ganze Meute auf den Fuchs losging. Ihr Gebell

war so durchdringend, daß die zerklüfteten Klippen
einzustürzen schienen.

Als die Jäger zu ihm kamen, begrüßten sie ihn mit

Schmähungen und wütenden Flüchen, sie bedrohten ihn und
nannten ihn mehrmals einen Dieb.

Immer wieder gingen die Hunde auf ihn los, so daß er nicht

ausharren konnte. Unentwegt rannten sie hinter ihm her, wenn
er sein Heil in der Flucht suchte. Mehr als einmal schlug der
gewitzte Reineke Haken. In der Tat hielt er den Burgherrn und
seine Leute zwischen Berg und Hügel bis zum Nachmittag
zum Narren.

Währenddessen schlief der brave Ritter zu Hause sanft hinter

schönen Vorhängen, welche die Kälte abhielten, in seinem
weichen Bett. Doch die liebestolle Dame gönnte sich keinen
Schlaf und dachte nicht daran, ihre Absicht aufzugeben, die sie
so fest in ihrem Herzen hegte; vielmehr suchte sie nach dem
Aufstehen sogleich seine Kammer auf, in ein farbenfrohes
Gewand gehüllt, bis auf den Boden reichend und mit fein
verarbeitetem Pelz gefüttert. Auf dem Kopf hatte sie nicht die
übliche Haube, sondern ein Haarnetz, das Grüppchen von
jeweils zwanzig fein geschliffenen Edelsteinen zierten. Ihr
schönes Gesicht und ihr Hals waren unbedeckt, und Busen und
Rücken hatte sie entblößt.

Sie kam durch die Kammertür und schloß sie hinter sich,

öffnete ein Fenster und redete, um ihn heiter zu wecken, mit
anmutigen, feinen Worten auf ihn ein: »Ach, lieber Mann, wie
könnt Ihr schlafen, wo doch der Morgen so schon ist!«

Er lag in tiefem Schlummer, doch dann hörte er sie.


69.

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In tiefem Schlaf versunken murmelte er träumend
Worte, wie ein Mann, dessen Seele viele düstere

Gedanken heimsuchen: welches Schicksal war ihm heute
bestimmt, wenn er an der Grünen Kapelle auf den großen
Mann treffen würde und er verpflichtet war, dessen Hieb ohne
Widerrede zu erdulden?

Doch als die entzückende Frau zu ihm kam, wurde er wieder

Herr seiner Sinne, rieb sich den Schlaf aus den Augen und
erwiderte rasch ihren Gruß.

Die liebliche, schön gekleidete Dame kam reizend lächelnd

näher, beugte sich über ihn und küßte ihn gewandt. Höflich
erwiderte er ihren Gruß mit freundlicher Miene.

Als er ihre prächtige und verführerische Kleidung, ihre

makellose Gestalt und edlen Farben gewahrte, wurde ihm
warm ums Herz.

Sie verfielen in ein freundliches Geplauder, und zwischen

ihnen war nur Freude und Glückseligkeit. Sie wechselten viele
liebevolle Worte und hatten viel Vergnügen an diesem Spiel,
doch über ihnen lag eine große Gefahr, wenn nicht Maria
ihrem Ritter beistand.

Denn sie, königlich und unvergleichbar, bedrängte ihn
so sehr und reizte seine Männlichkeit so stark, daß er

gezwungen war, ihre Gunst entweder abzulehnen oder sich
ihrer zu erfreuen. Er sorgte sich um seine Ritterehre, die es
verbot, ein Schurke zu werden, doch mehr noch um das
Unheil, er könne eine Sünde begehen und am Hausherrn zum
Verräter werden.

»Gott helfe mir!« sagte er. »Das soll nicht geschehen.« Mit

einem gequälten Lächeln wehrte er alle liebevollen Worte ab,
die sie fallenließ.

70.

71.

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Da sagte sie zum Ritter: »Schämt Euch, die Frau nicht zu

lieben, die hier allein neben Euch liegt und die tiefer als alle
anderen am Herzen verwundet ist, es sei denn, Ihr hättet eine
Geliebte, die Ihr mehr liebt und verehrt und wärt der Schönen
so fest und treu verbunden, daß Ihr dieses Band nicht auflösen
wollt – das glaube ich jetzt. Ich bitte Euch, sagt mir aufrichtig,
ob das stimmt. Beim Himmel beschwöre ich Euch, mir nicht
mit List die Wahrheit zu verbergen.«

Da erwiderte der Ritter mit einem weichen Lächeln: »Beim

heiligen Johannes, nein! Ich habe keine Geliebte und will zur
Zeit auch keine haben.«

»Diese Worte«, antwortete die Dame, »sind die
schlimmsten, die es geben kann. Aber ich habe eine

Antwort bekommen und die ist schwer zu ertragen. Gebt mir
nun rasch einen Kuß, und ich werde ebenso rasch das Weite
suchen. Jetzt bleibt mir noch die Klage, wie jeder Frau, die so
von Herzen liebt.«

Seufzend neigte sie sich vor und küßte ihn zärtlich; dann

löste sie sich von ihm und sagte im Stehen: »Wohlan, mein
Lieber, erweist mir zum Abschied noch eine Gunst und gebt
mir etwas als ein Geschenk von Euch, Euren Handschuh
vielleicht, damit ich mich an Euch erinnern und dadurch
meinen Kummer lindern kann.«

»Wirklich«, erwiderte Gawain, »ich wünschte, ich hätte als

Geschenk für Eure Liebe das Schönste bei mir, das ich in
meinem Lande besitze, denn Ihr habt von Rechts wegen mehr
als einmal eine größere Belohung verdient, als ich sie geben
könnte. Aber als Liebeszeichen bedeuten Dinge von geringem
Wert wenig. Es gereicht Euch nicht zur Ehre, von Gawain als
Zeichen der Liebe einen Handschuh erhalten zu haben, und ich
bin hier mit einem Auftrag in fremden Ländern und habe (zu

72.

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meinem Unglück) keine Träger für Taschen, die mit kostbaren
Dingen gefüllt sind, um Euch, teure Dame, zu ergötzen. Ein
Mann muß seine Pflicht tun, darum seid nicht verärgert oder
gekränkt.«

»Nein«, erwiderte die schöne Dame, »nein, edler und freier

Ritter, obwohl ich nichts von Euch bekam, sollt doch
wenigstens Ihr ein Geschenk von mir erhalten.«

Sie bot ihm einen aus rotem Gold geschmiedeten
Ring an, der wie einen Stern einen Stein trug, der so

hell strahlte wie die Sonne. Ich garantiere euch, daß er mehr
als ein Vermögen wert war.

Doch der Ritter lehnte ihn ab und sagte eilig: »Ich will jetzt

um Gottes willen keine Geschenke von Euch haben, schöne
Frau. Da ich kein Geschenk für Euch habe, werde ich auch
keines annehmen.«

Sie wiederholte ihr Angebot und drängte ihn, den Ring zu

nehmen, und er wies ihre Bitte zurück und schwor bei seiner
Ehre, er werde ihn nicht annehmen.

Und sie, wegen seiner Ablehnung bekümmert, fuhr fort:

»Wenn Ihr meinen Ring ablehnt, weil er Euch zu kostbar
vorkommt und Ihr nicht zu tief in meiner Schuld stehen wollt,
werde ich Euch meinen Gürtel geben, der weniger wertvoll
ist.«

Sie machte einen Gürtel los, den sie unter dem edlen Gewand

um die Hüften geschnallt trug. Er war aus grüner Seide
gefertigt, mit Gold besetzt, und wenn auch ringsum nur
geflochten, war er dennoch in Handarbeit bestickt: Diesen
Gürtel bot sie Gawain an und bestürmte ihn herzlich, ihn zu
nehmen, wenn er auch von keinem Wert sei.

Und abermals lehnte er ab und betonte, er werde auf keinen

Fall weder Gold noch Edelsteine annehmen, ehe Gott ihm

73.

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nicht die Gnade erweise, die Aufgabe zu erfüllen, die ihn
hergeführt habe. »Und deshalb bitte ich Euch von Herzen,
nicht böse zu sein; hört auf, mich zu bedrängen, denn niemals
werde ich einwilligen. Ich stehe wegen der Gunst, die Ihr mir
erweist, so tief in Eurer Schuld, daß ich, sommers oder winters,
immer Euer Diener sein werde.«

»Weist Ihr etwa dieses Stück Seide zurück«, sagte die
Schöne, »weil es ein armseliges Stück Stoff ist? Das

scheint es in der Tat auch zu sein. Ihr seht, wie klein es ist und
sein Wert noch kleiner. Aber wer den Zauber kennt, der
eingewoben ist, würde es vermutlich für erheblich wertvoller
halten. Wer immer nämlich diesen grünen Gürtel trägt und ihn
allzeit fest umgebunden hat, kann von keinem Manne unterm
Himmel erschlagen werden, denn auch die geschickteste Hand
kann ihn nicht töten.«

Da merkte der Ritter auf, und ihm dämmerte, daß der Gürtel

angesichts jener Gefahr, der er ausgesetzt sein würde, eine
kostbare Waffe sein könnte. Wenn er zur Kapelle käme, um
sein Schicksal zu empfangen, und überlebte dank eines
Kunstgriffs, wäre das ein Glückstreffer. Darum ließ er
Nachsicht walten und widersprach ihr nicht; und sie drängte
ihn, den Gürtel zu nehmen und bot ihn eindringlich an. Und er
war einverstanden, und sie gab ihn überaus freudig her und
beschwor Gawain, ihretwegen niemandem davon zu erzählen
und bei seiner Ehre das Geheimnis vor allen, besonders vor
ihrem Gatten, zu bewahren.

Er versprach, niemand werde je davon erfahren, niemand auf

der Welt, sie beide ausgenommen, werde davon wissen.

Er sagte ihr wiederholt aus vollem Herzen seinen Dank,

während sie unterdessen den standhaften Ritter dreimal küßte.

74.

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Dann ließ sie ihn allein und verabschiedete sich, denn
mehr Entgegenkommen konnte sie von diesem

Manne nicht erwarten.

Als sie fort war, stand Herr Gawain rasch auf und kleidete

sich in prächtige Gewänder. Er legte das Liebeszeichen fort,
das die Dame ihm gegeben hatte, und versteckte es sorgfältig
an einem Platz, wo er es später wiederfinden würde.

Dann beschloß er, als erstes zur Kapelle zu gehen, suchte

heimlich einen Priester auf, bat ihn, ihm die Beichte
abzunehmen und darüber zu belehren, wie seine Seele gerettet
werden könne, wenn er die Welt würde verlassen müssen.
Darauf legte er eine vollständige Beichte ab, bekannte seine
schwereren und läßlicheren Sünden und bat um Gnade und die
Lossprechung des Priesters. Dieser erteilte ihm Absolution und
sprach ihn von seinen Sünden los, so als stünde morgen das
Jüngste Gericht bevor.

Danach schloß er sich desto fröhlicher den schönen Damen

an und verbrachte bei Tanzliedern und allen Arten von
Belustigungen selig den Tag bis zum Abend, so vergnügt wie
niemals zuvor. Jedermann sagte: »Bei Gott, er ist eine Freude
für alle! Seit er hergekommen ist, war er noch nie so heiter.«

Lassen wir ihn dort verweilen und sein Vergnügen
haben, während der ungestüme Hausherr draußen

seinem liebsten Zeitvertreib nachgeht!

Schließlich hat er den Fuchs, den er so lange verfolgte, erlegt.

Als er nämlich mit seinem Pferd durch ein Dickicht brach, um
den Bösewicht zu erspähen, hörte er die Hunde bellen und
Reineke kam hervorgerannt, dem die ganze Meute dicht auf
den Pelz gerückt war.

75.

76.

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Der Mann bemerkt den wilden Räuber und erwartet ihn

aufmerksam, zieht seine glänzende Klinge und schlägt zu. Der
Fuchs weicht dem Schwertstreich aus und hätte, wäre es ihm
möglich gewesen, das Weite gesucht. Aber ein Hund drängte
sich vor und packte ihn, bevor er fliehen konnte; und genau vor
des Pferdes Hufen fielen sie alle über ihn her und bedrängten
den Arglistigen mit lautem Geheul. Der Herr steigt rasch ab
und packt ihn, entreißt ihn den Fängen der Hunde, hält ihn in
die Höhe und stößt einen Triumphschrei aus, während die
Hunde wie besessen bellen.

Jäger eilten herbei, die Hörner erklangen, und immer wieder

ertönten die Signale, bis sie ihren Herrn erblickten. Als die
vornehme Gesellschaft sich versammelt hatte, bliesen alle, die
ein Horn hatten, das Halali, und die anderen jubelten laut. Eine
fröhlichere Musik hat man nie vernommen, und es erhob sich
gewaltiges Lärmen, weil Reineke sein Leben ausgehaucht hat.

Sie belohnen dann die Hunde, tätscheln ihre Köpfe und

streicheln sie. Und dann packen sie Reineke und ziehen ihm
das Fell ab.

Und dann eilten sie heim, denn inzwischen war es fast
Abend, und sie ließen die mächtigen Hörner

erschallen. Schließlich erreichte der Herr seine geliebte Burg
und fand in der Halle ein Feuer vor und daran den guten Herrn
Gawain, der überaus fröhlich war und sich in der Gesellschaft
der Damen wohlfühlte. Er trug einen blauen Umhang, der bis
zum Boden reichte; der Wappenrock, besetzt mit weichem
Pelz, kleidete ihn prächtig; auf seinen Schultern lag eine
Kapuze in derselben Farbe, und Rock und Kapuze waren mit
Hermelin gesäumt.

Er ging dem Hausherrn bis zur Mitte der Halle entgegen und

sagte freundlich: »Dieses Mal will ich als erster unseren

77.

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Vertrag erfüllen, den wir, ohne am Wein zu sparen, zu
unserem Vergnügen geschlossen haben.«

Dann umarmte er den Hausherrn und küßte ihn dreimal so

lange und innig, wie er konnte.

»Bei Gott«, sagte der Burgherr, »das Glück muß Euch

günstig gewesen sein, solche Waren zu erhandeln, wenn sie
das wert sind, was Ihr bezahlt habt.«

»Der Preis war nicht wichtig«, entgegnete Gawain

umgehend, »ich habe Euch einfach das gegeben, was ich
erwarb.«

»Fürwahr!« rief der Burgherr aus. »Was ich mitbringe, kann

sich damit nicht messen, denn ich habe den ganzen Tag gejagt
und nichts anderes erbeutet als diesen stinkenden Fuchsbalg –
hole ihn der Teufel! –, und das ist eine dürftige Bezahlung für
solche Kostbarkeiten wie diese drei Küsse, die Ihr mir habt
zukommen lassen.«

»Genug«, antwortete Herr Gawain. »Ich danke Euch beim

Kreuz Christi.«

Und während sie noch standen, erzählte ihm der Burgherr,

wie der Fuchs erlegt wurde.

Bei Belustigungen, der Musik der Spielleute und
köstlichen Speisen wurde jeder so vergnügt, wie er

nur sein konnte. Das Lächeln der Damen und die lockeren
Scherze brachten Gawain und den Burgherrn in eine
ausgelassene Stimmung, wenn auch einige Männer übers Ziel
hinausschossen oder sich betranken. Gleichwohl vergnügten
sich Herr und Gefolgsleute nach Herzenslust, bis die Zeit
gekommen war, sich zu trennen, und alle braven Leute endlich
zu Bett gehen mußten.

Da nahm der gute Ritter als erster vom Hausherrn Abschied,

neigte das Haupt und dankte ihm herzlich.

78.

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»Für eine so wundervolle Aufnahme in diesen Mauern, die

Ihr mir beschert, für die Ehre, die Ihr mir beim Weihnachtsfest
habt zuteil werden lassen, möge der Himmelskönig Euch
belohnen! Ich stelle mich in Euren Dienst, will Euer Diener
sein, wenn Ihr wollt, denn ich muß morgen aufbrechen, wie Ihr
wißt, und bitte Euch, mir wie versprochen einen guten Mann
mitzugeben, der mich zur Grünen Kapelle führt, wo ich mich
am Neujahrstag dem mir vom Schicksal bestimmten Gericht
stellen muß, wie es Gott gefällt.«

»Mein Ehrenwort«, antwortete sein Gastgeber, »ich werde

getreulich alles einhalten, was ich versprochen habe.«

Da bestimmte er einen der Diener, der Gawain den rechten

Pfad weisen und über die Hügel begleiten solle, damit er ohne
Umwege und Verzögerung durch Wildnis und Wald auf
kürzestem Weg zur Kapelle gelangen könne.

Da sagte Gawain: »Empfangt meinen Dank für diese Gunst,

die Ihr mir erweist!«

Dann nahm der Ritter Abschied von den edlen Damen.


Er küßte sie betrübt, sagte ihnen Lebewohl und
überschwemmte sie mit Worten des Dankes, und sie

erwiderten seine Herzlichkeit und empfahlen ihn unter tiefem
Seufzen Gottes Obhut.

Dann verabschiedete er sich gesittet von den Leuten der

Burg, dankte allen, denen er begegnet war, für die Fürsorge,
ihre Dienstfertigkeit und die Mühen, die sie seinetwegen auf
sich genommen hatten, und jedem fiel es so schwer, ihm jetzt
Lebewohl zu sagen, als hätte er ein Leben lang mit diesem
Ritter unter einem Dach gewohnt.

Darauf wurde er von Dienern mit Fackeln behutsam zu Bett

geleitet, um zu ruhen.

79.

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Ich wage nicht zu sagen, ob er ruhig schlief, denn es

erwarteten ihn am kommenden Morgen viele Dinge, über die
er hätte nachdenken können.

Lassen wir ihn ungestört ruhen, so kurz vor der Verabredung,

zu welcher er bestellt war. Und wenn ihr noch ein wenig
Geduld habt, werde ich erzählen, wie es dabei zuging.

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IV.



Jetzt rückt das neue Jahr heran, die Nacht vergeht,
und der Tag bricht an und vertreibt das Dunkel, wie

Gott es befiehlt.

Doch ein wildes Unwetter zieht über dem Land herauf. Aus

den Wolken fällt bittere Kälte auf die Erde, und ein beißender
Wind aus dem Norden schneidet in die Haut. Ein eiskalter
Schnee fällt und läßt das Wild erschauern, ein Wirbelwind
pfeift von den Höhen und häuft Schneewehen in den Tälern an.

Der Ritter horcht lange in seinem Bett, und obwohl er die

Lider geschlossen hat, schläft er nur wenig. Jeder
Hahnenschrei gemahnt ihn an seine Verabredung.

Ehe es Tag wurde, sprang er rasch auf, denn er hatte ein Licht

in seiner Kammer.

Er rief seinen Kammerdiener, der auf der Stelle antwortete,

und befahl, seinen Kettenpanzer zu bringen und sein Pferd zu
satteln.

Der Diener stand auf, brachte ihm seine Ausrüstung und

staffierte ihn prächtig aus: Zuerst zog er ihm als Schutz vor der
Kälte Stoffkleider an, dann legte er ihm den Harnisch an, den
er sorgsam gepflegt hatte, den Bauchreifen und den
Plattenpanzer, alles glänzend poliert und die Ringe der
schönen Brünne ganz ohne Rost: Alles war wie neu, und der
Ritter dankte ihm von Herzen.

Gawain legte alle blankpolierten Stücke an – der feinste

Ritter von hier bis Griechenland – und rief dann nach seinem
Pferd.

80.

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Aber das kostbarste seiner Stücke legte er selber an:
seinen Wappenrock mit dem eingewirkten Zeichen

des Pentagramms auf samtenem Stoff, der ringsum mit
kostbaren Edelsteinen besetzt, mit einem bestickten Saum
verziert und innen mit feinem Pelz gefüttert war; aber den
Gürtel, den ihm die Dame geschenkt hatte, vergaß er nicht,
sich selber zum Vorteil. Nachdem er sein Schwert an seinen
schlanken Hüften festgemacht hatte, wickelte er das
Liebeszeichen zweimal um den Leib und gürtete es
hoffnungsvoll um die Taille. Der Gürtel aus grüner Seide stand
dem tapferen Ritter gut und hob sich unübersehbar von der
tiefroten Kleidung ab. Aber diesen Gürtel trug er weder um
seiner Schönheit willen noch aus Stolz auf die Anhängsel,
wenngleich sie prächtig blitzten und an den Enden golden
schimmerten, sondern um sich selbst zu retten, wenn er den
Tod finden würde, ohne sich mit Klinge oder Kampfschwert
verteidigen zu können.

Als der kühne Ritter so gerüstet vor die Tür trat, dankte er ein

weiteres Mal allen Bewohnern der Burg.

Gringolet war inzwischen bereit, das große, kräftige
Pferd, das nach seinem Gefallen prächtig

untergebracht und gepflegt worden war. Der prachtvolle
Hengst war in guter Form und begierig nach einem Ausritt.

Sein Herr trat zu ihm, betrachtete sinnend sein glattes Fell

und sprach bei sich: »Wahrlich, hier ist eine Gesellschaft
beisammen, welche die Regeln der Ehre befolgt. Und der Herr
dieser Burg kann sich ihrer erfreuen! Und die liebe Herrin, ihr
möge lebenslang Liebe vergönnt sein! Wenn diese Menschen
aus Mitgefühl sich um einen Gast bemühen, ihr Haus in Ehren
halten, möge Gott im Himmel sie dafür belohnen. Wenn ich

81.

82.

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auf dieser Erde noch eine Weile zu leben hätte, würde ich euch
gern eine Belohnung verschaffen, wenn ich könnte.«

Dann trat er in den Steigbügel, stieg aufs Pferd, sein Diener

reichte ihm seinen Schild, den er sich über die Schulter hängte,
gab Gringolet die Sporen, das Pferd hörte auf zu tänzeln und
wollte nicht länger auf dem gepflasterten Pfad bleiben.

Sein Herr war nun bereit zum Ritt, gerüstet mit Helm und

Lanze.

»Christus schütze dieses Haus!« rief er und wünschte ihm

Glück.

Die Zugbrücke wurde heruntergelassen, das mächtige
Tor wurde entriegelt und drehte sich auf den beiden

Angeln. Der brave Mann bekreuzigte sich, und der Torhüter,
der vor Gawain niederkniete, sagte zu ihm: »Gott befohlen,
Herr Gawain!« und »Gott schütze Euch«, ehe er die hölzernen
Planken passierte.

Dann macht er sich auf den Weg, allein von dem Mann

begleitet, der ihn zu dem kummervollen Ort geleitet, wo er den
qualvollen Schlag empfangen soll.

Sie ziehen über Abhänge, vorbei an entlaubten Bäumen,

klettern über Klippen, die vor Kälte starren. Die Wolken
stehen hoch, aber darunter lastet schlimmer Nebel feucht auf
dem Hochland und löst sich auf den Bergen auf. Jeder Hügel
trägt eine Haube, eine gewaltige Nebelkappe.

Überall stürzen von den Höhen brodelnde Bäche. Der Pfad

durch den Wald, den sie einschlagen müssen, ist sehr
unwegsam, bis endlich die Zeit des Sonnenaufgangs kommt.

Als sie auf einen hohen Hügel gelangten, wo weißer Schnee

sie umgab, bat sein Begleiter den Ritter, haltzumachen.


83.

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»Ich habe Euch, Herr, jetzt bis hierher gebracht, und
nun seid Ihr dem berüchtigten Ort nahe, nach dem Ihr

so hartnäckig gefragt und gesucht habt. Aber weil ich Euch
kenne und Ihr ein edler Herr seid, den ich sehr liebe, werde ich
Euch die Wahrheit sagen und Euch einen Rat geben, den Ihr zu
Eurem Vorteil befolgen solltet. Dieser Ort, nach dem es Euch
so zieht, wird für überaus gefährlich gehalten: Der schlimmste
Unhold des Landes haust in dieser Einöde, denn er ist groß und
kraftvoll und liebt es zu schlagen. Und er verfügt über mehr
Kraft als jeder andere Mann auf Erden, und er ist größer als die
besten Männer, die sich an Artus’ Hof finden, selbst Hektor
oder jemand anderer reicht nicht an ihn heran. Alles geschieht
nach seinem Willen an der Grünen Kapelle. Mag jemand auch
noch so gut bewaffnet an diesen Ort kommen, bringt er ihn
doch mit der Stärke seiner Hand ums Leben. Denn er ist ein
ungeheuerlicher Mann, dem Mitleid fremd ist. Ob ein
Vagabund oder ein Kaplan an der Kapelle vorbeireitet, ein
Mönch oder ein hochgestellter Priester oder sonst jemand, er
wird ihn umgehend erschlagen, denn das ist seine größte
Freude. Und darum sage ich Euch, wenn Ihr dorthin kommt
und der Kerl seiner Vorliebe folgt, werdet Ihr getötet werden.
Glaubt mir, das ist die Wahrheit, und hättet Ihr auch noch
zwanzig Leben vor Euch. Er hat nun lange hier gehaust und
fortwährend Streit gesucht; gegen seine entsetzlichen Schläge
könnt Ihr Euch nicht schützen.

Und darum, guter Ritter Gawain, wendet Euch
anderswohin und gebt Euch, Gott bewahre, nicht mit

diesem Mann ab. Zieht in ein anderes Land, mag Christus
Euch dort schützen! Und ich werde wieder nach Hause reiten
und verspreche bei meiner Ehre und schwöre bei Gott und
allen seinen Heiligen, bei allem, was mir heilig ist, daß ich

84.

85.

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Euer Geheimnis bewahren und nicht ein Wort darüber sagen
werde, daß Ihr vor einem Feind, den ich kenne, geflohen seid.«

»Ich danke dir«, widersprach Gawain und erwiderte

wehmütig: »Ich wünsche dir Glück, mein guter Mann, denn du
meinst es gut mit mir und würdest mein Geheimnis sicherlich
bewahren. Aber wie verschwiegen du auch wärst, wenn ich aus
Furcht hier fortritte, wie du es mir vorschlägst, so wäre ich
doch ein ritterlicher Feigling, für den es keine Entschuldigung
gäbe. Nein, ich werde mich zu dieser Kapelle begeben, was
immer auch geschieht, und jenem wilden Manne sagen, was
ich zu sagen habe, gehe es nun gut oder schlecht aus, wie das
Schicksal es will. Er mag ein furchteinflößender Geselle sein,
der nicht zu zähmen ist und dessen Keule mich erwartet. Doch
der Herr im Himmel vermag seine Knechte zu schützen.«

»Bei Gott«, sagte der Mann, »da Ihr nun so
unmißverständlich sagt, daß Ihr seihst Euer

Verhängnis über Euch bringen und aus treten Stücken Euer
Leben verlieren wollt, will ich Euch nicht länger davon
abhalten! Setzt Euren Helm auf, nehmt den Speer in die Hand
und reitet auf dem nämlichen Pfad an der Felswand entlang,
bis Ihr am Grund des schauerlichen Tals angekommen seid.
Schaut ein wenig zu Eurer Linken über die Lichtung, und Ihr
werdet auf dem Hang eben jene Kapelle erblicken und den
großen, grimmigen Mann, der sie bewacht. Nun lebt wohl in
Gottes Namen, Gawain, Ihr edler Ritter! Für alles Gold der
Welt würde ich nicht mit Euch gehen noch Euch einen Fuß
weiter durch diesen Wald als Gefährte dienen!«

Mit diesen Worten lenkt der Mann sein Pferd wieder in den

Wald, treibt sein Pferd mit aller Kraft an, galoppiert über die
Wiese und läßt den guten Ritter allein.

86.

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Da sprach Gawain bei sich: »Bei Gott im Himmel, ich will

weder jammern noch stöhnen. Ich will mich Gottes Willen
fügen und mich seinem Schutz anvertrauen.«

Dann spornte er Gringolet an, erspähte den Pfad, ritt
am Rand eines Dickichts am Flußufer entlang, den

schroffen Abhang hinunter geradewegs in das Tal. Und dort
blickte er sich nach allen Seiten um: ein fürchterlicher Ort,
dachte er und sah nirgendwo eine Behausung, nur auf allen
Seiten hohe, steile Felswände und gezackte, verwitterte
Klippen, beladen mit Felsbrocken. Der Himmel schien durch
die Felsspitzen aufgekratzt zu sein. Da hielt er an und verharrte
eine Weile und drehte sich mehrmals, um die Kapelle zu
finden, doch er erblickte sie nirgendwo, und das kam ihm
merkwürdig vor.

Nur am Rand der Lichtung erkannte er einen Erdwall, einen

verfallenen Hügel auf einem Hang in der Nähe eines Baches,
in den ein Wasserfall stürzte; der Bach brodelte, als wenn er
kochen würde.

Da trieb er sein Pferd an und gelangte an den Erdhügel, saß

ab und band das Tier sicher an die kahlen Äste eines Baumes.
Dann ging er zum Hügel und umkreiste ihn und fragte sich,
was das wohl sein mochte. Auf beiden Seiten hatte der Hügel
ein Loch, war ganz mit Büscheln von Gras bewachsen und
hatte innen einen Hohlraum. Ob es nun eine alte Höhle oder
bloß eine Kluft im Fels war, hätte er nicht genau sagen können.

»Kann das die Grüne Kapelle sein, o Herr?« fragte sich der

edle Ritter. »Hier könnte vielleicht der Teufel, will mir
scheinen, um Mitternacht seine Frühmette abhalten.«

87.

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»Wahrhaftig!« sagte Gawain. »Das ist hier eine
Wildnis! Diese Kapelle sieht böse aus. So wie sie von

Unkraut überwuchert ist, paßt sie gut zu dem grünen Gesellen,
hier seine teuflische Andacht zu halten. Jetzt spüre ich mit
meinen fünf Sinnen, daß es der Teufel selbst ist, der mich zu
diesem Treffen verlockt hat, um mich hier zu vernichten. Dies
ist eine Kapelle des Unglücks, eine der verfluchtesten Kirchen,
die ich je betreten habe. Möge das Unheil sie heimsuchen.«

Den Helm auf dem Haupt, den Speer in der Hand klimmt er

auf das Dach der ungefügen Behausung. Da hört er von dem
hohen Hügel auf einer harren Felswand jenseits des Baches
plötzlich einen erschreckenden Lärm. Es rasselte im Fels, als
wollte er zerspringen oder als schleifte jemand eine Sense auf
einem Schleifstein! Es sirrte und zischte wie Wasser in einem
Mühlrad! Es rauschte und dröhnte und war schrecklich
anzuhören!

»Bei Gott«, dachte Gawain, »ich fürchte, dieser Lärm wird

meinetwegen vollführt, als angemessene Begrüßung für einen
Ritter! Wenn es denn Gottes Wille ist! Sei’s drum! Das hilft
mir kein bißchen. Da ich nun einmal mein Leben verliere, kann
kein Lärm mich schrecken.«

Dann rief der Ritter mit lauter Stimme: »Wer ist Herr
über diesen Ort, um die Verabredung mit mir

einzuhalten? Denn hier steht Gawain, der stets zuverlässige
Ritter. Wenn jemand etwas von mir will, soll er sich
unverzüglich zeigen, jetzt oder nie, um sein Anliegen
vorzutragen.«

»Gemach!« sagte jemand auf dem Hang über seinem Kopf.

»Du sollst rechtzeitig das bekommen, was ich dir zu geben
geschworen habe.« Doch fuhr er noch eine Weile mit dem
Geratter und Krachmachen fort und wandte sich wieder dem

88.

89.

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Wetzen zu, ehe er sich bequemte, herabzusteigen. Er kletterte
über eine Klippe und kam aus einem Loch, bog geschwind um
eine Ecke, in der Hand eine entsetzliche Waffe: einer Streitaxt,
die für den Schlag gerade frisch geschliffen war, mit massiger
Klinge und geschwungenem Griff, auf einem Wetzstein
geschärft und vier Fuß lang, und der prächtig leuchtende
Riemen konnte ihre Größe nicht mindern.

Und wie beim ersten Mal war der große Mann in Grün

gekleidet. Seine Haarlocken, sein Bart, die Beine und sein
Antlitz, nur daß er die Füße fest auf den Boden setzte, den
Axtstiel wie einen Spazierstock benutzte und nebenher schritt.

Als er an den Bach gelangte, wollte er nicht hindurchwaten,

sondern sprang, gestützt auf die Axt, hinüber und kam mit
zorniger, grimmiger Miene über das weithin mit Schnee
bedeckte Feld.

Dort trat Herr Gawain dem Mann gegenüber, ohne sich zu

verbeugen.

Der andere sagte: »Nun lieber Herr, Verabredungen haltet Ihr

getreulich ein.«

»Gawain«, fuhr der Grüne Mann fort, »möge Gott
Euch behüten! Fürwahr, Herr, bei meiner Ehre, ich

heiße Euch an meiner Stätte willkommen, und Ihr habt Euren
Reiseplan genauso eingehalten, wie ein Mann von Ehre es tun
muß, und Ihr habt die Vereinbarung nicht vergessen, die wir
getroffen haben: Heute vor zwölf Monaten habt Ihr Eure
Einwilligung gegeben, und ich sollte an diesem Neujahrstag
Euch heimzahlen, was Ihr mir gabt. Und in diesem Tal sind
wir jetzt ganz unter uns; niemand ist da, der uns trennen könnte
– wir können unser Spiel ausführen, wie es uns gefällt. Setzt
Euren Helm ab und empfangt hier Eure Bezahlung! Macht

90.

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nicht mehr Worte als ich, da Ihr mit nur einem Streich den
Kopf abgeschlagen habt!«

»Nein!« erwiderte Gawain. »Bei Gott, der mir meine Seele

schenkte, ich werde nicht den geringsten Groll gegen Euch
hegen, was immer mir zustößt. Nur beschränkt Euch auf einen
einzigen Schlag, und ich werde mich bei allem was Ihr tut,
nicht zur Wehr setzen.«

Er beugte den Hals und entblößte das weiße Fleisch; er wollte

sich nicht als furchtsamer Feigling zeigen und keine Spur von
Angst offenbaren.

Da machte sich der große Mann freudig bereit und
hob seine grimmige Waffe, um Gawain zu schlagen;

mit der ganzen Kraft seiner Glieder holte er zu einem Hieb aus,
der so gewaltig war, als wollte er ihn töten.

Wäre die Waffe mit solcher Wucht heruntergekommen, hätte

der kühnste Mann diesen Schlag nicht überlebt. Doch Gawain
warf einen Seitenblick auf die Schneide, als sie heruntersauste,
um ihn zu vernichten, und zuckte mit den Schultern vor der
schimmernden Klinge ein wenig zusammen.

Mit einem Ruck riß der andere Mann die Axt zurück und

überhäufte den Ritter wortreich mit Spott.

»Ihr seid nicht Gawain«, rief er, »der Mann, der als so mutig

bekannt ist, daß er vor keinem Gegner in Wald und Feld Angst
hat. Und Ihr zuckt furchtsam zusammen, noch ehe Ihr Schmerz
verspürt! Von diesem Ritter habe ich nie gehört, daß man ihn
solcher Feigheit anklagte. Ich hingegen zuckte weder
zusammen noch wich ich Eurem Hieb aus, Herr, als Ihr Euren
Schlag geführt habt, und äußerte keine Widerrede am Hof von
König Artus. Mein Kopf flog mir vor die Füße und doch
zuckte ich nicht. Aber Ihr? Euer Herz ist voller Angst, bevor

91.

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Ihr eine Wunde davongetragen habt. Also verdiente ich es, daß
man von uns beiden mich den edleren Ritter nennt.«

Darauf erwiderte Gawain: »Einmal habe ich gezuckt, aber ein

zweites Mal wird das nicht geschehen. Doch meinen Kopf
kann ich, wenn er jetzt zu Boden fällt, nicht wieder aufsetzen.

Jetzt beeilt Euch, wenn ich bitten darf, Herr. Macht,
daß mein Schicksal sich erfülle, und macht es rasch!

Denn ich werde einen Schlag von Euch erdulden und nicht
noch einmal zucken, bevor Eure Axt mich getroffen hat, mein
Wort darauf!«

»So sei es denn!« sagte der andere, hob die Axt in die Höhe

und blickte ihn so zornig an, als sei er vor Wut außer sich. Er
holte zu einem gewaltigen Schlag aus, aber plötzlich hielt er
inne und erstarrte in der Bewegung, ehe er Gawain traf und
verwundete.

Dieser, der gefaßt den Schlag erwartete, zuckte mit keinem

Glied, sondern stand unbeweglich da, wie ein Stein oder ein
Baumstumpf, der mit hundert Wurzeln im Felsen verankert ist.

Dieses Mal bemerkte der Grüne Mann belustigt: »Da Ihr nun

wieder Mut gefaßt habt, muß ich einen Schlag tun. Möge Euch
der hohe Orden, den Artus Euch verliehen hat, schützen.«

Da erwiderte Gawain in hellem Zorn: »Auf! Schlagt zu, Ihr

grober Mann. Ihr droht zu lange. Ich glaube fast, es ist Euer
eigener Mut, an dem Ihr zweifelt!«

»Wahrlich«, sagte der Grüne Mann, »wenn Ihr schon so

kühne Reden führt, will ich dem Ende Eures Auftrags nicht
länger im Wege stehen.«

Dann nahm er die Schlaghaltung ein, zog eine Grimasse mit

Lippen und Stirn, was Gawain, der keine Hoffnung auf
Rettung sah, nicht wenig mißfiel.

92.

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Der Grüne Ritter hob mit Leichtigkeit die Axt und
ließ sie mit der gebogenen Spitze der Klinge genau

auf den entblößten Hals niedersausen; obgleich er wie mit
einem Hammer zuschlug, war die einzige Wunde, die er ihm
zufügte, ein Riß in der Haut, als ihn die Klinge auf der einen
Seite streifte. Sie drang durch die Haut so tief in das Fleisch
des Ritters, daß über seine Schultern helles Blut auf die Erde
spritzte.

Als der edle Ritter das Blut auf dem Schnee erblickte, sprang

er eilig eine Speerlänge oder mehr von dem Mann fort, ergriff
hurtig seinen Helm, setzte ihn auf, warf mit einem Schwung
seiner Schultern den Schild nach vorn, zückte sein glänzendes
Schwert und sagte kühn – und er war, seit seine Mutter ihn
geboren, niemals in seinem Leben halb so glücklich
gewesen –:

»Hört auf mit Euren Schlägen, Herr, und erteilt mir keine

mehr. Ich habe ohne Widerstand auf diesem Platz einen Streich
von Euch empfangen, und wenn Ihr mir weitere zufügen wollt,
werde ich es Euch umgehend heimzahlen und sie, worauf Ihr
Euch verlassen könnt, mit aller Kraft erwidern. Einen Schlag
habe ich empfangen, so lautete die Abmachung, die wir in
Artus’ Halle trafen. Und darum, guter Herr, gebt Euch
zufrieden!«

Der andere wandte sich von Gawain ab, stützte sich
auf seine Axt, stieß den Schaft in die Erde, lehnte sich

dagegen und blickte den edlen Ritter an, der über die Lichtung
schritt. Es erfreute insgeheim sein Herz, als Gawain so ernst
und gefaßt mit seinen Waffen dastand, ohne jede Furcht.

Da sagte er mit fröhlicher, lauter und weithallender Stimme:

»Furchtloser Ritter, seid an diesem Ort nicht so aufgebracht!

93.

94.

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Niemand hier hat Euch unziemlich behandelt, mißhandelt noch
den Vertrag mißachtet, den wir am Hof geschlossen haben.
Einen Schlag habe ich Euch versprochen, jetzt habt Ihr ihn
erhalten, also seid zufrieden; ich spreche Euch von allen Euren
Verpflichtungen frei. Hätte ich härter zugeschlagen, Euch
gröber behandelt, hätte ich Euch Schaden zufügen können.
Zuerst bedrohte ich Euch zum Scherz mit einer Täuschung und
vermied es, Euch zu zerhauen. Ich hatte dazu das Recht wegen
des raschen Paktes, den wir am ersten Abend schlossen, und
Ihr ehrlich und unfehlbar Euer Wort gehalten habt und mir
alles zurückgabt, was Ihr erworben hattet. Den zweiten Schlag,
guter Mann, gab ich Euch für den Morgen, als Ihr meine
schöne Frau geküßt und mir die Küsse zurückgegeben habt.
Für diese beiden Tage versetzte ich Euch bloß zum Schein
zwei Schläge, ohne Euch Leid zuzufügen. Wer ehrlich nimmt,
muß ehrlich zurückgeben, dann braucht er kein Unheil zu
besorgen. Am dritten Tag habt Ihr gefehlt und dafür den dritten
Schlag bekommen!

Denn dieser gewehte Gürtel, den Ihr tragt, gehört mir.
Meine eigene Gemahlin gab ihn Euch, das weiß ich

wohl. Ich weiß auch alles über Eure Küsse und Euer
Benehmen und das Werben meiner Gemahlin: ich selbst habe
dafür gesorgt! Ich trug ihr auf, Euch zu versuchen, und
wirklich scheint Ihr mir der makelloseste Mann zu sein, den
die Erde je sah! So wie eine Perle viel mehr wert ist als eine
weiße Erbse, so ist Gawain ohne Zweifel wertvoller als andere
tapfere Ritter. Aber hier habt Ihr gefehlt, Herr, ein wenig hat es
an Treue gemangelt. Aber es geschah nicht aus gemeiner
Verschlagenheit noch aus Liebestollheit, sondern weil Ihr Euer
Leben geliebt habt – um so weniger mache ich Euch einen
Vorwurf daraus.«

95.

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Der andere aufrechte Mann stand eine Weile

gedankenverloren da, von solcher Trübsal erfaßt, daß ihn
schauderte, sein Herzblut schoß ihm ins Gesicht, und er
erschrak vor Scham angesichts dieser Worte.

Und dann fand er folgende Worte: »Seid verflucht, Gier und

Feigheit! Ihr bergt Gemeinheit und Lasterhaftigkeit, welche die
Tugend zerstören.«

Damit faßte er das tückische Gewirk, löste den Knoten und

warf den Gürtel flugs vor die Füße des anderen.

»Nehmt hin den Irreführer, er soll verflucht sein! Die Angst

vor Eurem Schlag genügte meiner Feigheit, mich zur Habgier
zu verlocken und meine wahre Natur zu verleugnen, meine
Großmut und Redlichkeit, die einen Ritter auszeichnen
müssen. Jetzt bin ich verworfen und falsch, der sich immer vor
Heimtücke und Unlauterkeit gefürchtet hat: mögen die zwei
fortan mein Fluch sein! Ich bekenne Euch, Herr, verwerflich
ist mein Tun gewesen. Schenkt mir Eure Gnade noch einmal,
und ich will ihr getreu leben.«

Da lachte der andere Mann und sagte begütigend:
»Ich meine, das Unrecht, das mir widerfuhr, ist

zweifellos vergolten. Ihr habt ein offenes Bekenntnis abgelegt
und Eure Irrtümer eingestanden und vor meiner Klinge
gesühnt. Ich betrachte Euch als von jeder Schuld gereinigt und
als so unschuldig, als hättet Ihr seit Eurer Geburt nichts Böses
getan. Und ich schenke Euch, Herr, den goldgesäumten Gürtel,
weil er so grün ist wie mein Kleid. So mögt Ihr Euch denn,
Herr Gawain, an unseren Kampf erinnern, wenn Ihr in der
Schar berühmter Fürsten weilt. Er wird ein schlichtes Zeichen
sein für das, was sich an der Grünen Kapelle zwischen zwei
ritterlichen Männern zugetragen hat. Und an diesem
Neujahrstag sollt Ihr wieder in mein Haus kommen, und dort

96.

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wollen wir den Rest dieses herrlichen Festes in bester Laune
verbringen.«

Der Burgherr bedrängte ihn, seinem Vorschlag zu folgen, und

sagte: »Mit meiner Gemahlin, das weiß ich, werden wir Euch
rasch versöhnen, die Euer erbitterter Gegner war.«

»Nein, keinesfalls«, erwiderte der Ritter, griff nach
seinem Helm, lüftete ihn kurz und dankte seinem

mannhaften Gegenüber: »Ich bin lange genug unterwegs
gewesen! Möge Euer Leben gesegnet sein und Gott, der Hort
aller Ehren, Euch belohnen. Und empfehlt mich Eurer
liebreizenden, schönen Gemahlin und den anderen verehrten
Damen, die ihren Ritter mit ihren Listen so kunstfertig genarrt
haben. Doch es ist kein Wunder, wenn ein Tor durch die
Schliche eines Weibes in Not gerät. Denn immerhin wurde
auch Adam von einer Frau getäuscht, und Salomon von vielen,
und auch Samson wurde von Dalila hinters Licht geführt; und
David wurde später von Rathseba getäuscht und erlitt bitteres
Leid. Da diese Männer nun durch die Arglist der Frauen ins
Unglück gerieten, wäre es ein großer Gewinn, könnte man die
Frauen lieben, ohne ihnen zu vertrauen – falls das in der Macht
eines Mannes liegt. Denn diese Männer der Vorzeit waren die
edelsten und vom Schicksal vor allen anderen Menschen
begünstigt. Und doch wurden alle von Frauen betrogen, die sie
kannten. Wenn ich auch jetzt als Tölpel dastehe, hätte ich
doch, wie ich meine, ein wenig Verständnis verdient.

Was aber den Gürtel betrifft, möge Gott Euch für die
Gabe belohnen. Ich werde ihn immer mit Freuden

tragen, nicht wegen des strahlenden Goldes oder wegen der
edlen Seide, noch wegen der langen Anhängsel, wegen seines

97.

98.

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unschätzbaren Wertes oder der feinen Handwerkskunst,
sondern als Zeichen meines Versagens, wenn ich in vornehmer
Gesellschaft bin, um mich voller Reue an meinen Fehler und
an die Schwachheit meines Fleisches zu erinnern, das sich so
leicht mit dem Makel der Sünde befleckt. Und darum soll
mich, wenn der Stolz mich zum Kampf anstachelt, ein Blick
auf diesen Gürtel mit Demut erfüllen. Aber um eines möchte
ich Euch bitten und hoffe, es mißfällt Euch nicht: Weil Ihr der
Herr des Landes seid, wo ich eine Weile ehrenhaft mit Euch in
Eurem Hause gelebt habe – möge es Euch der Himmel
vergelten! –, nennt mir Euren richtigen Namen. Mehr will ich
nicht von Euch wissen.«

»Diese Frage will ich Euch wahrheitsgemäß beantworten«,

erwiderte der Grüne Mann. »Bertilak des Hautdesert werde ich
hier genannt. Durch die Zauberkraft von Morgan La Fay, die
bei mir haust, wurde ich verwandelt und erhielt diese
schreckliche Gestalt. Ihre magischen Fähigkeiten und
geheimen Künste hat sie von Merlin erworben, denn diesem
feinsinnigen Weisen hat sie einmal ihre Liebe geschenkt, dem
verschlagenen Zauberer, der auch in Camelot wohlbekannt ist.
Darum hat man ihr den Namen ›Morgan, die Göttin‹
zugeschrieben, denn es gibt keine Macht und keinen Hochmut,
die sie nicht zähmen könnte.

Sie sandte mich in dieser Verkleidung an Euren
prächtigen Hof, um den Stolz seiner Ritter auf die

Probe zu stellen und zu ergründen, ob der große Ruhm der
Tafelrunde zu Recht besteht. Sie legte diesen Zauber auf mich,
um Euren Verstand zu verwirren und Ginevra durch den
Anblick eines Mannes, der, seinen Kopf in der Hand, wie ein
Gespenst vor der hohen Tafel sprach, zu Tode zu erschrecken.
Sie ist die ältere Dame in meinem Haus; außerdem ist sie Eure

99.

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Tante, Artus’ Halbschwester, die Tochter der Herzogin von
Tintagel, mit welcher der tapfere Uther später Artus zeugte,
der jetzt der Hochkönig ist. Darum bitte ich Euch dringend,
Herr, zu Eurer Tante zurückzukehren! In meinem Haus
herrscht Frohsinn; alle haben Euch gern, und auch ich, Herr
Ritter, schätze Euch wie keinen unter der Sonne wegen Eurer
Vertrauenswürdigkeit.«

Aber Gawain lehnte den Vorschlag ab. »Nein, auf keinen

Fall«, antwortete er.

Da umarmten und küßten sie sich und empfahlen sich

gegenseitig dem Herrscher des Paradieses und trennten sich
auf dem kalten Feld.

Darauf eilte Gawain auf seinem schnellen Pferd ohne Verzug

davon, und der Ritter in leuchtendem Grün ging seiner Wege.

Gawain ritt auf unwegsamen Pfaden mit Gringolet
durch das Land; dank der Gnade Gottes war er

noch am Leben. Oft kam er in einer Herberge unter, oft
übernachtete er im Freien, oft besiegte er Feinde und erlebte
Abenteuer, von denen ich in dieser Geschichte nicht berichten
will. Die Wunde an seinem Hals war geheilt, und an dieser
Stelle trug er jetzt den glänzenden Gürtel, kreuzweise wie ein
Wehrgehenk seitlich gebunden und unter dem linken Arm
verknotet – als Zeichen seines Fehlers, dessen er sich schuldig
gemacht hatte.

Und so kam er endlich sicher an den Hof zurück, was in der

Burg große Freude auslöste.

Der König küßte den Ritter, und die Königin küßte ihn auch,

und dann hießen ihn der Reihe nach die tapferen Recken
willkommen. Sie befragten ihn nach seiner Queste, und er
berichtete von allen Wundern, schilderte die Mühsal, die er
hatte erdulden müssen, erzählte, was an der Kapelle

100.

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vorgefallen war, von der Liebe der Dame und zum Schluß von
dem Gürtel. Er entblößte seinen Hals und zeigte ihnen den
leichten Schnitt, den ihm der Hausherr zur Strafe für seine
Unehrlichkeit zugefügt hatte.

Es war qualvoll, die Wahrheit zu gestehen, das Blut schoß

ihm ins Gesicht vor Scham, er ächzte vor Kummer und Reue,
als er seine Geschichte erzählte.

»Seht, Herr«, sagte er schließlich und griff nach
dem Gürtel. »Dies ist das Band! Ich trage es als

Zeichen eines Tadels am Hals! Es ist ein Zeichen des Unrechts
und des Leides, die ich auf mich nehmen mußte wegen der
Treulosigkeit und Feigheit, deren Beute ich dort wurde. Dies
ist das Zeichen der Treulosigkeit, bei der ich ertappt wurde,
und darum muß ich es tragen, solange ich lebe. Denn der
Mensch kann sein Vergehen verheimlichen, aber er kann es
nicht rückgängig machen. Denn wenn er sich einmal damit
befleckt hat, wird er es nie wieder los!«

Der König tröstete den Ritter, und alle Anwesenden lachten

zudem noch laut darüber und kamen heiter überein, daß sich
jeder, der zur Tafelrunde gehörte und ein Ritter der
Bruderschaft war, ein solches Band in leuchtendem Grün
verschaffen und kreuzweise gebunden tragen sollte. Denn das
sei zum Ruhm der Tafelrunde nur recht und billig.

Und es gereichte jedem Ritter zur Ehre, der es später trug,

wie man in den besten Romanzenbüchern lesen kann.

So fand in Artus’ Zeiten dieses wundersame Abenteuer statt,

wie das Buch des Brutus bezeugt. Seit Brutus, der kühne
Ritter, als erster nach Britannien kam, nachdem die Belagerung
und Eroberung Trojas vorüber waren, haben sich von damals
bis heute mancherlei Abenteuer zugetragen.

101.

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Gebe Christus, der die Dornenkrone trug, seinen Segen!

Amen!

Honi soit qui mal y pense!

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Nachbemerkung des Übersetzers



Über den anonymen Verfasser von Sir Gawain and the Green
Knight
wissen wir so gut wie nichts. Er war ein Zeitgenosse
von Geoffrey Chaucer, dessen Canterbury Tales noch heute
bekannt sind. Sir Gawain dürfte um 1370 entstanden sein. Sein
vermutlich aus den nordwestlichen Midlands stammender
Autor braucht indessen den Vergleich mit Chaucer nicht zu
scheuen, denn sein Zugriff auf das Thema und seine
Originalität als Stilist sind erstaunlich.

J. R. R. Tolkien, der sich mit dieser mittelenglischen

Ritterromanze intensiv befaßt hat, sagte von ihr, sie sei neben
Chaucers Troilus und Criseyde »immer noch die am besten
angelegte und ausgeführte Verserzählung des 14. Jahrhunderts,
ja, des Mittelalters in englischer Sprache«. Die einzige
Handschrift, in der die Erzählung überliefert ist, muß um 1400
entstanden sein.

Die Geschichte des Artus-Ritters Gawain wird in einer

Strophenform erzählt, die aus einer unregelmäßigen Anzahl
von Stabreimversen besteht, gefolgt von fünf kurzen Versen,
die durch das Reimschema ababa verbunden sind.

Die abenteuerliche Queste des tapferen und edlen Ritters

Gawain, dessen Tugenden durch eine schöne Frau auf die
Probe gestellt werden, zeichnet sich durch eine einfühlsame
Beschreibung der Natur (die hier nicht bloße Staffage ist) und
des mittelalterlichen Lebens aus, und in der Gestaltung der
Verführungsszenen und der Psychologie seines Helden beweist
der Autor eine souveräne Erzählkunst. Auch die
Wirklichkeitsnähe des Verfassers ist bemerkenswert, die sich
zum Beispiel in den Jagdszenen zeigt.

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Es war wahrscheinlich nicht die Absicht des Verfassers, die

mittelalterlichen Wertmaßstäbe zu bestätigen oder gar zu
verherrlichen, sondern er maß sie eher an einer ethisch
ambivalenten Realität, die ebensowenig vollkommen war wie
der Held Gawain. Die kanonischen Ideale des höfischen
Rittertums sieht er durchaus skeptisch: Gawain stellt
keineswegs ein Idealbild dar, den makellosen Prototyp eines
Ritters, sondern er erscheint als ein unvollkommener Mensch,
dessen Moral durchaus nicht über jeden Zweifel erhaben ist.
Der Autor läßt nicht erkennen, welche Bedeutung die
ethischen Normen seiner Epoche für ihn haben, seine
Absichten sind nicht eindeutig zu erkennen, was zu
zahlreichen Deutungen geführt hat.

J. R. R. Tolkien hat den mittelenglischen Text zusammen mit

E. V. Gordon herausgegeben (Oxford, 1925). Eine
Neuausgabe, besorgt von N. Davis, erschien 1967. Diese
Übersetzung liegt der vorliegenden Prosanachbildung
zugrunde. Sir Gawain ist häufig ins Neuenglische übersetzt
worden, meist unter Beibehaltung der Versform (z. B. von
Tolkien selbst). Auch die Übertragung von Brian Stone
(Harmondsworth 1959) ist lesenswert.

Die erste Übersetzung ins Deutsche stammt von Manfred

Markus (Stuttgart 1974). Er bemüht sich um eine möglichst
genaue Wiedergabe des mittelenglischen Textes. Wenngleich
nicht gerade lesefreundlich, war diese Edition eine Pioniertat,
nicht zuletzt wegen der informativen Anmerkungen.


Der Übersetzer der hier vorliegenden Ausgabe hat sich
bemüht, einen für die meisten Leser vermutlich »verstaubten«
oder »unmodernen« Text durch eine Prosafassung zugänglich
zu machen, die weder auf philologische Genauigkeit noch auf
eine verklärende »Nachdichtung« zielt. Freilich sollte der Text

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nicht nur als kuriose Abenteuergeschichte gelesen werden,
sondern auch als Zeugnis einer Epoche, in der die Menschen
begannen, die tradierten Regeln, Ordnungen und ethischen
Normen ihrer Zeit in Frage zu stellen. Dabei setzt der anonyme
Dichter Mittel ein, die beinahe »modern« anmuten, zum
Beispiel den Wechsel der Erzählperspektive.

Es war kaum zu vermeiden, daß bei der Übertragung eines

mittelenglischen Versepos in heutige Prosa sprachliche und
stilistische Eigenarten auf der Strecke bleiben mußten. Honi
soit qui mal y pense!

H. J. S.

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J. R. R. Tolkien Sir Gawain und der Grüne Ritter



Es ist mir eine hohe Ehre, an dieser alten Universität zu einer
Vorlesung eingeladen zu sein, die den großen Namen W. R.
Kers trägt. Ich habe einmal eine Zeitlang Kers Exemplar des
Sir Gawain benutzen dürfen. Es verriet deutlich, daß Ker, wie
es trotz der Weite seiner Belesenheit und seiner literarischen
Interessen seine Art war, auch dieses Werk genau gelesen
hatte.

Und es ist dies freilich ein Gedicht, das eine genaue,

eingehende Lektüre verdient und, an sie anschließend (nicht
ihr voraufgehend, wie in der literaturwissenschaftlichen Kritik
nur allzu üblich), eine sorgfältige und mehrfache Betrachtung.
Es ist eines der Meisterwerke der englischen Dichtung im 14.
Jahrhundert und der englischen Literatur insgesamt – eines von
jenen Werken, die es nicht nur vertragen, daß man sie an den
Universitäten breittritt, daß sie zu einem »Text« und sogar –
wohl die härteste Bewährungsprobe – zu einer Pflichtlektüre
werden, sondern unter solcher Ausquetschung auch tatsächlich
mehr und mehr hergeben. Denn es gehört zu der Art von
Literatur, die mit tiefen Wurzeln in die Vergangenheit
zurückreicht, noch tieferen, als selbst der Autor es wußte. Es
besteht aus Geschichten, die zuvor und anderswo schon oft
erzählt worden waren, und aus Elementen, die fernen Zeiten
außer Sichtweite oder Kenntnis des Autors entstammen: ganz
wie der Beowulf oder wie manche Hauptwerke Shakespeares,
der König Lear oder der Hamlet.

Man könnte sich fragen, was dies für ein Reiz ist, was für

eine Atmosphäre oder Kraft, die solchen verwurzelten Werken
eignen, und auf welche Weise die Mängel und

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Unstimmigkeiten der Bearbeitung wettzumachen sind, die
ganz unvermeidlich auftreten, wenn Stoffe, Motive und
Symbole neu aufgenommen und dem Geist einer späteren Zeit
dienstbar gemacht werden, wo sie ganz andere Ideen
ausdrücken müssen als die, aus denen sie hervorgegangen sind.
Obwohl aber der Sir Gawain für die Erörterung dieser Frage
eine sehr geeignete Textgrundlage wäre, will ich doch von
dergleichen Dingen heute nicht sprechen. Ich befasse mich hier
nicht mit der Forschung über die Quellen der Erzählung oder
ihrer Einzelheiten, auch nicht mit der Frage, in welcher
besonderen Gestalt sie dem Verfasser des Gedichtes
bekanntgeworden sein mögen, ehe er sich an die Arbeit
machte. Ich möchte über seine Behandlung des Stoffes
sprechen, oder über einen besonderen Aspekt dieser
Behandlung: was ihm durch den Kopf ging, als er die
Geschichte schrieb und (woran ich nicht zweifle) so lange
wieder umschrieb, bis sie die Form hatte, in der sie auf uns
gekommen ist. Aber die andere Frage darf nicht vergessen
werden. Altertum hängt wie ein mit vielen Figuren bestickter
Vorhang stets hinter der Szene. Im Hintergrund schreiten
Gestalten älterer Mythen vorüber, und durch die Verse des
Gedichtes hören wir das Echo alter Kulte, Religionen und
Symbole, die dem Bewußtsein des gebildeten Moralisten (der
aber auch ein Dichter war) im späten 14. Jahrhundert
fernlagen. Seine Erzählung handelt nicht von diesen alten
Dingen, empfängt aber von ihnen einen Teil ihrer
Lebendigkeit, Bewegtheit und Spannung. So verhält es sich
mit allen größeren Märchen – zu denen auch dieses gehört.

Es gibt ja keinen geeigneteren Träger moralischer Belehrung

als ein gutes Märchen (worunter ich eine wahrhaft
tiefverwurzelte Geschichte verstehe, die um ihrer selbst willen
erzählt wird und nicht als Mäntelchen für eine moralische
Allegorie dient). Dies scheint der Autor des Sir Gawain

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erkannt oder vielleicht eher instinktiv als bewußt erfaßt zu
haben: Denn als ein Mann des 14. Jahrhunderts, eines
nüchternen, lehrhaften, enzyklopädischen, um nicht zu sagen
pedantischen Jahrhunderts hatte er den Stoff seiner »Mär« eher
ererbt als sich bewußt zu ihr hingewendet. Von all den vielen
neuen Dingen also, über die man hoffen könnte, etwas Neues
zu sagen – auch heute noch, nachdem diesem Gedicht mehrere
Ausgaben, Übersetzungen, Diskussionen und zahlreiche
Aufsätze gewidmet worden sind – Themen wie die
Enthauptungswette, der unheimliche Gastgeber oder die
sonnenhafte Mythengestalt, die durch den höflichen Sir
Gawain, König Artus’ Neffen, ebenso unverkennbar, wenn
auch blasser hindurchscheint als der Bärenknabe, der sich
hinter dem Helden Beowulf, König Hygelacs Neffen, verbirgt;
oder auch Themen wie der irische Einfluß auf Britannien, der
Einfluß beider Länder auf Frankreich und die französische
Gegenströmung; oder, um näher auf die Zeit unseres Autors
einzugehen, das Wiederaufleben des alliterierenden Verses und
die zeitgenössische Diskussion um seine Verwendung für
erzählende Gedichte, von der heute fast nichts mehr erhalten
ist als ein paar kurze Nachklänge im Sir Gawain und bei
Chaucer (von dem ich glaube, daß er den Sir Gawain und
vermutlich auch dessen Autor gekannt hat) – von all diesen
und anderen Gegenständen, die der Titel Sir Gawain und der
Grüne Ritter
nahelegen könnte, möchte ich mich nur einem
zuwenden, der weniger Beachtung gefunden hat, obwohl er
mir von grundsätzlicherer Bedeutung zu sein scheint: dem
Hauptstück, dem inneren Knoten des Gedichts in seiner
endgültigen Gestalt, dem großen dritten Gesang und innerhalb
desselben der Versuchung und Beichte Sir Gawains.

Wenn ich davon spreche, von Gawains Versuchung und

Beichte, muß ich mich natürlich darauf verlassen, daß das
Gedicht insgesamt bekannt ist, im Originaltext oder aus einer

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Übersetzung. Wo ein Zitat nötig ist, werde ich eine
Übersetzung verwenden, die ich gerade abgeschlossen habe,
weil ich glaube, zwei Ziele darin einigermaßen erreicht zu
haben: das Versmaß und die Alliterationen des Originals
wiederzugeben, ohne die eine Übersetzung wenig Sinn hat, es
sei denn als Lesehilfe; und den edlen Anstand dieses Gedichtes
zu wahren und in einem verständlichen, modernen Idiom
nachzubilden, mit Rücksicht auf einen Dichter, dem der
höfische Anstand so viel bedeutet hat.

Da ich nicht von dem Gedicht als ganzem oder seinem

vortrefflichen Aufbau sprechen will, muß ich hierzu nur auf
eines hinweisen, was für mein Vorhaben wichtig ist. Das
Gedicht ist in vier »fyttes« oder Gesänge eingeteilt, von denen
der dritte bei weitem der längste ist, viel mehr als ein Viertel
des Ganzen umfassend (872 Zeilen von insgesamt 2530) –
gewissermaßen ein numerischer Hinweis auf das wirkliche
Hauptaugenmerk des Dichters. Dabei hat er obendrein diesen
numerischen Sachverhalt noch zu bemänteln versucht, indem
er geschickt und dennoch künstlich einen Teil dessen, was
eigentlich zum Geschehen des dritten Gesanges gehört, schon
im zweiten Gesang unterbringt. Sir Gawains Versuchung
beginnt eigentlich schon mit der 39. Strophe (Vers 928), wenn
nicht noch früher, und dauert dann über mehr als tausend
Zeilen hin fort. Alles Übrige ist vergleichsweise flüchtig
behandelt, trotz mancher sehr bildhafter Schilderungen. Die
Versuchung war für den Dichter die Raison d’être dieses
Gedichtes; alles andere war für ihn nur Szenerie, Hintergrund
oder Handlungsmechanik – Kunstgriffe, um den Helden in die
Situation zu bringen, die der Dichter näher ansehen will.

Im folgenden werden die Zitate aus dem Gedicht in Tolkiens

neuenglischer Übersetzung wiedergegeben, mit einer anspruchslosen
deutschen Prosa-Wiedergabe in den Fußnoten. [A. d. Ü.]

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An das Vorhergehende brauche ich daher nur kurz zu

erinnern. Der Rahmenschauplatz wird uns vorgeführt, mit
einer kurzen Schilderung der Herrlichkeit an König Artus’ Hof
während der (für die Engländer) höchsten Festtage des Jahres,
zu Weihnachten. Am Neujahrstag kommt während des Mahles
ein großer grüner Ritter in die Halle geritten, auf einem grünen
Roß und mit einer grünen Axt, und spricht eine
Herausforderung aus: Jeder, der den Mut hat, darf die Axt
nehmen und dem Grünen Ritter ohne jede Gegenwehr einen
einzigen Hieb versetzen, unter der Bedingung, daß er
verspricht, sich über Jahr und Tag von dem Grünen Ritter
einen ebensolchen Hieb erteilen zu lassen.

Schließlich ist es Sir Gawain, der die Herausforderung

annimmt. Aber von all dem ist mir hier nur ein Aspekt wichtig.
Von Anfang an oder zumindest beim zweiten Lesen und nach
reiflicher Überlegung können wir die moralische Absicht
sehen, die dem Dichter vorschwebt. Damit Gawain in
Versuchung geführt werden kann, müssen seine Handlungen
zunächst einmal moralisch untadelig sein; und bei all der
»Märchenhaftigkeit« hat der Dichter einige Mühe zu zeigen,
daß sie es sind. Gawain nimmt die Herausforderung an, um
den König zu retten, der sich durch seine Voreiligkeit in eine
schiefe Position gebracht hat. Sein Beweggrund ist weder der
Stolz auf die eigene Kraft noch Prahlerei oder der Leichtsinn,
mit dem die Ritter sich bei den weihnachtlichen Gelagen auf
verrückte Wetten und Gelübde einlassen. Er hat vielmehr
etwas ganz Bescheidenes im Sinn: den König Artus, seinen
Oheim und das Haupt der Tafelrunde, vor Herabsetzung und
Gefahr zu schützen und dafür das eigene Leben zu wagen.
Unter den Rittern, so erklärt Gawain, sei er selbst der
unbedeutendste, derjenige, dessen Verlust am leichtesten zu
verschmerzen wäre. Soweit das in einem Märchen möglich ist,
gerät er in die Angelegenheit also nur aus Pflichtgefühl,

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Bescheidenheit und Aufopferungsbereitschaft hinein. Da aber
die Absurdität der Herausforderung sich nicht ganz beheben
ließ – Absurdität, wenn sich nämlich die Erzählung auf einer
ernsthaft moralischen Ebene bewegen soll, wo jede Tat des
Helden Gawain zu prüfen und moralisch zu beurteilen ist –,
wird der König selbst kritisiert, sowohl von dem Dichter und
Erzähler als auch von den Rittern bei Hofe.

Noch eines, auf das wir später zurückkommen werden:

Gawain wird von Anfang an hereingelegt oder wenigstens in
eine Falle gelockt. Er nimmt die Bedingung an, daß er den
Hieb verabreichen muß quatso bifallez after (»ohne Rücksicht
auf die Folgen«) und daß er dann nach einem Jahr sich ohne
Gehilfen oder Ersatzmann einfinden muß, um seinerseits den
Hieb mit einer von dem Grünen Ritter nach Belieben zu
wählenden Waffe »heimgezahlt« zu bekommen. Kaum hat er
angenommen, da erfährt er, daß er selbst den Grünen Ritter
erst in irgendeiner ungenannten Gegend, wo er lebt, wird
aufsuchen müssen, um seinen »Lohn« zu empfangen. Er
nimmt auch diese erschwerende Bedingung an. Nachdem er
aber den Hieb ausgeführt und den Ritter geköpft hat, schnappt
die Falle zu; denn der Herausforderer ist nicht tot, sondern
nimmt den eigenen Kopf vom Boden auf, steigt wieder zu
Pferde und reitet davon, nachdem der scheußliche
abgeschlagene Kopf, den er mit der Hand hochhebt, Gawain
ermahnt hat, sein Versprechen zu halten.

Nun wird dies im Publikum unseres Dichters für viele

zweifellos ebensowenig überraschend gewesen sein wie für
uns. Wenn uns ein grüner Mann vorgestellt wird, mit grünem
Haar, grünem Gesicht und auf einem grünen Pferd, noch dazu
am Hofe König Artus’, so sind wir auf magische
Verwicklungen gefaßt, und Artus und Gawain, meinen wir,
hätten auch damit rechnen sollen. Die meisten Anwesenden
jedenfalls scheinen es richtig erfaßt zu haben: »Ein Phantom

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und Feienstück, fanden die Leute« (11.240). Der Dichter aber
war offenbar entschlossen, die Geschichte mit ihrem ganzen
Hergang so zu nehmen, wie sie war, und sich dafür näher um
die Probleme des ritterlichen Betragens zu kümmern, wie sie
sich besonders für Sir Gawain ergeben. Eines der Themen, die
ihn vor allem beschäftigen werden, ist die lewte, das
»Worthalten«. Es ist daher sehr wichtig, sich von vornherein
über das Verhältnis zwischen dem Grünen Ritter und Sir
Gawain und über die Bedingungen des Vertrages zwischen
ihnen genau klarzuwerden, ganz so, als hätten wir es hier mit
einer normalen und möglichen Vereinbarung zwischen zwei
»Herren« zu tun. So gibt sich der Dichter offenbar Mühe,
darauf hinzuweisen, daß die »Magie«, deren Möglichkeit für
den Herausgeforderten immerhin zu befürchten stünde, vom
Herausforderer, während sie die Vereinbarung treffen,
unterschlagen wird. Der König nimmt die Herausforderung
unbesehen an: eine Torheit, denn warum sollte der Grüne
Ritter darum bitten, auf der Stelle erschlagen zu werden? Und
später, wenn Gawain sich zu dem Schlag bereitmacht, heißt es:


»Take care, cousin«, quoth the king, »orte cut to address, and
if thou kamest him his lesson, I believe very well that thou
wilt bear any blow that he gives back later.«

(17372-4)


Und obwohl Gawains Gutgläubigkeit auf eine harte Probe

gestellt wird – quatso bifallez after, wie er selbst sagt –, hat
doch eigentlich sein Gegner ihm die Tatsache verherrlicht, daß
er auf diese Weise nicht erschlagen werden kann, weil er von
Magie beschützt wird. Und nun hat sich Gawain zu einer Fahrt

»Aufgepaßt, Neffe«, sagte der König, »nur einen Schlag hast du frei, doch

wenn du ihm seine Lehre erteilst, so will ich meinen, daß du den Schlag
wirst ertragen können, den er dir später heimzahlt.«

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und zu einem Abenteuer verpflichtet, das nur allzu
wahrscheinlich mit seinem Tod enden wird. Denn seinerseits
verfügt er (noch) über keinerlei Magie; und wenn die Zeit
kommt, muß er, um den königlichen Oheim und die Ehre
seines Ordens zu retten, allein und schutzlos aufbrechen, mit
unerschrockenem Mut und mit levote.

Schließlich ist es soweit, und Sir Gawain trifft seine

Vorbereitungen, ehe er sich aufmacht, nach dem Grünen Ritter
und der Grünen Kapelle zu suchen, wo er sein Versprechen
einlösen soll. Und nun jedenfalls, was immer man von der
Märchenszene mit dem abgeschlagenen Kopf und von den
ethischen Überlegungen halten mag, die ich an den ersten
Gesang herangetragen habe, läßt der Dichter keinen Zweifel
mehr, um was es ihm geht. Er beschreibt Sir Gawains Rüstung,
und wenn uns auch der Kontrast zwischen dem glühenden
Scharlach und blanken Gold mit dem Grün des
Herausforderers ins Auge fällt und uns über deren mögliche
überlieferte Bedeutung nachdenken läßt, so ist doch der Autor
von einem anderen Interesse geleitet. Alles in allem hat er für
die ganze Rüstung nur ein paar Zeilen übrig, und die Farbe Rot
(red und goulez) wird nur zweimal erwähnt. Was ihn länger
beschäftigt, ist der Schild. Gawains Schild dient dem Dichter
geradezu als Wappen für die eigene Absicht und Gesinnung,
und darum widmet er ihm drei ganze Strophen. Auf den Schild
malt er – der Dichter nämlich, denn ohne Zweifel handelt es
sich hier um eine Hinzufügung seinerseits – nicht eines der
heraldischen Motive, wie sie sich in anderen Ritterromanen
finden, etwa einen Löwen, Adler oder Greifen, sondern das
Symbol des Pentagramms. Nun kommt es nicht allzu sehr
darauf an, welche Bedeutung oder Bedeutungen diesem
Symbol anderswo oder in früherer Zeit zugeschrieben wurden.

Für die Bezeichnung pentangk (Pentagramm) enthält das Ge dicht die

erste volkssprachliche Belegstelle, überhaupt die ein zige im

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Ebensowenig wie es auf die anderen oder älteren Bedeutungen
des Grün und des Rot, des Stechpalmenzweigs oder der Axt
ankommt. Denn was das Pentagramm in diesem Gedicht zu
bedeuten hat, wird deutlich gemacht – deutlich genug
jedenfalls, was die allgemeine Bewandtnis angeht

: Es soll die

»Vollkommenheit« bezeichnen – Vollkommenheit in der
Religion (dem christlichen Glauben), in der Frömmigkeit und
Moral und im höfischen Anstand, hinüberwirkend in die
gesellschaftlichen Beziehungen; in all diesem herrscht
Vollkommenheit in den Einzelheiten, und eine vollkommene,
ungebrochene Einheit verbindet die höheren mit den niederen
Ebenen. Mit diesem Zeichen auf dem Schild (es ist außerdem,
wie wir gleich erfahren, auch auf Gawains Mantel gestickt),
wo es unser Dichter aufgemalt hat – denn die Gründe, die er
für seine Verwendung nennt, sind nach ihrer Beschaffenheit
und nach dem Stil ihrer Aufzählung keine, die Gawain selbst
gehabt oder gar öffentlich erklärt haben könnte –, mit diesem


Mittelenglischen. Doch behauptet der Dichter, die Engländer würden das
Zeichen allgemein den »endlosen Knoten« nennen. Zumindest soviel kann
man dazu sagen: Das Fehlen von anderen Belegen muß zufällig sein, denn
die verwendete Form penta(u)ngel weist bereits deutliche Spuren
volkssprachlichen Gebrauches auf, da sie durch die Verbin dung mit angle
(Eck, Winkel) von dem korrekt lateinischen pentaculum abgezweigt ist.
Außerdem sagt der Dichter zwar viel über die symbolische Bedeutung der
Figur, spricht im übrigen aber so, als könnte das Publikum sie sich gut
vorstellen.

Der Versuch, diese komplexe Figur und ihre Symbolik zu be schreiben,

überstieg sogar die nicht geringen Fähigkeiten unseres Dichters im
Gebrauch des alliterierenden Langver ses. Da ihre Bedeutung zum Teil die
wechselseitige Verbun denheit des religiösen Glaubens mit Pietät und
Höflichkeit in menschlichen Beziehungen war, bringt jedenfalls der Ver
such, »Tugenden« aufzuzählen, nur die Willkürlichkeit ihrer Einteilung und
ihrer individuellen Benennungen zu einer bestimmten Zeit zum Vorschein,
ebenso wie das ständige In einanderfließen ihrer Namen (wie pite oder
fraunchyse) von Epoche zu Epoche.

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Zeichen also reitet Sir Gawain von Camelot aus. Seine lange
und gefahrvolle Suche nach der Grünen Kapelle wird kurz und
in groben Zügen hinlänglich geschildert. Hinlänglich,
wohlgemerkt, für das Vorhaben des Dichters, wenn auch den
Kommentatoren manche Stellen flüchtig und andere dunkel
erscheinen. Der Dichter hat es eilig, das Schloß zu erreichen,
wo die Versuchung wartet. Um alle weiteren Einzelheiten, ehe
das Schloß in Sicht kommt, brauchen wir uns hier nicht zu
kümmern. Und wenn wir einmal da sind, werden wir nur
darauf achten, was der Autor aus dem Schloß gemacht hat,
nicht auf die Stoffe, die er dabei verwendet hat und die
vermutlich für einen ganz anderen Zweck bestimmt waren.

Und wie findet Gawain das Schloß? Als Erhörung eines

Gebets! Er ist schon seit Allerheiligen unterwegs. Nun ist es
Heiligabend, und er hat sich im Waldesdickicht einer fremden,
öden Gegend verirrt; seine größte Sorge aber gilt der Messe am
Weihnachtsmorgen, die er keinesfalls versäumen will. Er ist:


troubled lest a truant at that time he should prove from the
service of the sweet Lord, who on that selfsame night of a
maid became man our mourning to conquer. And therefore
sighing he said: »I beseech thee, O Lord, and Mary, who is
the mildest mother most dear, for some harbour where with
honour I might hear the Mass and thy Matins tomorrow. This
meekly I ask, and thereto promptly I pray with Pater and Ave
and Creed.«

(32.751-8)

… besorgt, seine Pflicht zu versäumen, den Dienst unseres Herrn, der in

selbiger Nacht von einer Jungfrau geboren wurde, um unser Leid zu
besiegen. Und darum betete er seufzend: »Ich bitte dich, o Herr, und deine
liebste und teuerste Mutter Maria, zeige mir eine Herberge, wo ich die
Christmesse hören kann und morgen früh die Matutin! Darum bitte ich in
Demut und will nun das Paternoster, Ave und Credo beten.«

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Nachdem er so gebetet, sein Gewissen erleichtert und sich

dreimal bekreuzigt hat, wird er plötzlich durch das Gehölz
hindurch einer schönen weißen Burg ansichtig und reitet hin,
einem freundlichen Empfang und der Erhörung seines Gebets
entgegen.

Aus welchen uralten Steinen die schimmernde, doch solide

Pracht dieser Burg auch erbaut sein, welche Wendung die
Geschichte noch nehmen oder was für Einzelheiten man
entdecken mag, die der Autor ererbt, aber übersehen oder mit
seinem neuen Vorhaben nicht recht vereinbart hat, eines wird
deutlich: Unser Dichter führt seinen Helden nicht in eine
Höhle von Dämonen und Feinden des Menschengeschlechts,
sondern in eine gesittete, christliche Halle. Der Artushof und
die Tafelrunde werden dort in Ehren gehalten, die
Kirchenglocken läuten zur Vesper, und die milde Luft des
Christentums weht.


On the morn when every man remembers the time that our
dear Lord for our doom to die was born, in every home wakes
happiness on earth for His sake. So did it there on that day
with the dearest delights:

(41.995-8)


Dort soll Gawain sich eine kurze Zeitlang »zu Hause« fühlen.

Unerwartet findet er sich umgeben von einer Geselligkeit und
Lebensweise, wie sie ihm am liebsten ist und wo seine Freude
am artigen Umgang und seine Gewandtheit ihm höchste Ehren
eintragen.

An dem Morgen, wenn alle Menschen der Zeit gedenken, als unser lieber

Herr geboren wurde, um für unser Schicksal zu sterben, erwacht um
seinethalben in jedem Haus auf Erden die Freude. So auch hier an diesem
Tag mit dem reinsten Entzücken.

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Und doch hat seine Versuchung schon begonnen. Vielleicht

bemerken wir es nicht gleich beim ersten Lesen, aber der
zweite Blick zeigt uns, daß diese merkwürdige Geschichte,
diese mayn meruayle (ob wir ihr nun Glauben schenken oder
nicht), von geschickter Hand und nach dem Ermessen eines
klugen und noblen Geistes sorgsam umgestaltet worden ist.
Gerade in einer Umgebung, wie Gawain sie gewohnt ist und
wo er bisher höchstes Ansehen genießt, innerhalb der
Christenheit und als Christ soll er auf die Probe gestellt
werden. Ihm selbst gilt die Probe und allem, wofür er steht.

Und wenn das Pentagramm mit seinem Anflug von gelehrter

Pedanterie, der dem künstlerischen Instinkt eines erzählenden
Dichters zu widerstreiten schien

, uns für einen Augenblick

vielleicht hat befürchten lassen, man werde uns statt einer Mär
bloß eine formelhafte Allegorie auftischen, so werden wir nun
sogleich beruhigt. Die »Vollkommenheit« ist dem Gawain nur
als Maßstab mitgegeben (denn kein geringeres Ideal würde
ihm auch nur die Annäherung an sie erlauben), doch er selbst
wird nicht als mathematisch genaue Allegorie hingestellt,
sondern als Mann und menschliches Individuum. Sogar seine
höfische Artigkeit ist nicht bloß ein verwirklichtes Ideal oder
eine Mode dieser vorgestellten Zeit, sondern geht aus seinem
Charakter hervor. Er genießt sehr lebhaft den liebenswürdigen
Umgang mit den edlen Damen, und weibliche Schönheit
vermag ihn auf der Stelle tief zu bewegen. Dies zeigt sich bei
seiner ersten Begegnung mit der schönen Burgherrin. Gawain
hat die Abendandacht in der Kapelle besucht, und nach dem
Gottesdienst kommt die Dame aus ihrem privaten Kirchenstuhl
hervor.

»Und warum das Pentagramm diesem edlen Fürsten so ge mäß ist, will ich

Euch nun erzählen, auch wenn meine Ge schichte dadurch aufgehalten
wird.« (27.623/4)

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And from her closet she came with many comely maidens.
She was fairer in face, in her flesh and her skin, her
proportions
, her complexion, and her port than all others,
and more lovely than Guinevere to Gawain she looked. He
came through the chancel to pay court to her grace;

(39.951-8)


Es folgt eine kurze Beschreibung ihrer Schönheit, im

Kontrast zu der Häßlichkeit der runzligen Alten, von der sie
begleitet wird:

for if the younger was youthful, yellow was the elder;
with rose-hue the one face was richly mantled,
rough wrinkled cheeks rolled on the other;
on the kerchiefs of the one many clear pearls were,
her breast and bright throat were bare displayed,
fairer than white snow that falls on the hills;
the other was clad with a cloth that enclosed all her neck,
enveloped was her black chin with chalk-white veils…

(39.951-8)

∗∗


When Gawain glimpsed that gay lady that so gracious
looked,
with leave sought of the lord towards the ladies he went;

Und von ihrem Kirchenstuhl kam sie mit vielen ansehnlichen Mägden. An

Leib und Gesicht, Haut und Gestalt, Farbe und Bewegung war sie schöner
als alle andern, liebreizender noch als Guinevere, so schien es Gawain. Er
ging durch den Chorraum, ihrer Anmut zu huldigen.

∗∗

Denn so blühend jung die eine war, so welk war die ältere; voller

Rosenfarben das Gesicht der einen, schlaff und runzlig die Wangen der
andern; das Mieder der einen, mit vielen reinen Perlen besetzt, gab die Brust
und den weißen Hals frei, leuchtend wie neuer Schnee auf den Bergen; die
andere trug ein Tuch hoch um den Hals, mit kreideweißen Schleiern um ihr
schwärzliches Kinn…

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the elder he saluted, low to her bowing, about the lovelier
he laid then lightly his arms and kissed her
in courtly wise with courtesy speaking.

(40.970-4)


Tags darauf dann sitzt er beim Weihnachtsmahl auf dem

Thronsitz neben ihr; und von all der Pracht und Heiterkeit des
Festes will der Autor, wie er sagt, nur das Entzücken dieser
beiden schildern.


Yet I ween that Gawain and that woman so fair
in companionship took such pleasure together
in sweet society soft words speaking,
their courteous converse clean and clear of all evil,
that with their pleasant pastime no prince’s sport compares.
Drums beat, and trumps men wind,
many pipers play their airs;
each man his needs did mind,
and they two minded theirs.

(41.1011-19)

∗∗


So geht es zu auf der Burg, aber noch ist die Situation nicht

ganz fertig. Obgleich Gawain sich ein Weilchen Ruhe gönnt,
vergißt er nicht, was er vorhat. Vier Tage lang beteiligt er sich
an den Lustbarkeiten, doch am Abend des vierten Tages, als

Als Gawain die schöne Dame erblickte, die ihn so freundlich ansah, ging

er mit Erlaubnis des Burgherrn zu den beiden. Die Ältere begrüßte er mit
einer tiefen Verbeugung; die Lieblichere umarmte er kurz, küßte sie nach
höfischer Sitte und führte artige Reden.

∗∗

Doch mein’ ich, daß Gawain und die Schöne aneinander so viel

Vergnügen fanden, im freundlichen Umgang, unter artigen Worten und
vertraulichen Gesprächen fern von allem Bösen, daß sie sich fürstlich
amüsierten. Trompeten spielten, Trommeln und Flöten; jedermann
vergnügte sich nach eigener Laune, und die beiden nach der ihren.

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vom alten Jahr nur noch drei Tage bleiben, ehe er sich zu
Neujahr am verabredeten Ort einfinden muß, bittet er, sich für
den nächsten Morgen verabschieden zu dürfen. Von seinen
Absichten sagt er nur, daß er verpflichtet sei, einen Ort namens
die Grüne Kapelle zu suchen, den er bis zum Neujahrsmorgen
erreichen müsse. Darauf erfährt er von dem Burgherrn, er
könne sich in Ruhe noch drei weitere Tage von den
Entbehrungen seiner Fahrt erholen, denn die Grüne Kapelle
liege keine zwei Meilen weit entfernt. Ein Führer, der ihn am
Neujahrsmorgen dorthin bringe, werde sich finden.

An dieser Stelle nimmt der Autor eine seiner vielen

geschickten Verbindungen zwischen älteren märchenhaften
Elementen und dem Charakter Gawains vor (so wie er ihn
schildert), um die Geschichte in seinem Sinne fortführen zu
können. Im folgenden erkennen wir die Gestalt des
gefährlichen Gastgebers, dem man in allem gehorchen muß, so
töricht oder empörend es auch scheinen mag; aber wir
erkennen auch die Warmherzigkeit, fast möchte man sagen,
den stürmischen Übereifer des höfischen Anstandes, der den
Helden charakterisiert. Genauso wie er sich bei der
Bekräftigung des Vertrages mit dem Grünen Ritter durch sein
großartiges »Komme, was da kommen mag« mehr
Verpflichtungen aufgeladen hat, als ihm lieb ist, ruft er nun vor
Freude und Dankbarkeit aus:


»Now I thank you a thousand times for this beyond all! Now
my quest is accomplished, as you crave it, I will dwell a few
days here, and else do what you order.«

(44.180-2)

»Nun dank’ ich Euch tausendmal über alles dafür! Nun bin ich am Ziel

meiner Fahrt, und wie Ihr verlangt, bleib’ ich ein paar Tage hier und tu’
dann, was Ihr befehlt.«

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Der Burgherr läßt sich das nicht zweimal sagen und nimmt

ihn beim Wort: Gawain soll lange ausschlafen und dann mit
der Dame des Hauses den Tag verbringen, während der Herr
auf Jagd geht. Und dann schlägt er dem Helden einen
augenscheinlich absurden Pakt vor:

»One thing more«, said the master, »we’ll make an

agreement: whatever I win in the wood at once shall be yours,
and whatever gain you may get you shall give in exchange.
Shall we swap thus, sweet man – come, say what you think! –
whether one’s luck be light, or one’s lot be better?«

»By God«, quoth good Gawain, »1 agree to it all, and

whatever play you propose seems pleasant to me.«

»Done! Tis a bargain! Who’ll bring us the drink?« So said

the lord of that land. They laughed one and all; they drank and
they dallied, and they did as they pleased, these lords and
ladies, as long as they wished, and then with customs of
France and many courtly phrases they stood in sweet debate
and soft words bandied, and lovingly they kissed, their leave
taking. With trusty attendants and torches gleaming they were
brought at the last to their beds so soft, one and all.

Yet ere to bed they came,
he the bargain did oft recall;
he knew how to play a game
the old governor of that hall.
(45,1105-25)

»Noch etwas«, sagte der Hausherr, »machen wir einen Vertrag: Was ich

im Wald erbeute, soll Euch gehören, und dafür bekomm’ ich von Euch, was
Ihr hier erlangt habt. Sollen wir so tauschen, lieber Freund – sagt, was Ihr
denkt! –, ob nun der eine weniger Glück hat oder mehr?« – »Bei Gott«,
sprach Gawain, »ich bin mit allem einverstanden, und jede Wette, die Ihr
vorschlagt, ist mir genehm.« – »Abgemacht! Die Wette gilt! Wer bringt uns
den Trunk?« So sprach der Herr jenes Landstrichs. Sie lachten alle
miteinander, sie tranken und tändelten und vergnügten sich, die edlen

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Damit endet der zweite und beginnt der dritte Gesang, über

den ich vor allem reden will Über seinen glanzvollen Aufbau
muß ich nicht viel sagen, denn er wurde schon oft bemerkt.
Seine Vortrefflichkeit ist für jeden aufmerksamen Leser wohl
offenkundig (besonders wenn er dem »Sport« jener Zeit und
seinen Einzelheiten ein bißchen Interesse entgegenbringt, aber
notfalls auch ohne diese Voraussetzung): die Art, wie die
Jagden zwischen die Versuchungsszenen eingeschoben
werden; das bedeutsame Diminuendo von den Herden der am
ersten Tag erlegten Hirschkühe (im Winter ein echter
wirtschaftlicher Vorteil) bis hin zu dem einen jämmerlichen
Fuchspelz am letzten Tag, im Kontrast zu den immer
gefährlicher werdenden Versuchungen; der dramatische Sinn
der Jagden, die nicht nur die Zeit gliedern und eine doppelte
Perspektive offenhalten, so daß alle drei Hauptfiguren ständig
in Sicht bleiben, sondern auch die drei entscheidenden Tage
des einen Jahres, in dem sich die ganze Handlung abspielt,
lang und schicksalsschwer machen – all dies bedarf keiner
Erläuterung. Aber die Jagden haben noch einen anderen
Zweck, der für die Behandlung der Geschichte in dieser
Fassung wesentlich ist und der meinem Thema näherliegt. Wie
schon angedeutet, wird jeder Vergleich mit ähnlichen Werken,
besonders den weniger höfischen, oder auch jede genaue
Lektüre ohne Heranziehung anderer Texte zeigen, daß unser
Dichter sich alle Mühe gegeben hat, den Ort der Versuchungen
nicht als ein zauberisches Luftschloß oder einen Feienpalast
erscheinen zu lassen, sondern als eine echte Ritterburg, in der


Herren und Damen, solange sie wollten, und dann, mit französischer
Artigkeit und vielen wohlgesetzten Reden standen sie in liebenswürdigem
Gespräch beisammen und wechselten leise Worte und küßten sich herzlich
zum Abschied. Dank der getreuen Diener und der hellen Fackeln fanden sie
am Ende in ihre weichen Betten, einer wie der andere. Doch ehe alles
schlief, dachte Gawain noch oft an diese Wette. Der verstand sich auf
solche Spiele, der alte Herr dieses Hauses!

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die höfischen Regeln, die Gastfreundschaft und die Moral
gelten. Dabei spielen die Jagden eine wichtige Rolle. Der
Burgherr verhält sich so, wie man es von einem reichen
Landgrafen zu dieser Jahreszeit tatsächlich erwarten kann. Er
muß aus dem Wege sein, verschwindet aber nicht einfach und
bleibt auch nicht auf mysteriöse Weise im Hintergrund. Seine
Abwesenheit und die um so größere Zugänglichkeit der Dame
finden eine natürliche Erklärung, und dies trägt dazu bei, daß
auch die Versuchungen natürlicher und auf eine normale
moralische Ebene gerückt erscheinen.

Wer diese Geschichte

5

tatsächlich zum erstenmal liest oder

hört, wird wohl, und ich bin sicher, daß es der Autor so
beabsichtigt hat, ebensowenig wie Sir Gawain (dies wird klar
gezeigt) einen Verdacht schöpfen, daß es sich bei den
Versuchungen um eine »gestellte« Affäre handelt, eine der
Gefahren und Prüfungen, um derentwillen man ihn von Artus’
Hofe weggelockt hat, um seinen Untergang oder seine
Entehrung herbeizuführen. Man kann sich sogar fragen, ob der
Autor hier nicht zu weit gegangen ist. Hat nicht seine Intrige
eine große Schwäche? Alles, wenn man von der
ungewöhnlichen, aber nicht unglaubhaften Pracht absieht, alles
geht so normal zu auf dieser Burg, daß man sich bei näherer
Überlegung bald fragen muß, was passiert wäre, wenn Gawain
die Prüfung nicht bestanden hätte. Denn wir erfahren am Ende,
daß der Burgherr und seine Gattin in stillem Einverständnis
gehandelt haben; dennoch sollte die Prüfung echt sein und
nach Möglichkeit den Helden zu Fall bringen und den Rittern
der Tafelrunde Schande bereiten. Die Dame war tatsächlich
seine erbitterte Feindin. Wodurch aber wurde sie beschützt,
wenn ihr Gatte fort war und sich auf der Jagd in den Wäldern
tummelte? Es wäre keine Antwort auf diese Frage, wollte man
auf alte, barbarische Bräuche oder auf die Erzählungen
hinweisen, in denen ihr Andenken bewahrt ist. Denn der Autor

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führt uns nicht in jene Welt, und wenn er überhaupt etwas von
ihr wußte, hat er sie völlig verworfen. Aber die »Zauberei« hat
er nicht ganz verworfen. Und die Antwort könnte sein, daß das
»Märchenhafte«, obgleich verhüllt oder im Hergang der
Ereignisse als selbstverständlich genommen, in Wahrheit aus
diesem Teil der Erzählung ebensowenig wegzudenken ist wie
aus den anderen, wo es deutlicher und unverändert zutage
liegt, wie etwa beim ersten Auftritt des Grünen Ritters. Nur die
fayrye (240) reicht aus, um die Geschichte von dem Burgherrn
und seiner Gattin verständlich und innerhalb der imaginären
Welt, die der Autor geschaffen hat, tragfähig zu machen.
Ebenso wie Sir Bertilak für die Begegnung bei der Kapelle
wieder grün werden und die Gestalt wechseln kann, so müssen
wir auch von der Dame annehmen, daß sie sich durch eine
plötzliche Verwandlung oder durch eine vernichtende Kraft
hätte schützen können, der Gawain ausgeliefert gewesen wäre,
hätte er der Versuchung auch nur in seinen Wünschen
nachgegeben.

Wenn wir dies bedenken, wird die »Schwäche«

vielleicht sogar zu einer Stärke. Die Versuchung ist echt und
von höchster Gefährlichkeit auf der moralischen Ebene (denn
auf dieser Ebene zählt nur, wie Gawain selbst die Umstände
auffaßt

∗∗

); aber für jeden, der den Unterton der »Mär« in einem

Ritterroman herauszuhören vermag, schwebt im Hintergrund
eine furchtbare Drohung von Unglück und Vernichtung. Das

Ich meine, der Autor, wenn man ihm diese Frage vorlegen könnte, hätte

eine Antwort, denn er hatte sich die ganze Sache überlegt, vor allem
dasjenige, was einen moralischen Aspekt aufwies; und ich glaube, daß seine
Antwort im Idiom seiner Zeit dieselbe gewesen wäre, die ich zu geben
versuche.

∗∗

Ich meine, der Autor, wenn man ihm diese Frage vorlegen könnte, hätte

eine Antwort, denn er hatte sich die ganze Sache überlegt, vor allem
dasjenige, was einen moralischen Aspekt aufwies; und ich glaube, daß seine
Antwort im Idiom seiner Zeit dieselbe gewesen wäre, die ich zu geben
versuche.

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Ringen gewinnt eine Deutlichkeit, die eine bloß realistische
Erzählung von einem frommen Ritter, der einer Versuchung
zum Ehebruch (mit der Frau eines Gastgebers) widersteht,
schwerlich erreichen könnte.

Daß die Szene und die

handelnden Figuren in dieser Weise vergrößert werden, ist eine
Eigenschaft des Märchens; oder besser, es ist eine jener
Eigenschaften, die durch literarische Alchimie herausdestilliert
werden, wenn eine alte, tiefverwurzelte Geschichte von einem
echten Dichter nach seinen eigenen Vorstellungen neu
bearbeitet wird.

Meiner Ansicht nach waren also die Versuchungen des Sir

Gawain, sein Verhalten dabei und die Kritik seines
Ehrenkodex für unseren Autor das Wichtigste an der
Geschichte, dem alles andere untergeordnet wurde. Ich will
dies nicht weiter begründen. Gewicht, Länge und detaillierte
Ausführung des dritten Gesangs (und des zweiten, in dem die
Situation abgesteckt wird) zeigen zur Genüge, wie schon
gesagt, worauf der Dichter sein Augenmerk zumindest in der
Hauptsache gerichtet hatte.

Ich möchte nun auf die Versuchungsszenen eingehen,

besonders auf die Stellen, die wohl am meisten über die
Absicht und Auffassung des Dichters besagen, die
Schlüsselstellen für die Beantwortung der Frage, wovon dieses
Gedicht, so wie er es uns darbietet, eigentlich handelt. Dazu ist
es nötig, sich die Gespräche zwischen Gawain und der
Burgherrin noch einmal ins Gedächtnis zu rufen.

Im maschinengeschriebenen Text stand hier: »nicht er reichen könnte.

Oder nicht erreichen würde. Denn auf diese Weise wird die wirkliche
Spannung spürbar gemacht, die man in der Erzählung von einem
moralischen Ringen spüren sollte.« Als »nicht erreichen könnte« zu
»schwer lich erreichen könnte« verändert wurde, wurde zugleich der
folgende Satz wie zur Herausnahme in Klammern ge setzt. [Hg.]

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(Hier wurden die Versuchungsszenen in Übersetzung

vorgelesen.)

Aus diesen Szenen möchte ich nun einige ausgewählte

Stellen näher besprechen. Am 29. Dezember tritt die Dame in
Gawains Schlafzimmer, ehe er noch ganz wach ist, setzt sich
auf den Rand seines Bettes und umarmt ihn, als er sich
aufrichten will (49.1224/5). Sie sagt, daß sie beide ganz allein
seien, und läßt keinen Zweifel an ihren Absichten. Es ist
wichtig, hier anzumerken, daß manche Kritiker, die darin einen
Fehler der Dame sehen wollen (was in Wahrheit nur bedeuten
könnte, einen Fehler des Dichters), sicherlich ihrerseits einen
Fehler begehen. Die Dame ist sehr schön, und wie wir schon
gehört haben, fühlte Gawain sich vom ersten Augenblick an
mächtig zu ihr hingezogen. Sie unternimmt nicht nur bei dieser
Gelegenheit einen lebhaften Verführungsversuch, sondern sagt
ihm auch, daß die Versuchung in Kraft bleiben werde, solange
sie zusammen sind.
Von da an treibt alles, was sie miteinander
tun und reden, auf einen Ehebruch zu.

Nach der ersten Verführungsszene wird bis zum nächsten

Besuch der Dame in Gawains Zimmer von keinem
vertraulichen Gespräch zwischen ihnen beiden mehr berichtet;
sie treffen sich nun immer in Anwesenheit der älteren
Begleiterin oder in größerer Gesellschaft, wie an den Abenden,
wenn der Burgherr von der Jagd heimgekehrt ist – abgesehen
von dem Abend nach der zweiten Versuchung. Und wir
können die eingetretene Veränderung wohl ermessen, wenn
wir die Szene nach dem Abendessen am 30. Dezember mit der
ungetrübten Stimmung beim Mittagsmahl am Weihnachtstage
(in der auf Seite 115 zitierten Stelle) vergleichen:


Much gladness and gaiety began then to spring round the fire
on the hearth, and freely and oft at supper and later: many

Dieser Hinweis stammt vom Verfasser. Siehe dazu das Vor wort. [Hg.]

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songs of delight, such as canticles of Christmas, and new
carol-dances, amid all the mannerly mirth that men can tell
of; and ever our noble knight was next to the lady. Such
glances she gave him of her gracious favour, secretly stealing
sweet looks that strong man to charm, that he was passing
perplexed, and ill-pleased at heart. Yet he would fain not of
his courtesy coldly refuse her, but graciously engaged her,
however against the grain the play.

(66.1652-62)

Dies scheint mir eine plausible Übersetzung für eine Passage

zu sein, in der uns der Wortlaut und möglicherweise auch die
Textgestalt manche Probleme aufgeben; doch weder diese
Wiedergabe noch das Original darf man mißverstehen. Gawain
ist nicht abgeschreckt, ihm ist nicht »die Laune verdorben«
worden, sondern er ist in der Stimmung eines Mannes, der
nicht weiß, was er tun soll. Er liegt in den Qualen der
Versuchung. Seine ganze Erziehung gebietet ihm, das
bedenkliche Spiel fortzusetzen; die Dame aber hat die
schwache Seite dieser »Zucht« schon bloßgelegt: In einer
solchen Lage ist dies ein heikles Mittel, wie ein Bündel
Feuerwerkskörper neben einem Pulverfaß. Gleich darauf
mahnen Furcht oder Vorsicht ihn zur Flucht, und er bittet um
Entlassung aus seinem Versprechen, nach dem Geheiß des
Schloßherrn noch drei Tage zu bleiben. Aber wieder ist er
durch Höflichkeitspflichten gebunden. Als Entschuldigung

Freude und Ausgelassenheit kamen auf um das Herdfeuer, und während

des Abendessens und nachher wurden allerlei hübsche Lieder gesungen,
Weihnachtslieder und die neuesten Tänze, unter allen erdenklichen ehrbaren
Scherzen; und die ganze Zeit über wich unser Ritter der Dame nicht von der
Seite. Augen machte sie ihm, so hold und verstohlen, den Wackern zu
bezaubern, daß ihm angst und bange wurde. Doch artig wie er war, konnte
er sie nicht einfach zurückweisen, so sehr ihm das Ganze gegen den Strich
ging.

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kann er nur vorbringen, die Zeit, zu der er verabredet ist, sei
schon nahe, und er wolle lieber schon am nächsten Morgen
aufbrechen. Dies kann der Schloßherr leicht entkräften, indem
er vorgibt, die eigene Vertrauenswürdigkeit in Zweifel
gezogen zu sehen; und er wiederholt sein Versprechen, daß Sir
Gawain die Grüne Kapelle beizeiten erreichen werde. Daß
dieses Fluchtstreben auf seiten Gawains der moralischen
Klugheit (nämlich der Furcht vor sich selbst) und nicht einem
Widerwillen entspringt, wird aus dem Folgenden klar.

Abgesehen von dieser Andeutung jedoch begnügt sich der

Autor in den beiden ersten Szenen mit der Wiedergabe dessen,
was gesagt und getan wurde. Gawains Gefühle (oder die
Ansichten des Autors) werden nicht mitgeteilt. Aber sobald
wir zur dritten Szene kommen, wechselt der Ton. Bisher hat
Gawain es vornehmlich mit einem Problem des höfischen
Anstandes zu tun gehabt, und wir sehen ihn den Verstand und
die guten Manieren, die man ihm nachrühmt, geschickt und
noch immer (bis zum Abend des 30. Dezember) mit einer
gewissen Selbstsicherheit gebrauchen. Aber mit den Strophen
70 und 71 (Zeilen 1750ff.) kommen wir zum »Knoten« der
ganzen Affäre. Gawain ist nun in höchster Gefahr. Flucht als
Vorsichtsmaßnahme hat sich als unmöglich erwiesen, wenn er
nicht sein Wort brechen und die Höflichkeitspflichten gegen
seinen Gastgeber verletzen will.

Sein Schlaf ist von

Todesfurcht getrübt und umdunkelt. Als er die Dame
wiedersieht, begrüßt er sie freudig und voll Bewunderung für
ihre Schönheit. Am letzten Morgen des alten Jahres kommt sie
zum dritten Mal in sein Zimmer:

Mit einem Bleistiftzusatz im Typoskript: »ein Opfer, zu dem er noch nicht

bereit ist« – entweder am Ende des Satzes ein zufügen oder hinter »sein
Wort brechen«. [Hg.]

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in a gay mantle that to the ground was measured
and was fur-lined most fairly with fells well trimmed,
with no comely coif on her head, only the clear jewels
that were twined in her tressure by twenties in clusters;
her noble face and her neck all naked were laid,
her breast bare in front and at the back also.
She came through the chamber-door
and closed it behind her,

wide set a window, and to wake him she called,
thus greeting him gaily with her gracious words of cheer:
»Ah! man, how canst thou sleep,
the morning is so clear!«
He lay in darkness deep,
but her call he then could hear.

In heavy darkness drowsing he dream-words muttered,
as a man whose mind was bemused
with many mournful thoughts,

how destiny should his doom on that day bring him
when he at the Green Chapel the great man would meet,
and be obliged his blow to abide without debate at all.
But when so comely she came, he recalled then his wits,
swept aside his slumbers, and swiftly made answer.
The lady in lovely guise came laughing sweetly,
bent down o’er his dear face, and deftly kissed him.
He greeted her graciously with a glad welcome,
seeing her so glorious and gaily attired,
faultless in her features and so fine in her hues
that at once joy up-welling went warm to his heart.
With smiles sweet and soft they turned swiftly to mirth,
and only brightness and bliss was broached there
between them so gay.

They spoke then speeches good,

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much pleasure was in that play;
great peril between them stood,
unless Mary for her knight should pray.

(69-70.1736-69)

Und damit hören wir zum ersten Mal, seit von dem

Pentagramm und Gawains Schild die Rede war (worauf hier
eigentlich angespielt wird), wieder von der Religion als von
etwas, das höher steht als ein Kodex höfischer Manieren, von
denen sich erwiesen hat und endgültig erweisen wird, daß sie
nicht nur eine letzten Endes untaugliche Waffe, sondern
geradezu gefährlich sind, da sie dem Feind in die Hände
arbeiten.

Gleich darauf fällt zum ersten und einzigen Mal in diesem

hochmoralischen Gedicht, und darum nur um so

In einem bunten Gewand, an den Rändern zierlich mit Pelzen besetzt, das

bis zum Boden herabhing; sie trug keine Haube, nur ein Haarnetz, in das
reine Juwelen in Grüppchen zu je zwanzig eingeflochten waren. Das edle
Gesicht und der Hals waren bloß, ebenso Brust und Rücken. Sie trat ins
Zimmer, schloß hinter sich die Tür, riß ein Fenster auf und rief laut, um den
Ritter zu wecken, und fröhlich scheltend: »O Mann, wie könnt Ihr so lange
schlafen an diesem schönen Morgen?« Er lag tief in einem schweren
Schlaf, aber ihren Ruf konnte er hören.
Dunkle, beklommene Traumwörter murmelte er vor sich hin, bedrückt von
vielen trüben Gedanken, was das Schicksal wohl für ihn bereithalte an dem
Tage, wenn er dem Mann bei der Grünen Kapelle begegnen würde und sich
ohne Gegenwehr einen Hieb von ihm müßte gefallen lassen. Doch als die
Schöne eintrat, kam er zu sich, schob die Träume beiseite und gab gleich
Antwort. Zärtlich lachend kam sie zu ihm, beugte sich über sein schönes
Gesicht und küßte ihn anmutig. Artig und freundlich begrüßte er sie, als er
sie sah in ihrem prächtigen, reizenden Aufputz und mit ihrer fehlerlosen
Gestalt, den zarten Farbtönen ihrer Haut, und vor Freude wurde ihm ganz
warm ums Herz. Sogleich begannen sie zu plaudern und zu scherzen, und
alles, was zwischen ihnen zur Sprache kam, war Freude und Seligkeit.
Schöne Worte wechselten sie und hatten viel Vergnügen dabei, doch
zwischen ihnen stand eine große Gefahr – wenn nicht Maria ihren Ritter
beschirmte.

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nachdrücklicher, das Wort synne, Sünde. Und mehr noch, eine
Unterscheidung wird getroffen, die Gawain selbst vornehmen
muß, die Unterscheidung zwischen der »Sünde« (nach
moralischem Gesetz) und der Verletzung der ritterlichen
Anstandspflichten:


For she, queenly and peerless, pressed him so closely, led
him so near the line, that at last he must needs either refuse
her with offence or her favours there take. He cared for his
courtesy, lest a caitiff he proved, yet more for his sad case, if
he should sin commit and to the owner of the house, to his
host, be a traitor. »God help me!« said he. »Happen that
shall not!«

(71.1770-6)


Das Ende der letzten Versuchungsszene, wenn die Dame

nach ihrer endgültigen Niederlage auf der höheren (oder einzig
wirklichen) Ebene ein völlig anderes Gebaren zeigt, bringt
allerdings eine weitere Komplikation in dieses komplexe
Gedicht, die an gegebener Stelle noch zu erörtern sein wird.
Hier aber müssen wir sogleich zu der an die Versuchung
anschließenden Stelle, zu Gawains Beichte übergehen
(75.1874-84).

Gollancz hat das Verdienst, zu der Beichte, die früher wenig

oder gar nicht beachtet worden war, wenigstens eine
Anmerkung gemacht zu haben.

∗∗

Aber an der Sache oder an

Denn die edle, unvergleichliche Schöne trieb ihn so sehr in die Enge, bis

dicht an die Grenze, wo er kaum mehr umhin konnte, sie entweder durch
eine Zurückweisung zu kränken, oder aber zu nehmen, was sie gewährte.
Viel lag ihm daran, den Anstand zu wahren und kein Flegel zu sein; mehr
aber fürchtete er das Los des Sünders, wenn er sich dem Hausherrn, seinem
Gastgeber, untreu erwiese. »Gott sei davor!« sagt’ er. »Das soll nicht
geschehen.«

∗∗

Die Rede ist von Sir Israel Gollancz, Hg. Sir Gawain and the Green

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den Sachen geht er völlig vorbei. Diese möchte ich nun
gesondert behandeln. Es ist wohl keine Übertreibung, zu
sagen, daß die gesamte Deutung und Bewertung des Gedichtes
davon abhängt, was man von der dreißigsten Strophe des
dritten Gesanges [Strophe 75] hält. Entweder wußte der
Dichter, was er tat, meinte, was er sagte, und stellte diese
Strophe dorthin, wo er sie haben wollte – und dann müssen wir
sie gewissenhaft lesen und seine Absichten bedenken; oder
aber er wußte es nicht und war bloß irgendein gedankenloser
Versemacher, der konventionelle Szenen aneinanderreihte, und
dann verdiente sein Werk überhaupt keine Beachtung,
allenfalls als Rumpelkammer halbvergessener und kaum zur
Hälfte verstandener alter Geschichten und Motive, einfach ein
Märchen für Erwachsene, und nicht einmal ein besonders
gutes.

Letzteres dachte offenbar Gollancz, denn er macht die

erstaunliche Anmerkung, daß Gawain, obwohl der Dichter es
nicht bemerkt (!)
, eine frevlerische Beichte ablegt. Denn er
verheimlicht den Umstand, daß er den Gürtel angenommen
hat, mit der Absicht, ihn zu behalten.
Das ist blanker Unsinn.
Wie wir sehen werden, ist es auch aus dem Text nicht zu
belegen. Aber zuerst einmal ist es ganz unglaublich, daß ein
Dichter von so tiefem Ernst

, der in ausdrücklich moralischer

Absicht schon einen langen Exkurs über das Pentagramm und
Gawains Schild eingefügt hat, in einer Passage über die
Beichte und die Absolution (für ihn ein ehrfurchtgebietendes
Thema, was auch die heutigen Kritiker davon halten mögen)
ganz nebenbei und ohne es zu »merken« so eine Kleinigkeit


Knight, Early English Text Society 1940, S. 123, An merkung zu Vers
1880. [Hg.]

Und ein Dichter, kann man hinzufügen, der, wie nicht ernstlich zu

bezweifeln ist, auch Pearl geschrieben hat, um von Purity und Patience gar
nicht zu reden.

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wie ein Sakrileg anbringen sollte. Wenn er ein solcher Esel
war, fragt man sich, warum Gelehrte die Mühe nicht scheuen,
seine Werke herauszugeben.

Sehen wir also in den Text. Zuerst einmal: Der Autor macht

keine näheren Angaben darüber, was Gawain gebeichtet hat;
daher können wir auch nicht sagen, was er ausgelassen hat,
und es ist mutwillig und albern, zu behaupten, er habe etwas
verheimlicht. Wir erfahren jedoch, daß er schewed his
mysdedez, of pe more and pe mynne,
das heißt, beichtete alle
seine Sünden (oder alle, die zu beichten nötig war), die großen
wie die kleinen. Sollte das noch nicht eindeutig genug sein, so
wird noch klarer gemacht, daß es eine gute Beichte war und
keine »frevlerische«; und von der Absolution wird versichert,
daß sie gültig war:

There he cleanly confessed himself and declared his
misdeeds, both the more and the less, and for mercy he
begged, to assolve him of them all he besought the good man;
and he assoiled him and made him as safe and as clean as for
Doom’s Day indeed, were it due on the morrow.

(75.1880-4)

∗∗


Und, wie wenn das noch nicht genügte, beschreibt der

Dichter auch noch, wie Gawains Herz nachher leichter ist:

Denn die Gültigkeit einer Beichte hängt ganz und gar von der inneren

Verfassung des Bußfertigen ab; und die Worte des Priesters können böse
Absichten oder willentlich ver heimlichte Sünden nicht gutmachen.

∗∗

Dann beichtete er alle seine Sünden, die größeren wie die geringeren,

flehte um Vergebung, und dann bat er den guten Mann, ihn von allen
loszusprechen. Und der Priester erteilte ihm die volle Absolution, so daß er
ruhig und rein wurde wie für den Jüngsten Tag, wenn er morgen
bevorstünde.

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Thereafter more merry he made among the fair ladies,
with carol-dances gentle and all kinds of rejoicing,
than ever he did ere that day,
till the darkness of night, in bliss.

Each man there said: »I vow
a delight to all he is!
Since hither he came till now,
he was never so gay as this.«

(75.1885-92)


Muß ich erst sagen, daß seine Herzensverfassung nicht die

eines Menschen ist, der einen Beichtfrevel begangen und
Sünden willentlich verheimlicht hat?

Gawains Beichte wird also als richtig dargestellt. Den Gürtel

aber behält er. Dies kann kein Zufall oder Versehen sein. Wir
sind also gezwungen, uns über die vom Autor bewußt so
angelegte Situation klarzuwerden; wir werden gedrängt, uns
die Beziehung all dieser Spiel-, Verhaltens- und
Höflichkeitsregeln zur Sünde, zur Moral zu vergegenwärtigen,
zu denjenigen Werten, die der Autor für ewig und universell
erachten würde. Und eben dies ist sicherlich der Grund, warum
die Beichte eingefügt ist, und zwar an dieser Stelle. In dieser
letzten gefährlichen Notlage sieht sich Gawain gezwungen,
seinen Sitten-»Kodex« in zwei Hälften zu zerreißen und den
Anteil der guten Manieren von dem Anteil der Moral zu
unterscheiden. Wir sind nun gehalten, diesen Fragen weiter
nachzugehen.

Das erste, was aus der Beichte hervorgeht, ist also, daß in der

Sicht des Autors das Behalten des Gürtels keine Missetat oder
Sünde auf der moralischen Ebene gewesen ist. Denn es gibt

Um so mehr und heiterer als je zuvor tanzte und scherzte er dann mit den

schönen Damen, bis zum späten Abend. Und alle waren entzückt von ihm
und sagten: »So froh war er noch nie, seit er hier ist.«

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nur zwei Möglichkeiten: Entweder a) hat Gawain den Gürtel
gar nicht erwähnt, weil er aufgeklärt genug ist, um zwischen
solchem Zeitvertreib und ernsthaften Dingen zu unterscheiden;
oder b) wenn er ihn doch erwähnt hat, so ist er von seinem
Beichtvater eines Besseren belehrt worden. Das erstere ist
wohl weniger wahrscheinlich, weil Gawains Bildung in dieser
Richtung, wie man sagen könnte, eben erst begonnen hat;
hingegen erfahren wir, daß er, bevor er zur Beichte geht, den
Priester um seinen Rat bittet.

Wir haben damit eigentlich den Schnittpunkt zweier Ebenen

erreicht: eines wirklichen und dauernden Wertgefüges und
eines unwirklichen und vergänglichen, der Moral einerseits
und eines Ehrenkodex oder eines Regelspiels andererseits. Die
persönlichen Verhaltensregeln der meisten Menschen waren
und sind vielfach noch heute aus einem dichten Gemisch
dieser beiden Elemente zusammengesetzt, und Brüche an
bestimmten Stellen dieses persönlichen Wertgefüges haben
dann einen ganz ähnlichen emotionalen Beigeschmack. Nur
eine Krise oder (seltener) gründliches Nachdenken ohne Krise
werden zur Entwirrung der verschiedenen Elemente führen;
und dieser Vorgang, wie Gawain entdeckt, kann schmerzhaft
sein.

Ein »Regelspiel« kann sich natürlich ebensogut mit trivialen

wie mit wichtigeren Angelegenheiten beschäftigen, etwa mit
Spielkarten als der untersten Stufe der Skala. Je mehr sich das
Spiel mit echten Pflichten und Angelegenheiten beschäftigt
oder verquickt, desto größer wird seine moralische Tragweite;

Ich behaupte natürlich nicht, daß eine echte Übereinkunft, auch eine

solche, die nur zum Zeitvertreib geschlossen wird, keinerlei moralische
Bedeutung habe und keine Verpflich tungen mit sich bringe. Aber ich meine
wohl, daß nach An sicht des Autors eine »Weihnachtsbelustigung« wie der
Pakt zwischen Gawain und dem Burgherrn nicht in diese Kategorie gehört.
Ich komme später noch darauf zurück.

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was man tut oder nicht tut, bestimmt sich nun von zwei Seiten
her, vom Ritual oder den Spielregeln und von den ewigen
Regeln; und um so mehr Anlässe gibt es daher für ein
Dilemma, einen Konflikt der Regeln. Je ernster man das Spiel
nimmt, desto schärfer und schmerzlicher das Dilemma. Sir
Gawain (so wie er dargestellt wird) gehört nach Klasse,
Tradition und Erziehung zu jener Menschenart, die ihre Spiele
sehr ernst nimmt. Er leidet schmerzlich. Eben aus diesem
Grunde, könnten wir sagen, wurde er zum Helden auserwählt –
von einem Autor, der zur gleichen Klasse und Tradition
gehörte und der von innen her wußte, wie ihm zumute war, den
aber zugleich auch die Probleme moralischen Tuns
beschäftigten und der über sie nachgedacht hatte.

Hier könnte man sich berechtigt fühlen, die Frage

einzuwerfen: »Aber ist es denn nicht ein Kunstfehler, ein
poetischer Mißgriff, etwas so Ernstes wie eine echte Beichte
und Absolution sich an dieser Stelle eindrängen zu lassen?
Warum wird die Aufmerksamkeit des Lesers so gewaltsam auf
diesen Wertkonflikt gelenkt (der ihn vielleicht gar nicht
sonderlich interessiert)? Warum sollten überhaupt solche
Dinge in einem Märchen zur Sprache kommen, warum müssen
Absurditäten wie der Austausch der Jagdbeute gegen Küsse so
ernsthaft behandelt werden?«

Ich kann mir im Augenblick mit der Beantwortung dieser

Frage nicht viel Mühe geben; denn einstweilen möchte ich vor
allem, wenn es möglich ist, zeigen, daß der Autor des
Gedichtes tatsächlich ebendies getan hat, und daß seine
Bearbeitung des Stoffes unerklärlich oder weithin
unverständlich bleiben wird, wenn man dies nicht erkennt.
Wenn man mir die Frage aber stellte, würde ich antworten:
Das Gedicht hat eine Kraft und Lebendigkeit, die fast
allgemein anerkannt werden. Es ist wahrscheinlicher, daß diese
von dem moralischen Ernst des Autors ausgehen, als daß sie

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sich trotz des Ernstes erhalten haben. Aber es kommt
großenteils darauf an, was der Leser will oder zu wollen meint.
Wollen Sie vom Autor verlangen, daß er die Ziele verfolgt, die
Sie bei ihm erwarten, oder die Ansichten hegt, die Ihnen lieber
wären? Daß er zum Beispiel ein anthropologischer
Altertumsforscher gewesen wäre? Oder hätte er sich einfach
damit zufrieden geben sollen, ein fesselndes Märchen gut zu
erzählen, so daß eine für Unterhaltungszwecke ausreichende
literarische Glaubhaftigkeit erzielt würde? Und wie hätte er das
anfangen sollen, nach den Maßstäben seiner Zeit und seiner
Denkweise? Wäre er nicht, wenn ihm nur dies einfache Ziel
vorgeschwebt hätte (unwahrscheinlich genug in dem
komplexen und didaktischen 14. Jahrhundert), bei einer
solchen Wiederbelebung alter Sagen unvermeidlich in die
Behandlung zeitgenössischer oder ewiger Fragen des
moralischen Tuns hineingeraten? Eben dadurch hat er seine
Figuren aufgefrischt und den alten Geschichten neues Leben
verliehen – etwas ganz anderes als ihre frühere Bedeutung
(über die er vermutlich viel weniger wußte und die ihn mit
Sicherheit viel weniger interessierte als manche Menschen von
heute). Zweifellos ist dies ein Fall, wo neuer Wein in alte
Schläuche gefüllt wurde, und daher gibt es unvermeidlich
manche Risse und Brüche. Aber ich zumindest finde diese
ethische Frage wegen ihres absonderlichen und bizarren
Hintergrundes nur um so lebendiger und für sich genommen
interessanter als alle Vermutungen über primitivere Zeitalter.
Allerdings glaube ich auch, daß das 14. Jahrhundert höher
steht als die Barbarei, und Theologie und Ethik höher als
Volkskunde.

Ich will natürlich nicht behaupten, der Autor müsse sich

bewußtermaßen etwas wie eine Untersuchung des
Verhältnisses zwischen echten und künstlichen

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Verhaltensregeln zum Ziel gesetzt haben, als er die Geschichte
zu bearbeiten anfing.

Ich könnte mir denken, daß er für dieses Gedicht eine ganze

Weile gebraucht und daß er es mehrere Mal überarbeitet hat,
hier etwas erweitert und da etwas gekürzt. Aber die
moralischen Fragen sind nun einmal da; sie stecken in der
Geschichte selbst und werden naturgemäß hervortreten und
Aufmerksamkeit fordern, um so mehr, je realistischer der Stoff
behandelt wird und je mehr der Autor ein Mann von Geist und
Verstand ist und nicht nur ein Geschichtenkrämer. Auf jeden
Fall ist deutlich, daß der Autor, bevor er letzte Hand anlegte,
klar gewußt haben muß, was er wollte: nämlich ein
»moralisches« Gedicht schreiben, eine Studie über ritterliche
Tugend und Gesittung in einem Belastungszustand; denn er hat
eigens zwei Strophen (»mag es meine Geschichte auch
aufhalten«, und mögen wir auch im Moment nichts davon
hören wollen) über das Pentagramm eingefügt, ehe er den
Ritter zu seiner Bewährungsprobe aufbrechen läßt. Und vor
der Strophe über die Beichte, nach der schwersten Versuchung
des Helden, hat er unsere Aufmerksamkeit schon auf den
Wertkonflikt gelenkt, durch die klare Unterscheidung in den
Zeilen 1773/4, wo das moralische Gesetz über die
Anstandspflichten gestellt und ausdrücklich, durch Gawain
selbst, der Ehebruch als möglicher Teil des vollendet
ritterlichen Verhaltens verworfen wird. Ein sehr
zeitgebundener und sehr englischer Standpunkt!

Die offene

Aufforderung zum Ehebruch aber – in den Zeilen 49.1237-40,

Daß Gawain mit der synne einen weiteren Gesichtspunkt verbindet, durch

den sie noch hassenswerter würde, nämlich den Betrug eines Gastes an
seinem Gastgeber, ist sowohl ethisch berechtigt als auch seinem Charakter
gemäß. Es ist auch sehr richtig für dieses Gedicht, das von einer Loyalität
auf allen Ebenen handelt. Hier sehen wir Gawain eine Illoyalität ablehnen,
die wirklich eine Sünde gewesen wäre, so daß wir den Mangel an Loyalität,
der ihm später vorge worfen wird, im rechten Maßstab sehen können.

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und dies ist sicher einer der Gründe, warum sie an den Anfang
gestellt wurde – läßt uns die Hohlheit all der höfischen
Tändeleien, die nun folgen, erkennen. Denn von diesem
Augenblick an kann Gawain keinen Zweifel mehr haben, was
die Dame vorhat: to hafwonnen hym to wore (»ihn zu
Liebesbeweisen zu locken«, 61.1550). Er wird an zwei Fronten
angegriffen und hat die Haltung der »Dienstbarkeit«, die
vollkommene Unterwerfung des ritterlichen »Knechts« unter
das Wünschen und Wollen der Dame, in Wahrheit von Anfang
an aufgegeben; dennoch bemüht er sich im ganzen Fortgang,
den verbalen Schein dieser Haltung, die Glätte des höfischen
Redens und Betragens zu wahren.


by God, I would be glad, if good to you seemed whatever I
could say, or in service could offer to the pleasure of your
excellence – it would be pure delight.

(50.1245-7)


But I am proud of the praise you are pleased to give me, and
as your servant in earnest my sovereign I hold you…

(51.3277/8)


All your will 1 would wish to work, as I am able, being so
beholden in honour, and, so help me the Lord, desiring ever
the servant of yourself to remain.

(61.1546-8)

Bei Gott, ich wäre froh, wenn ich Euch in Wort oder Tat dienen und zu

Gefallen sein könnte – dies wär mir eine reine Freude… Doch bin ich stolz
auf Euer Lob, das Ihr mir so großzügig spendet, und als Euer Diener erachte
ich mich in vollem Ernst und Euch als meine Herrin… Ich will tun, was Ihr
wollt, so gut ich kann, bleibe Euch tief verbunden, so wahr mir Gott helfe,
als Euer getreuer Diener für immer.

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All diese Äußerungen sind nun reine Spiegelfechtereien,

nicht viel mehr als ein Teil der weihnachtlichen Belustigungen,
nachdem das wylnyng (»Begehren«, 1546) der Dame ein für
allemal zurückgewiesen ist.

Nur noch durch höfische Gewandtheit der Rede und des

spielerischen Umgangs kann Gawain es vermeiden, sich offen
crapayn zu betragen, und vileinye zu bekunden, das heißt, sich
bäurisch oder brutal offen auszudrücken (ob zutreffend oder
nicht).

Obwohl er entwaffnend liebenswürdig bleibt, wird

doch das Gebot, daß er den Wünschen der Dame »dienstbar«
sein müsse, faktisch gebrochen. Und der Beweggrund für
diesen Ungehorsam und für seine geschickte Verteidigung
kann von Anfang an nur ein moralischer gewesen sein, obwohl
er erst in 71.1773/4 genannt wird. Hätte es keinen anderen
Ausweg gegeben, hätte Gawain sogar auf die Höflichkeit
verzichten und die Dame verletzend zurückweisen müssen
(1772). In keinem Augenblick kommt er der Wahrheit näher,
als wenn er versichert, keine andere Geliebte zu haben und
vorerst auch keine haben zu wollen (71.1790/1), was trotz des
glatten Lächelns deutlich genug ist, für die Dame das
Schlimmste, was er ihr nur sagen kann (72.1792). Aber sie
bedrängt ihn nicht weiter, ohne Zweifel, weil der Autor das
freundliche Äußere seines Helden nicht in die Brüche gehn
lassen wollte. Der Autor wußte gute Manieren und das
Vermeiden der »vileinye« zu schätzen, wenn sie auf Tugend

So sagt Chaucer von seinem perfit gentil knight, daß er neuer yet no

vileinye ne sayde… vnto no maner wight; und später ver teidigt er sich
blendend gegen den Vorwurf der vileinye (näm lich einer rohen und
gemeinen Sprache), den man gegen seine derberen Geschichten und
Charaktere erheben könnte.

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gegründet waren – einem Destillat des Höfischen in der
»höfischen Liebe«, ohne den Ehebruch.

∗∗

Wir müssen also anerkennen, daß die Einfügung der Beichte

an genau dieser Stelle des Gedichtes mit Bedacht geschehen ist
und daß sie die Ansicht des Autors bekundet, daß Spielregeln
und gute Manieren letztlich (für das »Seelenheil«, 75.1879)
nicht wichtig oder jedenfalls der echten Tugend untergeordnet
seien, hinter der sie im Falle des Konflikts zurücktreten
müßten. Sogar der Grüne Ritter erkennt den Unterschied an
und erklärt Gawain für »den makellosesten Mann der Welt«
(95.2363) im Hinblick auf das moralische Hauptproblem.

Aber mit einigen interessanten Kleinigkeiten sind wir noch

nicht fertig. Der Grüne Ritter fährt fort: Bot here yow lakked a
lyttel, sir, and lewte yow wonted
(95-2366). Was ist diese
lewte, an der Gawain es hat fehlen lassen? »Loyalität« oder
»Treue« wäre trotz der Wortverwandtschaft keine gute
Übersetzung, denn darunter verstehen wir heute meist die
Ehrlichkeit und Standhaftigkeit in einer wichtigen persönlichen
Pflicht oder Beziehung (gegen König und Vaterland, gegen
Verwandte oder gute Freunde). »Legalität« wäre ebenfalls
wortverwandt und käme dem Gemeinten näher; denn lewte
konnte einfach das »Festhalten an Regeln« bezeichnen, gleich
welcher Ordnung und welchen göttlichen oder weltlichen
Ranges. So kann unser Autor zum Beispiel die Alliterationen,
die nach metrischen Regeln an bestimmten Stellen in seinen

∗∗

Ob er das Ansinnen der Dame als vileinye bezeichnet haben würde, ist

eine andere Frage. Die Handlungsweisen des Burg herrn und der Dame
werden im Grunde überhaupt nicht be urteilt. Nur das Verhalten Gawains,
als des Vertreters von Anstand und Frömmigkeit, wird aus der Nähe
betrachtet. Was andere tun und sagen, dient im wesentlichen nur dazu, die
Situationen zu schaffen, in denen sein Charakter und Betragen hervortreten
können.

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Versen auftreten, als lel lettres, »loyale Lettern«, bezeichnen
(2.35).

Was für Regeln soll Gawain durch das Annehmen, Behalten

und Verheimlichen des Zaubergürtels verletzt haben? Drei
könnten es sein: Daß er ein Geschenk angenommen hat, ohne
es zu erwidern; daß er den Gürtel als einen Teil seines
»Gewinns« am dritten Tage nicht abgeliefert hat (wie er es
nach dem scherzhaften Pakt mit dem Schloßherrn, dem layke
oder »Spiel«, wie es bezeichnet wird, hätte tun müssen); und
daß er ihn bei dem Treffen mit dem Grünen Ritter zu seinem
Schutz umgelegt hat. Es ist wohl klar, denke ich, daß der
Grüne Ritter nur an die zweite dieser Regelverletzungen denkt.
Er sagt:


The true shall truly repay,
for no peril then need he quake.
Thou didst fail on the third day…

(94.2354-6)

For it is my weed that thou wearest…

(95.2358)

Also er spricht mit Gawain von Mann zu Mann, und als

Widersacher in einem Spiel stellt er ihn zur Rede. Und ich
denke, es ist klar, daß er hier auch die Ansicht des Dichters
ausspricht.

Denn der Dichter war nicht einfältig. Wer eine letztlich

strenge und kompromißlose moralische Haltung einnimmt,
muß nicht unbedingt ein Trottel sein. Vielleicht ist das

Der Ehrliche soll ehrlich entgelten, dann hat er nichts zu befürchten. Am

dritten Tag wart Ihr nicht ehrlich… Denn der Gürtel, den Ihr da tragt, ist
mein…

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Hauptproblem für ihn theoretisch klar gewesen, aber in seiner
Behandlung der Geschichte deutet nichts darauf hin, daß er
moralisches Verhalten in der Praxis für etwas Einfaches und
Müheloses gehalten hätte. Jedenfalls war er, wie wir sagen
könnten, ein Gentleman – mit Humor, den das Nebensächliche
interessierte. Die moralitas seines Gedichtes wird ja durch die
Vorführung des Regelkonflikts auf einer niederen Ebene zwar
komplizierter, aber auch reicher. Er hat ein sehr ansehnliches
kleines Problem an den Tag gebracht oder auf die Beine
gestellt.

Gawain wird von der Dame zur Annahme eines

Abschiedsgeschenks bewogen. Von dem Schönheitsfehler der
»Habsucht« (daß er es ohne Gegengabe nimmt) wird er
ausdrücklich freigesprochen: Er hat nichts, was er ihr geben
könnte, ohne sie durch Ungleichheit der Werte zu beleidigen
(72.1798ff.); an die Schönheit oder den Geldwert des Gürtels
denkt er dabei nicht (81.2037-40). Aber er wird dadurch in
eine Lage gebracht, in der sich unabweisbar der Gedanke
aufdrängt, daß ihm der Gürtel bei der Begegnung mit dem
Grünen Ritter womöglich das Leben retten könne. Nun hat sich
der Autor nirgendwo über die Ethik dieser Enthauptungswette
geäußert; wenn wir diese aber bedenken wollen, so werden wir
nicht finden, daß Gawain irgendeinen Artikel seines Vertrages
bricht, wenn er den Gürtel zu einem solchen Zweck anlegt.
Versprochen hat er nur, in eigener Person zu kommen und
nicht etwa einen Stellvertreter zu entsenden (die
wahrscheinliche Bedeutung der Zeile 17384: wyth no wyellez
on lyue,
»mit niemand anders auf der Welt als mir«); an einem
vereinbarten Tag zur Stelle zu sein und sich ohne Widerstand
einen Hieb gefallen zu lassen. So gesehen, braucht Gawain
wohl keinen Advokaten; obwohl es leicht wäre zu zeigen, daß
Gawain ja seinerseits mit List zu der Abmachung bewogen
wurde, bevor der Grüne Ritter verraten hatte, daß er magischen

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Schutz genoß. Gawains Versprechen könnte man also gut und
gern als ethisch nichtig betrachten, und ein bißchen
Privatmagie von seiner Seite wäre daher nur gerecht. Aber in
einem solchen Rechtsfall wollte der Autor nicht urteilen,
obwohl ihm die Entlastungsgründe nicht unklar waren, denn er
läßt Gawain einwenden, wenn ihm nun der Kopf abfalle, so
könne er ihn nicht wieder aufsetzen (91.2282/3).

Wir reden jetzt also nur von den Vorgängen in der Burg und

dem scherzhaften Pakt mit dem Burgherrn. Gawain hat aus
Furcht vor dem Enthauptetwerden den Zaubergürtel als
Geschenk angenommen. Doch abermals ist er überlistet
worden. Die Dame drängt ihm den Gürtel auf, und im
Augenblick, als er schwach wird und ihn annimmt, läßt sie die
Falle zuschnappen: Sie bittet ihn, ihrem Gatten nichts zu
sagen. Er willigt ein. Etwas anderes hätte er kaum tun können;
aber mit der charakteristischen Großmut, man könnte auch
sagen, der überschwenglichen Großspurigkeit, die wir an ihm
schon bemerkt haben, gelobt er sogleich, auch sonst
niemandem auf der Welt etwas davon zu sagen.

Natürlich

möchte er den Gürtel haben, wegen der gewissen Chance
(allzu fest scheint er nicht daran zu glauben), durch ihn vor
dem Tode bewahrt zu werden; aber auch wenn er ihn nicht
wollte, wäre er mit seiner »Höflichkeit« hier in einem
Dilemma. Den schon angenommenen Gürtel wieder
zurückzuweisen, oder aber die Bitte um Geheimhaltung
abzuschlagen wäre beides nicht eben »höfisch«. Warum er den
Gürtel geheimhalten soll, geht ihn nichts an; vermutlich nur,
um der Dame eine Verlegenheit zu ersparen, denn einen Grund
zu der Annahme, daß er ihr nicht gehörte, gibt es nicht.
Zumindest kann sie ihn ebensogut verschenken wie ihre Küsse,
und in diesem Punkt hat er ihr schon Verlegenheiten erspart,

Was er später – im gleichen Geiste – damit abbüßt, daß er’s aller Welt

erzählt.

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indem er ihrem Gatten nicht sagte, von wem er sie bekommen
hat.

Es wird nicht gesagt, ob Gawain in dem Augenblick, wo

er den Gürtel annimmt und Schweigen gelobt, überhaupt an
seinen scherzhaften Pakt mit dem Burgherrn denkt. Aber
letztlich ist das keine Entschuldigung, denn lange kann er dies
nicht vergessen haben. Wenn der Burgherr abends
heimkommt, muß er sich wieder daran erinnern. Und so ist es.
Es wird nicht gesagt, aber in Strophe 77 wird es an der Eile
deutlich, mit der Gawain den abendlichen Austausch der
Trophäen hinter sich bringt. »Diesmal will ich zuerst zahlen«,
ruft er dem heimgekehrten Burgherrn entgegen (womit er
wieder einmal übers Ziel hinausschießt, ob nun beim Abgeben
oder beim Bruch eines Versprechens, vgl. 1932 – 4).

An dieser Stelle nun und nur hier ertappen wir Gawain bei

einem Fehler, denn immerhin ist es einer. »Ich will als erster
unseren Vertrag erfüllen«, sagt er, aber er tut es nicht, soweit
man den Vertrag irgend gelten läßt. Er sagt nichts von dem
Gürtel. Und ihm ist nicht wohl dabei. »Genug!« ruft er aus, als
der Burgherr sagt (mit einem Hintersinn, den Gawain nicht
bemerken kann, und wir ebensowenig, solange wir die
Geschichte noch nicht bis zum Ende gelesen haben), daß ein
Fuchspelz ein schlechter Gegenwert zu drei Kostbarkeiten wie
Gawains Küssen sei.

Wozu wir allerdings, wenn wir diese märchenhafte Einzelheit einer

Prüfung unterziehen wollten, der sie kaum stand hält, meinen könnten, daß
man einen empfangenen Kuß nicht an jemand anders weitergeben kann; und
wenn oben drein die Herkunft ungenannt bleibt, so wird man nicht gut
sagen können, daß die Küsse der Dame ihrem Gatten abgetreten würden.
Aber selbst dies ist dem Autor nicht entgangen. Die zwei angetäuschten
Axthiebe tun Gawain zwar keinen leiblichen Schaden (94-2353), sind aber
gewiß nicht leicht zu ertragen. Der Grüne Ritter (oder Sir Bertilak) scheint
die Küsse, die Gawain von seiner Gattin erhalten hat, nicht ganz belanglos
zu finden, auch wenn sie nur »aus Höflichkeit« angenommen wurden.

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Jedenfalls, da haben wir’s. Tyme prowe best, aber at pe prid

pou fayled pore. Es ist nicht meine Sache zu behaupten, daß
Gawain überhaupt nicht »gefehlt« habe, denn auch der Autor
war nicht dieser Ansicht. Sondern ich will überlegen, in
welchem Maße und auf welcher Ebene er »gefehlt« hat, soweit
die Meinung des Autors hierzu erkennbar ist; denn an solchen
Fragen nahm er ein tiefes Interesse. Für ihn, soviel scheint mir
aus seiner Behandlung der Geschichte deutlich, gab es drei
solcher Ebenen: eine des scherzhaften Zeitvertreibs mit
Übereinkünften wie der zwischen Gawain und dem Burgherrn;
eine des höfischen Anstands

, ein Kodex edlen oder gesitteten

Betragens, der auch eine besondere Ehrerbietung gegenüber
Frauen umfaßte und der von der Burgherrin so ausgelegt
werden konnte, als ob auch das ernstere und daher
gefährlichere »Spiel« der höfischen Liebe dazu gehöre, so daß
die Anstandspflichten mit den moralischen Gesetzen in
Konkurrenz treten konnten: und drittens die echte Moral, die
Tugenden und Sünden. Diese drei Ebenen konnten einander
widerstreiten, und die niederen müssen dann der höheren
untergeordnet werden. Sobald Gawain auf der Burg eintrifft,
werden Situationen angebahnt, in denen solche Konflikte,
mitsamt einem Verhaltenszwiespalt, auftreten werden. Der

In ihren gewöhnlichen, weltlichen Bedeutungen. Wenn un ser Autor auch

Pearl geschrieben hat (was ich für gewiß halte), so hat er das Vorhaben
derjenigen, die seine Geistesart und seine Ansichten insgesamt verstehen
wollen, da durch erschwert, daß er von »Höflichkeit« dort in einem hö
heren Sinne spricht: nicht von den Sitten irdischer Höfe, sondern des
himmlischen Hofstaates; von göttlicher Groß mut und Gnade und von
unverkürzter Demut und Milde der Seligen; von einem Geiste also, aus dem
auch die weltliche »Höflichkeit« hervorgehen muß, wenn sie lebendig,
aufrich tig und auch rein sein soll. Eine Spur davon ist wohl im Zu
sammentreffen von »Reinheit« und »Höflichkeit« im fünf ten Feld des
Pentagramms zu sehen (28.653), welches die Tugendhaftigkeit in
menschlichen Beziehungen darstellt.

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Autor interessiert sich vornehmlich für den Konflikt zwischen
Anstand und Tugend (Reinheit und Treue); er zeigt uns, wie
sie immer weiter auseinanderklaffen und wie Gawain in der
Krise der Versuchung dies erkennt und sich für die Tugend
entscheidet, aber doch die Glätte der Manieren und die
Artigkeit der Ausdrucksweise bewahrt, die zum wahren Kern
des höfischen Wesens gehören. Ich glaube, durch die Beichte
hat er unter anderem zeigen wollen, daß die unterste Ebene, die
des scherzhaften Zeitvertreibs, letzten Endes überhaupt nicht
wichtig war – aber erst nachdem er sich sozusagen damit
amüsiert hat, ein Dilemma auszumalen, das die Artigkeit sogar
auf der niederen Ebene hervorrufen konnte. In diesem Falle,
wo Fragen der Tugend und Sünde fernliegen, gibt der Held den
Anstandspflichten Vorrang und gehorcht der Dame, obwohl er
deshalb wortbrüchig werden muß (allerdings nur in einem
Spiel ohne jeden Ernst). Aber leider hätte unser Dichter
vermutlich gesagt, daß Anstandspflichten, da sie nicht von
allumfassender Gültigkeit seien wie die Gebote der Moral, den
Helden nicht wirklich entschuldigen könnten, nicht einmal
dann, wenn sie sein einziger Beweggrund gewesen wären, den
Gürtel anzunehmen. Aber sie waren nicht der einzige. Er wäre
gar nicht erst in die Lage gekommen, entgegen seinem Pakt
mit dem Burgherrn etwas für sich behalten zu müssen, wenn er
den Gürtel nicht wegen seiner immerhin möglichen
Zauberkraft hätte besitzen wollen: Gawain will sein Leben
retten, ein schlichtes, redliches Motiv, und zwar durch ein
Mittel, das seinem ersten Vertrag mit dem Grünen Ritter
keinesfalls widerspricht und nur mit dem scheinbar absurden,
scherzhaften Pakt mit dem Burgherrn nicht zu vereinbaren ist.
Das ist sein einziger Verstoß. Wir können sehen, daß jede
dieser drei »Ebenen« ihre eigene Gerichtsbarkeit hat. Das
moralische Recht ist Sache der Kirche. Über die Einhaltung
der Spielregeln, wenn es nur um ein Spiel Mann gegen Mann

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geht, urteilt der Grüne Ritter, der die Verhandlung sogar mit
pseudoreligiösen Ausdrücken bezeichnet – allerdings nur
(dürfen wir anmerken), wo von dem Spiel die Rede ist, denn
über die höheren Belange ist das Urteil schon gefällt worden:
Gawain leistet »Beichte« und »Buße« unter der Schneide der
Axt. Die Fragen des Anstands werden an den obersten
Gerichtshof für derlei Belange, den Hof des Königs Artus of
kydde cortaysye,
verwiesen, und dort wird der Angeklagte
durch allgemeines Gelächter freigesprochen.

Aber es gibt noch einen anderen Richter: Sir Gawain selbst,

der über sich urteilt. Doch sagen wir sogleich, daß er in diesem
Falle nicht unbefangen ist und daß sein Urteil daher nicht
gelten kann. Es verwundert nicht, daß er zuerst in einer sehr
aufgewühlten, verstörten inneren Verfassung ist, nachdem
nicht nur sein ganzer Ehrenkodex in Scherben liegt, sondern
auch noch sein Stolz tiefe Wunden empfangen hat. Sein erster
Ausbruch gegen sich selbst wird wohl ebensowenig gerecht
sein wie sein bitteres, summarisches Urteil über die Frauen.

Und dennoch sollten wir nicht überhören, was er zu sagen hat;

Dies könnte zunächst als ein Makel erscheinen, obgleich als der einzige

größere in diesem Gedicht. Es scheint mir tat sächlich auch in eine Form
gekleidet zu sein, die dem Helden kaum gemäß ist, so daß es ich eher wie
ein Satz des auctor liest, ein Stück geistlicher Pedanterie. Aber im Grunde
bleibt es doch im Charakterbild, entspricht dem Wesen des Helden, so wie
er geschildert wird, und kann mit seiner »Reaktion« in diesem Augenblick
entschuldigt werden. Gawain geht immer ein bißchen weiter, als es die
Umstände erfor dern. Es wäre genug, wenn er sagte: Viele größere Männer
als ich sind schon von Frauen getäuscht worden, also bin ich ein wenig
entschuldigt. Er müßte gar nicht fortfahren, daß es viel besser für die
Männer wäre, wenn sie die Frauen lieben könnten, ohne ihnen zu trauen.
Aber das sagt er. Und das sieht nicht nur diesem Gawain sehr ähnlich,
sondern liegt keinem »Höfling« sehr fern, den man gerade bei seiner
Höflichkeit und beim Stolz auf sie gepackt hat, um ihn zu beschämen. Sei
es nur Spiel denn und Verstellung! ruft er aus – in diesem Augenblick.

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denn er ist ein plastisch gezeichneter Charakter und nicht nur
ein Sprachrohr für Meinungen und Analysen. Unser Dichter
verstand sich auf die Kunst der Charakterzeichnung. Die Dame
spielt zwar, wenn sie in direkter Rede zu Wort kommt, nur
eine einfache, von einer einzigen Richtlinie (ihrer nicht weiter
erklärten »Feindschaft«) bestimmte Rolle, doch hat alles, was
sie sagt, einen unverkennbar eigenen Ton. Noch besser und
kunstvoller gezeichnet ist Sir Bertilak, in Gebaren und
Redeweise sowohl als der Grüne Ritter wie auch als der
Gastgeber von solcher Glaubhaftigkeit, daß beide Gestalten,
wenn sie nicht ein und derselbe wären, als hinreichend
individuell charakterisiert gelten könnten – und doch wird uns
am Ende ebenso glaubhaft, daß wir die ganze Zeit über
dieselbe Person gehört haben: Dies ist es wohl hauptsächlich,
was den Leser ihre Identität ebenso fraglos hinnehmen läßt wie
Gawain, ohne daß (in diesem Gedicht) nach der Aufklärung
irgendeine Entzauberung oder ein Wechsel der Gestalt
stattfände. Doch die Dame und Sir Bertilak sind nur
Nebenfiguren, mit dem Zweck, die Situation für Gawains
Prüfung zu schaffen. Nur Gawain selbst hat volle literarische
Realität.

Seine »Vollkommenheit« wird durch den kleinen Makel um

so menschlicher, glaubhafter und daher als etwas wahrhaft
Edles um so anerkennenswerter.

Doch meiner Ansicht nach

trägt nichts so sehr dazu bei, ihn als wirklichen Menschen
»lebendig« erstehen zu lassen, wie die Schilderung seiner
»Reaktionen« auf die abschließende Aufklärung der Intrige:
Hier kann das oft so grob mißbrauchte Wort »Reaktion« mit
einigem Recht gebraucht werden, denn seine Worte und sein
Gebaren sind vornehmlich instinkt- und gefühlshaft. Man sehe

Man kann jedoch denken, daß er sich der Vollkommenheit nie angenähert

hätte, wenn er sich nicht die durch das Pen tagramm symbolisierte absolute
oder mathematische Voll kommenheit zum Ideal genommen hätte.

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nur den Kontrast zwischen diesen Strophen und den Versen, in
denen die Gefahren seiner Reise beschrieben werden – Verse,
die zugleich pittoresk und flüchtig sind. Aber diesen Dichter
interessierte das Märchenhafte oder Abenteuerliche nicht
wirklich um seiner selbst willen. Außerdem ist es, glaube ich,
ein abschließender Kunstgriff, ein Gedicht, das sich so sehr auf
die Tugend und die Fragen moralischen Tuns konzentriert hat,
mit einem Blick auf die »Reaktionen« eines wahrhaft »edlen«,
aber nicht allzu nachdenklichen Menschen enden zu lassen, der
einen für den außenstehenden Beurteiler unerheblichen Fehler
in seinem persönlichen Verhaltenskodex entdeckt. Mit einem
Blick nämlich auf jene zweierlei Maß, mit denen alle halbwegs
mitfühlenden Menschen messen: dem strengeren für das
eigene, dem nachsichtigeren für das fremde Tun.

»Der König

tröstete den Ritter, und der ganze Hof stimmte darob in ein
lautes Gelächter ein.«

Was empfindet Gawain, und was sagt er? Er wirft sich

»Feigheit« und »Habsucht« vor. Er »stand lange still in
Gedanken«


in such grief and disgust he had a grue in his heart; all the
blood from his breast in his blush mingled, and he shrank
into himself with shame at that speech. The first words on
that field that he found then to say were: »Cursed be ye,
Coveting, and Cowardice also! In you is vileness, and vice
that virtue destroyeth.« He took then the treacherous thing,
and untying the knot fiercely flung he the belt at the feet of
the knight: »See there the falsifier, and foul be its fate!
Through care for thy blow Cowardice brought me to consent
to Coveting, my true kind to forsake, which is free-hand and
faithful word that are fitting to knights
. Now I am faulty and

Je mitfühlender, desto größer oft die Divergenz, z. B. zu der Strenge eines

Heiligen gegen sich selbst.

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false, who afraid have been ever of treachery and troth-
breach: the two now my curse may bear!

(95.2370-84)

Später, nach seiner Rückkehr an den Hof, erzählt er seine

Abenteuer in dieser Reihenfolge:

∗∗

die Beschwerden seiner

Reise, das Treffen bei der Grünen Kapelle, das Liebeswerben
der Dame und (zu allerletzt) die Sache mit dem Gürtel. Er
weist die Schramme an seinem Hals vor, die er zur Strafe für
seine Leute erhalten hat:


It was torment to tell the truth:
in his face the blood did flame;
he groaned for grief and ruth
when he showed it, to his shame.

»Lord«, he said at last, and the lace handled,

innerlich erschauernd vor Kummer und Abscheu; all sein Herzblut schoß

ihm ins Gesicht, und er schrumpfte in sich zusammen vor Scham über das
Gesagte. Die ersten Worte, die ihm dazu auf die Lippen kamen, waren
»verflucht seist du, Habsucht, und Feigheit auch! In euch steckt Laster und
Gemeinheit, an euch wird die Tugend zunichte.« Dann griff er nach dem
tückischen Ding, löste den Knoten und warf den Gürtel wütend dem Ritter
zu Füßen: »Da hast du den Stifter des Trugs, verflucht soll er sein! Durch
die Furcht vor deinem Hieb machte mich Feigheit der Habsucht gefügig,
gegen meine Natur, die dem Ritter Großmut und Treue gebietet. Nun bin
ich treulos und falsch, der ich doch Tücke und Wortbrüchigkeit stets
gemieden habe, und beides sei nun verflucht!…« Es war ihm peinlich,
davon zu erzählen; das Blut stieg ihm ins Gesicht, und er stöhnte vor Scham
und Schmerz, als er sein Schandmal vorzeigte. »Sieh, Herr!« sagte er
schließlich und gab ihm den Gürtel. »Das ist er. Dafür trage ich nun ein Mal
am Hals. Dies sind der Schade und die Schande, in die Habsucht und
Feigheit mich brachten, die mich dort überkamen. Dies ist das Zeichen des
Wortbruchs, bei dem ich ertappt wurde, und ich muß es tragen, solang ich
lebe.«

∗∗

Je mitfühlender, desto größer oft die Divergenz, z. B. zu der Strenge eines

Heiligen gegen sich selbst.

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»This is the band! For this a rebuke I bear in my neck!
This is the grief and disgrace
I have got for myself from the covetousness and cowardice
that overcame me there!

This is the token of the troth-breach that I am detected in,
and needs must I wear it while in the world I remain…«

Zwei Zeilen folgen noch, von denen die erste unklar ist, die

aber bei jeder denkbaren Interpretation oder Emendation nur
besagen können, daß Gawain glaubt, diesen Makel nie wieder
tilgen zu können. Das stimmt zu seinem sonstigen
Überschwang in Gemütsregungen, aber auch zu den
Emotionen vieler anderer Menschen. Denn wie er glaubt man
zwar an die Vergebung der Sünden und ist auch bereit, die
eigenen vergeben oder sogar vergessen sein zu lassen, aber der
Stachel der moralischen Beschämung in einer ganz
nebensächlichen Angelegenheit sitzt oft tiefer und schmerzt
nach Jahren noch unvermindert.

Sir Gawain ist also von einer brennenden Scham erfüllt. Was

er sich zur Last legt, sind Feigheit und Habsucht – vor allem
Feigheit, denn durch sie ist er der Habsucht erlegen. Das muß
auch besagen, daß Gawain als Ritter der Tafelrunde wegen der
Unbilligkeit der Enthauptungswette (auf die er in den Zeilen
2282/3 angespielt hat) gegen den Grünen Ritter keinerlei
Vorwurf erhebt, daß er zu seinem Wort steht – quatso bifallez
after
(382) – und sich dem Urteil einfach deshalb unterwirft,
weil das ganze Abenteuer für einen Ritter seines Ordens eine
reine Mutprobe gewesen sei: Nachdem er sein Wort einmal
gegeben hat, war er verpflichtet, es zu halten; und wenn er
deshalb den Tod finden müßte, so sollte er ihm mit
ungebeugtem Mannesmut begegnen. Den Umständen nach war
er der Vertreter der Tafelrunde, und als solcher hätte er ohne
fremde Hilfe seinen Mann stehen müssen.

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Auf dieser schlichten, aber sehr hohen Anspruchsebene ist er

beschämt worden und infolgedessen in seinen Gefühlen
aufgewühlt. Daher bezeichnet er seine Abneigung gegen das
widerstandslose Wegwerfen des eigenen Lebens oder das
Nichtverzichtenwollen auf einen Talisman, der ihn womöglich
retten könnte, als »Feigheit«. Die Annahme eines Geschenkes
von einer Dame ohne sofortige Gegengabe nennt er
»Begehrlichkeit«, obwohl ihm das Geschenk erst nach
zweifacher Weigerung aufgedrängt worden ist und obwohl ihm
dessen Kostbarkeit nichts bedeutet. Tatsächlich ist er
»begehrlich« nur im Rahmen seines Paktes mit dem Burgherrn
gewesen: weil er etwas von dem waith zurückbehalten hat, das
er (aus welchem Grund immer) für sich selber wollte. Und als
»Verrat«

∗∗

bezeichnet er die Regelverletzung in einem bloßen

Zeitvertreib, den er als scherzhaft oder schrullig betrachten
konnte (was immer der Burgherr sich bei seinem Vorschlag zu
diesem Spiel insgeheim gedacht haben mochte), denn ein
echter Tausch zwischen der Tagesbeute eines Jägers und den
Gewinnen eines untätig Daheimgebliebenen war natürlich ein
Unding.

Und damit endet es. Weiter führt unser Dichter uns nicht. Wir

haben einen edlen Ritter gesehen, der die Gefährlichkeit des
höfischen Anstands am eigenen Leib erlebt hat und die
Unwirklichkeit von Behauptungen einsehen lernt, daß man der
ergebene »Diener« einer Dame, einer obersten »Gebieterin«
sein wolle, deren Wille einem Gesetz sei;

denn in letzter und


Es sei denn, die Dame würde ihrerseits einem höheren Ge setz als dem des

Eigennutzes oder der »Liebe« gehorchen.

∗∗

Engl. »treachery« – dies war nicht immer ein so starkes Wort wie heute,

seitdem es wegen der Assoziation mit »treason« und »traitor« (die
ursprünglich nicht mit ihm verbunden waren) nur noch für sehr niedrige und
schädliche Handlungen gebraucht werden kann.

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oberster Instanz, so haben wir gesehen, erkennt er ein höheres
Gesetz an. Aber wenn er sich auch nach diesem höheren
Gesetz als »ohne Fehl« erwiesen hat, so ist die Bloßstellung
dieser Art von höfischen Manieren doch weiter gegangen, und
er muß zuletzt die Kränkung erleben, festzustellen, daß der
Wille der Dame nur dahin ging, ihn in Unehre zu bringen, und
daß alle ihre schmeichlerischen Liebesbeteuerungen falsch
waren. In einem Augenblick der Erbitterung läßt er all seine
cortaysye fallen und bricht in Schmähungen weiblicher Arglist
aus: »Am besten wär’ es, sie zu lieben, ohne ihnen zu trauen –
wenn man nur könnte!« (97-2420/1) Aber das ist noch nicht
alles, was er als Ritter hat erdulden müssen: Er ist auch
verleitet worden, in einem ritterlichen Spiel die Regeln und
sein Wort zu brechen, und wir haben schon gesehen, daß er für
diese Verfehlung auf einer niederen Ebene Qualen der
emotionalen Beschämung erleidet, wie sie eigentlich nur einer
Verfehlung auf der höheren Ebene gemäß wären. Dies alles
erscheint mir lebenswahr und glaubwürdig, und ich will die
Sache nicht veralbern, wenn ich sage, daß wir Gawain sich am
Ende die Schulkrawatte abreißen (weil er unwürdig sei, sie zu
tragen) und mit einer weißen Feder an der Mütze heimreiten
sehen – nur um zu erfahren, daß dieses Feiglingszeichen fortan
von der ersten Mannschaft im Wappen geführt wird, während
die ganze Angelegenheit mit dem Gelächter des Ehrengerichts
endet. Aber wie getreu dem geschilderten Charakter des
Helden ist doch dieses Übermaß der Scham, dieses
Hinausschießen über jedes erdenkliche Ziel, wenn er ein
Zeichen der Unehre annimmt, auf daß jedermann jederzeit
sehen könne, in tokenyng he watz tane in tech of a faule
(100.2488)! Und wie getreu auch dem Ton und Klima dieses
Gedichtes, dem es so sehr um das »Beichten« und Büßen geht!


Grace innogh pe man may have pat synnez penne new,

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if him repente,
Bot wytli sors and syt he mot it craue,
And byde pe payne perto is bent

sagt derselbe Dichter in seiner Pearl (661-4).

Nach der

Beschämung die Reue, dann die rückhaltlose Beichte mit
Kummer und Buße, zuletzt aber nicht nur Vergebung, sondern
auch Wiedergutmachung, so daß der unverheimlichte »Harm«
und der freiwillig getragene Vorwurf zu einer Auszeichnung
werden, evermore after. Und damit beginnt die ganze Szene,
die eine Zeitlang so lebendig, anschaulich und sogar aktuell
gewesen ist, in die Vergangenheit zurückzutreten.

∗∗

Gawayn

with his olde curteisye kehrt heim ins Reich der Fairye.

∗∗∗


as it is written in the best of the books of romance. Thus in
Arthur his days happened this marvel, as the Book of the Brut
beareth us witness; since Brutus the bold knight to Britain
came first, after the siege and the assault had ceased at Troy,
I trow, many a marvel such before has happened here ere

In meines Vaters Übersetzung der Pearl sind diese Zeilen so

wiedergegeben:
Grace enow may the man receive
Who sins anew, if he repent;
But craving it he must sigh and grieve
And abide what pains are consequent. [Hg.]

∗∗

… wie in den besten Ritterromanen geschrieben steht. Zu Artus’ Zeiten

also hat sich dies zugetragen, von denen der Roman de Brut Zeugnis gibt.
Seit der kühne Ritter Brutus erstmals nach Britannien kam, nachdem Troja
erobert war, haben sich gewiß schon viele solche Abenteuer hier ereignet.
Und nun geb Er uns seinen Segen, der die Dornenkrone trug! Amen.

∗∗∗

Chaucer, The Squires Tale, V 95/6. Die Passage, in der diese Verse

stehen, war (zum Teil) der Grund, warum mein Vater glaubte, wie er zu
Anfang dieser Vorlesung (S. 94) sagte, daß Chaucer Sir Gawain and the
Knight
gekannt habe. [Hg.]

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now. To His bliss us bring Who bore the Crown of Thorns on
brow! Amen.

Zu den obigen Ausführungen wurde gesagt (S. 130), daß

Gawain sein Herz erleichtert fühle, sei ein hinreichendes
Anzeichen dafür, daß er eine »gute Beichte« abgelegt hat.
Damit meinte ich, daß die Heiterkeit eines »erleichterten
Herzens« oft die Folge sein kann und ist, wenn ein Gläubiger
in gebührender Weise ein Sakrament empfängt, und zwar ganz
unabhängig von anderen Sorgen oder Beschwerden, wie in
Gawains Falle der Furcht vor dem Axthieb und vor dem Tode.
Aber dazu sind Einwände möglich und auch erhoben worden.
Man hat gefragt: Ist er nicht vielmehr deshalb heiter, weil er
nun den Gürtel hat und den Axthieb nicht mehr zu fürchten
braucht? Oder, wie auch schon vertreten wurde, Gawains
Stimmung könnte auch aus der Verzweiflung erwachsen: Laßt
mich schlemmen und guter Dinge sein, denn morgen muß ich
sterben!

Wir haben es nicht mit einem einfältigen Autor und auch

nicht mit einer einfältigen Epoche zu tun; daher ist es nicht
nötig, nur eine Erklärung für Gawains Stimmung als möglich
(d. h. vom Dichter beabsichtigt) anzunehmen. Gawain wird
einfühlsam gezeichnet; er wird mit Gefühlen, Worten und
Verhaltensweisen ausgestattet, wie sie zu einem Menschen in
seiner Lage insgesamt passen würden: im Hinblick auf die
Tröstungen der Religion, den Zaubergürtel (oder zumindest
den Glauben, daß etwas dergleichen möglich sei), die nahende
Todesgefahr und alles andere.

Dennoch glaube ich, daß die Stellung der Zeilen, die seine

Stimmung gleich nach der Absolution beschreiben (And sypen
1885), und der Gebrauch der Wörter ioye und blys hinreichend
zeigen, daß nach Absicht des Autors die Beichte der
Hauptgrund für Gawains gehobene Stimmung sein soll, und

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daß er nicht an die wilde Ausgelassenheit der Verzweiflung
gedacht hat.

Aber zu dem Gürtel ist noch einiges zu sagen. Ich finde es

bemerkenswert, daß Gawain in die Zauberkraft des Gürtels
nirgendwo Vertrauen bekundet, nicht einmal so viel Hoffnung,
daß daraus eine sorglose Fröhlichkeit erwachsen könnte.
Vielmehr scheinen seine Hoffnungen auf den Gürtel nach der
Beichte immer mehr abzunehmen. Zwar hat er bei der
Annahme des Gürtels und vor dem Aufsuchen des Priesters der
Dame herzlich und überschwenglich gedankt (ein so höflicher
Mensch wie er könnte auch schwerlich anders), doch schon in
dem Augenblick, wenn ihm der erste Gedanke kommt, auf
diese Weise vielleicht dem Tod zu entrinnen (Zeilen 1855ff.),
ein Gedanke, der am stärksten ist, bevor der Held zu reiflicher
Überlegung Zeit findet, teilt der Dichter über seine Gedanken
strenggenommen nur so viel mit: »Das wäre eine gute Sache
bei meinem verzweifelten Auftrag. Wenn ich irgendwie daran
vorbeikäme, erschlagen zu werden, wäre das ein sehr
willkommener Zauber.« Es klingt nicht so zuversichtlich, daß
es erklären könnte, warum er an diesem Tag besserer Laune
sein sollte als je zuvor. Jedenfalls schläft er schlecht in dieser
Nacht, hört jedesmal den Hahn krähen und fürchtet sich vor
der Stunde des Treffens bei der Grünen Kapelle. In den Versen
83.2075/6 lesen wir über pat tene place per pe ruful race he
schulde resayue
(»den furchtbaren Ort, wo er den
schmerzhaften Hieb empfangen soll«), was offenbar ein
Gedanke Gawains ist, als er sich mit seinem Führer auf den
Weg macht. In den Versen 85.2138/9 erklärt er dem Führer,
daß er all seine Zuversicht in Gott setze, dessen Diener er sei.

Ähnlich in 86.2158/9, wo er sicherlich seine Beichte und
Todesbereitschaft meint, wenn er sagt: to Goddez wylle I am

Allerdings könnte in einer Welt, wo dergleichen möglich und rechtens ist,

auch der Gürtel ein Werkzeug Gottes sein.

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ful bayn, and to hym I hafme tone. Und auch in 88.2208-11
überwindet er seine Furcht nicht in der Hoffnung oder
Erwähnung höheren Lohnes, sondern durch Unterwerfung
unter Gottes Willen. In 90.2255 ff. ist seine Furcht vor dem
unmittelbar drohenden Tode so stark, daß er sie nur mit Mühe
und nicht ganz erfolgreich beherrschen kann. In 91.2265-7
erwartet er, daß der Hieb ihn töten werde. Und in den Versen
92.2307/8 schließlich heißt es: »Kein Wunder, daß er
erbleichte, denn er hatte keine Hoffnung auf Rettung.«

All diese Furcht nun und das Aufbieten des Mutes gegen den

Tod stimmen vollkommen mit den Tröstungen der Religion
und der empfangenen Absolution zusammen, aber ganz und
gar nicht mit dem Besitz eines Talismans, von dem man
glaubt, daß er vor körperlichem Schaden bewahren könne,
nach den Worten der Versucherin: »Denn wer diesen grünen
Gürtel trägt, den kann, solange er ihn fest umgebunden hat,
kein Feind auf der Welt verwunden, und er kann nicht getötet
werden, durch keine List und von keiner Hand auf Erden« (74-
1851-4). Vielmehr können wir wohl sagen, daß der Gürtel vom
Augenblick seiner Annahme, mit Sicherheit aber vom
Augenblick der Absolution an, keinerlei Mut oder Trost mehr
zu spenden scheint.

Wären nicht die Zeilen 81.2030-40, wo

Gawain den Gürtel for gode of hymseluen umlegt, so könnten
wir annehmen, er habe nach der Beichte beschlossen, ihn nicht
zu verwenden, obwohl er ihn aus Höflichkeit nun nicht wieder
zurückgeben oder das versprochene Stillschweigen brechen
konnte. Von Gawains Aufbruch an bis zu seiner Beschämung
durch die Aufklärung der Intrige wird der Gürtel vom Dichter

Eine interessante und von seiten des Dichters gewiß nicht unbeabsichtigte

Einzelheit ist es, daß der Gürtel, um dessentwillen Gawain die Spielregeln
bricht, was den einzigen Makel seines sonst in jeder Hinsicht
vollkommenen Verhal tens ausmacht, tatsächlich niemals irgendeinen
Nutzen für ihn besitzt und nicht einmal viel Hoffnung erweckt.

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jedenfalls ignoriert; und auch Gawain scheint sich nicht mehr
um ihn zu kümmern. Was er, abgesehen vom eigenen
natürlichen Mut, an innerer Kraft und Festigkeit aufbringt,
fließt ihm nur aus der Religion zu. Ohne Zweifel kann man
eine solche moralische und religiöse Auffassung mißbilligen,
aber der Dichter hat sie nun einmal; und wenn man dies (ob
mit oder ohne Mißfallen) nicht erkennt, wird man Sinn und
Zweck des Gedichtes, zumindest soweit sie vom Dichter
beabsichtigt wurden, verfehlen.

Dennoch kann man einwenden, daß ich dem Autor hier etwas

abpresse. Hätte Gawain keine Furcht gezeigt, sondern nur
fröhliches Vertrauen auf seinen Zaubergürtel (no more mate ne
dismayd for hys mayn dintez,
wie der Grüne Ritter, der auf die
Kraft der Zauberin Morgan le Fay vertraut), so hätte die letzte
Szene, die Begegnung an der Grünen Kapelle, allen Reiz
verloren. Auch wenn man die Magie und sogar einen
allgemeinen Glauben an die Möglichkeit von Zaubergürteln
und dergleichen gelten läßt, müßte der Held doch schon sehr
lebhaft gerade an diesen Gürtel glauben, um ein solches
Treffen ohne jedes Achselzucken durchstehen zu können.
Soviel sei eingeräumt. Aber dies bestätigt eigentlich nur meine
Argumentation. Gawain wird nicht so geschildert, als hätte er
einen sehr lebhaften Glauben an den Gürtel, auch wenn
erzählerische Gründe dabei ganz oder teilweise maßgebend
sind. Seine »Freude« am Neujahrstag kann nicht daher
kommen. Sie muß also aus der Absolution erwachsen, an die
sie auch zeitlich anschließt. Gawain wird als ein Mensch mit
»reinem Gewissen« gezeigt, und seine Beichte war nicht
»frevlerisch«.

Aber ganz abgesehen von der erzählerischen Technik hat der

Dichter offenbar beabsichtigt, die moralischen und (wenn man
so will) höheren Seiten von Gawains Charakter zu betonen.
Denn es ist ganz einfach so, daß er dies durchgängig getan hat,

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ob dies seinem überlieferten Stoff nun immer ganz gemäß
gewesen sein mag oder nicht. Und darum nimmt Gawain den
Gürtel zwar nicht nur aus Höflichkeit an, sondern wird auch
durch die Hoffnung auf magischen Beistand verführt und
vergißt es nicht, ihn, wenn er sich rüstet, mit anzulegen, for
gode of hymseluen
und to saven hymself, aber dies Motiv wird
doch heruntergespielt, und Gawain scheint gar nicht darauf zu
vertrauen, wenn es zum bitteren Ende kommt – denn der
Gürtel, nicht minder als der furchtbare Grüne Ritter und seine
faierie, überhaupt alle faierie ist letztlich Gott Untertan. Ein
Gedanke, der den Zaubergürtel eher schwächlich erscheinen
läßt, wie er nach der Absicht des Dichters ohne Zweifel auch
erscheinen sollte.

Wir sollen in Sir Gawain nach seiner letzten Beichte also

einen Menschen von reinem Gewissen sehen, der wie jeder
andere tapfere und fromme Mann (allerdings nicht so sehr wie
ein Heiliger) imstande ist, sich in Erwartung des Todes mit
dem Gedanken aufrechtzuhalten, daß Gott letztlich den
Redlichen schützen werde. Das besagt nicht nur, daß er den
Versuchungen der Dame standgehalten hat, sondern auch, daß
sein ganzes Abenteuer für ihn ein redliches oder wenigstens
doch rechtmäßiges Vorhaben ist. Wir sehen nun, wie wichtig
es gewesen ist, daß im ersten Gesang geschildert wurde, wie
Sir Gawain in die Angelegenheit verwickelt wird, und was die
bemerkenswerten Einwände zu bedeuten haben, die am Hofe
gegen den König Artus laut werden (im zweiten Gesang,
Strophe 29). Dabei wird gezeigt, daß sich Gawain nicht aus
nobelay in Gefahr begeben hat, auch nicht wegen irgendeines
abstrusen Brauches, eines prahlerischen Eides, aus Stolz auf
die eigene Mannhaftigkeit, oder weil er sich für den besten
Ritter seines Ordens hielte – allesamt mögliche Motive, die aus
einer strengmoralischen Sicht die ganze Affäre für ihn töricht
oder verwerflich machen würden, ein mutwilliges Wagestück

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oder Vergeuden des eigenen Lebens ohne zureichenden Grund.
Mutwille und Hochmut fallen auf den König zurück; Gawain
wird nur aus Bescheidenheit und Pflichtgefühl gegen den
königlichen Oheim in die Sache verwickelt. Wir können uns
sogar vorstellen, daß der Autor diese merkwürdige Passage
nach einigem Nachdenken eingefügt hat. Da er einmal
Gawains Verhalten bei seinem Abenteuer zum Gegenstand
einer ernsthaften moralischen Untersuchung gemacht hatte,
mußte er dafür sorgen, daß das Abenteuer auf derselben
Urteilsebene für Gawain eine löbliche Tat blieb. In Wahrheit
hat der Autor diese Geschichte oder diese Mischung von
Geschichten mit all ihren Unwahrscheinlichkeiten, ihrer
Inkohärenz und ihrem Mangel an zuverlässig vernünftigen
Motiven zu einer Handlungsmaschinerie zu machen versucht,
bei der ein tugendhafter Mann in eine tödliche Gefahr
verstrickt wird, die zu bestehen für ihn etwas Edles oder
zumindest seiner Würdiges ist (und nicht etwas Unrechtes oder
Törichtes); und dabei gerät er folgerichtig in Versuchungen,
denen er sich nicht mutwillig oder wissentlich aussetzt. Und
am Ende übersteht er alles mit den schlichten Waffen der
Moral. Daß das Pentagramm auf Gawains Schild an die Stelle
des Greifen tritt, erscheint so als Teil eines wohlüberlegten und
durchgehaltenen Planes – durchgehalten jedenfalls in der
ganzen endgültigen Fassung, die uns vorliegt. Diesen Plan, die
Wahl dieses Emblems und dieses Akzentes muß man
berücksichtigen.

Eine andere Frage ist es, ob diese Behandlungsweise

berechtigt oder künstlerisch gelungen ist. Für mein Teil würde
ich sagen, daß es für dieses Gedicht

notwendig, richtig und

realistisch ist, daß Artus kritisiert und Gawain zu einem

Man könnte darin einen Mangel der Artus-Geschichten ins gesamt sehen.

Für mein Teil glaube ich nicht, daß die Her absetzung des Königs (als
sumquat childgered und ähnliches) viel Gutes bewirkt.

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Stellvertreter des Königs mit ganz bescheidenen und
uneigennützigen Motiven gemacht wird. Das Pentagramm ist
gerechtfertigt und nur deshalb unwirksam (wenigstens für
meinen Geschmack und, vermute ich, auch für den Geschmack
vieler meiner Zeitgenossen), weil es »pedantisch« ist, nämlich
allzu sehr in einer beinahe chaucerischen Pedanterie im Stile
des 14. Jahrhunderts befangen, außerdem allzu lang und breit
ausgeführt, und (vor allem) weil es sich für das Geschick des
Autors mit dem alliterierenden Vers, den er verwendet, als zu
schwierig erwies. Die Behandlung des Zaubergürtels mit dem
Schwanken zwischen Glauben und Nichternstnehmen ist
einigermaßen gelungen, wenn man nicht allzu genau hinsieht.
Ein wenig Glauben an den Gürtel ist notwendig für die letzte
Versuchungsszene; er erweist sich als der einzig wirksame
Köder, mit dem die Dame den Helden in die Falle locken kann
und der für den einzigen »Fehl« (auf der niedersten Ebene der
»Spielregeln«) sorgt – wodurch Gawains eigentliches
Verhalten und sein Beinah-Vollkommensein um so viel
glaubwürdiger werden als die mathematische Vollkommenheit
des Pentagramms.

Aber dieser Glaube oder diese Hoffnung muß zu Beginn des

letzten Gesanges heruntergespielt werden – sogar wenn dies
nur ein Ritterroman ohne moralische Thematik wäre, denn
selbst dann würde das Vertrauen auf den Zaubergürtel die
letzten Szenen verderben. Die Schwäche des Gürtels, der fähig
sein soll (oder von dem geglaubt wird, er sei es), einen Mann
vor Wunden zu schützen, ist tief eingewurzelt. In dem Gedicht
selbst ist diese Schwäche weniger störend, als sie hätte sein
können, eben wegen der Ernsthaftigkeit des Autors und der
Frömmigkeit, die er seinen Rittern zuschrieb; denn die
Mißachtung des Talismans im kritischen Augenblick ist bei
einem Charakter wie dem Gawain dieses Gedichtes
glaubhafter, als sie es bei einem reinen Abenteurer wäre. Und

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dennoch, wenn ich eines bedaure, so nicht diesen kleinen
Makel des Helden, auch nicht, daß die Dame immerhin einen
Köder für ihr Opfer gefunden hat, sondern daß dem Dichter
nichts anderes eingefallen ist, was Gawain von ihr hätte
annehmen können und worüber er sich hätte bereden lassen,
Stillschweigen zu wahren, und doch etwas, das seine
Auffassung von dem gefährlichen Treffen bei der Grünen
Kapelle nicht beeinflußt hätte. Aber ich wüßte nicht, was; und
ein solcher Einwand, kesting such cavillacioun, ist daher
müßig.

Sir Gawain and the Green Knight ist immer noch die am

besten angelegte und ausgeführte Verserzählung des 14.
Jahrhunderts, ja, des Mittelalters in englischer Sprache, gegen
nur eine Ausnahme. Einen Rivalen mit dem Anspruch auf
gleichen, nicht höheren Rang hat das Gedicht in Chaucers
Meisterwerk Troilus and Criseyde. Das ist ein größeres,
längeres und verwickelteres, vielleicht auch subtileres, aber
keineswegs klügeres, scharfsinnigeres und ganz gewiß weniger
edles Gedicht. Und beide behandeln aus je verschiedenem
Blickwinkel die Probleme, die dem Engländer so sehr am
Herzen lagen: das Verhältnis des höfischen Anstands und der
Minne zur Moral, zur christlichen Moral und zur ewigen
Gerechtigkeit.


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