Angel Bd04 Don DeBrandt Die Erde bebt

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Angel : Jäger der Finsternis. - Köln : vgs

(ProSieben-Edition)

Die Erde bebt / Don de Brandt.

Aus dem Amerikan. von Antje Görnig. - 2001

ISBN 3-8025-2833-6






Das Buch »Angel -Jäger der Finsternis.

Die Erde bebt«

entstand nach der gleichnamigen

Fernsehserie (Orig.: Angel) von

Joss Whedon und David Greenwalt,

ausgestrahlt bei ProSieben.

© des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher

Genehmigung der ProSieben Televisions GmbH

Erstveröffentlichung bei Pocket Books, New York 2000. Titel der amerikanischen

Originalausgabe: Angel.Shakedown.

und © 2000 by Twentieth Century Fox Film Corporation.

All Rights Reserved.


© der deutschsprachigen Ausgabe:

Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2001

Alle Rechte vorbehalten.

Produktion: Wolfgang Arntz

Umschlaggestaltung: Sens, Köln

Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2000

Satz: Kalle Giese, Overath

Druck: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 3-8025-2833-6

Besuchen Sie unsere Homepage im WWW:

www.vgs.de



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Visionen sind echt Scheiße, dachte Doyle.

Das liegt gar nicht mal so sehr an den stechenden Kopfschmerzen,

sinnierte der Ire, als Cordelia ihm einen Eisbeutel auf die Stirn presste.
Auch nicht an der bedrohlichen Vorahnung von Unheil, die immer damit
einhergeht. Aber wild mit Armen und Beinen um sich zu schlagen, als
hätte man ein Huhn in der Hose – und das vor Cordy! –, Mann, das ist
einfach nicht fair!

»Und was ist es diesmal?« Cordelia seufzte. »Vampire? Werwölfe?

Leute, die immer noch auf Discos stehen?«

»Schlimmer«, sagte Doyle und zuckte zusammen. »Weißt du was, für

ein Vampirbüro gibt es hier entschieden zu viele reflektierende
Oberflächen.« Vorder- und Hinterraum des Büros waren mit Glas-
wänden voneinander abgetrennt, und Doyle hatte das Gefühl, sie
schossen grelle kleine Lichtblitze direkt in seinen Schädel. Wenigstens
war das Fenster in Angels Büro zugemauert.

Er schloss die Augen und sagte: »Ich will ja nicht übermäßig

melodramatisch wirken, aber ich glaube, ich habe gerade gesehen, wie
die ganze Stadt zerstört wird.«

»Erzähl mal!«, forderte ihn Angel auf.
Doyle öffnete langsam die Augen und sah seinen Boss an. Angel saß

hinter seinem Schreibtisch und polierte die Klinge einer keltischen
Streitaxt. In diesem Augenblick sah er aus, als sollte er statt seiner
schwarzen Klamotten eher einen Kilt tragen und sich mit blauer Farbe
bemalen und im Schein eines Lagerfeuers statt dem einer Bürolampe
hocken.

»Wisst ihr, was ich jetzt wirklich gebrauchen könnte?«, sagte Doyle

und nahm Cordelia den Eisbeutel ab. »Ein Glas Whiskey für das Eis
hier.«

»Nun leg schon endlich los!«, sagte Cordelia aufgebracht. »Ich meine,

ist es so schrecklich wie ein Sommer-Blockbuster mit Bruce Willis oder
eher wie ein Billigvideo mit Hulk Hogan? Du weißt schon: was die
Spezialeffekte angeht.«

Doyle blinzelte und sah sie an. Sie trug ein schlichtes blassgrünes

Sommerkleid, wahrscheinlich die Nachahmung eines teuren
Designerlabels, die sie in einem Billigladen am Melrose Place

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aufgestöbert hatte. An ihrem Körper wirkte es natürlich wie das Original.
Was Cordy an Finanzen fehlte, machte sie mit Haltung wieder wett.

»Also gut«, sagte Doyle. »Da muss ich wohl Tür Nummer eins

wählen. Ich spreche von der totalen Zerstörung der Stadt.«

»Auf welche Weise?«, fragte Angel.
»Der schlimmste Albtraum eines jeden Bewohners von Los Angeles«,

antwortete Doyle. »Abgesehen von den Olsen-Zwillingen natürlich. Ein
Erdbeben! Und zwar das ganz große ...«

Wenn es in Angels Macht stünde, etwas an seinem Job zu ändern, dann
wäre es wohl seine Beziehung zu den Zuständigen Mächten.

Die Zuständigen Mächte. Man konnte die Großbuchstaben förmlich

hören, wenn man es aussprach. Angel fragte sich, ob sie von ihren engen
Freunden einfach »Die« genannt wurden, oder vielleicht »DZM«.

Wahrscheinlich nicht.
Nicht dass er etwas dagegen hatte, ihr Instrument zu sein. Am großen

Büffet des Lebens war auf Angels Teller eine ordentliche Schöpfkelle
Schuld geladen worden, üppig garniert mit Bedauern und Reue. Aber das
war bereits die zweite Portion; die erste hatte hauptsächlich aus Folter,
Mord und ein wenig Verstümmelung bestanden. Er hatte einiges wieder
gutzumachen und war froh, als Vertreter einer höheren Macht dazu
Gelegenheit zu haben. Doyle hatte die Visionen – und Angel tat sein
Bestes, dass es nur bei den Visionen blieb.

Aber mussten sie jedes Mal so verdammt vage sein?
»Angel, hier hast du die Adresse und ein aktuelles Foto des

dämonischen Serienkillers. Schnapp ihn dir!«, murmelte Angel zu sich
selbst. »Das wäre doch mal nett! Oder vielleicht: Hier ist ein Verzeichnis
von Opferritualen, denen du Einhalt gebieten musst, mit Querverweisen
und in alphabetischer Reihenfolge! – Das wäre echt hilfreich. Aber was
bekomme ich? Ein hollywoodreifes Erdbebenszenario und den Namen
eines Wohnblocks!«

Er stand im Schatten eines Hibiskusstrauchs auf der anderen

Straßenseite des eben erwähnten Gebäudes. APPLETREE ESTATES
stand auf dem Schild über dem Eingang. Der niedrige Bau sah relativ
neu aus und erstreckte sich fast über einen ganzen Block. Eine zwei Me-
ter fünfzig hohe Mauer umgab das Anwesen. Tiefgarage, bewachtes Tor,
wahrscheinlich auch ein Swimmingpool. Nicht ungewöhnlich für diesen
Stadtteil von L.A. und das Wohnviertel Silverlake.

Seit Einbruch der Dämmerung hatte Angel den Eingang bewacht und

das rege Kommen und Gehen beobachtet. Er war ziemlich sicher, bisher
noch nicht entdeckt worden zu sein – »Profi-Schnüffler« stand an

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zweiter Stelle auf Angels Tätigkeitsprofil, direkt nach »Vampir mit
Seele« und vor »Privatdetektiv ohne Lizenz«.

Da entdeckte er plötzlich den Dämon.
Der Dämon sah für diese Gegend eigentlich ganz normal aus: Mitte

dreißig, attraktiv, mit den besten Zähnen und Haaren, die man für Geld
kaufen konnte. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug in einem
dezenten Farbton und war wahrscheinlich unterwegs zu einem
Geschäftsessen mit Leuten von den Filmstudios. Der Dämon blieb in der
abendlichen Dämmerung stehen und atmete einige Male tief durch, was
er zu genießen schien, denn er lächelte.

Da schoss eine schmale, gespaltene Zunge zwischen seinen Lippen

hervor.

Jedem anderen wäre dies wahrscheinlich entgangen, aber Angel

wusste, was er gesehen hatte. »Erwischt!«, flüsterte er. »Konntest es dir
wohl nicht verkneifen, dir mal schnell den Geschmack des leckeren
Smogs von Los Angeles auf der Zunge zergehen zu lassen, nicht wahr?«

Ein silberfarbener Porsche 928 fuhr einen Augenblick später vor, und

der Dämon stieg ein. Sofort brauste der Wagen wieder davon.

Angel dachte nach. Die gespaltene Zunge hatte ihn auf eine Idee

gebracht. Er zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer ein.

Siebenundzwanzig Minuten später tauchte ein weiteres Auto auf,
diesmal ein alter weißer Dodge. Angel trat an die Fahrertür.

»Große Pepperoni-Pilze?«, fragte er und zückte sein Portemonnaie.
»Sie müssen aber Hunger haben«, sagte der junge Latino hinter dem

Steuer. »Die meisten Leute warten an der Tür auf mich.«

»Ich zahle dir zwanzig zusätzlich für deine Kappe«, sagte Angel.
Der Fahrer zögerte, zuckte aber dann mit den Schultern und reichte

Angel seine Baseball-Mütze mit dem Logo des Pizza-Flitzers darauf.
»Okay, von mir aus.«

Ȁhm ... noch 'ne Frage: Auf der Pizza ist doch kein Knoblauch,

oder?«

Angel trabte in flottem Tempo auf die Eingangstür zu und ging genau in
dem Augenblick hinein, als jemand anderes herauskam. Niemand
schenkte ihm Aufmerksamkeit. Das Einzige, was die Leute im
Vorbeigehen bemerkten – oder woran sie sich erinnerten –, war der Duft
der Pizza.

Wohnblocks wie dieser waren öffentliche Orte, und so hatte Angel als

Vampir keine Schwierigkeiten, sie zu betreten. Um über die Schwelle
eines Privathauses oder einer Wohnung zu treten, brauchte er eine

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richtige Einladung, aber dieses Problem war im Moment nicht akut. Er
war nur hergekommen, um sich ein wenig umzusehen und das Gebäude
kennen zu lernen.

Und das tat er auch. Die Eingangshalle war nichts Besonderes: ein

unechter Kamin mit einem Sims aus Gips, der mit Reklamesendungen
überhäuft war, die von den Leuten achtlos liegen gelassen worden waren.
Eine Wand mit verchromten Briefkästen, ein paar Kübel mit Pflanzen.
Angel ging die Flure auf und ab und kam nur ein, zwei Mal an Leuten
vorbei, deren Blick er stets mied.

Ihm fiel nichts auf.
Keine geheimnisvollen Geräusche hinter verschlossenen Türen. Keine

mit Pentagrammen verzierten Teppiche. Kein Gestank des Bösen aus
dem Wäscheraum. So stand er da, mit einer Schachtel kalter Pizza in der
Hand und einer Mütze, mit der er extrem lächerlich aussah.
Erdbeben ..., grübelte er. Vielleicht fand er ja in den unterirdischen
Geschossen einen Anhaltspunkt.

Also ging er hinunter in die Tiefgarage und sah sich dort um. Nichts

als Ölflecken und Fahrzeuge. Vielleicht hatte er ja noch nicht gründlich
genug nachgeschaut...

Er schob die Pizzaschachtel unter einen BMW, stopfte die Mütze in

die Tasche seines schwarzen Trenchcoats und ging zu den Aufzugtüren
auf dem Parkdeck. Niemand schien in der Nähe zu sein.

Angel bohrte seine Finger in den Schlitz zwischen den Türen und

musste einiges an Kraft aufbieten, um sie auseinander zu schieben.
Nachdem ihm dies gelungen war, steckte er den Kopf in den
Aufzugschacht und blickte nach unten.

Er hatte angenommen, sich bereits im untersten Stockwerk zu

befinden, aber der Aufzugschacht führte noch viel tiefer. Schwer
abzuschätzen, wie tief.

»So, so«, sagte Angel leise. »Und was verstecken wir da unten im

Keller?«

An einer Seite des Schachtes waren zu Wartungszwecken eiserne

Sprossen in die Mauer eingelassen. Angel hielt sich an der nächstbesten
fest und begann, in die Tiefe zu klettern.

Größte Eile war geboten, wenn er nicht von dem möglicherweise

herunterkommenden Fahrstuhl erfasst werden wollte. Und so kam er im
Handumdrehen in der untersten, fünf Stockwerke tiefer liegenden Etage
an. In der Hoffnung, dass ihn auf der anderen Seite niemand erwartete,
schob er die Türen auf.

Der Korridor, den er betrat, sah denen in den oberen Stockwerken

ähnlich, wenngleich man hier, wie Angel mit einem Blick erkannte, viel

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mehr Geld in die Ausstattung gesteckt hatte. Die zahlreichen
Wandleuchter waren aus geschliffenem Kristallglas, der smaragdfarbene
Teppich war in einem komplizierten keltischen Muster geknüpft, und die
Wände waren mit edlem Teakholz vertäfelt. Schwere Eichetüren mit
prunkvollen Messingbeschlägen gingen von dem Korridor ab. Selbst die
Aufzugtüren waren mit stattlichen Beschlägen versehen, die Angel nun
mit den Fingern umklammerte, um die Türen wieder zuzuschieben.

Gerade noch rechtzeitig, denn als er sich umdrehte, hörte er, wie sich

weiter unten im Korridor eine Tür öffnete.

Der Mann, der herauskam, hätte ein Bruder des Dämons sein können,

den Angel draußen gesehen hatte, mindestens aber sein Cousin. Er hatte
das typisch gute Aussehen, das in L.A. nur allzu verbreitet war. Er trug
weiße Tenniskleidung, die in starkem Kontrast zu Angels schwarzem
Ledertrenchcoat stand.

Sie sahen sich einen Augenblick lang an. Der Dämon lächelte und

entblößte dabei seine schneeweißen Zähne.

Blitzartig fiel Angel die perfekte Geschichte ein, um seine

Anwesenheit zu erklären. Sie war so gut, so glaubwürdig, dass er das
Grinsen völlig natürlich erwiderte. Der Grund, den Angel für seine
Anwesenheit angeben wollte, würde nicht nur fraglos akzeptiert werden,
er würde ihm wahrscheinlich auch zu mehr Informationen verhelfen, als
er eigentlich brauchte.

Und als er gerade den Mund öffnen wollte, ging das Erdbeben los.
Der Dämon grabschte nach dem Türrahmen und hielt sich mit

angstverzerrtem Gesicht daran fest. Putz rieselte von der Decke. Entlang
dem ganzen Korridor schlugen Türen auf, und weitere verängstigte
Geschöpfe nahmen dieselbe schützende Position unter dem Türsturz ein.

Verängstigte Geschöpfe, deren gespaltene Zungen nervös zwischen

ihren Lippen zuckten.

Das Beben dauerte keine Minute. Da hatte Angel schon Schlimmeres

erlebt – aber er konnte ja auch schon auf ein paar hundert Jahre
zurückblicken. Dennoch war die Aussicht, unter Tonnen von Schutt und
Geröll begraben zu werden, dazu angetan, selbst einen Vampir aus der
Fassung zu bringen.

Als alles vorbei war, fragte man sich gegenseitig, ob alles in Ordnung

sei. Angels Anwesenheit wurde nicht hinterfragt, wofür er sehr dankbar
war. Schade nur, dass er seine Geschichte nicht mehr zum Besten geben
konnte, denn die war wirklich gut gewesen ...

»Alle in Ordnung? Niemand verletzt?«, fragte ein großer Mann, der

den Korridor herunterkam. Er trug lässige Freizeitkleidung, strahlte aber
eine Autorität aus, die keine Uniform zur Bestätigung brauchte. Er

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musste um die sechzig sein, hatte silbernes Haar und jenes
wettergegerbte gute Aussehen, das alternden Filmstars eigen ist.

»Uns geht es gut, Galvin«, sagte eine junge Frau in Shorts und

rückenfreiem Top. »Ein paar Kinder sind natürlich furchtbar
durcheinander.«

»Findet ihr nicht auch, dass es Zeit für eine Versammlung ist?«, sagte

Galvin. Sein irischer Akzent war kaum herauszuhören; wäre Angel nicht
auf der Grünen Insel geboren worden, hätte er ihn nicht einmal bemerkt.

»An alle!«, ordnete Galvin an. »Im Gemeinschaftsraum, in zehn

Minuten!«

Es war keine allzu schwierige Aufgabe, hineinzuschlendern und einen
Platz weiter hinten zu finden. Der Raum fasste an die hundert Leute, und
ebenso viele hatten sich dort auch schon versammelt. Es gab nur junge
hübsche Gesichter; Galvin schien der einzige Ältere in der Gemeinde zu
sein. Vorne, den zahlreichen Stuhlreihen gegenüber, stand ein mit
üppigen Schnitzereien verziertes antikes Podium – Sotheby's würde
dafür ein Mindestgebot von mindestens zehntausend anmelden.

Galvin stand am Podium, schlug dreimal mit einem ebenso antiken

Hammer auf dasselbige und eröffnete die Versammlung.

»Also, nun«, sagte er. Er hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme, die

auch ohne Mikrophon durch den Raum getragen wurde. »Das war das
dritte Beben innerhalb von drei Tagen. Jedes war stärker als das
vorherige. Wenn das so weitergeht, fliegt uns bald das gesamte Haus um
die Ohren.«

Ein Mann in der zweiten Reihe hob die Hand. Von seinem Platz aus

konnte Angel nur die Kehrseite des teuren Haarschnitts und die Rolex
am Handgelenk erkennen. »Können wir nicht mit ihnen verhandeln?«

Galvin lächelte und ließ ein leises bedauerndes Kichern ertönen. »Nun,

falls jemand dazu in der Lage wäre, dann ja wohl wir, nicht wahr?«
Nervöses Gelächter erscholl aus der Menge. »Aber hier ist mit
Verhandlungen nichts zu holen. Es ist der reinste Belagerungszustand.
Wir sind ihnen im Weg, und sie wollen uns loswerden.«

Eine junge Frau in einem Versace-Kostüm ergriff das Wort. »Können

wir ihnen kein Angebot machen? Ganz bestimmt haben wir etwas, das
sie wollen.«

»Das haben wir«, sagte Galvin. »Aber dummerweise haben sie

beschlossen, uns einfach wegzunehmen, was wir haben. Wir sind zwar
findige Leute, was Druckmittel in der Geschäftswelt angeht, aber alle
Druckmittel der Welt nützen nichts ohne den Muskel, mit dem man den
Druck ausübt. Wir sind Geschäftemacher, keine Kämpfer.«

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Angel stand auf. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er. Die Leute drehten

sich nach ihm um.

»Wenn Sie keine Kämpfer sind«, sagte Angel, »sollten Sie vielleicht

darüber nachdenken, welche anzuheuern.«

»Angel«, sagte Calvin. »Der Vampir mit Seele ...«

Calvin hatte Angel zum Gespräch in sein Büro gebeten. Es war höchst

elegant und vornehm eingerichtet: polierte Mahagoni-Vertäfelung,
Perserteppiche auf Parkettboden, ein Sekretär, der wahrscheinlich von
einem französischen Schloss stammte. Die beiden Gemälde an der Wand
hätten spielend Angels Rente für ein ganzes Jahrhundert sicherstellen
können.

»Dann haben Sie also schon von mir gehört«, sagte Angel. »Ich

fürchte, das kann ich im umgekehrten Fall nicht behaupten.«

»Das ist verständlich«, meinte Calvin. »Wir sind eher verschlossen,

wir bleiben gerne unter uns – aber wir sind nicht böse. Brandy?«

»Nein, danke. Wenn ich für Sie arbeiten soll...«
»... müssen Sie natürlich auch ein bisschen über uns erfahren. Also ...«

Calvin goss einen Schluck Brandy aus einer prunkvollen Karaffe in ein
Glas. Er schwenkte es einige Male im Kreis, hob es unter die Nase und
ließ seine gespaltene Zunge darüber tanzen. »Ah! Sind Sie sicher, dass
Sie nicht probieren möchten? Es ist der allerbeste, das versichere ich
Ihnen.«

»Das glaube ich«, sagte Angel. »Aber daran bin ich nicht interessiert.«
»Ja, natürlich. Es tut mir Leid – es ist nur so, wenn man sich ein Leben

lang im Verborgenen hält, ist es nicht so einfach, einem Außenstehenden
seine Geheimnisse preiszugeben. Aber wir brauchen Ihre Hilfe ...

Wir sind Serpentiner. Wir sind Dämonen, die ursprünglich in

Schlangenkörpern lebten – genau wie Vampire einst in menschlichen
Körpern. Im Laufe der Zeit haben wir uns, um überleben zu können,
weiterentwickelt – gehäutet, sozusagen. Weil die Menschen eine
angeborene Abneigung gegen Schlangen hegen – von Dämonen ganz zu
schweigen –, haben wir gelernt, unsere wahre Natur vor ihnen zu
verbergen.«

»Für eine Gruppe Außenseiter haben Sie es aber ziemlich weit

gebracht!«

»Finanziell, meinen Sie? Oh ja! Die Serpentiner sind geborene

Geschäftsleute; wir handeln mit allem, von Aktien bis hin zu Autos. Wir
haben nur ein Problem, dasselbe wie Sie.«

»Flüssignahrung?«

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Calvin lachte. »Nein. Im Gegensatz zu normalen Schlangen macht uns

unser dämonisches Erbe zu Nachtwesen; wir können die Sonne genauso
wenig vertragen wie Sie.«

»Deshalb leben Sie auch unterirdisch.«
»Mehr oder weniger. Wir gehen zwar nicht in Flammen auf, wenn wir

ans Tageslicht gehen, aber es macht uns träge und schläfrig. Das ist nicht
gut fürs Geschäft – und wir geben doch gerne Geld aus.«

»Das sehe ich.«
»Da wir eine menschliche Erscheinungsform angenommen haben,

wurden wir auch vom Wesen her menschlicher. Wir entwickelten
menschliche Vorlieben, besonders für die schönen Dinge des Lebens.
Kleidung, Autos, Möbel, Essen und Trinken; wir nehmen von allem nur
das Beste ... Deshalb möchten wir Sie ja auch engagieren.«

»Damit ich Sie schütze«, ergänzte Angel. »Vor wem denn eigentlich?«
»Vielleicht sollte ich es Ihnen zeigen«, sagte Galvin und stand auf.

»Kommen Sie doch bitte mit!«

Er führte Angel aus dem Büro und den Korridor hinunter. Vor der Tür

mit der Nummer 245 blieb er stehen und klopfte leise an. »Maureen? Ich
bin's, Galvin!«

Eine hübsche junge Rothaarige mit Sommersprossen auf der Nase

öffnete die Tür. Angel vermutete, Cordelia hätte bereitwillig ihre linke
Hand für das Kleid gegeben, das die Frau trug. »Ja, Galvin?«

»Das hier ist Angel. Er wird uns bei unserem Problem helfen.«
»Oh ja. Ich habe Sie bereits bei der Versammlung gesehen.«
»Ich hoffe, ich kann Ihnen helfen«, sagte Angel.
»Maureen, ich frage mich, ob wir Suzy wohl einmal sehen könnten«,

sagte Galvin. »Wenn du glaubst, dass sie nichts dagegen hat.«

»Ihr Zustand ist unverändert.« Maureen seufzte. »Kommt herein.«
Sie führte die beiden Männer durch ihr Wohnzimmer, das in Schwarz

und Weiß gehalten war – eine schwarze Ledercouch und ebensolche
Stühle, ein schwarzer Metall-Couchtisch, weiße Teppiche und Wände –
und ein langer Flur zur Schlafzimmer-Suite.

Das große Baldachinbett war leer – aber da nahm Angel eine Bewe-

gung im angrenzenden Badezimmer wahr. Rasch ging er hinein und
stand vor einer großen, in den Boden eingelassenen Marmorbadewanne.

Die Geräusche kamen tatsächlich aus der Wanne. Das Ding, das darin

hockte, brachte sie hervor.

Es musste einmal eine Frau gewesen sein, aber nun war nur noch ein

Fleischhaufen in Menschengestalt von ihr übrig. Sie sah aus wie eine
aufblasbare Puppe, die zur Hälfte mit Wackelpeter gefüllt war. Nur die
Augen und Lippen wiesen daraufhin, dass es sich um ein lebendiges

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Wesen handelte. Es blinzelte ihn langsam an und versuchte, mit dem
zahnlosen Mund Worte zu formen. »Hhhhh ... ohhh ...«

»Suzy, das ist Angel«, sagte Galvin sanft. »Er wird uns vor dem

schützen, was dich angegriffen hat.«

»Gggguhhh!«
Angel fuhr zurück. »Was ist mit ihr geschehen?«, fragte er im

Flüsterton.

»Ein Dämon hat sie letzte Woche angegriffen. Sie hat sich gewehrt.

Und obwohl sie ihrem Angreifer in keinster Weise gewachsen war, hat
sie es wohl geschafft, ihn in Rage zu versetzen. Augenzeugen sagen, das
Monster habe sie an beiden Handgelenken gepackt, und dann habe sie
angefangen zu ... zittern. Heftig. Als hätte sie einen Stromschlag
bekommen, der ihr jeden Knochen im Leib gebrochen hat. Ihre Zähne
und Fingernägel sind richtiggehend explodiert.«

»Warum ist sie nicht...«
»Tot? Ein Mensch wäre es. Aber Schlangen waren schon immer mit

einer gewissen ... Flexibilität gesegnet. Deshalb hat sie überlebt.«

»Tja«, sagte Angel beklommen. Erbrachte es nicht über sich, dem

Wesen in der Wanne in die Augen zu sehen. »Was für ein Glück ...«

»Hier hat der Angriff stattgefunden«, erklärte Galvin. Sie betraten einen
großen Büroraum, in dem zahlreiche Schreibtische mit Computern
standen. Alle Plätze waren mit gut angezogenen Serpentinern besetzt, die
Telefon-Kopfhörer trugen und mitten in lebhaften Gesprächen zu stecken
schienen.

»Unsere Verkaufstruppe, wie immer spät im Einsatz«, sagte Galvin.

»Da wir es vorziehen, während der üblichen Bürozeiten das Haus nicht
zu verlassen, setzen wir verstärkt auf Telefonmarketing.«

»Haben Sie nicht gesagt, Sie wären nicht böse ...?«
Galvin grinste, entgegnete jedoch nichts. Er führte Angel durch das

Labyrinth aus Schreibtischen ans andere Ende des Raumes. Seine
Verkaufsleute nickten oder winkten ihnen zu, als sie an ihnen
vorbeigingen.

Ein Teil der Wand war mit einer Sperrholzplatte verbarrikadiert, über

die ein paar Holzplanken genagelt waren. Wie Angel vermutete, verbarg
sich dahinter ein großes Loch.

»Dort ist er letzte Woche hindurchgekommen.«
»Und wer genau ist er?«
»Ein Beben-Dämon.«
»Ich glaube, diese Gattung kenne ich nicht.«

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»Das ist kein Wunder. Sie leben völlig zurückgezogen unter der Erde

und zeigen sich niemals oberhalb derselben «, erklärte Galvin und
schüttelte den Kopf. »Elende Mistkerle sind das. Kurz gewachsen,
muskulös, mit einem Panzer, der aussieht wie aus Steinkohle.«

»Und warum werden Sie von ihnen belästigt?«
»Wir wissen es nicht genau. Es mag ein Territorialkampf sein oder

etwas, das mit ihrem religiösen Glauben zu tun hat. Uns ist lediglich
klar, dass sie uns loswerden wollen – und wenn es ihnen nicht gelingt,
uns mit Terror zu vertreiben, legen sie unser Zuhause in Schutt und
Asche.«

»Und den Rest von L.A. gleich mit«, fügte Angel hinzu. »Also gut. Ich

sage Ihnen jetzt, was wir tun werden.« Er zog eine Visitenkarte aus der
Tasche und reichte sie Galvin. »Da steht die Telefonnummer meiner
Partner drauf. Falls ich in drei Stunden nicht zurück bin und mich auch
nicht gemeldet habe, rufen Sie die beiden an und erklären ihnen die
Situation.«

Mit beiden Händen ergriff Angel eine der Planken, die über das Loch

in der Wand genagelt waren, und riss sie herunter.

»Was haben Sie vor?«
Angel riss ein weiteres Brett von der Wand. »Na ja, Sie wissen schon,

eine kleine Ortsbesichtigung, eine Runde Höhlenforschung sozusagen.
Ich persönlich bin nämlich ein großer Tunnel-Fan ...«

Die Tunnelwände waren aus nackter, festgetretener Erde, gerade hoch
genug, dass Angel aufrecht stehen konnte. Der Tunnel führte in einem
steilen Winkel nach unten, und Angel war ihm bereits über einen halben
Kilometer gefolgt.

»Großartig«, murmelte er tonlos. »Dämonenjuppies haben mich

engagiert, um Jagd auf Maulwurfmänner zu machen ...«

Im Schein seiner Taschenlampe tauchte weiter vorn im Tunnel eine

Abzweigung auf. »Tja, links oder rechts, das ist hier die Frage ...«

Er wählte den Gang zu seiner Rechten und ging weiter. Seit er nach

L.A. gekommen war, hatte er bereits jede Menge Zeit unter der Erde
verbracht, denn er nutzte das ausgedehnte Tunnel- und Kanalsystem
unter der Stadt, um sich tagsüber fortzubewegen. Zum Glück hatte er
einen gut entwickelten Orientierungssinn und verirrte sich nur selten.

Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne des Wortes. Aber wie er da

allein durch die Finsternis des Tunnels stapfte, den Geruch von Erde in
der Nase, wurden Erinnerungen in ihm wachgerufen. Erinnerungen an
eine Zeit der Verirrtheit ganz anderer, tiefer gehender Art. An eine Zeit
des Blutrauschs und des Wahnsinns.

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Es war das Jahr 1755, zwei Jahre nachdem Darla ihn verwandelt hatte;
zwei Jahre willkürlichen Abschlachtens in ganz Europa, über das er eine
Spur blutgetränkter Dekadenz gezogen hatte. In diesem Jahr war
Portugal von einem großen Erdbeben heimgesucht worden, das mit
seinen dreißigtausend Opfern die Bemühungen von Angelus und seiner
Erzeugerin weit in den Schatten stellte. Sie hatten sich gerade in Madrid
aufgehalten und das Ende der Druckwelle noch erleben können, und als
sie vom ganzen Ausmaß der Katastrophe erfuhren, beschlossen sie, eine
kleine Urlaubsreise zu machen und die Verwüstung mit eigenen Augen
anzusehen.

In Aranjuez mieteten sie eine Barkasse und fuhren den Tejo hinunter.

Das dunkle Bergmassiv verdeckte zu beiden Seiten die Sterne, als sie
durch die mediterrane Nacht trieben. Nach zwei Tagen erreichten sie
Lissabon an der Atlantikküste, einst das Juwel der iberischen Halbinsel
und nunmehr die reinste Höllenvision. Die Flammen loderten schon den
fünften Tag in Folge ungehindert gen Himmel, die Straßen waren voller
Geröll, und an Löscharbeiten war nicht einmal zu denken. Die ganze
Innenstadt lag in Trümmern, der königliche Palast und die Oper waren
komplett ausgebrannt. Die Ratten hatten bereits begonnen, sich über die
Toten herzumachen.

Die Besatzung der Barkasse, alles abgehärtete Kerle, schwieg

fassungslos angesichts des Ausmaßes der Zerstörung. Angelus und Darla
schlitzten den Matrosen die Kehlen auf und füllten Champagnergläser
mit ihrem Blut, um auf das Spektakel anzustoßen.

Wie Kinder waren sie durch die Ruinen getollt und hatten sich dabei

immer neue Spiele ausgedacht. Der Kopf, der von einer verbrannten
Leiche abfiel, gab einen wunderbaren Fußball ab; zwei losgerissene
Arme wurden zu improvisierten, schlabberigen Schwertern. Darla hatte
Angel durch die Überreste einer Kirche gejagt und vor Entzücken laut
gekreischt, während sie mit der einen Hand den Rocksaum ihres Kleides
zusammenraffte und mit der anderen versuchte, Angel mit dem Arm
einer Nonne den Hintern zu versohlen.

Und dann hatten sie Laute gehört, von unten. Einen schwachen

Hilferuf.

»Was mag das wohl sein?«, fragte Angelus. »Ein vergrabener Schatz

vielleicht?«

Darla kicherte. »Meinst du, die haben Lust, mit uns zu spielen?«
»Da bin ich ganz sicher«, entgegnete Angelus grinsend. »Sie spielen

doch schon Verstecken mit uns, nicht wahr?«

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Er zog seinen schwarzen Gehrock aus und fing an, Geröll

wegzuräumen. Dabei warf er Trümmerstücke und Holzbalken zur Seite,
an denen normalerweise drei Männer zu schleppen gehabt hätten.
Innerhalb kürzester Zeit war ein Teil der Dielenbretter freigelegt.

Angel kniete sich hin und beugte den Kopf dicht über den Boden.

»Nur mit der Ruhe!« rief er hinunter. »Ich habe hier ein Team von fünf
Männern, die wie verrückt arbeiten!« Darla lachte laut auf. Angel
bedeutete ihr mit einem Grinsen zu schweigen.

»Bitte!«, kam die schwache Antwort. Eine Frauenstimme. »Wir sind

bereits fünf Tage hier gefangen, ohne Brot und Wasser...«

»Wie viele seid ihr?«
»... Drei...«
»Und wie seid ihr überhaupt da runtergekommen?«
»... Es gibt eine Falltüre im Westflügel... Sie führt in den Keller...«
»Was? Soll das heißen, wir hätten die ganze Arbeit an der falschen

Stelle verrichtet? Also, dann müssen wir wohl noch mal ganz von vorn
anfangen – nach dem Mittagessen, versteht sich.«

»Was?«
»Ja, ja, auf uns wartet ein großer Teller mit Hähnchen und frisch

gebackenem Brot und schönes kaltes Wasser, um das Ganze
hinunterzuspülen – klingt doch gut, findest du nicht?«

»... Ja, aber... bitte beeilen Sie sich ...«
»Es wird nicht lange dauern«, sagte Angelus kichernd. »Eine Stunde,

höchstens zwei.«

Er erhob sich und klopfte sich die Hände ab. »Das ganze Gerede über

Essen hat mich richtig hungrig gemacht. Sollen wir mal die örtliche
Küche testen?«

»Was, jetzt willst du aufhören? So viel Arbeit und dann keine

Belohnung?«

»Ach, die halten sich da 'ne Weile«, sagte Angelus fröhlich. »Das ist

doch wie eine gut gefüllte Speisekammer, findest du nicht? Wir können
jederzeit zurückkommen und einen kleinen Bissen zu uns nehmen ...«

Die Abzweigung des Tunnels, die Angel gewählt hatte, führte nun
wieder nach oben. Allerdings konnte er nicht abschätzen, wie dicht unter
der Erdoberfläche er sich befand, und er fragte sich, ob er vielleicht den
falschen Weg gewählt hatte.

Der Angriff erfolgte ohne Vorwarnung.
Der Beben-Dämon war so lange unsichtbar in der Erdwand des

Tunnels verborgen gewesen, bis er eine Faust ausfuhr und Angel im
Gesicht traf.

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Angel ließ seine Taschenlampe fallen und stolperte rückwärts, als der

Dämon aus der Wand kam. Die Haut des Wesens war steingepanzert und
schimmerte wie schwarzes Glas. Überall auf seinem gedrungenen,
muskulösen Körper ragten scharfkantige Felssplitter hervor. Schwarze
Stalaktiten hingen wie ölige Eiszapfen von seiner massiven Stirn und
dem Kiefer, und als das Ungetüm sein Maul öffnete, um ihn
anzuknurren, sah Angel ähnliche schwarze Stacheln im Innern.

»Ich hätte eine Spitzhacke mitnehmen sollen«, murmelte er, als er in

seinen Trenchcoat griff. »Dann muss ich eben damit auskommen ...«

Gekonnt zog er die doppelköpfige Streitaxt aus ihrer Spezialscheide

und schwang sie mit einer Hand, als der Beben-Dämon sich auf ihn
stürzte. Er traf das Wesen an der Brust, und ein wahrer Funkenregen
ergoss sich, als Stahl über Stein schrammte.

Das Monster griff mit seiner riesigen Pranke nach ihm. Seine

schwarzen Krallen waren länger als die eines Grizzlybären. Angel wich
ihm aus, packte die Axt mit beiden Händen und zielte auf den Schädel
der Kreatur.

Die Axt prallte jedoch einfach ab, und durch die Wucht des

Rückschlags wurde sie Angel fast aus den Händen gerissen. Der Dämon
wich einen Schritt zurück, aber das war auch schon alles.

»Macht nichts«, sagte Angel. »Kein Problem.«
Das Monster stürzte wieder auf ihn zu, und Angel beschloss, seinen

Schwung auszunutzen. In letzter Sekunde ließ er die Axt fallen und stieß
den Dämon mit einem Hüftwurf zu Boden. Es kam ihm vor, als hätte er
es mit einem Truck aufgenommen um. Um ein Haar hätte er sich bei
diesem Manöver das Bein gebrochen.

Aber immerhin lag das Monster nun zu seinen Füßen, mit dem Gesicht

im Dreck – und einen Augenblick später hatte Angel die Axt auch schon
wieder in der Hand. Er ließ sie mit aller Kraft niederfahren und nagelte
sie dem Monster zwischen die Schulterblätter, als es sich gerade erheben
wollte. Durch die Wucht wurde es wieder zu Boden geschmettert, aber
weiteren Schaden schien Angel nicht angerichtet zu haben.

Er schlug noch einmal auf das Wesen ein.
Und noch einmal.
Und noch einmal.
Es kam immer wieder auf die Beine, wenn auch langsam. Beim

fünften Schlag brach die Klinge der Axt vom Stiel, und Angels Gegner
fehlte nicht mehr als ein paar Scherben aus seiner Panzerung.

Er sprang dem Dämon in den Rücken, als dieser wieder auf die Beine

kam. Vielleicht gelang es ihm ja, dem Vieh den Hals brechen. Er packte
den Kopf mit beiden Händen und bog ihn so fest er konnte zur Seite.

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Dabei hatte er das Gefühl, am Steuerrad eines einbetonierten Busses zu
drehen.

Irgendetwas traf Angel so hart am Hinterkopf, dass es ihm die Sicht

trübte, aber er hielt stur den Kopf des Dämons umklammert.

Der nächste Schlag traf ihn an der Schulter, und sein linker Arm wurde

taub. Er wirbelte herum, um den neuen Angreifer ins Visier zu nehmen.
Was er sah, hielt er zuerst für eine riesige Schlange.

Dem war aber nicht so. Denn zuvor war ihm offenbar völlig

entgangen, dass der Beben-Dämon auch einen Schwanz hatte.

Er war an die zwei Meter lang und so dick wie ein Telefonmast. Das

Ende sah aus wie ein übergroßer Spaten, ein Spaten aus glänzendem
schwarzen Stein, der spielend auch als Mordwaffe eingesetzt werden
konnte.

Der Schwanz des Beben-Dämonen peitschte erneut über Angel hinweg

und warf ihn zu Boden. Eine steinerne Klaue schloss sich um sein linkes
Handgelenk. Die zweite packte ihn an der rechten Schulter.

Zwischen diesen beiden Kontaktpunkten durchfuhr Angel plötzlich

eine Erschütterung, die seinen Arm hinauf und durch seine Brust
hindurchzuckte. Es fühlte sich an wie ein Herzinfarkt und ein
Starkstromschlag zugleich, aber das war nur eine Vermutung von Angel,
denn Angels zweihundertvierzigjährigem Leben mangelte es bedauer-
licherweise an Erfahrung sowohl mit elektrischen als auch mit
herztechnischen Phänomenen.

Und es wurde noch schlimmer. Angel spürte, wie seine Knochen

anfingen zu vibrieren und seine Muskeln sich verkrampften. Noch eine
Sekunde, und seine Zähne würden wie ein Feuerwerk explodieren ...

Sein rechter Arm war immer noch frei. Er griff in die Höhe und

versuchte, sich von der Klaue auf seiner Schulter zu befreien. Er packte
den Dämon, der ihn immer noch an dem anderen Arm festhielt, am
Handgelenk.

Mit aller Kraft warf sich Angel nun zur Seite und riss den Dämon mit

sich. Als dieser stürzte, gruben sich seine steinernen Pranken in den
weichen Tunnelboden.

Angels Körper hörte zwar auf zu zittern, aber nun begann der Boden

zu vibrieren. Im Laufe der Zeit hatte Angel gelernt, dass es meist viel
schwieriger war, eine mystische Energiequelle abzuschalten, als sie um-
zuschalten ... Aber wie groß die Kräfte des Dämons auch sein mochten –
sie hatten doch bestimmt eine viel größere Affinität zu Gestein und Erde
als zu untotem Fleisch.

Angel gratulierte sich noch zu seiner Genialität, da stürzte um ihn

herum der Tunnel ein.

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19

2



»Lebendig begraben«, sagte Darla. »Du liebe Zeit, was für eine gruselige
Vorstellung!«

»Ach, ich weiß nicht«, entgegnete Angel. »Du weißt doch, wie es bei

denen geht: Erst sterben sie, dann werden sie begraben, und dann
kommen die Würmer und fressen das Fleisch. Man kann nur froh sein,
dass es in dieser Reihenfolge geschieht.«

Die beiden waren von ihrer Exkursion durch das zerstörte Lissabon

zurückgekehrt, nachdem sie sich an einer Bande Plünderer gelabt hatten,
die aufgrund einer krassen Fehleinschätzung der Lage versucht hatten,
sie auszurauben. Darla hatte das Mahl genossen, aber Angelus fand die
Kerle für seinen Geschmack ein wenig zu fett.

Und nun ... nun stand ihnen der Sinn nach etwas Unterhaltung.
Angelus nahm ein Stück Holz zur Hand und strich über den Teil des

Bodens, den er von Geröll befreit hatte. Dann klopfte er heftig dagegen.

»Hallo, da unten! Immer noch unter den Lebenden?«
»...Ja! Ja, bitte, holen Sie uns raus!«
»Geduld, meine Lieben, nur Geduld! Das ist harte Arbeit, sich hier

unter der sengenden Sonne abzuplagen.« Angelus lächelte über seinen
eigenen Witz. »Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist die Falltür
freigelegt. Warum erzählt ihr uns in der Zwischenzeit nicht ein wenig
von euch?«

»... Ich ... ich weiß nicht, was Sie meinen, mein Herr...«
»Na ja, retten wir hier Huren oder Nonnen? Bei der richtigen Antwort

graben meine Männer schneller, kann ich nur sagen!«

Darla presste sich rasch die Hand auf den Mund, damit sie nicht laut

herausprustete.

»... Keins von beidem. Wir sind nur Gemeindemitglieder. Wir waren

in der Kirche, als die Erde zu beben begann. Der Priester dachte, hier
wären wir sicher ...«

»Und wo ist der gute Vater?«
»Er... er war nicht schnell genug, als das Dach plötzlich einstürzte ...«
»Aber ihr wart es, nicht wahr? Wie die Kaninchen seid ihr ins Loch

gerast, das kann ich mir gut vorstellen! Und ganz gewiss habt ihr dem
teuren Vater auch in der Eile nicht den Ellbogen in die Brust gerammt,
oder?«

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»Nein! Nein, ich schwöre ...«
»Wie ist dein Name, meine Liebe?«
»Maria ...«
»Und deine beiden Freunde? Warum höre ich nichts von ihnen?«
»Francesco ist verletzt, er bewegt sich nicht und sagt auch nichts.

Estrellita ist weiter hinten unter einem Holzbalken festgeklemmt...«

»Und du? Bist du verletzt?«
»Ich glaube, mein Arm ist gebrochen ...«
»Na ja, sieh es positiv: Du hast ja immer noch den anderen, nicht

wahr?« Angelus spielte träge mit dem Stück Holz in seinen Händen.
»Glaubst du, du kannst mir einen Gefallen tun?«

»Ich tue, was in meiner Macht steht...«
»Sing!«
»... Sing ein Lied für uns, um die Männer bei der Arbeit zu

unterstützen. Um sie in Bewegung zu halten.«

»... Mein Hals ist so trocken ...«
»Je lauter du singst, desto schneller bekommst du Wasser. Das ist doch

fair, oder?«

»Was ... Was soll ich ...«
»Hast du ein Lieblingslied, meine Süße?«, fragte Angelus Darla

grinsend.

»Das Ave Maria vielleicht?«, schlug Darla vor.
»Das ist doch kein Lied zum Arbeiten!«, entgegnete Angelus

bestimmt. »Sag mal, kennst du ein paar gute irische Trinklieder?«

»... Bitte, ich bin so durstig ...«
»Vielleicht ist ein Kirchenlied doch das Richtige. Wie wäre es mit

›Lobet den Herren‹? Das war immer der Renner in unserer Kirche –
obwohl ich zugeben muss, dass ich nicht gerade mit häufiger
Anwesenheit glänzte«, sagte Angelus. Dann sang er: »Lobet den Herren,
den mächtigen König der Ehren. Meine geliebete Seele, das ist mein
Begehren. – Los jetzt, erhebe deine Stimme und lobe den Herrn!«

»... Lobet den Herren, den mächtigen König ...«
»Lauter!«
»Meine geliebete Seele, das ist mein Begehren ...«
Angelus streckte eine Hand nach Darla aus. »Möchten Sie tanzen,

Mylady?«

Sie kam auf ihn zu und lachte mit ihm über die schwache, zittrige

Stimme, die zu ihnen hinaufdrang.

»Kommet zu Häuf, Psalter und Harfe wacht auf...«

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Die Erinnerung an diese Stimme hallte in Angels Kopf, als er langsam
wieder zu Bewusstsein kam. Er konnte Lissabon fast riechen, wie es
lichterloh brannte ...

Wenn seine Nase nicht voller Dreck gewesen wäre.
Da das Atmen für Vampire keine zwingende Notwendigkeit darstellt,

war dies allerdings kein Problem – im Gegensatz zu der Tatsache, dass
er nun lebendig begraben war – untot begraben, besser gesagt. Immerhin
war er allein; der Beben-Dämon schien verschwunden. Zumindest hielt
er Angel nicht länger in seinem durchschüttelnden Todesgriff. Die Erde
an dieser Stelle war nicht mehr so festgestampft, also befand er sich
offenbar schon dicht unter der Oberfläche.

Angel musste an Darla denken, als er begann, sich seinen Weg nach

oben zu schaufeln. Zum ersten Mal hatte er sich auf diese Art befreien
müssen, als sie ihn gebissen hatte – aber damals war es sein eigenes Grab
gewesen, aus dem er sich nach oben gearbeitet hatte.

Er erinnerte sich daran, wie ihn Panik ergriffen hatte, als er in seinem

eigenen Sarg erwacht war. Er hatte alles für einen schrecklichen Irrtum
gehalten und versucht, den Deckel aufzustoßen, auf dem schwere, nasse
Erde lastete. Er hatte mit seiner neuen Kraft so lange dagegen gehäm-
mert, bis der Deckel zerbarst, und dann hatte er sich rasend und wie wild
mit den Händen den Weg nach oben geschaufelt. Sein Körper brauchte
zwar keine Luft mehr, aber sein Gehirn hatte diese Tatsache noch nicht
erfasst. Und so waren seine Lungen von einem Verlangen erfüllt, das sie
eigentlich gar nicht mehr haben konnten; das Bedürfnis zu atmen war
pure Einbildung.

Vor seiner Transformation hatte Angel den Unterschied zwischen

Wünschen und Bedürfnissen nicht gekannt. Wenn er etwas wollte, nahm
er es sich; wenn er Lust auf eine Schlägerei, ein Saufgelage oder eine
Affäre mit einer Frau hatte, tat er es einfach. Das war für ihn alles
dasselbe, und als er zum Vampir wurde, hatte er genauso weitergemacht.
Seine Bedürfnisse hatten sich zwar verändert, nicht aber seine
Einstellung dazu.

Und dann hatte er seine Seele wiederbekommen, und alles war anders

geworden.

Plötzlich hatte er nur noch das Verlangen nach Erleichterung von der

gewaltigen Schuld verspürt, die auf ihm lastete, und als ihm klar wurde,
dass es keine Erleichterung gab, hatte er leiden wollen. Er hatte
regelrecht das Bedürfnis danach, für das Chaos zu büßen, das er ein Jahr-
hundert lang angerichtet hatte; für all die Leichen, die er in seinem
Kielwasser zurückgelassen hatte. Er hatte fast wie ein Tier
dahinvegetiert, das Blut von Nagetieren getrunken und in

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22

Abwasserkanälen geschlafen. Es hatte ein Jahrhundert gedauert, bis ihn
das Verlangen ergriff, etwas anderes zu tun, als nur zu existieren.

Mittlerweile gab es eine sehr klare Linie zwischen Angels Wünschen

und dem, was er tatsächlich brauchte. In seinem tiefsten Innern wünschte
er sich dasselbe wie alle anderen: glücklich zu sein nämlich. Aber sollte
Angel jemals einen einzigen Augenblick wahren Glücks erleben, dann
würde ihm der Fluch der Zigeuner, der auf ihm lastete, die Seele aus dem
Körper reißen und ihn einmal mehr in das Monster namens Angelus
verwandeln. Es war ihm unmöglich, das zu bekommen, was er wollte.

Aber er konnte haben, was er brauchte - denn alles, was er brauchte,

war die Möglichkeit, die Finsternis zu bekämpfen, in der er einmal
gelebt hatte. Die dunklen Ecken der Welt ein wenig sicherer zu machen.

Zwanzig Minuten später tauchte Angels Kopf inmitten eines Baseball-

Platzes auf. Die rosige Farbe des Himmels kündigte bereits die
Morgendämmerung an, und Tautropfen glitzerten auf dem grünen
Bürstenschnitt des Rasens. Angel stemmte sich gleich hinter dem ersten
Base aus dem Boden und zog sein Handy aus der Tasche – zum Glück
funktionierte es noch. Er machte rasch einen Anruf, während er sich zum
nächstbesten Kanaldeckel aufmachte. Und auf dem ganzen Weg zurück
ins Büro bekam er dieses Kirchenlied nicht aus dem Kopf.

»Dämonische Yuppies? Wir arbeiten für Duppies?«, fragte Cordelia und
legte ihre Vogue auf dem Tisch ab. »Na super! Wie tötet man die denn?

MUSS

man ihnen einen Ikea-Katalog ins Herz rammen?«

»Ihr Aktienpaket dem direkten Sonnenlicht aussetzen«, schlug Doyle

vor, der sich auf der Bürocouch lümmelte. »Vielleicht muss man sogar
statt dem Kreuz einen Mercedesstern aus Holz um den Hals tragen.«

»Sehr witzig«, bemerkte Angel. »Aber Dämonen hin oder her – sie

haben ein echtes Problem.«

»Ach was!«, schnaubte Cordelia. »Sie sind schließlich auch Dämonen!

Nur weil sie sich die Pediküre für ihre kleinen Huffüße nicht leisten
können, sind wir doch nicht plötzlich ihre besten Kumpels. Ich würde
sagen: Lass sie Dreck fressen!«

»Ein großes Erdbeben könnte dafür sorgen, dass ganz Kalifornien

Dreck frisst«, erklärte Angel. »Einschließlich deiner Wenigkeit.«

»Oh«, machte Cordelia. »Gutes Argument. Wenn Hollywood zerstört

würde, wäre das meiner Karriere nicht gerade zuträglich.«

»Und wenn sie gehen, klingt es auch nicht, als hätten sie Hufe an den

Füßen«, sagte Doyle. »Sie klingen eigentlich ganz normal. Für
Dämonen, meine ich.« Er blickte zu Cordelia hinüber.

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»Normal? Und was ist mit ihren komischen Züngelzungen? Ich bitte

dich!«

... Bitte ..., flehte Angel innerlich.
»Stimmt doch, Angel, oder?«, fragte Doyle.
»Was? Ähm, ich hab nicht zugehört.«
»Ich sagte, man kann ein Buch nicht nach dem Cover beurteilen. Oder

einen Dämonen nach seiner Zunge, in diesem Fall. Und wo wir gerade
von Zungen reden, Angel, was wolltest du denen denn für eine
Geschichte auftischen, wenn sie dich ohne Zugangsberechtigung ge-
schnappt hätten?«

»Ich hatte mir wirklich eine total clevere Geschichte ausgedacht. Ich

wollte ihnen sagen ...«

»Das ist doch lächerlich«, sagte Cordelia. »Ich meine, wenn das Cover

eines Buches keine Rolle spielt, warum gibt es denn dann so viele
verschiedene? Wozu bezahlen sie dann Layouter und Grafiker und
Fotografen? Wenn das Cover wirklich nicht wichtig wäre, dann sähen
alle Bücher gleich aus, und die Leute würden Fabio für den Namen eines
Fleckenmittels halten.«

»Ähm, nun also ...«, setzte Angel an. »Die Sache ist die: Ich würde

gern ein wenig mehr über beide Spezies wissen. Wenn wir uns schon in
den Kampf stürzen, will ich sicher gehen, dass wir auf der richtigen Seite
stehen.«

»Ich bin auf alle Fälle für die Seite ohne Dämonen«, sagte Cordelia.
»Beziehen Sie Vampire da mit ein?«, ertönte eine wohlklingende

Stimme von der Tür. »Oder nur Vampire mit Seele?«

Galvin kam hereingeschlendert. Er trug einen dunkelblauen

Seidenanzug und hatte ein strahlendes Lächeln aufgesetzt.

»Und Sie sind?«
»Das ist unser Klient«, sagte Angel. »Galvin, das sind meine Partner

Cordelia und Doyle.«

»Doyle! Was für ein schöner irischer Name«, sagte Galvin und

schüttelte Doyle die Hand. »Es bedeutet ›dunkler Fremder‹ oder
›Neuankömmling‹. Offenbar trifft dies gerade eher auf mich zu, nicht
wahr?«

Er wandte sich an Cordelia. »Und Cordelia, eine weitere Keltin, wenn

ich mich nicht irre – das Juwel des Meeres!«

Cordelia runzelte die Stirn. »Was für'n Juwel?«
»Also, mit so einer netten Truppe von Landsleuten an Ihrer Seite

haben Sie mein vollstes Vertrauen, Angel. Erlauben Sie mir, meine
Dankbarkeit in Münzen auszudrücken.« Galvin zückte sein Scheckheft.

»Das geht schon in Ordnung ...«, setzte Angel an.

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»Absolut in Ordnung, wir nehmen auch Schecks«, fiel Cordelia ihm

ins Wort. »Und zu Beginn bezahlt zu werden statt am Ende entspricht im
Übrigen unserer Geschäftspolitik. Denn wir können sehr viel effektiver
arbeiten, wenn wir einfach bezahlen können, was wir brauchen, statt uns
um Rechnungen und dergleichen zu kümmern.«

»Selbstverständlich«, sagte Galvin. Er füllte den Scheck aus, riss ihn

aus dem Heft und reichte ihn Cordelia. »Ich hoffe, das ist ein
angemessener Vorschuss.«

Cordelia warf einen flüchtigen Blick darauf. »Ist es«, sagte sie, öffnete

die oberste Schublade ihres Schreibtischs, legte den Scheck hinein und
schloss sie wieder. Dann faltete sie die Hände auf ihrer Schreibunterlage
und lächelte Galvin beflissen an. »Nun, was können wir für Sie tun?«

»Angel hat mir bei seinem Anruf bereits erzählt, was geschehen ist«,

sagte Galvin. »Ich wollte nur kurz vorbeikommen und nach dem Rechten
sehen. Und persönlich eine Einladung überbringen.«

»Das ist nicht nötig«, entgegnete Angel. »Ich muss nur einmal an

einen Ort eingeladen werden, damit ich ihn betreten ...«

»Nein, nein, nein«, unterbrach ihn Galvin kichernd. »Ich meinte eine

richtige Einladung - zu einer Party. APPLETREE ESTATES richtet
heute Abend einen kleinen Umtrunk aus, und wir würden uns freuen, Sie
begrüßen zu dürfen. Da Sie sich nun um unser Wohl kümmern, möchten
wir Sie gern ein bisschen besser kennen lernen.«

»Das ist sehr freundlich, Galvin, aber...«
»Wir würden Ihnen gern etwas mitbringen, wenn wir schon kommen«,

beendete Doyle rasch den Satz.

»Also, eine gute Flasche Wein wissen wir immer zu schätzen«,

entgegnete Galvin. »Und zu einem Whiskey sagen wir auch nicht nein.«

»Dann sehen wir uns heute Abend«, bestätigte Doyle.
»Ausgezeichnet.« Galvin unterdrückte ein Gähnen. »Entschuldigen Sie

mich. Ich muss wirklich nach Hause. Ich kann tagsüber kaum noch die
Augen offen halten. Zum Glück ist der Fahrer meiner Limo ein Mensch
– ich bin sicher, ich würde am Steuer einschlafen. Dann bis heute Abend
also!« Er verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und verschwand.

»Nun, das war...«, setzte Angel an und brach ab.
»Was?«, fragte Doyle.
»Ich habe nur daraufgewartet, dass einer von euch meinen Satz

beendet«, sagte Angel. »Das könnt ihr beide doch so gut!«

»Juuuuuhuuuu!«, schrie Cordelia in diesem Augenblick.
Doyle sprang auf die Beine, und Angel drehte sich alarmiert um.
Cordelia hielt den Scheck in beiden Händen.
»Habt ihr gesehen, wie viel das ist? Oh mein Gott!«

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»'n bisschen verspätet, deine Reaktion, Cordy!«, bemerkte Doyle.
»Nein! Ich habe es nur nach innen verdrängt, bis er gegangen ist. Ich

bin Schauspielerin, weißt du.«

»Ich halte es für keine gute Idee, sich privat mit Klienten zu treffen«,
meinte Angel.

»Ist ja auch nicht unbedingt ein privates Treffen«, hielt Doyle dagegen

und machte es sich wieder auf der Couch bequem. »Sieh es doch als
Möglichkeit, Recherchen anzustellen! Du hast doch selbst gesagt, wir
müssen mehr über diese Serpentiner in Erfahrung bringen. Und das ist
die perfekte Gelegenheit, sie auszuspionieren.«

»Ich hatte eher daran gedacht, ein paar Stunden mit Lesen zu

verbringen ...«

»Oh, nein!«, empörte sich Cordelia. »Lesen oder kämpfen, das sind

deine Lösungsvorschläge für alles. Du bist echt der Bruce Lee der
Bücherwürmer. Du solltest mal öfter ausgehen und dich ein bisschen
amüsieren – und dieser Scheck ist ganz bestimmt ein Grund zum
Feiern.«

»Gläserweise trinken ist mir beim Recherchieren sowieso lieber als

seitenweise lesen«, meinte Doyle. »Was haltet ihr davon? Unter uns
dreien gesagt glaube ich, wir können es ruhig ...«

»Ähm, entschuldige bitte«, unterbrach ihn Cordelia. »Ich hoffe, mit

uns drei meinst du Angel, dich und einen imaginären Freund, denn ich
werde auf gar keinen Fall auf eine Party in einem Keller voller Boas
Constrictor auf Beinen gehen. Ich meine, sicher, ich nehme ihr Geld –
aber was, wenn es ein weiteres Beben gibt und wir dort unten
eingeschlossen werden? Sie werden schneller über mich herfallen als
eine in Quarantäne gehaltene Fußballmannschaft.«

»Da ist etwas dran«, räumte Angel ein. »Ich will keinen von euch in

Gefahr bringen.«

»Hör mal, Mann«, hielt Doyle entgegen. »Im Grunde läuft es doch auf

Folgendes hinaus: Irgendjemand muss losziehen, um diese Typen zu
überprüfen. Du bist derjenige, den sie engagiert haben, also musst du
dich da auch sehen lassen, Angel. Aber wenn du allein gehst, dann wirst
du wieder nur verklemmt in der Ecke rumlungern und überhaupt nichts
herausfinden. Ich hingegen weiß, wie man sich so einen Raum erobert.
Gib mir ein paar Drinks und ein bisschen stimmungsvolle Musik, und
innerhalb von einer halben Stunde habe ich die ganze Clangeschichte auf
der Rückseite einer Serviette stehen.«

»Okay, dann kommst du also mit...«
»Und ich gehe nur, wenn Cordy auch mitkommt.«

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»Was?«, fuhr Cordy entgeistert auf.
»Komm schon, Cordy, das wird lustig. Und wenn du dabei bist,

bringen wir doppelt so viel in Erfahrung. Wer kann diesen schönen
großen Augen schon etwas ausschlagen?«

»Na ja ...«
»Also abgemacht«, beschloss Doyle kurzerhand. »Heute Abend

mischen wir uns unters Volk!«

»Dann bis später!«, sagte Cordelia, stand auf und schnappte sich ihren

Mantel.

»Wo willst du denn hin?«, fragte Angel.
»Mich fertig machen natürlich.«
»Cordelia, es ist zwei Uhr nachmittags!«
»Sieh mal, wenn ich da hinmuss, zu dieser Dämonenparty, dann gehe

ich auch. Aber Dämonen hin oder her, sie haben offensichtlich Geld und
wissen sich zu kleiden. Und wenn du nicht willst, dass sie mich wie das
Mädchen am Drive-In-Schalter von Burger World behandeln, lässt du
mich lieber ein paar Vorbereitungen treffen. Das heißt: neue Frisur,
Schuhe, Garderobe - alles von dem mikroskopisch kleinen Gehalt, das du
mir zahlst. Ich brauche mindestens den ganzen Nachmittag, um mir
einen Look zurechtzubasteln, der nicht nach Heilsarmee schreit.«

»Oh, ähm, okay...«
Als Cordelia gegangen war, sagte Angel: »Du hättest sie nicht

überreden sollen mitzukommen.«

»Ach, komm schon, Mann«, entgegnete Doyle und erhob sich von der

Couch. »Du weißt doch genauso gut wie ich, dass nicht jeder Dämon
gleich eine Katastrophe bedeutet – aber Cordy ist diese Tatsache noch
nicht so vertraut. Wenn ich sie nicht einmal dazu kriege, mit eigenen
Augen zu sehen, dass wenigstens ein paar Dämonen auf unserer Seite
sind – wie groß sind dann meine Chancen, dass sie mal ein Date mit mir
in Betracht zieht?«

»Du bist nur ein halber Dämon, Doyle.«
»Als wäre das ein Unterschied! – Hey, Cordy, es ist zwar nur ein

Zweig meiner Familie, der aus der Hölle stammt, aber vielleicht ist es
doch besser, Thanksgiving mit deinen Leuten zu feiern. – Das würde ihr
sicherlich gefallen.«

»Doyle, du hast sie noch nicht mal nach einer Verabredung gefragt und

schmiedest schon Pläne für die Feiertage!«

»Tja, es ist eben nie zu früh, Pläne für eine nicht funktionierende

Partnerschaft zu schmieden.« Doyle schob die Hände in die
Hosentaschen und runzelte die Stirn. »Aber danke, dass du dich meiner

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Meinung anschließt. Ich kann es mir, ehrlich gesagt, auch nicht
vorstellen, dass Cordy je mit mir ausgeht.«

»Du musst sie halt irgendwann mal fragen.«
»Ich weiß, ich weiß. Lass mir nur noch ein bisschen Zeit...«


Eine junge blonde Serpentinerin in einem kurzen schwarzen Kleid holte
sie am Haupteingang des Wohnblocks ab. »Hallo«, sagte sie. »Ich bin
Kyra. Kommen Sie mit!«

Sie geleitete die drei hastig durch die Eingangshalle und in den

Aufzug. Als die Türen sich hinter ihnen schlössen, zog sie einen
Schlüssel hervor und steckte ihn in die Schalttafel. »Auf diese Weise
bleiben wir unter uns«, erklärte sie. »Wir vermieten zwar die oberen
Stockwerke an Menschen, aber wir achten darauf, nie mit ihnen gemein-
sam den Aufzug zu benutzen.«

Die Türen öffneten sich auf der ersten Etage der Serpentiner. »Galvin

gibt die Party«, sagte Kyra und führte sie den Korridor hinunter.
»Warten Sie, bis Sie seine Wohnung sehen – sie ist höchst erstaunlich.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, dass die Mieter oben die ...

Partygeräusche hören?«, fragte Angel.

»Zwischen unseren Etagen und dem Rest des Gebäudes haben wir

Schalldämmung in Studioqualität«, gab Kyra zur Antwort. »Wir müssen
uns um Lärm keine Gedanken machen.«

Cordelia warf Angel einen Blick zu. Er wusste nur zu gut, was sie

gerade dachte: Und so dringt praktischerweise auch kein Lärm nach
draußen wie zum Beispiel die schrecklichen Schreie, wenn sie ihre
Partygäste ermorden.

Galvin erwartete sie an der Tür. »Angel, Doyle, Cordelia! Ich freue

mich, dass Sie gekommen sind!« Er strahlte sie zufrieden an.
»Hereinspaziert, hereinspaziert! Ich werde Sie herumführen.«

Die Suite war groß, mindestens sieben Zimmer, und es herrschte reger

Betrieb. Mit stolzgeschwellter Brust präsentierte Galvin seine
Errungenschaften: Im Wohnzimmer hingen ein Picasso, ein Rembrandt
und ein van Gogh, im großen Schlafzimmer stand ein Louis-XIV-Bett,
und die Bibliothek schmückte sich mit Erstausgaben von Dickens, Poe
und Twain. Im Badezimmer stand sogar eine echte Ming-Vase.

Nach der Führung entschuldigte sich Calvin dafür, dass er so ein

schlechter Gastgeber war. »Da plappere ich hier von all meinen
weltlichen Gütern, und Sie haben nicht einmal einen Drink zur Hand, um
den Schmerz zu betäuben! Kommen Sie, dagegen müssen wir etwas
unternehmen!«

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Er führte sie an die Bar, ein massives Möbel aus Teakholz, das sich

fast über die ganze Zimmerlänge erstreckte. »Was trinken Sie am
liebsten? Wir haben eine reiche Auswahl an Single-Malts, sowohl Scotch
als auch Whiskey. Vielleicht bevorzugen Sie ja auch Wein oder Bier?
Wir haben Guinness vom Fass und ein ausgezeichnetes englisches
Starkbier im Angebot.«

»Ähm, wir haben das hier mitgebracht«, sagte Doyle. Er hielt Galvin

eine braune Papiertüte hin, in der eine Flasche steckte.

Galvin nahm sie, öffnete sie und spähte hinein. »Aha«, sagte er. »Sehr

schön. Wir stellen sie hier für später ab, ja?«

Doyle sah sich um, während Galvin die Drinks ausschenkte. Alle

Anwesenden waren jung, attraktiv und gut gekleidet. Wären wir hier
nicht in L.A., könnte man sich fast gruseln, dachte Doyle.

Maureen, die Serpentinerin, die Angel am Vortag bereits kennen

gelernt hatte, kam zu ihnen. Sie trug ein zartgelbes Abendkleid und
Smaragde um den Hals und an den Ohren. »Hallo«, sagte sie.

Angel stellte ihr Doyle und Cordelia vor, die ihr zur Begrüßung

zunickten. Galvin entschuldigte sich, als weitere Gäste eintrafen, und
ließ die vier allein.

Einen Augenblick lang herrschte ein beklemmendes Schweigen.
»Nun, Sie sind also eine Dämonin«, sagte Cordelia schließlich. »Wie

ist das?«

»Was sie meint, ist...«, warf Doyle hastig ein, »sie hat noch nie ... ähm,

sie hat keine Erfahrung mit...«

Maureen lachte. »Ist schon in Ordnung. Wir leben die ganze Zeit im

Verborgenen, da ist Ehrlichkeit ein erfrischendes Erlebnis.« Sie nahm
einen Schluck von ihrem Weißwein. »Eigentlich, wenn ich ehrlich sein
soll – und denken Sie daran, dass Sie damit angefangen haben! –, ist es
auch ein wenig beängstigend.«

»Das verstehe ich«, entgegnete Doyle. »Sie haben Angst davor, was

andere von Ihnen denken, wenn sie erkennen, mit wem sie es zu tun
haben und so weiter. Aber machen Sie sich keine Sorgen, wir sind hier,
um uns zu amüsieren, und nicht, um Sie ins Verhör zu nehmen.«

»Eigentlich gibt es tatsächlich ein paar Sachen, die ich Galvin fragen

muss«, sagte Angel. »Wenn Ihr mich entschuldigt?« Er verschwand in
der Menge.

»Der gute alte Angel, immer bei der Arbeit«, bemerkte Doyle. »Hat

die Disziplin eines Uhrwerks – und dabei muss man ihn nicht mal
aufziehen.«

»Daran sind wir gewöhnt«, sagte Maureen. »Diese Einstellung zur

Arbeit, meine ich. Wir alle hier sind Workaholics.«

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»Als was genau arbeiten Sie?«, fragte Cordelia.
»Ich bin Vertreterin bei Neiman-Marcus.«
Cordelia bekam große Augen. »Welche Abteilung?«
»Überwiegend Damenmode.«
»Und ich wette, Sie bekommen einen ordentlichen Mitarbeiterrabatt,

nicht wahr...?«

»Sie kennen die Firma. Sie sollten die Kollektion sehen, die gerade

hereingekommen ist...«

Und schon schwenkte das Gespräch um auf das Thema Mode. Doyle,

dessen Stil Cordelia einmal als den eines »Billigladen-Salonlöwen«
beschrieben hatte, merkte schon nach zwei Minuten, wie seine Augen
glasig wurden. Er entschuldigte sich, um zur Toilette zu gehen. Aber
Maureen und Cordelia bekamen kaum mit, dass er verschwand.


»Also, Galvin«, sagte Angel. »Sind alle Serpentiner irischer

Abstammung?«

»Aye, das ist unser Heimathafen«, antwortete Galvin und klang einen

Augenblick lang wie ein waschechter Ire. Er nahm seinen Drink von dem
weißen Konzertflügel, auf dem er ihn abgestellt hatte. »Aber das ist
schon lange her. Keiner von uns hat seinen Fuß auf Heimatboden
gesetzt, seit wir verbannt wurden. Ähnlich wie Sie können wir keinen
Ort aufsuchen, an dem wir nicht erwünscht sind.«

»Es war doch wohl nicht der Heilige Patrick, der Ihre Truppe verbannt

hat!«

»Doch, doch, natürlich war es der! Was glauben Sie denn, wo all die

Schlangen hin sind? Nach Amerika, ins Land der unbegrenzten
Möglichkeiten.«

»Im fünften Jahrhundert?«
»Nun, wir machten unterwegs einige Umwege. Wie ich höre, sind Sie

selbst auch schon weit herumgekommen.«

»Ich ... habe einige Kilometer auf dem Buckel«, entgegnete Angel.
Der Duft der Zitronenbäume, der sich mit dem Geruch von

verbranntem Holz und faulendem Fleisch vermischte. Die Schreie der
Möwen, als sie sich über die Körper der Toten hermachten ...

»Ja, Sie waren ziemlich ... verrufen, in Europa. Oder jedenfalls

Angelus.«

»Das war nicht ich«, entgegnete Angel leise.
»Ist mir klar«, sagte Galvin sanft. »Und ich entschuldige mich, wenn

ich Ihnen zu nahe getreten bin. Ich hielt es nur für besser, Sie wissen zu
lassen, dass wir Ihre Vorgeschichte kennen. Wir sind der Ansicht, sie
gehört der Vergangenheit an, ein für allemal. Daher beurteilen wir Sie

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nicht aufgrund der schrecklichen Reputation von Angelus, sondern
aufgrund der ehrenhaften Gesinnung, die Sie sich zugelegt haben, als Sie
Ihre Seele wiederbekamen. Wir wissen, wir sind nicht die ersten
Dämonen, denen Sie helfen – aber wir wären gern die dankbarsten.«

»Das ... ist sehr freundlich«, sagte Angel und suchte nach Worten.

»Danke!«

»Keine Ursache. Die Basis einer guten Freundschaft ist, wie ich finde,

ein ganz einfaches Konzept: Man vergibt seinen Weggefährten, dass sie
nicht perfekt sind, und erwartet dasselbe im umgekehrten Fall.«

»Ein wenig Vergebung können wir alle gebrauchen«, bemerkte Angel.


»Vater, vergib mir, denn ich habe gesündigt«, sagte Angelus auf. »Los
jetzt, ich bin sicher, eine gute Katholikin wie du kennt den Text.«

Die Stimme unter den Bodendielen klang immer schwächer. »V-vergib

mir, Vater...«

Die Stimme erstarb. Schweigen.
»Los jetzt!«, drängte Angelus. »Wie kann ich euch die letzte Ölung

geben, wenn du nicht zuerst deine Sünden bekennst?«

»Sag ihr, du bist der Papst«, sagte Darla. »Mittlerweile glaubt sie dir

bestimmt alles.«

»Maria?«, fragte Angelus. »Bist du noch da, meine Liebe?«
»... Wo ... wozu brauche ich die letzte Ölung? Ich dachte, Sie würden

uns ... retten ...«

»Nur eine Formalität, meine Liebe. Falls wir es nicht rechtzeitig

schaffen. Du willst doch nicht für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren,
nicht wahr?«

»Nein ...«
»Dann los jetzt! Erzähl mir von deinen Sünden.«
»Ich ... ich habe mich mit meiner Mutter gestritten, als wir uns das

letzte Mal gesehen haben. Ich war respektlos ihr gegenüber, als sie
verlangte, dass ich die Wäsche machen ...«

Darla schnaubte. »Ein Streit über die Wäsche. Wie langweilig! Ich will

keine unbedeutenden Details aus ihrem jämmerlichen Leben erfahren ...«

»Schschsch«, machte Angelus und sah sie an.
»... Und nun ... weiß ich nicht...«
»Ob du deine arme Mutter noch einmal wieder siehst«, vollendete

Angelus den Satz für sie. »Oder ob sie mit Ärger im Herzen ins Grab
gegangen ist, voller Zorn auf ihre undankbare Tochter, die nicht einmal
ein paar Sachen für sie waschen wollte. Ist es so?«

Ein ersticktes Schluchzen war Marias einzige Antwort.

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Angelus richtete sich auf und grinste Darla zufrieden an. »Es sind nicht

die großen Dinge, Schätzchen«, sagte er. »Es sind die unbedeutenden
Details, die sich in den Seelen der Menschen festsetzen ...«

Doyle hatte sich verlaufen.

Wenigstens wollte er das den Serpentinern erzählen, falls sie ihn

fernab der Party erwischten, wie er den Korridor hinunterschlich, und ihn
fragten, was er da machte.

Doyles Erfahrung nach hatten Leute mit viel Geld immer etwas zu

verbergen. Natürlich handelte es sich bei diesem »etwas« meist nur um
einen großen Haufen Geld, aber eben nicht immer. Und mit einer über
fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit war es etwas Illegales, Unmorali-
sches oder wirklich Ekelerregendes. Die Serpentiner waren für Doyles
Geschmack ein wenig zu schnell von ihrer absoluten Verschwiegenheit
zu freundschaftlicher Offenheit übergewechselt. Er hatte schon genug
Betrüger kennen gelernt und erkannte ihr schmieriges Gelaber auf
hundert Meter gegen den Wind.

Also war es an der Zeit für einen kleinen Kontrollgang – und zwar

ohne Museumsführer. Hoffentlich gelang es ihm, etwas Nützliches zu
entdecken. Dann konnte er vielleicht sogar Cordy beeindrucken ...

»Das ist beeindruckend«, sagte Cordelia gerade. »Wie, sagten Sie, heißt
er?«

»Lagavulin«, antwortete Maureen und nahm ebenfalls einen Schluck

aus ihrem Kristallglas. Sie stand mit Cordelia an der Bar, und ein junger
Serpentiner namens Ian servierte ihnen die Drinks. Cordelia fand, Ian
hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit Sting, aber eine bessere Frisur. Er trug
einen schwarzgrauen Armani-Anzug und schaffte es, ganz lässig darin zu
wirken.

»Eigentlich stehe ich nicht besonders auf harten Alkohol«, sagte

Cordelia, »eher auf Weinschorle und solche Sachen. Aber das hier ist
wirklich lecker – wie teuer ist er, sagten Sie?«

»Um die zweihundert pro Flasche. Aber das ist noch nicht das Beste,

was Calvin auf Lager hat, bei weitem nicht. Versuchen Sie den hier!« Ian
schenkte ihr einen Schuss ein. »Der heißt Glenfarcus und ist älter als
Sie!«

Cordelia nahm einen Schluck. »Wow. Der ist so mild ... Ist das die

richtige Bezeichnung, oder gibt es, wie beim Wein, auch eine eigene
Sprache unter Scotchtrinkern? Geht jedenfalls runter wie Öl.« »Aye«,
antwortete Ian grinsend. »Aye, genau das tut er...«

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Doyle war bereits drei Korridore auf und ab marschiert, bevor er endlich
etwas fand: hinter einer Tür mit der Aufschrift LAGER, gleich neben
dem Callcenter. Die Tür war nicht abgeschlossen.

Der ganze Raum stand voller Regale. Auf den ersten Blick fühlte sich

Doyle an den Aufbewahrungsraum für Beweismittel bei der Polizei
erinnert; alles war in Plastik verpackt und mit Schildchen versehen.

Aber was er sah, waren keineswegs Regale voller beschlagnahmter

Waffen und Drogen. Die Dinge auf den Regalbrettern waren so
unterschiedlich, dass er nicht darauf kam, was sie miteinander verband.
Einfach alles war dort gelagert, von Spielsachen bis Filmdosen. Er nahm
einen Teddy in einem durchsichtigen Plastikbeutel zur Hand und sah auf
das Etikett. »S. Powell, 25/12/57«, las er leise. »Bisschen spät für ein
Weihnachtsgeschenk ...«

Die anderen Gegenstände waren auf dieselbe Weise etikettiert, mit je

einem Namen und einem Datum versehen. Doyle sah sich noch eine alte
Jeans, ein gerahmtes Foto von irgendeiner Großmutter und ein Kochbuch
an – er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was all diese
Dinge miteinander zu tun hatten.

Und dann hörte er Schritte.


»Gluck?«, fragte Galvin.

»Gluck ist gut«, bemerkte Angel nach kurzer Überlegung. »Besonders

Armide. Obwohl die Symphonie Nummer 22 in Es-Dur immer noch eins
meiner Lieblingsstücke ist.«

Galvin saß am Klavier und klimperte ein paar Töne. »Ich war dabei,

als Haydn zum Kapellmeister von Prinz Esterhazy berufen wurde,
damals 1761«, sagte Galvin. »Das war eine große Sache!«

»Dann sind Sie älter, als Sie aussehen!«
»Aber nicht so gut erhalten wie Sie«, entgegnete Galvin schmunzelnd.

»Ein langes Leben – eine weitere Gemeinsamkeit von uns beiden. Aber
im Gegensatz zu Vampiren altern wir Serpentiner leider. Wir häuten uns
nur alle paar Jahre, deshalb sehen wir immer wieder jung aus. Ich habe
meine Haut jetzt mit Absicht ein wenig faltig werden lassen. Ein
Patriarch sollte schon ein bisschen was hermachen, finden Sie nicht?«

»Wie alt – oder jung – man aussieht, spielt tatsächlich eine Rolle«,

räumte Angel ein. »Ich habe Mozart bei seiner ersten Europa-Tour
gesehen. Er war sechs Jahre alt. Sechzehn Jahre später, als Beethoven
auf seine erste Konzertreise ging, behauptete man, er sei sechs –
tatsächlich war er acht.« Angel schüttelte den Kopf. »Im Show-Business
lügt einfach jeder, was das Alter angeht...«

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Die Schritte verklangen wieder. »Zeit zu gehen«, murmelte Doyle. Er
wartete noch eine Minute ab und schlüpfte dann durch die Tür.

Als er wieder mitten im Partygeschehen war, schien ihn niemand

vermisst zu haben. Doyle wusste nicht, ob er erleichtert oder beleidigt
sein sollte. Ein Gefühl aber wurde immer deutlicher.

Er gehörte nicht hierher.
Und das lag gar nicht mal an den Serpentinern; sie lächelten alle und

antworteten freundlich, wenn er versuchte, sich in ein Gespräch
einzuklinken. Das Problem war, Doyle konnte mit keinem der Themen,
über die sie sprachen, etwas anfangen. Er wusste nicht viel über die
Börse oder Antiquitäten oder gute Jahrgangsweine, und nachdem auch
sein fünfter Versuch gescheitert war, ein Gespräch über die Vorzüge der
Dodgers im Vergleich zu den Paares zu beginnen, gab er auf.

Doyle hatte sich schon immer fehl am Platz gefühlt, auch bevor er von

seinem halbdämonischen Erbe erfahren hatte. Die Leute schienen zu
spüren, dass er etwas Merkwürdiges an sich hatte, und umso mehr
strengte er sich an, gemocht zu werden. Schnell genug einen Drink holen
oder einen Witz erzählen, und sie haben keine Zeit, dich abzuweisen,
sagte Doyle sich immer... aber dennoch schien es niemand lang mit ihm
auszuhalten. Er hatte viele Bekannte, aber nur wenige Freunde.
Manchmal glaubte er, das Einzige, was ihm wirklich fehlte, war ein
echter Freund. Jemand, der ihn so akzeptierte, wie er war; und zwar kein
Dämon oder Vampir oder so etwas, sondern einfach nur ein ganz
normaler, netter Mensch. Jemand, der ihm das Gefühl gab, nicht fehl am
Platz zu sein.

Natürlich, dachte er. Und an wen hast du da gedacht? Miss Cordelia

Chase, die sich einem Dämon nicht einmal mit einem drei Meter langen
Schlachtbeil und der Erlaubnis ihrer Mutter nähern würde. Ach, Doyle,
du bist nicht ganz bei Verstand!

Er traf Cordelia an der Bar. Und trotz ihrer viel zitierten Aversion

gegen dämonische Kreaturen schien sie sich recht gut zu amüsieren ...

»Wissen Sie, ich kann mich gar nicht entscheiden, welcher der Beste

von allen ist«, sagte sie. »Aber diesen hier mag ich. Ich mag ihn wirklich
sehr.« Sie hob ihr Glas und leerte es.

»Hmmm. Das schmeckt nach Erde, aber auf positive Art, auf

angenehme Art, wissen Sie.«

»Das liegt an dem Torf«, erklärte Maureen.
»Also, die Torfstecher verstehen definitiv was von Scotch, muss ich

sagen ... aber der da ist auch gut. Und der da. Und der da. Und der auch.«

»Ähm, Cordy?«, meinte Doyle. »Wie viele hattest du schon davon?«

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»Nur ein paar«, meinte Cordelia wegwerfend. »Auf die Gesellllichkeit,

ups!«

»Ich glaube, sie hat jetzt genug«, meinte Doyle. »Bleib hier, ich hole

Angel.«

»Wo soll ich sch-schon hin?«, sagte Cordelia und zuckte übertrieben

mit den Schultern. »Hier geht's mir doch gut. Auch wenn hier ein Keller
voller Schlangen ist. N-nichts für ungut!«

»Kein Problem«, meinte Ian grinsend.


»... habe Handels Messias in London und in Berlin gesehen«, sagte
Angel gerade zu Galvin, als Doyle hereinkam. »Und meiner Meinung
nach ...Was?«

»Cordy ist ein wenig ... na ja, hinüber«, sagte Doyle. »Ich denke, wir

sollten sie nach Hause bringen.«

»Also gut. Galvin, sieht so aus, als müssten wir gehen. Danke für Ihre

Gastfreundschaft!«

»Die Freude war ganz auf unserer Seite«, entgegnete Galvin. »Es ist

schon eine Weile her, seit ich so ein vergnügliches Gespräch über Musik
geführt habe.«

An der Bar sagte Cordelia gerade zu Maureen: »Ich hoffe, Sie

verstehen die Bemerkung mit der Erde nicht falsch. Mir ist schon klar,
dass Erde sehr wichtig für Leute wie Sie ist. Na ja, für mich eigentlich
auch. Ohne Erde gäbe es nichts, worauf die Dinge stehen könnten. Sie
müssten auf was anderem stehen. Und dann müsste alles ganz
ausbalanciert sein. Und wissen Sie was? Das ist gar nicht so einfach.«
Und mit diesen Worten kippte sie von ihrem Barhocker.

Angel und Doyle konnten sie gerade noch abfangen, bevor sie auf dem

Teppich aufschlug. »Good night, ladies ...«, sang Doyle und schüttelte
den Kopf. »Könnte uns jemand mit dem Aufzugschlüssel
hinausbegleiten?«

Auf dem Heimweg saß Doyle mit Cordelia auf dem Rücksitz von Angels
Kabrio. »Bitte pass auf, dass sie nicht auf die Polster kübelt«, mahnte
Angel. »Wenn es etwas gibt, um das ich die Menschen nicht beneide,
dann ist es der Geruch von recyceltem Essen.«

»Oh, mir geht es gut«, sagte Cordelia. »Können wir bei Wendy's

anhalten? Ich habe Lust auf so einen viereckigen Hamburger. Hey,
warum gibt es eigentlich keine viereckigen Brötchen, hm? Ich meine,
haben die noch nichts von Brot gehört? Und Robotern?«

»Was?«, fragte Doyle.

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»Roboter. Die haben nämlich viereckige Brötchen.« Sie fing an zu

kichern.

»Oh Mann, Cordy, du hast wirklich einiges intus«, sagte Doyle. »Ich

meine, ich hab selbst auch schon ein paar Saufgelage mitgemacht und
muss sagen, was deinen Fressflash und die Schlüssigkeit deines Vertrags
angeht, rangierst du irgendwo zwischen einem verlorenen Wochenende
und dem Beginn der Osterferien.«

Das Auto glitt durch die kalifornische Nacht. Die Scheinwerfer der

entgegenkommenden Fahrzeuge warfen Schatten in den Innenraum des
Wagens, die sich wie lebendige Wesen bewegten. Doyle nahm den
scharfen petrochemischen Geruch des Asphalts wahr, der sich nach
einem heißen Tag abkühlte, vermischt mit einer leichten Brise vom
Meer. Eine Sommernacht in Los Angeles.

»Mir ist kalt«, sagte Cordelia. Sie schmiegte sich an Doyle, und nach

einem kurzen Zögern legte er ihr den Arm um die Schulter.

»Soll ich Angel bitten, das Verdeck hochzuklappen?«
»Nein, ist schon gut.« Sie sah ihm ins Gesicht. »Weißt du, du bist

eigentlich ziemlich süß. Auf irische Art. Wusstest du das?«

»Gerüchteweise.«
Sie lachte. »Und du bist witzig. Ich mag dich, Doyle. Auf irische Art.«
»Ich glaube, im Augenblick eher auf schottische Scotch-Art, Cordy.

Aber trotzdem danke.«

Da ertönte ein leises Schnarchen neben ihm.
Doyle seufzte.

















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3



Darla und Angelus gingen zu der Barkasse zurück, um den Tag über zu
schlafen, ergriffen zunächst aber noch ein paar Vorsichtsmaßnahmen.
Sie manövrierten das Boot aus dem Fluss in die Meeresbucht hinein und
ankerten vor der Küste, um das Risiko zu verringern, von ungebetenen
Gästen heimgesucht zu werden. Natürlich konnte man sich ihnen immer
noch mit einem Boot nähern, aber die Plünderer schienen sich auf den
schwelenden Leichnam der Stadt zu konzentrieren.

Bevor sie zurückkehrten, hatten sie sich aber noch um ihren

»vergrabenen Schatz« kümmern müssen.

»Maria!«, rief Angelus nach unten. »Ich habe schlechte Nachrichten,

meine Liebe!«

»...Was ist los? Oh Gott, können Sie uns nicht rausholen, oder was?«
»Nein, nein, meine Liebe, nichts dergleichen. Es ist nur so: Die

Spanier kommen!«

»... Ich verstehe nicht...«
»Die Spanier verschaffen sich einen Vorteil aus der Katastrophe. Sie

versuchen, das ganze Land einzunehmen. Man sagt, sie schlachten alle
Überlebenden ab, die ihnen zwischen die Finger kommen. Wir müssen
uns bis morgen zurückziehen. Wir haben Angst, entdeckt zu werden. Das
würdest du doch nicht wollen, nicht wahr?«

»... Nein ...«
»Na also. Wir kehren im Schutz der Dunkelheit zurück. Aber ihr müsst

ruhig bleiben, bis wir wiederkommen. Und nicht nach Hilfe rufen!«

»Nein, nein! Sie können uns nicht hierlassen! Francesco ist tot und

Estrellita vielleicht auch. Und ich auch schon bald, verstehen Sie das
nicht? Sie können uns nicht hier unten lassen!«

»Oh weh«, sagte Darla und grinste. »Sieht aus, als hättest du das

Spielchen ein wenig zu weit getrieben. Ein Jammer! Hysterische Anfälle
sind höchstens in der ersten Minute unterhaltsam.«

»Ich bin noch nicht fertig«, entgegnete Angelus. »Maria! Maria!

Beruhige dich, Liebes.«

»... Sie können nicht, Sie können doch nicht...«
»Schschsch! Hör doch mal! Hör doch zu, und sag mir, was du hörst!«
»... Was ich höre? ... Ein Nagen. Klingt wie Ratten, die an Holz

nagen...«

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»Keine Ratten, meine Liebe. Es ist ein Bohrer. Ich bin schon fast durch

die Bodendiele. Da! Kannst du das Loch sehen?«

»Ja! Ja, da ist es!«
»Halte deinen Mund darunter. Ich werde etwas Wasser

hindurchschütten ...« Angelus öffnete eine Feldflasche und beobachtete,
wie das kalte, klare Wasser durch das Loch lief, das er gebohrt hatte. Er
lauschte aufmerksam. Als er Marias panisches, ersticktes Schlucken
hörte, lächelte er.

»So ist es gut, trink nur! Wir wollen ja nicht, dass du verdurstest,

während wir weg sind ...«

»Morgen, Cordy!«, sagte Doyle.

Cordelia rang sich einen kurzen Seitenblick durch ihre Sonnenbrille

ab, als sie ins Büro kam, und zog ihren Mantel aus. »Sprich mich nicht
an! Denk nicht mal an mich, bis ich meinen Kaffee getrunken habe.«

»Du ... klingst ein wenig mitgenommen.« Doyle kratzte sich verlegen

am Kopf.

»Mitgenommen? Ich habe die ersten zwanzig Minuten des Tages

damit verbracht, Revue passieren zu lassen, was ich in den letzten zwölf
Stunden gegessen habe. Und das auf höchst unangenehme Weise,
worüber ich mich lieber nicht näher auslassen möchte, okay?!«

»Ziemlich wilde Nacht gestern, vermute ich.«
»Ich habe keine Ahnung. Ich erinnere mich nur noch, dass ich mit

jemandem getrunken habe, der Pete heißt. Oder vielleicht Glen. Sind wir
noch zu Wendy's gefahren?«

»Der Vorschlag stand zur Debatte«, antwortete Doyle. »Aber kühlere

Köpfe haben es zu verhindern gewusst.«

»Hm. Jedenfalls ist das Nächste, woran ich mich erinnere, dass ich in

meinem eigenen Bett aufgewacht bin, in dem ein grauenhaftes Chaos
herrschte. Doyle, du musst es mir sagen ... habe ich etwas getan ...«

»Was meinst du?«
»Du weißt schon, etwas Peinliches.«
»Also, der Striptease auf der Theke war ein bisschen heftig, aber ich

glaube, du hast die Situation gerettet, als du dich geweigert hast, weiter
als bis zur Unterwäsche zu gehen. Diese Art von Beherrschung ist es, die
wirkliche Klasse beweist.«

»Doyle, ich warne dich!«
Doyle seufzte, schüttelte den Kopf und lächelte. »Cordy, du hast

nichts... Falsches getan. Du musst dich für nichts schämen. Ich
schwöre!«

Sie musterte ihn misstrauisch. »Also ... okay.«

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Da kam Angel aus seinem Büro. Er sah von dem aufgeschlagenen

Buch in seinen Händen auf. »Morgen, Cordelia. Wie geht's deinem
Kopf?«

»Meinem Kopf geht es gut. Er sitzt zwar nicht ganz fest auf dem Hals

und führt einen schmutzigen kleinen Krieg gegen den Rest meines
Körpers, aber es geht schon wieder. Bitte verlang nur nicht von mir,
irgendetwas Lautes zu tun. Arbeiten zum Beispiel.«

»Lust auf ein bisschen Recherche? Oder ist das Umblättern von Seiten

dir auch schon zu viel?«

»Du meinst, etwas über Dämonen nachlesen? Über all die

schrecklichen Dinge, die sie getan haben, die sie noch vorhaben und die
sie in ihrer Freizeit tun? Mann oh Mann, da freut sich mein Magen aber
schon. Vielleicht sollte ich mich direkt übergeben.«

»Ich dachte eher an eine Überprüfung der Referenzen der Serpentiner

in der Geschäftswelt...«

»Halt, das mit dem Erbrechen meinte ich ernst. Entschuldigt mich!«

Cordelia rannte aus dem Raum.

Angel starrte ihr kurz hinterher, zuckte dann mit den Schultern und

blätterte weiter in seinem Buch.

Doyle trat zu ihm. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Krieg dich wieder ein, Doyle«, sagte Angel ohne aufzusehen.
»Aber das ist mir noch nie passiert.«
»Es passiert eben.«
»Ist es dir denn schon mal passiert?«
Angel sah auf und dachte kurz nach. »Dass ein Mädchen an meiner

Schulter einschläft? Nein ... nicht wirklich.«

»Na hör mal, wenn jemand ins Traumland abschiebt, während du ihm

das Leben aussaugst, das ist wohl wirklich nicht dasselbe, oder?«

»Sieh mal, Doyle, sie hatte zu viel getrunken, das hat mit deiner...

Männlichkeit nicht das Geringste zu tun. Wenn überhaupt, solltest du es
als Kompliment auffassen.«

»Wie kommst du denn darauf?«
»Sie vertraut dir, sonst hätte sie es sich niemals gestattet.«
Doyle dachte eine Weile nach, dann nickte er. »Ich glaube, so kann

man es auch sehen.«

»Und vergiss nicht: Sie hat dir nicht auf den Schoß gekotzt.«
»Das stimmt...«
Cordelia kehrte aus dem Badezimmer zurück. »Da bin ich – frisch wie

der junge Morgen. Hat jemand mal ein Pfefferminz für mich?«

Angel und Doyle vertieften sich in die Bücher, während Cordelia ein

paar Anrufe tätigte. Um die Mittagszeit wussten sie bereits ein bisschen

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mehr darüber, mit wem sie es zu tun hatten.

Beben-Dämonen waren auch unter der Bezeichnung Tremblor

bekannt. Sie lebten unter der Erde und traten nur selten oberirdisch in
Erscheinung. Die einzige Ausnahme schienen sie zu machen, wenn sie
Opfer für ein Seelenvernichtungsritual jagten. Das letzte Ritual dieser
Art war im Jahre 1920 in Japan durchgeführt worden und hatte das
verheerende Erdbeben in Tokio und Yokohama verursacht, bei dem
hundertzwanzigtausend Menschen ums Leben kamen.

Der Zeitpunkt des Rituals richtete sich nach dem so genannten »Tanz

der Schlafenden Riesen«. Unglücklicherweise schienen die Tremblor die
Einzigen zu sein, die wussten, was damit gemeint war. Für das Ritual
selbst wurden vier Opfer benötigt: vier Menschen, von denen jeder eine
besondere Beziehung zu einem der vier Elemente hatte, zu Luft, Wasser,
Feuer und Erde.

»Jemand, der etwas mit Erde zu tun hat – das würde erklären, warum

sie versucht haben, eine Serpentinerin zu kidnappen«, sagte Angel.
»Allerdings ist das immer noch kein Grund, gleich ihr ganzes Haus zu
zerstören.«

»Vielleicht sind sie gar nicht speziell hinter den Serpentinern her«,

bemerkte Cordelia. »Möglicherweise sind die einfach nur zur falschen
Zeit am falschen Ort. Erdbeben sind eigentlich meistens eine ziemlich
willkürliche Angelegenheit.«

»Wohl wahr«, entgegnete Angel. »Aber ich glaube, dahinter steckt

mehr.«

»Ich würde sagen, du hast Recht«, meinte Doyle. »Wenn wir

bedenken, auf was ich gestern gestoßen bin.«

»Du hast etwas gefunden?«, fragte Cordelia erstaunt.
»Sorry, Cordy«, sagte Doyle. »Ich habe vergessen, dass deine

Erinnerung an die gestrige Festivität einige Lücken aufweist.«

»Er hat einen Raum voller katalogisierter Gegenstände gefunden«,

erklärte Angel.

»Was für Gegenstände? Affenpfoten? Köpfe in Gläsern oder so was?«
»Das ist das Merkwürdige daran«, sagte Doyle. »Es waren alles ganz

normale Sachen. Kinderspielzeug, alte Jeans, Fotoalben. Nichts
Ungewöhnliches, außer der Tatsache, dass sie so sorgfältig aufbewahrt
werden.«

»Vielleicht sind die Serpentiner einfach nur sehr zwanghaft veranlagt«,

sagte Cordelia. »Ich habe mal so einen Typen gekannt. Er hat sogar in
seine Socken kleine Schildchen genäht.«

»Vielleicht sind die Gegenstände auch mit einem Fluch belegt«,

überlegte Doyle.

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»Richtig«, sagte Cordelia. »Zieh diese Hose nicht an, denn es ist eine

verfluchte Hose! Du wirst für alle Ewigkeiten fett aussehen! – Sehr gut,
Doyle, diese Idee könnte glatt von einem Fernsehregisseur stammen!«

»Wie wäre es mit Voodoo?«, ließ Angel verlauten. »Schlangen sind in

der Mythologie der Tropen reichlich vertreten. Vielleicht benutzen sie
die Gegenstände für Mitleidszauber.«

»Sie wollen, dass die Leute Mitleid mit ihnen haben?«, fragte Cordelia

verständnislos.

»Nein«, entgegnete Angel geduldig. »Sympathiezauber ist, wenn man

ein mystisches Ritual mit einem Gegenstand durchführt, der mit einer
Person in Verbindung steht - normalerweise etwas, was diese mal
besessen hat – oder mit einem Foto dieser Person. Das, was man mit dem
Gegenstand macht, widerfährt auch der betreffenden Person.«

»Vielleicht haben die Serpentiner einfach nur ein Problem damit,

etwas wegzuwerfen«, warf Cordelia ein. »Keine Ahnung, ob es etwas zu
bedeuten hat, aber ich habe gar keine gruseligen bösen Vibes von ihnen
empfangen, gar keine! Ich habe mich wirklich gut amüsiert. Soweit ich
mich erinnere, meine ich.«

»Ich weiß nicht«, entgegnete Doyle. »Mir kam das alles etwas

merkwürdig vor. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, als ob etwas faul an
der Sache wäre.«

»Doyle, du hast dich einfach nur fehl am Platz gefühlt«, widersprach

ihm Cordelia. »Nur weil diese Leute die schönen Dinge des Lebens zu
schätzen wissen – und damit meine ich nicht billiges Bier und
Ringkämpfe im Pay-TV –, müssen sie ja nicht zwangsläufig böse sein.«

»Nun ja«, meinte Doyle, »du bist ja reichlich zügig von einem Lager

ins andere übergewechselt. Zuerst drehst du durch, wenn du nur was von
Dämonen hörst, und jetzt bist du schon ein glühender Fan von ihnen.
Vielleicht sollte Angel das Angebot annehmen, das sie ihm gemacht
haben.«

»Was für ein Angebot?«, fragte Cordelia.
»Ach, nichts«, murmelte Angel.
»Oh, stimmt ja«, sagte Doyle. »Du warst ja schon im Koma, als Angel

davon erzählt hat. Sieht so aus, als wollte Galvin Angel gern ganztags
beschäftigen. Er hat ihm ein Apartment angeboten, wenn er als Security-
Mann für die Serpentiner arbeitet.«

»Security-Berater«, korrigierte Angel. »Und es wäre auch nicht

ganztags, ich würde weiter hier arbeiten ... Ich würde nur dort wohnen.«

»Dann überlegst du es dir also ernsthaft?«, fragte Cordelia.
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe lediglich gesagt, was für ein

Angebot mir gemacht wurde ...«

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»Ich denke, du solltest es annehmen«, befand Cordelia.
»Was?«
»Im Ernst«, sagte sie, »denk darüber nach! Ich meine, schließlich passt

du zu ihnen.«

»Nur weil sie Dämonen sind, muss ich nicht...«
»Ich meinte in Bezug auf jung und gut aussehend«, erklärte Cordelia.

»Wer weiß, vielleicht überzeugen sie dich am Ende noch davon, dass es
außer Schwarz auch noch andere Farben gibt.«

»Er kann doch nicht mitten in einem Fall bei einem Klienten

einziehen«, protestierte Doyle.

»Hör mal«, entgegnete Cordelia. »Es gibt nichts Schlimmeres, als ein

Außenseiter zu sein. Du hast ja keine Ahnung, wie schwer ich es an der
High-School hatte – es war fast unmöglich, sich von solchen Losern fern
zu halten.«

»Du glaubst, ich brauche eine Gruppe, zu der ich gehöre?«, fragte

Angel.

»Nun, ähm, es ist ja nicht so, als gäbe es eine Website für Detektive,

die gleichzeitig Vampire mit Seele sind.«

»Ach, ein paar gibt es schon«, warf Doyle ein.
»Jedenfalls«, fuhr Cordelia fort, »bekommst du wahrscheinlich nie

wieder so eine gute Gelegenheit, Trinkkumpane zu finden – und reiche
Freunde sind die besten Freunde!«

»Nun, es war wirklich nett, eine Unterhaltung zu fuhren, die nicht

damit endet, dass einer von uns zur Staubsäule mutierte«, räumte Angel
ein. »Aber Doyle hat Recht, es wäre nicht angemessen, mich so eng mit
einem Klienten einzulassen, besonders mit einem, über dessen Ge-
schichte wir noch nicht genug wissen. Also – was habt ihr
rausgefunden?«

»Über die Serpentiner?«, fragte Cordelia. »Nicht viel. Das Gebäude

gehört einer Firma namens APPLETREE. Ihnen gehören noch ein paar
andere Betriebe, von denen alle gute Beziehungen zum Better Business
Bureau unterhalten. Keine polizeilichen Ermittlungen, keine Prozesse,
keine Grauen erregenden Verbrechen. Ziemlich sauber für einen Haufen
im Handelsgewerbe tätige Dämonen.«

»Tja, ich habe auch nicht viel mehr herausgefunden, aber was ich

gefunden habe, ist nicht unbedingt positiv«, erklärte Doyle. »Einigen
Quellen zufolge ist die Schlange, von der die Serpentiner ursprünglich
abstammen, die Schlange schlechthin – die nämlich, die Adam und Eva
in Versuchung geführt hat.«

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»Das behauptet die Hälfte der Dämonen im San Fernando Valley auch

von sich«, bemerkte Angel. »Das ist, als würdest du sagen, dass deine
Vorfahren mit der Mayflower nach Amerika kamen.«

»Na ja, das ist alles, was ich bisher gefunden habe«, sagte Doyle.

»Aber ich halte den Faden zu einer potentiellen Goldmine in Sachen
Information in der Hand. Ein Typ namens Graedeker; er handelt mit
allerlei okkultem Kram. Wenn es ums Kaufen, Verkaufen und um
schwarze Magie geht, ist er unser Mann.«

»Okay, diese Piste verfolgst du weiter! Nun zurück zu den Beben-

Dämonen. Haben sie irgendwelche Schwächen?«

»Also«, fing Doyle an. »Ich habe Folgendes gefunden: ›Nur wer sich

ihm widersetzt, kann sich ihm widersetzen‹ Hier ist definitiv von den
Tremblor die Rede, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, was es
bedeuten soll.«

»Klingt, als hätte es nichts zu bedeuten«, fand Cordelia. »Ist ja wie

›Was du gegessen hast, ist gegessen‹ oder ›Was du eingekauft hast,
wurde verkauft‹«

»Wir werden das im Hinterkopf behalten«, sagte Angel. »Wenn sie

also vier Opfer brauchen, haben sie vielleicht die anderen schon
gefunden. Ich werde mich mal bei Kate erkundigen, ob jemand von der
Vermisstenliste in das Schema passt.«

»Und ich betreibe inzwischen ein wenig intensivere und persönliche

Serpentiner-Forschung«, kündigte Cordelia an. »Maureen und ich sind
nämlich zum Shoppen verabredet – sie will mir ein neues Outfit
spendieren! Wir sehen uns später, Jungs!«

»Das Wichtigste zuerst«, sagte Angelus. »Lass uns nachsehen, wie es
unserer kleinen gefangenen Ratte geht.« Er erhob sich vom Bett und
begann sich anzuziehen.

Darla blieb nackt im Bett liegen und warf ihm einen bösen Blick zu.

»Ich glaube, ich werde eifersüchtig. Dir ist diese kleine Maria wichtiger
als das hier?« Sie fuhr mit der Hand über ihre makellosen, milchweißen
Schenkel.

»Das ist schon eine Versuchung, Liebling«, sagte Angelus und warf ihr

ein Lächeln zu. »Aber ich glaube, wir wissen beide, wo meine
Hauptinteressen liegen.«

Darla schüttelte den Kopf und lachte. »Folter geht vor Sex. Du bist mir

vielleicht einer, mein Schatz.«

»Manche Männer sind Kämpfer, andere sind Liebhaber. Meine

Bestimmung wiederum ist etwas anderes. Ich wurde zum Bastard
geboren.«

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»Nun, darin bist du wirklich gut. Ich habe nur noch nie erlebt, dass du

es so sehr in die Länge ziehst.«

»Ich weiß, ich weiß. Ich glaube, das liegt daran, dass ich als Kind nie

ein Haustier hatte. Es macht einfach so viel Spaß, mit ihr zu spielen ...«

Darla räkelte sich träge und stand auf. »Was für Spielchen spielen wir

denn heute?«

»Ich denke, sie muss mittlerweile wirklich hungrig sein Wenn man

Hunger hat, lässt man sich zu schrecklichen Dingen verleiten – und die
beiden anderen Körper da unten bei ihr verfaulen schon bald ...«

Aber als sie zu der Ruine der Kirche kamen, waren sie nicht die

Ersten.

Vier Männer waren eifrig dabei, im Licht der Straßenlaterne Geröll

wegzuräumen. Sie versuchten offensichtlich, die Falltür im Westflügel
freizulegen.

»Ach, Maria, Maria«, sagte Angelus tonlos. »Du böses undankbares

Mädchen. Du hast also doch mit Fremden geredet – und das, obwohl ich
dich gewarnt habe!«

Er ging mit Darla näher heran. Einer der Männer, ein dunkelhäutiger

Portugiese, sah auf, als sie auf sie zukamen. »Hey, Sie da!«, rief der
Mann. »Können Sie uns helfen? Da unten sind Leute eingeschlossen!«

»Was du nicht sagst«, bemerkte Angelus. Er legte dem Mann

kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. »Darüber brauchst du dich
doch nicht so aufzuregen.«

Blitzartig fuhr sein Arm um den Hals des Mannes und seine Hand

packte ihn am Kiefer. Er brach ihm mit einer raschen Bewegung das
Genick und ließ den schlaffen Körper zu Boden fallen.

»Das kannst du schon ziemlich gut«, war Darlas Kommentar.
»Ich hatte eine gute Lehrerin«, entgegnete Angelus.
Die anderen Männer hatten aufgehört zu arbeiten und kamen mit

erhobenen Schaufeln und Pickeln auf ihn zu. »Räuber!«, schrie einer von
ihnen. »Wir sind keine so leichte Beute wie die Körper der Toten!«

»Tot oder lebendig – das ist uns einerlei«, sagte Darla. Ihr Gesicht

verwandelte sich in die dämonische Fratze mit Reißzähnen, gelben
Augen und vorgewölbten Knochen. Sie ging dem nächstbesten Arbeiter
an den Hals.

Angelus trat galant zurück und sah zu. Schließlich hätte Darla es

verdient, sich auch mal ein bisschen zu amüsieren.

Ein Monster mit einer Haut, die aussah wie schartiges, schwarzes
Lavaglas, schlich durch das Labyrinth der Abwasserkanäle von Los
Angeles.

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Nur die mutigsten Tremblor wurden ausgewählt, um die Reise in die

Oberwelt mit ihren gleißenden Lichtstrahlen und dem chaotischen
Gewimmel anzutreten. Baasalt war einer von ihnen, ein Krieger-Priester
von höchstem Rang. Während er durch die Kanäle immer näher an sein
Ziel herankam, hing er frommen Gedanken nach. Um sich auf das
einzustellen, was er suchte, musste er sich in einen meditativen, fast
tranceähnlichen Zustand versetzen. Das war nicht leicht zu
bewerkstelligen, wenn man dabei durch den schlimmsten Dreck waten
musste, den stechenden Geruch von Abfall und Exkrementen in der
Nase, aber Baasalt wusste, wie man sich konzentrierte. Die Geschichte
seines Stammes wurde »mündlich« überliefert – obwohl sie eher
telepathisch miteinander kommunizierten –, und während er marschierte,
ging er im Geist die Heiligen Schriften durch, um seine Konzentration zu
stärken.

Die Schrift, die er sich nun vergegenwärtigte, war die älteste von allen:

das Erste Buch.

Am Anfang war das Blut, das im Herzen der Welt kochte. Und das Blut
pulsierte und schwoll an und kämpfte sich seinen Weg aus dem Herzen
in den Körper der Welt, der gefroren und leblos war. Das Blut
durchflutete den Körper, um ihn zum Leben zu erwecken. Die Kälte des
Körpers mischte sich mit dem Feuer des Blutes, und es verlangsamte
seinen Fluss und erhärtete sich und nahm eine neue Form an. Dies
waren die Ig, der Erste Stamm, und sie hatten fortan die Herrschaft über
den Körper der Welt.

Aber dies genügte den Ig nicht, und sie schickten Krieger aus, um auch

die Oberfläche der Welt zu erkunden. Und siehe, sie fanden heraus, dass
die Oberfläche ein erbärmlicher Ort war. Es wimmelte dort von den
verschiedensten Arten von Ungeziefer, und die gesegnete Finsternis
wurde von einem entsetzlichen Licht weggebrannt. Ungeahnte Kräfte
heulten auf ihrem Weg durch eine unendliche Leere, und alle Ig, die sich
dorthin aufgemacht hatten, wurden vernichtet. Und so wandten sich die
Ig ab von der Oberfläche der Welt und begnügten sich fortan damit, in
der Erde zu leben.

Baasalt nickte zufrieden. Das Erste Buch war einfach; alle Tremblor
kannten es, aber nicht alle konnten es so perfekt rezitieren wie ein
Krieger-Priester. Er blieb vor einem bestimmten Abwasserrohr stehen,
das von oben in den Kanal reichte, und fuhr darin seinen Schwanz aus,
so weit es ging. Auf der Unterseite öffnete sich ein Schlitz und eine
blassweiße Knolle entfaltete sich in der Öffnung. Sie schob sich

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45

zwischen die rostigen Eisenstäbe des Gitters am oberen Ende des Rohres
über Baasalts Kopf und schwang leicht vor und zurück wie der suchende
Kopf eines Wurmes.

Ja, er konnte die Marke riechen, die an diesem Ort angebracht war.

Hier würde er es finden, das zweite Opfer. Es war diejenige, die durch
die Schreiende Leere reiste. Noch war sie nicht hier, aber Baasalt hatte
Zeit zu warten. Er entstammte einem geduldigen Volk.

Während er wartete, dachte er an den Oberflächenbewohner, mit dem

er gekämpft hatte. Er hatte verrückterweise versucht, ihm nachzujagen,
zweifelsohne, um ihn – wie nannten sie es? – zu »essen«. Eine
abscheuliche Vorstellung, die in Verbindung mit dem Gestank stand, der
ihn umgab. Der Oberflächenbewohner war stärker gewesen als erwartet,
aber als er sich in seinem verzweifelten Versuch zu überleben selbst
eingegraben hatte, war Baasalt einfach weitermarschiert und hatte nicht
mehr an den Vorfall gedacht. In seinem tiefsten Innern aber nagte so
etwas wie ein schlechtes Gewissen an ihm. Unschuldige Tiere
abzuschlachten, die nur ihren Instinkten folgten, war nichts, worauf man
stolz sein konnte.

Als er sich hinsetzte, rief er sich den Text des Zweiten Buches in

Erinnerung.

Nach vielen Jahren erschien ein neuer Stamm im Körper der Welt. Sie
nannten sich die Sedim. Sie waren die Geister der Ig, die auf der
Oberfläche der Welt umgekommen waren, und sie waren aus deren
zermalmten Knochen entstanden. Sie waren rachsüchtig, denn sie
machten die Ig für ihre Toten verantwortlich und warfen ihnen vor,
deren Knochen auf der Oberfläche der Welt zurückgelassen zu haben.

Und so begann ein Krieg zwischen den Ig und den Sedim, und schwere

Erschütterungen plagten den Körper der Welt. Der Kampf währte viele
Jahre, und der Körper der Welt wurde von diesem Krieg aufgefressen.
Die Toten waren so zahlreich, dass sie die Tunnel und die Höhlen und
die Großen Dunklen Räume verstopften, und überall wohnte der Tod.
Der Körper der Welt war nur mehr eine Leiche.

Aber die Seele der Welt lebte immer noch, und ihr Atem war lebendig

und magisch. Er durchströmte die Körper der Gefallenen und erweckte
die Toten mit seiner geheimnisvollen Macht zu neuem Leben. Diese
erhoben sich als ein neuer Stamm und gaben sich den Namen Metamor.
Und die Metamor gingen zu den Ig und den Sedim und sprachen zu
ihnen vom Ende des Krieges, denn die Metamor waren Friedensstifter.

Die Ig und die Sedim erkannten die Weisheit der Worte der Metamor

und beschlossen, sich nicht weiter gegenseitig zu bekämpfen.

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Das war das Ende des Zweiten Buches. Baasalt begann mit dem Dritten.

Die Ig, die Sedim und die Metamor lebten in Harmonie als die Drei
Stämme nebeneinander. Aber es kam die Zeit, da sie erkannten, dass ihre
Zahl immer geringer wurde, denn sie hatten keine Möglichkeit, sich
fortzupflanzen. Die Sedim waren aus den Knochen der Ig geboren, und
die Metamor aus den Knochen der Ig und der Sedim. Nur durch Tod
konnte neues Leben entstehen, und die Drei Stämme hatten dem Krieg
abgeschworen. Ratlos sandten sie einen Krieger-Priester ins Herz der
Welt, um Rat einzuholen.

»Erhabenes Herz der Welt«, sprach der Krieger-Priester, »lass uns

teilhaben an deiner Weisheit! Wir möchten weiterleben, aber nur der
Tod scheint uns neues Leben zu bringen. Was können wir tun?«

»Im Bauch der Welt kann nur der Tod neues Leben bringen, das ist die

Wahrheit«, antwortete das Herz der Welt. »Aber auf der Oberfläche der
Welt entsteht Leben auf andere Art. Ich kann euch zeigen wie, aber dafür
ist ein großes Opfer deines ganzen Volkes nötig.«

»Wir sind zu allem bereit«, antwortete der Krieger-Priester.
»Sehr gut. Eure Stämme müssen ihr Heim verlassen und durch den

Körper der Welt reisen. Ihr dürft nicht zusammen reisen, jeder muss für
sich allein ziehen, in Einsamkeit. Wenn ihr so weit gereist seid, wie ihr
könnt, wenn ihr weit weg von eurem Zuhause seid, müsst ihr euch in die
Erde legen und schlafen.«

Und der Krieger-Priester kehrte zu den Drei Stämmen zurück und

erzählte ihnen von den Worten des Herzens der Welt, und sie taten, wie
ihnen geheißen worden war.

Und als alle Mitglieder der Drei Stämme weit und lang gewandert

waren, legten sie sich in die Erde, und ihre Herzen waren krank vor
Einsamkeit und Sehnsucht. Während sie schliefen, schwollen ihre Körper
an vor Verlangen und wuchsen und wuchsen, bis sie den ganzen Körper
der Welt ausfüllten. Und ihre Träume schrien vor Sehnsucht und
drangen bis ins Herz der Welt.

»Seid ruhig, meine Kinder«, mahnte das Herz der Welt, »denn ich will

euch geben, wonach es euch so sehr verlangt.«

Und die Träume der Drei Stämme flössen zusammen und wurden eins,

und aus diesem Traum wurde der Vierte Stamm geboren. Und der
Körper des Vierten Stammes, der aus den Ig, den Sedim und den
Metamor entstanden war, erhielt die Macht über den Körper der Welt.
Und das Herz der Welt gab ihnen einen Namen und nannte sie Tremblor.

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»Danke, erhabenes Herz der Welt, dass wir geboren wurden«, waren die
ersten Worte der Tremblor. »Aber wo sind unsere Eltern?«
»Eure Eltern sind nun Riesen, die im Körper der Welt schlafen«, war die
Antwort. »Sie wurden sogar selbst zum Körper der Welt, und ihr werdet
in ihnen leben. Sie werden schlafen, bis sie gebraucht werden, und an
diesem Tage werden sie nicht erwachen, sondern tanzen.
Und die Oberfläche der Welt wird verwüstet, und die Rasse der
Tremblor wird wachsen.«


Baasalt lächelte in sich hinein und bleckte seine Stalaktiten-Zähne. Das
Dritte Buch hatte ihm schon immer am besten gefallen – und nun war es
fast so weit: Der Tanz der Schlafenden Riesen stand unmittelbar bevor.

Die Bewohner der Oberfläche waren weiche, nasse Dinger, und sie

ekelten ihn an, aber sie waren nötig für das Ritual. Das Blut von vier
bestimmten Kreaturen, die von oberhalb der Erde stammten, musste mit
dem Blut des Herzens der Welt vermischt werden. So war es schon
immer gewesen, und so würde es auch immer sein.

Es stand Baasalt gar nicht zu, die Tradition zu hinterfragen.


»Kate«, sagte Angel, »hast du mal eine Minute Zeit?« Detective Kate
Lockley vom L.A. Police Department sah von dem Papierstapel auf,
durch den sie sich gerade arbeitete. »Angel! Jederzeit, wenn es eine
Minute ohne Formulare in dreifacher Ausfertigung ist.« Sie strich sich
eine Strähne ihres blonden Haares aus den Augen und lehnte sich in
ihrem Bürostuhl zurück. »Was gibt's?«

Angel nahm auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch Platz. »Ich frage

mich, ob du mir wohl ein wenig bei dem Fall helfen könntest, an dem ich
gerade arbeite.«

»Kommt drauf an. Was brauchst du?«
»Informationen über vermisste Personen.«
»Die werde ich wohl rausgeben dürfen. Wen suchst du denn genau?«
Angel zögerte. »Es handelt sich nicht um eine konkrete Person – eher

um jemanden mit einem bestimmten Beruf.«

»Prostitution?«
»Nein, es ist ein wenig ... elementarer. Feuer, um genau zu sein.«
»Du suchst einen vermissten Brandstifter?«
»Nicht unbedingt. Nur jemanden, der etwas mit Feuer zu tun hat.«
Kate runzelte die Stirn und gab ein paar Befehle in den Computer ein.

»Also, es ist möglich, in den Daten nach einem bestimmten Beruf zu
suchen. Wie wäre es mit jemandem von der Feuerwehr?«

»Das könnte er sein! Wann ist er verschwunden?«

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»Sie, Sherlock! Und sie ist vor zwei Wochen verschwunden, gleich

nach ihrer Schicht. Hat ihr Auto auf dem Parkplatz stehen lassen. Keine
Spuren, keine Verdächtigen; Gründe für ihr Verschwinden sind nicht
bekannt.«

»Kann ich Namen und Adresse bekommen?«, fragte Angel.
»Das darf ich eigentlich nicht, aber okay. Von mir hast du das aber

nicht!« Kate schrieb die Personalien auf ein Stück Papier und reichte es
Angel. »Sonst noch was?«

»Wasser.«
»Am Ende des Korridors ist ein Kühlschrank ...«
»Nein, ich meine, gibt es auch Vermisste, die etwas mit Wasser zu tun

haben?«

Sie bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Mit Wasser? Das kann

ja alles sein, vom Klempner bis zum Surfboard-Verkäufer. Ich meine,
wenn ich ›Feuer‹ eingebe, arbeitet meine kleine Suchmaschine wirklich
gut, aber ›Wasser‹ ist als Suchbegriff zu allgemein, da gibt es eine
Menge Berufe, die er nicht finden würde. Ich muss die Daten selbst
durchsehen.«

»Ich würde ... ähm, es sehr zu schätzen wissen, wenn du das tun

könntest. Und wenn du schon mal dabei bist...«

»Lass mich raten! Vermisste, die etwas mit Luft oder Erde zu tun

haben, richtig?«

»Richtig. Wenn ich mich irgendwie erkenntlich zeigen kann ...«
»Ich will ein Dinner. Inklusive Wein!«
»Dinner ist okay. Wein auch.«
»Ich werde eine ganze Weile dafür brauchen. Ich rufe dich an, wenn

ich fertig bin.« Sie sah ihn gelassen an. »War's das?«

»Also, nun, ich wollte dich noch etwas fragen.« Angel kratzte sich

verlegen am Hinterkopf. »Gehörst du... Ähm, bist du Mitglied
irgendeiner Gruppe?«

Kate sah ihn fragend an und zog eine Augenbraue hoch. »Wie meinst

du das? Scientology zum Beispiel oder eine Partei? Oder zielt die Frage
eher in Richtung Supremes?«

»Ich meine ... im Grunde alles. Kirchenvereinigungen, Fanclubs,

studentische Verbindungen. Orte, an denen man sich trifft mit Leuten,
die etwas mit einem gemeinsam haben.«

»Also, mal sehen. Da haben wir den Verein zur Förderung weiblicher

Polizisten, der trifft sich mittwochs, dann noch den Nähzirkel der Polizei
am Wochenende und natürlich den Chor.«

»Du singst in einem Chor?«

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Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Angel, das war ein Witz! Der

einzige Verein, dem ich angehöre, ist die Polizistenvereinigung, und ich
bin auf keiner einzigen Versammlung gewesen, seit ich eingetreten bin.
Als Frau in der Position eines Detectives lebe ich in einer Art von Zwi-
schenwelt. Ich gehöre in keinen der Umkleideräume, wenn du weißt, was
ich meine.«

»Ja«, entgegnete Angel. »Ich glaube schon.«


Darla tötete sie alle.

Als sie fertig war, applaudierte Angelus. »Bravo!«, rief er, »Zugabe!«
Darla zog belustigt die Augenbrauen hoch. »Ich freue mich, dass es dir

gefallen hat. Aber nun, da die Feuer ausgebrannt sind, werden Männer
wie diese immer zahlreicher werden. Ich fürchte, unsere kleine
Vorstellung wird bald ein Ende finden müssen.«

Angelus seufzte. »Ach, du hast natürlich Recht. Wenigstens haben sie

mir die schwerste Arbeit schon abgenommen, bevor du ihnen ihre große
Belohnung verpasst hast.«

Die Falltür war schon fast freigelegt. Angelus warf noch ein paar

Steinbrocken zur Seite, und nur ein einzelner Holzbalken versperrte noch
den Weg. »Maria!«, rief er nach unten. »Bist du immer noch da?«

Stille.
»Tot?«, fragte Darla. »Das wäre ja wirklich eine Schande ...«
»Ich glaube nicht«, sagte Angelus. »Ich furchte, meine liebe Maria ist

meinem Spielchen auf die Schliche gekommen, und nun will sie nicht
mehr mitspielen. Allerdings hat sie gar keine große Wahl...«

»Maria! Ich weiß, du kannst mich hören, meine Liebe. Und es dauert

nicht mehr lange, und du wirst auch mein Gesicht zu sehen bekommen.
Ist das nicht großartig?«

»Verschwinde!«
Angelus lachte. »Oh, ob da wohl ein Gesinnungswechsel stattgefunden

hat? Sechs Tage da unten in der Finsternis, und auf einmal bin ich dir
nicht mehr gut genug? Wie ist es denn dazu gekommen?«

»Wo ist Ernesto? Ich will mit Ernesto reden.«
Angelus betrachtete den toten Körper des Mannes, dem er das Genick

gebrochen hatte. »Ernesto heißt er? Er ... macht gerade Pause.«

»Du hast ihn getötet.« Sie klang völlig apathisch.
»Eigentlich ist es sogar noch schlimmer«, sagte Angelus. »Er war nie

wirklich da. Ich habe ihn nur gespielt und die ganze Zeit über so getan,
als wäre er da. So wie du mir etwas mit Francesco und Estrellita
vorgekaukelt hast, nicht wahr? Sie waren von Anfang an tot! Du hast

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gedacht, ich würde für drei Überlebende schneller schaufeln als für
einen.«

»Du bist der leibhaftige Teufel.« So emotionslos, wie ihre Stimme nun

klang, hätte sie auch über das Wetter reden können.

»Nein, aber ich habe schon ein, zwei Mal mit ihm Karten gespielt«,

entgegnete Angelus fröhlich. »Er ist nicht halb so gut, wie man glauben
möchte. Ich hingegen, ich verliere niemals, wenn ich spiele.«

»Verschwinde von hier! Du wirst meine Seele nicht bekommen.«
»Deine Seele? Du liebe Güte, an so einem armseligen kleinen Ding bin

ich gar nicht interessiert. Was ich haben will, ist dein Verstand.«

Er packte den Balken und hob ihn von der Klappe im Boden. »Bereit

oder nicht, hier komme ich«, sagte er grinsend.

Und zog die Falltür auf.




























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4



»Also, ich habe mir Folgendes ausgedacht«, sagte Doyle. Er fuhr mit
Angel durch die östlichen Bezirke von L.A. »Diese Tremblor-Typen –
geistig gesehen sind das wohl nicht gerade die hellsten Lichter am
Weihnachtsbaum.«

»Wie meinst du das?«
»Na ja, sie sind doch aus Stein, oder? Dann müssen ihre Gehirne auch

aus Stein gemacht sein.«

»Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Muss ich es dir erst aufmalen? Steine im Kopf! Das versteht man

gemeinhin als Metapher für einfachere Gemüter.«

»Ist das nicht ein bisschen speziesistisch von dir?«
»Ein bisschen was?«
»Speziesistisch. Wenn man klischeehaft eine Eigenschaft auf die

Spezies als Ganzes überträgt.«

»Wie wenn man zum Beispiel sagt: Alle Vampire trinken Blut?«
Angel runzelte die Stirn. »Ganz genau das meine ich. Ich trinke

Kaffee, ich weiß einen guten Single-Malt genauso zu schätzen wie du -
aber alles, woran die Leute denken, ist: A, Null oder AB negativ.«

»Schon gut, schon gut, ich habe verstanden. Sind wir heute vielleicht

ein bisschen empfindlich?«

»Ich habe auch keinen transsilvanischen Akzent.«
»Schon gut, habe ich gesagt! Mein Gott, heute ist aber wirklich jemand

mit dem falschen Bein aus dem Sarg aufgestanden.«

»Sehr witzig! Vielleicht sollte ich einen Umhang tragen.«
»Kommt drauf an. Reden wir immer noch von Dracula, oder sind wir

schon bei Batman?«

»Hier ist es.« Angel fuhr den Wagen an die Seite und hielt an. Auf der

gegenüberliegenden Straßenseite leuchteten Bier-Reklamen über dem
Fenster einer kleinen Bar.

»Okay, ich will dir mal was sagen. Da ich offenbar dein Zartgefühl

verletzt habe, indem ich andeutete, du wärst nichts als ein blutsaugender
Freak ...«

»Freak hast du nicht gesagt...«
»... will ich es wieder gutmachen und dir ein Glas von dem besten

Scotch spendieren, den dieser Laden zu bieten hat.«

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Sie stiegen aus dem Auto. »Das wird dich um mindestens zwei Dollar

ärmer machen«, bemerkte Angel und blickte die Straße hinauf und
hinunter. Auf dem verwitterten Schild über dem Eingang des Lokals,
einer verbeulten Metalltür, stand CHICO'S FINTE. Zerbrochenes Glas
glitzerte auf dem Gehsteig davor.

Innen sah das Lokal ungefähr so furchtbar aus, wie Angel erwartet

hatte. Eine lange Theke zog sich auf der einen Seite durch den Raum, auf
der anderen gab es eine Reihe Sitzecken mit knallroten Plastikpolstern
und verkratzten Resopaltischen. Die stärksten Lichtquellen waren die
Bier-Reklamen. Hinter der Theke stand eine Latina mittleren Alters,
während drei Stammkunden am anderen Ende zusammenhockten. Dass
sie Stammkunden waren, schloss Angel einfach aus ihrer Körpersprache.
»Ich bin schon seit langer Zeit hier«, verriet ihre Haltung. »Und so
schnell gehe ich auch nirgendwo anders hin.«

Angel setzte sich an einen Tisch, von dem aus man die Tür beobachten

konnte. Doyle bestellte zwei Scotch an der Bar.

»Hier hängt also Graedeker herum?«, fragte Angel.
»Manchmal. Man kann ihn nur schwer aufspüren. Normalerweise

findet er die Leute.«

»Und wie funktioniert das?«
Doyle zuckte mit den Schultern. »Es ist schon irgendwie unheimlich.

Sagen wir mal, du bist ein Dämon, der gerade eine Pechsträhne hat.
Vielleicht hast du auf das falsche Pferd gesetzt, oder du bist mit ein paar
Monatsraten Unterhaltszahlung an die alte Hexe im Rückstand. Und da
taucht plötzlich dieser Typ auf, der über deine Probleme Bescheid zu
wissen scheint. ›Vielleicht kann ich dir helfen‹, sagt er. ›Ich würde dir
ein bisschen Kohle leihen, wenn du mir etwas zum Tausch anbieten
kannst.‹ Und wir reden jetzt nicht von Stereoanlagen oder
Armbanduhren. Er ist ausschließlich an übernatürlichen Dingen interes-
siert.«

»Und er behält das Pfand, wenn der Dämon die Leihgabe nicht

zurückzahlt.«

»Richtig. Er ist mehr oder weniger ein Pfandleiher. Die Sache ist die:

Bei ihm ist es manchmal schwierig, sein Eigentum zurückzubekommen.
Man kann nicht einfach hingehen und es auszulösen.«

»Er gibt die Dinge nicht gern wieder zurück?«
Die Latina erschien mit den Drinks. Doyle griff in seine Hosentaschen

und blickte verlegen drein. Angel bezahlte.

»Das ist eigentlich nicht das Problem«, fuhr Doyle fort. »Das Problem

ist vielmehr: Man kann ihn nicht so einfach finden. Hast du schon mal
Twilight Zone gesehen?«

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»Ich ziehe Bücher dem Fernsehen vor.«
»Ja, also, da gab es jedenfalls eine Episode mit einem alten

Kuriositäten-Laden. Da geht also dieser Typ rein und kauft eine
magische Flasche, und als er sie zu Hause öffnet, verwandelt ihn der
Flaschengeist in Adolf Hitler.«

»Jetzt weiß ich, warum ich nicht fernsehe.«
»Okay, vielleicht habe ich ein paar Details nicht richtig dargestellt,

aber das Entscheidende ist: Als er zurück zu dem Laden gehen will, um
die Flasche zu reklamieren, ist er nicht mehr da.«

Angel blickte nachdenklich drein, sagte aber nichts.
»Jedenfalls ...«
»Ich versuche mir immer noch vorzustellen, wie Hitler die Flasche

reklamieren will«, sagte Angel.

Doyle nahm einen Schluck von seinem Scotch und versuchte, nicht das

Gesicht zu verziehen. »Jedenfalls habe ich dieses Motiv von dem
verschwundenen Laden schon öfter gesehen. In Kinofilmen, im
Fernsehen. Da muss es auch Graedeker aufgeschnappt haben.«

»Er hat ein Leihhaus, das verschwinden kann?«
»Nicht ganz. Er hat einen Sattelschlepper, in dem er seine Habe

aufbewahrt; er nennt ihn Teufelstulpe. Wohnt in dem Schlafabteil hinten
im Wagen. Fährt viel mit dem Ding durch die Gegend.«

»Wie früher die Wunderdoktoren«, grübelte Angel. »Das war im

Wilden Westen sehr beliebt. Die haben den Leuten alles, von Elixieren
für die ewige Jugend bis zu magischen Bohnen, verkauft.«

»Wenn es dir mit einer Analogie aus dem letzten Jahrhundert besser

geht als mit einer aus der Gegenwart, in Ordnung – aber dieser Typ
handelt nur mit echten Gütern. Und wenn die Serpentiner auch nur halb
so clevere Geschäftsleute sind, wie sie von sich behaupten, dann sollte
Graedeker alles über sie wissen.«

»Das letzte Jahrhundert – das ist das Problem.«
»Guter Gott, dieser Scotch ist furchtbar. Ich brauche sofort noch

einen.« Doyle gab der Frau hinter der Theke ein Zeichen.

»Mein Bezugssystem, meine Wurzeln, all das stammt aus den letzten

beiden Jahrhunderten, nicht aus diesem.« Angel nahm ebenfalls einen
Schluck von seinem Scotch und zog eine Grimasse.

»Und?«
»Das beeinflusst meine Arbeit. Ein Detektiv muss in der Menge

untergehen; er darf nicht auffallen.«

»Aber bisher schlägst du dich doch in punkto Detektivarbeit ganz gut.«
»Ich fühle mich nur nicht... integriert.«

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»Integriert? Auf die Gefahr hin, wie ein Speziesist zu klingen, aber...

als tageslichttechnisch Herausgeforderter bist du nicht gerade eine
typisch amerikanische Größe. Aber darum geht es im Grunde gar nicht,
oder?«

»Ich sage ja nur...«
»Du sagst, dass du einfach nicht zu den anderen passt. Du fühlst dich

fehl am Platz. Willkommen im Club, Kumpel!« Doyle hob sein Glas,
hielt aber inne und runzelte die Stirn. »Warte! Wenn du im Club bist,
dann gehörst du ja zu etwas. In meinem Kopf klang das irgendwie viel
besser.«

»Schon gut, nicht die Tatsache, dass ich anders bin, macht mir zu

schaffen«, meinte Angel. »Ich bin jetzt schon fast zweieinhalb
Jahrhunderte lang ein Vampir. Ich habe mich daran gewöhnt. Es ist eher
das Wissen, dass es niemand anderen gibt, der so ist wie ich. Ich bin eine
Ein-Personen-Spezies, Doyle.«

»Na, wir sind doch hier im größten Schmelztiegel der Welt. Im Land

der Freiheit. If you can make it here you can make it anywhere ..

»Du willst doch wohl jetzt nicht anfangen zu singen!« »Nichts ist

unmöglich ...«

Das Erste, was Angelus erblickte, war das Kruzifix.

Es überraschte ihn wenig. Dies war schließlich eine Kirche gewesen –

und Maria hielt ihn für den Leibhaftigen. Sollte sie aber doch noch
irgendwelche Zweifel haben, wollte er sie rasch ausräumen ...

Die zitternde Hand, die ihm das Kruzifix entgegenstreckte, war

blutüberströmt und dreckverkrustet. Das Mondlicht fiel durch die
Öffnung direkt auf das Kreuz, das die Strahlen glitzernd reflektierte. Sie
stachen Angelus wie Dolche in die Augen. Er unterdrückte das instink-
tive Verlangen zu fauchen und zurückzuweichen und lächelte
stattdessen. Die Schmerzen, die von dem Kreuz ausgingen, waren
auszuhalten; dazu brauchte man lediglich Willenskraft.

»Nun, meine Liebe«, sagte er sanft. »Du glaubst doch nicht, dass ich

mich vor so einem kleinen Schmuckstück fürchte! Es bereitet mir
lediglich leicht nostalgische Gefühle.«

»Weiche von mir! Weiche von mir!«
»Ich war dabei, als sie ihn drangenagelt haben, weißt du!« Angelus

setzte langsam einen Schritt nach vorn. Er hatte den Eindruck, gegen
einen starken Wind zu marschieren – der jedoch schwächer wurde.

Und schon bald ganz abflaute.
»Du brauchst jedes Fünkchen Kraft, das du hast, um dieses kleine

Ding hochzuhalten, nicht wahr? Und ich habe gerade einen Holzbalken

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zur Seite geräumt, als wäre er ein Stück Anmachholz. Glaubst du
wirklich, du hättest eine Chance gegen mich?«

»Verschwinde!«
»Ich verschwinde überhaupt nicht! Sieh mal, ich habe diese Gefühle

für dich entwickelt... Gefühle, die ich gar nicht beschreiben kann.
Leidenschaftliche Gefühle. Irgendwo zwischen Liebe und Mordgelüsten,
zwischen dem Duft einer Rose und dem Blut, das von ihren Dornen
tropft. Ich will dein Herz, meine Liebe. Und das meine ich ernst...«

Dann stand er einfach nur in der Dunkelheit da.
Und wartete, bis ihr der Arm schwer wurde und heruntersank.


»Hast du schon mal zu einer Gruppe gehört?«, fragte Angel, der immer
noch bei seinem ersten Drink war.

»Ich?«, meinte Doyle. »Nee. Ich meine, es gibt zwar einen ganzen

Haufen von AA-Gruppen, die mich gern für ihr Zwölf-Schritte-
Programm einfangen würden, aber bislang habe ich nein gesagt. Zu den
Programmen, meine ich.«

»Hab ich mir schon gedacht. Wenn du nicht langsamer trinkst, wirst du

mich gleich fragen, ob wir zu Wendy's fahren können.«

»Ich heiße doch nicht Cordelia! Komm schon, Angel! Ich hab schon

vor dem Frühstück mehr getrunken. Oder zum Frühstück, um genau zu
sein.«

»Solange du mit Graedeker klarkommst.«
»Kein Problem.« Doyle nahm einen weiteren Drink. »Weißt du, dieses

Zeug wird wirklich besser, wenn die Zunge erst einmal betäubt ist. Hey,
mir ist gerade was eingefallen, eine Gruppe, zu der ich tatsächlich gehört
habe. Du liebe Zeit, an die Jungs habe ich seit Jahren nicht mehr
gedacht!«

»Was für eine Gruppe war das?«
»Die Kämpfer für die Gerechtigkeit. Wir waren Superhelden.«
Angel zog die Augenbrauen hoch. »Superhelden.«
»Ja sicher. In der Hauptsache haben wir das Verbrechen in meinem

Keller bekämpft. Weißt du, für diese Mittelklasse-Gegend war mein
Keller über die Maßen schmuddelig.«

Angel lächelte. »Wie alt warst du da?«
»Acht ungefähr. Wenn wir nicht gerade die Mächte der Finsternis

bekämpft haben, hingen wir rum und lasen reihum unsere Comic-Hefte.
Ich hatte selbst eine recht beeindruckende Sammlung.«

»Eine weitere Kunstform des zwanzigsten Jahrhunderts, die an mir

vorübergegangen ist.«

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»Das ist eine Schande! Ein paar von den Typen waren wirklich gut.

Nimm Jack Kirby zum Beispiel. Er und Stan Lee haben quasi den
modernen Comic erfunden.«

»Stanley wer?«
»Stan Lee. Sie haben Spiderman erfunden, die Fantastic Four, den

Incredible Hulk ...«

»Ist einer von denen ein Vampir?«
»Also, nein ...«
»Hab ich mir fast gedacht.«
»Aber da gab es diese eine Figur, die wurde ›der Dämon‹ genannt, das

war Kirbys alleiniges Werk. Der Typ sah meistens ganz normal aus.
Aber wenn er einen Spruch aufsagte, verwandelte er sich in eine
Höllenkreatur. Hellgelbe Haut, Krallen, Hörner; und Flossen, wo sonst
die Ohren sind. Ein hässlicher Bastard. Der hatte nicht viele Freunde.«
Doyle starrte auf seinen Drink und rührte langsam die Eiswürfel mit dem
Finger um.

»Ja? War er dein Favorit?«
Doyle sah auf. »Was? Nee, der war komisch angezogen und redete

merkwürdig. Mein persönlicher Favorit war Wonder Woman, wegen der
ich letztlich aus der Kämpfertruppe rausgeschmissen wurde und zu
einem lebenslänglichen Fetischisten für Unterwäsche mit Sternenban-
nermuster geworden bin. Und Lassos, die im Dunkeln leuchten.«

Das silberne Kruzifix, wie es im Mondlicht glänzte ..., schoss es Angel

durch den Kopf.

Er schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Scotch.
»Stimmt was nicht, Kumpel? Du siehst gerade noch grüblerischer aus

als sonst«, stellte Doyle fest

»Komisch, es gibt Sachen, an die man Jahrzehnte nicht gedacht hat,

und dann plötzlich ... tauchen sie einfach aus der Erinnerung auf. Und
dann kann man nicht mehr aufhören, daran zu denken.«

»Was die Jahrzehnte angeht, nun ja - aber ansonsten stimmt's. Ich

nehme an, wir reden nicht von irgendeinem alten Pop-Song?«

»Nein. Es ist etwas, das ich getan habe, vor langer Zeit. Kurz nachdem

ich zum Vampir wurde. Etwas Schreckliches.« Angel leerte sein Glas in
einem Zug. »Es war in Portugal, nachdem ein schweres Erdbeben fast
ganz Lissabon dem Erdboden gleichgemacht hatte.«

»Ich verstehe, dass der aktuelle Fall ein paar Erinnerungen wachruft.

Willst du drüber reden?«

»Eher nicht. Es war... monströs. Vielleicht nicht das Schlimmste, was

ich je getan habe, aber ganz bestimmt unter den Top Ten. Es war meine
erste richtige Erfahrung in psychologischer Folter, und ich fühlte mich so

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wohl dabei wie ein Fisch im Wasser. Ich glaube nicht, dass du die
Details erfahren möchtest – besonders nicht, was ich am Ende getan
habe.«

»Angel, du bist immer noch ein Genie in Sachen psychologische Folter

– du hast lediglich die Seite gewechselt. Jetzt folterst du dich selbst. Du
bist sozusagen der Jedi-Meister der Schuld.«

»Ich weiß, ich weiß. Es ist nur so: Das ganze Gerede über Gruppen hat

mich zum Nachdenken gebracht... Vielleicht soll ich ja nirgendwo
dazugehören.«

»Warum? Weil du es nicht verdienst? Angel, jeder hat ein wenig

Freude verdient...«

»Doyle, für mich ist eine kleine Freude gleichbedeutend mit einer

riesigen Metzelei.«

»Oh, richtig.« Doyle nickte. »Vergiss einfach den ganzen Quatsch!

Vergiss einfach, dass du deine Seele wieder verlierst, wenn du einen
Moment wahren Glücks erlebst. Zigeunerflüche sind gemein, nicht
wahr?«

Angel sah sich um und seufzte. »Der Laden macht bald dicht. Ich

glaube nicht, dass er noch auftaucht.«

»Und ich glaube, du hast Recht. Ich geh nur noch kurz für kleine

Jungs, und dann machen wir uns dünn.«

»Ich warte im Auto.«
Angel wollte gerade die Wagentür aufschließen, als er sie hörte. Vier

junge Männer, die aus der Dunkelheit kamen. Ausgebeulte Jeans,
karierte Hemden, teure Sneakers. Die Farben, die sie trugen, wiesen sie
als Bloods aus.

»Nette Kutsche«, sagte der Kleinste im Bunde. Ein Blick in seine

Augen verriet Angel, dass es sich bei ihm um den Anführer handelte.

Er schob den Schlüssel wieder zurück in die Hosentasche. »Danke –

aber meine Ex-Frau hat vor der Scheidung eine Ladung verfaulten Fisch
reingekippt, und ich kriege den Geruch nicht mehr raus.«

»Das Einzige, was ich hier rieche, ist Scheißgelaber«, sagte der Größte

von ihnen. Seine Arme hätten eine prima Werbung für den Fitness-Raum
eines Gefängnisses abgegeben.

»Gib auf!«, sagte der Anführer. Plötzlich hielt er eine Pistole in der

Hand.

Angel seufzte. »Super. Jetzt werde ich erschossen. Ich hasse das. Es tut

weh, wisst ihr? Und man hat Löcher im Hemd.«

»Für einen Toten hast du aber merkwürdige Prioritäten. Die Schlüssel,

wenn ich bitten darf!«

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58

Die Kneipentür knallte zu, als Doyle herauskam. Er blieb wie

angewurzelt stehen, als er die Szene auf der anderen Straßenseite
registrierte – und der Kurzgewachsene sah für eine Sekunde zu ihm
hinüber.

Angel packte den Pistolenmann am Arm. Mit einer Hand griff er

zwischen Ellbogen und Schulter zu, und die andere legte er auf die Hand
mit der Pistole. Er knickte den Arm, und plötzlich bekam der
Bandenchef die eigene Pistole unters Kinn gerammt.

»Keine Bewegung!«, sagte Angel.
Zwei der Gegner zogen nun auch Pistolen hervor. Eine war auf Angel

gerichtet, während der Größere Doyle ins Visier nahm.

»Lass ihn los, oder ich erledige deinen Freund«, drohte der Große.
»Damit?«, fragte Angel ruhig. »Das glaube ich nicht. Die stupsnäsige

38er ist auf über fünfzig Meter nicht mehr sehr treffsicher, und er ist
wenigstens sechzig Meter weg. Ich bezweifle, dass du selbst mit einem
vollen Magazin auch nur einen einzigen Treffer landen würdest.«

»Ich mag zwar sechzig Meter weg sein, aber ich bin nicht

schwerhörig!«, rief Doyle nervös. »Einige von uns sind nicht so
bleiresistent wie andere, weißt du ...«

»Gib auf!«, zischte der Anführer.
»Ich brauche nur zu zucken, und dann verwandelt sich das Gehirn

deines Freundes hier in eine farbenfrohe Fontäne«, fuhr Angel fort. »Und
wenn man bedenkt, dass er zwischen uns beiden steht, werden wir wohl
alle beide mit seinem Gehirn voll gespritzt. Für mich ist das kein
Problem, denn ich kenne eine hervorragende Reinigung, aber vielleicht
möchtest du diese Erfahrung nicht unbedingt machen.«

Der Typ ohne Pistole wurde immer nervöser. Sein kahl rasierter Kopf

glänzte unter der Straßenlaterne. »Hey, vielleicht sollten wir einfach
abhauen, hm?«

»Wenn du ihn umlegst, legen wir dich um«, sagte der Große. »Dein

Freund kommt vielleicht davon, aber davon hast du selbst gar nichts.«

»Das stimmt«, räumte Angel ein. »Bis auf eines.«
»Was?«
Angel ließ sein vampirisches Wesen, das er normalerweise

unterdrückte, zum Vorschein kommen.

Seine Pupillen wechselten von schwarz zu hellgelb. Die Stirn trat über

den Augenbrauen vor. Er grinste die Jungen mit einem Mund voller
Zähne an, die soeben um einiges länger und schärfer geworden waren.

»Bis auf die Tatsache, dass mich Kugeln nur verärgern. Und wenn ich

verärgert bin, schlitze ich den Leuten die Hälse auf. Das ist ein
hervorragendes Mittel zum Abbau von Stress ...«

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Die Ganoven sahen ihn an. Alle ließen ihre Waffen sinken.
»Shit«, sagte der Große. »Du bist'n Vampir.« Er klang empört.
»Ähm, also, ja«, sagte Angel.
»Warum hast du das nicht gesagt, Mann? Wir haben einen Pakt mit

den Vampiren in der Gegend. Sie lassen die Bloods in Ruhe, und wir
schleppen ihre blassen Ärsche nicht in die Sonne. Alles cool!« Er steckte
die Pistole weg, und die anderen taten es ihm gleich.

»Also dann«, sagte Angel. Er ließ den Anführer los, der ihn nur

anstarrte und zurückwich.

»Du musst aber trotzdem hier in der Ecke auf deinen Hintern

aufpassen«, sagte der Große. »Viele Dämonen halten sich nicht an die
Abmachung. Da können wir nix für, wenn dich einer von denen fertig
macht.«

»Ich werde aufpassen«, sagte Angel. »Danke.«
»Kein Problem. Bis dann.« Sie schlenderten über den Gehsteig davon.
Doyle kam zum Auto. »Weißt du«, sagte er und sah den Bloods

hinterher, »immer, wenn ich gerade denke, Los Angeles kann gar nicht
noch verrückter werden ...«

»Kate wird mir erst morgen etwas über andere mögliche Opfer sagen
können«, erklärte Angel. »Also haben wir zur Zeit nur den Angriff auf
die Serpentinerin – und das hier.«

»Ein Feuerwehrhaus«, sagte Doyle. Sie parkten auf der

gegenüberliegenden Straßenseite. »Wo diese Frau namens Fisca
gearbeitet hat. Glaubst du, sie war die Nummer eins auf dem
Einkaufszettel der Tremblor?«

»Vielleicht«, entgegnete Angel. »Nach den Informationen von Kate ist

sie auf dem Weg von der Arbeit zum Auto verschwunden, und das war
auf dem Parkplatz gleich neben dem Feuerwehrhaus abgestellt. Ich
dachte, wir könnten uns mal umsehen.«

Sie stiegen aus dem Auto und gingen über die Straße. Der Parkplatz

war gut beleuchtet und einige Plätze entlang der Backsteinmauer waren
reserviert für Feuerwehrleute.

»Nicht viele Möglichkeiten, sich zu verstecken«, bemerkte Doyle.

»Höchstens zwischen zwei Autos, vermute ich mal.«

»Oder unter einem«, warf Angel ein. »Es sind schließlich unterirdische

Lebewesen ...« Er ging bis ans Ende des Parkplatzes. »Sieh dir das mal
an!«, sagte er.

Doyle kam zu ihm herüber. »Neuer Asphalt. Als hätte man ein Loch

gegraben und es wieder geschlossen.«

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»Die Stadt repariert doch ständig an den Kanälen rum. Wenn die

Baustelle in der Nacht noch da war, in der Fisca verschwand, gab es an
der Stelle vielleicht ein großes Loch.«

»Und einer von unseren steinigen Freunden hat einfach da drin

gehockt.« Doyle nickte. »Okay, aber dann sind immer noch ein paar
Fragen offen. Zum Beispiel: Woher weiß der Tremblor, dass sein Opfer
tatsächlich bei der Feuerwehr ist und nicht einfach jemand, der nur hier
geparkt hat? Und wo wir schon dabei sind: Woher weiß er überhaupt
irgendetwas, wenn er doch unter der Erde lebt? Steckt er von Zeit zu Zeit
seinen Kopf raus wie ein Ziesel?«

»Ich weiß es nicht«, musste Angel zugeben. »So genau habe ich mir

den, der mich angegriffen hat, auch nicht ansehen können. Sie könnten ja
irgendwelche speziellen Organe mit Sensoren haben, die man nicht
sehen kann.«

»Versuchen wir mal, die Situation zu rekonstruieren«, schlug Doyle

vor. »Die Entführung meine ich, nicht dein verfrühtes Begräbnis. Wir
versetzen uns sozusagen in die Lage des Beben-Dämons und versuchen
uns vorzustellen, was er gedacht hat.«

»Also gut. Nun, der Tremblor wird auf sein Opfer gewartet haben,

vielleicht eine ganze Weile ...«

»Okay, also lungert er hier rum. Er wird zappelig, nervös.«
»Vielleicht«, sagte Angel. Er lehnte sich an die Wand und

verschränkte die Arme vor der Brust.

Doyle begann, auf und ab zu schreiten. »Er ist geladen mit Erdbeben-

Energie, richtig? Denk mal an den Knaller, den er bei dir losgelassen hat.
Er vibriert regelrecht. Er ist bereit und kann es kaum erwarten ...«

Baasalt wartete.

Das Warten machte ihm nichts aus. Er maß die Zeit in geologischen

Einheiten; er war älter als die meisten Länder der Welt. Warten
bedeutete nur Ruhe, und Ruhe war für einen Tremblor wie Sonnenschein
für eine Echse.

Aber dies hier war keine wirkliche Ruhe. Der Schmutz schwappte ihm

immer noch um die Knie und gurgelte durch den Tunnel. Ratten
huschten quiekend vorbei und nagten an dem Unrat – und all das
geschah nur im Tunnel selbst.

Draußen herrschte ein Höllenlärm.
Riesige Metallkäfer dröhnten mit irrer Geschwindigkeit über die

Erdoberfläche. Schritte klapperten auf dem Beton. Stimmen schrien,
Hunde bellten, Vögel pfiffen. Immerhin war gerade nicht die Zeit, die
Tag genannt wurde, aber die würde schon bald wiederkehren.

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In Baasalts Welt war es überwiegend still. Sogar das Murmeln der

unterirdischen Flüsse drang nicht bis in sein Reich. Manchmal vergingen
Jahre zwischen einem hörbaren Geräusch und dem nächsten. Sein Volk
kommunizierte auf telepathische Weise.

Wie sehr ihm das fehlte ...


»Und dann«, sagte Doyle, »kommt Fresca heraus.«

»Fisca.«
»Ja, ja. Aber was, wenn unser Mister Erdbeben die Sache vermasselt?

Könnte doch sein, dass wir oberirdischen Typen für ihn alle gleich
aussehen. Molche und Würmer sind nicht gerade berühmt für ihr gutes
Sehvermögen ...«

Baasalts blassweiße Sensorknolle zuckte leicht. Sie war eigentlich ein
eigenständiger Organismus, eine Art symbiotischer Pilz, der nur in einer
Umgebung gedieh: im

Schwanzschlitz eines Tremblor-Krieger-Priesters. Es war ein

empfindliches und sensibles Instrument, fähig, auch die kleinste Menge
jeder chemischen Verbindung aufzuspüren und seinem Wirt zu melden.
Für Baasalts Sensorknolle waren eineiige Zwillinge einander ungefähr so
ähnlich wie Schwarz und Weiß.

»Also ist es vielleicht nicht einmal die richtige Person«, fuhr Doyle fort.
»Aber der Beben-Dämon weiß das nicht. Er hört wahrscheinlich einfach
nur Schritte, die auf sein Dach klopfen. Er ist nicht allzu helle, also
verschwendet er keine Zeit mit Nachdenken. Er will Action. Er bricht
aus dem Loch heraus«, sagte Doyle und warf die Arme in die Luft.
»Direkt vor ihr vermutlich. Sie will weglaufen, aber er ist schneller. Er
packt sie von hinten ...«

Angel seufzte.


Diejenige, die er suchte, kam näher.

Er konnte sie riechen, Molekül für Molekül. Der Duft ihres Parfüms,

ihrer Kleider, ihrer Haare, all das waren nur Ablenkungen. Es waren
andere, tiefer liegende Essenzen, die an ihr hafteten und ihm verrieten,
dass sie eine von den Vieren war.

Ein komplexer petrochemischer Geruch, der von den Metallvögeln

zeugte, die durch die Leere kreischten. Ein schwaches Miasma von
Elementen, das sich darunter mischte, die Art von kollektivem Geruch,
den eine Gruppe von Oberflächenbewohnern ausströmte, die für eine
gewisse Zeit gemeinsam in einem Raum eingeschlossen waren. Die

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subtilen Fehlfunktionen ihres Körpers, die auf eine durcheinander
geratene innere Uhr deuteten.

Wichtiger noch war allerdings ihre Lebenslinie, eine Art Energie-

Kennung, die durch die Zeit reiste wie Licht durch den Raum und für
Baasalt ebenso sichtbar war. Ihre Gleichmäßigkeit verriet ihm, dass die
Oberflächenbewohnerin nicht nur ab und zu durch die Luft reiste; es war
ihr Beruf. Sie hatte eine ebenso starke Beziehung zu der Schreienden
Leere wie er zu dem Körper der Welt.

Ein Schauder durchfuhr ihn; er versuchte, nicht weiter darüber

nachzudenken. Mit diesem Opfer musste er besonders vorsichtig
umgehen.

Die Blume, die aus dem Gully wuchs, war die merkwürdigste, die Sarah
Clark je gesehen hatte.

Der Stengel war weiß, aber im Vergleich zu der Blüte wirkte er noch

normal. Die Blüte sah aus wie ... na ja, wie ein Vulkan, fand Sarah. Sie
bestand aus einem pechschwarzen Kegel, dessen Spitze glühend rot
leuchtete, so rot wie geschmolzenes Gestein. Daran wuchsen unglaublich
lange rote Staubgefäße, die über einen halben Meter in die Luft ragten
und deren Enden leicht gebogen waren. Sie wirkten wie Lava, die wieder
auf die Erde fällt, nachdem sie in die Luft geschleudert wurde.

Eigentlich sah das Ganze eher wie ein Pilz aus, aber so einen hatte

Sarah noch nie gesehen. Und Pilze hatten auch keine Staubgefäße, oder?
Sie gaben Sporen ab und keine Pollen.

Und sie rochen nicht nach Sommercamp.
Sarah blieb abrupt stehen. Ihr Beruf als Flugbegleiterin führte sie um

die ganze Welt, und ihre Nase war schon auf viele ungewöhnliche Düfte
gestoßen: Sie war durch die Basare von Marokko geschlendert, an den
Kochständen in Hongkong vorbeispaziert, hatte ihren Kopf in Gewürz-
läden auf den Philippinen gesteckt. Sie liebte die exotischen fremden
Gerüche.

Aber auch Gerüche, die einem bekannt vorkamen, und besonders die,

die Erinnerungen wachriefen, hatten ihre Reize. Was Sarah nun roch,
erinnerte sie an ihre Kindheit, an die letzten Ferien, die sie im Alter von
zwölf im Sommercamp verbracht hatte. Es war das reinste Paradies für
sie gewesen, ein Ort weit weg von den Problemen des alltäglichen
Lebens. Und es war der letzte Sommer ihrer Kindheit gewesen, und sie
hatte viel Spaß gehabt und Freundschaften geschlossen. Sie hatte
Wichtiges dazugelernt, nicht über Bogenschießen, Schwimmen oder
Kanufahren, sondern über die Dinge, von denen junge Mädchen immer
reden. Die erste Menstruation. Wie es war, einen Jungen zu küssen. Das

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erste Bier, die erste Zigarette, um herauszufinden, was die ganze
Aufregung überhaupt sollte. Das Ausprobieren von BHs und Schminke.

Und irgendwie roch diese Blume sogar aus fünf Metern Entfernung

nach alldem. Der süße Duft von Pinien, vermischt mit dem typisch
muffigen Geruch der Holzhütte. Das billige Parfüm, das Ellen Fingerhoff
versprühte. Der Geruch des warmen, verwitterten Holzes, der vom Dock
aufstieg, wenn sie in der Sonne lag. Der leicht sumpfige Geruch des
Sees. Und der Geruch von Lagerfeuer natürlich ...

Mit einem verträumten Lächeln im Gesicht ging sie auf die Blume zu.

Als sie näher an den Gully herankam, aus dem sie hervorwuchs,
entdeckte sie, dass der Deckel fehlte. Nur ein schwarzes Loch war zu
sehen. Gähnende Leere bis auf diese ungewöhnliche Blume, die sacht im
Wind wiegte.

Sarah ging ganz dicht mit der Nase an die Blume, schloss die Augen

und atmete tief ein.

Und machte eine Zeitreise in die Vergangenheit.


»Komm schon!«, rief eine aufgeregte Stimme. »Sieh dir das mal an!«

Sarah öffnete die Augen und richtete sich auf. »Sieht cool aus, die

Blume«, dachte sie. Aber besonders intensiv duftete sie nicht.

Ihre beste Freundin Cindy Lillinett stand neben einem Loch, das wie

eine Höhle aussah. Es war hinter Büschen verborgen, aber Cindy hatte
die Äste zur Seite geschoben. »Ist das nicht super?«, meinte Cindy. »Ich
wette, da war schon hundert Jahre niemand mehr drin!«

Sarah grinste und rannte zu ihr. »Aber es ist so dicht am Camp.

Glaubst du, hier treffen sich vielleicht die Betreuer zu Besprechungen
oder so?«

»Vielleicht«, sagte Cindy. »Komm, gehen wir rein!«
»Du zuerst«, entgegnete Sarah.
Cindy lächelte, rief »Feigling!« und ging gebeugt in die Höhle.
Sarah hielt sich dicht hinter ihr.


»Brauchst du vielleicht ein Trampolin?«, fragte Angel.

»Wie bitte?«, entgegnete Doyle.
»Dann kannst du noch größere logische Sprünge machen!«
»Ach, du kannst es wohl besser?«
»Na, wollen wir mal sehen. Erstens haben die Tremblor schon eine

Feuerwehrfrau und jemanden, der unter der Erde lebt – zwei zu zwei
steht es also in ihren Augen. Das lässt vermuten, dass sie wissen, was sie
tun. Zweitens: Der, mit dem ich gekämpft habe, hat abgewartet, bis ich
über ihn gestolpert bin. Das und die Art seines Angriffs legen nahe, dass

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Warten ein Bestandteil ihrer Lebensphilosophie ist. Und auch wenn der
Tremblor, der mich angriff, ziemlich schnell war, kann ich mir nicht
vorstellen, dass ein Wesen, das aus Stein gemacht ist, von Natur aus
ungeduldig ist...«

Angel ging wieder zurück zum Auto. »Das Feuerwehrhaus ist rund um

die Uhr besetzt und liegt gleich nebenan. Wenn etwas aus der Erde
gebrochen und auf sie losgegangen wäre, hätte sie zumindest noch Zeit
zum Schreien gehabt. Aber niemand hat etwas gehört.«

»Wie ist es also deiner Meinung nach passiert?«, fragte Doyle und

folgte ihm.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht wurde sie unter Drogen gesetzt,

hypnotisiert oder so. Wir haben dazu noch nicht genug Informationen.«

Sie stiegen in den Wagen. »Wohin?«, fragte Doyle.
»Zu Fiscas Wohnung. Vielleicht stoßen wir auf eine weitere

Verbindung unter den Opfern, eine, die uns hilft herauszufinden, wer als
Nächstes in Gefahr ist.«

Baasalt führte die Frau an der Hand. Sie folgte ihm freiwillig, mit einem
zufriedenen Lächeln im Gesicht. Die Sporen, die von der Sensorknolle
abgegeben wurden, hatten eine ganz spezielle Auswirkung auf die
Psyche, insofern als »die Betroffene in ihre glücklichste Zeit
zurückgeführt wurde, eine Zeit, in der sie sich sicher und geborgen
gefühlt hatte. Baasalt konnte die Diskrepanz in ihrer Lebenslinie klar
erkennen. Ihr Körper war hier, aber ihr Geist war weit in der Zeit zurück.
In diesem Zustand waren die Opfer in höchstem Maße beeinflussbar –
Baasalt musste nicht einmal mit ihrem Geist kommunizieren. Er machte
einfach eine bittende Geste mit der Hand, und ihre eigenen Gedanken
erledigten den Rest.

Er war froh, dass es so einfach gewesen war. Man konnte nie wissen,

was geschah, wenn man es mit der Leere zu tun hatte, oder mit denen,
die in ihr lebten.

»Hier hat sie also gewohnt«, sagte Doyle.

Das geräumige Apartment war geschmackvoll eingerichtet. Offenbar

bezogen die Feuerwehrleute von L.A. ein ordentliches Gehalt. Die
Sicherheitsvorkehrungen waren allerdings in keinster Weise
beeindruckend – Doyle hatte das Schloss in weniger als einer Minute
geknackt.

Angel sah sich um. Bücherregale, gerahmte Kunstdrucke, eine

Ledercouch mit dazu passendem Sessel. Fernseher, Stereoanlage, ein
Regal mit CDs und Videos. Ein Couchtisch mit Zeitschriften. Nichts,

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was auch nur im Entferntesten auf eine Entführung durch unterirdische
Monster hingewiesen hätte, sprang ihm ins Auge.

»Hey, glaubst du, sie hat was dagegen, wenn ich hier etwas von

esse?«, fragte Doyle, der seine Nase bereits in den Kühlschrank gesteckt
hatte. »Als Vorschuss auf ihre Rettung sozusagen.«

Angel ging ins Schlafzimmer. Das Doppelbett war nicht gemacht, und

auf dem Boden lagen mehrere Kleidungsstücke verstreut.

Auf einem Schreibtisch an der Wand stand ein Computer. Angel zog

den Stuhl vor, setzte sich und schaltete das Gerät ein.

Nichts war verschlüsselt oder mit einem Passwort gesperrt, also konnte

er ungehindert Einblick in ihre Dateien nehmen. Sie arbeitete
offensichtlich an einem Roman, hatte einen Haufen viktorianische
Erotikliteratur und eine Sammlung Flugsimulator-Spiele. Angel fand ihr
Adressverzeichnis und sah es durch.

Der Name tauchte natürlich erst gegen Ende auf. Zuerst war Angel

daran vorbeigescrollt, stutzte dann aber und scrollte wieder zurück.

»Doyle!«, rief er. »Ich glaube, ich habe etwas gefunden.«
Doyle kam ins Schlafzimmer, in der einen Hand ein halb gegessenes

Jumbo-Sandwich und in der anderen ein Bier. »Ja? Was denn?«

»Einen Namen«, sagte Angel. »Einen sehr bekannten Namen.«
Er zeigte auf den Monitor. Eigentlich waren es zwei Namen.
Wolfram und Hart.



















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5



Wolfram und Hart war ein Name, den Angel nur allzu gut kannte.
Dahinter verbarg sich eine Anwaltskanzlei in L.A., deren Klienten stark
mit dem Dämonischen verhaftet waren – im übelsten Sinne des Wortes.
Er hatte bereits mit ihnen zu tun gehabt und diese Erfahrung nur knapp
überlebt.

Als Angel und Doyle mit der Inspektion des Apartments fertig waren,

zog bereits die Morgendämmerung auf. Die beiden fuhren zurück ins
Büro, und Angel verzog sich zum Schlafen in seine Bleibe im
Untergeschoss.

Er kam jedoch nicht zur Ruhe. Obwohl er versuchte, sich auf den

aktuellen Fall zu konzentrieren, kehrten seine Gedanken immer wieder
nach Lissabon zurück, zu der Kirchenruine, zurück zu Maria.

Zurück zu dem, was er ihr schließlich angetan hatte.


»Guten Morgen, Angel!«, rief Cordelia, als er aus dem Lastenaufzug trat.
»Oder eher: Guten Tag! Da ist Kaffee!«

»Kaffee ist gut«, murmelte Angel und schenkte sich eine Tasse ein.

»Wo ist Doyle?«

»Der holt Mittagessen, für diejenigen von uns, die ihr Futter kauen.«
Angel sank wortlos in einen Bürostuhl.
»Was, findest du das etwa ekelig? Sich Sachen in den Mund zu stopfen

und darauf herumzukauen, bis alles ganz matschig und vermengt ist, um
es dann runterzuschlucken - igitt, plötzlich habe ich gar keinen Hunger
mehr. Vielen Dank!«

»Tut mir Leid. Ich habe nicht gut geschlafen.«
»Doyle hat erzählt, du hast eine Verbindung zu Wolfram und Hart

gefunden. Was ist eigentlich los mit diesen Fieslingen? Versuchen sie,
dem Bösen das Marktmonopol zu verschaffen oder so?«

»Oder so«, pflichtete ihr Angel bei. »Ich weiß noch nicht, inwieweit

sie in die Geschichte verwickelt sind. Ihr Name tauchte lediglich in der
Adressdatei eines der Opfer auf.«

»Oh, diese Polizistin ist vorbeigekommen. Sie sagte, ich soll dir das

hier geben.« Cordelia nahm einen Briefumschlag und reichte ihn Angel.

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Die Eingangstür ging auf, und Doyle kam herein. Er hatte eine braune

Papiertüte unter dem Arm. »Wie ich sehe, ist der Große schon
aufgestanden, Cordy. Ich hoffe, Tandoori-Hühnchen ist in Ordnung.«

»Du kannst meine Portion haben. Unser Sonnenschein hier hat mir

gerade den Appetit verdorben.«

Doyle stellte die Papiertüte auf den Schreibtisch. »Was ist in dem

Umschlag?«

»Etwas von Kate.« Angel öffnete ihn und zog einen dicken Packen

Papiere hervor. »Sieht aus wie eine Liste von vermissten Personen. Sie
hat alle Fälle des letzten halben Jahres ausgedruckt, die Opfer der
Tremblor gewesen sein könnten.«

»Aber das hast du ihr doch nicht verraten«, bemerkte Cordelia.
»Natürlich nicht.«
»Was hast du ihr denn gesagt?«, fragte Doyle und fing an, die Tüte mit

dem Essen auszupacken.

»Nur, dass es ein Fall ist, an dem ich gerade arbeite«, sagte Angel und

studierte die Unterlagen.

»Ein ziemlich großer Gefallen bei so einer vagen Andeutung«,

kommentierte Doyle.

»Sie muss ein sehr netter Mensch sein«, sagte Cordelia.
»Und so hilfsbereit«, pflichtete ihr Doyle bei.
»Und das alles ohne Belohnung.«
»Nur aus gegenseitigem kollegialen Respekt.«
»Genau das hatte ich auch gerade auf der Zunge.«
Angel seufzte und legte die Papiere zur Seite. »Okay, okay. Ich habe

ihr versprochen, sie zum Dinner auszuführen.«

»Solange du sie dir nicht zum Dinner genehmigst...«, bemerkte

Cordelia. »Aber das tust du ja nur, wenn du wieder böse wirst, und das
geschieht ja nur, wenn du wirkliches Glück erlebst. Was wiederum zu
den Dingen gehört, die eigentlich immer erst nach dem Dinner
geschehen.«

»Es sei denn, die Appetithäppchen sind außergewöhnlich lecker!«

Doyle öffnete eine Plastikbox, und Curryduft infiltrierte den ganzen
Raum.

»Ach, übrigens – ist das nicht ziemlich cool?« Cordelia streckte die

Arme aus und drehte sich im Kreis. Sie trug ein enges schwarzes Kleid;
in den Stoff waren an ungewöhnlichen Stellen Löcher geschnitten.

»Sehr hübsch.«
»Und teuer«, fügte Doyle hinzu.
»Ich vermute, Maureen hat das bezahlt?«, fragte Angel.

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»Sie hat darauf bestanden. Wie konnte ich da nein sagen! Sie hätte sich

plötzlich in eine Schlange verwandeln können oder so.«

»Ich bin sicher, du hast dich gewehrt, so lange es ging. Und wie ist es

sonst gelaufen?«

»Oh, wir haben uns prächtig amüsiert. Na ja, es gab da diesen

unliebsamen Zwischenfall mit dem Hamster in der Zoohandlung, aber
sie sagte, ihr Blutzuckerspiegel sei einfach zu niedrig gewesen.«

»Sie hat einen Hamster gegessen?«, fragte Doyle bass erstaunt. Die

Gabel voll Curry, die er sich gerade in den Mund schieben wollte, blieb
auf halbem Wege in der Luft hängen.

»Du glaubst aber auch alles! Ehrlich, Angel, sie war absolut normal.

Wir haben uns sehr gut verstanden, und sie ist wirklich nett. Ich meine,
wenn ich so viel Geld hätte wie sie, würde ich auf keinen Fall mit
jemandem wie mir meine Zeit verbringen. Nicht, wenn ich nicht schon
ein paar Filme gedreht hätte jedenfalls.«

»Das ergibt... fast einen Sinn«, sagte Angel. »Aber ich würde immer

noch gern ein bisschen mehr über die Serpentiner erfahren.«

»Ich werde einen weiteren Versuch machen, Graedeker zu finden, und

zwar allein«, bemerkte Doyle. »Vielleicht kann er ja irgendwie spüren,
ob es jemandem gerade wirklich schlecht geht oder ob er einfach nur mit
ihm reden will.«

»Geht es dir denn gerade schlecht?«, fragte Angel.
»Es wird mir schlecht gehen, wenn ich meine Miete auf der Rennbahn

verspiele.«

»Auch das passt ins Raster«, bemerkte Angel. »Shoppen gehen und

Wetten, die beiden tragenden Säulen der Detektivarbeit! Ich hingegen
werde etwas ganz Ungewöhnliches ausprobieren.«

»Und das wäre?«, fragte Doyle, den Mund voll Tandoori-Hähnchen.
»Ich werde nach Spuren suchen. Vielleicht hast du von dieser Methode

schon mal gehört...«

Angel verbrachte den Nachmittag in seinem Büro und brütete über den
Ausdrucken von Kate. »Viel Glück!« hatte sie auf das obere Blatt
geschrieben, und als er sich die Daten genauer ansah, verstand er auch,
warum.

Das Problem war, dass die Parameter, die er angegeben hatte – Leute,

die mit Luft, Erde oder Wasser zu tun hatten –, zu allgemein waren.
Stand jemand, der in der Granitstraße wohnte, mit Erde in Verbindung?
Hatte ein Waschmaschinenreparateur mit Wasser zu tun? Die Kriterien
waren einfach nicht konkret genug.

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Schließlich breitete er einen Stadtplan auf dem Boden aus und steckte

einen roten Pin an die Stelle, wo Fisca verschwunden war. Das nützte
zwar nicht viel, aber damit kam er sich wenigstens halbwegs wie ein
richtiger Detektiv vor.

Das Telefon im Büro klingelte. Cordelia nahm den Hörer ab.
»Hallo, Angel Investigations – wir helfen den Hoffnungslosen. Ja, er

ist da, eine Sekunde. – Angel! Kate ist dran!«

Er nahm seinen Hörer auf. »Ja?«
»Angel, gerade kam etwas herein, das dich interessieren könnte: Eine

Flugbegleiterin ist von ihrem Mitbewohner als vermisst gemeldet
worden. Keine Anzeichen von Gewalteinwirkung und keine Gründe für
ihr Verschwinden.«

»Wie bei Fisca. Wo wurde sie zuletzt gesehen?«
»Sie nahm ein Taxi vom Flughafen zu ihrer Wohnung. Aber bis hinein

hat sie es nicht mehr geschafft.«

Er notierte Namen und Adresse, bedankte sich bei Kate und legte auf.
Eine Flugbegleiterin und eine Feuerwehrfrau. Er glaubte, den Hauch

eines Musters zu ahnen – beide halfen Menschen, wenn auch auf sehr
unterschiedliche Weise. Beide waren durch das Element, mit dem sie es
in ihrem Job zu tun hatten, in akuter Gefahr.

Angel nahm eine weitere rote Nadel und steckte sie an der Stelle auf

die Karte, wo die Flugbegleiterin verschwunden war. Ihm fiel nichts
Ungewöhnliches zwischen den beiden Punkten auf, aber dann kam er auf
die Idee, sie als zwei Eckpunkte eines Quadrats zu betrachten. »Wenn
alle vier Seiten die gleiche Länge haben, dann wären die dritte und vierte
Ecke hier... und hier«, murmelte er vor sich hin.

Der dritte Punkt auf der Karte sagte Angel nichts, der vierte hingegen

schon. Er tippte mit dem Finger auf die Stelle und lächelte. »Erwischt!«,
sagte er.

Wir brauchen den Aufenthaltsort unseres nächsten Opfers,
dachte
Baasalt.

Er redete nicht mit sich selbst, sondern stand in telepathischem

Kontakt mit einem Oberflächenbewohner, der die Tremblor bei ihrer
Mission unterstützte. Sein Name war Rome.

Auch wir brauchen etwas, gab Rome zurück. Die Serpentiner sind

immer noch nicht überzeugt worden.

In mentalem Kontakt mit einem Oberflächenbewohner zu stehen fand

Baasalt sehr unangenehm. Es war, als tauchte man in etwas Nasses,
Zuckendes. Er bekam davon ein beklemmendes Gefühl, das man nur mit
»Hoffentlich geht das schnell vorüber« umschreiben konnte. Es gab kein

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Wort für »Ungeduld« in Baasalts Sprache. Sollen wir ein weiteres Beben
verursachen?

Nein, ich denke, hier ist eine direktere Maßnahme erforderlich ...


Der Punkt, den Angel auf der Karte berechnet hatte, lag am Strand,
gleich bei der Rettungsschwimmer-Station. Da alle Angriffe nachts und
an abgelegenen Orten stattgefunden hatten, schloss Angel, die Tremblor
würden einen Rettungsschwimmer irgendwo zwischen der Station und
seiner Wohnung abfangen.

Zwei Strandwächter waren während des Tages hier abgestellt. Angel

hatte vor, sie nach ihren jeweiligen Schichten mit Doyle zusammen zu
beschatten und ihr Zuhause im Auge zu behalten.

»Ich habe auch ein paar spezielle Ausrüstungsgegenstände bestellt, die

uns gegen die Tremblor nützlich sein können«, sagte Angel. »Wir
werden sie morgen bekommen.«

Doyle nickte. »Super. Wenn dann also ein großer fieser Dämon aus

dem Boden springt, werde ich genau das Mittel in Händen halten, das ich
brauche, um den Scheißkerl zu erledigen.«

»Du hast dein Handy dabei und wirst mich anrufen.«
»Da bin ich ja froh, dass wir einer Meinung sind.«
Angel stand auf und zog seinen Ledertrenchcoat über. »Schon mit

Graedeker weitergekommen?«

»Also, Phase eins des Plans hat super funktioniert.«
»Du hast dein ganzes Geld beim Wetten verloren.«
»Jawoll! An Phase zwei arbeite ich noch.«
Cordelia steckte den Kopf herein. »Jungs, schlechte Nachrichten!

Galvin hat gerade angerufen. Es hat einen weiteren Angriff in ihrem
Gebäude gegeben.«

»Wir sind unterwegs!«


»Jemand verletzt?«, fragte Angel.

»Zum Glück nicht«, antwortete Galvin. Er schüttelte niedergeschlagen

den Kopf. »Jedenfalls nicht körperlich.«

Er saß in den Trümmern seines Wohnzimmers. Von dem

Konzertflügel war nur noch ein Haufen Holzsplitter und Saiten übrig; der
Picasso, der Rembrandt und der van Gogh nur mehr Fetzen zerrissener
Leinwand. In die Oberfläche der Teakholz-Bar waren tiefe Furchen
geritzt – so als hätten wütende Bären sie als Kratzbaum verwendet. In
der Luft hing das Aroma von gutem Scotch. Nicht eine einzige Flasche
hatte überlebt.

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71

»Das ist eine Tragödie, eine echte Tragödie!«, sagte Doyle. Er sog den

Duft tief durch die Nase ein und bekam feuchte Augen.

»Ach, das sind ja nur irdische Güter«, sagte Galvin. Er lächelte, aber

seine Augen wirkten unendlich traurig. »Die kann man ersetzen. Was sie
wirklich zerstört haben, ist unser Gefühl, hier sicher aufgehoben zu
sein.«

Angel betrachtete das Loch, das in einer Wand klaffte. Erde war

herausgequollen, und dahinter lag ein dunkler Tunnel. »Sie sagten, es
waren drei?«

»Ja. Sie kamen durch drei verschiedene Apartments. Sie haben die

Bewohner einfach ignoriert, aber von der Einrichtung haben sie so viel
ruiniert, wie es nur eben ging. Dabei haben sie keinen Ton gesagt.«

Angel runzelte die Stirn.« Das passt doch nicht ins Schema!«
»Wie meinst du das?«, fragte Doyle.
»Beben, das verstehe ich. Das ist natürlich für diese Dämonen. Und

dass sie Opfer für ihr Ritual suchen, ist auch einleuchtend. Aber das hier,
das ist Terrorismus.«

Galvin zuckte resigniert mit den Schultern. »Sie hassen uns, das ist

wohl offensichtlich. Aber warum, das weiß ich nicht.«

»Nun, ich könnte noch einmal in diesen Tunnel gehen«, sagte Angel.

»Aber da drin ist es zu leicht für sie, eine Falle aufzubauen, oder sie
lassen den Tunnel einfach einstürzen. Ich würde mich mit ihnen lieber
nicht auf ihrem Territorium einlassen, jedenfalls nicht ohne einen guten
Plan.«

»Was schlagen Sie uns vor zu tun?«, fragte Galvin ruhig. »Die

Tremblor haben bewiesen, dass sie uns jederzeit überfallen können.«

»Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich schlage vor, Sie ziehen für eine

Weile um. Nur, bis das hier vorbei ist...«

»Nein«, entgegnete Galvin bestimmt und schüttelte den Kopf. »Wir

lassen uns nicht aus unserem Heim vertreiben! Wir wurden bereits
einmal ins Exil geschickt, und wir haben uns geschworen, dass es nie
wieder dazu kommen wird. Wenn wir also hier unter Belagerung leben
müssen, dann soll es so sein.«

Angel seufzte. »Ich kann Sie hier nicht schützen. Wie Sie schon

sagten, können die Dämonen jederzeit angreifen, aus jeder Richtung.
Auch wenn wir die Wände mit einer Panzerung verkleiden, können sie
immer noch das ganze Gebäude einstürzen lassen.«

»Dann müssen Sie ihnen einfach Einhalt gebieten, bevor sie es tun

können, nicht wahr?«

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»Nett von Galvin, uns eine Karre zu leihen«, sagte Doyle. »Dieser
Mercedes ist eine Wucht. Ledersitze, CD-Player, eingebaute Telefon-
Freisprechanlage – daran könnte ich mich gewöhnen.«

»Ist nur für die Überwachung«, kam Angels Stimme durch den

Lautsprecher. »Fass bloß nichts an, und mach keine Flecken.«

»Immer locker bleiben, Boss«, entgegnete Doyle. Er stand auf dem

Parkplatz am Strand in diskreter Entfernung von der Station der
Strandwache. »Die Sonne ist fast untergegangen. Bald darfst du zum
Spielen rauskommen.«

Angel stand auf demselben Parkplatz, ein paar Wagen weiter. Das

Innere seines Kabrios war durch die stark verdunkelten Scheiben
sonnengeschützt. »Gut, ich fühle mich nämlich wie im Aquarium.«

Doyle fummelte an der Klimaanlage herum. »Ist es dir zu heiß da

drüben?«

»Nein, alles in Ordnung.«
»Gut, gut.« Doyle schob die neue CD von den Smashing Pumpkins in

den Schlitz und summte mit.

»Doyle, ich habe dir doch gesagt, du sollst nichts anfassen.«
»Entspann dich, ich hab meine eigene Musik mitgebracht. Das ist mein

Walkman, den du da hörst.«

»Wenn du den Walkman auf hast, wie kannst du mich dann hören?«
»Schon gut, schon gut.« Doyle stellte die Stereoanlage ab. »Weißt du,

was du für ein Problem hast? Du hast ein überentwickeltes
Schuldgefühl.«

»Nicht überentwickelt, sondern perfektioniert. Ich habe lange dafür

gebraucht, aber ich glaube, ich habe endlich die richtige Formel
gefunden.«

»Es ist zwar schwer, gegen jahrhundertelanges Schmoren im eigenen

Leid anzukommen, aber ich versuch's trotzdem mal. Du und ich, wir sind
wie die zwei Seiten einer Münze. Du badest dich in Schuld, während ich
so schuldlos bin wie fettfreie Kartoffelchips. Ohne Natriumglutamat.«

»Okay, du Genie, was ist dein Geheimnis?«
Doyle lehnte sich zurück und machte es sich bequem. »Das ist eine

Frage der Konditionierung. Nimm zum Beispiel das Trinken: Kennst du
das furchtbare Gefühl der Scham, das man nach einer durchzechten
Nacht hat? Auch wenn man nichts Schlimmes angestellt hat, fühlt man
sich, als müsse man sich bei der ganzen Welt entschuldigen.«

»In der Regel war das auch so.«
»Nun, dieses Gefühl ist – außer bei Massenmördern -eine Illusion.

Alkohol senkt bekanntlich die Hemmschwelle, nicht wahr? Und das
Schuldgefühl ist nur die Strafe, die unsere Hemmungen uns erteilen,

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wenn wir aus dem Ruder laufen. Aber solange unsere Hemmungen
unterdrückt werden, werden es unsere Schuldgefühle auch. Kannst du
mir folgen?«

»So weit ja.«
»Wenn du dann wieder nüchtern wirst, kommen alle deine

Hemmungen zurück. Und weil sie vorher unterdrückt wurden, sind sie
nun auch noch mit Schuldgefühlen beladen. Du kriegst sozusagen einen
psychologischen Backlash und fühlst dich automatisch schuldig, auch
wenn du es gar nicht nötig hast.«

»Und wie gehst du damit um?«
»In der Regel trinke ich sofort wieder was. Das wirkt Wunder.«
»Ja, nun, ich habe hundert Jahre lang getrunken und habe mich die

folgenden hundert Jahre schuldig gefühlt«, erklärte Angel.

»Wow! Das muss der schlimmste Kater der Geschichte sein!«
»Ich habe nicht von Saufen gesprochen.«
»Ähm, ja. Natürlich nicht...«


»Na toll«, sagte Cordelia. »Angel und Doyle spielen Babysitter für
Rettungsschwimmer – Rettungsschwimmer mit sonnengebräunten,
muskulösen Körpern und schicken knappen Badehosen –, und ich darf
Detektiv spielen.« Sie stand in der Eingangshalle eines Motels, hielt ein
Clipboard in der Hand und sprach mit sich selbst. Angel hatte sie
losgeschickt, um herauszufinden, ob es eine Verbindung zwischen
Wolfram und Hart und der verschwundenen Flugbegleiterin gab, und
hier hatte die Frau gewohnt.

Okay, das kriege ich hin, dachte Cordelia. Sie versuchte, sich in die

Rolle einzufühlen, sich in die Person zu verwandeln, die sie spielte, wie
sie es in all den Büchern über Schauspielerei gelesen hatte. Nun,
überflogen jedenfalls.

Cordelias einziger wirklicher Wunsch war immer gewesen, dass alles

ganz einfach ging. Und für eine lange Zeit war alles auch ganz einfach
gewesen, und sie hatte angefangen, das als normal anzusehen. Sie war
hübsch, sie war beliebt, sie war reich ... und dann war allmählich alles
schief gegangen.

Seltsame Monster waren aufgetaucht wie Pickel in der Pubertät. Sie

war einem absoluten Loser verfallen ... und dann im wahrsten Sinne des
Wortes gefallen, auf einen Metallspieß nämlich, der sie glatt durchbohrt
hatte. Dann hatte das Finanzamt ihren Vater wegen Steuerhinterziehung
drangekriegt, und plötzlich war sie nicht mehr reich gewesen.
Beziehungsweise ihre Eltern, aber das war dasselbe.

Und dann war die High School vorbei gewesen.

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Sie sehnte sich danach zurück. Trotz Buffy, trotz Xander, trotz all der

Monster... In der High School hatte sie ganz oben an der Spitze
gestanden. Sie hatte gewusst, was Sache war. Nun war sie draußen in der
wirklichen Welt, und einfach nur hübsch zu sein genügte nicht mehr.
Also hatte sie das einzig Sinnvolle getan: Sie war nach Los Angeles
gezogen, um Filmstar zu werden.

Schon bald – in spätestens zwei, drei Jahren – würde sie wieder reich

und beliebt sein. Und dann würde alles ganz einfach sein, so wie es
früher gewesen war.

Sie klopfte. Ein Typ Mitte zwanzig mit langem Gesicht und

stoppeligem schwarzen Haar kam an die Tür. Er trug Jeans und ein
Metallica-T-Shirt.

»Hallo«, sagte Cordelia lächelnd. »Ich bin von Wolfram und Hart. Ist

Sarah Clark da?«

»Ähm, nein, sie ist nicht hier«, sagte der Mann.
»Und Sie sind ...?«
»Ich bin Bill, ihr Mitbewohner. Sehen Sie, sie ist im Moment

sozusagen ... vermisst. Aber ich bin sicher, sie wird ihre Rechnung
bezahlen.«

»Darüber... wollte ich mit Ihnen reden«, sagte Cordelia. »Darf ich

reinkommen?«

»Nun ... okay.«
Einfach an Ally McBeal denken, und alles wird gut, sagte sich

Cordelia, als sie hineinging. Verdammt, ich hätte einen kürzeren Rock
anziehen sollen.

»Also, Mister... Bill«, sagte sie und sah auf ihr Clipboard. »Sind Sie

mit Ms. Clarks Fall vertraut?«

»Ja, also ich weiß, Sie haben ihr bei dieser Anklage wegen

Drogenhandels geholfen, und sie war wirklich sehr dankbar deswegen.
Aber nachdem Sie ihr die ganze Zeit keine Rechnung geschickt hatten...«

»Hat sie gedacht, wir hätten es vergessen. Nun, so ein Unternehmen ist

Wolfram und Hart nicht, Mister. Wir haben schon mit einigen sehr
schlechten Kunden zu tun gehabt, und so etwas nehmen wir, wie soll ich
sagen, sehr... übel.«

Bill blickte ein wenig verwirrt drein. »Kunden? Meinen Sie nicht eher

Klienten?«

Cordelia seufzte und versuchte so auszusehen, als täte ihr Bill zum

einen unheimlich Leid, aber als wäre sie zum anderen auch ein wenig
genervt. »Sie sehen zu viel fern, Bill. Ein Klient ist jemand, der seine
Rechnung bezahlt. Kunden nennen wir die Leute, die – Sie wissen
schon.«

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Bill schluckte. »Verschwinden?«
»Sie kann sich nicht ewig verstecken, Bill. Glauben Sie mir, ich weiß

das. Ich bin Anwältin.«

Sie stand auf, und Bill versprach ihr nervös, sie anzurufen, falls ihm

etwas zu Ohren kam. »Und Detektivin«, fügte Cordelia zu sich selbst
hinzu, als sie das Haus verließ. Da ist gar nichts dabei. Und alles total
legal...

Kurz nach Sonnenuntergang verließen die Rettungsschwimmer ihren
Posten. Doyle übernahm den Mann, der aussah wie ein gebräunter
Meister Proper mit buschigem blonden Schnurrbart, während Angel der
Frau folgte, einer nicht minder gebräunten großen Brünetten. Doyle und
Angel blieben via Handy miteinander in Kontakt.

»Er geht zu einer Tiefgarage mit elektronischem Tor«, berichtete

Doyle. »Ich werde versuchen, hinter ihm durchzuschlüpfen ... Okay,
geschafft, aber er hat mir einen merkwürdigen Blick durch den
Rückspiegel zugeworfen. Wahrscheinlich hält er mich für einen
dahergelaufenen abgebrannten Punk.«

»Doyle, du fährst einen brandneuen Mercedes!«
»Ach, stimmt ja! Ist schwer, sich daran zu gewöhnen. Kommt mir wie

ein Traum vor... Okay, jetzt steigt er aus. Geht zum Aufzug. Er ist stehen
geblieben. Sieht ein wenig verwirrt aus. Vielleicht hat er was im Auto
vergessen. Nein, er geht auf eine Ecke zu. Da ist was, sieht aus wie eine
Blume, die aus einem Spalt wächst. Er beugt sich vor und riecht daran –
Warte! Ich höre da was, so ein Poltern! Hey, die Mauer stürzt ein! Das
ist es!«

»Doyle! Versuch ihn zurückzuhalten! Ich werde so schnell wie

möglich kommen!«

Doyle zog die Eisenstange unter dem Sitz hervor und sprang aus dem

Wagen. Er rannte auf den Rettungsschwimmer zu, der völlig
weltvergessen schien. Die Mauer war zu einem Haufen aus grauem
Geröll zerbröckelt, in dem der Rettungsschwimmer bis zu den Knien
eingegraben war. Auch der weiße Stängel der seltsamen schwarzroten
Blume, die ihn so verzückt hatte, war bis zur Hälfte verschüttet. Eine
klobige Gestalt zeichnete sich in der Dunkelheit hinter dem Loch in der
Mauer ab.

Doyle eilte auf den Strandwächter zu, packte ihn an der Schulter und

drehte ihn zu sich um. »Hey, Kumpel! Wir müssen von hier
verschwinden!«

Der Mann ließ seinen entrückten Blick in die Ferne schweifen. »Coney

Island«, sagte er. »Hot Dogs, Zuckerwatte. Jennifer Giannis Shampoo.«

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»Ja, ja, alles klar, Mann, verstehe.« Doyle griff nach dem Handgelenk

des Rettungsschwimmers und zog ihn zu dem Mercedes. Er folgte ihm
stolpernd ein paar Schritte, blieb dann aber stehen und wehrte sich.
Doyle wurde abrupt nach hinten gerissen, denn der Rettungsschwimmer
war natürlich um einiges größer und kräftiger als er.

»Nein, ich kann nicht fort! Es ist so lange her...«
Doyle überlegte, ob er ihm eins mit der Eisenstange überziehen sollte,

aber dann würde er ihn tragen müssen. Am Ende tötete er ihn womöglich
noch!

Die merkwürdige Blume versank in dem Geröllhaufen und faltete sich

zusammen. Kurz nachdem sie verschwunden war, trat die düstere Gestalt
aus dem Loch heraus.

»Heilige Mutter Gottes«, keuchte Doyle. »Also, ich vermute, jetzt bin

ich dran.«

Er hob die Eisenstange und trat zwischen den Dämon und sein Opfer.
Ein weiterer Tremblor kam aus dem Loch. Und noch ein dritter.
»Als ob das nötig gewesen wäre«, murmelte Doyle. »Ich war bei dem

ersten schon ein toter Mann. Bei dem ersten Viertel des ersten. Ich stehe
ganz schön blöd da ...«

Der erste Tremblor trat vor. Er zeigte mit einer Krallenhand auf den

Rettungsschwimmer. Die Message war deutlich: Gib ihn uns!

»Ihr Jungs habt euch völlig vertan«, sagte Doyle. »Das ist gar nicht

der, hinter dem ihr her seid. Wirklich! Deshalb bin ich auch hier. Der
Boss hat mich geschickt, um es euch zu erklären, bevor ihr einen
schrecklichen Fehler macht!«

Der Tremblor sagte nichts, aber seine steinige Stirn runzelte sich.

Wolfram und Hart?, sendete er.

Doyle hörte die Worte Wolfram und Hart in seinem Kopf, hielt sie

aber für einen Ausbruch angstgenährter Einbildung. »Wolfram und Hart!
Sie haben mir höchstpersönlich aufgetragen, das hier zu stoppen. Ich
meine, euch höflich zu bitten, damit aufzuhören.«

Wir haben getan, wie ihr verlangt habt. Dies hier ist einer von den

vieren, er trägt alle Merkmale. Wir werden ihn nun mitnehmen.

Doyle wurde klar, dass die Gedanken, die er hörte, nicht seine eigenen

waren. »Leck mich ...«, dachte er, bevor er sich es richtig überlegt hatte.

Der Rettungsschwimmer schien aus seiner Benommenheit

aufzutauchen. »Hey, was ist hier los?«, fragte er und befreite sich aus
Doyles Umklammerung.

Doyle wies mit dem Daumen auf sich selbst. »Guter Junge«,

entgegnete er knapp. Dann wies er mit der Eisenstange auf die Tremblor.
»Böse Jungs.«

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Die Tremblor griffen an.
Sie bewegten sich dank ihrer telepathischen Kräfte vollkommen

synchron, in perfektem Gleichschritt. Der erste Tremblor griff Doyle an,
während die anderen beiden nach links und rechts ausschwärmten, um
den Rettungsschwimmer einzufangen.

Doyle schwang die Eisenstange. Er traf den Kopf des ersten Tremblor

mit einem ordentlichen Peng!, richtete aber nichts gegen ihn aus. Der
Beben-Dämon fegte ihn mit einer Pfote beiseite. Doyle segelte durch die
Luft und krachte gegen einen Volvo. Als er zu Boden stürzte, wich ihm
die Luft aus den Lungen.

Mühsam rappelte er sich auf. Da seine rechte Schulter und der Arm

völlig taub waren, nahm er die Eisenstange mit der linken Hand vom
Boden auf. »Okay«, keuchte er. »Jetzt seid ihr aber dran!«

Der Rettungsschwimmer hatte weglaufen wollen, war aber nur ein paar

Schritte weit gekommen, als einer der Tremblor mit seinem Schwanz
ausschlug und ihn in den Kniekehlen traf. Er stürzte zu Boden. Statt
wieder aufzustehen, rollte er sich unter einen Cadillac, bevor die Monster
ihn ergreifen konnten.

In diesem Augenblick preschte Angels Auto mit großem Getöse durch

das Sicherheitstor.

Dieses verhakte sich mit der Stoßstange und riss aus der Mauer. Schon

raste das Kabrio, auf dem nun das Tor wie eine Art überdimensionale
Metallfliegenklatsche steckte, mit brüllendem Motor auf die beiden
Tremblor zu, erfasste sie und rammte sie rückwärts in einen Minivan.
Das Knirschen des Blechs war deutlich zu hören.

Angel sprang vom Fahrersitz.
Diesmal hatte er eine Spitzhacke dabei.
Der verbleibende Tremblor zog den Rettungsschwimmer an einem

Bein unter dem Caddy hervor. Angel schlug ihm die Spitzhacke mit aller
Kraft auf den Hinterkopf.

Sie blieb dort stecken.
Der Tremblor wirbelte herum, und Angel wurde der Griff aus den

Händen gerissen.

Du schon wieder, funkte ihn der Dämon an.
»Telepathisch, hm?«, meinte Angel. »Stimmt, ich schon wieder. Und

diesmal bist du in meinem Territorium.«

Deine Waffe ist nutzlos, ließ der Tremblor vermelden und ignorierte

die Spitzhacke völlig. Er kam auf Angel zu, wobei er verärgert mit dem
Schwanz schlug.

»Aaaaah!«, schrie Doyle und rannte mit hoch erhobener Eisenstange

auf den Tremblor zu, wobei er seine dämonische Hälfte zum Vorschein

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kommen ließ. Seine Haut verfärbte sich blaugrau, und sein Gesicht
verwandelte sich. Wie schnell wachsende Dornen traten überall Stachel
aus seiner Haut.

Er holte, so fest er konnte, mit der Eisenstange aus und traf die

Spitzhacke im Schädel des Dämonen so genau, dass er sie tatsächlich
noch ein paar Zentimeter tiefer hineintrieb.

Der Tremblor hielt inne.
– – – –, dachte er. Er bewegte sich nicht.
Angel fing an, ihn vorsichtig zu umkreisen. Der Tremblor verharrte

reglos.

»Gute Arbeit!«, rief Angel Doyle zu, ohne seinen Blick von dem

Tremblor abzuwenden. »Ich glaube, du hast ihn betäubt.«

»Hörst du das auch, oder ist es nur in meinem Kopf?«, fragte Doyle

erschöpft. Ein tiefer Donner drang durch die Luft und wurde von
Sekunde zu Sekunde lauter – und dann explodierte plötzlich das Tor, das
die beiden Dämonen an den Minivan nagelte. Ein fliegender
Metallsplitter traf Doyle an der Schläfe, und erbrach lautlos zusammen,
wobei er wieder menschliche Gestalt annahm.

Angel hatte nicht so viel Glück; Stahlteile steckten in seinem Hals,

seinem Oberkörper und in einem Bein. Der Schmerz trieb ihn in die
Knie, aber das war nicht so schlimm. Solange er noch fühlen konnte, war
sein Kopf noch dran – und das bedeutete, er hatte überlebt. Enthauptung
war als Methode zwar nicht so weit verbreitet, wie den Holzpflock
durchs Herz zu treiben, erledigte einen Vampir aber genauso sicher.

Die beiden Tremblor, die er gegen den Minivan gequetscht hatte,

waren wieder frei. Der eine pirschte sich an den Rettungsschwimmer
heran, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Eine Metallstange ragte
gleich unterhalb seines Schlüsselbeins hervor. Er berührte sie vorsichtig,
das Gesicht bleich vor Schreck. Der Tremblor packte ihn ohne große
Umschweife am Arm und schleppte ihn zu dem Loch in der Mauer. Auf
halbem Wege verlor der Rettungsschwimmer das Bewusstsein.

Der andere Tremblor näherte sich Angel, dem es gelang, sich vom

Boden aufzurappeln.

Du hast gut gekämpft.
»Ich bin noch nicht fertig.«
Doch, das bist du. Dein Verbündeter ist bewusstlos. Du bist schwer

verwundet und ohne Waffe. Du kannst uns nicht mehr hindern.

»Also gut. Darf ich dann gehen?«
Du darfst.
Angel drehte sich um und humpelte von dannen.

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Der Tremblor sah ihm nach und machte dann das geistige Äquivalent zu
einem Schulterzucken. Sein Volk war von Natur aus hartnäckig - und
Krieger-Priester ganz besonders. Diese Oberflächenbewohner jedoch
ließen sich offenbar von ihren Launen regieren; ihre Motive und ihre
Argumentation waren so wechselhaft wie Quecksilber.

Dass dieses Exemplar das Erinnerungsvermögen oder gar den Willen

besaß, noch einmal die Pläne ihrer heiligen Mission durchkreuzen zu
wollen, war zu bezweifeln.

Er ging auf Baasalt zu, um nachzusehen, wie es ihm ging. Das

merkwürdige Werkzeug ragte immer noch aus Baasalts Hinterkopf
hervor. Seit er zum zweiten Mal getroffen worden war, hatte er sich nicht
mehr bewegt.

Im Geiste streckte der Tremblor seine Hand aus und stupste Baasalt

sachte an. Baasalt? Bist du ganz?

– – – ° – – –
So etwas hatte der Tremblor noch nie gehört. Er wusste nicht, wie er

antworten sollte. Dergleichen war einfach noch nie vorgekommen. Die
Tremblor kamen nicht gut mit Veränderungen zurecht, und
Veränderungen ihrer selbst waren schier unbegreiflich für sie.

Ich verstehe nicht, projizierte er. Kannst du das wiederholen? Er

glaubte, ein brüllendes Geräusch zu hören, ignorierte es aber, denn auf
der Oberfläche der Welt ging es immer laut zu.

Da rammte ihn Angel mit dem geliehenen Mercedes.
Das Auto pflügte in den Beben-Dämon, der sofort auf die Motorhaube

umknickte. Das Fahrzeug fuhr immer schneller, bis es mit der Schnauze
voran in die Mauer auf der gegenüberliegenden Seite krachte. Nun war
der Tremblor dort wunderbar eingebettet.

Der Airbag öffnete sich bei dem Aufprall und bewahrte Angel vor

einer schweren Kopfverletzung. Unglücklicherweise drückte er auch
gewaltsam gegen drei der Metallsplitter, die noch in seinem Körper
steckten.

Diesmal verlor Angel vor Schmerz das Bewusstsein.









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6



Baasalt war eine Kreatur aus Stein. Sein Körper reagierte auf gehärteten
Stahl wie ein biologischer Organismus auf ein konzentriertes
Aufputschmittel – und als die Spitze des Pickels in sein Gehirn eindrang,
erlebte er sozusagen das große Erscheinungsfest.

Die Barrieren zwischen Erinnerung und Denken stürzten ein. Neue

Verbindungen entzündeten sich in seinem Kopf. Ideen entwickelten sich
spontan. Seine Rasse war nicht mit der Gabe der Phantasie gesegnet –
aber genau das war es, was plötzlich seinen Geist überschwemmte.

Er kriegte kaum noch etwas von der Außenwelt mit. Sie schien ihm

überhaupt nicht mehr wichtig.

Die Flut von Bildern und Vorstellungen verlangsamte sich schließlich

auf eine Geschwindigkeit, die man verkraften konnte, und er fand wieder
zu sich selbst. Er sah die Welt nun mit ganz anderen Augen.

Einer der Metallkäfer hatte Maarl an die Mauer gequetscht. Feldspaar

stand am Tunneleingang und hatte den bewusstlosen Körper des Wesens,
dessentwegen sie gekommen waren, über seine Schulter gehängt. Ein
weiterer regungsloser Oberflächenbewohner lag ein paar Meter weiter
auf dem Boden.

Maarl antwortet nicht, übermittelte ihm Feldspaar.
Lass ihn, antwortete Baasalt. Der Dritte von den vieren ist jetzt am

wichtigsten. Wir müssen gehen, bevor wir noch mehr Aufmerksamkeit
auf uns ziehen. Die Oberflächenbewohner werden schon bald an diesen
Ort schwärmen wie Metallkäfer um eine Lichtquelle.

Feldspaars Gedanken signalisierten, dass ihn dieser Vergleich

verwirrte, aber er drehte sich um und schlurfte in den Tunnel. Baasalt
folgte ihm.

Er vergaß fast, den Tunnel hinter sich zusammenfallen zu lassen, damit

man sie nicht verfolgen konnte. Ihm ging so vieles durch den Kopf.

Als Angel wieder zu sich kam, war er verwirrt. Zuerst dachte er, jemand
hätte ihn in ein Leichentuch eingewickelt, aber er saß hinter dem
Steuerrad eines Autos.

Vielleicht wollten sie ihn ja in dem Auto begraben. Vielleicht war es

ein Auto, das er sehr mochte.

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Dann erkannte er, dass es sich bei dem »Leichentuch« nur um die

durchlöcherten Überreste des Airbags handelte. Die Metallstücke, die
aus seinem Körper ragten, hatten dem Material einige lange Risse
beigebracht.

Durch die zerborstene Windschutzscheibe entdeckte er direkt vor sich

einen Tremblor. Es war der, den er mit dem Mercedes erwischt hatte,
und er bewegte sich nicht. Er schien richtiggehend mit der Betonmauer
verwachsen, aber irgendwie bezweifelte Angel, dass er tot war.

Er packte die Stange, die aus seiner Brust ragte, biss die Zähne

zusammen und riss sie heraus. Ebenso befreite er sich von den anderen
Metallsplittern, so schnell er konnte. Das ganze Spektakel würde schon
bald Aufsehen erregen!

Er kletterte aus dem zerbrochenen Fenster auf der Fahrerseite und sah

sich um. Doyle richtete sich gerade auf und betastete eine blutige Stelle
an seinem Kopf, die anderen beiden Tremblor und der
Rettungsschwimmer jedoch waren verschwunden.

Angel humpelte zu Doyle hinüber und half ihm auf die Beine. »Alles

klar?«

»Ja, ja. Frag mich nur nichts Schwieriges, nach meinem Namen zum

Beispiel.«

Angel nahm die Kühlerhaube seines Kabrios unter die Lupe. Sie war

leicht eingedrückt, aber von der Erschütterung, mit der die Tremblor das
Tor zerstört hatten, schien der Wagen nichts abbekommen zu haben.
Angel setzte sich hinters Steuer, zündete, fuhr rückwärts von dem
Minivan weg und parkte neben dem zerstörten Mercedes.

Als er ausgestiegen war, klappte er den Kofferraum auf und nahm ein

Brecheisen heraus. »Doyle, kannst du mir mal helfen?«

»Was ist?«, fragte Doyle. Er zog einen Flachmann aus der Tasche und

nahm einen großen Schluck.

»Wir werden eine Kleinigkeit mit nach Hause nehmen.«


Der Tremblor saß zusammengesunken auf dem Stuhl. Eine schwere
Kette war um seinen Körper gewickelt, die seine Arme rechts und links
am Körper fesselte. Der Dämon hatte sich seit Stunden nicht bewegt,
nicht, seit sie ihn aus der Wand gebrochen und quer durch die Stadt ins
Büro befördert hatten.

Mittlerweile war es Morgen. Sie hatten die ganze Nacht versucht, eine

Methode zu finden, mit der sie ihn ausquetschen konnten.

»Presslufthammer?«, schlug Doyle vor.
»Zu laut.«
»Dynamit?«

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»Ich würde es gern tun, ohne das Büro dabei aufs Spiel zu setzen.«
»Prügelmarathon?«
»Ohne das Büro oder meine geistige Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Auf jeden Fall will ich das Ding nicht foltern, ich will es nur ein
bisschen einschüchtern, damit es uns ein paar Informationen gibt.«

»Na, dann denken wir uns die Einschüchterungsmethode besser mal

schnell aus, bevor er wach wird, denn im Moment bin ich es eher, der
Angst vor ihm hat.«

Die Tür ging auf und Cordelia kam herein. »Sie ist wieder da:

Privatdetektivin Cordelia! Schon bald in Ihrem Kino ...«

Sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie den Beben-Dämon bemerkte.

»Igitt! Ist das so ein Tremblor? Ich hatte sie mir ganz anders vorgestellt.
Irgendwie glitschiger.«

»Hast du wohl mit Trematoden verwechselt«, bemerkte Doyle

naseweis. »Das sind aber eher Saugwürmer.«

»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Experte auf dem Gebiet der

Biologie bist«, entgegnete Cordelia patzig. »Und was macht er hier?«

»Wir versuchen uns eine Methode auszudenken, wie wir ihn zum

Reden bringen können«, sagte Angel.

»Na, dann müsst ihr ihn aber erst mal wecken«, bemerkte Cordelia. Sie

schnappte sich ein Glas Wasser von ihrem Schreibtisch und schüttete es
dem Tremblor ins Gesicht.

»Cordy, nein!«, schrie Doyle.
»Zu spät«, knurrte Angel.
Die Augen des Dämons öffneten sich. Der Stuhl, auf dem er saß,

begann zu zittern. Auch die Kette vibrierte heftig – und dann sprangen
die Glieder eines nach dem anderen auseinander.

»Hey!«, rief Cordelia. »Hey, das ist mein Stuhl!«
»Auf den Boden!«, befahl Angel.
Alle drei warfen sich auf den Boden, als die Kette förmlich explodierte

und ein wahrer Schrapnellregen auf das Büro niederging. Der Tremblor
erhob sich.

»Großartig«, zischte Angel. »Und mir sind gerade die Spitzhacken

ausgegangen.«

Er sprang auf die Füße und baute sich vor dem Dämon auf. »Ergib

dich!«, rief er, »oder du wirst vernichtet!«

Niemals!
Der Tremblor stürzte sich auf Angel, der rasch zurückwich, um außer

Reichweite des Angreifers zu gelangen. Der Schwanz des Tremblor
zuckte und peitschte über den Tisch mit der Kaffeemaschine.

»Das gibt Rache!«, rief Cordelia.

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»Waffen!«, sagte Doyle nur und flitzte in Angels Büro. Er griff nach

dem erstbesten großen, scharfen Ding, das ihm in die Hände kam: ein
breites Schwert, das an der Wand hing. Es war fast genauso groß wie er
selbst, also nahm er es mit beiden Händen, warf es sich über die Schulter
und raste zurück in den Kampf.

Angel bemühte sich nach Leibeskräften, sich den Dämon vorn Leibe

zu halten, während Cordelia den Gegner damit verwirrte, alles nach ihm
zu werfen, was ihr nur in die Hände fiel. Doyle blieb stehen, straffte die
Schultern und rief: »Hau ab, du steiniger Scheißkerl! Das hier ist ein
magisches Schwert!«

Der Tremblor zögerte.
»Ist es das?«, fragte Cordelia. Angel warf ihr einen warnenden Blick

zu.

»Was ist los? Hast du noch nie von dem ... von dem Schwert gehört,

das Felsen spaltet? Tja, und diese Klinge hat schon mehr
Gesteinsbrocken entzweigeschlagen als ... als ...«

».. als jedes andere Schwert, das Felsen spaltet«, beendete Angel den

Satz.

Der Tremblor sah sie misstrauisch an. Ich habe von einem solchen

Schwert gehört..., dachte er.

»Angel, Doyle!«, rief Cordelia. »Kommt mal schnell her!« Sie stieß

das Fenster auf.

Angel und Doyle sahen sich kurz an. Angel nickte knapp, und dann

griffen beide gleichzeitig den Dämon an.

Angel verpasste ihm aus dem Sprung einen Tritt gegen die Schulter,

und Doyle ging unter Mobilisierung all seiner Kräfte mit der
Schwertspitze auf die Eingeweide des Dämonen los. Aber keiner von
beiden richtete nennenswerten Schaden an. Immerhin gelang es ihnen,
den Tremblor aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er stolperte rückwärts
und stürzte durch das Fenster, konnte sich aber in letzter Sekunde am
Fensterbrett festklammern.

Und er schrie.
Neeeeeein! Neeeeeein! Die Leere! DIE LEERE!
Er linste hinauf in den versmogten Himmel. Zu groß, zu groß, winselte

er. Er klang, als stünde er unter Schock.

Sie zogen ihn wieder hinein, wobei Angel sorgfältig dem Sonnenlicht

auswich, und der Tremblor brach als zitterndes Häufchen auf dem Boden
zusammen. Plötzlich schien nicht mehr Gefahr von ihm auszugehen als
von einem verängstigten Schoßhündchen.

»Natürlich«, rief Doyle aus. »Er hat sein ganzes Leben unter der Erde

verbracht – er leidet an Agoraphobie!«

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»Was? Er hat Angst vor Pullovern?«, fragte Cordelia.
»Nein«, entgegnete Angel. »Er hat Angst vor großen, freien Räumen.

Gut gedacht, Cordelia!«

»Eigentlich wollte ich nur, dass ihr ihn aus dem Fenster werft«,

entgegnete sie. »Ich meine, seht euch doch mal dieses Durcheinander an.
Könnt ihr euch nicht zur Abwechslung mal draußen prügeln?«

Hast du dich jemals gefragt, warum wir nichts unternehmen?,
dachte
Baasalt.

Nein, habe ich nicht, gab Feldspaar zurück. Er war mit Baasalt und

dem Gefangenen auf dem Heimweg. Sie marschierten nun schon eine
ganze Weile und stiegen immer tiefer in die Erde hinein. Feldspaar hatte
über Maarl nachgedacht. Der Tod kam bei ihnen nicht so oft vor, und er
konnte es sich nicht wirklich vorstellen, dass Maarl von ihnen gegangen
war. Das war einfach eine zu große Veränderung.

Wir leben, fuhr Baasalt fort, aber wir haben keine Auswirkungen auf

die Welt um uns. Wir Krieger-Priester haben unsere heiligen Pflichten,
aber die meisten Tremblor verbringen ihr Leben damit, einfach nur zu
existieren. Was meinst du?

Ich meine, du solltest dir solche Gedanken aus dem Kopf schlagen,

entgegnete Feldspaar. Sie haben da nichts zu suchen.

Baasalt hatte sich geweigert, sich die Spitzhacke aus dem Schädel

entfernen zu lassen, denn sie fügte ihm, wie er immer wieder beteuerte,
keinen Schaden zu. Es ist eine Art magische Verletzung, verkündete er.
Ich sehe alles wie zum ersten Mal.

Deine Gedanken sind seltsam. Sie fließen nicht in die richtige

Richtung.

Sie fließen nicht, sie überfluten mich regelrecht! Baasalt blieb stehen

und warf die Arme in die Höhe. Ach, ich wünschte, ich könnte dir
klarmachen, was für Vorstellungen in meinem Kopf tanzen!

Feldspaar wusste nicht, was er davon halten sollte.


»Rede!«, sagte Angel. »Oder ich mache die Kiste wieder auf.«

Sie waren auf dem Dach des Bürogebäudes. Doyle und Cordelia hatten

einen Sonnenschutz aus Laken für ihren Boss gebastelt, und eine große
Kiste, die sie von der Straße geholt hatten, gab einen improvisierten
Käfig für ihren Gefangenen ab. Angel saß in einem Liegestuhl unter
seinem Zelt und hielt eine Schnur in der Hand. Das andere Ende war mit
der Sperrholzplatte verbunden, die als Käfigdeckel diente.

Nein! Ich werde mein Volk nicht verraten!
Angel zog an dem Seil. Ein Strahl Tageslicht drang in die Kiste.

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Aaaah! Nein, nein, nicht die Leere! Ich sage euch alles, was ich weiß!
Doyle und Cordelia standen ein wenig abseits, Doyle lehnte an der

Abzugshaube eines Ventilators, und Cordelia hatte die Arme vor der
Brust verschränkt. »Ist irgendwie gruselig«, meinte Cordelia. »Wie er
redet ohne zu reden. Einfach direkt in den Kopf. Er kann doch keine
mentalen Schläge austeilen, oder?«

»Ich glaube nicht, dass wir uns über seine Intelligenz große Sorgen

machen müssen«, sagte Doyle. »Bisher ist er nicht mal drauf gekommen,
angesichts der Gefahr einfach die Augen zu schließen.«

»Erzähl mir von dem vierten Opfer«, sagte Angel. »Wer ist es?«
Ich kenne den Namen des Oberflächenbewohners nicht.
»Aber du weißt, wo er ist.«
Baasalt weiß es. Seine Knolle kennt den Geruch der markierten Orte.
»Baasalt. Ist er euer Anführer?«
Er ist der oberste Krieger-Priester. Es ist seine Aufgabe, die vier zu

finden.

»Du hast gerade von markierten Orten gesprochen. Wie sind sie

markiert?«

Sie werden von unseren Verbündeten auf der Oberfläche der Welt

markiert. Damit wir die vier leichter finden können.

Angel beugte sich in seinem Liegestuhl vor. »Wer sind eure

Verbündeten auf der Oberfläche der Welt?«

Es sind Oberflächenbewohner wie du. Sie reden nur mit Baasalt.
»Haben sie auch einen Namen?«
Das weiß ich nicht.
Angel zog an der Leine, und der Deckel klappte für eine Sekunde auf.

Das mentale Schreien des Tremblor war so furchtbar, dass sich Cordelia
und Doyle an den Kopf griffen.

»Sag mir ihre Namen? Sind es die Serpentiner? Wolfram und Hart?

Sag es mir!«

Bitte lass mich gehen, bitte lass mich nach Hause ...
Eine leichte Brise wehte über das Dach, die in diesem Augenblick die

Richtung wechselte. Angel hatte das sichere Gefühl, er könne
Zitronenbäume riechen und verbranntes Holz, wenn auch nur ganz
schwach.

Baasalt und Feldspaar standen vor dem Großen Grund, dem
Regierungsrat der Tremblor. Er bestand aus sechs Mitgliedern, die in
einer Höhle kilometerweit unter der Erdoberfläche in einem Halbkreis
standen. Sie sahen aus wie Steinsäulen, die vom Boden der Höhle bis zur
Decke reichten, denn sie waren eins mit den Felsen, die sie umgaben.

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Der Krieger-Priester hatte den Gefangenen abgeliefert, und nun

erstattete Baasalt Bericht.

Die Oberfläche der Welt ist ein chaotischer, unorganisierter Ort,

dachte Baasalt. Aus diesem Grund haben wir auch die Hilfe der
Oberflächenbewohner angenommen. Sie können sich in den wechselnden
Strömungen ihrer Kultur bewegen, um uns mit dem zu versorgen, was
wir brauchen, und das innerhalb ihrer eigenen Zeitrechnung und nicht in
unserer. Aber es

gibt noch eine Möglichkeit, unsere

Gesellschaftsordnung über ihre Unkalkulierbarkeit zu erheben.

Fahre fort!

Wir müssen die Oberfläche der Welt beherrschen.

Unmöglich! Sie ist ein schäumender Fluss des Wahnsinns!

Dann müssen wir diesen Fluss eindämmen. Wir müssen die Oberfläche

der Welt in einen Ort verwandeln, über den wir die Kontrolle bewahren.
Baasalt begann, vor dem Rat auf und ab zu marschieren, was einer
schweren Missachtung der Etikette gleichkam. Die Spitze in seinem
Hinterkopf wackelte auf und ab, als er nickte. Und wir können es schaf-
fen, Großer Batholith – es steht in unserer Macht.

Was denn'? Die Oberfläche der Welt zu verwüsten? Woher sollen wir

dann die Opfer für die Seelenvernichtung bekommen'?

Ich meinte nicht, wir sollten die Oberfläche der Welt angreifen. Ich

meinte die Schreiende Leere selbst.

Der Versammlung verschlug es kollektiv den Atem, zumindest auf

telepathischer Ebene. Undenkbar!

Nichts ist undenkbar. Das habe ich begriffen ... Hört mir zu! Es gibt

Orte, an denen tritt das Blut aus dem Herzen der Welt an die Oberfläche.
Manchmal explodiert es mit großer Wucht - und die Leere wird mit
kleinen Tropfen des Blutes der Welt gefüllt.

Das wissen wir. Die Leere verwandelt sie, und dann fallen sie zu

Boden, um wieder eins zu werden mit dem Körper der Welt.

Aber wird nur das Blut verwandelt? Verändert sich nicht auch die

Leere, wenn sie das Blut in sich aufnimmt?

Das sind Fragen, auf die es keine Antwort gibt.

Aber wir können die Antworten finden. Wir müssen nur die Fragen

stellen. Und hier ist eine Frage, eine, die gestellt werden muss. Was
geschieht, wenn das Blut aus dem Herzen der Welt sich über die
Oberfläche ergießt – nicht an einer Stelle oder fünf oder zehn, sondern
an hunderten, lausenden von Orten gleichzeitig? Wenn es sich mit der
ganzen Kraft und Erhabenheit ergießt, derer es fähig ist. Was geschieht
dann, geschätzte Ratsmitglieder?

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Die Versammlung schwieg erneut. Es dauerte Stunden, bis wieder

einer kommunizierte; das Pendant einer langwierigen Pause. Schließlich
übermittelte ihr Anführer, der Batholith, seine Antwort.

Die Leere, so schrecklich sie ist, kann nicht mächtiger sein als das

Herz der Welt. Wenn wir dessen ganze Macht freilassen, wird es die
Leere füllen.

Die Leere füllen. Das war eine Vorstellung, die kein Tremblor je in

Betracht gezogen hatte. Der Gedanke war erregend und blasphemisch
zugleich.

Wir müssen darüber nachdenken. Gehe und erfülle deine Mission.

Bring uns den Vierten – und wir werden diesen Vorschlag weiter
diskutieren.

Wie Ihr wünscht.


Doyle und Cordelia warteten unten im Büro.

»Also, er foltert ihn jetzt nicht wirklich«, sagte Cordelia.
»'türlich nicht.«
»Und wir versuchen ja auch zu verhindern, dass etwas Schreckliches

geschieht.«

»Tun wir.«
Cordelia nahm ein paar Papiere von ihrem Schreibtisch und öffnete

einen Aktenschrank. »Und wir können eben nicht einfach fragen:
Entschuldigung, Herr Dämon, ich habe gehört, Sie wollen die ganze
Stadt zerstören, und ich habe mich gefragt, ob Sie uns vielleicht ein paar
Details dazu verraten könnten. – Als wenn das funktionieren würde!«

Doyle schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Höchst

unwahrscheinlich.«

Cordelia fing an, die Unterlagen zwischen Aktendeckel abzuheften.

»Also hat Angel gar keine andere Wahl. Und hey, es ist ja nicht so, als
hätte er so etwas noch nie zuvor getan, nicht wahr? Ich meine, auf diese
Art waren wenigstens die hundert Jahre Foltererfahrung keine
Verschwendung.«

»Kann man nix gegen einwenden.«
Cordelia fuhr auf dem Absatz herum und funkelte Doyle böse an.
»Würdest du bitte aufhören, mit mir einer Meinung zu sein! Ich fühle

mich so schon schrecklich genug.«

Doyle hob die Hände zum Zeichen seiner Kapitulation. »Hey, immer

locker bleiben. Ich weiß, das alles ist schwer zu rechtfertigen, obwohl du
es wirklich super gemacht hast, muss ich sagen – aber es gibt keine
andere Wahl. Angel will ihm ja nicht wirklich wehtun, er will ihn nur ein
bisschen einschüchtern.«

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Cordelia seufzte und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich weiß, ich

weiß. Ich hasse es nur, Schuldgefühle zu haben. Ich bin das nicht
gewöhnt.«

»Immer dran denken: Wir sind auf der Seite der Engel.«
»Bitte, Doyle! Mit schlechten Wortspielen kannst du mich jetzt nicht

aufheitern.«

»Also, ich weiß nicht, ob es so etwas wie ein gutes Wortspiel

überhaupt gibt...«

Da kam Angel herein. »Ich denke, ich habe alles aus ihm rausgekriegt,

was möglich war.«

»Ist er...«, setzte Cordelia an.
»Was?«
»Immer noch ganz?«
»Das nicht gerade. Er ist eher zerschmettert, um die Wahrheit zu

sagen.«

»Zerschmettert?«, fragte Cordelia.
»Als er auf dem Boden aufgeschlagen ist. Nachdem ich ihn vom Dach

geworfen habe.«

»Angel, das war doch nicht nötig«, schimpfte Cordelia. »Ich meine,

sicher, er war ein hinterhältiger Dämon, und natürlich, er hätte dich bei
der kleinsten Gelegenheit getötet, er hätte uns wahrscheinlich alle
getötet. Vielleicht stand ja auch auf seiner To-do-Liste, die ganze Stadt
zu töten. Ach, ist ja auch egal.«

»Entspann dich«, sagte Angel. »Ich habe einen Witz gemacht. Er hockt

immer noch in seiner Kiste.«

»Und was hast du herausgefunden?«, fragte Doyle.
»Wahrscheinlich den Aufenthaltsort des nächsten Opfers. Und man

glaubt es kaum: Obwohl ihnen immer noch jemand mit
Erdverbundenheit fehlt, sind sie gar nicht auf ein Serpentiner-Opfer
aus.«

»Warum nicht?«, fragte Cordelia.
»Er wusste es nicht. Die Tremblor haben persönlich gar nichts mit den

Serpentinern zu schaffen. Offenbar wurde das Haus der Serpentiner nur
angegriffen, weil die geheimnisvollen Verbündeten der Tremblor sie
darum gebeten haben.

Er hat mir verraten, dass die Erde das wichtigste Element für die

Zeremonie ist und mit Bedacht ausgewählt werden muss. Er wusste, in
welche Richtung sie als Nächstes vorgehen und wann die Entführung
stattfinden soll. Außerdem hat er mir ein geistiges Bild davon
übermittelt, wo sich der Ort befindet.« Angel winkte die beiden zu sich
in sein Büro, wo der Stadtplan von L.A. immer noch auf dem Boden

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ausgebreitet lag. »Und damit wäre der Ort der nächsten Entführung ...
hier!«

»Ich kenne die Gegend«, sagte Doyle. »Da ist ein riesiger Friedhof.

Genau da!« Er tippte mit dem Finger auf die Karte.

»Ein Friedhof. Das ist plausibel«, fand Angel. »Ich wusste nur zu gern,

warum sie das mit den Serpentinern jetzt aufgegeben haben, besonders
nachdem sie noch einmal zurückgekehrt sind, um die Wohnungen zu
verwüsten. Irgendetwas stimmt an der Sache nicht.«

»Dann werden wir vermutlich den vierten Ort auskundschaften

gehen?«, fragte Doyle.

Angel nickte.
Doyle streckte sich und gähnte. »Vielleicht nehmen wir vorher noch

eine Mütze voll Schlaf, was meinst du?

MUSS

doch bald Schlafenszeit für

Flüssignahrungsaufnehmer sein.«

»Gute Idee.«
»Also dann, gute Nacht Boss.« Doyle winkte Cordelia zum Abschied

und ging zur Tür hinaus.

Als er weg war, fragte Cordelia: »Ist es schwer? Zu foltern, meine

ich.«

»Es laugt mich emotional aus.«
»Weil es dir schwer fällt, ein anderes Lebewesen zu verletzen, oder

weil du aus der Übung bist?«

»Eigentlich wärst du überrascht zu sehen, wie leicht das alles wieder

zurückkommt. Das ist vermutlich wie mit dem Fahrradfahren.«

»Oder mit dem Jemanden-hinter-sich-Herschleifen ... Hast du sonst

noch was rausgefunden?«

»Was denn?«
»Ich weiß nicht... seinen Namen zum Beispiel.«
»Folterregel Nummer eins: Du darfst dein Opfer nicht personalisieren.

Wenn du es als einzelnen Menschen siehst, kannst du nicht mehr
objektiv darüber nachdenken, was du als Nächstes tun musst.«

Cordelia sah Angel nur an und zog die Augenbrauen hoch. Sie wartete.
Angel seufzte. »Sein Name ist Maarl.«
»Ich wusste, du würdest dir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dir

ein paar hochkarätige Schuldgefühle aufzuladen. Das wäre ja sonst, wie
wenn ich mich dem Schuh-Ausverkauf verweigere.«

Angel setzte sich an seinen Schreibtisch. »Na ja, was diesen objektiven

Part betrifft, war ich nie besonders gut. Den Namen des Opfers habe ich
in der Regel als Erstes rausgekriegt – das machte den ganzen Prozess
intimer.«

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»Ja, und das ist die Art von Äußerungen, bei denen es mir Leid tut,

dass wir uns duzen. Und da sagen die Leute, sie wären verblüfft, was
alles aus meinem Mund herauskommt.«

»Aber ich war gar nicht auf Schuldgefühle aus - ich habe versucht, in

seinen Kopf vorzudringen. Ein Gefühl dafür zu bekommen, wie
Tremblor sind, wer sie sind und was sie wollen.«

»Ganz wie Hannibal Lecter!« Cordelia runzelte die Stirn. »Aber wir

wissen doch schon, was sie wollen.«

»Wir wissen, worauf sie aus sind, aber nicht, warum. Nun weiß ich

es.«

Cordelia nahm ein paar Bücher von Angels Schreibtisch und sortierte

sie wieder in die Regale. »Ist es etwas, das ich wissen sollte, oder schlafe
ich besser, wenn ich es nicht weiß?«

»Es geht darum, wie sie sich fortpflanzen.«
»Das schreit ja geradezu nach einem dummen Spruch! Ich bin froh,

dass Doyle schon gegangen ist.«

Ȁhm, ja, also. Jedenfalls verursacht das Seelenvernichtungsritual

nicht nur ein Erdbeben, es werden dabei auch alle Seelen der Menschen
eingesammelt, die dabei ums Leben gekommen sind. Dann werden sie
praktisch ... zerquetscht. Sie brauchen tausend Menschenseelen für einen
neuen Tremblor, offenbar weil ihre Körper so massiv und fest sind.«

»Brauchst du mir nicht zu erzählen. Mein Stuhl ist völlig hinüber.«

Cordelia stellte das letzte Buch ins Regal und rückte einen Streitkolben
zurecht, der neben der Tür hing. »Dann müssen sie also, statt Sex zu
haben, einen Haufen Leute töten und dieses Ritual abhalten, um aus den
Seelen der Toten neue Dämonen zu pressen. Klingt nach der
Knetgummi-Masse, mit der ich als Kind immer Figuren geformt habe.«

»Klingt nach meinem Sexleben ...«
Cordelia lachte, dann schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Sorry.

Ich vergesse immer, dass du eigentlich viel Sinn für Humor hast.«

»Den Fehler machen viele.«
»Was tun dann also diese Dämonen, wenn sie nicht rumrennen und

Leute kidnappen?«

»Hauptsächlich denken sie.«
»Was denn? Worüber denn? Unterschiedliche Zerquet-

schungstechniken?«

»Theoretische Mathematik meistens. Sie denken sich telepathische

Spiele aus, neben denen dreidimensionales Schach wie Mühle aussieht.
Sie meditieren.«

»Dann sind sie also ... Weicheier.«
»Wie bitte?«

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»Du weißt schon, Weicheier: Die Jungs in der High School, die immer

nur Mathe und Schach und so im Kopf hatten und zu Sex nicht zu
gebrauchen waren.«

»Außenseiter.« Angel nickte.
»Ach, das klingt viel zu romantisch. Es waren Loser. Ich muss das ja

schließlich wissen.« Cordelia setzte sich Angel gegenüber.

»Weil du auf der Siegerseite warst?«
»Versteht sich von selbst. Aber ich war mit einem Loser zusammen.«
»Xander.«
»Ja, und sprich bitte diesen Namen nicht aus, ohne auszuspucken.

Können Vampire überhaupt spucken? Egal, wenn sogar ein Loser wie er
Leute findet, die mit ihm rumhängen, dann ist ja wohl klar, dass es so
was wie Außenseiter eigentlich gar nicht gibt – nur eine Menge kleiner
Gruppen von Insidern. Die einen ziehen sich nur besser an als die
anderen.«

»So kann man das auch sehen. Jedenfalls, wenn es noch andere gibt,

die so sind wie man selbst.«

»Also, da war niemand, der wirklich wie ich war. Das Ganze war

schon ein kleiner Kampf. Aber ich habe es geschafft.«

Angel sah sie an, sagte jedoch nichts.
Cordelia runzelte die Stirn. »Was? Oh, du hast von dir gesprochen!

Nun, was ich sagte, trifft dennoch zu. Es gibt auch niemanden, der
genauso ist wie du.«

»Danke, das macht mir Mut.«
»Niemand gleicht einem anderen zu hundert Prozent, Angel! Jeder ist

anders.«

»Dann ist jeder allein?«
Cordelia verdrehte die Augen. »Weißt du, du bist echt eine wandelnde

Reklametafel für Prozac. Meiner Meinung nach finden sich die Leute gar
nicht zusammen, weil sie alle genau gleich sind.«

Angel blickte nachdenklich drein. »Vermutlich nicht. Sie kommen

zusammen, weil sie gemeinsame Interessen haben oder gemeinsame
Feinde oder auch aus finanziellen Gründen.«

»Ähm, sicher. Und weil man sich so untot fühlt, wenn man allein ist.«
Angel zuckte zusammen. »Doyle ist nicht der Einzige mit schlechten

Wortspielen.«

»Tut mir Leid. Aber solltest du jetzt nicht allmählich 'ne Runde

schlafen?«

»Du hast Recht. Wir sehen uns in ein paar Stunden.« Angel stand auf

und ging zu dem Lastenaufzug in seinem Büro. Er schloss das metallene
Faltgitter, zögerte jedoch noch und sagte: »Cordelia?«

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Cordelia blieb in der Tür zwischen dem Empfangsbüro und Angels

Raum stehen und drehte sich um. »Ja?«

»Was war das für ein Spruch, der sich vorhin so anbot?«
Cordelia grinste. »Angel, bitte! Wenn die Tremblor sich vermehren ...«
»Was dann?«
»Na, dann bebt die Erde ...«


Ich halte das für keine gute Idee,
dachte Feldspaar.

Ich habe eine Theorie, die ich gern überprüfen möchte, entgegnete

Baasalt. Es dauert nicht lange.

Es war während der Zeit, die von den Oberflächenbewohnern »Tag«

genannt wurde, wenn die brennende Kugel, die in der Leere wohnte,
alles mit ihrem Licht durchdrang. Das war etwas, das Feldspaar sehr
unnatürlich vorkam und ihn ängstigte. Er befand sich mit Baasalt in
einem Bau, der ihn ebenfalls mit Furcht erfüllte. Er hatte ein
durchsichtiges Dach und durchsichtige Wände, die sie vor der Leere
schützten, sie ihr aber gleichzeitig auch aussetzten. Die vielen Pflanzen,
mit denen der Raum gefüllt war, halfen ein wenig, aber selbst die
Pflanzen waren deformiert und unwirklich. Statt der eigenwilligen
knorrigen Formen echter Pflanzen, die in der Erde wuchsen, waren diese
hier groß und gerade und hatten leuchtend grüne Teile, die
zurückwichen, wenn man sie nur berührte.

Die beiden Tremblor verharrten geduckt am Ende einer dieser langen

Pflanzenreihen, und Feldspaar versuchte, nicht nach oben zu schauen.
Baasalt hatte einen kleinen Haufen Granitbrocken zu seinen Füßen, jeder
einzelne so groß, dass er kaum seine Klauen um sie schließen konnte.

Worauf warten wir?, fragte Feldspaar.
Darauf. Baasalt zeigte nach vorn.
Am anderen Ende der Reihe war ein Oberflächenbewohner

aufgetaucht. Er war mindestens dreißig Meter entfernt und eifrig mit den
Pflanzen beschäftigt. Die beiden Dämonen hatte er noch nicht bemerkt.

Baasalt nahm einen Granitbrocken auf und hob ihn über den Kopf. Er

bog die Arme nach hinten – und tat etwas, das Feldspaar noch nie zuvor
gesehen hatte.

Baasalt schnellte die Arme vor und ließ den Stein los. Er flog!
Sein Flug wurde abrupt beendet, als er gegen eine Pflanze dicht bei

dem Oberflächenbewohner prallte. Der sah überrascht zu ihnen herüber
und kam auf sie zu.

»Hey! Was macht ihr denn hier...«
Baasalt nahm einen weiteren Stein und wiederholte die Aktion. Wieder

war Feldspaar bass erstaunt, als der Granitbrocken durch die Leere

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segelte. Es schien völlig unmöglich; ein Verstoß gegen alles, woran er
glaubte.

Diesmal traf der Stein den Oberflächenbewohner im Gesicht. Es gab

eine nasse, rote Explosion, und die Gestalt brach auf dem Boden
zusammen.

Feldspaar sah seinen Vorgesetzten an und bekam einen noch größeren

Schock.

Denn Baasalt sah hinauf in die Höhe. Hinauf durch das durchsichtige

Dach in die Leere selbst. Feldspaar erhaschte einen kleinen Blick auf ein
gefährliches unnatürliches Blau, bevor er rasch die Augen schloss - aber
er verspürte immer noch den Beigeschmack von Baasalts Gedanken. Sie
waren gar nicht verängstigt, wie er erwartet hatte, sondern zeugten eher
von einem intensiven Hochgefühl. Das war zu viel für Feldspaar. Er
wandte seinen Geist von Baasalt ab, spürte aber dennoch das Brennen
seiner Gefühle wie die Hitze, die aus einem Loch mit geschmolzenem
Stein aufstieg.

Eine ganze Minute verging.
Schließlich verblasste die Intensität von Baasalts Gedanken.
Baasalt?, fragte Feldspaar. Geht es dir gut?

Mir geht es phantastisch. Und was noch viel wichtiger ist: Ich habe

keine Angst mehr.



















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7



Doyle hatte nicht gelogen, als er erzählte, er habe sein Geld beim Wetten
verspielt. Für kurze Zeit war er einem Gewinn schon gefährlich nahe
gewesen, aber glücklicherweise hatte sich das als falscher Alarm
herausgestellt.

Nun war er abgebrannt bis auf die letzten paar Dollar, und auch derer

wollte er sich noch entledigen, indem er einen Drink bestellte. Genauso
sicher wäre er sie natürlich losgeworden, wenn er sie leichtfertig
verschleudert hätte – für Essen zum Beispiel –, aber Doyle war der
festen Überzeugung, dass man sich an einen Plan halten musste, dem
man sich einmal verschrieben hatte.

Zweck der Übung war es, abgerissen wie ein Penner zu sein – und das

letzte Geld zum Saufen auszugeben erschien ihm gerade der richtige
Weg.

Und dann war da noch die andere Sache – die Sache, von der er Angel

nichts erzählt hatte.

Zum Teufel, dachte Doyle. Wenn das nicht funktioniert, dann stehe ich

wirklich in seiner Schuld. Oder noch tiefer, genau genommen.

Die Kneipe, die er sich zum Verschleudern der letzten Kröten

ausgesucht hatte, machte nicht den Eindruck, als könne er anschreiben
lassen. Im direkten Vergleich dazu wirkte die Pinte, die er mit Angel
besucht hatte, wie der Kongresssaal des Hotels Vier Jahreszeiten. Die
einzige Zeiteinheit, die man an diesem Ort kannte, war die Happy Hour,
die hier von sieben Uhr morgens bis zur letzten Runde dauerte und gar
nicht besonders »happy« war. Unhappy Hour wäre wohl treffender
gewesen, klang aber einfach nicht so ansprechend.

Hier gab es nicht mal eine richtige Bar, nur eine übergroße Theke mit

einem bärtigen Riesen dahinter, der die Drinks ausschenkte. Doyle wäre
nicht überrascht gewesen, wenn ihm jemand gesagt hätte, der richtige
Barkeeper läge in einer Blutlache hinter der Theke, und der Herr am
Zapfhahn sei eigentlich ein psychotischer Rocker mit trockener Kehle
und schlechter Laune.

Ganz abgesehen von seinem Gesicht, das mit den schlechtesten

Tattoos gepflastert war, die Doyle je gesehen hatte. Entweder das – oder
mit den künstlerischsten Muttermalen, die ihm je untergekommen waren.
Es gab auch keine richtigen Sitzecken, nur Tische, die kreuz und quer im

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Raum standen, mit Stühlen, die nicht zusammenpassten. Über Doyles
Tisch krabbelte eine Schabe, die auf halbem Wege von einem weiteren
Vertreter ihrer Spezies überholt wurde. So eine Kneipe war das ...

Doyle setzte gerade das zweite Glas Whiskey an, da hörte er

Graedekers Stimme.

»Na, was der wohl für eine Geschichte zu erzählen hat?«, fragte

Graedeker. Er gesellte sich zu Doyle an den Tisch, ohne auf eine
Einladung zu warten. Doyle hatte nicht gehört, wie er gekommen war,
aber das war typisch Graedeker. Er spielte gern den Geheimnisvollen.

Dem Äußeren nach sah er nämlich ungefähr so geheimnisvoll aus wie

ein Schuhverkäufer. Sein breites Gesicht war freundlich, der Kopf kahl,
das Kinn fleischig, und außerdem hatte er tief liegende braune Augen
und eine Knollennase. Er war rundlich, aber nicht fett, von
durchschnittlicher Größe und hatte hängende Schultern. Zu seinem
billigen beigefarbenen Anzug trug er keine Krawatte.

»Graedeker!«, sagte Doyle und grinste. »Von wem ist denn die Rede?«
»Vom Barkeeper«, antwortete Graedeker. »Diese Tattoos – guter Gott!

So was hab ich ja noch nie gesehen!«

»Meine Theorie dazu ist folgende«, fing Doyle an. »Er ist selbst

Tattoo-Künstler, ja? Kommt nach einem Halli-Galli-Wochenende mit
seiner Rocker-Gang nach Hause zu seiner Alten; er will Sex, schmeißt
sich auf sie und pennt unterwegs sein. Und sie, sie hat die Nase voll. Sie
holt Tätowiernadel und Tinte und fängt an, ihm ins Gesicht zu schreiben,
was sie von ihm hält – aber sie verliert die Nerven, als ihr klar wird, was
das für Konsequenzen haben wird, wenn er aufwacht. In diesem
Augenblick kommt die fünfjährige Tochter rein und sagt, sie will auch
auf Daddy rummalen. Die Alte grinst, gibt der Kleinen die Tätowier-
nadel und lässt sie loslegen.«

In der Kneipe gab es auch eine Kellnerin, eine junge Frau, die

möglicherweise sogar attraktiv war. Leider nur konnte man ihr Gesicht
unter den vielen Piercings und dem starken Make-up nicht erkennen. Sie
kam an den Tisch, und Graedeker bestellte bei ihr ein Bier. Während der
gesamten Transaktion inklusive Servieren und Kassieren schaffte sie es,
kein Wort zu sprechen.

»Und was ist mit ihr?«, fragte Graedeker.
»Taubstumme Chrom-Fetischistin. Geht nur zu Thrash-Konzerten, um

die ganzen Metall-Vibrationen in ihrem Kopf zu spüren.«

Graedeker kicherte. »Ach, Doyle! Ich beobachte ja auch gern Leute,

aber auf solche Geschichten käme ich nicht im Traum.«

»Nun, jeder hat seine eigenen Talente, nicht wahr? Aber deine sind

offenbar profitabler als meine.«

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»Ich vermute, deine Finanzen sind ein wenig instabil?«
»Meine Finanzen sind fürchterlich stabil. Mit Betonung auf

fürchterlich.«

»Ich verstehe. Nun, vielleicht kann ich dir helfen.«
»Ich habe gehofft, du würdest das sagen.«
Graedeker nahm einen großen Schluck Bier. »Hast du etwas, was du

mir als Sicherheit anbieten kannst?«

»Das habe ich in der Tat.« Doyle griff in seine Tasche und zog ein

Amulett an einer silbernen Kette hervor. Das Amulett hatte die Form
eines Auges, mit einem dunkelvioletten Stein als Pupille. Er schob es
Graedeker über den Tisch zu.

»Hmmm«, sagte der, nahm das Amulett und sah es sich genau an.

»Das Auge von Tuskara. Woher hast du das denn?«

»Von meinem Boss. Er hat damit mal einen Dämonen zurück in sein

Reich geschickt. Von daher schätze ich, muss es ziemlich wertvoll sein.«

»Hm, hm. Sagen wir mal, ich bin interessiert. Wie viel soll ich dir

denn leihen?«

»Eigentlich bin ich gar nicht an Geld interessiert. Was ich brauche,

sind Informationen.«

Graedekers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er nahm

noch einen Schluck Bier, bevor er antwortete. »Ich garantiere meinen
Kunden absolute Diskretion.«

»Ich bin nicht an deinen Kunden interessiert, sondern an ... deiner

Konkurrenz.«

»Und wer soll das sein?«
»Die Serpentiner.«
Graedeker runzelte die Stirn. Er wog das Amulett in der Hand, dann

sah er sich um. »Ich denke, wir sollten vielleicht an einen ruhigeren Ort
gehen. Mein Laden ist gleich um die Ecke.«

»Von mir aus.«
Graedekers Sattelschlepper stand einen Block weiter auf einem

verlassenen Gelände voller Unkraut und verrottendem Unrat. Der
Anhänger war weiß gestrichen, der Schlepper dunkelbraun. Das ganze
Gefährt war unverwechselbar wie Graedeker selbst.

Graedeker ging nach hinten und klopfte an die Klappe. Bolzen klickten

zur Seite, und die Tür schwang auf.

Der Dämon, der ihnen entgegentrat, war ziemlich beeindruckend.
Er war groß, knapp zwei Meter oder so, mit schuppiger weißer Haut

wie ein Albino-Alligator. Sein Schädel war oben so dick und breit, als
würde ihm jeden Moment das Gehirn aus dem Kopf platzen. Er hatte
große schwarze Augen und einen dicklippigen Mund voller spitzer

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krummer Zähne. Er trug verwaschene Jeans, Armeestiefel und ein
schwarzes Achselshirt. Hinter ihm hing ein schwarzer Samtvorhang, der
den Rest des Innenraums vor Blicken abschirmte.

»Das ist Leo«, sagte Graedeker, und Leo streckte eine riesige

mondbleiche Hand aus und half Graedeker in den Anhänger. Doyle
kletterte schnell hinterher, bevor Leo auch ihm seine Hilfe anbieten
konnte. »Leo ist mein Fahrer. Und er gibt auf den Laden Acht, wenn ich
unterwegs bin.«

Leo nickte zur Begrüßung, und Doyle nickte zurück. Dann

verschränkte der Albino die Arme vor der Brust und gab seine
persönliche Imitation einer Säule zum Besten. Doyle verspürte das
dringende Bedürfnis, ihm zu applaudieren.

Graedeker schob den Samtvorhang zur Seite und winkte ihn herein.

»Willkommen in der Teufelstulpe!«, sagte er.

Doyle fand, man käme niemals auf die Idee, sich in einem Truck mit

achtzehn Rädern zu befinden. Das Innere sah nämlich genauso aus wie
ein kleiner Kuriositäten-Laden: Eine Reihe Glasvitrinen formten auf der
einen Seite eine Art Theke, und im restlichen Raum waren Tische und
Stände verteilt. Auf ihnen häuften sich die unterschiedlichsten Waren:
afrikanische Masken, Schrumpfköpfe, nicht geschrumpfte Köpfe,
Schmuck, Waffen, Schnitzereien, Bücher und Gläser, in denen obszön
anmutende Dinge schwammen.

Die Wände waren mit Holz vertäfelt, und das Licht fiel durch ein

großes Fenster herein. Doyle war im höchsten Maße verwundert: Ein
Fenster war ihm von außen gar nicht aufgefallen.

Dann entdeckte er, was es auf der anderen Seite zu sehen gab.
Es war eine Szene wie aus einem Dickens-Roman. Der Schnee rieselte

sacht vom Himmel, während auf der Straße Menschen in viktorianischer
Kluft vorbeischlenderten – auf einer Londoner Straße. Manche Passanten
linsten neugierig durch das Fenster und schirmten ihre Augen mit den
Händen ab, um besser in das abgedunkelte Innere sehen zu können.

»Netter Trick!«, sagte Doyle. »Wie funktioniert das denn?«
Graedeker kramte gerade hinter der Theke herum. »Ach, das ist ein

Zauberfenster, das ich mal von einem Ulgar-Dämon bekommen habe. Es
überträgt Bilder von dem Ort, an dem es sich vor exakt hundert Jahren
befand. Nicht gerade von praktischem Wert, aber dennoch ein sehr
schönes Stück.«

Doyle nahm eine Voodoo-Puppe in die Hand und betrachtete sie.

»Also, du hast wirklich für jeden etwas, nicht wahr?«

»Mein Angebot ist abhängig von dem, was auf dem Markt ist. Die

Serpentiner allerdings, die haben wirklich für jeden etwas.«

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»Dann kennst du sie also?«
»Oh ja. Und ich werde dir sogar sagen, was ich weiß, aber da ich

solche Art von Transaktionen sonst nicht tätige, betrachte ich dein Pfand
als Entgelt für meine Dienstleistung. Ich werde das Auge von Tuskara
behalten.«

»Ähm ... okay. Abgemacht.« Hoffentlich würde auch Angel das für

einen fairen Tausch halten!

Graedeker öffnete einen Schrank hinter der Theke und legte das

Amulett hinein. Er verschloss ihn wieder und sah Doyle lächelnd an.

»Die Serpentiner. Wo fange ich am besten an ... Was weißt du denn

schon über sie?«

»Nicht viel. Sie kommen ursprünglich aus Irland, stammen von

Schlangen ab und scheinen im Geldausgeben genauso gut zu sein wie im
Geldverdienen. Sie bleiben unter sich, und Tageslicht macht sie müde.
Das ist alles.« Er dachte kurz nach. »Und sie haben einen ausgezeichne-
ten Geschmack, was Scotch angeht.«

»Herzlichen Glückwunsch! Das ist mehr, als manch einer je

herausfindet, selbst wenn er jahrelang mit ihnen zu tun hat.« Graedeker
rumorte in einer Vitrine und holte eine Flasche und ein Glas heraus. »Wo
wir gerade von Scotch reden, willst du den hier mal probieren?«

Doyle nahm die Flasche und studierte sie. »Glen Culkhain? Davon

habe ich noch nie gehört.« Die Glasflasche war verstaubt, und auf dem
Etikett war ein Drache abgebildet, der sich um zwei riesige Beine
wickelte, die in einer Rüstung steckten. Zwischen den Füßen war ein
kleines, in Flammen stehendes Dorf zu sehen.

»Das würde mich auch wundern. Er kommt aus einer

Paralleldimension.« Graedeker nahm die Flasche wieder an sich,
entkorkte sie und schüttete ein paar Tropfen in das Glas. »Wurde
übrigens von Riesen destilliert.«

Doyle probierte vorsichtig. »Sehr angenehm«, urteilte er.
»Das sollte er auch sein. Ist schließlich über tausend Jahre alt.«
Doyle starrte ungläubig sein Glas an. »Behandelst du alle deine

Kunden so? Wenn das so ist, dann finde ich bestimmt noch mehr Leute,
die was verpfänden wollen.«

Graedeker lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich wollte auf etwas

Bestimmtes hinaus. Ich habe diese Flasche von jemandem bekommen,
der mit den Serpentinern Geschäfte gemacht hat. Ich glaube, du erfährst
einiges über sie, wenn ich dir seine Geschichte erzähle.«

»Ich bin ganz Ohr. Und Geschmack auf der Zunge.«
»Sein Name war Rudolpho Faranetti, seine Freunde nannten ihn

Eispickel-Rudy. Rudy war Mitglied einer New Yorker Verbrecherfamilie

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99

namens Corzato, und er erledigte gewisse unangenehme, aber
notwendige Arbeiten für sie. Dadurch war er sehr wertvoll für die
Familie, gleichzeitig aber auch eine große Belastung. Denn weil Rudy
sich so gut mit Problementsorgung auskannte, wusste er auch, wo alle
diese Probleme begraben waren, und vor allem, welcher Auftraggeber
dahinter steckte. Obwohl er also reich von den Corzatos entlohnt wurde,
war sich Rudy absolut bewusst, dass er beim kleinsten Zeichen von
Verrat von der Bildfläche verschwinden und sein Job von einem anderen
erledigt würde.

Unnötig zu erwähnen, dass Rudy heftig unter Druck stand. Und wie so

viele Menschen unter Druck suchte er sich ein Hobby zur Ablenkung.
Manche Männer brauchen dazu Frauen, andere gutes Essen, und Rudy
wandte sich dem Scotch zu.

Nicht einfach dem Scotch schlechthin. Rudy wurde zu einem

Connaisseur der feinsten Single-Malts, die man für Schwarzgeld kaufen
konnte. Das Trinken half nicht nur, seine Anspannung zu lindern; mit
dem Sammeln der besten Flaschen hatte er auch immer etwas zu tun.

Eines Tages hörte er die unglaubliche Geschichte von einem Scotch

namens Glen Culkhain. Er wurde angeblich von Riesen hergestellt,
destilliert aus Tränen des Glücks und aus Gerste, die auf den Gräbern
von Jungfrauen wuchs. Man hielt ihn für den seltensten Whiskey der
Welt und auch den teuersten – und er hatte eine höchst ungewöhnliche
Wirkung auf die, die ihn tranken. Als Rudy von dieser Wirkung hörte,
ließ er überall verlauten, dass er nach so einem Whiskey suche; dass er
bereit sei zu zahlen, was er wert war, und er jeden persönlich zu Tode
foltern würde, der dumm genug sei, ihm eine Fälschung andrehen zu
wollen.

Schließlich wurde er von einem Serpentiner kontaktiert. Sie hätten eine

solche Flasche, und sie seien bereit zum Verkauf. Ob Mister Faranetti
das Produkt gern probieren wolle, um sich von seiner Echtheit zu
überzeugen?

Das wollte Rudy natürlich.
Sie trafen sich in einem Hotelzimmer, wie es bei solchen Geschäften

oft der Fall ist. Man präsentierte Rudy die Flasche, und er durfte sich
selbst einschenken. Bevor er probierte, sagte er zu der Abgesandten der
Serpentiner – einer hübschen jungen Frau –, er habe gehört, der Whiskey
verfüge über eine gewisse faszinierende Wirkung. Als er fragte, ob etwas
Wahres daran sei, bestätigte ihm die junge Frau dies.

Rudy nickte und nahm einen Schluck.
Er hatte in seinem Leben schon viele schlechte Dinge getan. Meistens

hatte es ihn nicht groß gekümmert, er verdiente eben auf diese Weise

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100

seinen Lebensunterhalt. Aber es hatte einen Job gegeben, der war
schwerer als die anderen gewesen. Viel schwerer.

Normalerweise kannte Rudy die Leute nicht, die er... derer er sich

annahm. Gelegentlich wurde er gebeten, seine Dienste auch an einem
Kollegen zu versehen, aber das kam nur selten vor. In diesem
besonderen Fall aber wurde er beauftragt, sich um jemanden zu
kümmern, den er schon über zwanzig Jahre kannte – jemand, mit dem er
aufgewachsen war und der ihm sehr nahe stand. Obwohl es ihn sehr hart
ankam, übernahm er den Job, damit er wenigstens nicht von einem
Fremden erledigt wurde.

Von diesem Tag an trug er eine große Last von Schuld und Reue auf

seinen Schultern ... bis er den ersten Schluck Glen Culkhain trank.«

Doyle setzte sein Glas, das er gerade an die Lippen führte, noch einmal

ab. Mit großen Augen sah er Graedeker über den Rand hinweg an. »Und
was dann?«

»Die Schuldgefühle verschwanden. Das ist die Wirkung dieses

Whiskeys. Wenn du einen Schluck nimmst und dir das Bild aus deiner
Vergangenheit in Erinnerung rufst, das die meiste Reue in dir weckt,
wird es dich nicht mehr belasten. Du hast garantiert Frieden. Dir wird
vergeben.«

»Echt? Warte mal!« Doyle legte nachdenklich die Stirn in Falten, dann

hellte sich sein Gesicht auf. »Ah.« Er kippte den restlichen Scotch
hinunter, schloss die Augen und seufzte.

»Ach, Bridget«, sagte er leise. »Wann immer ich eine

Bewährungshelferin sehe, denke ich an dich ...«

Doyle setzte sein Glas auf der Theke ab. »Absolution in Flaschen. Wie

lange hält die Wirkung an?«

»So lange, wie sie bei Whiskey eben hält.«
»Und was hat Rudy für dieses Wunder bezahlt?«
»Das kann ich dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht. Aber ich kann

dir sagen, was ich dafür bezahlt habe: eine dreiviertelmillion Dollar.«

»Und warum hat Rudy sie dir verkauft?«
»Er hatte Probleme ganz pragmatischer Natur und musste schnell das

Land verlassen. Wie ich hörte, arbeitet er nicht mehr für die Corzatos.«

Graedeker leerte sein Glas und stellte die Flasche wieder in die Vitrine.

Er nahm eine Juwelierlupe zur Hand, klemmte sie sich vors Auge und
untersuchte einen Ring, der auf einem kleinen Tablett lag. Doyle fiel auf,
dass der Ring immer noch an einem Finger steckte.

»Tja«, sagte Doyle. »Dann bekommen die Serpentiner also ziemlich

esoterische Ware in die Hände. Wenn man bedenkt, was für einen guten
Geschmack sie haben, verwundert das nicht.«

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»Es geht nicht nur darum, dass sie an solche Waren drankommen, es

geht auch um die Leute, an die sie sie weiterverkaufen. Politiker,
berühmte Persönlichkeiten, Generaldirektoren. Sie bewegen sich in
einflussreichen Kreisen.«

»Ja? Haben sie denn auch mächtige Feinde?«
»Wie ich hörte, gab es kürzlich wohl Unannehmlichkeiten wegen eines

Immobiliengeschäfts. Sieht so aus, als hätten die Serpentiner ein sehr
lukratives Grundstücksangebot abgelehnt.«

»Ach? Und du weißt nicht zufällig, wer das Angebot gemacht hat?«
»Doch, natürlich. Es war eine Anwaltskanzlei – Wolfram und Hart.«
»Hört mal«, sagte Cordelia, »mir ist egal, was ihr mit mir macht! Ich

werde die Leute, für die ich arbeite, nicht verraten.«

Der gut aussehende blonde Mann mit der Narbe im Gesicht trat aus der

Dunkelheit und kam näher. »Du weißt ja nicht, mit wem du es zu tun
hast!«

Cordelia sah ihn wütend an. »Ich weiß so manches! Für was hältst du

mich, für irgendeine blöde Sexetärin? – Ich meine, Sekretärin ...«

»Cut!«
»Tut mir Leid!«, rief Cordelia. »Nächstes Mal schaffe ich es,

versprochen!«

»Ist schon in Ordnung, Ms. Chase«, sagte der Regisseur. »Wir kleben

einfach ein paar von Ihren Takes zusammen. Wir haben alles, was wir
brauchen.«

»Okay dann, danke!«, sagte Cordelia.
»Verlassen Sie bitte das Set!«, rief eine Produktionsassistentin. »Es

wird nach Ihnen noch jemand vorsprechen.«

»Oh, natürlich«, sagte Cordelia. Sie eilte zu Maureen hinüber, die am

Rand wartete.

»Das war großartig!«, meinte Maureen.
»Findest du wirklich?«, fragte Cordelia.
Die Serpentinerin stand von ihrem Stuhl auf und umarmte Cordelia.

»Natürlich! Los, komm mit! Ich lade dich zum Lunch ein.«

Sie fuhren mit Maureens Auto zum Spago, wo sie einen Tisch in der

Ecke bekamen. Maureen bestellte gähnend einen doppelten Espresso.

»Hey, deine Zunge sieht ja ganz normal aus«, sagte Cordelia.
»Ich habe zwei davon«, erklärte Maureen. »Die gespaltene ist unter der

anderen und kommt nur raus, wenn ich es zulasse.«

»So was! Sag mal, hat sie denn auch irgendwelche speziellen

Dämonenfähigkeiten?«

»Nun, sie reagiert zum Beispiel sehr empfindlich auf

Temperaturschwankungen. Manche Schlangenarten haben ein Organ im

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Gaumen, das ähnlich funktioniert. So etwas ist manchmal ganz praktisch.
Ich weiß, ob mein Espresso zu heiß zum Trinken ist, ohne ihn probieren
zu müssen; und ich kann die Wassertemperatur in der Badewanne exakt
abstimmen, ohne die Hand hineinzuhalten.«

»Wow, dämonische Kräfte, die zur Abwechslung mal nützlich sind

und nicht schmerzhaft oder Furcht erregend! Dagegen hat Angel mit
seiner Trickkiste keine Chance.«

Maureen studierte die Speisekarte. »Ich glaube, ich habe Lust auf

Truthahnravioli... Was sind denn eigentlich Angels Tricks?«

»Ich glaube, ich nehme nur einen Salat – vielleicht Hummersalat. ...

Angels was?«

»Seine Tricks. Du weißt schon, was er kann.«
»Oh, den üblichen Vampirkram. Er ist sehr stark und kann nur durch

direktes Sonnenlicht oder einen Holzpflock durchs Herz getötet werden,
solche Sachen.«

»Aha.« Maureens Espresso kam. Sie dankte dem Kellner mit einem

Lächeln und ließ die Spitze ihrer gespaltenen Zunge über die Tasse
gleiten. »Noch zu heiß! Nun, er ist doch ein besonderer Vampir. Da
dachte ich, er hat vielleicht auch besondere Kräfte. Stärken und
Schwächen, die die anderen nicht haben.«

»Nein, er ist so ziemlich der Prototyp. Man sieht ihn nicht im Spiegel,

er hat was gegen Knoblauch, Kreuze und Weihwasser, und er kann ein
Haus nicht betreten, wenn er nicht eingeladen wurde. Weißt du, es gibt
einen Haufen Einschränkungen für so einen Vampir – im Vergleich zu
den paar Dingen, die er im Austausch dafür bekommt. Ich an Angels
Stelle würde mich beschweren.«

»Na ja, da ist noch die Sache mit der ewigen Jugend.«
»Okay... aber sag mal, habt ihr das nicht auch?«
»Sozusagen. Wir leben sehr lange und kennen ein paar Tricks jung

auszusehen. Aber wenn eine Haut erst einmal abgetragen ist, verfällt sie
ziemlich schnell.«

»Dann kriegst du urplötzlich Falten?«
»Mehr oder weniger. Dann häuten wir uns und fangen wieder neu an.«
»Mein Gott, wenn du das den Menschen beibringen könntest! Du

würdest jeden Schönheitschirurgen in dieser Stadt arbeitslos machen.«

Maureen kicherte. »Na ja, es ist nicht so toll, wie es klingt. Es tut

nämlich unglaublich weh. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf das
nächste Mal freue.«

Der Kellner kam zurück und nahm die Bestellung auf. Maureen nahm

noch einen doppelten Espresso.

»Würdest du mir verraten, wie alt du bist?«, fragte Cordelia.

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»Siebenhundert!«, war Maureens Antwort.
Dann lachte sie schallend, denn Cordelias Gesichtsausdruck sprach

Bände. »Es tut mir Leid, ich konnte nicht widerstehen! Ich bin
achtundzwanzig – das ist erst meine zweite Haut. Sie ist ungefähr drei
Jahre alt.«

»Schlangenhumor, okay«, sagte Cordelia und grinste verlegen.
»Nein, ganz normaler Humor«, widersprach Maureen. »Wir

unterscheiden uns gar nicht so sehr von euch, weißt du?«

»Das tut ihr auch nicht – abgesehen davon, dass du Leute bei

Paramount kennst. Ich kann dir gar nicht genug für diesen
Vorsprechtermin danken.« »Kein Problem. Eine Hand wäscht die
andere...«

»Das ist nicht sehr hilfreich«, sagte Kanzleimitglied Rome.

Er sprach mit dem Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite des

Schreibtisches saß. Er war klein, rundlich und nervös. Sein haarloser
brauner Kopf glitzerte vor Schweißperlen, obwohl die Klimaanlage für
eine angenehme Raumtemperatur sorgte. Der Mann hatte die
Gewohnheit, seinen Schnurrbart zu zwirbeln, was Rome extrem auf die
Nerven ging. Sein Name war Emilio Maldonado.

»Aber verstehen Sie doch!«, sagte Maldonado. »Die Seismologie ist

keine exakte Wissenschaft. Ich kann Ihnen nicht sagen, welche
Auswirkungen ein schweres Beben haben wird, denn ein richtig großes
hatten wir hier bisher noch nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, was wir aus
dem Erdbeben von 1994 gelernt haben, und davon ausgehend Prognosen
erstellen.«

Rome starrte Maldonado an. Rome hatte einen Respekt einflößenden

Blick; tief liegende, große schwarze Augen unter einer schweren,
überhängenden Stirn. Sie war das einzig Wuchtige an ihm. Der Rest war
so glatt und kantig geschnitten wie der Anzug, den er trug: ein schmales
Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen, markante Wangenknochen, eine
hohe Stirn mit spitzem Haaransatz, eine gerade Nase und ein spitzes
Kinn. Dazu ein Körper so stark und schlank wie ein Krummschwert.
Seine Hände mit den langgliedrigen Fingern sahen aus wie die eines
Konzertpianisten.

»Dann müssen wir uns wohl damit begnügen«, entgegnete er ruhig.

Seine Stimme kratzte wie eine Nagelfeile über Gitterstäbe.

Auf Romes Schreibtisch war eine große Karte von Los Angeles

ausgebreitet. Maldonado zeigte mit seinen Wurstfingern auf das San
Fernando Valley. »Am neunzehnten Januar um vier Uhr einunddreißig
morgens gab es eine seismische Bewegung ungefähr neunzehn

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104

Kilometer unterhalb von Northridge, das ist knapp zweiunddreißig
Kilometer vom Zentrum von Los Angeles entfernt. Das Beben hatte eine
Stärke von 6,7. Zum Vergleich: Das Beben, das 1989 in San Francisco
tobte, hatte 6,9.«

Maldonado tippte auf eine Stelle am Rand der Karte. »Nun, das war

ein so genanntes tektonisches Beben. Das bedeutet, dass beim
Aufeinandertreffen der Erdschollen die eine plötzlich nach oben und die
andere nach unten ausweicht. Diese Sorte Beben ist mit die gefährlichste,
denn sie produziert eine extrem starke Bodenbewegung. Das Beben in
Armenien im Jahr 1988 war so eins. 80.000 Menschen kamen dabei ums
Leben.«

»Erzählen Sie mir von den Sachschäden.«
Maldonado räusperte sich. »Ähm, ja, darauf wollte ich gerade

kommen. Das Beben in Northridge war die kostspieligste Katastrophe in
der Geschichte der USA, obwohl nur 57 Menschen getötet wurden – der
Gesamtschaden bewegte sich so um die vierzig Milliarden Dollar. Die
Schwere des Bebens verursachte massive Zerstörungen im Innern der
Gebäude, besonders an Gas- und Wasserleitungen.«

»Man muss jemandem gar nicht erst das Kreuz brechen, um ihn außer

Gefecht zu setzen«, sagte Rome. »Die Weichteile sind viel
verwundbarer.«

»Ja, ich ... ich verstehe«, brachte Maldonado heraus. »Ähm ...« Er warf

einen Blick auf seine Notizen. »Von den 66.546 Gebäuden, die nach dem
Beben untersucht wurden, waren sechs Prozent schwer beschädigt und
17 Prozent mäßig. Es gab natürlich auch große Schäden im Bereich der
Straßen und Autobahnen. Ich vermute, das könnte man als Verletzung
der Arterien und Venen ansehen.« Er warf Rome ein flüchtiges, nervöses
Lächeln zu.

»Könnte man.«
»Nun, trotz alledem hatten wir extremes Glück. Es war früh am

Morgen eines arbeitsfreien Tages, also waren die meisten großen
Gebäude, die einstürzten, leer – Parkhäuser zum Beispiel. An einem
normalen Arbeitstag hätte man mit hunderten von Toten rechnen
müssen.«

Rome lächelte angesichts dieser Information, sagte aber nichts. Das

Lächeln machte Maldonado nur noch nervöser.

»Unglücklicherweise hat dieses Beben nur wenig zum Abbau der

seismischen Spannung beigetragen, die sich in den letzten hundert Jahren
aufgebaut hat. Die Chancen stehen gut, dass es innerhalb der nächsten
drei Jahrzehnte ein richtig großes Beben geben wird – eins, das dieses
hier aussehen lässt wie den Wutanfall eines kleinen Kindes.«

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105

»Details bitte!«
»Vermutlich wird es ein Beben mit einer Stärke von mindestens 8,0.

Eine vergleichbare Stärke hatte das Beben, das sich 1906 in San
Francisco ereignete. Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses
liegt bei...«

»Die Wahrscheinlichkeit interessiert mich nicht. Ich will etwas über

die Folgen hören.«

»Die Folgen, ja. Nun, der größte Schaden bei einem so heftigen Beben

– besonders in einer Küstenstadt – wird indirekt verursacht.

Fangen wir mit den geplatzten Gasleitungen an. Viele Feuer werden

ausbrechen, aber sie werden nicht gemeldet, denn das Alarmsystem der
Feuerwehr hängt an unterirdischen Leitungen, die zu diesem Zeitpunkt
bereits zerstört sind. Die Stromversorgung bricht zusammen sowie das
gesamte Telefonnetz. Die Feuerwehr könnte die Brandherde auch gar
nicht erreichen, denn in den Straßen türmen sich Trümmer und Geröll.
Sollte doch einer durchkommen, wird man feststellen, dass es kein
Wasser gibt - denn auch diese Leitungen sind zerstört. Aber dieses
Problem erledigt sich bald von selbst, denn die Fluten, die durch die
Dämme brechen, werden das Feuer löschen. Es ist sogar vorstellbar, dass
es zu einem Tsunami kommt, obwohl das eher auf ein Epizentrum vor
der Küste schließen ließe.

Was die einzelnen Gebäude angeht: die können wir in drei

Schadensgruppen einteilen. Gruppe eins sind die Gebäude mit
Betonkern; ältere Regierungsgebäude und mehrstöckige Parkhäuser zum
Beispiel. Zur zweiten Gruppe gehören Gebäude in Leichtbauweise:
Wohnblocks, die weitgehend auf Holzkonstruktionen errichtet sind –
besonders solche, die auf Säulen stehen, unter denen man parken kann.

Gebäude mit Stahlkonstruktion halten am besten – wenigstens dachten

das die Leute immer. Aber bei Untersuchungen an Hochhäusern mit
Stahlkonstruktion, die das Northridge-Beben überstanden hatten, fand
man geplatzte Schweißnähte. Auch diese Gebäude werden mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einstürzen, was den wohl
größten finanziellen Schaden anrichten wird.«

»Haben Sie eine Liste solcher Gebäude?«
»Ähm ... Ja, hier!« Maldonado fummelte in seiner Aktentasche herum

und zog eine Liste heraus. Rome nahm sie entgegen und begann zu
lesen.

Maldonado wartete.
»Sie können jetzt gehen«, sagte Rome, ohne aufzusehen. Wortlos

verließ Maldonado den Raum.

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Was werden wir jetzt tun?, dachte Feldspaar. Er hoffte verzweifelt, eine
Antwort zu bekommen, egal welche. Er hatte das Gefühl, seine Existenz
sei aller Stabilität beraubt.

Aber die Antwort, die er bekam, trug nicht zur Besserung seines

Zustands bei.

Wir werden noch mehr Forschung betreiben, entgegnete Baasalt.
Forschung? Ich verstehe nicht. Hast du nicht schon herausgefunden,

was du ... was du wissen wolltest? Feldspaar konnte sich nicht
überwinden, den Vorfall mit dem durch die Leere rasenden Stein direkt
anzusprechen; er wollte lieber nie wieder daran denken.

Sie befanden sich in einem Abwasserkanal unter der Stadt. Baasalt

hatte einige der Kabel zerstört, die über ihren Köpfen entlangführten.
Dazu hatte er Feldspaar erklärt, die Oberflächenbewohner würden
jemanden schicken, den Schaden zu reparieren.

Feldspaar hatte keine Ahnung, wie die Oberflächenbewohner das

anstellen wollten oder wie sie überhaupt von dem Schaden wissen
konnten.

Baasalts Erklärung hatte ihn ganz schwindelig gemacht. Das Ganze

hatte wohl damit zu tun, dass die Welt der Oberflächenbewohner über
eine ungeheure Vielzahl von Verbindungen verfügte, eine Tatsache, die
Baasalt der chaotischen und wechselhaften Natur dieser Kreaturen
zuschrieb. Die Tremblor waren durch mentale Pfade oder Tunnel
miteinander verbunden – und das war alles.

Es gibt noch andere Dinge, die ich in Erfahrung bringen muss, dachte

Baasalt, wenn ich unsere Rasse von der Notwendigkeit zur Veränderung
überzeugen will.

Aber der Große Grund hat doch versprochen, deinen Vorschlag zu

überdenken.

Der Große Grund wird meine Empfehlungen niemals akzeptieren.

Meine Pläne sind zu radikal, zu weit reichend. Um meine Ideen in die
Realität umzusetzen, werde ich unser ganzes Volk überzeugen müssen.

Und wie willst du das anstellen?, fragte Feldspaar matt.
Ich werde mir die Methoden der Oberflächenbewohner zunutze

machen.

Ein Licht schaukelte aus der Finsternis auf sie zu, gefolgt von dem

Geräusch platschender Schritte. Ein Oberflächenbewohner von der Sorte,
die von den Fellköpfen »Mann« genannt wurde, kam durch den Tunnel.
Baasalt und Feldspaar waren in einer Nische verborgen – in einer
Nische, auf die der Oberflächenbewohner nun direkt zusteuerte.

Als das Licht auf sie fiel, erstarrte Feldspaar geblendet. »Was zum

Teufel...«, brüllte der Oberflächenbewohner, und dann schlug ihn

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Baasalt einfach mit seinem Schwanz nieder. Das Licht fiel dem Mann
aus den Händen und plumpste in das trübe Wasser. Es leuchtete immer
noch, aber nicht mehr so hell.

Baasalt packte den Oberflächenbewohner am Arm und zog ihn wieder

auf die Beine. Der Mann spuckte und strampelte zuerst, hörte jedoch
damit auf, als Baasalt in seinen Geist eindrang.

Krieger-Priester waren darin ausgebildet, mentalen Kontakt mit

anderen Spezies herzustellen, aber Feldspaar hatte dies noch nie
miterlebt. Baasalt erzwang sich einfach einen Weg in das Bewusstsein
des Mannes und fing an, dort herumzuwühlen.

Feldspaar zog seine Gedanken schockiert zurück. Das war ja wie ... es

war wie ...

Das war das Problem: Es war mit nichts vergleichbar, zumindest mit

nichts, was Feldspaar schon erlebt hatte. Er verspürte das dringende
Bedürfnis, sich einfach für ein paar Jahre hinzulegen und auszuruhen.

Abrupt zog sich Baasalt wieder zurück. Er ließ den Ober-

flächenbewohner frei, der benebelt die Tunnelwand hinunterrutschte.
Baasalt nickte nachdenklich. Ja, ja, das wird funktionieren! Es ist
genauso, wie ich erwartet habe.

Er drehte sich abrupt um und schlurfte den Tunnel hinunter.
Nach einer Weile folgte ihm Feldspaar.
Warum er das tat, wusste er nicht.


»Das ist meine Tochter Fiona«, sagte Maureen.

»Ach, ist die süß!«, rief Cordelia. »Und sie sieht so normal aus. Ähm

... du weißt, was ich meine.«

Die kleine Serpentinerin sah Cordelia skeptisch an. Sie machte gerade

die ersten Gehversuche und hatte feines blondes Haar und große blaue
Augen. Wackelig balancierte sie auf ihren pummeligen Beinchen und
hielt sich am Couchtisch fest, um nicht auf die Nase zu fallen.

»Du meinst, sie sieht aus wie ein Mensch«, sagte Maureen. »Aber das

ist sie nicht. Sie hat nämlich neun Monate in einem Ei verbracht und
nicht in meinem Bauch.«

»In einem Ei? Hmmm, eigentlich wollte ich ja Igitt sagen, aber wenn

ich es recht bedenke, klingt es viel angenehmer als die herkömmliche
Methode. Die menschliche, meine ich.«

»Ist es auch. Keine morgendliche Übelkeit, keine Rückenschmerzen,

keine Stimmungsschwankungen – man muss nur darauf achten, dass der
Brutkasten eingeschaltet ist.«

»Ganz zu schweigen von den Schwangerschaftsklamotten und

Zellulitis obendrein«, sagte Cordelia. »Das klingt zu schön, um wahr zu

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sein.«

»Nun, bei uns ist auch nicht alles rosarot. Ich muss sehen, wie ich

Beruf und Mutterschaft unter einen Hut kriege, und ich habe nicht die
Möglichkeit, sie bei einer Tagesmutter abzugeben. Aber da die meisten
anderen Serpentinerfrauen in derselben Situation sind, haben wir hier im
Gebäude eine Art Kindergarten, in dem die Eltern abwechselnd die
Aufsicht übernehmen.«

»Die Väter auch?«
»Oh ja, die Serpentinermänner nehmen großen Anteil an der

Betreuung und Erziehung ihrer Kinder.«

Cordelia sah sich in dem feudalen Apartment um und seufzte. »Ihr

bekommt all das, und dann auch noch Babys und
verantwortungsbewusste Väter dazu? Okay, wo muss ich mich
anmelden?«

Fiona kicherte.


























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8



Zurück im Büro, berichtete Doyle Angel, was er von Graedeker erfahren
hatte. »Also haben Wolfram und Hart definitiv mit der Sache zu tun. Die
Frage ist nur, wie?«

»Gehen wir mal gemeinsam alles durch«, schlug Angel vor. Er machte

gerade Tai-Chi-Übungen mit einem Schwert in der Hand. Mit langsamen
Bewegungen zog er die Klinge durch die Luft. »Wir wissen erstens, dass
jemand die Tremblor angewiesen hat, die Serpentiner anzugreifen.«

»Richtig. Zweitens wissen wir, dass Wolfram und Hart in Verbindung

mit mindestens einem der Opfer stehen.«

Angel parierte in Zeitlupe einen unsichtbaren Gegner. »Drittens wissen

wir, dass jemand den Tremblor Informationen über potentielle Opfer
zuspielt.«

Doyle nickte. »Viertens, die notwendige Schlussfolgerung: Wolfram

und Hart vermitteln den Tremblor Opfer, und die setzen im Gegenzug
die Serpentiner unter Druck.«

Angel führte das Schwert wieder vor seinen Körper, entspannte sich

und ließ es sinken. »Richtig. Aber worauf haben es Wolfram und Hart
abgesehen? Wenn es um das Gebäude selbst ginge, würden sie es doch
nicht durch ein Erdbeben aufs Spiel setzen.«

»Vielleicht ist es glatte Erpressung«, schlug Doyle vor. »Die

Serpentiner haben schließlich viel Geld.«

»Vielleicht. Aber wie auch immer der Fall liegt – es gibt etwas, das

unser Auftraggeber uns vorenthält. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich
ein kleines Gespräch mit Galvin führe.«

»Vor oder nach dem Dinner mit Kate? Wo wir gerade davon reden –

bist du nicht ein bisschen spät dran?«

Angel stürzte zur Tür, erinnerte sich dann, dass er ein Schwert in der

Hand hielt. Er hängte es rasch wieder an den Haken an der Wand,
schnappte sich seinen Trenchcoat und rannte hinaus.

Baasalt führte Feldspaar zurück in die Tiefen, aber sie kehrten nicht zu
ihrem Volk zurück - körperlich jedenfalls nicht. Es war auf halbem
Wege zwischen der Region, die von den Tremblor Zuhause genannt
wurde, und der Oberfläche der Welt, als Baasalt stehen blieb und
beschloss, seine Botschaft auszusenden.

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Leute des Vierten Stammes, hört meine Gedanken! Ich, Baasalt, erster

Krieger-Priester, habe euch etwas mitzuteilen.

Seine Gedanken waren kraftvoll und hallten in den Köpfen aller

Tremblor wider. So eine Ankündigung war höchst ungewöhnlich. Sie
brachen ab, was auch immer sie an mentalen Übungen gerade
durchführten, stoppten ihre Berechnungen, Meditationen oder
Kommunikationen und lauschten.

Ich habe ein neues Spiel für euch.

Das war aufregend, aber nicht sehr ungewöhnlich. Neue Spiele wurden

schließlich alle paar Jahrhunderte vorgeschlagen. Die meisten basierten
auf Variationen von mathematischen Formeln.

Baasalt ließ in seinem Geist das Bild eines runden Steins entstehen.

Das hier wird B all genannt. Ziel des Spieles ist es, eine Projektion des
Balls so anzulegen, dass sie sich mit einer beweglichen komplexen
Variablen – genannt »Mensch« -schneidet, und zwar innerhalb eines
festen Parameters, der »Feld« genannt wird. Für das Spiel werden neun
Spieler benötigt.

Die Spieler stellen sich mental an neun bestimmten Punkten auf dem

Feld auf. Jeder hat einen Ball. Die komplexe Variable wird auf einen
Punkt gestellt, der »Ausgangsbase« genannt wird.

Der Spieler mit der Bezeichnung »Werfer« projiziert seinen Ball auf

der Grundlage einiger mathematischer Gegebenheiten, als da sind
Geschwindigkeit, Masse und Flugbahn. Das Objekt muss die komplexe
Variable auf solche Weise schneiden, dass es sie schwächt.

Wenn der Ball einmal projiziert ist, begibt sich die komplexe Variable

auf einem vorgeschriebenen Weg zu der Position des ersten Base. Wenn
der Ball die komplexe Variable schneidet und sie infolgedessen
zusammenbricht, bekommt der Werfer einen Punkt, und eine andere
komplexe Variable wird auf dem Ausgangsbase eingesetzt.

Schneidet der Ball die Variable nicht, geht es weiter. Der Spieler am

ersten Base versucht, die Variable mit seinem Ball zu schneiden. Wenn
die Variable das erste Base erreicht, ohne zerstört zu werden, wandert
sie weiter zum zweiten Base, und der Spieler dort wiederholt das zuvor
beschriebene Manöver. Das geht so lange weiter, bis die Variable
wieder zurück auf dem Ausgangsbase ist. Die im Außenfeld
positionierten Spieler können jederzeit versuchen, den Weg der
komplexen Variablen mit einem Ball zu schneiden.

Die Positionen werden neunmal gewechselt. Gewinner ist am Ende der

Spieler mit der höchsten Punktzahl.

Interessiertes Gemurmel brach in den Köpfen der Tremblor aus. Viele

wollten wissen, wie dieses Spiel hieß.

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Es wird Steinigung genannt...


»Angel? Hast du mir überhaupt zugehört?«

Angel sah auf. Kate, die ihm gegenübersaß, blickte ihn erwartungsvoll

an.

»Ähm ... nein, tut mir Leid. Was hast du gesagt?«
»Ich fragte, wie deine Suppe ist.«
Angel sah auf seine Schüssel Miso. »Es sind ... mehr Stückchen drin,

als mir lieb ist.«

»Ich kann gar nicht glauben, dass du mit deiner Klare-Suppen-Diät so

fit bleibst. Vielleicht sollte ich das auch mal ausprobieren.«

Angel nahm einen Schluck Sake. »Das ist eine Ganzkörperkur, wenn

man es genau nimmt. Man muss auf sehr viele Dinge verzichten. Das ist
nicht für jeden etwas.«

»Was für Dinge?« Kate nahm mit ihren Stäbchen ein Stück Sushi und

stippte es in eine Mischung aus Wasabi- und Soja-Sauce, bevor sie es in
den Mund schob.

»Ach, bestimmte Gewürze, zu viel Sonne, Holz ...«
»Holz?«
»Ähm, bestimmte Holzsorten. Sie können allergische Reaktionen

hervorrufen.«

»Oh, verstehe. An der Akademie habe ich eine Frau kennen gelernt,

die war gegen Sandelholz allergisch. Sie bekam furchtbaren Ausschlag,
wenn sie mit bestimmten Düften in Berührung kam.«

»Düfte sind sehr gefährlich. Besonders Weihrauch, wie er in der

katholischen Kirche verwendet wird.«

»Komisch, du siehst gar nicht wie einer von der Sorte aus.«
Angel nahm seine Suppenschüssel und trank die Suppe wie ein echter

Japaner. »Na ja, wenigstens ist sie salzig genug ...Was für eine Sorte
meinst du?«

»Die diätgeile kalifornische Sorte. Ich glaube, ich kenne dich noch

nicht gut genug.«

Angel lächelte. »Mir liegt es eben mehr, nach Informationen zu fragen,

als sie zu geben.«

»Nein, nein, heute Abend machen wir das mal anders! Wenn nicht in

der nächsten Stunde ein bewaffneter Überfall auf dieses Lokal ausgeübt
wird, bist du hier mit mir gefangen. Du wirst dich schon ein bisschen in
Smalltalk üben müssen, mein Lieber.«

»Aua! Bist du bei allen Verhören so grob?«
Kate grinste, piekste noch ein Stück Sushi auf und schob es in den

Mund. Sie sagte keinen Ton.

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»Okay, ich bin durchaus in der Lage, Smalltalk zu machen ...« Angel

brach ab.

Kate kaute, schluckte. Wartete.
»Schöner Abend«, sagte Angel.
»Der Smog hält sich in Grenzen«, entgegnete Kate gelassen.
Quälendes Schweigen.
»Wie ist das Sushi?«
»Roh!«
»Ähm ... Hast du in letzter Zeit irgendeinen guten Film gesehen?«
»Ich hab mir neulich Die üblichen Verdächtigen ausgeliehen. Kevin

Spacey fand ich brillant!«

»Habe ich nicht gesehen. Ehrlich gesagt, gehe ich nicht besonders oft

ins Kino.«

Kate legte ihre Stäbchen zur Seite. »Okay, dann also kein

Filmgespräch. Sport?«

»Hatte ich nie viel für übrig.«
»Bücher?«
»Ich lese viel, aber meist Wissenschaftliches, Gedichte oder

Klassiker.«

»Wie ist es mit aktuellen Romanen? Irgendwelche Bestseller? Mir

persönlich gefällt Tom Clancy ganz gut.«

»Fällt Mark Twain noch unter aktuell?«
Sie seufzte. »Wie steht's mit Musik?«
Angels Gesicht leuchtete auf. »Absolut! Ich liebe Musik.«
»Na, dann haben wir doch schon etwas gefunden. Was für eine

Richtung?«

»Mir gefallen die Engländer.«
»Du meinst Oasis oder Blur? Oder die älteren Sachen wie die Beatles,

The Who oder die Stones?«

»Ich habe eher an Thomas Augustine Arme oder John Field gedacht.«
Kate runzelte die Stirn. »Und das sind ...?«
»Komponisten des achtzehnten Jahrhunderts.«
»Englische natürlich.«
»Mir gefallen nicht nur die Engländer. Die Deutschen und die Italiener

waren ebenso brillant.«

»Ich verstehe.«
»Du... du hast keine Ahnung, wovon ich rede, nicht wahr?«
»Tut mir Leid. Ich verstehe unter klassischer Musik alles, was auf den

Oldie-Sendern gespielt wird.«

»Na dann ... Schöner Abend, nicht wahr?«
Kate lachte und schüttelte den Kopf.

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Gott sei Dank gibt es Sake, dachte Angel und nahm noch einen

Schluck.

Sie saßen eine Weile schweigend beieinander, und Kate beschäftigte

sich ausgiebig mit ihren Thunfischröllchen. Angel überlegte fieberhaft,
worüber er reden könnte, über irgendetwas ... aber welche
Gemeinsamkeiten hatten er und Kate schon? Er war über zweihundert
Jahre älter als sie; geboren in einem Jahrhundert, als noch nicht einmal
das Telefon erfunden war. Ihre Welt basierte auf Fakten und
wissenschaftlicher Bildung, seine kreiste um mystische Visionen und das
übernatürliche Böse.

Er war einmal bei Doyle zu Besuch gewesen, als der sich gerade eine

Fernsehserie namens Baywatch ansah. Angel war es vorgekommen, als
spielte sie auf einem anderen Planeten, einem Planeten mit grellem Licht
und unglaublich knalligen Farben. Er hatte ganz vergessen, wie das
Sonnenlicht auf den Wellen des Meeres glitzerte. Manchmal war Angel
fast dankbar für die Schuld, die auf ihm lastete. Immerhin hielt sie ihn
davon ab, an die andere, die heile Welt zu denken, die er verloren hatte.

Die Welt, in der Kate lebte.
»Erzähl mir von dem Fall, an dem du gerade arbeitest«, sagte Kate.

»Haben dir meine Informationen geholfen?«

»Das haben sie. Vielen Dank!«
»Um was geht es eigentlich genau? Leute, die mit den vier Elementen

zu tun haben - ist es irgendein bizarrer Serienkiller?«

»Nicht wirklich. Ich hoffe, dass die Vermissten noch am Leben sind.«
»Schon Verdächtige gefunden?«
»Darüber darf ich leider nicht sprechen.«
»Verstehe. Also ... schöner Abend.«
»Ähm, ja.«
Angel machte dem Kellner ein Zeichen, ihm noch ein Glas Sake zu

bringen.

»Cordy! Was willst du denn so spät noch hier?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen, aber ich kenne bereits die Antwort:

Du schläfst auf der Couch.«

Doyle setzte sich auf und streckte sich schläfrig. »Ja, also, Angel hat

mich gebeten, hier zu bleiben und ein Auge auf Mister Flintstone da
oben zu haben. Weiß auch nicht warum; er ist da völlig verkrampft.«

Cordelia stellte ihre Tasche auf dem Schreibtisch ab und setzte sich auf

die Kante. »Doyle, ich hatte einen wunderbaren Tag! Maureen hat mir
einen Vorsprechtermin für einen Film verschafft! Ich habe für die Rolle

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der Sekretärin des bösen Typen vorgesprochen. Ich glaube, ich hab's
gepackt.«

»Das ist großartig.«
Cordelia warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Doyle, veräppeln

kann ich mich auch allein! Da zeigst du ja bei einem Zahnarzttermin
mehr Begeisterung.«

»Cordy, natürlich freue ich mich für dich. Es ist nur ... Na ja, ich traue

den Serpentinern einfach nicht. Ich habe ein paar Dinge über sie
herausgefunden.«

»Was denn zum Beispiel?«
Doyle stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Er nahm sich eine

Tasse und zögerte dann. »Kaffee oder Whiskey?«, murmelte er. »Ach,
ein erfülltes Leben hat so viele Möglichkeiten zu bieten!«

Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und fügte noch einen Schuss

Whiskey hinzu. »Wenn nur alles so einfach wäre ...«

»Was hast du über die Serpentiner herausgefunden?«, hakte Cordelia

nach. »Haben sie etwas Ansteckendes, wie ... wie Schlangenläuse zum
Beispiel? Ich habe nämlich den ganzen Tag mit Maureen verbracht, und
wir waren auch bei ihr zu Hause, und ich habe hier wirklich so eine
komische juckende Stelle ...«

»Nichts dergleichen. Es sieht nur so aus, als handelten sie mit viel

mehr als nur Gebrauchtwagen und Immobilien.« Er erzählte ihr die
Geschichte von dem Killer und der besonderen Flasche Scotch.

»Das ist alles? Dann verkaufen sie den Leuten also magischen Kram.

Was für ein Ding! Hat der Scotch ihn am Ende in einen ... einen
schottischen Werwolf verwandelt oder so?«

»Nein. Aber wir reden hier von Dämonen, Cordy. Sie sind nicht gerade

berühmt dafür, dass sie etwas verschenken. Sie erwarten immer eine
Gegenleistung.«

»Hast du nicht gesagt, die Gegenleistung wäre eine Dreiviertelmillion

Dollar gewesen?«

»Dafür hat Graedeker die Flasche gekauft. Er weiß nicht, was der

Killer bezahlt hat - und das genau bereitet mir Kopfzerbrechen.«

Cordelia runzelte die Stirn. »Willst du andeuten, er hätte seine Seele

für eine Flasche Scotch verkauft? Das glaube ich weniger – und das,
obwohl ich mit dir arbeite!«

Doyle nahm einen Schluck aus seiner Tasse und nickte. »Kommt mir

auch nicht sehr wahrscheinlich vor. Aber das Glück hat ihn verlassen,
nachdem er das Geschäft mit den Serpentinern gemacht hat.«

»Wenn das so wäre, dann hättest du deine Seele schon dutzende Male

versetzt, seit ich dich kenne.«

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»Ganz im Gegenteil, Cordy. Ganz im Gegenteil.«


Feldspaar machte eine Glaubenskrise durch.

Er hatte sich seinem Stamm und seinem Glauben gegenüber immer

loyal verhalten. Auch dem obersten Krieger-Priester war er treu ergeben,
und er hatte geschworen, seine Befehle widerspruchslos zu befolgen.

Diese beiden Dinge waren noch nie zuvor in Konflikt miteinander

geraten.

Aber Baasalts Ideen hatten ihn auf eine Weise stimuliert, wie er es

noch nie erlebt hatte. Zu erst hatte er die Gedanken als störend
empfunden, sogar als beängstigend, aber je mehr er darüber nachdachte,
desto mehr Sinn ergab alles.

Feldspaar war selbst Krieger-Priester – aber außer bei den Exkursionen

alle paar Jahrzehnte, um Opfer für das Ritual zu finden, hatte er wenig
Gelegenheit zum Kampf.

Seine Aufgabe war nicht so sehr die Eroberung, als vielmehr den

Status Quo aufrechtzuerhalten.

Bis jetzt.
Baasalt?, dachte er. Sie waren zurück in den Abwassertunneln, dicht

unter der Oberfläche der Welt. Ich habe ein paar Fragen.

Gut. Dann stell sie!
Dieses Spiel, das du eingeführt hast – willst du damit unser Volk auf

einen Kampf vorbereiten?

Baasalt antwortete mit dem mentalen Pendant zu einem Kichern. Sehr

gut! Ja, das tue ich. Wenn sich unsere Leute erst einmal daran gewöhnt
haben, im Rahmen der Möglichkeiten des offenen Raumes zu denken –
statt aus Furcht vor der bloßen Erwähnung der Leere zurückzuschrecken
–, werden sie bereit für den nächsten Schritt sein.

Und welcher ist das?
Die Oberflächenbewohner als eine Quelle zu sehen, die wir nicht gut

genug ausnutzen. Die Welt, in der sie leben, als einen Ort anzusehen, der
rechtmäßig uns gehört. Zu verstehen, dass die Eroberung der Leere
selbst nicht nur möglich ist... sondern auch unsere Bestimmung.

Feldspaar erkannte, wie richtig Baasalts Worte waren.
Ich werde dir folgen, dachte er.
Und die anderen werden es auch ...


»Doyle! Hast du das gehört?«, sagte Cordelia.

»Was? Ich hab nix gehört.«
»Bist du sicher? Ich glaube, ich habe ein Geräusch gehört.«
»Das tun Leute generell mit Geräuschen.«

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Cordelia sah ihn böse an. »Überlass den Sarkasmus lieber den

Experten, Doyle. Ich nehme an, du verstehst wenigstens, was mit
›Experte‹ gemeint ist?«

»Ich finde, das ist jetzt ein schönes Beispiel...«
Krach!
»Das habe ich gehört!«, rief Doyle und sprang auf.
»Klang, als käme es aus Angels Wohnung«, sagte Cordelia. Sie sah

nervös zu dem Aufzug, den Angel benutzte, um von seiner Wohnung ins
Büro zu kommen. »Was machen wir denn jetzt?«

»Wir gehen nachsehen, was es ist«, schlug Doyle vor.
Wumm!
»Bist du verrückt? Es könnte irgendein schreckliches

Dämonenmonster sein! Und wenn es in Angels Wohnung wütet, muss es
ein schreckliches Dämonenmonster sein! Und dass ich mitten in der
Nacht SDMs bekämpfen muss, steht nicht in meinem Arbeitsvertrag!«

»Weißt du was? Für jemanden, der gerade mitten im Ausflippen ist,

kannst du verdammt gut mit Abkürzungen umgehen.«

Sie boxte ihn auf die Schulter. »Das ist eine natürliche Begabung. Und

jetzt geh gucken, was da ist!«

»Ich? Ich dachte, du hättest gerade gesagt...«
»Ich sagte, es steht nicht in meinem Arbeitsvertrag. Da du hier der Typ

mit den Visionen bist, fällt Informationsbeschaffung definitiv in dein
Ressort. Wende dich an mich, wenn ich dir was abheften oder einen
Kaffee machen soll.«

»Also, gut...« Doyle holte sich das Schwert von der Wand, mit dem

Angel vorher trainiert hatte, und nahm es in beide Hände. Er schob das
Metallgitter der Aufzugtür zur Seite und drehte sich noch einmal zu
Cordy um. »Aber ich will eine frische Tasse Kaffee haben, wenn ich
zurückkomme. Oder einen Krankenwagen.«

»Ich versuche, Angel auf seinem Handy anzurufen. Und Doyle – sei

vorsichtig!«

Doyle schloss die Aufzugtür und drückte auf den Knopf nach unten.

Kein Problem. Bestimmt nur eine Katze oder so. Endlich würde er
einmal vor Cordy als Held dastehen können, ohne sich völlig lächerlich
zu machen.

Wahrscheinlich.
Das Licht war natürlich aus. Er schob die Aufzugtür auf und tastete

nach dem Lichtschalter.

Nichts geschah, als er darauf drückte.
Wahrscheinlich eine kaputte Birne. Bestimmt hatte niemand die

Lampe zerstört, um ihn auf den tödlichen Herzinfarkt vorzubereiten, den

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er erlitt, wenn nun etwas aus der Dunkelheit nach ihm greifen und sich
um seinen Hals wickeln würde! Bestimmt nicht!

»Hallo? Also, wenn du ein Einbrecher bist – hier unten gibt es nichts

Lohnendes. Der Mann hat nicht mal einen Fernseher!«, rief Doyle.

Er machte einen vorsichtigen Schritt in die Finsternis und hielt den

Griff des Schwerts, das er hoch über den Kopf gehoben hatte, fest mit
beiden Händen umklammert.

»Und wenn du ein schreckliches Monster oder so etwas bist, solltest du

wissen, dass ich hier ein Stück Metall habe, das speziell dafür gemacht
ist, unheiligen Kreaturen der Nacht den Kopf abzuschlagen! Ich
schwöre!«

Die Stimme, die zu ihm sprach, war nicht für das Ohr hörbar; sie hallte

lediglich in seinem Kopf wider.

Es ist albern, einen Telepathen anzulügen. Wir suchen unseren Bruder.
»Oh, ähm ...«, flüsterte Doyle.


Angels Handy klingelte, als Kate gerade ihr Dessert beendete.

»Hallo?«
»Angel? Hör mal, du musst ins Büro kommen! Da ist was in deiner

Wohnung, und ich glaube nicht, dass es freundlich ist.«

»Wo ist Doyle?«
»Er ist gucken gegangen. Es ist...«
Angel hörte entfernten Lärm im Hintergrund. »... definitiv nicht

freundlich«, sagte Cordelia.

»Bin unterwegs!« Er schaltete das Handy aus, steckte es weg und zog

seine Brieftasche hervor. »Sorry, ich muss weg«, sagte er zu Kate. »Ein
Notfall!« Er warf ein paar Scheine auf den Tisch. »Es war sehr schön.
Danke!« Und schon drehte er sich um und marschierte auf die Tür zu.

Gott sei Dank!, dachte er.
Er rief Cordelia zurück, als er ins Auto stieg und davonbrauste. »Ich

bin schon unterwegs. Gib mir mal ein Update!«

»Okay, also, man hört viel Krach und Radau. Oh, da, schon wieder!«

Angel konnte es im Hintergrund hören. »Dieser Schrei, das war
bestimmt Doyle ... Das klingt jetzt wie ein umgestürzter Schrank ... Ich
weiß nicht, was dieses erstickte Poltern war... Dieser Schrei kam
definitiv von Doyle ... Okay, ich glaube, das war deine Porzellanvitrine.
Warte mal, du hast doch gar keine Porzellanvitrine! Noch ein Krachen -
das ist aber merkwürdig! Es klang fast, als käme es von oben ...

Womm!
»Das kam jetzt definitiv von oben ...«
»Cordelia, verlass das Büro! Sofort!«

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Da gab es einen lauten Schlag, den auch Angel sehr deutlich

vernahm... Dann nichts mehr.

»Cordelia? Cordelia?«
Cordelia spähte über die Kante ihres Schreibtischs. Im Empfangsbüro

hing eine dichte Wolke Zementstaub und in der Decke prangte ein
großes Loch.

Eine Gestalt bewegte sich, erhob sich dann vom Boden. Die Gestalt

eines Tremblor.

»Ich wusste, es war eine blöde Idee, ihn in einer Holzkiste

einzusperren!«, flüsterte Cordelia ins Telefon. »Er hat sich gerade wie
Bugs Bunny Zugang zum Büro verschafft!«

»Wie bitte?«
»Er hat seine magischen Schaufelkräfte dazu benutzt, sich durch alle

Stockwerke zwischen dem Dachgeschoss und unserem Büro zu graben.
Haben die da unten in der Erde keine Treppen oder was? Er wäre fast auf
mich gestürzt!«

»Cordelia, beruhige dich! Ich bin sofort da. In der Zwischenzeit

versuch irgendwie, nach draußen zu kommen! Da bist du in Sicherheit.«

»Ich glaube nicht, dass das gehen wird, Angel. Er befindet sich

zwischen mir und der Tür - und er hat mich gerade bemerkt.«

»Stell dich ihm nicht in den Weg! Vielleicht will er einfach nur

fliehen.«

»Das soll wohl ein Witz sein? Und ich wollte ihn nach schönster Xena-

Manier fertig machen.«

Du. Sie spürte, wie ihr Geist von einem anderen berührt wurde.

Ohmeingotthörmalbittetumirnichtwehichkönntedirgarnichtsantunobwohl
dumirwirklichdenabendverdirbstaberwirkönnenjatrotzdemfreundeseinei-
nverstanden???

Der geistige Kontakt brach abrupt ab. Cordelia hatte den Eindruck, der

Tremblor war... irgendwie überwältigt.

Doyle hatte noch nie gern Völkerball gespielt.
Schon damals, auf der High School, war ihm klar geworden, dass die

Hölle aus einem ewigen Völkerball-Turnier bestehen musste – nur dass
es keine sadistischen Sportfreaks waren, die einen mit großen
Gummibällen bewarfen, sondern sadistische Dämonen, die glühend rote
Felsbrocken durch die Gegend schleuderten. Es würde einfach kein Ende
nehmen, und die Dämonen würden demütigende Kommentare darüber
machen, dass man wie ein Mädchen rannte, und jedes Mal, wenn man
getroffen wurde, würde man wieder von vorn anfangen müssen.

Das einzige Mal im Leben, dass ich mit einer Spekulation absolut

richtig liege, dachte er, und da habe ich kein Geld, um darauf zu wetten!

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Ist mal wieder typisch.

Er hatte sich hinter Angels umgekippten Küchentisch geduckt – oder

hinter das, was davon noch übrig war. Das Schwert lag neben ihm auf
dem Boden. Im Moment nutzte es ihm ungefähr so viel wie eine
Fliegenklatsche.

Wumm!
Ein großes Loch war ein paar Zentimeter rechts von seinem Kopf in

der Wand entstanden. Der fußballgroße Stein, der es verursacht hatte,
schlug auch noch durch Angels Küchenanrichte und wahrscheinlich auch
noch tief in die dahinter liegende Wand.

Wie war das?
Besser. Aber du überkompensierst immer noch die Schwerkraft. Sieh

mal!

Doyle warf sich gerade noch rechtzeitig zu Boden. Die Überreste des

Tisches vor ihm wurden zerstört, als der nächste Stein, der nur
Zentimeter an seinem Kopf vorbeiflog, sein Ziel traf. Er hechtete hinter
den nächstbesten Schutz, ein umgekipptes Bücherregal.

Obwohl es ihm wahrscheinlich gerade das Leben gerettet hatte, dass er

das Dämonengespräch mithören konnte, wünschte Doyle, sie hielten die
Klappe.

Siehst du? Das nennt man einen ›Fastball‹. Offenbar kann die richtige

Positionierung der Finger das Projektil dazu bringen, eine gekrümmte
Flugbahn zu vollziehen.

Faszinierend! Und das hast du alles gelernt, als du in das Bewusstsein

des Oberflächenbewohners eingedrungen bist! Ich habe nicht geahnt,
dass sie so viel wissen.

Doch, doch! Die Bewegung von Körpern durch die Leere beschäftigt

einen Großteil ihrer gedanklichen Prozesse. Hier ist eine Variation, die
sie »Bowling« nennen.

Doyle stöhnte und warf sich rasch zur Seite. Eine Sekunde später

schlug ein Stein in Bodennähe in das Bücherregal.

Cordelia wartete darauf, dass der Tremblor angriff oder wegrannte, aber
er tat nichts dergleichen. Er stand einfach nur da, und sein
schaufeiförmiger Schwanz wiegte sich langsam hinter seinem Kopf hin
und her.

»Mister... ähm ... Mister Marlboro? Sie können jetzt gehen«, rief

Cordelia. »Wir lassen alle Anklagepunkte fallen. Sie erhalten
Bewährung. Sie kommen aus dem Gefängnis frei!«

»Cordelia!«, rief Angel ins Telefon. »Mach ihn nicht auf dich

aufmerksam.«

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Der Tremblor zitterte, dann schüttelte er sich. Ein Donnergrollen lag in

der Luft.

»Ups ...« Cordelia keuchte.
Das Donnern wurde lauter. Bücher fielen von den Regalen. Der

Schreibtisch fing an, auf dem zitternden Boden zu tanzen.

Die Glasscheiben zwischen den beiden Büroräumen zersplitterten

ebenso wie die Fenster des Empfangsbüros. Scherben flogen durch die
Luft, und Cordelia schrie und hielt sich schützend die Hände über den
Kopf.

Und so plötzlich, wie es begonnen hatte, hörte das Beben wieder auf.
Ihr habt mich zerstört.
Der Tremblor marschierte auf Cordelias Schreibtisch zu und blieb

davor stehen. Ich habe in die Leere geblickt und die Leere in mich. Nun
kann ich nicht mehr davon loskommen. Sie ist immer da, wenn ich meine
Augen schließe.

Er hob seine dicken steinernen Fäuste.
Dafür werdet ihr bezahlen!
Er hieb mit den Fäusten auf die Platte des Schreibtischs, der zu einem

Haufen Kleinholz zusammenstürzte. Cordelia krabbelte in die
entfernteste Ecke. Glassplitter schnitten ihr in die Hände, doch sie
merkte es nicht einmal. Sie musste hier weg, sie musste hier raus ...

Nun war sie direkt neben dem zerbrochenen Fenster.
Ohne groß nachzudenken, setzte sie sich rittlings auf das Fensterbrett,

tastete mit dem Fuß nach dem schmalen Sims darunter und kletterte
hinaus. Zentimeter für Zentimeter schob sie sich die Außenwand entlang
und hoffte, der Tremblor möge sie vergessen, da er sie nicht mehr vor
Augen hatte.

Plötzlich platzten neben dem Fenster mehrere Steine aus der Wand.

Cordelia schrie auf und verlor fast das Gleichgewicht. Der
Spatenschwanz des Tremblor kam aus der Wand herausgeschossen.

Er zog sich wieder zurück – und schlug einen Augenblick später an

anderer Stelle erneut durch das Mauerwerk.

Diesmal direkt in Cordelias Nähe.


Hört mal, Jungs!,
schrie Doyle in Gedanken, so laut er konnte. Es gibt
keinen Grund, mich als Zielscheibe zu benutzen. Wenn ihr euren Kumpel
wollt, holt ihn euch. Wir wollten ihn sowieso freilassen.

Das Bombardement setzte aus.
Feldspaar, bleib hier bei dem Oberflächenbewohner! Ich werde Maarl

holen.

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Eine klobige Form stapfte aus der Dunkelheit. In dem Licht, das aus

dem Aufzug drang, waren seine Umrisse deutlich zu erkennen. Er
trottete zu der Betontreppe und stieg sie hinauf. Irgendwie war es keine
große Überraschung für Doyle, als er entdeckte, dass im Hinterkopf des
Dämons eine Spitzhacke steckte.

»Gut, dann wirst du einfach warten, bis dein Kumpel zurückkommt,

und dann haut ihr ab, nicht wahr?«, rief Doyle hoffnungsvoll.

Erst will ich noch ein paar Dinge ausprobieren. Baasalt sagte, das

hier nennt man ›Knuckleball‹.

Eine weitere Steinrakete krachte in die Wand.
»Warte!«, schrie Doyle. »Hey, habt ihr je von einem Sport gehört,

der... ähm ...« Er überlegte fieberhaft, was das Richtige war. Basketball?
Nein, Fußball? - Noch schlimmer! Golf? Dann hatten sie Schläger -
keine gute Idee. Dasselbe galt für Tennis, Badminton, Kricket, Polo ...

»... Bobfahren heißt?«, beendete Doyle schließlich seine Frage.


Baasalt konnte die Verwirrung und die Wut in Maarls Gedanken spüren.
Sie wurden stärker, je näher er ihm kam.

Maarl, dachte er. Maarl, ich bin es. Baasalt, der erste Krieger-

Priester. Beruhige dich, du bist in Sicherheit.

Nein! Ich werde mich nicht beruhigen, nie wieder! Jeglicher Frieden

wurde mir geraubt – wo einst Gelassenheit und Stabilität herrschten, ist
nur noch leeres Chaos!

Baasalt betrat den Raum, aus dem Maarls Gedanken drangen. Der

Tremblor stieß seinen Schwanz durch eine Wand, in die er schon
mehrere große Löcher geschlagen hatte. Es schien ihn nicht zu kümmern,
dass er sich immer mehr der Leere aussetzte.

Maarl, HÖR AUF!, funkte Baasalt, so streng er konnte.
Maarl hielt inne. Sein Körper jedoch vibrierte noch immer vor Wut.
Du hast in die Leere gesehen, dachte Baasalt. Ich merke es ganz

deutlich.

Sie hat mich befleckt, mich korrumpiert!
Nein. Sie hat dich stärker gemacht.
Wie kannst du so etwas denken!

Weil auch ich in die Leere geschaut habe.
Was? Das kann nicht sein, du bist doch der oberste Krieger-Priester!

Tauche in meine Erinnerungen ein! Sieh es dir selbst an!
Das tat Maarl.
Sein Körper wurde starr vor Schreck, als er Baasalts Erlebnisse

nachempfand – nicht nur die Erinnerung an den Blick in die Leere,
sondern auch die Erinnerung an Baasalts Reaktion darauf. Seine

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anfängliche Angst war weggeschwemmt worden von einem
überwältigenden Gefühl der Stärke, der endlosen Möglichkeiten. Es hatte
ihn bis in die Grundfesten seines Wesens in Erregung versetzt und ihm
das Gefühl gegeben, zu allem fähig zu sein. Die Leere war immer noch
gefährlich, immer noch mächtig - aber sie war kontrollierbar geworden.
Beherrschbar.

Siehst du?, dachte Baasalt. Verstehst du nun?
Maarl sah seinem Anführer in die Augen. Ja, dachte er benommen.

Beim Großen Herzen der Welt, ja. Vergib mir meine Schwäche, Baasalt.
Ich hatte nicht den Mut, es so zu sehen wie du.

Du bist nicht schwach! Du bist stark. Kannst du es jetzt fühlen, tief in

deinem Innern? Ich kann es. Du und ich, wir haben der Leere in die
Augen gesehen, und wir sind immer noch hier. Wir können den anderen
unsere Vision zeigen. Und wir können sie in eine neue Ära führen, in der
die Leere uns fürchten wird.

Baasalt streckte seine steinige Pranke aus. Willst du dich mir

anschließen? Willst du bei diesem großen Abenteuer an meiner Seite
stehen?

Maarl zögerte nicht. Er ergriff Baasalts Hand. Es ist mir eine Ehre,

oberster Krieger-Priester.

Gut. Dann lass uns diesen Ort verlassen.
Sie gingen zur Treppe.


»Was ich jetzt brauche«, dachte Doyle, »ist ein Plan. Und zwar einer, der
mir hilft zu verhindern, einen Stein an den Kopf zu kriegen.«

Seine Deckung brach allmählich zusammen. Von dem Regal, hinter

dem er sich versteckte, war nun nicht mehr viel übrig. Dem Tremblor
jedoch schienen die Steine nicht auszugehen.

Wenn es Doyle gelang, die Treppe zu erreichen, konnte er vielleicht

fliehen. Aber das würde dieser Brecher, den er da vor sich hatte, wohl
nicht gestatten! Mittlerweile hatten sich Doyles Augen an die Dunkelheit
gewöhnt. Das Licht aus dem Fahrstuhl half ihm, ein paar Details zu
erkennen. Die Tremblor waren durch die Kanäle hereingekommen, die
Angel normalerweise benutzte, und sie hatten einen Haufen Steine
mitgebracht.

Doyles Blick irrte durch die demolierte Wohnung. Er hatte gerade eine

zündende Idee gehabt – wenn nur das, wonach er suchte, nicht auch
schon in seine Einzelteile zerlegt worden war...

Da war sie! Sie lag natürlich zwischen ihm und dem Beben-Dämonen

auf dem Boden – und er hatte keine Ahnung, ob sie kaputt war.

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Aber gegen ein bisschen Risiko hatte er ja bislang noch nie etwas

einzuwenden gehabt...

Doyle stürzte aus seiner Deckung, schnappte sich die Kamera und hielt

sie in die Höhe. Er tastete nach dem Auslöser, als der Tremblor mit
seinem starken Arm zum Wurf ausholte.

Da zuckte ein Blitz durch den Raum. Der geblendete Tremblor brüllte,

ließ den Stein fliegen und verfehlte Doyle um ganze sechs Zentimeter.

In diesem Augenblick flitzte Doyle zur Treppe.


Sie trafen sich auf halbem Wege.

Gerade war Doyle noch im Eiltempo die Treppe hochgerast, und im

nächsten Moment lag er schon flach auf dem Rücken. Nach ein paar
Sekunden der Benommenheit wurde ihm klar, dass er volle Pulle gegen
etwas geprallt sein musste.

Er blickte in das Gesicht eines Tremblor.
»Oh«, machte er.
»Doyle! Aus dem Weg!«
Das war Angels Stimme!
Doyle warf sich kopfüber wieder die Stufen hinunter.
In diesem Augenblick stürzte Angel sich auf den Tremblor und

verpasste ihm aus dem Sprung einen Tritt gegen die Brust. Der Dämon
verlor das Gleichgewicht, stolperte und stieß mit Doyle zusammen.
Beide prallten an der Wand ab und purzelten die Treppe hinunter.

Eine Betontreppe hinunterzustürzen war nicht gerade die angenehmste

Erfahrung seines Lebens, aber Doyle blieb keine Zeit, sich zu
beschweren. Er musste sich um andere Dinge kümmern, zum Beispiel
um die halbe Tonne lebendiges Gestein, die wie eine Lawine auf ihn zu
donnerte.

Er schlug am Boden auf und rollte zur Seite. Einen Augenblick später

krachten die zwei Tremblor genau an der Stelle herunter, an der er
gerade gelandet war.

Doyle sprang auf die Füße und versuchte, die Schmerzen seines

geschundenen Körpers zu ignorieren. Mit Angel an seiner Seite war die
Schlacht noch nicht verloren.

Die Tremblor lösten sich voneinander und standen ebenfalls auf.
»Angel?«, rief Doyle voller Hoffnung.
Keine Antwort.


»Angel!« Der Schrei kam von oben.

»Cordelia!«, rief Angel. Er drehte sich um und sprintete die Treppe

hoch.

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Als er ins Büro kam, blieb er wie angewurzelt stehen. Da prangte ein

großes Loch in der Decke, alle Glasscheiben waren zerborsten, und
Cordelias Schreibtisch war nur noch ein Haufen Kleinholz. Sechs
weitere große Löcher zierten die Außenwand – und weit und breit kein
Lebenszeichen von Cordelia.

»Angel!« Die Stimme schien von draußen zu kommen. »Hol mich hier

runter!«

Angel streckte den Kopf aus dem Fenster. Cordelia war an die fünf

Meter von ihm entfernt. Sie stand auf einem schmalen Sims und hatte die
Arme flach an die Wand gedrückt. Sie sah vollkommen verängstigt aus.

»Cordelia, ich bin hier! Alles in Ordnung mit dir?«
»Alles in Ordnung? Wonach sieht es deiner Meinung nach denn aus?

Hol mich hier runter!«

»Kannst du noch einen Moment aushaken?«
»Was? – Nein! Wo gehst du hin? Angel!«


»Sie sind weg«, sagte Doyle. »Als sie ihren Kumpel hatten, waren sie
wohl nicht weiter an mir interessiert. Ich kann nicht behaupten, dass ich
traurig darüber bin.«

Angel sah sich in seinem verwüsteten Apartment um. »Jetzt weiß ich,

wie den Serpentinern zumute ist.«

»Nur dass sie ein dickeres Portemonnaie haben als du.«
»Darüber mache ich mir später Gedanken. Jetzt müssen wir erst einmal

unsere Assistentin retten.«

»Sieh einfach nicht nach unten!«, riet Doyle.

»Warum hört man diesen Satz immer, wenn jemand irgendwo in der

Höhe festhängt? Glaubt ihr, ich bin blöd? Natürlich werde ich nicht...«
Sie sah in die Tiefe. »Aaaahhhh!«

»Cordelia!«, rief Angel. »Sieh mich an! So ist es gut. Und nun beweg

dich langsam auf mich zu.«

»Wie meinst du das, auf dich zu? Worauf wartest du noch? Du musst

dich auf mich zubewegen!«

»Also gut...« Angel nahm das Seil, das Doyle ihm reichte, und kletterte

aufs Fensterbrett. Langsam schob er sich an Cordelia heran.

»Was machst du da?«, fragte Cordelia.
»Ich ... rette dich, was sonst?«
»Genau! Dann mach dalli mit den Flügeln!«
»Mit den Flügeln?«
»Na gut, wenn du keine Flügel hast, dann tu einfach, was du tun musst

– flatter mit deinem Trenchcoat oder so!«

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»Cordelia, ich kann nicht fliegen!«
»Was? Was soll das heißen, du kannst nicht fliegen? Du bist doch ein

Vampir! Vampire können immer fliegen.«

»Das ist eine weitverbreitete Fehlannahme. Wir verwandeln uns auch

nicht in Fledermäuse.«

»Mein Gott, ich werde das wohl nie alles richtig auseinander halten

können ...«

Angel streckte seinen Arm nach Cordelia aus. Sie schob sich auf ihn

zu – und trat auf ein loses Stück Putz. Es wackelte gerade genug, um sie
aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Und sie stürzte in die Tiefe.






























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9



»Du bist stärker, als du aussiehst«, sagte Cordelia zu Doyle. »Ich hätte
nicht gedacht, dass du es schaffst, uns beide hochzuziehen.«

»Gott sei Dank konnte Angel dich abfangen, bevor du zu Boden

gestürzt bist«, sagte Doyle. »Eigentlich müssen wir uns für den
glücklichen Ausgang der Geschichte bei Angels Geschmack in Sachen
Mode bedanken.«

Angel nahm den Ärmelansatz seines Mantels kritisch unter die Lupe.

»Ich glaube, du hast eine Naht aufgerissen«, murmelte er.

»Na, irgendwo musste ich ja zugreifen. Eine Hand voll Trenchcoat war

das Beste, was ich finden konnte. Und wenn überhaupt jemand Grund
zur Beschwerde hat, dann bin ich das ja wohl«, entgegnete Doyle.
»Deine Stunt-Einlage mit den Gebrüdern Felsenstein hat mich fast das
Leben gekostet!« Er fegte ein paar Glasscherben von einem Stuhl und
setzte sich. »Dazu noch das, was die Tremblor mit mir angestellt haben.
Es scheint, sie haben noch einen Trick auf Lager, der in keinem deiner
Bücher erwähnt wird; wahrscheinlich, weil sie alle vor Abner
Doubledays Geburt geschrieben wurden.«

»Wer ist denn Abner Doubleday?«, fragte Cordelia. Sie öffnete den

Erste-Hilfe-Koffer und holte ein Fläschchen Peroxyd heraus. Sie gab ein
wenig davon auf ein Tuch und begann, Doyles Stirn damit zu betupfen.

»Der Typ, der Baseball erfunden hat«, sagte Doyle. »Die Tremblor

stehen anscheinend da drauf. Allerdings verwenden sie Steine in der
Größe von Kanonenkugeln statt des guten alten Pferdelederballs. Noch
dazu ist ihnen der Unterschied zwischen Werfen und Verwüsten offenbar
nicht ganz klar.«

»Sie haben mit Steinen nach dir geworfen?«, fragte Angel.
»So wie du das jetzt sagst, klingt es albern. Aber wenn du dich am

anderen Ende einer höllischen Bowlingbahn befindest, sieht die Sache
schon ganz anders aus ...«

»Es stellt sich nun die Frage, ob die Tremblor ihre Pläne ändern

werden«, meinte Angel. »Der, der in unserer Gewalt war, wird ihnen
sagen, dass wir wissen, wo sie als Nächstes zuschlagen wollen.«

»Wenn sie dieses Seelenzerstörungsritual durchführen wollen, haben

sie vielleicht gar keine Wahl«, bemerkte Doyle. »Aua!«

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»Stell dich doch nicht so an«, sagte Cordelia. »Von Peroxyd wird man

doch nicht blind, oder?«

»Vielleicht ziehen sie ihren Plan jetzt schneller durch«, meinte Angel.

»Wir sollten heute Nacht schon raus auf den Friedhof.«

»Ich will ja kein Spielverderber sein«, bemerkte Doyle, »aber bisher

haben wir uns nicht so toll gegen die Jungs geschlagen. Und nun, da sie
wissen, dass wir kommen, haben wir nicht mal das
Überraschungsmoment auf unserer Seite. Wir brauchen etwas richtig
Effektives!«

»Das haben wir vielleicht schon«, sagte Angel. »Wir halten unterwegs

an. Die Ausrüstung, die ich bestellt habe, ist eingetroffen.«

»Weißt du, was ich noch nicht verstanden habe?«, sagte Doyle, als Angel
den Wagen am Gehsteigrand parkte. »Wen genau beschützen wir
eigentlich auf dem Friedhof?«

»Gute Frage«, sagte Angel und stieg aus. »Falls die Tremblor nicht

vorhaben, die Toten wieder auferstehen zu lassen, wird es wohl jemand
sein, der hier arbeitet. Wahrscheinlich der Totengräber.«

Der Friedhofseingang, ein großes Eisentor, war mit einer Kette und

einem großen Vorhängeschloss verriegelt. »Doyle?«, sagte Angel nur.

Doyle machte sich an die Arbeit, und einen Augenblick später war das

Schloss bereits geknackt. Die beiden gingen durch das Tor.

Doyle blickte nachdenklich drein. »Okay, bisher haben wir also eine

Flugbegleiterin, eine Feuerwehrfrau und einen Rettungsschwimmer. Wie
du sagtest, riskieren sie alle in dem Element, mit dem sie in Verbindung
stehen, ihr Leben. Mir scheint, der Totengräber spielt in einer etwas
anderen Liga.«

»Kommt drauf an, wie man es sieht«, sagte Angel. »Die Erde ist der

wichtigste Baustein des Rituals; aus ihr werden schließlich die Körper
der neuen Tremblor gemacht. Der Totengräber ist auf einem Friedhof für
die Körper von lausenden von Menschen verantwortlich, die in der Erde
liegen. Symbolisch macht ihn das zu einer Art Vaterfigur, er schützt die
Ungeborenen.«

»Na gut, aber trotzdem ist es nicht wirklich ein gefährlicher Job«,

widersprach Doyle.

»Das findet ihr nicht, was?«, fragte eine laute Stimme hinter ihnen.

»Keine schnellen Bewegungen, bitte!«

Angel und Doyle hielten inne und drehten sich langsam um.
Ein schwarzer Mann um die sechzig stand vor ihnen. Er hatte silbernes

Haar und trug ein verblichenes kariertes Hemd, braune Hosen und einen
schlabberigen braunen Pullover. In der Hand hielt er eine Pistole.

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128

»Ihr seht nicht wie Rowdys aus«, stellte der Mann fest. »Dann gehört

ihr wohl zu den Grabräubern. Also, ich habe die Nase voll davon, dass
immer wieder Leichen verschwinden. Wenn ihr nicht sofort von meinem
Friedhof verschwindet, fülle ich zwei von den kürzlich frei gewordenen
Plätzen mit euch auf.«

»Nun, das sehen Sie ganz falsch«, sagte Angel. »Wir sind keine

Grabräuber oder Rowdys.«

»Und warum sollte ich das glauben?«, fragte der Mann.
»Wir haben keine Schaufeln oder Spraydosen dabei, nicht wahr?«,

erklärte Angel. »Und wir haben auch keine Schubkarre. Die haben
Grabräuber doch immer dabei, oder?«

»Abgesehen davon«, fügte Doyle hinzu, »sehen Sie doch mal, wie wir

angezogen sind. Okay, also, wie er angezogen ist. Ist wohl nicht ganz die
richtige Kleidung, um in der Erde zu wühlen.«

Der Mann beäugte sie misstrauisch. »Also gut, was wollen Sie dann

hier?«

»Ich bin Sicherheitsberater«, antwortete Angel. Mit einer langsamen

Bewegung zog er eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie dem
Mann. »Ich wurde ... von der Stadtverwaltung beauftragt, die in letzter
Zeit gehäuft auftretenden Fälle von Leichenraub zu untersuchen.«

Der Mann nahm die Karte und las, was darauf stand. Er runzelte die

Stirn, ließ aber die Pistole sinken. »Und warum haben die mir nicht
gesagt, dass Sie kommen?«

»Das weiß ich auch nicht«, antwortete Angel. »Vielleicht hielt man

eine unangemeldete Inspektion für effektiver.«

Der Mann schnaubte. »So ist das also! Na, ich habe nichts zu

verbergen. Wenn Sie sich umsehen möchten oder eine Frage an mich
haben, nur zu!«

»Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal richtig vorstellen. Ich bin

Angel. Und das ist mein Partner Doyle.« Angel reichte ihm die Hand.

Nach kurzem Zögern schlug er ein. »Ich bin Harold Worthington. Sie

können mich Harry nennen.«

»Okay, Harry«, sagte Angel. »Wir wollen Ihnen nicht im Weg sein. Ist

es in Ordnung, wenn wir Sie einfach eine Weile begleiten?«

»Ich denke schon. Ich habe zwar zu arbeiten und kann nicht die ganze

Nacht den Touristenführer spielen, aber die Gräber, die in jüngster Zeit
verwüstet wurden, kann ich Ihnen zeigen.«

»Das wäre wirklich sehr nett.«
Harry führte sie durch lange Gräberreihen. »Wurde aber auch Zeit,

dass die Stadt mal jemanden schickt, der sich um die Sache kümmert. Ich
erzähle denen schon seit Jahren von den merkwürdigen Vorfällen hier

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draußen und bin noch nie ernst genommen worden. Die halten mich für
einen Spinner.«

»Was für merkwürdige Vorfälle waren das?«, fragte Doyle nervös.
»Frische Gräber wurden verwüstet, Grabsteine umgestürzt; dann waren

da Schleimspuren, die verschwanden, sobald die Sonne daraufschien –
alles Mögliche eben. Ein Teil davon geht bestimmt auf das Konto von
Kids, die hier ihr Unwesen treiben, aber was den Rest angeht, habe ich
meine eigene Theorie.«

»Und was für eine Theorie ist das?«, fragte Angel.
Harry blieb stehen und drehte sich um. Er sah Angel lange an, dann

schüttelte er den Kopf. »Vergessen Sie's! Sie würden mich auch nur für
verrückt erklären. Ich sag Ihnen was: Sie sehen sich um, und dann sagen
Sie mir, was hier los ist.«

Harry setzte seinen Weg fort. Angel verlangsamte sein Tempo und

flüsterte Doyle zu: »Der Typ ist ziemlich clever.«

»Ja, und ich widerrufe meine Aussage, dass der Job nicht gefährlich

ist. Ein Totenwächter auf einem Friedhof in L.A.? Der hat
wahrscheinlich von Dämonen bis hin zu wahnsinnigen Wissenschaftlern
schon alles gesehen ...«

Harry blieb vor einem Grab mit einem neuen Grabstein stehen. Der

Blumenschmuck darauf war noch frisch. Die aufgeworfene Erde wies
eindeutig auf einen Ausbruch hin, und Angel wusste sofort, dass jemand
oder etwas sich kürzlich aus diesem Grab herausgeschaufelt hatte.

»So etwas passiert ein paarmal im Jahr«, erklärte Harry. »Immer

dasselbe. Ein junger Mensch, der eines gewaltsamen Todes gestorben ist
– obwohl manchmal auch von Selbstmord die Rede ist – und erst seit ein
paar Tagen unter der Erde weilt. Eine Woche später sieht das Grab dann
so aus. Was steckt denn Ihrer Meinung nach wohl dahinter?«

»Ähm ... Maulwürfe?«, meinte Angel.
Harry sah ihn an. »Maulwürfe. Genau. Die mit den langen spitzen

Zähnen!«

»Die meisten Menschen wissen nicht, dass Maulwürfe eigentlich

Fleischfresser sind«, sagte Doyle. »Sicher, normalerweise fressen sie
Käfer und so, aber wer von ihnen könnte schon einer großen leckeren
Leiche widerstehen. Das ist doch wie ein unterirdisches Gratis-Buffet.«

»Sie können schon auch gefährlich sein«, warf Angel ein. »Sie greifen

sogar Menschen an. Sie sollten vorsichtig sein, Harry.«

»Nun, das bin ich. Deshalb habe ich ja die hier.« Harry klopfte auf den

Lauf seiner Pistole.

»Das wird vielleicht nicht genügen«, sagte Angel vorsichtig. »Bei...

bestimmten Maulwurfsorten.«

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»Komm schon, Angel«, meinte Doyle. »Ich bin sicher, der Mann weiß

alles über Maulwürfe.«

»Und was schlagen Sie vor?«, fragte Harry. »Für diese spezielle

Sorte?«

»Das kommt drauf an. Manche Gattungen haben eine Aversion gegen

Silber. Bei anderen ist es Holz. Manchmal kann auch so etwas Banales
wie speziell aufbereitetes Wasser helfen.«

Harry studierte Angel eine Weile. Langsam zog ein Lächeln über sein

faltiges Gesicht. »Silber ist teuer, Holz hilft nur in machen Fällen. Und
ich bin zu alt, um literweise Wasser durch die Gegend zu tragen.« Er
griff in die Tasche seines Pullovers und zog eine Patrone heraus. »Die
stelle ich selbst her. Unter den groben Schrot mische ich fein geriebene
Kommunionshostien. Das hilft gegen fast alles.«

»Das ist sehr... einfallsreich«, sagte Angel und lächelte. »Ich sehe, Sie

können auf sich selbst aufpassen.«

»Das tue ich schon seit über sechzig Jahren«, entgegnete Harry. »Dann

wird es wohl auch noch ein wenig länger gut gehen.«

Plötzlich klatschte er sich mit der Hand an den Nacken. »Die Moskitos

haben wieder Hochsaison«, brummte er. »Verdammte Blutsauger...«

Mittlerweile war Harry ein wenig aufgetaut. Er zeigte ihnen noch ein
paar zerstörte Gräber, auch eines, das mit Graffiti vollgeschmiert war,
dann lud er sie zu einem heißen Getränk in sein Häuschen ein. »Mal ein
bisschen die Kälte aus den Knochen vertreiben«, sagte er.

Das Häuschen des Totengräbers stand mitten auf dem Friedhof, ein

kleiner eingeschossiger Bau im spanischen Stil mit roten Tonschindeln
auf dem Dach. Drinnen sah alles ordentlich und sauber aus. Es gab ein
kleines Wohnzimmer mit angrenzender Kochecke und ein kleines
Schlafzimmer. Alte Filmplakate hingen an den Wänden, alles Western:
Höllenfahrt nach Santa Fe, Zwölf Uhr mittags, Shane.

Angel und Doyle setzten sich auf die Couch, während Harry heißen

Kakao machte.

»Das ist aber ein schlimmer blauer Fleck, den Sie da an der Stirn

haben«, bemerkte er an Doyle gewandt.

»Baseballverletzung«, erwiderte Doyle. »Hab einen verirrten Ball

abbekommen. Einen extrem verirrten!«

»Eins zu dreihunderttausend«, sagte Harry.
»Wie bitte?«, meinte Angel.
»So gering ist die Wahrscheinlichkeit, von einem Baseball getroffen zu

werden – bei einem Spiel in der ersten Liga jedenfalls«, erklärte Harry.
»Statistiken sind mein Hobby. Hat damit angefangen, dass ich einfach

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nur neugierig war, aufweiche Art die Leute sterben, und dann ist immer
mehr dazugekommen.«

»Tatsächlich?«, sagte Doyle. Seine Miene hellte sich merklich auf.

»Prognosen und Quoten sind auch mein Zeitvertreib. Zum Beispiel die
Wahrscheinlichkeit, in Kalifornien in der Lotterie zu gewinnen –
vierzehn Millionen zu eins.«

»Die Wahrscheinlichkeit, in einer bestimmten Woche vom Blitz

getroffen zu werden«, entgegnete Harry. »Zwei-hundertfünfzig
Millionen zu eins.«

»Die Wahrscheinlichkeit, beim Würfeln achtundzwanzig Mal in Folge

zu gewinnen«, konterte Doyle. »Vierzig Millionen zu eins. So geschehen
im Desert Inn in Las Vegas im Jahre 1950. Aber der Typ, der mit
Würfeln dran war, hat offenbar seinem eigenen Glück nicht getraut, denn
er wettete sehr konservativ. Ist mit nur siebenhundertfünfzig Mäusen
nach Hause gegangen – obwohl einer von den Marx Brothers am Tisch
saß und achtundzwanzig Riesen kassiert hat.«

»Groucho?«, fragte Angel.
»Nee, Zeppo. Der Typ hatte mehr Glück als Verstand.«
Harry rührte langsam in dem Topf mit heißem Kakao und goss noch

etwas Milch nach. »Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde in den
nächsten fünfzig Jahren von einem Meteoriten zerstört wird, liegt bei
einer Million zweihundertausend zu eins.«

»Einen Royal Flush direkt auf die Hand zu bekommen –

sechshundertneunundvierzigtausendsiebenhundertneunundreißig zu
eins.«

Harry holte die Tassen aus dem Schrank. Vorsichtig schenkte er den

heißen Kakao ein. »Die Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Jahr in
den guten alten USA umgebracht zu werden, liegt bei eins zu
zwölftausend. Die Wahrscheinlichkeit, hier im Laufe eines ganzen
Lebens umgebracht zu werden, bei eins zu neunundneunzig.«

»Jetzt verstehe ich, warum Sie eine Waffe tragen«, sagte Angel.
Harry schmunzelte, als er die Tassen auf ein Tablett stellte. »Ja, in

meinem Alter bin ich sowieso schon fast fällig. Natürlich habe ich den
Statistiken zufolge kein hohes Risiko. Taxifahrer und Kioskbesitzer
laufen am meisten Gefahr, bei der Arbeit umgebracht zu werden, danach
kommen Trucker und Tankstellenwärter. Nun, was sagt das über unsere
Gesellschaft aus, wenn man bei so einer harmlosen Tätigkeit wie
Personenbeförderung oder Verkauf von Junk-Food umgebracht werden
kann?«

»Besonders zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens«, warf Angel

ein. »Friedhofsschicht, sozusagen.«

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Harry nickte nachdenklich, brachte dann die Tassen auf dem Tablett

herüber und reichte sie seinen beiden Gästen. Die letzte nahm er selbst,
bevor er sich in einen Sessel sinken ließ. »Na, wenigstens ist die
Wirtschaftslage stabil. Die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden,
nimmt nämlich zu, wenn der Dollar sinkt. Dann steigt die Zahl der
Mordopfer von achtundfünfzig auf fünfundsechzig Prozent.«

»Das ist allerdings ein mächtiger Trost«, bemerkte Angel.
»Man kann zwar mit Statistiken so ziemlich alles beweisen«, meinte

Harry, »aber man kann sein Leben nicht nach ihnen richten. Irgendetwas
Unerwartetes passiert immer – manchmal sogar etwas Unmögliches.« Er
sah Angel durchdringend an. »Aber ich glaube, das wissen Sie bereits.«

»Ich ... Ich habe schon einige ungewöhnliche Erlebnisse hinter mir«,

räumte Angel ein.

»Hm, hm. Irgendwie halte ich das für eine glatte Untertreibung.«
»Sehen Sie, Harry, ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein. Es besteht die

Möglichkeit, dass Sie in Gefahr sind.«

»Warum? Wegen der Viecher, die da draußen rumkriechen?« Harry

schnaubte. »Die stören mich nicht - und im Großen und Ganzen störe ich
sie auch nicht. Die Stadt bezahlt mich dafür, Gräber zu schaufeln und die
Anlage zu pflegen, und nicht dafür, den Monsterjäger zu spielen.«

»Das Ganze ist etwas komplizierter«, erklärte Doyle. »Sehen Sie, die

Leute, von denen wir glauben, dass sie eine Bedrohung sein können,
gehören zu einer Art...«

»... verschworener Gemeinschaft«, warf Angel ein. »Und Sie wissen

ja, solche Leute sind nicht besonders rational veranlagt. Sie haben Leute
gekidnappt, die etwas mit den vier Elementen zu tun haben: bislang eine
Flugbegleiterin, eine Feuerwehrfrau und einen Rettungsschwimmer.
Soweit wir das beurteilen können, sind Sie der Nächste.«

»Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, Sie arbeiten gar nicht für die

Stadt.« Harry nahm einen Schluck heiße Schokolade.

»Nicht wirklich«, sagte Angel. »Aber wir versuchen, diesem Treiben

ein Ende zu setzen. Ich hoffe, wir dürfen in den nächsten
vierundzwanzig Stunden ein Auge auf Sie haben. Unseren Informationen
zufolge werden sie in dieser Zeit zuschlagen.«

»Und wie haben Sie sich das vorgestellt?«
»Doyle kann hier bei Ihnen bleiben. Ich werde draußen patrouillieren.

Wir bleiben via Handy in Kontakt.«

Harry stellte seine Tasse ab und lehnte sich zurück. Er faltete die

Hände vor dem Bauch und sah Doyle an. »Ich weiß, ich werde es noch
bedauern, aber ich muss Ihnen eine Frage stellen. Ich bin ziemlich sicher,

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wie die Antwort lautet, also versuchen Sie gar nicht erst, mich
anzulügen.«

»Ja?«, fragte Doyle.
»Spielen Sie Gin?«


Harry und Doyle waren im Haus geblieben und hatten begonnen, um
Fünfcentstücke Karten zu spielen, während Angel allein über den
Friedhof streifte.

Er hatte schon viel Zeit auf Friedhöfen zugebracht, damals. Sich auf

ihnen versteckt, seine Opfer dorthin gebracht. Nicht, weil er es musste –
er schlief in einem Bett und nicht im Sarg –, sondern weil es zu dem
Spiel gehörte, weil es seine Opfer noch mehr in Angst versetzte. Seit er
jedoch seine Seele wiedererlangt hatte, mied er Friedhöfe. Sie weckten
zu viele ungute Erinnerungen.

Und dann war Buffy gekommen.
Die Jägerin. Er war geschickt worden, um ihr zu helfen, um auf sie

Acht zu geben. Dabei hatten ihn seine Wege mehr als einmal auf
Friedhöfe geführt - und er war mehr geworden als ihr Verbündeter. Nun
weckte der Gang zwischen den Grabsteinen bittersüße Gefühle und
erinnerte ihn sowohl an bessere als auch an schlechtere Zeiten.

Das Problem war, es gab erheblich mehr schlechte Erinnerungen als

gute.

Er las die Inschriften auf den Grabsteinen, um sich die Zeit zu

vertreiben. ›Geliebter Sohn‹. ›Unser guter Vater‹. ›Viel zu früh von uns
gegangen‹ ›Wir sehen uns im Himmel wieder‹. Angel fragte sich, ob das
auch für ihn und Buffy galt – fanden sie vielleicht im Leben nach dem
Tode zusammen? Oder gab es für seine Seele keine Erlösung?

Vielleicht sterbe ich auch gar nicht, dachte er. Wenn ich mich richtig

ernähre, regelmäßig trainiere und mich von der Sonne fern halte, werde
ich wahrscheinlich noch ... ewig leben. Aber irgendwie konnte ihn dieser
Gedanke nicht so recht aufheitern.

Er ging weiter und las. ›Ruhe in Frieden‹. ›Viel zu jung von uns

gegangen‹ ›Gott rief sie heim zu sich‹.

Frieden. Jung. Heim. Die Worte schienen ihn verspotten zu wollen.
Cordelia hatte Recht; er konnte die Schuldgefühle einfach nicht hinter

sich lassen ... Und vor was für einer Reihe stand er nun? Vor den
Gräbern von kleinen Kindern. Weihnachten war nichts dagegen ...

Er nahm seinen Rundgang wieder auf. Wenn er wirklich Glück hatte,

griff ihn vielleicht irgendeine untote Kreatur der Finsternis an.

Unglücklicherweise schienen sich aber die meisten unheiligen

Horrorgestalten den Abend freigenommen zu haben. Während der

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nächsten Stunden sah Angel nichts außer ein paar Kojoten draußen vor
dem Zaun, die ihn mit wissenden gelben Augen anstarrten und dann in
der Nacht verschwanden.

Sein Handy klingelte. »Doyle?«
»Ja. Harry ist gerade ins Bett gegangen.«
»Ziemlich ruhig hier draußen.«
»Also, hier drinnen steppt auch nicht gerade der Bär. Obwohl es ein

ziemlich teurer Abend war.«

Angel lächelte. »Harry hat dir noch ein paar Tricks in Sachen Gin

beigebracht, nicht wahr?«

»Es war eher eine Art Auffrischungskurs. Die Gebühren hatten

allerdings Profi-Niveau. Ich habe ihn überredet, einen Schuldschein
anzunehmen, den er hoffentlich vergessen wird, wenn wir ihm erst
einmal das Leben gerettet haben. Wir retten ihm doch das Leben, oder?«

»Das garantiere ich dir«, entgegnete Angel grimmig.
»Sag mal, eins hab ich noch nicht richtig kapiert«, sagte Doyle. »Ich

verstehe ja, warum du deine Geschichte vom guten Vampir nicht groß
rumerzählst; und ich verstehe auch, warum du Harry so diskret vor
Vampiren warnst – schließlich willst du nicht gleich für verrückt erklärt
werden. Aber als ziemlich deutlich zu sehen war, dass er begriffen hatte,
was los ist, hast du ihm nichts von den Tremblor erzählt. Warum
eigentlich nicht?«

»Doyle, du und ich, wir leben in einer besonderen Welt. Wir haben mit

Vampiren zu tun, mit Dämonen, Poltergeistern und Hexerei. Buffy
wurde sogar einmal von einem Killerroboter angegriffen. Auch wenn es
uns so vorkommt, sind diese Dinge für andere Leute nicht normal, auch
nicht für Leute, die so etwas vielleicht schon mal gesehen haben.«

Er lehnte sich gegen die Mauer eines Mausoleums. »Die meisten Leute

halten Vampire für einen Mythos. Wenn sie herausfinden, dass es nicht
so ist, müssen sie ihr Weltbild zurechtrücken. Das ist nicht gerade eine
kleine Sache und bringt ihr ganzes Glaubenssystem durcheinander. Man-
che Leute können damit umgehen, andere nicht. Harry kann es
offensichtlich.

Aber wie wir beide wissen, gibt es da draußen außer Vampiren auch

noch andere Kreaturen. Der Sprung von Vampiren zu Werwölfen ist
nicht sehr groß; die meisten Leute werfen sie sowieso in einen Topf.
Aber diese Erkenntnis bliebe dennoch nicht ohne Wirkung – eine Art
Nachbeben, wenn du so willst.

Nun füge noch die Existenz einer speziellen Rasse von Dämonen

hinzu. Ein weiteres Nachbeben. Nimm einen ganzen Haufen

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Dämonenarten hinzu. Jede einzelne würde die Wirkung nur noch
verstärken.«

»Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Früher oder später bricht dann

der ganze Realitätssinn zusammen.«

»Ganz genau. Und ich weiß nicht, wie viele Beben Harry schon erlebt

hat oder was für eine Philosophie er sich zusammengeschustert hat, um
sich die Existenz von Vampiren zu erklären – vielleicht sieht er sie nicht
einmal als übernatürliche Wesen an. Vorhin wusste ich einfach nicht,
wie weit ich gehen konnte. Wenn wir übertrieben hätten, wäre sein
Weltbild ins Wanken geraten – und die häufigste Reaktion darauf ist
Verleugnung. Wenn es dazu gekommen wäre, hätte er sich geweigert,
weiter mit uns zu reden. Das Risiko war mir zu groß.«

»Also hast du ihn mit ein paar halbplausiblen Wahrheiten gefüttert und

ihn sich den Rest selbst zusammenreimen lassen. Und ich habe
angenommen, du wärst einfach nur geheimnisvoll wie immer.«

»Ich? Geheimnisvoll? Niemals!«
»Hey, mir ist gerade was eingefallen! Wenn die Zufuhr von zu vielen

welterschütternden Informationen einem die Orientierung raubt, wie
kommt es dann, dass wir beide noch nicht irgendwo in einer Gummizelle
sitzen?«

»Weißt du was? Diese Frage stelle ich mir jeden Morgen ...«


Emilio Maldonado hatte Fragen. Er fragte Gott, jeden Tag, aber Gott
antwortete nicht. Es schien so, als wolle Gott nicht mit ihm sprechen.

Aber das spielte mittlerweile keine Rolle mehr, denn er hatte jemanden

gefunden, der es wollte.

Emilio Maldonado war Geologe, ein sehr guter dazu. Wenigstens war

er das gewesen – bis zu dem Ereignis. Als das sah er es jedenfalls
mittlerweile an: Das Ereignis. Wie ein Erdbeben, aber in
Großbuchstaben. Die Katastrophe, die sein Leben wie ein billiges Puzzle
zerrissen und die einzelnen Teile in alle Winde verstreut hatte.

Wohl hatte er die einzelnen Teile immer noch vor Augen, aber sie

passten nicht mehr zusammen. Und für sehr lange Zeit hatte das
wichtigste Teil von allen gefehlt.

Aber nun nicht mehr.
Das kleine Apartment, das er bewohnte, lag in der zweiten Etage eines

alten Motels im Plaza-Bezirk, in der Nähe der Olvera Street. Dorthin
ging er manchmal zu Fuß, um sich einen frischen, mit Zucker bestäubten
Churro zu kaufen oder den Mariachis zuzuhören, die vor den Touristen
spielten; beides hatte Hector immer geliebt.

An den meisten Abenden jedoch blieb er zu Hause.

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Scheinwerferlicht fiel durchs Fenster und blinkte über hunderte

Tequila-Flaschen, die an einer Wand aufgebaut waren. Sie standen eine
auf der anderen, vom Boden bis zur Decke, und waren mit Leim
aneinander geklebt. Alle waren leer, bis auf den verschrumpelten toten
Wurm auf einem der Flaschenböden. Emilio selbst hatte sie alle aus-
getrunken.

Abgesehen von den Flaschen war der Raum einfach nur klein und

langweilig. Im Grunde standen dort nur eine verblichene Couch, auf der
Emilio saß, und ein Fernseher, den er gar nicht mehr einschaltete. Er
hatte Besseres mit seiner Zeit zu tun. Und er hatte in der Tat einiges an
Zeit wieder gutzumachen. Deshalb bewahrte er die Tequila-Flaschen auf,
obwohl er das Trinken aufgegeben hatte: als mahnende Erinnerung
daran, wie viel Zeit er verschwendet hatte.

Ursprünglich war die Flaschenwand zu einem anderen Zweck

aufgestellt worden. Die erste Flasche hatte Emilio in der Nacht geleert,
als das Ereignis geschehen war. Als er auf dem Flaschenboden
angekommen war, schien ihm der Anblick des kleinen toten Wurms der
grausamste Witz auf der Welt. Er brachte es nicht über sich, ihn zu
essen, aber wegwerfen konnte er ihn auch nicht. Also hatte er die leere
Flasche ins Regal gestellt, wo er sie jeden Abend sehen konnte, und
jeden Abend fügte er eine weitere hinzu. Mit der Zeit wurde aus der
unkontrollierbaren Gewohnheit eine morbide Faszination: Wie viele Fla-
schen Tequila waren nötig, um einen Mann völlig zu zerstören? Er war
entschlossen, die Antwort auf diese Frage zu finden.

Er hatte damals in einem viel größeren Haus gewohnt, einem viel

schöneren. Nun war dieses Haus nur noch eins von den vielen
Puzzleteilen, getrennt von all den anderen: seiner Frau, seinen
Besitztümern, seinem alten Job. Alles war dahin! Als er sein Haus verlor,
waren die Flaschen das Einzige, was er mitnahm.

Aber das war nun alles egal. Das eine Puzzleteil, das ihm etwas

bedeutete und das er als Erstes verloren hatte, war wieder zu ihm
zurückgekehrt. Nun symbolisierten die Flaschen nicht länger Zerstörung,
sondern Triumph. Er hatte sie besiegt. Er hatte den Tod selbst besiegt.

Er nahm Hectors Foto und strich zärtlich mit dem Finger darüber.

Hector war an einer Pistolenkugel gestorben, als unschuldiger Passant
bei einem Schusswechsel aus vorbeifahrenden Autos. Er war erst zehn
Jahre alt gewesen.

Das Bild war zehn mal fünfzehn groß und steckte in einem billigen

vergoldeten Rahmen. Hector war darauf in seinem Fußballtrikot zu
sehen, ein Fuß auf dem Ball, im Hintergrund eine Parklandschaft. Er sah
aus wie mindestens vierzehn.

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»Hector«, flüsterte Emilio. Er strich über den Rahmen und

konzentrierte sich.

Das Foto wurde lebendig, als wäre ein Bildschirm in dem Rahmen und

kein Hochglanzpapier. Hector lächelte ihn an. »Hallo Papa«, sagte er.
»Schön, dich zu sehen.«

»Ich freue mich auch, dich zu sehen, mein Sohn«, antwortete Emilio.

»Wie war dein Tag?«

»Morgen!«, sagte Harry.

Doyle fuhr auf der Couch in die Höhe. »Ich habe nicht geschlafen, ich

schwöre ... Oh, Sie sind es, Harry. Tut mir Leid.« Doyle gähnte und
streckte sich. »Wie spät ist es denn?«

»Ungefähr 'ne halbe Stunde vor Morgengrauen. Ich fange gern früh

an.« Harry machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. »Ihr Partner
ist immer noch draußen?«

»Ja, er wollte lieber allein los. Aber ich sollte mal nach ihm hören.«

Doyle nahm sein Handy und tippte Angels Nummer ein.

»Doyle? Alles in Ordnung?«
»Prächtig. Harry ist schon auf und steht in den Startlöchern. Sieht so

aus, als wären unsere Freunde nicht aufgekreuzt.«

»Von hier draußen gibt es auch nichts zu berichten. Ich komme

zurück.«

»Alles klar!« Doyle schaltete das Handy aus.
Als Harry den beiden Frühstück anbot, lehnte Angel dankend ab, aber

Doyle griff zu.

»Sie sehen die ganze Zeit auf die Uhr«, bemerkte Harry, als er Angel

eine Tasse Kaffee einschenkte. »Haben Sie so früh schon eine
Verabredung?«

»Ja«, entgegnete Angel. »Eine ziemlich wichtige.« Er warf Doyle, der

gerade seine dritte Scheibe Toast verputzte, einen eindringlichen Blick
zu.

»Was? Ich weiß nicht... ach so! Die Sonnenaufgangs Verabredung.« Er

verschlang den letzten Happen und stand auf. »Dann machen wir uns
wohl besser auf den Weg.«

»Ich werde allein gehen«, sagte Angel. »Doyle bleibt bei Ihnen, wenn

das in Ordnung ist, Harry.«

»Wenn es ihm nichts ausmacht, den ganzen Tag hinter einem alten

Mann herzulaufen.«

»Ist es denn nötig, Angel?«, meint Doyle. »Mir macht es nichts aus,

aber bislang haben diese Brüder doch immer nur nachts zugeschlagen.«

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Angel nahm einen Schluck Kaffee. »Ich möchte kein Risiko

eingehen.«

Doyle zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«
»Ich habe mir den Friedhof in der Nacht ziemlich genau angesehen.

Mein Termin ist erst in ...« – Angel sah auf die Uhr – »zweiundzwanzig
Minuten, da erkläre ich dir noch schnell die möglichen Problemzonen.«

»Alles klar.« Doyle sah zu Harry hinüber, der ins Badezimmer ging.

Als die Tür ins Schloss fiel, beugte sich Doyle vor und raunte Angel zu:
»Problemzonen? Ich dachte, was diese Typen angeht, ist alles, was sich
unter unseren Füßen befindet, eine einzige Problemzone.«

»Ich möchte nur auf alles vorbereitet sein«, sagte Angel. »Wenn die

Tremblor tagsüber angreifen, suchen sie sich bestimmt einen geschützten
Ort zum Auftauchen aus, ein Mausoleum zum Beispiel. Ich will dir nur
zeigen, welche Stellen die wahrscheinlichsten sind.«

Harry kam wieder aus dem Badezimmer. »Okay, jetzt muss ich ein

paar Gräber ausheben. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen laute
Maschinen.«

»Gehen Sie nur vor!«, meinte Doyle.
Der kleine Schaufelbagger stand in einem Schuppen hinter der Hütte.

Harry schloss die Tür auf, aber Angel steckte erst seinen Kopf hinein
und sah sich um, bevor er ihn eintreten ließ. An der Wand hingen
unzählige Gartengeräte, und den Großteil der Stellfläche beanspruchten
ein Aufsitzmäher und ein ramponierter orangefarbener Schaufelbagger.
Der Boden war aus Beton und schien nicht beschädigt. Angel
kontrollierte sogar, ob sich unter den Maschinen Tunnelausgänge
verbargen. »Alles klar!«, sagte er dann.

Harry kletterte auf den Schaufelbagger und ließ beim Starten den

Motor aufheulen. Er fuhr rückwärts aus dem Schuppen, wendete und
zockelte dann in gemächlichem Tempo den Weg hinunter. Seine beiden
Beschützer folgten ihm zu Fuß, wobei Angel Doyle auf die Gruften auf-
merksam machte, die die Tremblor sich möglicherweise zu Nutze
machen würden.

Harry verließ mit seinem Gefährt den Weg und hielt vor einer

rechteckigen Fläche an, die mit einem weißen, zwischen vier Stöcken
gespannten Plastikstreifen markiert war.

Er schaltete herunter und winkte Doyle heran. »Könnten Sie die

Markierung für mich entfernen?«

»Sicher.«
Sobald Doyle das getan hatte, fing Harry an zu arbeiten. Er hob Erde

aus und häufte sie neben dem entstandenen Loch auf. Innerhalb weniger
Minuten hatte er bereits einen Schacht von zwei Metern Tiefe gegraben.

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»Und achte auf das Gebüsch an der Nordwand!«, sagte Angel.
Doyle seufzte. »Ja, ja, ich hab verstanden. Meinst du nicht, du solltest

jetzt abschwirren? Du bist noch ungefähr dreißig Sekunden davon
entfernt, dich in ein knuspriges Grillhähnchen zu verwandeln.«

Angel sah auf die Uhr. »Mir bleibt immer noch eine Minute. Solange

ich es zum Auto schaffe, ist alles in Ordnung.«

Knirsch!
Der Bagger heulte auf und ruckelte. »Zum Teufel!«, rief Harry. Er

stellte den Motor ab und kletterte von seinem Sitz. »Das verdammte
Ding hat sich irgendwo festgebissen.«

Bevor Doyle oder Angel ihn zurückhalten konnten, kletterte er in das

Loch.

»Nein!«, rief Angel und sprang ihm hinterher.
»Was wollen Sie denn hier?«, fragte Harry. Er hockte neben der

Baggerschaufel, die in der Grubenwand klemmte. Erde krümelte von
einem massiven Felsblock, den die Schaufel nicht hatte von der Stelle
bewegen können.

»Ähm ...«, sagte Angel, »ich wollte nur aufpassen, dass Sie sich nicht

verletzen.«

»Ich hab doch schon gesagt, ich kann allein auf mich aufpassen!«
Hinter Harry streckten sich zwei felsige Klauen aus der Erde.
Ohne groß nachzudenken, packte Angel Harry unter den Armen und

beförderte ihn mit Schwung aus dem Grab hinaus in die ersten Strahlen
der aufgehenden Sonne. Aus dem lauten Fluchen zu schließen, das kurz
darauf an Angels Ohren klang, war Harry auf Doyle gelandet.

Der Tremblor tauchte nun ganz aus der Erdwand auf. Hinter ihm

öffnete sich ein langer Tunnel in die Tiefe. Es war der Beben-Dämon,
dem Angel die Spitzhacke in den Kopf getrieben hatte – wenn es bei den
Tremblor mittlerweile nicht Mode geworden war, eine solche zu tragen.

»Tut das nicht weh?«, fragte Angel.
Nicht so sehr wie das hier.
Zwei weitere steinerne Klauen tauchten unter Angel auf, vier andere

hinter ihm. Sie packten ihn an den Fußgelenken, Schultern und Armen.

Als Harry plötzlich aus der Grube geflogen kam, hatte Doyle keine
Chance auszuweichen. Also versuchte er, dem Totengräber die Landung
so angenehm wie möglich zu machen, aber sie gingen beide zu Boden
und purzelten übereinander. Der Aufprall war so hart, dass es ihnen die
Luft aus den Lungen trieb.

Doyle vertrödelte keine Zeit damit, sich von Harry zu befreien. Er

zwängte die Hand in die Manteltasche und holte einen der Gegenstände

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140

heraus, die Angel und er unterwegs zum Friedhof abgeholt hatten. Dann
musste er das verdammte Ding natürlich noch anzünden.

»Angel!«, rief er. »Es kommt!«
Als die Magnesiumfackel in das Loch fiel, wusste Angel, dass er

wieder im Rennen war.

Alle drei Tremblor lockerten gleichzeitig ihren Griff, bedeckten

instinktiv die Augen und füllten Angels Kopf mit stummen
Schmerzensschreien. Natürlich konnte das helle Licht sie nicht zerstören,
das war Angel klar, aber so hatte er wenigstens die Möglichkeit, sich zu
wehren.

Die Pflöcke, die aus seinen Unterarmstulpen in seine Hände sprangen,

waren keine normalen Holzpflöcke. Es waren Werkzeuge aus dem
Bergsteigergepäck, richtige Felshaken mit Diamantspitzen, versehen mit
einer Sprengladung ohne Rückstoß, mit der man sie auch in den här-
testen Felsen treiben konnte. Angel hatte sie bei einem Laden bestellt,
der auf Extremsportarten spezialisiert war, und sie für den persönlichen
Gebrauch noch ein wenig modifiziert.

Er wirbelte herum, schlug den nächsten beiden Beben-Dämonen die

Felshaken in die Brust und aktivierte die Zündung. Mit einem lauten
Schlag wurden sie tief in die Steinkörper hineingetrieben.

Angel warf sich in eine Ecke der Grube und bedeckte seine Augen mit

den Händen. Einen Augenblick später ging die zweite Sprengladung los.

Felsstücke flogen durch die Gegend. Geröll und Erde regneten auf

Angel herab. Alles war voller Staub und Rauch.

Er hob vorsichtig den Kopf. Die beiden Tremblor, denen er die

Sprengladung verpasst hatte, standen noch, aber sie hatten große Krater
in der Brust, und sie bewegten sich nicht mehr.

»Das waren schon mal zwei«, murmelte Angel.
Und zwei standen noch aus.












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141

10



Doyle fühlte sich hin und her gerissen. Einerseits musste er Harry so
weit wie möglich von der Grube wegbringen; andererseits wollte er
Angel nicht allein mit einer unbekannten Anzahl Beben-Dämonen
lassen.

»Doyle!«, rief Angel. »Bring Harry sofort weg!«
Das half bei der Entscheidungsfindung. Doyle zog Harry auf die

Beine und scheuchte ihn von dem frisch ausgehobenen Grab fort.

Wird schon gut gehen, dachte Doyle, während er mit Harry weglief.

Angel konnte schließlich auf sich selbst aufpassen.

Angel jedoch ging es weniger gut.

Er hatte nicht genug Bewegungsfreiheit, die Tremblor waren in der

Überzahl und seine einzigen beiden Waffen waren schon verbraucht. Da
die Sonne mittlerweile aufgegangen war, konnte er nicht einmal
weglaufen. Solange die Magnesiumfackel brannte, hatte er noch eine
kleine Chance, aber damit war es nun auch vorbei, denn die Tremblor,
die ihn von unten gepackt hatten, schnappten sich die Fackel, zogen sie
in die Erde und löschten sie aus.

Angel wurde von dem Dämon mit der Spitzhacke im Schädel

angegriffen.

Den ersten Schlägen wich er aus, aber da begann plötzlich der Boden

unter seinen Füßen zu beben, und er bemerkte, wie der andere Tremblor,
der aus dem Boden der Grube gekommen war, sich mit den Händen
abstützte.

Angel verlor das Gleichgewicht, und der nächste Schlag traf ihn mitten

ins Gesicht. Er stolperte gegen den Arm des Baggers. Ein weiterer
Schlag zwang ihn in die Knie.

Plötzlich war sein Kopf zwischen zwei steinernen Klauen

eingeklemmt. Es flimmerte ihm heftig vor den Augen ... und dann war
alles schwarz.

»Wie lange müssen wir denn hier oben bleiben?«, fragte Harry.

Er stand mit Doyle auf dem Dach seines Häuschens. Doyle war sonst

kein Ort eingefallen, an den die Tremblor sie nicht verfolgen würden.

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142

»Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Irgendetwas ist nicht in Ordnung.

Angel musste sie mittlerweile schon längst erledigt haben. Sie bleiben
jetzt mal hier, und ich gehe runter und checke das Schlachtfeld.«

Er ließ die Aluleiter hinunter, die sie auf das Dach gezogen hatten, und

kletterte nach unten. Er wartete förmlich darauf, dass Hände aus
glänzendem schwarzen Stein aus dem Boden stießen und nach seinen
Füßen schnappten.

Er lief zu dem frisch ausgehobenen Grab. »Angel?«, rief er.
Keine Antwort. Doyle beugte sich vorsichtig vor und spähte in das

Loch.

Es war leer.


»Ähm, Cordelia?«, sagte Doyle in sein Handy, »wir haben ein Problem.«

»Doyle? Weißt du eigentlich, wie früh es ist? Das ist doch hoffentlich

kein Anruf von einem, der die ganze Nacht gesoffen hat und mir sagen
will, wie sehr er mich liebt!«

»Was? Nein, natürlich nicht. Es ist nur, also ...«
»Also was?«
»Ich habe Angel... sozusagen verloren.«
Schweigen in der Leitung.
»Was soll das heißen?«, meinte Cordelia matt. »Du hast Angel

verloren?«

»Vorübergehend aus den Augen verloren, soll das heißen.«
»Warum rufst du mich dann an? Geh und such ihn!«
»Das dürfte relativ schwierig sein. Falls ich nicht jemanden finde, der

besser schaufeln kann als ich.«

»Oh nein!«, stöhnte Cordelia. »Die Tremblor haben ihn?«
»Sieht ganz so aus. Ich war damit beschäftigt, Opfer Nummer vier zu

retten, und als ich zurückkam, war er verschwunden.«

»Was machen wir denn jetzt, Doyle?«
»Mach dir keine Sorgen, Cordy, ich habe einen Plan. Pass auf, ich

fahre jetzt ins Büro. Komm bitte nach, so schnell du kannst«, sagte
Doyle und beendete das Telefonat.

Er wünschte, er hätte auch nur die leiseste Idee, was er nun tun sollte.


Als Angel erwachte, hörte er, wie seine Absätze über den Boden
schleiften. Ihm wurde klar, dass er am Kragen durch einen Tunnel
gezerrt wurde, und das in absoluter Finsternis. Hinter seinen Füßen
vernahm er ein schaufelndes Geräusch, das er nicht recht zu deuten
wusste; nach ein paar Augenblicken kam er jedoch darauf, dass es in sich
zusammenfallende Erde war. Auf ihrem Marsch verschlossen die

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143

Tremblor den Tunnel hinter sich – und Angel hatte keine Ahnung, wie
lange er bewusstlos gewesen war oder wie tief unter der Erdoberfläche er
sich nun befand. Er war ihnen ausgeliefert.

Deine Gedanken sind also wieder aktiv. Gut. Dann kannst du laufen.
Der Tremblor ließ den Kragen los, und Angel fiel zu Boden. Langsam

rappelte er sich auf. »Wohin bringt ihr mich?«

Zum Großen Grund. Er wird über dein Schicksal entscheiden.
»Exakt die Leute, mit denen ich reden wollte. Geh voran!«
Genau das habe ich vor.
Während Angel den schlurfenden Schritten folgte, fiel hinter ihm der

Tunnel zusammen.

Als Cordelia ins Büro kam, war Doyle bereits da. Er stand in Angels
Büro und starrte den Stadtplan an, den Angel an die Wand gehängt hatte.
Noch immer lagen überall Glasscherben verstreut.

»Doyle? Was machst du da?«
»Ich suche nach Inspiration.«
Cordelia warf ihre Tasche auf Angels Schreibtisch. »Hast du nicht

gesagt, du hättest einen Plan?«

»Ja, also, mein Plan war, hierher zu kommen, Angels Notizen

durchzusehen und seinen Plan zu klauen. Aber alles, was ich bisher
gefunden habe, ist diese Karte und ein paar bunte Stecknadeln.«

»Du denkst dir besser schnell was aus! Angel braucht unsere Hilfe!«
»Ich weiß, ich weiß. Okay, tun wir mal so, als wären wir er. Wie

würde er es angehen, jemanden vor einem Haufen Dämonen zu retten?«

»Er würde zuerst ihr Clubhaus suchen.« Cordelia wischte ein paar

Scherben von einem Stuhl und setzte sich.

»Richtig. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass er es Lager nennen

würde.«

»Wie auch immer! Dann würde er sich was großes Scharfes schnappen

und sie in Stücke hacken. Ganz einfach!«

Doyle rieb sich die Schläfen. »Gehen wir noch mal einen Schritt

zurück, ja? Zuerst finden wir den Club, ähm, das Lager.«

»Okay, und wie?«
»Also, wir wissen, es befindet sich unter der Erde. Das ist schon mal

ein Anfang. Und ... und wir kennen die anderen Orte, an denen die
Tremblor zugeschlagen haben.« Doyle zeigte auf die Karte. »Guck, die
Pins hier!«

»Super.«
Beide betrachteten nachdenklich den Stadtplan.
»Und was jetzt?«, fragte Cordelia.

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144

»Darf ich mal kurz nachdenken?« Doyle starrte angestrengt auf die

Karte. Angel hatte ein Dreieck gezeichnet, das drei Punkte miteinander
verband: das Feuerwehrhaus, die Rettungsschwimmer-Station und die
Wohnung der Flugbegleiterin. Nun gab es noch einen weiteren Punkt,
weiter auf der rechten Seite: den Friedhof. Er passte irgendwie nicht zu
den anderen. Doyle versuchte, den Punkt mit den anderen zu verbinden,
aber heraus kam nur ein schiefes Viereck.

»Warte!«, rief Cordelia aufgeregt. »Du verbindest sie nicht richtig!

Sieh mal!« Sie nahm sich einen Stift von Angels Schreibtisch und zog
eine Linie zwischen zwei Punkten, dann zwei weitere Linien, die von
dem ersten Punkt abgingen. Heraus kam ein perfekter Pfeil.

»Da!«, sagte Cordelia triumphierend. »Da ist das Lager!«
»Cordy, glaubst du wirklich, dass Dämonen ihre Verbrechen an Orten

begehen, die auf ihr geheimes Hauptquartier hinweisen? Mit einem
Pfeil?«

»Es war deine Idee, Doyle.«
»Ja, aber... Ich habe nach etwas gesucht, das ein bisschen mystischer

ist, weißt du? Nicht gleich ein Autobahnschild ...«

Cordelia zuckte mit den Schultern. »Okay, was für eine Form ergibt

sich denn deiner Meinung nach?«

»Ich weiß nicht.« Doyle runzelte die Stirn. »Es ist dieser eine Punkt,

der alles durcheinander bringt. Es ist fast so, als fehle noch ein Punkt...«

Doyle nahm einen Pin und steckte ihn rechts neben das Dreieck,

gegenüber dem vierten Punkt. Er betrachtete sein Werk eine Weile, dann
grinste er und nahm Cordy den Stift aus der Hand.

Er verband die fünf Punkte miteinander, ohne den Stift auch nur ein

einziges Mal abzusetzen. Als er fertig war, hatte er einen fünfzackigen
Stern gezeichnet, ein Pentagramm.

»Da wird Bruce Wayne blass vor Neid!«


Durch seine zweihundertvierzig Jahre ohne Tageslicht war Angel zwar
mit einer überdurchschnittlichen Nachtsicht gesegnet, aber er war
dennoch froh, als er endlich einen schwachen orangefarbenen
Lichtschein weiter vorn im Tunnel ausmachte.

Der Tunnel weitete sich schon bald zu einer niedrigen Höhle. Sie

wirkte nicht natürlich, eher künstlich angelegt. Die Wände bestanden aus
zerklüfteten Felsen und fester Erde. Merkwürdig geformte Steinsäulen
standen in gleichmäßigen Abständen um einen Krater mit niedrigem
Rand. Der orangefarbene Lichtschein kam aus eben diesem Krater; die
geschmolzene Gesteinsmasse in seinem Innern strahlte sowohl Licht als
auch intensive Hitze aus.

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145

Baasalt. Du bist wieder da. Die Stimme, die in Angels Kopf hallte,

war tief und klangvoll. Aber das ist nicht das von uns benötigte vierte
Opfer!

»Das stimmt«, sagte Angel. Nun sah er, dass die Säulen in

Wirklichkeit Tremblor waren, die oben und unten mit den Felsen
verwachsen waren. Die Konturen ihrer Körper und Gesichter waren
kaum zu erkennen. »Ihr habt einen Fehler gemacht! Ich bin gar kein
Totengräber.«

Nein, du bist ein Vampir, dachte Baasalt. Stimmt doch, oder?
»Also, ja ...«
Du hast den Geruch von jemandem, der viel Zeit unter der

Erdoberfläche verbringt.

»Tagsüber bewege ich mich in Tunneln fort, aber...«
Warst du schon einmal tot und begraben?
»Aber nur drei Tage ...«
Das reicht aus. Du wirst uns genügen.
Baasalt.
Nun sprach ein anderer Geist; Angel vermutete, es war eine

der Säulen. Es hat noch keinen vergleichbaren Vorfall gegeben. Der
Vierte ist das Gegengewicht zu den anderen drei Opfern: Eins bietet dem
Feuer die Stirn, eins dem Wasser und eins der Leere. Dazu gehört einer,
der die Erde pflegt. Aber du hast einen Krieger mitgebracht, keinen
Pfleger.

Er ist eine Kreatur der Erde, Großer Batholith, widersprach Baasalt.

Das reicht für das Ritual aus.

Aber was für eine Art Tremblor mag aus vier Kriegern geboren

werden

1

?

Eine neue Art. Eine, der es nicht genügen wird, sich im Körper der

Welt zu verstecken und Rätsel zu lösen. Eine, die neue
Herausforderungen sucht. Ein neues Territorium.

Es entstand eine lange Pause.
»Anscheinend«, ließ Angel verlauten, »gibt es Meinungs-

verschiedenheiten hinsichtlich meiner Verwendbarkeit. In einer so
kritischen Situation wie dieser solltet ihr eher auf Nummer sicher gehen.
Und ein Opfer bin ich sowieso nicht.«

Er sprang auf Baasalt zu und griff nach der Spitzhacke, die aus seinem

Kopf ragte. Mit aller Kraft zog er sie heraus.

!!!!!!!!Baasalts telepathischer Schrei durchfuhr Angels Kopf wie ein

Blitz. Benommen ließ er die Spitzhacke fallen und ging in die Knie.

Baasalt, dachte der Batholith. Funktionierst du noch?
Ich ... habe überlebt, war Baasalts Antwort. Leider kann ich dasselbe

nicht von den beiden Krieger-Priestern sagen, denen dieser hier ein

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146

Ende gesetzt hat. Ihre Zerstörung soll nicht vergeblich gewesen sein.

Du hast zwei Krieger-Priester erschlagen

1

? Trotz seines benebelten

Hirns erkannte Angel, dass diese Frage an ihn gerichtet war.

»Ich habe euer so genanntes viertes Opfer verteidigt«, brachte er

hervor. »Und ich werde ebenso wenig zulassen, dass ihr die drei anderen
tötet.«

Er ist immerhin ein Beschützer, grübelte der Batholith. Zwar kein

Pfleger... aber du hast Recht, Baasalt. Er wird unseren Zwecken
genügen. Bring ihn zu den anderen.

Der oberste Krieger-Priester zog Angel auf die Beine und schleppte

ihn fort.

»Bist du sicher, dass es funktioniert?«, fragte Cordelia wohl schon zum
fünften Mal.

Doyle seufzte. Sie waren auf der Autobahn unterwegs zu dem

APPLETREE-Wohnblock. »Zum letzten Mal, Cordy: Ich weiß es nicht.
Aber es hat doch Hand und Fuß, oder?«

»Es scheint mir nur so ... albern.« Cordelia zuckte mit den Schultern.
»Na ja, genauso albern wie der Trick, sich die Untoten mit einem

Gewürz für Pastasauce vom Leib zu halten – und das funktioniert doch
auch ganz prächtig.«

»Was ist eigentlich mit dem, was Angel erzählt hat? Dass die

Serpentiner ihm gegenüber ihre Verbindung zu Wolfram und Hart nicht
erwähnt haben?«

»Das macht mir auch Sorgen«, räumte Doyle ein. »Aber wir schaffen

es einfach nicht allein.«

Mit verquollenen Augen und leicht zerzaustem Haar empfing Calvin

die beiden an der Tür. »Es tut mir Leid, ich bin noch nicht ganz wach«,
sagte er entschuldigend und ließ sie herein. »Kommen Sie mit nach
unten, ich habe gerade einen jamaikanischen Blue Mountain aufgesetzt.«

In Calvins Wohnung angekommen, erklärte Doyle die Situation. »Und

ich glaube, ich weiß, wie wir diese Typen erledigen können, aber dazu
brauche ich Ihre Hilfe.«

»Was immer Sie brauchen, es gehört Ihnen«, entgegnete Calvin.
»Ich hoffte, Sie würden so was sagen. Und ich habe gehört, Sie haben

Verbindungen zu ein paar Studios ...«

Sie steckten Angel in eine kleine Höhle und verschlossen den Eingang
mit einem Felsbrocken. Es war stockdunkel.

»Sind Sie Arzt?«, fragte eine Frauenstimme.
»Nein, aber ich bin ein Freund«, antwortete Angel.

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147

Eine kleine Flamme glomm in der Finsternis auf. Sie kam von einem

Feuerzeug, das eine stämmige dunkelhäutige Frau – ganz in Jeans
gekleidet – in seine Richtung hielt. Sie trug stoppelkurzes Haar und
hockte neben dem Rettungsschwimmer, den Angel nicht hatte retten
können. Der Mann lehnte mit dem Rücken an der Wand. Seine Augen
waren glasig, und ein Stück Metall steckte in seiner Halsbeuge.

Angel kam näher. »Ist er...«
»Er lebt noch«, sagte die Frau. »Womit auch immer sie uns gedopt

haben, es hat anscheinend seinen Stoffwechsel verlangsamt. Ich habe die
Blutung gestillt, aber das Metall kann ich nicht herausreißen, sonst fängt
die Wunde wieder an zu bluten. Ich habe ein paar medizinische
Kenntnisse, aber die reichen nicht für einen chirurgischen Eingriff in
einer Höhle aus.«

»Ich bin Angel«, stellte er sich vor und kniete sich hin, um sich den

Verletzten genauer anzusehen.

»Fisca. Wie kommt es, dass Sie nicht bis über beide Ohren unter

Drogen stehen? Als ich hierher kam, dachte ich, ich wäre wieder in
Minneapolis, im Haus meiner Großmutter. Ich habe mich an den
Geschmack ihrer Haferplätzchen erinnert und alles.«

»Ich bevorzuge die altmodische Version und habe mich lieber k.o.

schlagen lassen.«

Sie grinste kurz, aber ihre Augen waren voller Angst. »Warum sind

wir hier? Was wollen die von uns?«

»Ist sonst noch jemand hier?«, fragte Angel.
»Ja, da ist eine Frau in der anderen Ecke. Ihrer Uniform nach arbeitet

sie entweder als Flugbegleiterin oder strippendes Glückwunsch-
telegramm. Auf ihrem Namensschild steht Sarah. Sie ist immer noch
völlig daneben – hat von einem Sommercamp und Pyjama-Partys
erzählt. Zum Glück hat sie irgendwann aufgehört, sonst hätte ich sie glatt
erwürgt.«

»Machen Sie besser das Licht aus«, sagte Angel. »Wir müssen es für

später aufsparen, wenn wir es wirklich brauchen.«

Fisca klappte das Feuerzeug zu, und schon waren sie wieder in

Finsternis gehüllt.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Angel. »Ich hole uns alle hier

heraus.«

Er wünschte, er wäre innerlich nur halb so überzeugt, wie er klang.


Baasalt wusste nicht, was er tun sollte.

Seit die Spitzhacke aus seinem Kopf gerissen worden war, stand er

unter Schock. Er funktionierte vollkommen mechanisch und erledigte die

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148

Dinge, die von ihm erwartet wurden. Er konnte nicht an mehr denken als
an die nächsten paar Minuten.

Alle seine Ideen waren verschwunden.
Nun, das stimmte nicht ganz. Die Ideen waren immer noch da, er

konnte sich an sie erinnern – aber sie waren eben nur noch Erinnerungen,
ihrer Vitalität beraubt, ihrer Energie. Sie waren keine Visionen mehr.

Baasalt zog sich in die Nische zurück, die er Zuhause nannte. Es war

nur eine kleine, leere Höhle, denn die Tremblor hatten praktisch keine
Besitztümer, außer vielleicht ein paar Edelsteinen, die wegen ihrer
geologischen Perfektion bewundert wurden. Er selbst hatte nie viel dafür
übrig gehabt. Und Geräumigkeit war natürlich etwas ziemlich
Abstoßendes für einen Tremblor.

Er überlegte, ob er sich die Spitzhacke einfach aus der großen Höhle

holen sollte. Aber dann würde er seine Handlung vor dem Rat erklären
müssen – und während das vor einer Stunde noch kein Problem gewesen
wäre, schien es nun undenkbar. Was sollte er sagen? Wie konnte er sich
rechtfertigen?

Aber er musste etwas tun.
Und wenn er jemand anderen schickte, sie zu holen?
Er übermittelte seine Gedanken. Feldspaar, ich brauche deine Hilfe.
Ja, Baasalt'?
Geh zum Großen Grund. Hol das Werkzeug, das ich dort gelassen

habe, und bring es mir!

Was soll ich dem Großen Grund sagen?
Sag ihnen, ich hätte dir meine Gründe nicht mitgeteilt.
Baasalt – bist du in Ordnung? Ich spüre wieder eine Veränderung

deiner Gedanken.

Mir geht es gut. Tu, was ich dir sage!
Ja, oberster Krieger-Priester.
Während er wartete, verschloss Baasalt seinen Geist und meditierte.

Nach einer Weile spürte er, wie der Große Grund seine Gedanken
erforschen wollte, aber er beschloss, es zu ignorieren. Er wusste, als
oberster Krieger-Priester wurde seine Privatsphäre auch vom Rat
respektiert.

Schließlich kam Feldspaar in seine Nische. Er hatte die Spitzhacke

dabei. Baasalt nahm sie dankbar entgegen und befahl Feldspaar zu
gehen. Er musste allein sein.

Er hielt das Werkzeug in beiden Händen und studierte es aufmerksam.

Dass so ein einfaches Ding solche Veränderungen hervorrufen konnte ...
Er strich mit seinen kantigen Fingern über den Holzgriff und sah, wie der

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149

Metallkopf daran befestigt war. Er klopfte mit einer felsigen Kralle
gegen den gehärteten Stahl und lauschte dem Klang.

Schließlich hob er die Hacke ehrfurchtsvoll über den Kopf.
Und bemerkte, dass er an seinen Hinterkopf nicht richtig herankam.


»Cindy! Cindy! Sieh nur, was ich habe!«

Die Stimme kam von der Frau in der Ecke. »Na prima«, murmelte

Fisca. »Jetzt geht das wieder los ...«

Angel tastete sich in der Finsternis bis in die Ecke vor.
»Hallo?«, sagte er. Wie war noch ihr Name gewesen? Fisca hatte ihn

doch gerade genannt. »Sarah? Können Sie mich hören?«

»Natürlich kann ich das, Dummi. Du stehst ja direkt vor mir. Kannst

du das sehen?«

»Ja, sicher«, entgegnete Angel. »Was ist das?«
»Die Kreditkarte von meiner Mom. Lass uns shoppen gehen!«
»Sarah, hören Sie! Das ist nicht die Wirklichkeit! Sie müssen sich

konzentrieren ...«

»Hör mal, ich mach später die Hausaufgaben, okay? In Geschichte bin

ich sowieso gut. Los komm, wir gehen ins Einkaufszentrum.«

Angel seufzte. Vielleicht hörte sie ja auf ihn, wenn er mitspielte. »Also

gut«, sagte er.

»Super! Ich habe da ein wahnsinniges Kleid gesehen -es wird dir

großartig stehen!«

»Ähm, ganz bestimmt.«
Angel schüttelte in der Finsternis den Kopf. Viel verrückter konnte es

nicht mehr werden.

Steck es in meinen Kopf!,
wies Baasalt Feldspaar an.

Früher einmal hätte Feldspaar die Klugheit einer solchen Handlung

bezweifelt. Inzwischen aber hatte er die Tatsache akzeptiert, dass
Baasalts Weisheit ungewöhnlich war, neu, und somit unkonventionell.
Er tat wie ihm befohlen und schlug die Spitzhacke wieder in die Spalte,
in der sie zuvor gesteckt hatte.

Ein großer Ruck ging durch Baasalts Nerven, und sein Kopf war

einmal mehr gefüllt mit exotischen Visionen und Ideen. Seine
Erleichterung war so groß, dass sogar Feldspaar sie noch spürte.

Großes Herz der Welt, dachte Feldspaar. Welch wunderbare Freude ...
Ja, Ja! Genau das brauche ich ...
Baasalt warf jubelnd seine Arme in die Höhe und den Kopf in den

Nacken.

Da schlug der Griff der Spitzhacke gegen die Wand

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150

hinter ihm und die Spitze wurde noch viel tiefer in sein Gehirn gestoßen.

Das Bewusstsein des obersten Krieger-Priesters explodierte.


»Neeeeiiin!«, schrie Sarah.

Angel, Fisca und der Rettungsschwimmer schrien mit ihr.
Angel hatte den Eindruck, eine Handgranate explodiere mitten in

seinem Schädel. Es fühlte sich an, als kratze ein riesiger Fingernagel, der
an seinem Kopf wuchs, über eine riesige Tafel. Als wären alle Neuronen,
die er hatte, gleichzeitig gesprengt worden.

»Und das«, glaubte er Cordelia sagen zu hören, »auf ziemlich ungute

Weise.«

Und dann war er plötzlich irgendwo anders.


Angel fand sich in einem Einkaufszentrum wieder.

»Oookay«, sagte er langsam und sah sich vorsichtig um.
Es war kein gewöhnliches Einkaufszentrum. Das Dach über seinem

Kopf war zum Beispiel aus Felsengestein, von dem Stalaktiten wie graue
Eiszapfen herabhingen. Die Leute verhielten sich ganz normal, aber sie
waren gekleidet wie vor zwanzig Jahren. Normalerweise maß Angel der
Mode nicht allzu viel Aufmerksamkeit bei – zweieinhalb Jahrhunderte
wechselnder Trends hatten ihm gezeigt, dass man mit Schwarz als
Basisfarbe nichts falsch machen konnte –, aber was diese Leute hier
trugen, war irgendwie übertrieben. Die Kragen schienen ein wenig zu
weit, die Krawatten ein wenig zu schmal. Es gab viele Neonfarben.
Grelles Pink, Neongrün, Kobaldblau. Die Realität durch einen Miami
Vice-
Filter betrachtet.

Ein jugendliches Abbild von Sarah lehnte an der Wand neben ihm und

rieb sich die Stirn. Sie war blond und hübsch, wenngleich schlaksig wie
ein junges Fohlen, eine typische Vierzehnjährige eben.

»Wow, was für ein Gedränge!«, sagte sie.
Angel sah an sich hinunter und war halbwegs darauf gefasst, sich auch

in ein pubertierendes Mädchen verwandelt zu haben. Zum Glück
erblickte er nur seinen obligatorischen schwarzen Trenchcoat. »Sarah,
wo sind wir?«

Sarah kicherte. »Wir sind im Einkaufszentrum, Dummi. Los komm,

stürmen wir die Läden!« Sie packte ihn am Arm.

Angel ließ sich durch die Menschenmenge führen. Die Geschäfte

zeigten eine seltsame Mischung aus Normalität und Surrealismus:
Dunkle Höhlenöffnungen zwängten sich zwischen Kleidergeschäften
und Plattenläden.

»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte Angel.

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»Sieh nur!«, rief Sarah. »Schuhe!« Und schon zog sie ihn in den

Laden.

Vor einer Wand voller Pumps stand eine Frau mit langem dunklem

Haar. Sie drehte sich um, als die beiden hereinkamen.

»Hallo Angel!«, sagte Cordelia strahlend.
»Cordelia? Was machst du denn hier?«
»Das musst du mir sagen – es ist ja dein Unterbewusstsein.« Sie sah an

sich hinunter. »Oh, und danke, dass du mich dir nicht nackt vorgestellt
hast. Oder blutverschmiert.«

»Gern geschehen«, entgegnete Angel. Er sah zu Sarah hinüber, die

bereits eifrig Schuhe anprobierte. »In meinem Unterbewusstsein gibt es
ein Schuhgeschäft?«

Cordelia sah ihn genervt an. »Nun, offensichtlich nicht nur in deinem

Unterbewusstsein! Ich meine, sie ist auch hier, oder?«

»Warte mal! Bevor ich plötzlich hier gelandet bin, ist etwas geschehen.

Eine Art Explosion in meinem Kopf...« Angel schüttelte den Kopf.
»Warum fällt es mir so schwer zu denken?«

»Tja, mein Junge, du hast wohl einen in der Krone«, sagte eine wohl

bekannte Stimme hinter ihm.

Angel drehte sich um. Da lehnte Doyle an einem Regal; er trug grüne

Jeans, grüne Sneakers und ein grünes T-Shirt, auf dem stand: KÜSS
MICH! ICH BIN EIN IRISCHER DÄMON! In der Hand hielt er eine
grüne Whiskeyflasche mit einem großen Kleeblatt auf dem Etikett.
Kleine grüne Hörner sprossen auf seiner Stirn. »Schöne Sache, sich den
Verstand zu versaufen«, sagte Doyle und nahm einen Schluck aus der
Flasche. »Kommt natürlich drauf an, wem er gehört.«

»Wem er gehört...«, murmelte Angel. »Diese Szene existiert nicht nur

in meinem Kopf, sondern auch in Sarahs. Etwas ist geschehen, das uns
miteinander verbunden hat.«

»Nun, also ...«, meinte Cordelia.
»Die Tremblor kommunizieren telepathisch«, sagte Angel. Er hatte das

Gefühl, wieder etwas klarer denken zu können. »Es muss an ihnen
liegen.«

»Darauf trinke ich einen«, sagte Doyle fröhlich und setzte die Flasche

an.

»Die Höhlen!«, rief Angel. »Wenn ihr beiden aus meinem

Unterbewusstsein stammt und das Einkaufszentrum aus Sarahs, dann
müssen die Höhlen aus den Gedanken der Tremblor stammen.«

»Wie auch immer«, sagte Cordelia mit einem Schulterzucken. Sie

nahm ein Paar hochhackige Schuhe aus dem Regal und betrachtete sie.
»Was meint ihr? Zu viele Riemchen?«

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Angel ging aus dem Laden und ließ Sarah, Doyle und Cordelia zurück.

Doyle winkte ihm mit der Whiskeyflasche hinterher, die anderen beiden
jedoch schien sein Verschwinden nicht zu kümmern.

Er schlenderte durch die Menschenmenge und überprüfte die

Höhleneingänge. Sie sahen alle ziemlich gleich aus. Aber da erblickte er
etwas, das ihn zur Salzsäule erstarren ließ.

Das Geschäft war geschlossen, die Fenster dunkel, ein Sicherheitsgitter

vor der Tür. Hinter der Glasscheibe erkannte Angel die Silhouetten von
Schaufensterpuppen.

Auf dem Schild über der Tür stand ANGELUS FA-SHIONS.
Angel trat näher. Er konnte Licht weiter hinten im Laden erkennen.

Als er noch dichter an das Fenster ging, flackerte das Licht und schien
heller zu werden; wie eine gerade angezündete Kerze.

Er griff an das Türgitter. Es war aus Schmiedeeisen und nicht aus dem

üblichen lackierten Stahl, wie er häufig in Geschäftseingängen
verwendet wurde.

Das Tor ging bei der Berührung mit einem lauten Klicken auf. Die

verrosteten Scharniere quietschten, als es zur Seite schwang.

Angel griff an den Türknauf und blieb stehen. Er wusste, er sollte den

Laden nicht betreten, aber er konnte nicht anders. Etwas zog an ihm,
immer stärker. Er konnte nicht widerstehen.

Er öffnete die Tür und trat hinein.
Alles war mit einer dünnen Staubschicht bedeckt. Er hinterließ

Fußspuren, die so deutlich waren, als liefe er über den Mond; Sand
knirschte unter seinen Sohlen. Ein schwerer dunkelroter, fast schwarz
anmutender Samtvorhang hing an der Wand; ein antikes Cembalo stand
in der Ecke. Wachspuppen in Gehröcken und langen Roben waren hier
und dort aufgestellt, ihre maskenhaften Gesichter erstarrt in Grauen. Sie
kamen ihm alle irgendwie bekannt vor – und da wusste Angel auch
schon, woher: Es waren alles Leute, die er getötet hatte.

Das flackernde Licht drang durch einen dünnen Stoffvorhang, der vor

einer Tür hinter der Theke hing. Als Angel darauf zuging, stieg
schreckliche Angst in ihm auf. Er wusste, er hätte sich umdrehen und
weglaufen sollen. Aber er tat es nicht.

Hinter dem Vorhang stieg das Licht von Hüft- auf Brusthöhe. Jemand

hatte offenbar eine Lampe vom Tisch genommen. Eine Hand erschien
am Vorhang und schob ihn zur Seite.

Angelus grinste ihn an mit dem Mund voller spitzer Vampirzähne.
»Na endlich, ein Kunde! Ich dachte schon, es käme nie einer. Aber im

Geschäftsleben ist bekanntlich alles eine Frage des Standorts.« Der

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irische Akzent, der längst nicht so stark war wie der von Doyle, gab
seiner Stimme einen fröhlichen Klang.

Angel hatte einen völlig ausgetrockneten Mund. »Du bist nicht echt«,

sagte er.

Angelus kicherte. Er trug einen schwarzen Gehrock mit einem Hauch

weißer Spitze am Hals und an den Manschetten und hielt eine Öllampe
in der Hand. »Ich bin genauso echt wie du, Liam. Was glaubst du, wo ich
bin, wenn du gerade an der Reihe bist und ich nicht? Ich bin hier,
weggeschlossen in deinem Kopf! Ich sehe alles, was du siehst; höre
alles, was du hörst; kenne alles, was du kennst. Alles ... und jeden.«

Angelus hängte die Lampe an einen Haken neben der Tür, kam um die

Theke herum und blieb vor Angel stehen. »Du magst mich vielleicht für
machtlos halten, aber ich habe mehr Einfluss auf dich, als du glaubst. Ich
bin zwar eingesperrt, aber ich bin geduldig. Und ich bin ziemlich sicher,
dass meine Zeit bald wieder kommen wird.«

Plötzlich wurde das schmiedeeiserne Tor wie von magischer Hand

geschlossen.

»Ja sicher, meine Zeit kommt vielleicht schon viel eher, als du je für

möglich gehalten hättest...«





















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»Nur einer von uns beiden wird durch diese Tür gehen«, sagte Angelus.
»Und das wirst nicht du sein.«

Angel ging in Kampfbereitschaft, aber Angelus lachte nur. »Glaubst

du, wir regeln das mit den Fäusten? Wenn das so einfach wäre, hätte ich
mich schon vor langer Zeit zu befreien versucht. Nein, nein, mein Junge,
das ist eine ganz andere Schlacht, die hier geschlagen wird.«

Er trat zu einer der Wachsfiguren. Es war eine junge Frau in einem

einfachen Bauernkleid mit weißem Häubchen und weißer Schürze.
Augen und Mund waren in nacktem Entsetzen weit aufgerissen. »Willst
du nicht mit mir ein wenig über die Straße der Erinnerung schlendern?
Ach, die süße Annabelle ... Erinnerst du dich noch an sie, Liam?«

»Als ob du das nicht wüsstest«, entgegnete Angel grimmig.
»Dann wollen wir mal sehen, wie gut du dich erinnerst.« Angelus

strich der Wachsfigur mit dem Finger über die Wange.

Aus Wachs wurde Fleisch. Augenblicklich schrie die Frau schrill auf.

Sie sank kraftlos zu Boden und hielt flehend die Hände in die Höhe.
»Bitte«, schluchzte sie, »bitte, bitte, oh bitte ...«

»Das reicht!«, fuhr Angel auf.
»Damals warst du aber anderer Meinung«, entgegnete Angelus

grinsend. »Ich glaube sogar, du hattest erst drei Stunden später den
Sättigungs-Punkt erreicht. Aber ich glaube, es ist wirklich nicht nötig,
das Ganze noch mal durchzugehen – nicht, wo so viele andere
wunderbare Leckerbissen auf uns warten.«

»Das wird nicht funktionieren«, sagte Angel. »Denn ich habe diese

Dinge nicht getan. Das warst du!«

»Wirklich? Aber du erinnerst dich doch daran, sie getan zu haben,

nicht wahr? Du erinnerst dich an die Schreie, das Flehen und die
Angebote, die sie dir gemacht haben, wenn du nur aufhörtest. Die
kostbarsten Dinge haben sie dir erst gegen Ende angeboten, das waren
die wahrhaftigsten, die am tiefsten empfundenen. Und zu diesem
Zeitpunkt wünschten sie nichts weiter, als nur noch zu sterben ...«

»Hör auf!«
»Du erinnerst dich doch noch an den Geruch! Und an den Geschmack!

Und am besten erinnerst du dich daran, was es für ein Gefühl war. Du
weißt nur zu gut, wie sehr es dir gefallen hat.«

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»Nein«, flüsterte Angel. Plötzlich bekam er weiche Knie und musste

sich mit der Hand an der Theke abstützen.

»Ich muss mich für den Zustand des Ladens entschuldigen, aber es ist

manchmal gar nicht so einfach, auf dem neusten Stand zu bleiben. Er
griff nach einem samtenen Seilzug, der von der Decke hing. »Ich weiß,
es sieht nicht nach viel aus, aber das hier ist nur der Ausstellungsraum.
Komm, ich will dir auch noch das Lager zeigen!« Er zog an dem Seil,
und der Samtvorhang am anderen Ende des Ladens teilte sich.

Dahinter verbarg sich ein Raum in der Größe einer Scheune. Darin

standen, hockten oder knieten hunderte von Wachsfiguren in den
unterschiedlichsten Posen; in ihren Gesichtern spiegelten sich alle
Regungen von aufkeimender Angst bis zu besinnungsloser Panik.

»Wie du siehst«, sagte Angelus, »habe ich eine ganz stattliche

Sammlung, um die ich mich kümmern muss. Ich will mich gar nicht
beschweren - immerhin sind einige unserer schönsten Momente hier
versammelt.«

Angel musste augenblicklich von hier verschwinden, sonst war es zu

spät. Er spürte bereits, wie ihn seine Kräfte verließen.

»Ich habe über diesen Zigeunerfluch nachgedacht«, sagte Angelus.

»Der hält mich schließlich hier. Aber wenn du jetzt auch hier bleibst,
werden sich die Regeln wohl ein wenig ändern. Im Moment ist alles ein
wenig durcheinander geraten: die Tremblor, die Opfer, du und ich. Was
immer geschehen ist, es hat das Bewusstsein aller in ein und demselben
Netz gefangen. Ein einfacher irischer Junge wie ich hat natürlich nicht so
viel Ahnung von Gedankenlesen und dem ganzen Hokuspokus, aber ich
weiß, dass diese Zelle hier nur für einen geschaffen ist. Und einer von
uns muss hier bleiben – darauf kommt es an. Da du so freundlich warst,
hier angetanzt zu kommen, habe ich nun eine ganz ordentliche Chance,
an deiner Stelle wieder rauszutanzen. Ist doch einen Versuch wert,
findest du nicht?«

»Niemals!«, knurrte Angel, aber es lag ein Hauch Verzweiflung in

seiner Stimme, denn Angelus stand nun zwischen ihm und der Tür.

Er kam auf Angel zu und baute sich dicht vor ihm auf. »Du glaubst, du

kannst mich hindern? Ich bin zwar ein Gefangener, aber nach hundert
Jahren kenne ich meinen Käfig viel besser, als du ihn je kennen wirst. Er
ist voller Dinge, die mir Kraft geben und dich schwächen, und je länger
du hier bist, desto schwächer wirst du. Weißt du, das ist eben deine fatale
Schwachstelle: Du belastest dich mit unnützen Schuldgefühlen. Ich
hingegen ...«

Er packte Angel mit beiden Händen am Revers. »Ich verspüre nur

Befriedigung.«

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Mit einem heftigen Stoß schleuderte er Angel in die Luft. Er segelte

über die reglosen Figuren hinweg und stürzte zwischen ihnen zu Boden.

Er war zwar sofort wieder auf den Beinen, aber bevor er auch nur

etwas tun konnte, klatschte Angelus in die Hände.

Plötzlich erwachten alle Figuren ringsumher zu neuem Leben.
Aber das war eigentlich gar nicht möglich. Schließlich konnte sich

Angel nur zu gut daran erinnern, jeden und jede einzelne umgebracht zu
haben ...

Angelus ging lachend zur Tür.


Als die stählerne Spitzhacke in Baasalts Gehirn stieß, drang sie in das
telepathische Zentrum der Hirnrinde ein. Die immense Schockwelle, die
sein Bewusstsein durchfuhr, übertrug sich rasend schnell auf alle anderen
Tremblor.

Die meisten von ihnen verfielen in einen regelrechten Schockzustand,

denn sie waren nicht an plötzliche Sinneseindrücke gewöhnt. Fluchtartig
versuchten sie, sich in sich selbst zurückzuziehen, aber es gelang ihnen
nicht. Manche waren richtiggehend betäubt von dem jähen mentalen
Einschlag.

Und im Zentrum des übernatürlichen Malstroms feierte der oberste

Krieger-Priester sein zweites Erscheinungsfest.

Diesmal war es anders als bei den Ausbrüchen der geistigen Erhellung,

die er bisher erlebt hatte. Baasalt erfuhr nicht so sehr eine Explosion von
Gedanken und Ideen, sondern hatte vielmehr das Gefühl, sein eigenes
Bewusstsein dehne sich aus. Es breitete sich über das ganze
übersinnliche Netz aus, mit dem jeder Tremblor verbunden war.
Allerdings nutzten sie ihre telepathischen Fähigkeiten kaum zur
Kommunikation in der Gruppe. Wenn mehr als drei oder vier Geister
miteinander sprachen, entstand ein chaotischer Wirrwarr, der nur schwer
zu verstehen war. Der Große Grund gab manchmal Erklärungen an alle
Tremblor gleichzeitig ab, und alle paar Jahrhunderte fanden mentale
Wettkämpfe statt, aber Äußerungen wurden immer nur in eine Richtung
gemacht, und die Wettbewerbe unterlagen sehr strengen Regeln.

Baasalt stand nun aber mit allen seinen Artgenossen gleichzeitig in

Kontakt. Obwohl die anderen große Angst hatten und unter Schock
standen, konnte er spüren, dass nun jeder Tremblor ein Teil von ihm
selbst war und dass sie gemeinsam unschlagbar waren.

Diese Überzeugung sickerte langsam in das Bewusstsein seiner Leute.

Sie beruhigten sich, da sie nun einen konkreten Gedanken hatten, auf den
sie sich konzentrieren konnten. Der Auslöser des Aufruhrs wurde zum
Erlöser.

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Zu ihrem Erlöser.


Angelus wollte gerade die Tür öffnen, da bekam er einen Schlag in den
Rücken. Er stieß mit dem Gesicht durch das Türglas in das dahinter
befindliche Stahlgitter. Einen Augenblick später wurde er wieder
zurückgerissen und stürzte in die auf dem Boden verstreuten
Glasscherben.

Er sah auf in Angels grimmiges Gesicht. »Ich geh dir mal 'nen kleinen

Tipp«, sagte Angel. »Wenn du schon eine Armee von Toten auf
jemanden ansetzt, dann such keine Leute aus, die sich vor demjenigen
fürchten, auf den du es abgesehen hast.«

Angelus sah sich in dem Lagerraum um. Alle Opfer kauerten in den

Ecken und zitterten vor Furcht. »Na gut«, sagte er vergnügt. »Der
altmodische Ansatz gefällt mir sowieso besser.«

Er stürzte sich auf Angel, stieß ihm die Schulter in den Magen und

drängte ihn rückwärts gegen die Theke. Angel zog sein Knie hoch und
rammte es dem Widersacher in den Bauch, packte ihn dann an den
Haaren und schlug seinen Kopf auf die Theke – einmal, zweimal,
dreimal.

Angelus befreite sich aus Angels Griff und verpasste ihm einen

Roundhouse-Kick gegen den Kiefer. Angel stolperte rückwärts, parierte
den nächsten Schlag und schlug selbst erneut zu.

Und so ging es endlos weiter, Auge in Auge. Treten, schlagen,

blocken. Schlagen, blocken, treten. Der Laden um sie herum versank in
graue Vergessenheit, und die Welt bestand nur noch aus Angriff und
Gegenangriff.

Angel wurde klar, dass er und Angelus sich viel zu sehr glichen.

Dieser Kampf würde noch endlos so weitergehen, wenn sich nicht etwas
änderte. Wie er am Gesichtsausdruck seines Gegenüber erkannte, war
dieser zu demselben Schluss gelangt.

»Das macht wirklich Spaß«, sagte Angelus, während sie miteinander

rangen. »Wie du weißt, habe ich im vergangenen Jahrhundert oft davon
geträumt, dir das Hirn weich zu prügeln, aber ich glaube, unser Tanz ist
zu Ende.« Er ließ abrupt von Angel ab, und die Umrisse des Ladens tra-
ten schlagartig wieder klar hervor. »Zeit für eine nette Kleinigkeit, die
ich noch in Reserve habe.«

»Was es auch ist, ich kann mit allem umgehen«, knurrte Angel.
»Tatsächlich? Nun, es geht um ein Stück Geschichte, das dir in letzter

Zeit zu schaffen macht, mein Junge. Ich glaube, das wird den Ausschlag
geben. – Komm heraus, meine Liebe!«

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Und aus der Tür hinter der Theke trat Maria. Sie sah genauso aus wie

damals, als Angel sie zuletzt gesehen hatte: im Jahre 1755 im Keller der
eingestürzten Kirche.

»Nein«, flüsterte Angel.


Ja!
Das dachte jeder einzelne Tremblor. Sie waren zu einem einzigen
Ansinnen vereint. Und dieses Ansinnen entsprang dem Willen des
obersten Krieger-Priesters.

Nein. Ein vereinzelter Ruf des Widerspruchs. Nicht alle Tremblor

waren also dafür. Baasalt richtete seine Aufmerksamkeit auf den, der
widersprochen hatte, und fand heraus, dass es eigentlich sechs Wesen
waren, die sprachen, als wären sie eins. Der Große Grund.

Schließt euch uns an!, dachte Baasalt. Schließt euch uns an und ich

werde unsere Rasse zu neuer Größe führen.

Nein! Hinter dem Gedanken steckte ein starker Wille. Diese Einheit ist

eine Illusion. Du zwingst deine Wünsche doch nur anderen auf, die
schwächer sind als du.

Deren Wille ist nun auch erstarkt. Ich gebe ihnen lediglich meine

Kraft, meine Visionen. Wir haben alle denselben Wunsch.

Was ihr wollt, ist der reine Wahnsinn. Wir waren bereit, über dein

exzentrisches Wesen hinwegzusehen, bis du deine Aufgaben bei der
Seelenvernichtung erfüllt hast – aber wir sehen nun, dass wir nicht
länger warten können.

Baasalt spürte, wie sich etwas im Bewusstsein des Großen Grunds

aufbaute, eine riesige Konzentration mentaler Energie.

Was tut ihr?, fragte er.
Wir stellen das Gleichgewicht wieder her.


Maria war natürlich nicht allein. Da war auch noch der tote Junge, der
ihr vor den Bauch geschnürt war.

Sie schlurfte in einer grotesken Nachahmung von Tanzschritten

vorwärts, und mit ihren Beinen bewegten sich auch die des Jungen.
Angelus hatte den beiden die Kleider vom Leib gerissen, bevor er sie
Bein an Bein, Bauch an Bauch zusammengebunden hatte, so dass Maria
das tote, nackte Fleisch des Jungen an ihrem ganzen Körper spürte.
Angel hatte ihr die Finger gebrochen, damit sie die Knoten im Seil nicht
lösen konnte. Er hatte ein Henkerseil an einem Balken befestigt und die
Schlinge um den Hals der Leiche gelegt: So waren die beiden aufrecht
stehen geblieben. Nun baumelte dem Toten das Seil über die Schulter
wie einem betrunkenen Büroangestellten die Krawatte.

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Maria wankte vorwärts, und mit ihren blutigen Lippen versuchte sie

Worte zu formen. Was natürlich nicht ging, denn Angel hatte ihr
seinerzeit die Zunge herausgerissen, damit sie nicht nach Hilfe schreien
konnte.

»Eines deiner besten Werke«, bemerkte Angelus. »Und du hast sie

nicht mal getötet, nur ein paar Kerzen angezündet und den Keller wieder
zugemacht. Du hast sie dort zurückgelassen, und während die Kerzen
herunterbrannten, wiegte sie sich weiter mit ihrem schweigenden Partner
hin und her und starrte in seine leeren Augen. Deine letzten Worte
hallten ihr noch in den Ohren. Du hattest ihr gezeigt, wie clever das Seil
verschnürt war. Sie musste nur die Schlinge vom Hals des Jungen lösen,
um das ganze Seil abzuwickeln und sich selbst zu befreien. Natürlich
war das Seil viel zu dick, um es durchzunagen – und bevor sein Kopf
verrottete, wäre sie längst verdurstet oder verhungert. Also blieb ihr nur
eine unerfreuliche Wahl. Sie konnte entweder an einen Toten gefesselt in
der Finsternis sterben oder sich vorbeugen und den ersten, fleischigen
Biss nehmen ...«

»Ich erinnere mich«, sagte Angel tonlos. Er hatte das Gefühl, jeder

einzelne Muskel seines Körpers verkrampfe sich. Im nächsten
Augenblick würde Angelus bestimmt zur Tür laufen, ohne dass er ihn
daran hindern konnte ...

»Hey, hat der Laden hier auf?«, kam plötzlich Sarahs Stimme von der

Tür.

Angel reagierte ohne nachzudenken und rettete damit sich und Sarah

das Leben. Er schubste Maria gegen Angelus und hechtete in Sarahs
Richtung. Im hohen Bogen flogen sie beide aus dem Laden. Hinter ihnen
fiel die Tür ins Schloss.

»Was hast du eigentlich für 'n Schaden?«, fragte Sarah sauer.
»Im Augenblick hauptsächlich Selbsthass ...«


Der Große Grund strahlte eine starke Energie aus; es war ein mentaler
Angriff direkt auf Baasalt. Blitze zuckten durch seinen Schädel. Ein
riesiges Gewitter folterte sein Gehirn mit Höllenqualen und schoss durch
das gesamte übersinnliche Netz, das Baasalt aufgebaut hatte. Es wurde
mit einem Schlag zerstört.

Baasalt war wieder allein. Nein, dachte er. NEIN! Er versuchte, sein

Bewusstsein erneut auszubreiten und die allumfassende Verbindung zu
den anderen wieder herzustellen.

Aber er wurde zurückgestoßen. Was ihren Bedarf an Neuem und

Merkwürdigem anging, waren die Tremblor bedient. Nach dem

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blitzartigen Schmerz, den sie alle verspürt hatten, wollte keiner mehr
etwas mit dem obersten Krieger-Priester zu tun haben.

Nicht so der Große Grund.
Du wirst dich für deine Taten verantworten, dachte der Batholith.
Wir werden sehen, antwortete Baasalt und verschloss sich weiteren

Botschaften.

Baasalt?, dachte Feldspaar. Aber Baasalt verließ seine Nische und

schlich an seinem früheren Kameraden vorbei, ohne zu antworten. Er
war nicht mehr der oberste Krieger-Priester, das wusste er.

Er war nun ein Ketzer – und auf der Flucht.


In Angels Kopf zuckte ein Blitz, und er befand sich wieder in seinem
steinernen Gefängnis.

Wenigstens vermutete er das, denn er war erneut in absolute Finsternis

gehüllt. Eine Sekunde später flackerte zur Bestätigung Fiscas Feuerzeug
auf.

»Wow!«, rief sie mit zittriger Stimme. »Was war das denn?«
»Sie haben es auch erlebt?«, fragte Angel. »Was haben Sie gesehen?«
»Ich war in einer Art Einkaufszentrum. Alle Geschäfte hatten etwas

mit meinem Leben zu tun - da war sogar ein Laden, in dem es alle
Kleider zu kaufen gab, die ich je besessen habe, von Kinderklamotten bis
zu meinem neuen Sport-BH. Es war bizarr.«

»Kann man wohl sagen«, murmelte Angel.
»Ohhh«, stöhnte Sarah. »Was ... Wo bin ich? Was ist los?«
»Sieht so aus, als käme sie zu sich«, sagte Fisca. »Der Typ ist immer

noch total fertig.«

»Sarah?«, sagte Angel. »Ich bin ein Freund. Hören Sie mir ganz genau

zu ...« Angel erklärte ihr die Situation so gut wie möglich. Er tat so, als
seien die Tremblor eine Gruppe Kultisten, die sich mit merkwürdigen
Kostümen verkleideten und ihre Opfer unter Drogen setzten.

Als er fertig war, fragte Sarah: »Was werden sie mit uns machen?«
»Gar nichts«, sagte Angel matt. »Denn ich werde es nicht zulassen,

und ich habe Partner, die wissen, wo ich bin. Machen Sie sich keine
Sorgen, es ist bereits Hilfe unterwegs ...«

Ihr habt den Vampir gefangen

1

?, dachte Rome. Was für eine angenehme

Überraschung!

Ich dachte mir, dass dich das freut, antwortete Baasalt. Bei unseren

früheren Begegnungen habe ich den Eindruck gewonnen, du hättest
schon mit ihm zu tun gehabt.

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Nicht direkt. Jedenfalls liegen seine Interessen in ständigem Konflikt

mit denen meiner Arbeitgeber. Es würde sie sehr freuen, wenn ich den
Beweis seines Todes liefern könnte.

Vielleicht möchtest du bei dem Ritual dabei sein?
Bei der Seelenvernichtung? Ich dachte, Außenstehende dürften das

nicht?

Ich bin der oberste Krieger-Priester. Ich kann den Großen Grund

sicherlich überreden, eine Ausnahme zu machen. Aber dafür musst du
mir einen Gefallen tun.

Als Baasalt ihm erklärte, was er brauchte, grinste Rome nur in sich

hinein und versprach ihm, das Gewünschte zu besorgen.

Baasalt hatte einen Plan.

Nach dem Verlassen seines Stammes hatte er sich an einen Punkt ganz

dicht unter der Oberfläche der Welt gegraben und den Tunnel hinter sich
wieder zusammenfallen lassen. Er befürchtete zwar nicht, von einem
Abgesandten des Großen Grund verfolgt zu werden, aber er wollte
sichergehen, dass er allein blieb.

Normalerweise waren die Tremblor im gesamten Körper der Welt

verteilt, aber im Laufe des vergangenen Jahres hatten sie sich mit der
Zeit alle unter Los Angeles versammelt. Die Seelenvernichtung war eine
der wenigen Gelegenheiten, bei denen alle Tremblor körperlich zu-
sammentrafen, in Anwesenheit des Großen Grund. Das war der Moment,
in dem Baasalt zuschlagen wollte.

Er durfte es nicht riskieren, vorher mit den anderen Krieger-Priestern

Kontakt aufzunehmen. Er konnte nur darauf hoffen, dass sich genug von
ihnen hinter ihn stellen und ihm Handlungsfreiheit geben würden, wenn
der Moment gekommen war. Feldspaar und Maarl zählten mit großer
Wahrscheinlichkeit zu seinen Verbündeten; davon ging er aus – aber
sicher war er sich seiner Sache nicht.

Allein in seinem selbst auferlegten Exil lief ihm angesichts der

köstlichen chaotischen Unvorhersehbarkeit der Ereignisse ein Schauer
der Erregung über den Rücken ...

»Glauben Sie wirklich, es wird funktionieren?«, fragte Galvin.

»Das muss es«, entgegnete Doyle.
Sie waren in Calvins Apartment. Die zerstörten Möbel und Gemälde

waren bereits entfernt worden, und es diente nun als Vorbereitungsraum
für eine Invasion. Kanthölzer zum Stützen der Tunnelwände lehnten an
einer Wand, und Schaufeln, Eimer und Schutzhelme wurden in großen
Mengen ausgepackt. Der Tunneleingang, den die Tremblor hinterlassen

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hatten, war nun hell erleuchtet, denn geschäftige Serpentiner hatten
bereits Stromleitungen hineingelegt und ein Belüftungssystem installiert.

»Wow«, rief Cordelia aus und zog einen Overall aus einer Kiste. »Ich

wusste ja gar nicht, dass es von Armani auch Arbeitskleidung gibt!«

»Was ist mit der anderen Sache?«, fragte Doyle nervös.
»Ist unterwegs«, versicherte ihm Galvin. »Ich hoffe, wir kriegen das

Ding in den Tunnel, aber Sie scheinen ja zu wissen, was Sie tun.«

»Oh, ich bin praktisch ein Experte«, sagte Doyle. Ich habe The Great

Escape schon fünfmal gesehen!«

»Hoffentlich müssen wir nicht so viel schaufeln«, sagte Galvin.

»Wenn Sie Recht haben, lassen die Tremblor vielleicht tatsächlich nur
kurze Teile der Tunnel einstürzen, damit sie nicht so viel Arbeit haben,
falls sie noch mal wiederkommen möchten.«

»Und bei den vielen Vorbereitungen für das Ritual denken sie

bestimmt nicht daran, Wachen aufzustellen«, fügte Doyle hinzu. »Sie
erwarten uns doch gar nicht da unten in ihrem eigenen Revier.«

»Ich weiß nicht, Galvin«, sagte Maureen und kam zu ihm herüber.

»Wir sind keine Soldaten. Was, wenn es nicht funktioniert? Wenn sie
beschließen zurückzuschlagen? Was, wenn ... Was, wenn ...« Sie war
den Tränen nahe.

»Aber wir müssen etwas unternehmen«, entgegnete Galvin sanft und

legte ihr einen Arm um die Schulter. »Im Moment glauben die Tremblor
doch, sie könnten uns jederzeit angreifen. Wir müssen ihnen zeigen, dass
sie sich irren. Nicht aus Wut oder verletztem Stolz heraus, sondern weil
es einfach eine Frage des Überlebens ist. Komm schon, Maureen, du bist
eine knallharte Geschäftsfrau, du weißt, wie das läuft! Wenn wir jetzt
nicht ein bisschen Rückgrat zeigen, nehmen sie sich uns morgen zum
Frühstück vor.«

Maureen lächelte ihn unsicher an und wischte sich die Tränen aus dem

Gesicht. »Ich weiß, ich weiß. Aber es ist nicht einfach, knallhart zu sein,
wenn man sich um die Kinder Sorgen macht.«

»Nur mit der Ruhe«, sagte Cordelia. »Wir haben ja immer noch Angel.

Er wird es schaffen, ob er nun in Gefangenschaft ist oder nicht. Er
schafft es immer. Ich wette, er brütet bereits einen absolut brillanten Plan
zu seiner Befreiung aus ...«

»Hast du vielleicht Dreier?«, fragte Angel.

»Kein Quartett in Aussicht«, entgegnete Fisca.
Angel seufzte. »Es wäre wirklich viel einfacher, wenn wir Karten

hätten.«

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»Wozu? Wir könnten sie ja doch nicht sehen. Und übrigens hast du

damit angefangen.«

»Sie haben uns noch nichts zu essen gegeben. Das ist ein schlechtes

Zeichen«, sagte Sarah. Ihre Stimme klang ruhig, fast distanziert. »Das
wurde uns in der Ausbildung bei der Fluggesellschaft beigebracht. Wenn
man als Geisel kein Essen bekommt, dann haben sie vor, einen umzu-
bringen.«

»Immer schön langsam«, sagte Angel. »Hier wird niemand

umgebracht.«

»Sei nicht so überheblich!«, entgegnete Sarah. »Ich bin weder

hysterisch, noch stehe ich unter Schock. Ich gehöre zwar keiner
Sondereinsatztruppe an, aber ich habe gelernt, wie man sich in
Ausnahmesituationen zu verhalten hat. Und das hier ist definitiv eine.«

»Es tut mir Leid«, sagte Angel. »Ich war mir nicht sicher, wie du mit

der Situation zurechtkommst. Als wir uns das letzte Mal unterhielten,
hast du mich für ein vierzehnjähriges Mädchen gehalten.«

»Wie geht es unserem Kollegen da hinten?«, fragte Sarah.
»Er atmet noch«, antwortete Fisca. »Aber er braucht einen Arzt - und

zwar schnell.«

Rome wartete in einem Abwasserkanal auf Baasalt. Er trug eine
erstklassige Bergsteigermontur, nagelneu von der Gore-Tex-Jacke bis zu
den teuren Wanderstiefeln, und saß auf einer wasserdichten Kiste. Mit
seinem knochigen Körper wirkte er wie eine Art unterirdischer Storch.
Er rauchte eine Zigarette und betrachtete die schmutzige Brühe, die an
ihm vorbeifloss.

Ein paar Meter neben ihm fing plötzlich eine Betonmauer erst an zu

summen, dann zu vibrieren. Mit einem Mal wurde sie durchstoßen, und
es regnete Betonbrocken.

Baasalt erschien in der Öffnung. Rome, hast du mitgebracht, worum

ich dich bat?

»Alles hier drin«, sagte Rome und klopfte auf die Kiste.
Der Tremblor platschte durch das Wasser auf Rome zu und blieb vor

ihm stehen. Der hagere Mann sprang von der Kiste, öffnete den Deckel
und zeigte dem Beben-Dämon, was er mitgebracht hatte.

Baasalt besah sich schweigend den Inhalt. Gut, dachte er schließlich,

verschloss sorgsam die Kiste und klemmte sie sich unter den Arm.
Komm mit!

Baasalt ging zurück zu dem Durchbruch, den er geschaffen hatte.

Rome folgte ihm.

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Stundenlang hatten sie über einem Plan gegrübelt. Aber das Beste, was
bisher dabei herausgekommen war, war lediglich die Idee, wegen des im
Sterben liegenden Rettungsschwimmers medizinische Hilfe zu
verlangen. Angel war ziemlich sicher, dass die Tremblor lebendige
Opfer für die Zeremonie brauchten. Also schrien und riefen sie mit dem
Ergebnis, dass sie nach einer Stunde heiser waren, ohne dass sonst
irgendetwas geschehen wäre. Und der Felsblock, der den Höhleneingang
versperrte, war selbst für Angel zu groß und schwer.

Da saßen sie also nun in der Finsternis, und jeder hing seinen eigenen

Gedanken nach. Zum Sprechen waren sie viel zu heiser.

Angels Gedanken kehrten immer wieder zu Maria zurück.
Wie oft hatte er sich schon gewünscht, sich völlig von Angelus' Taten

lösen zu können! Sagen zu können: Hier bin ich mit meinen Taten, und
das war er mit seinen Taten. Aber das konnte er nicht, denn es entsprach
nicht ganz der Wahrheit. Im Grunde erinnerte er sich gut daran, Angelus
gewesen zu sein. Er hatte jedes einzelne Detail glasklar vor Augen.

Und was am schlimmsten war: Er erinnerte sich auch daran, welches

Vergnügen es ihm bereitet hatte. Genau wie Angelus gesagt hatte.

Und er erinnerte sich daran, was er Maria angetan hatte ... Er war auch

noch stolz darauf gewesen. Darla hatte ihn ein Genie genannt, und sie
vertrieben sich später noch oft die Zeit damit zu raten, welche Wahl
Maria schließlich getroffen hatte – ob sie versucht hatte, das Seil
durchzunagen oder ob sie einfach aufgegeben und auf den Tod gewartet
hatte; darauf, dass Durst und Hunger immer quälender wurden. Und die
Ratten kamen.

Und ob ihre Entscheidung sie in den Wahnsinn getrieben hatte.
Angelus war nie wieder zu der Kirche zurückgekehrt, um es zu

überprüfen. Rasch hatten ihn andere Zerstreuungen in Anspruch
genommen. Soviel er wusste, hatte Maria überlebt. Ihr Martyrium hatte
sie sogar gestärkt, und ihr war ein langes Leben beschert gewesen.

Manchmal war er fast bereit, das zu glauben. Nicht aber in diesem

Augenblick. Hundert Jahre lang hatte er sich selbst gestraft und sich in
ein Leben aus Einsamkeit und Dreck zurückgezogen. Das Einzige, was
ihn vom Selbstmord abgehalten hatte, war die Schuld selbst gewesen.
Denn der Tod wäre einer Flucht gleichgekommen – er verdiente es
jedoch zu leiden.

Die schwarze Grube der Verzweiflung klaffte immer noch in seinem

Innern und gab ihm das Gefühl, für alle Ewigkeit auf einem Seil zu
balancieren, das über diese Grube gespannt war. Allerdings hatte er nun
etwas gefunden, das ihm Halt und Gleichgewicht gab.

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Er half anderen. Einerseits wuchs dadurch die Last auf seinen

Schultern nur noch mehr, andererseits aber hatte er mit dieser Aufgabe
einen Grund gefunden, weiterzumachen und nicht von dem Seil in die
Grube zu springen. Ein Teil von Angel glaubte wahrhaftig, er gehöre in
eine Höhle tief in der Erde vergraben – dagegen aber sprach, dass Sarah,
Fisca und der Rettungsschwimmer dieses Schicksal nicht verdienten.

Sie durften nicht sterben – allein in der Finsternis. Sie sollten nicht vor

eine letzte, grausame Wahl gestellt werden.

Selbst wenn Angel für sie würde sterben müssen.


Rome folgte Baasalt fast eine ganze Stunde lang und leuchtete dabei mit
seiner Taschenlampe diskret auf den Boden, um nicht den Halt zu
verlieren.

Ich bin überrascht, dass du mein Angebot angenommen hast, dachte

Baasalt.

»Dafür habe ich sehr gute Gründe«, antwortete Rome laut mit seiner

kratzigen Stimme. »Dieser Vampir hat sich schon oft in die Geschäfte
unserer Firma eingemischt, und die Seniorpartner werden demjenigen,
der dem ein Ende setzt, sehr gewogen sein.«

Aber du bist gar nicht derjenige, der dein ein Ende setzt, wies ihn

Baasalt zurecht.

»Vielleicht nicht direkt... aber letztendlich bin ich verantwortlich. Und

was eigentlich viel wichtiger ist: Ich bin derjenige, der den Beweis für
den Tod des Vampirs liefert. In meiner Welt zieht man häufig den
Überbringer einer schlechten Nachricht für dieselbe zur Verantwortung -
und ich kann dir versichern, im Falle einer guten Nachricht ist das
genauso.«

Aha. Ich glaube, ich verstehe. Nachrichten sind Informationen, die zu

einer Veränderung führen. Dieser Begriff beschäftigt auch meine Leute
sehr.

»Und wie reagieren sie darauf?«
Das wird sich noch herausstellen.
Plötzlich blieb Baasalt stehen. Für Rome sah es so aus, als lausche der

Beben-Dämon in die Finsternis; er selbst hörte jedoch nichts. Wenn
Baasalt gerade mit seinen Leuten kommunizierte, dann auf einer
Frequenz, die Rome nicht empfangen konnte.

»Baasalt?«, fragte er.
Aber Baasalt hob nur die Hand und bedeutete Rome abzuwarten.
Als eine volle Minute verstrichen war, bewegte er sich wieder

vorwärts. Seine Gedanken blieben sonderbar still.

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Angel sprang sofort auf, als er hörte, wie der Felsblock zur Seite
geschoben wurde. Ein schwacher Lichtstrahl drang durch den schmalen
Spalt.

»Wer ist da?«, fragte Angel.
»Mein Name ist Rome«, sagte jemand mit rauer Stimme. »Ich

bezweifle, dass du mich kennst.«

Angel schnupperte. »Vielleicht nicht, aber ich kenne den Geruch.

Typischer Anwalt-Geruch mit einem Hauch Schwefel. Ich würde sagen,
du arbeitest für Wolfram und Hart.«

Rome kicherte krächzend. »Sehr gut - aber das ist schließlich dein

Beruf. Wenigstens war er das bis dato.«

»Wolfram und Hart?«, keuchte Sarah. »Aber... Aber die haben mich

doch letztes Jahr in einem Prozess verteidigt!«

»So ist es, Miss Clark. Haben Sie unsere Vereinbarung vergessen?«
»Was für eine Vereinbarung?«, fragte Sarah. »Mein Anwalt hat nur

gesagt, ich könnte der Firma möglicherweise irgendwann von Nutzen
sein, aber ich dachte ... Oh.«

»Sie dachten, wir wollten Ihre Fähigkeiten als Schmugglerin nutzen«,

sagte Rome und fing an zu husten. »Entschuldigung – das liegt an dem
Staub hier.« Er räusperte sich und fuhr fort. »Da wir auf so clevere
Weise einen Freispruch erwirkt haben – wo Sie doch unleugbar im
Besitz einer beachtlichen Menge Kokain waren –, dachten Sie, wir
würden ihre Dienste auf ähnliche Weise in Anspruch nehmen. Leider ist
das nicht der Fall.«

»Ich kenne diesen Blutsauger«, knurrte Fisca. Das Licht fiel auf ihr

Gesicht, und sie blinzelte.

»Hallo Louise«, sagte Rome. »Ja, auch an Sie erinnere ich mich noch

gut. Eine Frau, die ihren Ex-Lover verbrannt hat, vergisst man nicht so
leicht. Sie sind eigentlich die Einzige, die ich schon persönlich kennen
gelernt habe; die anderen sind mir nur aus den Akten bekannt.«

Das Licht bewegte sich wieder und verharrte auf dem eingefallenen

Gesicht des Rettungsschwimmers. »Wie ich sehe, geht es Mister Norden
nicht so gut. Sollte er das Bewusstsein wiedererlangen, bevor er stirbt,
dann fragen Sie ihn, ob er dieses lästige kleine Problem mit den Serien-
vergewaltigungen mittlerweile im Griff hat.«

Einen Augenblick lang herrschte angespanntes Schweigen.
»Warum bist du hier?«, fragte Angel. »Hast du den weiten Weg nur

gemacht, um dich an unserem Anblick zu weiden?«

»Ja.«
»Oh.«

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»Eigentlich bin ich gekommen, um dir Einzelheiten meines bösen

Plans zu verraten, Angel – um all die Puzzleteile zu ergänzen, die dir
noch fehlen. Den Grund für diese ganze Intrige, die Machenschaften
hinter den Kulissen, all die schwere Arbeit, die ich in die Sache gesteckt
habe, ohne dass je meine Genialität bewundert wurde. Außer von
meinem wackeren Gegner natürlich. Da ihr bald getötet werdet, sehe ich
keinen Grund, warum ich meine Pläne – Entschuldigung ...« Er fing
wieder zu husten an, krümmte sich und spuckte aus.

»Dieser Staub legt sich mir wirklich auf die Stimmbänder«, sagte er.

»Na ja, ist ja auch egal. Schönen Tod noch!«

Der Felsbrocken rückte wieder an seinen Platz, und der Lichtstrahl

versiegte.

»Ich glaube, ich mag den Typen nicht«, sagte Angel.




























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12



Wozu war das gut?, dachte Baasalt, als er mit Rome weiterging.

»Ich verabscheue Selbstgerechtigkeit. Ich wollte, dass er sich vor

seinem Tod überlegt, ob das alles der Mühe wert war, oder ob er sein
Leben weggeworfen hat in dem Versuch, denen zu helfen, die es nicht
verdienen. Ich möchte, dass er sich das Hirn darüber zermartert...«

Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als zwei Tremblor aus

einem Seitentunnel auftauchten. Diesmal konnte Rome ihre Gedanken
verstehen.

Baasalt, der Große Grund verlangt deine Anwesenheit.
Selbstverständlich. Ich bin schon unterwegs.
Warum hast du einen Oberflächenbewohner mitgebracht'?

Diese Frage beantworte ich, wenn der Große Grund sie stellt.
Wie du willst.
Die Tremblor bezogen rechts und links von Rome und Baasalt

Stellung. Zu viert gingen sie weiter.

Endlich kamen sie zu der großen Höhle. Der Lavatümpel in der Mitte

der Steinsäulen glühte in einem höllischen Orangerot, und die Luft im
Raum flimmerte vor Hitze.

Die beiden Tremblor, die Rome und Baasalt begleitet hatten, postierten

sich an der Tunnelöffnung. Baasalt trat mit Rome vor die erste und
größte der Säulen und stellte die Holzkiste ab, die er mitgebracht hatte.

Großer Batholith!, begann er. Ich bin hier, um euch um Vergebung zu

bitten.

Vergebung? Hast du deshalb einen Oberflächenbewohner hierher

gebracht, an unseren heiligen Ort?

Dies ist kein gewöhnlicher Oberflächenbewohner. Er ist der

Repräsentant unserer Verbündeten auf der Oberfläche der Welt, ohne
die wir uns die vier Opfer nicht hätten beschaffen können.

Wir verstehen. Und der Grund für seine Anwesenheit?
Er möchte dem Ganzen als Beobachter beiwohnen. Einer von den

vieren ist sein Feind und Zeuge seiner Zerstörung zu werden würde
ihm großes Vergnügen bereiten.

Du bist nicht in der Position, einen Gefallen zu erbitten, Baasalt. Du

bist uns eine Reihe von Antworten schuldig.

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Hier sind die Antworten, die ihr verlangt. Baasalt kniete sich hin und

öffnete die Kiste.

Darin befanden sich, Stiel an Stiel verpackt, sechs blanke stählerne

Spitzhacken.

Baasalt nahm eine heraus und wog sie in den Händen. Eigentlich hatte

ich geplant, es erst während der Zeremonie zu tun, dachte Baasalt. Aber
nun ist mir klar, dass ich mich damit nur der Tradition fügen wollte.
Er
trat plötzlich hinter den Batholith.

Bevor einer der Tremblor am Eingang sich bewegen konnte, holte

Baasalt aus und trieb dem großen Batholith die Spitzhacke ins Gehirn.

Rome spürte, wie die übersinnliche Energie anschwoll. Er hatte jedoch

vor Verlassen der Erdoberfläche vorsichtshalber einen Abwehrbann
gesprochen, und so blieb sein Bewusstsein unversehrt.

Die Tremblor hatten weniger Glück.
Die Mitglieder des Großen Grund hatten das älteste und mächtigste

Bewusstsein der ganzen Rasse, und der Batholith war der stärkste von
allen. Wäre er auf den Angriff gefasst gewesen, hätte er Baasalt auf der
Stelle erstarren lassen können, aber Baasalt hatte etwas getan, wozu der
Große Grund einen Tremblor niemals für fähig gehalten hätte. Er hatte
spontan gehandelt.

Der mentale Backlash sprang von dem Batholith auf die restlichen

Mitglieder des Großen Grund über, dann auf Baasalt und alle anderen
Tremblor. Der Große Grund bemühte sich nach Leibeskräften, den
Bewusstseinsstrom zu unterdrücken, aber der innerliche Kampf gegen
seinen mächtigsten Bestandteil schwächte und benebelte ihn nur.

Baasalt jedoch verspürte die belebende Wirkung. Dies war nun schon

sein vierter Bewusstseinskick, und er hatte sich darauf gefreut.

Er ließ die Spitzhacke, wo sie war, und holte eine neue aus der Kiste,

um sich sogleich der nächsten Säule zu nähern.

»Also«, sagte Rome, »so etwas habe ich ganz gewiss nicht erwartet...«


Die Tremblor bekamen nicht als Einzige die Auswirkungen von Baasalts
Staatsstreich zu spüren.

Der vorangegangene Bewusstseinssturm, der durch die Gehirne der

Gefangenen getobt hatte, hatte zuerst Sarah ergriffen, da ihr Bewusstsein
über die schwächsten Abwehrmechanismen verfügte. Sarahs Weltsicht
hatte sich mit den Gedanken der Tremblor vermischt, und so hatte das
Einkaufszentrum entstehen können.

Diesmal war es anders.
Diesmal bestimmte Baasalt den übersinnlichen Strom. Es war Baasalts

Perspektive, aus der die anderen nun die Welt sahen.

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Dicke Wolken Vulkanasche wirbelten herum. Eine blutrote Sonne

schien verschwommen auf sie herab. Angel brauchte eine Weile, bis er
erkannte, dass sie mitten in der Innenstadt auf einer schmutzigen Straße
mit rissigem Asphalt standen. Die an der Seite abgestellten Autos waren
unter der dicken Ascheschicht kaum zu erkennen, und die Gebäude, die
sich hinter ihnen erhoben, wirkten wie schemenhafte Berge. Sarah und
Fisca fingen sofort an zu husten, denn die Luft war heiß und trocken.

»Wo sind wir hier?«, keuchte Sarah.
Bevor Angel antworten konnte, hallte ein lauter Gongschlag durch ihre

Köpfe. Er war eher zu spüren, als zu hören, und sie hatten das Gefühl,
ihre Knochen vibrierten wie Stimmgabeln. Es klang wie die Totenglocke
Gottes.

Und der Boden begann zu zittern.
»Ein Erdbeben!«, rief Fisca. Sie hatten keine Chance wegzulaufen.

Wohin auch? Die Erde bewegte sich unter ihren Füßen wie ein Laufband
und warf sie alle zu Boden. Mit der Erschütterung kam das unerträgliche
Gefühl, dass etwas verkehrt war – als wäre irgendein Naturgesetz
gebrochen worden.

Die Luft war angefüllt von den Todesschreien sterbender

Wolkenkratzer: überlastete Metallträger rissen quietschend ein,
Fensterscheiben zerbarsten in Serie. Rasiermesserscharfe Glassplitter
fielen in einem tödlichen Regenschauer vom Himmel.

GONG! Wieder hallte der geheimnisvolle Ton durch ihre Körper – und

wieder wurde alles anders.

Angel stand in einer langen Schlange von Männern und Frauen, die

langsam vorwärts schlurften. Sie trugen nur schmutzige Lumpen am
Körper. Sie befanden sich in einem engen Felsentunnel und bewegten
sich auf ein Tor in der Ferne zu, hinter dem Licht flackerte. Als Angel
näher herankam, beobachtete er, dass die Leute ganz vorn das Tor gar
nicht durchquerten, sondern vielmehr durch die Öffnung
hindurchstürzten.

Dort angekommen, erkannte er warum: Hinter dem Tor öffnete sich

eine tiefe unterirdische Höhle mit einem Krater voller glühend heißer
Lava. Links und rechts von Angel gab es noch drei weitere Tore, in
denen gequälte Gestalten verharrten, die das Ende ihrer Schlange erreicht
hatten.

Dann bewegten sich die Schlangen vorwärts, und alle drei stürzten in

die Tiefe.

GONG!
Angel schüttelte verwirrt den Kopf. Wo war er nun wieder gelandet?

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Dieselben dicken Staubwolken hingen in der Luft und vernebelten die

Sicht. Angel sah zu Boden. Er hatte kurz geschnittenes, grünes Gras
unter den Füßen. Offenbar befand er sich in einem Park - oder auf einem
Sportplatz.

»Sarah? Fisca?«, rief er.
»Hier drüben!« Fiscas Stimme – gefolgt vom Geräusch eines heftigen

Aufpralls und einem Schmerzensschrei. Angel rannte los.

Der erste Stein traf ihn zwischen den Schulterblättern, und er stürzte

mit dem Kopf voran auf die Rasenfläche. Kaum war er wieder auf den
Beinen, traf ihn schon der nächste Stein, prallte von seiner Schulter ab
und zwang ihn erneut in die Knie.

»Aufhören!«, schrie Sarah irgendwo zu seiner Linken. »Aufhören!

Sofort aufhören!«

Das dumpfe Aufschlagen von Steinen war nun ringsherum zu hören.

Ein paarmal gab es auch ein knirschendes Geräusch.

»Das ist alles gar nicht echt«, dachte Angel. Er schloss die Augen und

versuchte, das Ganze aus seinem Bewusstsein zu verdrängen.

GONG!
Angel öffnete die Augen.
Was er sah, ergab zunächst keinen Sinn. Nach und nach wurde ihm

jedoch klar, dass seine Sinneseindrücke teils einem Traum, teils einem
Plan entstammten. Er sah den ganzen Planeten aus der Perspektive eines
Tremblor.

Ein endloses Labyrinth tat sich vor ihm auf. Die ganze Erde war von

Tunneln durchlöchert. Riesige Erdröhren brachen sich ihren Weg an die
Oberfläche und schlängelten sich über die Landschaft und durch die
Ruinen der Städte, die von zahllosen Beben zerstört worden waren.
Hunderte von Vulkanen spuckten glühende Lava in die Luft; die ganze
Erde war in eine riesige Aschewolke gehüllt, Flüsse versiegten zu trägem
Schlamm, und das Meer verwandelte sich in einen einzigen Morast.
Tremblor marschierten ohne Angst über das Land, und die Menschen
wurden wie Vieh gehalten.

Die Visionen waren mit jedem Gongschlag der geheimnisvollen

Glocke stärker geworden, und diese letzte war die stärkste von allen. Mit
ihr ging ein emotionaler Beigeschmack einher, den Angel wieder
erkannte. Es war das pure, berauschende Gefühl der Besessenheit, das
eine Zielgerichtetheit und Klarheit mit sich brachte, die alle Zweifel und
Ängste auslöschten und durch grimmige Freude ersetzten.

Es war ein Gefühl, das Angel nur allzu gut gekannt hatte. Jene

geheime Droge, von der er sich schämte zuzugeben, dass er sich
manchmal immer noch nach ihr sehnte. Als sich nun diese verwerfliche

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Art der Freude in seine Seele drängen wollte, spürte er, wie sie Angelus
in seinem Innern mit offenen Armen empfangen wollte, während dieser
an die Oberfläche drängte.

»NEIN!« Angel wehrte sich mit aller Willenskraft gegen diese Bilder.
Seine Energie reichte aus, sich zu befreien; in dem kollektiven

Bewusstsein war kein Raum für Meinungsdifferenzen. Es gab nur ein
einziges, schreckliches gemeinsames Ziel, und Angel spürte, wie er sich
davon entfernte, als fiele er aus einem brennenden Flugzeug.

Er war wieder zurück in der Höhle. Fisca und Sarah lagen bewusstlos

auf dem Boden, vielleicht hielt sie aber auch immer noch der
Siegestraum der Tremblor gefangen.

Angel war sich mittlerweile über zwei Dinge im Klaren: Erstens waren

die Beben-Dämonen auf neue und schreckliche Art vereint.

Und zweitens waren sie nun allesamt verrückt geworden.


»Er wird es schaffen«, sagte Doyle. »Angel ist ein Profi.« Seine Gruppe
machte gerade Pause, während ein anderes Team von fünf Serpentinern
weiterschaufelte. Ein Eimer voll Erde nach dem anderen wurde in die
Seitengänge geschüttet, von denen es eine ganze Reihe gab. Doyle
konnte nur hoffen, dass sie auch in die richtige Richtung gruben.

»Sicher«, entgegnete Cordelia. »Ich meine, zu den Dingen, die in

unterirdischen Höhlen Mangelware sind, gehören ja wohl Sonnenlicht
und Holzpflöcke, oder? Dann ist er da unten jetzt so was wie Superman.«

»Wenn da nicht die Geschichte mit der Lava wäre«, widersprach

Doyle.

»Was? Von Lava hat mir keiner was gesagt! Was hat Lava mit der

ganzen Sache zu tun?«, fragte Cordelia und marschierte auf und ab. »Das
sind doch Beben-Dämonen und keine ... und keine hawaiischen
Vulkandämonen. Und Angel ist nicht mal 'ne Jungfrau!«

Maureen reichte ihr ein Glas Scotch und führte sie zu einem Stuhl.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Wir arbeiten so schnell wir
können.«

Cordelia setzte sich und schüttete ihren Drink hinunter. »Ich weiß, ich

weiß. Ich wünschte nur, ich könnte etwas Nützliches tun.«

»Na ja, du könntest beim Schaufeln helfen«, sagte Doyle.
»Doyle, ich hatte das ernst gemeint«, entgegnete Cordelia.
»Sorry!«
»Vielleicht kann ich Sie ein wenig aufheitern«, sagte Galvin, der in der

Tunnelöffnung erschien. Er überwachte die Arbeiten, organisierte die
Abläufe und kümmerte sich um die Versorgung. »Wie ich höre, hatten
Sie ein wenig Ärger im Büro. Also, ich denke, das fällt alles unter das

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Stichwort ›Unkosten‹, und das fällt wohl in meine Verantwortung.« Er
suchte in den Taschen seines Overalls und zog einen Scheck hervor. »Ich
habe jemanden rübergeschickt und die Reparaturkosten schätzen lassen.
Ich weiß, es ist nur ein schwacher Trost, aber wenigstens müssen Sie
sich darüber schon keine Gedanken mehr machen.« Er reichte Cordelia
den Scheck.

»Danke Galvin«, sagte sie und steckte ihn in die Tasche, ohne

überhaupt einen Blick darauf zu werfen.

Da wusste Doyle, wie besorgt Cordelia tatsächlich war.


Angel war nun ganz allein auf sich gestellt.

Mit Fiscas Feuerzeug in der Hand machte er eine Bestandsaufnahme

und traf eine Entscheidung.

Zunächst nahm er einen seiner Unterarmharnische ab.
Er zog die kurze Metallröhre heraus, in die normalerweise der

Holzpflock eingelegt wurde, und nahm sie kritisch unter die Lupe.

Er ging damit zu dem Rettungsschwimmer hinüber, der flach atmend

an der Felswand lehnte. Er versuchte, die Röhre über die Metallstange zu
schieben, die aus der Brust des Bewusstlosen ragte, aber sie passte nicht
recht. Angel brauchte ein paar Minuten, um ihr mit Hilfe eines kleinen
Steins eine eckige Form zu geben.

Endlich gelang es ihm, die Röhre über die Stange zu schieben. Er zog

sie wieder herunter und hielt sie mit Fiscas Schlüsseln als Zange fest, um
sie über die Feuerzeugflamme zu halten. Er machte sie so heiß wie
möglich und zog sie dann wie ein Futteral über den Metallstab.

»Tut mir Leid«, sagte Angel zu dem komatösen Rettungsschwimmer.

Mit den Schlüsseln schob er die erhitzte Röhre über die Stange so tief
wie möglich in die Wunde hinein.

Sofort breitete sich in der Höhle der Gestank von verbranntem Fleisch

aus. Angel hielt die Luft an. Er hoffte, das erhitzte Metall desinfizierte
und verätzte die Wunde in ausreichendem Maße, um eine Infektion und
weitere Blutungen zu verhindern. Allerdings sah es so aus, als wäre die
eckige Röhre nicht lang genug für die tiefe Wunde.

Langsam zog Angel die Metallstange aus der Röhre, die er mit den

Schlüsseln an Ort und Stelle hielt.

Es funktionierte tatsächlich! Die Röhre versiegelte die Stichwunde und

es schien keine neuen Blutungen zu geben. Der Rettungsschwimmer
hatte nicht einmal gezuckt.

Und Angel war nun im Besitz einer Waffe!
Die Stange war fast sechzig Zentimeter lang, länger als die Pflöcke,

die er normalerweise benutzte. Angel hoffte, seine zwei

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Unterarmschoner zu einem einzigen verbinden zu können, der lang
genug war, um die Stange zu halten und in seinem Ärmel zu verbergen.

Er machte sich an die Arbeit.


»Ich glaube, ich bin durch«, sagte Doyle.

Er schaufelte schneller und räumte das lose Erdreich aus der immer

größer werdenden Öffnung. Die anderen Mitglieder seiner Crew
leuchteten mit den Taschenlampen hinein. Vor ihnen lag ein weiterer
langer dunkler Tunnel. Er schien völlig leer.

»Na, was haltet ihr davon?«, fragte Ian.
Und dann begann es.
»So ein Mist!«, fluchte Doyle.
Ein Beben erschütterte den Tunnel, und sie verloren beide das

Gleichgewicht, während Erdklumpen auf sie herabregneten. Doyle
stemmte sich gegen einen Holzträger und erwartete jede Sekunde, dass
er einstürzte.

Angel spürte das Beben ebenfalls, aber er ignorierte es. Er hatte weitere
Vorbereitungen zu treffen.

Dem Feuerzeug war das Benzin ausgegangen, und er musste die

letzten Arbeiten im Dunkeln verrichten. Langsam tastete er sich vorwärts
und versuchte, so überlegt und sorgfältig vorzugehen, wie nur eben
möglich. Wenn er jetzt einen Fehler machte, würde das fatale
Konsequenzen nach sich ziehen.

Endlich war er fertig. Nun konnte er nur noch abwarten.
Er saß im Schneidersitz – die Hände locker zu beiden Seiten abgelegt –

und reinigte seinen Geist. Das Beben, das den Boden erzittern ließ,
spielte keine Rolle. Der Geruch des Blutes aus den Wunden des
Rettungsschwimmers spielte keine Rolle. Der in Hals und Magen
nagende Durst spielte keine Rolle. Bereit zu sein, das war alles, worauf
es ankam.

Das Donnergrollen hörte auf. Doyle stellte fest, dass er noch lebte; die
Tunnelstützen hatten tatsächlich gehalten.

Kurz darauf wurde die dichte Staubwolke in der Luft von Lichtstrahlen

durchschnitten. Die Serpentiner, die hinausgestürmt waren, als das
Beben begonnen hatte, kehrten zurück. Sie riefen nach Doyle und Ian,
und Doyle konnte immerhin eine Antwort husten. Ian nicht. Er war von
einem herunterstürzenden Stein getroffen worden und bewusstlos.

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Die Männer schleppten die beiden aus dem Tunnel, versorgten Ians

Kopfwunde und schenkten ihnen als Medizin einen Brandy ein. Da Ian
immer noch bewusstlos war, leerte Doyle beide Gläser.

»Wie schlimm ist es?«, fragte Galvin.
»Schwer zu sagen. Unser Abschnitt hat gehalten, aber ich weiß nicht,

wie viel von dem Rest eingestürzt ist.«

»Was machen wir also?«, fragte Cordelia.
»Wir schaufeln weiter«, entgegnete Doyle. »Und hoffen einfach

darauf, dass wir unser letztes bisschen Glück nicht schon aufgebraucht
haben.«

Baasalt begutachtete das Ergebnis seiner Arbeit.

Jede der sechs Steinsäulen, aus denen der Große Grund bestand, trug

nun eine Spitzhacke. Zwei der Mitglieder schienen nicht mehr zu
funktionieren, aber das machte Baasalt nichts aus. Was waren schon
zwei von vielen – besonders, wenn die vielen alle vereint waren?

Er lenkte seine Aufmerksamkeit nach innen, auf die neu gegründete

Einheit, die er geschmiedet hatte. Alle Tremblor waren nun auf der
geistigen Ebene zu einem einzigen Wesen verschmolzen und ergaben
eine Verlängerung seines eigenen Willens. Baasalts Gedanken strömten
durch das Bewusstsein der anderen, und die Gedanken der anderen durch
seins. Aber wo ihr Denken früher berechenbar und starr gewesen war,
sprudelte nun der reißende Sturzbach eines unterirdischen Flusses aus
Baasalts Bewusstsein, ein nimmer enden wollender, glühend heißer
Strom geschmolzenen Gesteins. Er hatte sein eigenes Ritual erfunden
und die Individualität seiner Leute geopfert, um ein neues Wesen zu
formen.

Aber die Schaffung neuer Traditionen bedeutete nicht, dass er die alten

vergessen wollte. Keineswegs! Die Seelenzerstörung sollte wie geplant
vonstatten gehen - allerdings würde unter Verwendung der Seele des
Vampirs als viertem Opfer die Rasse, die Baasalt hervorbrachte, mäch-
tiger sein als alle zuvor. Eine Rasse der Eroberer; eine Rasse, die nur aus
Krieger-Priestern bestand. Sie würde die Welt verändern, vom Herzen
bis zur Oberfläche, und Baasalt würde ihr Anführer sein.

Kommt, dachte er. Kommt, meine Kinder! Es ist Zeit, sich zur Geburt

von etwas Neuem zu versammeln.

Es ist Zeit für die Seelenzerstörung.
Es ist Zeit für den Tanz der Schlafenden Riesen.
Und überall in den Nischen, Höhlen, Tunneln und Verstecken der Erde

setzten sich die Tremblor in Bewegung. Einer nach dem anderen

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steuerten sie auf die Höhle zu, die einmal der Sitz des Großen Grund
gewesen war und in deren Mitte der Magmatümpel glühte.

Als sie ihn holen kamen, leistete Angel keine Gegenwehr.

Sie führten ihn einen Tunnel hinunter; zwei Tremblor gingen voran,

zwei folgten ihm. Drei andere Beben-Dämonen trugen die immer noch
bewusstlosen Körper der anderen Opfer.

Angel hielt seinen rechten Arm eng an den Körper gedrückt; wegen

der Metallstange im Ärmel konnte er ihn nicht beugen. Doch alles war in
Ordnung, solange er nicht jemandem die Hand geben musste. Und
irgendwie bezweifelte er, dass es dazu kommen würde.

Nach einer zehnminütigen Wanderung erreichten sie die Höhle des

Großen Grund. Es gab einige Veränderungen: Der Krater mit Magma
schien voller als zuvor, und die Temperatur in der Höhle entsprach nun
nicht mehr dem Winter in Miami, sondern eher dem Sommer im Death
Valley... und in den Köpfen aller sechs Steinsäulen steckten nun
Spitzhacken.

Und die Höhle war voller Beben-Dämonen.
Sie standen in einem großen Kreis. Hitzewellen stiegen aus der heißen

Lava auf, und die Luft flimmerte. Nach Angels erster Schätzung hatten
sich an die zweihundert Tremblor versammelt; wahrscheinlich der ganze
Stamm, wie er aus seinen Nachforschungen schloss. Sie standen
unbeweglich wie Statuen und drehten nicht einmal die Köpfe, um Angel
und seine Leute anzusehen, als sie ankamen – mit zwei Ausnahmen.

Rome stand neben einer der Säulen und trank eine Flasche Perrier. Er

tupfte sich mit einem weißen Taschentuch die Stirn ab und winkte Angel
zu, als träfe er im Golfclub einen Kollegen.

»Kümmert euch gar nicht um mich!«, sagte er. »Ihr werdet nicht

einmal merken, dass ich hier bin.«

Ein Tremblor mit Spitzhacke im Kopf nickte in Angels Richtung. Er

stand in dem engen Ring zwischen dem Lavakrater und den sechs
Steinsäulen, in dem die Tremblor die schlaffen Körper von Fisca, Sarah
und dem Rettungsschwimmer ablegten und sie gleichmäßig um den
Krater verteilten.

Angel wurde vor Baasalt hingestellt.
Es ist gut, dass du deinem Tod mit intaktem Verstand entgegentrittst,

dachte Baasalt.

»Ich wünschte, das könnte ich auch von dir sagen«, entgegnete Angel.

»Ich glaube, euch ist bei der Interpretation des Begriffs
›Gedankenübertragung‹ ein schrecklicher Fehler unterlaufen.«

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Und das nennt ihr Oberflächenbewohner Humor, nicht wahr? Eine

merkwürdige Reaktion angesichts dessen, was dir bevorsteht. Ich werde
das näher untersuchen, wenn ich die Oberfläche der Welt erst einmal
meinem Willen gebeugt habe. Es gibt so viel zu lernen ...

»Also, man sagt, ich wäre ein wahnsinnig guter Lehrer. Was meine

Schüler betrifft, so halten meine Lektionen für den Rest ihres Lebens - in
der Regel gute zwei, drei Sekunden. Fünf maximal.«

Dann betrachte dies als meine Lektion für dich.
Baasalt streckte den Arm aus und umfasste Angels Hals mit seiner

steinigen Hand.

Angel spannte alle Muskeln an, bewegte sich aber nicht. Er spürte, wie

der Tremblor versuchte, in sein Bewusstsein vorzudringen.
Normalerweise war das bei Vampiren nicht möglich, aber Baasalt schien
ein sehr starkes Bewusstsein zu haben, und wenn der Beben-Dämon
hinter Angels Plan kam, war es aus. Also zwang Angel sein Bewusstsein
zur Ruhe und verbannte all seine Gedanken ...

Bis es eine einzige große Leere war.
Baasalts Sonde wich plötzlich zurück. Angels Bewusstsein verstörte

ihn zutiefst. Die Tremblor hassten große leere Räume und waren es
schon gar nicht gewohnt etwas Derartigem auf geistiger Ebene zu
begegnen. Baasalt zog sich zurück; verwirrt, aber immer noch
zuversichtlich.

Es war an der Zeit.
Liebe Tremblor, ihr alle kennt das Erste Buch, in dem steht, wie die Ig

den Körper der Welt entdeckten ...

Hiermit begann also das Ritual. Angel wusste, die Tremblor würden

nun ihre Konzentration bündeln und die Außenwelt mit Fortschreiten des
Rituals immer weiter ausblenden. Ihm war auch klar, dass er und die
anderen drei im Verlauf des Rituals in den Lavakrater gestoßen werden
sollten, aber wann genau, das wusste er nicht.

Er musste augenblicklich handeln.
Baasalts Klauen lagen immer noch um seinen Hals. Wenn er nur noch

ein bisschen fester zudrückte, zerquetschte er ihm die Luftröhre – der
erste Schritt bestand für Angel also darin, sich aus seinem Griff zu
befreien.

Angel konzentrierte sich. Die Tremblor waren zwar aus Fels gemacht

und mit übermenschlichen Kräften ausgestattet, aber sie gingen immer
noch auf zwei Füßen und hatten Arme und Beine. Technisch gesehen
wiesen sie fast dieselben Schwachstellen auf wie Menschen, nur dass sie
besser gepanzert waren.

Jeder Panzer hat seine Mängel, dachte Angel. Jeder Berg hat Klüfte.

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Und jeder Arm einen Ellbogen.
Angel drehte nur leicht sein Handgelenk, und sechzig Zentimeter

gehärteter Stahl rutschten in seine rechte Hand. Mit der linken zog er nun
die Stange ganz heraus und stieß rasch mit der Spitze in Baasalts
Ellbogen.

Das Gelenk knackte; es klang wie ein Vorschlaghammer auf Granit.

Der Tremblor ließ Angel los, als sein Arm plötzlich in die falsche
Richtung abknickte.

Angel holte die Stange wieder ein, ließ sich in die Hocke fallen und

stieß erneut mit der Spitze zu. Diesmal nahm er Baasalts Knie ins Visier.

Ein weiteres lautes Knacken und Baasalt ging zu Boden. Angel konnte

gerade noch aus dem Weg rollen, landete aber direkt vor Rome, der nun
seinerseits versuchte, ihn mit Fußtritten über den Rand des Kraters zu
stürzen.

Angel wich den Tritten aus und sprang auf die Füße, woraufhin Rome

sich sofort zurückzog. An einem fairen Kampf war er nicht interessiert.

So gern Angel auch die anderen Gefangenen beschützt hätte, in diesem

Augenblick konnte er nichts für sie tun. Sie lagen viel zu weit
auseinander und zudem an schwer zu schützenden Positionen. Das Beste
war, sich erst einmal selbst zu verteidigen und zu hoffen, dass die
Tremblor ohne ihn das Ritual nicht fortsetzen konnten.

Er wich rückwärts in eine kleine Nische aus. Sie war zwar nicht viel

mehr als eine Einbuchtung in der Höhlenwand, aber von oben bis unten
aus solidem Felsengestein, durch das sich die Tremblor nicht so schnell
von hinten oder unten zu ihm durchbuddeln konnten wie durch Erde.
Zumindest aber würde er sie kommen hören.

Außerdem blieb ihnen nur die Möglichkeit, Angel einzeln anzugreifen,

einer nach dem anderen, denn die Öffnung war zu schmal, um mehr als
einen Beben-Dämon auf einmal durchzulassen.

Der erste Tremblor kam auf ihn zu. Angel rammte ihm das Ende der

Stahlstange in den Hals und setzte mit einem Tritt in die Brust nach. Der
Tremblor stürzte der Länge nach zu Boden.

Angel ließ sein vampirisches Wesen zum Vorschein kommen; sein

Gesicht verzerrte sich zu einer gelbäugigen Maske der Wut. »Wer ist der
Nächste?«, knurrte er.

Ein weiterer Tremblor griff an. Angel schlug mit einer Serie von

bösartigen Schlägen auf Augen und Hals auf ihn ein. Schmerzgepeinigt
zog sich der Dämon zurück.

»Du zögerst doch nur das Unvermeidliche hinaus!«, rief ihm Rome zu.
»Ach, ich weiß nicht. Ich amüsiere mich gerade ausgezeichnet.«

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Deine Kräfte werden dich verlassen, lange bevor wir ermüden, dachte

Baasalt.

»Glaubst du? Ich sage dir, was ich glaube: Ich glaube, wenn ich deinen

Truppen nur genug Schaden zufüge, dann beginnen sie, an dir zu
zweifeln. Und wenn das geschieht, bist du am Ende. Das ist die
Kehrseite des Diktator-Postens, Baasalt – totale Kontrolle bedeutet auch
totale Verantwortung. Wenn etwas schief geht, bist du der Erste, der
dafür geradestehen muss.«

Dann muss ich eben aufpassen, dass nichts schief geht.
Die Menge der Tremblor am Nischeneingang teilte sich plötzlich.

Baasalt stand an die fünf Meter entfernt neben einer der großen
Steinsäulen. Er nahm einen dicken Stein und wog ihn versuchsweise in
den Händen.

Ich habe eine Menge von euch Oberflächenbewohnern gelernt, dachte

Baasalt. Er holte aus und schleuderte den Steinbrocken los wie eine
Kanonenkugel.

»Nicht genug«, grunzte Angel und holte mit der Stange aus. Er traf den

Stein und lenkte ihn einem anderen Beben-Dämonen mitten ins Gesicht.
Der Tremblor stolperte ein paar Schritte rückwärts und brach zusammen.

»Das nennt man einen Treibschlag«, sagte Angel. »Der ist gut, wenn

dein Teamkollege unterwegs zum ersten Base ist. Wenn ihr mal sehen
wollt, wie man einen Grand Slam wirft – ich bin bereit!«

Rome lachte. »Nicht schlecht. Schade nur, dass man hier gar nicht so

weit laufen kann.«

Dann müssen wir es wohl auf die altmodische Art tun, dachte Baasalt.
Ein weiterer Tremblor griff an. Angel konzentrierte sich wieder auf die

Schwachstellen und schaffte es, den Dämon zurückzudrängen. Aber
hinter diesem lauerte nur der nächste.

So ging es endlos weiter. Angel gelang es nicht, einen von ihnen

umzubringen; er verletzte jeden Tremblor lediglich so viel, dass er
zurückwich – und von einem anderen ersetzt wurde.

Baasalt hatte Recht gehabt. Angel konnte nicht ewig so weitermachen.
Er nahm nur noch den geistlosen Rhythmus der Gewalt wahr; Schlag,

Drehung, Ausfallschritt, Schlag, Drehung ... Seine Arme schmerzten,
und seine Lungen brannten, aber er wollte nicht aufgeben ...

»Typisch«, sagte da eine Stimme. »Den kann man auch nicht ein paar

Minuten allein lassen, ohne dass er in eine Schlägerei verwickelt wird.«

Die Tremblor hielten alle gleichzeitig inne und drehten sich um. Im

Höhleneingang stand Doyle mit einem Rucksack in der Hand, und er war
nicht allein. Hinter ihm war eine ganze Gruppe Serpentiner zu erkennen.

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Es war dumm von euch, hierher zu kommen, dachte Baasalt. Hier sind

wir stark und ihr schwach. Wir werden euch alle vergraben.

Doyle schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Sogar hier in der

Tiefe habt ihr Schwächen – ›Nur wer sich ihm widersetzt, kann sich ihm
widersetzen‹, nicht wahr? Ich habe ganz schön lange gebraucht, um zu
begreifen, was das heißen soll, aber ich glaube, ich weiß es jetzt.«

Doyle griff in den Rucksack und holte etwas heraus. Er warf es Angel

über den Kopf zu und rief »Fang!«.

Angel fing den Gegenstand mit einer Hand auf und betete, es möge

eine Waffe sein.

Es war aus Plastik. Es war leuchtend pink.
Es war ein Fön!
»Soll das ein Witz sein?«, stöhnte er.
»Läuft mit Batterien«, sagte Doyle. »Und gibt das ab, was als Element

der Erde gegenübersteht: Wind.«

Angel verstand blitzartig. Er schaltete den Fön ein und hielt dem

nächstbesten Tremblor den heißen Luftstrom ins Gesicht.

Die Wirkung folgte auf dem Fuße. Der Kopf des Beben-Dämons fiel

auseinander wie eine Sandburg im Sturm. Übrig blieb ein Schädel, der
wirkte wie aus Kristall. Der Tremblor brach zusammen, und der Schädel
klimperte über den Steinboden, zerbrach aber nicht.

»Also dann!«, sagte Doyle.
Er trat zur Seite, und ein sperriges Etwas, das mit einer Plane

zugedeckt war, wurde vorgeschoben. Es füllte fast den ganzen Tunnel
aus. Die Serpentiner nahmen die Plane ab und enthüllten ihre
Geheimwaffe: eine Windmaschine aus dem Filmstudio, einen riesigen
transportablen Fön.

Der Propeller begann sich zu drehen – und die Luft in der Höhle fing

an, sich zu bewegen.

Instinktiv versuchten die Tremblor zu fliehen. Da der einzige Ausgang

der Höhle versperrt war, versuchten sie, sich neue Tunnel zu schaffen,
und gruben sich in die felsigen Wände und den Boden der Höhle.

Alle, außer Baasalt.
Nein! Ich werde mich nicht von der Schreienden Leere besiegen

lassen. Niemals!

Er nahm einen Felsbrocken vom Boden und hob den Arm. Um die

Windmaschine außer Gefecht zu setzen, brauchte er nur den Propeller zu
treffen.

Angel hielt rasch den Fön hoch und blies heiße Luft über Baasalts

Arm. Wie feine Asche flog der glänzend schwarze Steinpanzer davon;

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181

darunter trat kristalliner Knochen zum Vorschein. Der Stein fiel ihm aus
den Fingern, die nun aussahen wie geschliffene Diamanten.

Baasalt blieb genug Zeit, Angel in die Augen zu sehen.
Aber wir sind doch unvergänglich!, dachte er.
»Ihr seid Staub«, entgegnete Angel.
Wäre der Höhlenboden aus Erde gewesen, hätten die Tremblor

vielleicht eine Chance gehabt. Aber in den harten Felsen konnten sie sich
nicht schnell genug eingraben. Selbst ihre Beben erzeugenden
Fähigkeiten reichten hierfür nicht aus. Ein gewaltiges Zittern ging durch
die Höhle, als zweihundert verzweifelte Beben-Dämonen versuchten,
ihrem Schicksal zu entkommen – und versagten.

Ein künstlicher Wind blies durch die Höhle. Er fegte das steinige

Fleisch von den Knochen der Tremblor und verwandelte sie in
Diamantstatuen, die einen kurzen Moment stocksteif dastanden, bevor
sie mit einem Klirren zu Boden stürzten. Die Luft flimmerte vor
funkelnden Obsidiansplittern.

Etwas plumpste auf Angels Fuß: Ein Stück von Baasalts Schädel.

Angeschlagen durch das Loch von der Spitzhacke war er zerbrochen, als
er auf dem Boden aufschlug.

»Lasst uns die drei hier rausbringen«, sagte Angel. »Ich glaube, die

Höhle stürzt bald ein.« Er zeigte auf die sechs Säulen, die den Großen
Grund befestigt hatten; nun war jede von ihnen im Mittelteil erheblich
beschädigt.

»Was ist mit ihm?«, fragte Doyle und wies mit dem Daumen auf

Rome.

»Du kriegst dreißig Sekunden Vorsprung«, knurrte Angel dem

Kanzleimitglied zu. Rome sagte nichts, nickte nur und schlüpfte an der
Windmaschine vorbei. Doyle und die Serpentiner schnappten sich die
drei bewusstlosen Entführungsopfer und trugen sie hinaus.

Angel warf einen letzten Blick in die Höhle. Die Spitzhacke, die er

Baasalt in den Schädel geschlagen hatte, lag in den Trümmern der
Edelsteinknochen des obersten Krieger-Priesters. Angel beugte sich vor
und hob sie auf. Dann warf er sie in den Lava-Krater. Der Holzgriff ging
in Flammen auf, als die Stahlspitze in die geschmolzene Gesteinsmasse
eintauchte.





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182

13



»Ich kann es nicht glauben!«, rief Cordelia. »Das Büro - es sieht ja
wieder genauso aus wie vorher!«

»Ja, die haben echt ganze Arbeit geleistet«, sagte Doyle und schenkte

sich eine Tasse Kaffee ein. »Sie haben nur ein paar Tage gebraucht,
um...«

»Es ist furchtbar! Angel, sag ihm, dass es furchtbar ist!«
Angel sah von dem Buch auf, in dem er las. »Es ... ist genauso wie

vorher«, sagte er.

»Richtig! Und warum? Wir könnten ein nagelneues Büro haben, mit

moderner Ausstattung! Das hier... das ist die reinste Anti-Ausstattung.
Wenn dieses Büro und ein echtes Büro aufeinander träfen, gäbe es eine
Explosion.«

Angel legte das Buch zur Seite und stand auf. »Anti oder nicht, mir

gefällt die Ausstattung. Ich habe Galvin gebeten, das Büro genau in den
ursprünglichen Zustand bringen zu lassen.«

Cordelia seufzte und warf die Hände in die Luft. »Warum rege ich

mich überhaupt auf? Ich rede schließlich mit dem Mann, der Ninjas
Modetipps gibt.«

Doyle kicherte. »Komm schon, Cordy. Wie kannst du dich nur so

aufregen, nachdem du den Bonus-Scheck eingelöst hast, den der
Serpentiner uns gegeben hat?«

Cordy runzelte die Stirn. »Was für einen Bonus-Scheck?«
»Au, gerade ist mir eine wichtige Verabredung eingefallen«, sagte

Angel hastig. »Dämonen! Ganz lästig. Ich muss weg.«

Cordelia trat ihm in den Weg, bevor er die Tür erreichte. »Angel?«,

fragte sie mit einem warnenden Unterton in der Stimme. »Was für ein
Bonus-Scheck?«

»Der... Bonus-Scheck, den ich dir noch nicht gegeben habe?«
»Von den Serpentinern? Und warum nicht? Hast du Angst, ich brenne

mit dem Geld nach Acapulco durch oder was?«

Angel druckste herum. »Natürlich nicht. Ich bin nur unzufrieden, weil

der Fall noch nicht völlig gelöst ist.«

»Er meint«, sagte Doyle und gestikulierte mit seiner Kaffeetasse, »dass

wir immer noch nicht wissen, warum Wolfram und Hart den Wohnblock
der Serpentiner haben wollten und Galvin nie mit der Sprache

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183

rausgerückt ist. Ich meine, es war nett von ihm, dass er geholfen hat,
Angels Haut zu retten, aber irgendwie ist an der Sache immer noch was
faul.«

»Ganz genau«, sagte Angel. »Und bevor ich nicht weiß, was es ist,

kann ich den Scheck nicht einlösen. Sorry!«

»Schon gut, schon gut«, sagte Cordelia. »Kann ich nur mal... einen

Blick drauf werfen? Bitte!«

»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Angel und schüttelte den

Kopf.

»So viel, hm?«, meinte Cordelia traurig. »Na ja. Wir haben ja immer

noch unsere Ehre, schubidu!«

»Das ist mehr, als manch einer von sich behaupten kann«, entgegnete

Angel ungerührt.

Kanzleimitglied Rome saß im Dunkeln in seinem Büro und wartete auf
das Ende.

Er hatte versagt. Der Vampir war immer noch am Leben – oder

wenigstens untot –, aber was viel schlimmer war: Die Tremblor waren
vernichtet worden. Sein Druckmittel gegen die Serpentiner war zum
Teufel.

Die Seniorpartner billigten kein Versagen.
Rome wog die Möglichkeiten ab. Nun war es nicht mehr möglich, den

Besitz der Serpentiner für ein Butterbrot zu bekommen, aber vielleicht
waren sie ja zu Verhandlungen bereit – vorausgesetzt, sie fanden nicht
heraus, auf was für einem großen Schatz sie wirklich saßen. Billiger
wurde die Sache auf jeden Fall nicht...

Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer.


»Ich verstehe eines nicht«, sagte Cordelia. »Wolfram und Hart haben den
Tremblor geholfen, und die Tremblor wollten dieses große Erdbeben
verursachen, das L.A. zerstören sollte. Aber Wolfram und Hart haben
hier immerhin ihr Hauptquartier in einem großen imposanten Büroturm.
Warum sollten sie sich auf so etwas einlassen?«

Einmal mehr stieg Lissabon in Angels Erinnerung auf; das Feuer, die

Plünderungen, die Ratten. Er und Darla, wie sie sich in den Ruinen
vergnügten ... »Jede große Naturkatastrophe lockt Aasgeier an«, sagte er.
»Opportunisten, die hilflose Opfer ausplündern. Schwarzhändler, Grund-
stücksspekulanten – sogar Abenteurer. Es gibt hunderte verschiedene
Möglichkeiten, von menschlichem Elend zu profitieren, und ich bin
sicher, Wolfram und Hart kennen sie alle. Ich wette, ihr Büroturm wäre

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184

eines der wenigen Gebäude gewesen, die nach einem Beben stehen
geblieben wären.«

»Was immer noch nicht die Frage beantwortet, wozu sie den Besitz der

Serpentiner brauchen«, sagte Doyle.

»Dazu habe ich mir auch schon ein paar Gedanken gemacht«, sagte

Angel.

»Ach?«, meinte Doyle. »Und die wären?«
»Ich würde lieber zuerst mit Galvin darüber sprechen«, sagte Angel.

»Und deshalb gehe ich da jetzt auch hin. Und Cordelia: Wenn ich mich
irre, lösen wir den Scheck ein! Versprochen!«

Angel zog sich seinen Trenchcoat über, während er zur Tür

hinauseilte.

»Und da geht das schöne Geld dahin«, seufzte Cordelia. Sie nahm eine

Gießkanne zur Hand und fing an, die Pflanzen im Büro zu gießen.

»Vielleicht auch nicht«, entgegnete Doyle. »Er hat gesagt, dass er sich

möglicherweise irrt...«

»Er irrt sich nicht«, unterbrach ihn Cordelia. »Er ist Angel! Ich bin

immer noch total erstaunt, dass du schneller als er auf diese ganze
Geschichte mit dem Wind gekommen bist.«

»Na ja, er war ja auch damit beschäftigt, im Bauch der Erde gefangen

zu sein«, sagte Doyle. »Aber ein wenig Anerkennung habe ich schon
verdient.«

»Und warum?«
»Warum? Irgendwie habe ich ja wohl die ganze Situation gerettet,

oder?«

Cordelia verdrehte die Augen. »Doyle, bitte! Galvin hat die

Ausrüstung besorgt, die Serpentinerhaben die meiste Arbeit erledigt, und
Angel hat gekämpft. Du hast nur zufällig richtig geraten.«

»Das stimmt nicht. Ich habe es richtiggehend herausgefunden.«
»Wie denn?«
»Also, es war unser Gefangener, der mich auf die richtige Fährte

gebracht hat. Als Angel ihm damit drohte, ihn dem großen blauen
Himmel auszusetzen, hätte der Tremblor einfach die Augen schließen
können, aber diese Option hat seine Angst nicht verringert. Und zwar,
weil jeder noch so kleine Windhauch ihn sofort in eine Staubwolke
verwandelt hätte. Die Leere war für sie nicht einfach nur ein freier Raum
– sondern ein Raum, der mit einem unsichtbaren, nicht greifbaren Feind
gefüllt ist.«

»Das ist ja nun offensichtlich, Doyle, und im Nachhinein ist man

immer schlauer. Ich war dabei, erinnerst du dich? Du hast einfach nur
gedacht, sie wären blöd.«

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185

»Okay, okay, ich habe es nicht gleich geschnallt, aber ich sag dir jetzt,

was der Knackpunkt war: Vampire und fließendes Wasser!«

»Du bist inspiriert worden, als du Angels Bad benutzt hast?«
»Nein, nein. Das ist einer von diesen Vampirmythen, über die sich

Angel immer so aufregt. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum er
nicht als Erster drauf gekommen ist. Er hat eine mentale Blockade bei
solchen Sachen. Jedenfalls dachten die Leute immer, Vampire könnten
kein fließendes Wasser überqueren und dass sie vernichtet würden, wenn
sie hineinfallen. Es war nur ein kleiner Sprung von den Vampiren und
dem fließenden Wasser zu den Dämonen und der fließenden Luft.«

»Also basierte dein Gedankengang auf etwas, das nicht stimmt?«
»Nun, es gab da einen gewissen spekulativen Anteil...«
»Wie ich sagte: Du hast nur geraten!«
Doyle zuckte mit den Schultern und wechselte das Thema. »Und, wie

kommst du so mit Maureen klar? Immer noch dicke Freundinnen?«

Cordelia stellte die Gießkanne ab. »Ich habe seit der ganzen

Rettungsaktion nichts mehr von ihr gehört. Sie hat bestimmt viel zu tun,
ihre Wohnung wurde schließlich zerstört und so.«

»Sicher.«
Cordelia runzelte die Stirn. »Was? Glaubst du etwa, sie will nichts

mehr mit mir zu tun haben, nachdem der Fall gelöst ist?«

»Wir werden sehen. Aber mach dir keine Sorgen, Cordy, du hast ja

immer noch mich!«

»Das ist süß, Doyle, aber ein Tag auf der Pferderennbahn ist nicht

gerade das, was ich mir unter Amüsieren vorstelle.«

Doyle gab sich verletzt. »Auf der Pferderennbahn? Hältst du das für

den einzigen Ort, an dem ich zu Hause bin?«

»Natürlich nicht. Ich bin sicher, man kann mit dir auch eine

ausgedehnte Tour durch Oben-ohne-Bars unternehmen.«

»Wie wäre es mit dem Griffith- Observatorium?«
»Mit was?«
»Dem Griffith-Observatorium. Ein großes weißes Gebäude auf einem

Berg mit einem Teleskop auf dem Dach!«

»Ich weiß, was das Griffith-Observatorium ist, Doyle. Ich hätte nur nie

gedacht, dass du es auch weißt.«

»Das ist wirklich eine interessante Sache. Du bist schließlich noch

nicht so lange in Los Angeles und hast wahrscheinlich noch nicht allzu
viel gesehen. Wenn du mal 'n bisschen rumgucken willst, lass es mich
wissen. Ich spiele gern den Fremdenführer für dich.«

Cordelia sah Doyle eine Weile prüfend an, dann lächelte sie. »Also,

ich hab zwar nie viel mit Wissenschaft am Hut gehabt, aber ich habe

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186

gehört, die Sternwarte wird häufig als Location bei Außenaufnahmen
benutzt. Danke! Ich werde es mir überlegen.«

Doyle erwiderte ihr Lächeln und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee

ein, damit sie nicht sah, wie sich sein Mund zu einem breiten Grinsen
verzog. »Schön, Sie wieder zu sehen«, sagte Galvin und klopfte Angel
auf die Schulter, als er zur Tür hereinkam. »Zufrieden mit den
Renovierungsarbeiten?«

»Sehr zufrieden«, entgegnete Angel.
Er folgte Galvin ins Wohnzimmer und setzte sich. Galvins teure Möbel

waren durch billige Ware ersetzt worden; der Tunneleingang war mit
Sperrholz vernagelt.

»Wie ich sehe, haben Sie noch nicht renoviert«, bemerkte Angel.
»Nein. Ich habe beschlossen, das als Grund für einen Stilwechsel in

der Einrichtung zu nutzen, mich aber noch für kein Motto entscheiden
können.«

»Wie wäre es mit Betrug?«
Galvin sah Angel einen Augenblick verdutzt an. Sein Lächeln gefror

ihm auf den Lippen. »Wie bitte?«

»Vielleicht ist das nicht ganz treffend«, fuhr Angel fort. »Wie wäre es

mit Manipulation? Oder mit der guten alten Gier?«

»Ich verstehe nicht.«
»Sicher tun Sie das. Sagt ihnen der Name Rudolpho Faranetti etwas?«
»Ach, Eispickel-Rudy! Sie haben also ein wenig nachgeforscht«,

konstatierte Galvin.

»Das habe ich. Und ich habe herausgefunden, dass Faranetti

Schwierigkeiten mit seinen Auftraggebern bekam – er hat wohl gewisse
Geheimnisse ausgeplaudert, was er nicht hätte tun sollen. Allerdings hat
er sie nicht der Polizei verraten, sondern Ihnen.«

»Ich vermute, es wäre sinnlos, das zu leugnen«, sagte Galvin. Er ging

an eine billige Holzvitrine und öffnete sie. Darin war eine Bar. »Möchten
Sie einen Drink?«

»Nein, danke. Ich glaube, mir gefallen Ihre Preise nicht.«
»Unsere Preise richten sich nach der Marktlage. Das ist doch das

Prinzip des Kapitalismus, oder? Wir haben Mr. Faranetti etwas
angeboten, das er nur zu gern haben wollte, und wir haben als
Gegenleistung etwas ähnlich Wertvolles verlangt. Er hätte Nein sagen
können.«

»Und Sie haben die Information benutzt, um die Corzatos zu

erpressen. Was bekommen Sie von ihnen? Zehn Prozent von allen
Einkünften?«

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»In diesem Fall ist es eher Gratiswohnraum – ihre Buchhaltung ist eine

Katastrophe.« Galvin schenkte sich einen Schluck Brandy ein. »Aber als
Wucher kann man das nicht bezeichnen.«

»Und das sind natürlich nicht die ersten – oder die einzigen – Leute,

die Sie erpressen«, sagte Angel. »Sie haben ein ganzes Lager voller
Träume von Menschen, alle sorgfältig etikettiert.«

Galvin kicherte und setzte sich Angel gegenüber. »Sie waren

gründlich, aber damit hätte ich rechnen müssen. Ja, die Serpentiner
haben das Talent herauszufinden, was den Leuten am meisten bedeutet:
Dinge, die sie verloren haben – oder auch Dinge, die immer nur Träume
waren. Das Bild eines Elternteils, den sie nie kennen gelernt haben. Ein
Plüschtier, das der einzige Halt in einer von Missbrauch beherrschten
Kindheit war. Sogar ein Film, der nie gedreht wurde, oder ein Buch, das
nie geschrieben wurde: Wir haben ein wunderbares Drehbuch für den
Zauberer von Oz, in dem Orson Welles für die Rolle des feigen Löwen
vorgesehen ist.«

»Das ist sicherlich faszinierend – aber dafür verkauft man doch nicht

seine Seele!«

Galvin lachte. »Ganz recht. Wir handeln ja auch nicht mit Seelen,

Angel – solche Dämonen sind wir nicht. Wir sind eher für die
Marktnischen zuständig.«

»Sie handeln mit Geheimnissen!«
»Ganz genau. Die Leute bekommen von uns, was sie wollen – im

Austausch gegen vertrauliche Informationen: Börsentipps,
Investitionsmöglichkeiten ...«

»Erpressungsmöglichkeiten.«
»Wir reden lieber von Vorzugshandel,« Galvin nahm einen Schluck

Brandy. »Wir tun nur das, was alle Schlangen tun, Angel. Wenn wir
jemanden umwickelt haben ... drücken wir zu.«

Angel schüttelte den Kopf. »Wie machen Sie das? Wo bekommen Sie

all diese Sachen her?«

»Parallele Welten. Ich werde keine Details darüber offenbaren, wie wir

uns die Dinge beschaffen. Ich verrate Ihnen nur, dass es für jede Welt, in
der eine kostbare Sache verloren ging, eine andere gibt, in der das nicht
geschah.«

»Sie tauschen die Träume der einen gegen die schmutzige Wäsche der

anderen. Kein Wunder, dass es Ihnen hier unten gefällt. Sie gehören auch
tief unter die Erde!«

»Ich bedaure, dass Sie das so sehen.« Galvin seufzte.


»Sie wissen, ich kann Sie unmöglich damit weitermachen lassen.«

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»Was haben Sie vor? Wollen Sie uns alle töten? Inklusive unserer

Kinder?«

Angel schwieg.
»Was wir tun, unterscheidet sich doch gar nicht so sehr von dem, was

jeder in L.A. macht«, sagte Galvin. »Wir erfüllen Träume. Und wir
fordern einen hohen Preis von denen, die zu schwach sind, der
Versuchung zu widerstehen.«

»In dieser Stadt gibt es schon genug solche Leute«, sagte Angel düster.

»Vielleicht sollten Sie über einen Ortswechsel nachdenken. Bevor ich
mich entschließe zuzudrücken!«

»Ich verstehe, was Sie meinen. Vielleicht ist es an der Zeit

weiterzuziehen. Wir hatten bereits ein Angebot für das Haus ...«

»... das Sie ohnehin verkaufen wollten.«
»Ach, ich vergesse immer wieder, dass Sie ein Detektiv sind. Sie

wissen also von unseren Verhandlungen mit Wolfram und Hart?«

»Das soll alles sein, worum es geht? Um banale Verhandlungen?«
»Man muss immer aus einer starken Position heraus verhandeln,

besonders, wenn man es mit einem mächtigen Gegenspieler zu tun hat.
Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Angel. Durch die Eliminierung der
Beben-Dämonen wurde das Angebot von Wolfram und Hart beträchtlich
in die Höhe getrieben.«

Angel griff in seine Tasche und zog den Scheck heraus, den der

Serpentiner ihm gegeben hatte. Er reichte ihn Galvin. »Ich kann den
nicht annehmen.«

»Warum nicht? Er ist absolut in Ordnung, versichere ich Ihnen.«
»Da haben Sie aber eine andere Definition von ›in Ordnung‹ als ich!«
Galvin zuckte mit den Schultern und nahm den Scheck. »Wie Sie

wollen.«

»Noch eine Sache. Warum wollen Wolfram und Hart dieses Gebäude

so unbedingt haben?«

Galvin lächelte. »Emilio Maldonado.«
»Nie gehört.«
»Er ist ein Geologe, der vor ein paar Jahren seinen Sohn verloren hat.

Wenigstens ist es das, was in dieser Realität geschehen ist. In einer
anderen ist Emilio gestorben, und sein Sohn trauert. Wir haben die
beiden Welten zusammengeführt, und so werden die Bedürfnisse beider
Seiten erfüllt. Emilio hat eine ganz andere Meinung von uns als Sie. Für
ihn sind wir wahre Erlöser.«

»Bis es an der Zeit ist, den Preis zu zahlen. Was tut er im Gegenzug

für Sie?«

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»Er hat Wolfram und Hart davon überzeugt, dass dieser Besitz noch

viel wertvoller ist, als er scheint. Und nun wollen sie uns eine große
Menge Geld bezahlen, viel mehr als den tatsächlichen Wert. Der Feind
meines Feindes ist mein Freund, das haben Sie doch bestimmt schon
einmal gehört! Nun, Wolfram und Hartwerden schon bald guten Grund
haben, uns beide zu hassen – macht Sie das nicht glücklich?«

»Nein, das tut es nicht. Wenn ich auch alles zu schätzen weiß, was die

Pläne von Wolfram und Hart durchkreuzt, frage ich mich doch, was mit
Maldonado geschieht, wenn sie es herausfinden?«

»Ich denke, das fällt in Ihr Spezialgebiet, nicht in unseres. ›Wir helfen

den Hoffnungslosen‹, richtig?«

»Ich werde tun, was ich kann.«
»Das werden Sie sicherlich. Kanzleimitglied Rome steht, wie mir

scheint, ziemlich allein da.«

»Wenn Sie so viel Geld aus seinen Bossen rausholen, wie ich glaube,

dann wird Rome wünschen, er wäre nie geboren worden.«

Galvin verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Oh, es wird schon

eine beträchtliche Summe sein, da können Sie sich drauf verlassen.«

»Aber was ist es denn, was die Kanzlei glaubt, mit dem Grundbesitz zu

erwerben?«

»Ein riesiges Rohölvorkommen.«
»Aha«, sagte Angel. »Schlangenöl...«
Galvin grinste.
Und allem Unbehagen zum Trotz konnte auch Angel sich ein Grinsen

nicht verkneifen.


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