Jelinek, Elfriede Ich renne mit dem Kopf gegen die Wand und verschwinde


Elfriede Jelinek: Ich renne mit dem Kopf gegen die Wand und verschwinde - FAZ.NET - Feuilleton Page 1
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Elfriede Jelinek
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Elfriede Jelinek
Zum Thema
08. November 2004 Wenn Elfriede Jelinek aus dem Fenster ihres
Teil zwei des großen
Interviews mit Elfriede
Arbeitszimmers blickt, schaut sie auf den Wienerwald und auf einen Hügel,
Jelinek
der  Satzberg heißt. Hier, im Haus ihrer Mutter in einem Wiener Vorort,
sind die meisten der Werke entstanden, die jetzt Weltruhm erlangen: Im
Offener Brief von Elfriede
Jelinek zur
nächsten Monat erhält die umstrittenste Schriftstellerin der
Rechtschreibreform
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur den bedeutendsten Literaturpreis
der Welt.
Starke Nachfrage nach
Jelinek-Büchern
Die Entscheidung der Stockholmer Akademie hat eine heftige Kontroverse
Elfriede Jelinek: Die
Nobelpreis-Erträgerin
hervorgerufen, denn die Themen Elfriede Jelineks, die Verhältnisse in ihrem
Heimatland Österreich und das Geschlechterverhältnis, haben der Autorin
FAZ.NET Spezial:
neben viel Anerkennung auch den Vorwurf plumper Agitation und blinder Literaturnobelpreis für
Elfriede Jelinek
Männerfeindschaft eingetragen. Unser Gespräch ist das erste große
Interview, das Elfriede Jelinek nach der Bekanntgabe der Stockholmer
Die Nobelpreise 2004
Entscheidung gegeben hat. Sie spricht darin unter anderem über ihr
Verhältnis zu Deutschland, über Freud, ihre Zukunftspläne, die Angst vor
der Preisverleihung und ihre neue Lust am Schreiben.
Wenn jetzt alle, die je über Sie gesprochen haben, auf einmal Ihre
Bücher kaufen und lesen, was passiert dann?
Dann muß ich hier ausziehen. Ich bekäme vom Verlag so viele
Belegexemplare wegen der Neuauflagen, daß ich gar nicht mehr ins Haus
käme. Das ist ein kleines Einfamilienhäuschen, das ist nicht unbegrenzt
belastbar. Da muß ich die Gewichte gut verteilen, damit es nicht einstürzt.
Aber es wird schon ruhiger. Die ersten zwei, drei Tage waren wirklich ein
Horrortrip. Ich habe mir so etwas nicht vorstellen können, ich lebe ja immer
völlig zurückgezogen. Plötzlich um halb eins klingelt das Telefon, da spricht
ein Herr mit schwedischem Akzent, und ich wußte sofort, das ist jetzt nicht
getürkt, das ist Wirklichkeit. Und dann ruft mich meine Verlegerin Elisabeth
Ruge an und sagt: Wenn du es nicht aushältst, mußt du jetzt sofort das
Haus verlassen. Aber es ging nicht mehr, um eins waren sie schon da.
Wurden Sie richtiggehend belagert?
Ja, für meine Verhältnisse schon. Madonna ist so etwas gewöhnt, aber ich
nicht. Aber das Interesse wird auch schnell wieder abnehmen. Ich bin
einfach keine, die sich für den Massenkonsum eignet.
Wären Sie es denn gerne?
Nein, ich kann das nicht. Ich würde schon gerne einen tollen Krimi
schreiben können, so wie Chandler oder Hammett oder Ruth Rendell und P.
D. James. Aber das versuche ich gar nicht, weil die dieses Genre zur
Perfektion gebracht haben. Höchstens  Gier ist ja ein bißchen ein Krimi,
wenn auch ohne Suspense.
http://www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~EF60BFDDDA048418B914311DC396A5
08.11.2004 17:26:28
Gehen Ihnen da nicht manchmal die Gäule durch?
Das kann schon passieren. Mein Roman  Kinder der Toten war eigentlich
auch als kleine Gespenstergeschichte geplant. Aber ich bin jemand, bei dem
es plötzlich anfängt zu wuchern. Und dann schießen aus dem Geflecht unter
der Erde überall die Pilze heraus - bei guter Düngung. Das habe ich dann
nicht mehr in der Hand. Ich bin ja keine planerische Autorin.
Ihre Bücher waren bereits vor dem Nobelpreis in verschiedene
Sprachen übersetzt, etwa ins Schwedische. Jetzt wird an
zahlreichen weiteren Übersetzungen gearbeitet. Verfolgen Sie, wie
Ihre Bücher im Ausland wahrgenommen werden?
Nein, ich verfolge ja nicht einmal, wie sie hier aufgenommen werden. Ich
lasse mich schonend informieren, auch jetzt. Gewisse Reaktionen kann ich
nicht lesen. Ich lese auch die guten Sachen nicht. Ich lese gar nichts. Aber
das ist neurotisch, wie das meiste an mir, das gebe ich schon zu.
Wir meinten weniger das Urteil der Kritik. Bei Ihren Büchern stellt
sich doch die Frage, ob sie überhaupt übersetzbar sind. Ist als Leser
nicht verloren, wer den österreichischen Hintergrund nicht kennt?
Das stimmt, das ist das größte Problem. Deswegen wundere ich mich auch
so sehr über den Preis, weil ich eigentlich eine Provinzautorin bin, die in
einer bestimmten Weise mit einer bestimmten Sprache arbeitet, die man
schon in Deutschland nicht mehr versteht. Ich stehe in der Traditionslinie
der Wiener Gruppe. Vom frühen Wittgenstein über Karl Kraus bis zur Wiener
Gruppe ist das eine sehr sprachzentrierte Literatur, die eigentlich weniger
mit Inhalten arbeitet als mit der Lautlichkeit, mit dem Klang von Sprache.
Und das läßt sich nicht übersetzen.
Viele Deutsche verstehen auch meinen Witz überhaupt nicht, die finden das
nicht komisch. Ich habe das Gefühl, ich stoße vor allem in Deutschland in
ein vollkommen leeres Rezeptionsfeld, in eine Rezeptionswüste. Meine
Vermutung ist, daß das mit dem verschwundenen jüdischen Biotop zu tun
hat, von dessen Rändern ich doch irgendwie herkomme. Ob das jetzt das
Wiener Kabarett ist mit Karl Farkas und all den anderen oder ob ich das mit
meiner Familie bin, da ist einfach ein ständiges Gewitzel. Das ist ein
unaufhörliches Sprachspiel. In Deutschland ist das kaputtgemacht worden,
einfach zerstört. Karl Kraus hat Dramolette geschrieben, die im Caféhaus
spielen, wo man sich totlacht, aber die Leute haben das decodieren und
goutieren können. Kraus hat den kulturellen Dung vorgefunden, wo das
dann aufgegangen ist. Und das würde ich brauchen. Ich schreibe eigentlich
aus dieser Tradition heraus und habe das Gefühl, ich schreibe ins Leere
hinein.
Sie berufen sich aber auch auf die andere Seite, auf das Katholische
und das Barocke.
Ja, da stoßen wirklich zwei Kulturen aufeinander. Der scharfe jüdische Witz
und das ausladende, barocke Über-die-Ufer-Treten der Sprache. Ich kann ja
sozusagen nichts auslassen. Es gibt keine Leerstellen. Alles wird sofort mit
Sprache aufgefüllt. Als könnte man das Geschriebene beschwören, indem
man unaufhörlich spricht. Aber gleichzeitig erschrickt das Gesagte über
seinen Gegenstand, und dadurch entsteht etwas wie eine Differenz, und
dahinein wird eben der Sarkasmus gestopft. Irgendwie findet das in
Deutschland kein Echo; die Leute lachen einfach kaum jemals über meine
Sachen. Und dann stand in einer Rezension vor vielen Jahren einmal:
Vielleicht haben wir diese Autorin ja immer falsch gelesen, vielleicht ist das
ja komisch gemeint. Da habe ich wirklich gedacht, das fasse ich einfach
nicht.
Wie erklären Sie sich dann, daß Thomas Bernhards Witz in
Deutschland so gut funktioniert hat?
Der ist nicht so sprachexperimentell. Bernhard ist zwar auch ein
musikalischer Autor, ein, wie ich finde, weniger lautmalerischer als
rhythmischer Autor. Das sind eher Sinusschwingungen. Und meine
Annahme ist ja die, daß Bernhard süchtig macht, weil es ein Prosarhythmus
ist, in der Lyrik würde man sagen: eine Prosodie, die einen zwingt,
mitzuatmen in einem fremden Rhythmus. Bernhard war ja ein Sprecher, der
konnte zwölf Stunden ununterbrochen reden. Bis die Leute vor Erschöpfung
umgefallen sind. Das erzeugt eine Art Suchtverhalten, wenn man diese
Tiraden nachliest oder mitspricht im Kopf, man gerät in einen anderen
Atemrhythmus als den eigenen. Das löst eine leichte Trance aus. Deshalb
sind seine Stücke auch so genial, weil das gesprochene Stücke sind, und
auch seine geschriebenen Texte sind eigentlich gesprochene Texte. Aber bei
Bernhard kommt natürlich auch dieser Herrschaftsanspruch des Erzählers
dazu, den eine Frau gar nicht haben kann. Er hatte eine vollkommene
Souveränität über seinen Gegenstand.
Bernhards Sprache, sagen Sie, ist eine Herrensprache, eine
männliche Sprache. Ist nicht Sprache immer ein
Herrschaftsinstrument? Hat nicht Ihre Sprache auch einen starken,
fast männlichen Gestus?
Ja, es ist diese Anmaßung, die einen drüberträgt. Das würde ich phallische
Anmaßung nennen, aber das macht aus mir noch keinen Mann. Es liegt
darin natürlich auch eine Auflehnung gegen die Tatsache, daß man sich als
Frau nicht einschreiben kann. Man rennt mit dem Kopf gegen die Wand. Man
verschwindet. Aber man kann sich nicht einschreiben. Ich maße mir das
aber trotzdem immer wieder an, und was mich trägt, ist die Wut auf
Österreich. Vielleicht unterscheidet mich auch meine Leidenschaft von
anderen. Aber das ist nicht die autoritäre Position, die Bernhard hat. Diesen
Subjektstatus, diese Sicherheit des Sprechens - das hat nur ein männlicher
Autor.
Und weil Sie diesen Subjektstatus nicht besitzen, benutzen Sie eine
Kunstsprache?
Ich würde sagen, ich mache diese Sprache, ich stelle sie her. Was ich
schreibe, ist ja keine normale Sprache, das ist eben eine Art Kunstsprache,
auch in der Montagetechnik, mit der ich zuweilen arbeite. Es ist eigentlich
eine Sprachkomposition. Damit es weitergeht, kommt von irgendwoher ein
Satz, den ich brauchen kann, und dann reißt mich dieser Satz wieder voran,
und schon geht es wieder weiter. Die Sprache ist wie ein Hund, sage ich oft,
weil ich immer Hunde gehabt habe, ein Hund, der einen an der Leine hinter
sich herzerrt, und man kann nur mitrennen.
Aber ist Thomas Bernhards Souveränität nicht auch nur Pose?
Bernhard wurde doch genauso von seinem Sprachhund mitgezogen
wie Sie und andere Autoren auch.
Ja, aber er ist ein Subjekt, das das Recht des Zugriffs hat, das sozusagen
Geschichte macht und das die Traditionen all derjenigen hinter sich weiß,
die Geschichte gemacht haben. Und weshalb hat er denn immer
hauptsächlich mit Aristokraten verkehrt und mit dem Großbürgertum? Weil
die es sind, die Geschichte machen. Und dann ist es immer auch der
Gegenstand. Wenn einer bei Bernhard ein Wahnsinniger ist, dann ist es
natürlich ein Paul Wittgenstein, der ein faszinierender Mann gewesen sein
muß, und nicht jemand wie mein Vater, der zufällig auch am Steinhof, auf
der Baumgartner Höhe, gestorben ist, allerdings im Irrenhaus dort.
Bernhard beschreibt ja seinen eigenen Aufenthalt in der Lungenheilanstalt,
die sich gleich daneben befindet, sozusagen am selben Ort. Natürlich war
Bernhard zu intelligent, um dem auf Dauer zu verfallen, deshalb er hat das
alles subversiv gleich wieder zerstört. Bernhard hatte dieses Wissen, daß
das alles Schrott ist, das hat er ja gewußt. Gleichzeitig ist da immer dieser
Blick nach oben, zu einer  besseren Gesellschaft , die aber auch sofort
wieder zerfällt, in Wahn und Selbstmord endet, kaum daß man sie einmal
fixiert hat.
Bei Ihnen könnte man sich höchstens an Ihre Frauenfiguren halten,
an die  Gertis in Ihren Romanen.
Ja, aber das ist einem Mann natürlich fremd. Und auch eine Figur wie der
Fabrikdirektor in  Lust ist einem Mann einfach fremd. Es gibt halt den
männlichen Blick, und der weibliche Blick auf den Mann ist immer eine
Überschreitung. Das spüre ich beinahe körperlich.
Sind Sie eigentlich noch die Feministin, die Sie einmal waren?
Schließlich rechnet niemand so gnadenlos mit Frauen ab wie Sie.
Wo Frauen totale Komplizinnen der Männer sind, da steche ich natürlich
hinein, da identifiziere ich mich auch als Frau nicht mehr mit ihnen. Die
Unterlegenen müssen ja die Herren studieren, damit sie ihnen nicht ganz
zum Opfer fallen. Und kennen natürlich auch ihre Schwächen. Und je
weniger die Männer bereit sind, nach außen hin ihre Macht zu teilen, um so
mehr haben sie nach innen zu leiden. Die Macht der Frauen nach innen ist
erdrückend. Wenn die Frauen immer nur, vielleicht auch aus Angst, aus dem
öffentlichen Raum weggedrängt werden, dann kommen sie natürlich als
Ungeheuer zurück, als Gespenster, so wie die Toten in der österreichischen
Geschichte in den  Kindern der Toten . Das Verdrängte kehrt als Schrecken
zurück, nur noch viel furchtbarer.
Bieten Ihre Frauenfiguren deswegen keine
Identifikationsmöglichkeiten?
Ja, so ist es. Ich kann nichts Positives schildern. Und wenn, dann nur in
ganz kurzen Texten. Das liegt einfach an der Verzweiflung. Was man sagt,
geht ins Leere, das weiß man. Sogar die öffentliche Rezeption meiner Arbeit
geht fehl. Ich kriege ja auch so entsetzliche Kritiken. Entsetzliche,
vernichtende Kritiken und dazu dann viele Preise. Ich verstehe das nicht.
Warum dann die Preise, wenn das alles Schrott ist, was ich schreibe? Sind
das die Germanisten, die Literaturwissenschaftler, die Preise vergeben?
Erklären kann ich es mir nicht.
Daran, daß die Germanisten Ihren Humor eher verstehen als die
Kritiker, dürfte es jedenfalls kaum liegen. Aber welche Funktion hat
die Komik eigentlich für Ihr Werk?
Wenn man die Komik versteht, weiß man, daß es das Schlimmste ist, wenn
man sich über etwas lustig macht. Das ist kastrierend. Und so werden ja
auch die Komikerinnen in den Hollywood-Filmen immer eingesetzt, die sind
kastrierend. Häßlich, grotesk und kastrierend. Eine Ausnahme ist vielleicht
gerade mal eine Katharine Hepburn, eine schöne Frau, aber in  Leoparden
küßt man nicht tut sie in dem ganzen Film auch nichts anderes, als hinter
dem Mann herzurennen.
Bis der Dinosaurier zum Schluß zusammenfällt.
Ja, aber das Patriarchat ist deshalb auch noch nicht zusammengefallen. Es
ist ja nicht die Demütigung durch den Mann, sondern es ist die Demütigung
darüber, daß man sich in diesen Wertmaßstab, in diese Beurteilung nicht
einschreiben kann, daß man sozusagen aus diesem Beurteilungsraster
herausfällt, weil es nicht die eigenen Maßstäbe sind, die überhaupt je gültig
werden können.
Aber bei Katharine Hepburn sieht man doch sehr deutlich, daß sie
immer wieder hinter das Erreichte zurückfällt: Sie verstellt sich,
weil sie Angst hat, daß der Mann Angst vor ihr haben könnte. Die
hat er auch, schreckliche Angst, weil sie ihn überfordert, weil sie zu
schnell, zu intelligent, zu witzig, zu vital für ihn ist.
Und dann wird er selber zur Frau. Es gibt doch diese Szene, wo Cary Grant
dieses Negligé mit Schwanenflaum anzieht, weil gerade nichts anderes da
ist. Das ist ja ein Rollentausch, ein ganz raffinierter, weil dann kurz die
Frauenrolle der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Es gibt einfach nichts
Lächerlicheres als Männer im Ballettröckchen. Aber sich als Mann zur Frau
zu machen, ist einerseits wahnsinnig komisch, andererseits ist es die
Verachtung durch den Mächtigen, der jederzeit auch anders könnte, aus
seiner Rolle heraustreten könnte, die die Komik erzeugt.
Teil zwei: Elfriede Jelinek über Freud, die Stunden nach dem Anruf aus
Stockholm und die Angst vor der Preisverleihung
Das Gespräch führten Rose-Maria Gropp und Hubert Spiegel.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2004, Nr. 261 / Seite 35
Bildmaterial: APA
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