Translatorisches Handeln
„Durch translatorisches Handeln`
als Expertenhandlung
soll ein Botschaftsträger Text`
im Verbund mit anderen Botschaftsträgern
produziert werden,
ein Botschaftsträger Text`,
der in antizipierend zu beschreibender Rezeptionssituation
zwecks kommunikativer Steuerung von Kooperation
über Kulturbarrieren hinweg
seine Funktion erfüllt.“ (Holz-Mänttäri 1986: 366)
So die verkürzte Definition Justa Holz-Mänttäris zum Aufgabenbereich eines Übersetzers. Doch was genau meint sie mit Ausdrücken wie translatorisches Handeln, Expertenhandlung und Botschaftsträger?
In ihrer Monographie Translatorisches Handeln. Theorie und Methode stellte die finnische Übersetzungswissenschaftlerin Justa Holz-Mänttäri 1984 einen neuen Ansatz zur Beschreibung der Übersetzertätigkeit vor und führte dabei die oben genannten Begriffe ein. Sie betrachtet den Translationsprozess nicht isoliert als reine Tätigkeit des Translators, sondern integriert ihn erstmals in ein der realen Arbeitssituation nahes Handlungskonzept mit vielen arbeitsteilig Handelnden. Damit liefert sie eine theoretische Grundlage für alle Aspekte der übersetzerischen Praxis: „Das translatorische Handlungskonzept soll […] Translationsfälle jeder Art abdecken und dem pragmatischen Handeln als Richtlinie dienen können“ (1984: 94).
Holz-Mänttäri bringt dabei viel Erfahrung aus der Praxis mit und stellt das Handeln in den Mittelpunkt ihrer Theorie (1986: 352). Wichtig ist ihr besonders, die Tätigkeit des Übersetzers als professionelles Handeln zu beschreiben und sie zum Beispiel gegenüber dem Übersetzen im Fremdsprachenunterricht abzugrenzen.
Handlungsgefüge
Holz-Mänttäri betrachtet die Tätigkeit des Übersetzers als Teil eines komplexen Handlungsgefüges, zu dem verschiedene Handlungen und Kooperationen mehrerer Aktanten, also Handelnder, gehören.
Um eine theoretische Basis für „Translationsfälle jeder Art“ zu schaffen, entwickelt Holz-Mänttäri für die beteiligten Aktanten verschiedene Rollen (vgl. 1984: 109-111). Diese sind im Einzelfall jedoch nicht an jeweils eine Person gebunden. Es können sowohl mehrere Rollen in einer Person zusammenfallen, als auch mehrere Personen eine Rolle übernehmen.
Auslöser translatorischer Handlungen ist der Translations-Initiator oder Bedarfsträger, der für seine kommunikativen Zwecke einen übersetzten Text benötigt. Separat davon betrachtet Holz-Mänttäri die Rolle des Bestellers, der den Translator beauftragt, einen Text zu produzieren. Diese beiden Rollen würden beispielsweise zusammenfallen, wenn ein Unternehmen einen Übersetzer direkt beauftragt; ein eingeschaltetes Übersetzerbüro würde hingegen nur die Rolle des Bestellers übernehmen ohne selbst Bedarfsträger zu sein.
Ebenfalls vor der Handlung des Übersetzers, handelt der Ausgangstext-Texter, der den Text, der übersetzt werden soll, entweder zu eben diesem Zweck oder zu einem anderen produziert (hat). Anhand dieses Textes produziert dann der Translator einen Zieltext.
Auf der anderen Seite stehen der Zieltext-Applikator, der mit dem produzierten Text arbeitet, und der Zieltext-Rezipient, für den die vertextete Botschaft bestimmt ist. Den Unterschied zwischen diesen beiden Funktionen erklärt Holz-Mänttäri am Beispiel eines Verkäufers, der als Applikator einen Prospekt verwendet, um einen Kunden zu einem Kauf zu bewegen. Der Kunde rezipiert dann die darin enthaltenen Informationen. Rezipient kann aber auch der Verkäufer sein, der selbst Informationen im Prospekt nachschlägt.
Verantwortung und Kommunikation
Im Gegensatz zu traditionellen Übersetzungsmodellen, die den Übersetzer als Mittler im Kommunikationsprozess darstellen, sieht Holz-Mänttäri den Translator als außenstehenden „Experte[n] für die Produktion von transkulturellen Botschaftsträgern, die in kommunikativen Handlungen von Bedarfsträgern […] eingesetzt werden können“ (1986: 354). Somit ist der Übersetzer nicht Teil der kommunikativen Handlung, es wird lediglich sein Produkt, der Text, für diese Handlung verwendet. „Sein Handeln ist translatorisches Handeln, nicht kommunikatives“ (1984: 66). Dem Übersetzer kommt durch diese Betrachtungsweise eine stärkere Position als gleichberechtigter Kooperationspartner zu, aber auch eine größere Verantwortung und Haftung für sein Produkt und den Erfolg seines Handelns. Holz-Mänttäri geht so weit zu erklären, „dass der Zieltext als Produkt des Translators sein geistiges Eigentum ist“ und er „die Verantwortung für das Endprodukt“ trägt. Deshalb sollten auch Änderungen mit ihm abgesprochen und ihm z. B. die Druckfahnen zur Korrektur vorgelegt werden (1984: 115).
Holz-Mänttäris komplexer Ansatz berücksichtigt also auch Verantwortlichkeiten des Bedarfsträgers bzw. des Bestellers. Zu diesen gehört, dass er dem Übersetzer unter anderem Auskunft über den Zweck des Zieltextes und über die intendierten Rezipienten gibt. Diese Produktspezifikationen stellen den Maßstab dar, anhand dessen die Übersetzung diskutiert und kritisiert werden kann (1986: 351f.).
Da aber die Bedarfsträger keine Experten für die bedarfsgerechte Zieltextproduktion sind, müssen Translatoren in dieser Hinsicht auch beratend tätig werden. So ist Kommunikation und Kooperation zwischen allen Beteiligten entscheidend für den letztendlichen Erfolg der kommunikativen Handlung (1984: 118).
Expertendistanz, Expertenhandlung
Das, was den Translator „vom Bedarfsträger und von der Verwendungssituation des von ihm zu produzierenden Botschaftsträgers trennt“, nennt Holz-Mänttäri „Expertendistanz“ (1986: 363). Damit meint sie ihm fehlende Kenntnisse über Faktoren der aktuellen Kommunikationssituation, wie etwa Rezipienten oder Zweck, sowie fehlendes Sachwissen in Bezug auf den Inhalt der zu übertragenden Botschaft. Diese Distanz muss der Translator durch eine „Expertenhandlung“ (1986: 363) ausgleichen, indem er sich etwa mit dem Bedarfsträger austauscht, bestimmte Elemente durch Analyse erschließt oder recherchiert (1984: 114). Die Klärung aller Bedarfsfaktoren ist immer der erste Schritt translatorischen Handelns, bevor die eigentliche Textproduktion beginnt (1984: 96).
Textdesign - Designtext
Justa Holz-Mänttäri bezeichnet die professionelle Herstellung von Texten als Textdesign. Das dabei entstehende Produkt nennt sie Designtext (Holz-Mänttäri 1993: 303), also Texte, die speziell auf einen bestimmten Rezipienten zugeschnitten werden. „Professionelle Herstellung“ bedeutet dementsprechend, dass der Textdesigner (also z. B. der Übersetzer) diese Texte nicht für den eigenen Bedarf oder nach eigenen Vorstellungen herstellt, sondern im Auftrag des Bestellers und mit Hilfe einer Produktspezifikation. Der Text (bei Holz-Mänttäri auch Produkt genannt) wird also für den Fremdbedarf hergestellt und erfüllt einen bestimmten Zweck. Ein Text kann dabei auch nonverbale Zeichen enthalten und auf unterschiedlichste Art gesendet werden (Bilder, Videos, Fernsehen, Radio, Zeitung etc.). Holz-Mänttäri spricht anfangs von einer Verwendung von Botschaftsträgern im Verbund, in späteren Veröffentlichungen von Botschaftsträgern im Medienmix (1993: 303). Der Terminus Botschaftsträger wird hier als Oberbegriff verwendet, da der Textdesigner mit Texten aller Art zu tun hat und ein Modell all diese Arten abdecken soll (1993: 303).
Zum Translatorischen Handeln (als Expertenhandlung) gehört auch, sich zusätzliche kommunikative, kulturelle und soziale Fähigkeiten anzueignen, um die Handlungssituation des Rezipienten mental konstruieren zu können (Ortner 2003: 6). Dazu kommen noch Anforderungen im ethischen, ökonomischen, rechtlichen und ökologischen Bereich; „Professionalität stellt Textdesign in das ethische Spannungsfeld von Ermächtigung und Verantwortung“ (1993: 304). Das Modell des Translatorischen Handelns soll dabei Hilfe und theoretische Grundlage sein.
Laut Holz-Mänttäri ist das Textdesign biokybernetischen Bedingungen unterworfen, also einem System, das der Funktionsweise des menschlichen Gehirns entspricht (1993: 302). Dies ermöglicht es dem Textdesigner, sich in verschiedene Situationen hineinzudenken, sich eine Vorstellung von dem herzustellenden Text zu machen, sich von ihm zu lösen und schließlich mit Hilfe seines „Formulierungspotentials kreativ einen Designtext [zu] schaffen, obwohl er in einen vertraglichen Rahmen mit diversen Bedingungen eingebunden ist, als Übersetzer z. B. einen Ausgangstext vorliegen hat“ (1993: 305).
Fazit und Fragen
Justa Holz-Mänttäri wurde oft kritisiert für ihr kompliziertes Modell, das gespickt ist mit Begriffen, die für den Bereich Sprach- und Übersetzungswissenschaft eher unüblich sind (Produkt, Bedarf u. a.). Außerdem wird das Modell dem einen oder anderen Übersetzer eher realitätsfern und für die Praxis viel zu umständlich erscheinen. Dabei sollte man jedoch bedenken, dass Justa Holz-Mänttäri mit ihrer Theorie auch erreichen wollte, dass das Übersetzen als Expertenhandlung anerkannt wird. Sie sieht den Übersetzer als Experten und gleichberechtigten Partner in einem Verbund von handelnden Personen. Damit wachsen natürlich auch die Verantwortung des Übersetzers und die Anforderungen an ihn.
Dennoch bleibt die Frage der Durchführbarkeit bestehen. Eine „Produktspezifikation“ wäre zwar sicher hilfreich, kostet aber auch Zeit und nicht in jedem Fall kann der Besteller genaue Auskünfte geben (Bsp. Agenturen). Auch die Beraterfunktion des Übersetzers erscheint uns durchaus sinnvoll - aber auch praktikabel? Wie sieht es mit der Verantwortung des Übersetzers für die abschließende Kontrolle des „Endprodukts“ aus? Räumt Holz-Mänttäri dem Übersetzer zu viel kreative Freiheit ein?
Die Theorie des translatorischen Handelns ist als Idealbild und vielleicht auch als Leitfaden zu verstehen. Letztendlich muss jeder Übersetzer selbst entscheiden, welche Strategien er - als Experte - anwenden will.
Literaturverzeichnis
Holz-Mänttäri, Justa (1984): Translatorisches Handeln. Theorie und Methode. Helsinki: Suomalainen Tiedeacatemia.
Holz-Mänttäri, Justa (1986): „Translatorisches Handeln - theoretisch fundierte Berufsprofile“ in: Snell-Hornby, Mary (Hrsg.): Übersetzungswissenschaft - Eine Neuorientierung. Tübingen: Francke Verlag, 348-374.
Holz-Mänttäri, Justa (1993): „Textdesign - verantwortlich und gehirngerecht“ in: Justa Holz-Mänttäri / Christiane Nord (1993): Traducere navem. Festschrift für Katharina Reiß. Tampere: Universitätsbibliothek Tampere, 301-320.
Ortner, Stefan (2003): Funktionale Ansätze der Translationswissenschaft - Translatorisches Handeln und Skopostheorie im Vergleich. Graz. Karl-Franzens-Universität. <http://www.textfeld.at/text/413/>
Risku, Hanna (1998): „Translatorisches Handeln“ In: Snell-Hornby, Mary et. al.(Hrsg.): Handbuch Translation. Zweite, verbesserte Auflage. Tübingen: Stauffenberg Verlag, 107-111.
Lehrveranstaltung: Übersetzungswissenschaft Spanisch SS 08
Dozent: Dr. Sinner
eingereicht von Ulrike Riechen und Björn Mackenthun
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