Obraz5 (8)

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Gesichter zu lachen anfangen! Das ist es, wofiir man musi-ziert.“

„Sehr gut, Herr Pablo. Aber es gibt nicht blofi sinnliche Musik, es gibt auch geistige. Es gibt nicht bloB die, die im Au-genblick gerade gespielt wird, sondern auch unsterbliche, die weiterlebt, auch wenn sie nicht gerade gespielt wird. Es kann jemand allein in seinem Bett liegen und in seinen Ge- ■ danken eine Melodie aus der Zauberflóte oder aus der Mat-thauspassion erwecken, dann findet Musik statt, ohne dafi ein einziger Mensch in eine Flotę blast oder eine Geige streicht."

„GewiG, Herr Haller. Auch der Yearning und der Valencia wird jede Nacht von vielen einsamen und traumerischen Menschen stumm reproduziert; noch das armste Schreibma-schinenmadel in seinem Bureau hat den letzten Onestep im Kopf und trommelt ihre Tasten nach seinem Takt. Sie ha-ben recht, alle die einsamen Menschen, ich gónnc ihnen al-len ihre stumme Musik, sei es der Yearning oder die Zauberflóte oder der Valencia! Aber woher nehmen denn diese Menschen ihre einsame, stumme Musik? Sic holen sie bei uns, bei den Musikanten, sie mufl zuerst gespielt und ge-hórt werden und ins Blut gegangen scin, eh einer daheim in seiner Kammer an sie denken und von ihr traumen kann."

„Einverstanden", sagte ich kiihl. „Dennoch gcht es nicht an, Mozart und den neuesten Foxtrott auf eine Stufe zu stellen. Und es nicht einerlei, ob Sie den Leuten góttliche und ewige Musik vorspielen oder billige Eintagsmusik."

Ais Pablo die Erregthcit in meiner Stimme wahrnahm, machte er alsbald sein liebstes Gesicht, strich mir kosend iiber den Arm und gab seiner Stimme eine unglaubliche Sanftheit.

„Ach, lieber Herr, mit den Stufen mógen Sie ja ganz recht haben. Ich weiG gewiG nichts dagegen, dafi Sie Mozart und Haydn und den Valencia auf jede Ihnen beliebendc Stufe stellen! Mir ist das ganz einerlei, ich habe iiber die Stufen nicht zu cntscheiden, ich werde nicht hieriiber gefragt. Der Mozart wird vielleicht auch noch in hundert Jahren gespielt werden und der Vaicncia vielleicht schon in zwei Jahren nicht mehr - ich glaube, das kónnen wir ruhig dem lieben Gott iibcrlassen. er ist gerecht und hat unser aller Lebens

dauer in der Hand, auch die jedes Walzers und jedes Fox-trott, er wird sicher das Richtige tun. Wir Musikanten aber, wir miissen das Unsere tun, das, was unsere Pflicht und Aufgabc ist: wir miissen das spiclen, was gerade im Augen-blick von den Leuten begehrt wird, und wir miissen es so gut und schón und cindringlich spielen wie nur móglich." Seufzend gab ich es auf. Diesem Menschen war nicht beizu-knmmen.

In manchen Augcnblicken war Altes und Neues, war Schmerz und Lust, Furcht und Freude ganz wunderlich ilurcheinandcr gemischt. Bald war ich im Himmel, bald in iler Hólle, meistens in beiden zugleich. Der alte Harry und iler neue lebten bald im bittern Streit, bald im Frieden mit-einander. Der alte Harry schien manchmal ganz und gar tot zu sein, gestorben und begraben, und plótzlich stand er dann wieder da, befahl und tyrannisierte und wufite alles hesser, und der neue, kleine, jungę Harry schamte sich, schwieg und liefi sich an die Wand drucken. Zu andern Siunden nahm der jungę Harry den alten an der Kchle und ilriickte wacker zu, es gab viel Gestóhne, viel Todeskampf, viel Gedanken an das Rasiermesser.

()ft aber schlug Leid und Gliick in einer Welle iiber mir zu-■•.immen. Ein solcher Augenblick war der, in dem ich we-nigc Tage nach meinem ersten óffentlichen Tanzversuch .im Abend mein Schlafzimmer betrat und zu meinem na-menlosen Erstaunen, Befremden, Schreck und Entziicken die schone Maria in meinem Bert liegen fand.

Von allen Uberraschungen, denen Hermine mich bisher .msgesetzt hatte, war dies die heftigste. Denn daran zwei-lelte ich keinen Augenblick, dafi sie es war, die mir diesen l\iradiesvogeI zugesandt habe. Ich war an jenem Abend aus-n.dimsweise nicht mit Hermine zusammen gewesen, son-dem hatte im Munster eine gute Auffiihrung alter Kirchen-iimsik angehórt - es war ein schóner und wehmiitiger Aus-flug in mein ehemaliges Leben gewesen, in die Gefilde mei-uer Jugend, in die Gebicte des idealen Harry. Im hohen r.otischen Raum der Kirche, dereń schone Netzgewólbe im ‘'piel der wenigen Lichter geisterhaft lebendig hin und wi-der schwangen, hatte ich Stiicke von Buxtehude, Pachelbel, Iłach, Haydn gehórt, war die geliebten alten Wege wieder

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