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Zweiter Teil
Zweiter Teil
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Kassierer. Meine Sache. Meine Sache.
M a d c h e n. Was summst du vor dich hin?
Kassierer. Das Holzbein.
M a d c h e n. Bist du bereit?
Kassierer. Noch nidit. Noch nicht.
Einer (in Saalmitte stehend). Was ist meine Siinde? Ich will meine Siinde horen.
O f f i z i e r (auftretend). Unser Kamerad will euch er-zahlen.
E i n i g e (erregt). Hinsetzen. Stille. Erzahlen.
S o 1 d a t (dlterer Mann). Laik euch von mir berichten. Es ist eine alltagliche Geschichte, weiter nichts. Darum wurde sie meine Siinde. Ich hatte eine gemiitliche Wohnung, eine zutrauliche Familie, eine beąueme Be-schafligung - es ging immer alltaglidi bei mir zu. Wenn ich abends zwischen den Meinen am Tisch unter der Lampe saB und meine Pfeife schmauchte, dann war ich zufrieden. Ich wiinschte niemals eine Veranderung in meinem Leben. Dennoch kam sie. Den Anstofi dazu weifi ich nicht mehr - oder ich wufite ihn nie. Die Seele tut sich auch ohne besondere Erschiitterung kund. Sie kennt ihre Stunde und benutzt sie. Icła konnte jedenfalls nicht ihre Mahnung iiberhoren. Meine Trag-heit wehrte sich im Anbeginn wohl gegen sie, aber sie war machtiger. Das fiihlte ich mehr und mehr. Die Seele allein konnte mir dauernde Zufriedenheit schaf-fen. Und auf Zufriedenheit war ich ja mein Lebtag bedacht. Jetzt finde ich sie nidit mehr am Tisch mit der Lampe und mit der langen Pfeife im Munde, son-dern allein auf der Bufibank. Das ist meine ganz alltagliche Geschichte. (Er tritt beiseite.)
O f f i z i e r (auftretend). Unser Kamerad hat euch--
Einer (schon kommend). Meine Siinde! (Oben.) Ich bin Familienvater. Ich habe zwei Tochter. Ich habe meine Frau. Ich habe meine Mutter noch. Wir wohnen alle in drei Stuben. Es ist ganz gemiitlich bei uns. Meine Tochter - eine spielt Klavier - eine stickt. Meine Frau kodht. Meine Mutter begieik die Blumentopfe hinterm Fenster. Es ist urgemiitlidi bei uns. Es ist die Gemiit-lichkeit selbst. Es ist herrlich bei uns - grofiartig - vor-
bildlidi - praktisdi - musterhafl--(Verdndert.) Es
ist ekelhaft - entsetzlidi - es stinkt da - es ist armse-lig - vollkommen durdi und durch armselig mit dem Klavierspielen - mit dem Sticken - mit dem Kodien -
5 mit dem Blumenbegiefien - (Ausbrechend.) Ich habe eine Seele! Ich habe eine Seele! Ich habe eine Seele. Ich habe eine Seele! (Er taumelt zur Buflbank.)
O f f i z i e r. Eine Seele ist gewonnen!
(Posaunen und Pauken.
10 Hoher Tumult im Saal.)
V i e 1 e (nach den Posaunen und Pauken aufrecbt, auch auf den Bdnken aufrecbt). Was ist meine Siinde? Was ist meine Siinde? Ich will meine Siinde wissen! Ich will meine Siinde wissen!
15 O f f i z i e r (auftretend). Unser Kamerad will euch erzahlen.
(Tiefe Stille.)
Madchen. Siehst du ihn?
20 ter.
Madchen. Was murmelst und fliisterst du immer?
Kassierer. Meine Sache. Meine Sache. Meine Sache.
Madchen. Bist du bereit?
Kassierer. Noch nicht. Noch nicht. Noch nicht.
25 S o l d a t (in mittleren Jahren, auftretend). Meiner Seele war es nidit leicht gemadlt, zu triumphieren. Sie mufite midi hart anfassen und riitteln. SdilieBlidi ge-
brauchte sie das schwerste Mittel. Sie sdiidue midi ins Gefangnis. Ich hatte in die Kasse, die mir anver-3c traut war, gegriffen und einen grohen Betrag defrau-diert. Ich wurde abgefafit und verurteilt. Da hatte ich in der Zelle Rast. Das hatte die Seele abgewartet. Und nun konnte sie endlich frei zu mir sprechen. Ich mufite ikr zukoren. Es wurde die sckonste Zeit mein.es
35 Lebens in der einsamen Zelle. Und ais lek kerauskam, wollte ick nur nock mit meiner Seele Arerkekren. Ick