Horst Fassel 4
Am ausgepragtesten war in den westlichen Landesteilen die Front-stellung der Rumanen gegen die Ungarn, in der óstlichen Landeshalfte wur-den die Juden ais Hauptangriffsziel anvisiert, obwohl sie gerade ais Vermitt-ler nach West- und Osteuropa dem neuen rumanischen Staat gute Dienste leisteten 1. Der Antisemitismus war in Ostrumanien ein Mittel, von den haus-eigenen Schwierigkeiten politischer, wirtschaftlicher, gesamtgesellschaftli-cher Art abzulenken; dies war im Westteil des Landes ahnlich,nur daB hier die historische Kontroverse mit den Ungarn noch deutlicher in Erscheinung trat. Ais durch den Wiener Schiedsspruch GroBrumanien am 30. August 1940-Nordsiebenburgen an Ungarn abtreten muBte, nachdem vorher durch das Ultimatum vom 26. Juni die Nordbukowina und Bessarabien an die Sowjet-union abgetreten worden waren, gab es scheinbar Beweise ftir die fruhere Furcht vor den Minderheiten, welche in Nachbarnlandem Ruckendeckung fur Sonderforderungen finden konnten.
2. Allein in den Gebieten des ehemaligen Kónigreichs Ungarn, die Rumanien angegliedert wurden, lebten 534.427 Deutsche2, das waren 10,6%. der Bevólkerung dieser Gebiete (Siebenbiirgen, Banat, Sathmar). Aus Bes-sarabien und der Bukowina kamen nach 1918 noch ungefahr 150.000 Deutsche hinzu. Im Jahre 1912 hatten im Kónigreich Rumanien 29.400 Deutsche gelebt, die nur 0,4% der Gesamtbevólkerung reprasentierten. Der Unter-schied vor und nach 1918 ist offensichtlich. Im Jahre 1940 gab es in GroBrumanien 780.000 Deutsche; das waren 4,1% der Landesbevólkeiung. Fs gab ebenso viele Juden, dazu Ungarn, Ukrainer, Serben, Zigeuner usw. Diese wenigen Zahlenangaben zeigen, daB Rumanien vor und nach 1918 ein unter-schiedliches Profil aufwies: im rumanischen Altreich gab es nur zwei gr 'B re Minderheitengruppen (Juden und Zigeuner), in GroBrumanien kamen zahl-reiche andere hinzu, aie — im Zeitalter einer intensiven Minderheitenge-etz-gebung in Europa nach 1918 — Anspriiche auf eine Mitgestaltung der Ge-sellschaftsform erheben konnten.
Die Minderheiten selbst versuchten, einerseits uber die einzelnen Pro-vinzen hinweg eine Verbindung und eine Homogenitat zu erreichen, zum anderen waren sie auf der Suche nach einer eigenen Identitat. Die deutsche Minderheit war zahlenmaBig am starksten in Siebenburgen und im Banat vertreten. Wahrend jedoch die Siebenburger Sachsen seit Jahrhunderten ei-gene Regionaleinrichtungen aufzuweisen hatten und eine Sozialstruktur, dereń Differenzierung dem einer modernen Gesellschaftform entsprach, gab es bei den Banater Schwaben, die seit dem 18. Jahrhundert angesiedelt worden waren, wenig eigene Einrichtungen. Erschwerend kam hinzu, daB ein Drittel des Banats durch den Frieden von Trianon an Jugoslawien und an Ungarn gefallen war, und gerade dort befand sich ein guter Teil der ehemaligen Militargrenze, dereń Eigenstandigkeit und dereń mentale Autonomie in Stadten wie WeiBkirchen und Werschetz nachzuvollziehen warem
Zur Frage des Antisrmitismus siehe. Volovici, Leon: Ideology and Antisemitism. The Case of Romanian Inłellecluals in the 1930s. Oxford; Pergamon Press, 1991 (rumanische Fassung: Ideologie nationalist^ §i antisemitism in via^a intelectual& rom&neasc& din anii *30. in: „Dialog”* Dietzenbach, Mai-September 1993).
Siehe: Die Dmiauschwaben. Deuische Siedlung in Sildosteuropa. Herausgegeben vom Innenministerium Baden-Wurttemberg, Berag. von Immo Eberl. Sigmaringen, Thorbecke 2* Aufl. 1989, S. 143.