I
Zentrum für Europäische Integrationsforschung
Center for European Integration Studies
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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Skript zur Vorlesung
Allgemeines Verwaltungsrecht
Dozent: Univ.-Prof. Dr. Christian Koenig
Sommersemester 2012
erstellt von Volker Bache und Henrike Oertel,
Wissenschaftliche Mitarbeiter am ZEI
II
Gliederung
III. Abgrenzung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht ........................ 3
1. Subordinationstheorie (Über- Unterordnungstheorie) ...................................... 3
2. Sonderrechtstheorie (Zuordnungstheorie, modifizierte Subjektstheorie) ......... 4
B. Die wichtigsten Klagearten .............................................................. 5
I. Die Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 1. Var. VwGO ........................................... 5
II. Die Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 2. Var. VwGO ....................................... 7
C. Der Verwaltungsakt .......................................................................... 9
I. Begriff und Bedeutung des Verwaltungsakts .................................................. 9
3. Anwendungsbereich des § 35 VwVfG ............................................................. 9
4. Verhältnis zu anderen Handlungsformen ........................................................ 9
II. Begriffsmerkmale des Verwaltungsakts ....................................................... 10
2. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ....................................................... 11
- Exkurs: Arten von Verwaltungsakten ........................................................... 12
a) Befehlende, gestaltende und feststellende Verwaltungsakte ................. 12
b) Begünstigende und belastende Verwaltungsakte .................................. 13
c) Vollstreckbare Verwaltungsakte ............................................................. 13
d) Verwaltungsakte mit Dritt- oder Doppelwirkung ..................................... 13
e) Vorläufige, vorsorgliche und Verwaltungsakte mit Dauerwirkung........... 13
III. Funktionen und Rechtsfolgen des Verwaltungsakts .................................. 16
III
a) Begriff der Bekanntgabe (Bekanntgabewille, Zugang) ............................... 18
V. Die Rechtmäßigkeit des VA/Anspruch auf Erlass eines VA ....................... 20
1. Ermächtigungsgrundlage/Anspruchsgrundlage ............................................. 20
d) Heilung von Verfahrens- und Formfehlern ................................................. 20
aa) Nachholen der Begründung ................................................................. 21
bb) Nachschieben von Gründen ................................................................. 21
aa) Prüfungsentscheidungen ..................................................................... 22
bb) Beamtenrechtliche Beurteilungen ........................................................ 23
cc) Höchstpersönliche Akte wertender Erkenntnis ..................................... 23
b) Ermessenskontrolle / Grenzen des Ermessens ......................................... 24
aa) Ermessensnichtgebrauch und Ermessensunterschreitung .................. 25
bb) Ermessensfehlgebrauch ...................................................................... 25
cc) Ermessensüberschreitung .................................................................... 25
2. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen ................................................... 27
2. Abgrenzung von rechtmäßig und rechtswidrig .............................................. 29
IV
3. Abgrenzung zwischen belastenden und begünstigenden VAen .................... 30
5. Die Rücknahme von Verwaltungsakten nach § 48 VwVfG ............................ 35
bb) Jahresfrist, § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG ..................................................... 37
Besonderheiten des Unionsrechts bei staatlichen Subventionen ........ 37
Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG ............................................... 38
c) Rechtsfolge des Vorliegens der Rücknahmevoraussetzungen .................. 38
6. Widerruf von rechtmäßigen Verwaltungsakten nach § 49 VwVfG ................. 38
a) Widerruf eines rechtmäßigen belastenden VAs, § 49 Abs. 1 VwVfG......... 38
b) Widerruf eines rechtmäßigem begünstigenden VAs, § 49 Abs. 2 VwVfG .. 39
D. Der öffentlich-rechtliche Vertrag ................................................... 41
III. Abgrenzung zu anderen Handlungsformen ................................................. 42
IV. Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags........................................ 43
1
A. Einleitung
I. Das Verwaltungsrecht
Das Verwaltungsrecht ist ein Teilgebiet des öffentlichen Rechts. Die anderen Teilge-
biete des öffentlichen Rechts sind:
Staatsrecht
Europarecht
Völkerrecht
Das Verwaltungsrecht selbst wird untergliedert in das allgemeine Verwaltungsrecht
und das besondere Verwaltungsrecht.
Das allgemeine Verwaltungsrecht umfasst die Vorschriften, die unabhängig von der
betroffenen Sachmaterie grundsätzlich für die gesamte Verwaltung maßgebend sind
(beispielsweise die Vorschriften der VwVfG, VwGO, VwVG und das Staatshaftungs-
recht).
Zum besonderen Verwaltungsrecht gehören die einzelnen Sachbereiche der öffentli-
chen Verwaltung, wie z. B. Baurecht, Kommunalrecht, Polizei- und Ordnungsrecht,
Immissionsschutzrecht und Gewerberecht, welche spezialgesetzlich geregelt sind.
II. Die öffentliche Verwaltung
1. Der Begriff der öffentlichen Verwaltung
Der Begriff der Verwaltung ist sehr vielschichtig. Er wird in vielen Normen er-
wähnt, ist aber weder legaldefiniert noch hat sich in Rechtsprechung oder Litera-
tur eine einheitliche Definition herausgebildet. Einigkeit besteht aber über einige
Kriterien und Merkmale sowie Unterteilungen, die den Begriff der Verwaltung be-
schreiben und eingrenzen.
Nach dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staats-
gewalt vom Volke durch besondere Organe der Gesetzgebung (Legislative), der
vollziehenden Gewalt (Exekutive) und der Rechtsprechung (Judikative) ausgeübt.
Die vollziehende Gewalt setzt sich aus der Regierung (Gubernative) und der Ver-
waltung (Administrative) zusammen.
a) Formelle Differenzierungen
Verwaltung im materiellen Sinne erfasst nur die typischen Verwaltungstätigkei-
ten, wie z. B. den Erlass von Verwaltungsakten. Ausgenommen sind Handlun-
gen der Judikative oder Legislative.
Verwaltung im organisatorischen Sinne meint die Gesamtheit der Stellen, die
überwiegend Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, also Verwaltungsträger und
ihre Organe, z. B. das Land, die Bezirksregierungen, die Gemeinden und die
Bürgermeister.
2
Verwaltung im formellen Sinne knüpft an den Begriff der Verwaltung im orga-
nisatorischen Sinne an und erfasst daher alle Tätigkeiten von Verwaltungsor-
ganen unabhängig davon, ob es sich auch materiell um Verwaltungstätigkei-
ten handelt.
b) Materielle Differenzierungen
Ordnungsverwaltung: Gefahrenabwehr
Leistungsverwaltung: Erbringung von Leistungen
Finanzverwaltung: Beschaffung der für den Staat erforderlichen Finanzmittel
durch die Erhebung von Steuern und anderen Abgaben
Fiskalverwaltung: Beschaffung von für die Wahrnehmung von Verwaltungstä-
tigkeit notwendigen Mitteln
2. Träger der Verwaltung
Träger der Verwaltung ist der Staat. Konkreter Bund und Länder, den nur diese
sind Träger der sog. unmittelbaren Staatsverwaltung. Sie handeln durch ihre Or-
gane, die (Bundes-/Landes-) Behörden, die die Verwaltungsaufgaben gegenüber
den Bürgern wahrnehmen.
Dagegen wird die sog. mittelbare Staatsverwaltung durch juristische Personen
des öffentlichen Rechts, nämlich Körperschaften (z. B. Gemeinden, als Gebiets-
körperschaft des öffentlichen Rechts), Anstalten (z. B. Sparkasse) und Stiftungen
ausgeübt.
In gewissen Grenzen steht es dem Staat auch offen, durch private Rechtsträger
(natürliche oder juristische Personen des Privatrechts) öffentliche Aufgaben
wahrzunehmen. Diese handeln jedoch nur dann hoheitlich, wenn sie wirksam be-
liehen worden sind, d. h., wenn ihnen aufgrund formell-gesetzlicher Grundlage
durch Hoheitsakt für einen längeren Zeitraum die Befugnis eingeräumt worden ist,
bestimmte Verwaltungskompetenzen im eigenen Namen und in eigener Verant-
wortung unter Inanspruchnahme der öffentlich-rechtlichen Handlungsformen aus-
zuüben. In diesen Fällen spricht man von Verwaltungsprivatrecht.
- Exkurs: Abgrenzung Beliehener / Verwaltungshelfer
Beide sind natürliche oder juristische Personen des Privatrechts.
Der durch oder aufgrund eines Gesetzes Beliehene nimmt selbständig hoheitli-
che Verwaltungsaufgaben in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts im
eigenen Namen war.
Der Verwaltungshelfer hingegen unterstützt eine Behörde durch Hilfstätigkeit im
Auftrag und nach Weisung der Behörde.
Der Beliehene ist selbst Behörde, das Handeln des Verwaltungshelfers wird einer
Behörde unmittelbar zugerechnet.
3. Behörden
Behörden sind die Organe der nicht selbst handlungsfähigen Verwaltungsträger.
3
Der Behördenbegriff wird im Verwaltungsrecht mit zwei unterschiedlichen Bedeu-
tungen verwendet:
Behörde im materiellen (funktionellen) Sinne:
Der Behördenbegriff des Verwaltungsverfahrensrechts ist in § 1 Abs. 4
VwVfG/LVwVfG definiert als jede staatliche Stelle, die Aufgaben der öffentli-
chen Verwaltung wahrnimmt. Die Funktion der Einrichtung steht also im Vor-
dergrund.
Behörde im formell-organisatorischen Sinne:
Behörden im formell-organisatorischen Sinne sind organisatorische Einheiten,
durch die juristische Personen des öffentlichen Rechts Verwaltungsaufgaben
erfüllen (z. B. Finanzamt, Bürgermeister, Landrat, Regierungspräsident).
III. Abgrenzung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht
Eine Norm gehört entweder dem Privatrecht oder dem öffentlichen Recht an, wobei
das Strafrecht dem öffentlichen Recht zugerechnet wird.
Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehung zwischen zwei gleichgestellten Perso-
nen, die dieselben Befugnisse haben. Rechte und Pflichten können zwischen ihnen
nur durch Vertrag oder durch Gesetz begründet werden.
Das öffentliche Recht hingegen regelt insbesondere hoheitliche Tätigkeiten.
Zur Abgrenzung dieser beiden Rechtsgebiete wurden mehrere Theorien entwickelt.
1
Relevant ist diese Abgrenzung insbesondere im Rahmen der verwaltungsgerichtli-
chen Klage. Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Rechtsweg zu den Verwaltungs-
gerichten dann eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht
verfassungsrechtlicher Art handelt.
1. Subordinationstheorie (Über- Unterordnungstheorie)
Die Subordinationstheorie stellt auf das Verhältnis zwischen den Beteiligten ab.
Besteht zwischen diesen ein Über- Unterordnungsverhältnis, d. h., dass genau
einer der Beteiligten mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet ist, ist das Ver-
hältnis öffentlich-rechtlicher Natur. Diese Theorie kann folglich nur angewendet
werden, sofern sich der Staat (z. B. in Form einer Behörde) und ein Bürger ge-
genüber stehen. Sofern die Beziehung der Beteiligten durch Gleichordnung ge-
prägt ist, handele es sich um eine privatrechtliche Beziehung.
Schwächen hat diese Theorie insbesondere deshalb, weil dem Staat auch privat-
rechtliches Handeln möglich ist und er trotzdem dem Bürger in einer übergeord-
neten Position gegenüber stehen kann. Umgekehrt kann auch in einem privat-
rechtlichen Verhältnis ein Über- Unterordnungsverhältnis vorliegen (Direktionsbe-
fugnisse des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer). Und letztlich besteht
die Möglichkeit von mehreren Hoheitsträgern untereinander öffentlich-rechtliche
Verträge zu schließen, ohne dass hierbei ein Über- Unterordnungsverhältnis vor-
liegen würde.
1
Ausführlich dazu siehe z. B. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2011, § 2, Rn. 21 ff.
4
2. Sonderrechtstheorie (Zuordnungstheorie, modifizierte Subjektstheorie)
(h.M.)
Nach dieser Theorie ist eine Streitigkeit oder ein Rechtsverhältnis dann öffentlich-
rechtlich, wenn die streitentscheidenden bzw. die dem Rechtsverhältnis zugrunde
liegenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Dies ist dann der Fall.
wenn sie einen Träger öffentlicher Gewalt in seiner spezifisch hoheitlichen Funk-
tion befugen oder verpflichten. Damit fällt z. B. ein Großteil der Tätigkeit der Fis-
kalverwaltung aus dem Bereich des öffentlichen Rechts heraus, da beispielsweise
ein Kaufvertrag über Bleistifte gerade nicht den Hoheitsträger als solchen be-
fugt und/oder verpflichtet; (Gegenbeispiel (in dem der Hoheitsträger nicht als sol-
cher befugt oder verpflichtet wird): Sachmängelnormen des BGB).
Nach dieser Theorie erfolgt die Bestimmung des Rechtsgebiets also schrittweise:
Zunächst müssen die streitentscheidenden bzw. die dem Rechtsverhältnis zu-
grunde liegenden Normen ermittelt werden, sodann muss festgestellt werden, ob
diese Vorschriften im oben genannten Sinne öffentlich-rechtlich sind.
IV. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wird aus dem Rechtsstaatsprin-
zip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet. Er lässt sich unterteilen in den Grundsatz des
Vorrangs des Gesetzes und in den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes.
1. Vorrang des Gesetzes
Vorrang des Gesetzes bedeutet, dass die Verwaltung keine Maßnahmen treffen
darf, die einem bestehenden Gesetz widersprechen (kurz: Kein Handeln gegen
das Gesetz!).
2. Vorbehalt des Gesetzes
Aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes darf die Verwaltung nur tätig werden,
wenn sie durch ein formelles Gesetz dazu ermächtigt ist (kurz: Kein Handeln oh-
ne Gesetz!).
Zu differenzieren ist jedoch, ob die Verwaltung im Rahmen der Eingriffsverwal-
tung oder im Rahmen der Leistungsverwaltung tätig wird. Während der Vorbehalt
des Gesetzes im Rahmen der Eingriffsverwaltung unstreitig zur Geltung kommt
(wegen des dahinterstehenden Grundrechtsschutzes), kommt dieser im Rahmen
der Leistungsverwaltung nur abgeschwächt zur Geltung: Ausreichend ist hier ir-
gendeine demokratische Legitimation. Häufig wird dies ein Haushaltsansatz im
Haushaltsplan i. V. m. einer Vergaberichtlinie sein.
5
B. Die wichtigsten Klagearten
I. Die Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1 1. Var. VwGO
A. Zulässigkeit:
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg, § 40 Abs. 1 VwGO
2. Statthafte Klageart, § 88 VwGO
richtet sich nach Klagebegehren, welches sich hier auf den „Angriff” eines VAs
i. S. v. § 35 VwVfG richten muss (Beachte: § 86 Abs. 3 VwGO
– Umdeutung)
Problematisch: nichtiger VA, Nicht-Akt, Erledigung
3. Klagebefugnis § 42 Abs. 2 VwGO
Möglichkeit der subjektiven Rechtsverletzung des Klägers (sog. Möglichkeits-
theorie)
Wenn der Kläger Adressat eines belastenden VAs ist, besteht zumindest die
Möglichkeit einer Verletzung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs.
1 GG (Adressatentheorie).
Wenn der Kläger nicht Adressat des VAs ist, sondern nur mittelbar von einem
einen anderen begünstigenden VA belastet wird, kommt es für das Vorliegen
der Klagebefugnis darauf an, ob die streitentscheidende Norm auch Dritte
schützt (Schutznormtheorie).
4. ggf. Vorverfahren, § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO
entfällt in NRW regelmäßig aufgrund § 110 Abs. 1 JustG NW
5. Klagefrist, § 74 Abs. 1 VwGO (1 Monat) oder § 58 VwGO, wenn keine Rechtsmit-
telbelehrung erfolgte (beide Absätze beachten)
6. Klagegegner § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO: Rechtsträger der Erlassbehörde
Wegfall des Behördenprinzip: Durch das JustG NW ist mit Wirkung zum 01.
Januar 2011 das Behördenprinzip durch den bundesgesetzlichen Regelfall,
das Rechtsträgerprinzip ersetzt worden. Vormals galt § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO
i. V. m. § 5 Abs. 2 AGVwGO. Nun wurde § 5 Abs. 2 AGVwGO ersatzlos auf-
gehoben. Damit ist die Anfechtungsklage gegen den Behördenträger zu rich-
ten, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
7. Partei-, Prozess-, Beteiligtenfähigkeit, §§ 61-63 VwGO
Die folgenden vier Punkte können als gegeben vorausgesetzt werden, es sei
denn, der Sachverhalt enthält deutliche Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall!
8. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn
- der Kläger den Erfolg auf einfacherem Weg erreichen kann
- die Klage für den Kläger ohne Nutzen ist
- die Klage querulatorisch ist.
9. Ordnungsmäßigkeit der Klageerhebung: Form, § 81 VwGO (schriftlich oder zu Pro-
tokoll der Geschäftsstelle), Inhalt der Klageschrift nach § 82 VwGO
10. Keine anderweitige Rechtshängigkeit, § 173 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 S. 2 GVG
6
11. Keine entgegenstehende Rechtskraft, §§ 121, 173 VwGO
B. Begründetheit:
Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der VA rechtswidrig und der Kläger da-
durch in seinen Rechten verletzt ist § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO
1. Ermächtigungsgrundlage des erlassenen VAs
a) bei Eingriffsverwaltung
(„belastenden“ VAen):
Gesetzesvorbehalt beachten
b) bei Leistungsverwaltung zumindest abgeschwächten Gesetzesvorbehalt (=
demokratische Legitimation durch Nachweis der Mittel im Haushaltsplan und z. B.
Vergaberichtlinie) beachten
2. Formelle Rechtmäßigkeit des VAs
a) Zuständigkeit der Behörde (sachlich, örtlich, instanziell)
b) Verfahren beim VA-Erlass, §§ 9 ff. VwVfG (NW), insbesondere Anhörung der
Beteiligten, § 28 Abs. 1, 2 VwVfG (Beachte: Heilungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 1
Nr. 3, Abs. 2 S. 1 VwVfG)
c) Form: grds. formfrei, § 37 Abs. 2 VwVfG; Ausnahme: schriftlicher VA muss
schriftliche Begründung enthalten § 39 Abs. 1 VwVfG
d) Bekanntgabe, §§ 41, 43 VwVfG (Beachte für Zustellung: VwZG bzw. LZG)
e) Begründung, § 39 Abs. 1 VwVfG; Entbehrlichkeit der Begründung § 39 Abs. 2;
Heilung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 VwVfG
f) Rechtsbehelfsbelehrung, soweit diese fehlt, beträgt die Rechtsmittelfrist gem.
§§ 58, 70 Abs. 2 VwGO 1 Jahr
g) Heilung von Formfehlern, § 45 VwVfG
3. Materielle Rechtmäßigkeit des VAs
a) Wirksamkeit der Ermächtigungsgrundlage und verfassungskonforme Ausle-
gung
Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht (Beachte: nur bei Hinweis im SV)
b) Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage und
Subsumtion des Sachverhalts unter eben diese.
ggf. Sonderproblem: unbestimmter Rechtsbegriff auf Tatbestandsseite
4. Ermessensfehlerfreie Entscheidung (auf der Rechtsfolgenseite der Ermächti-
gungsgrundlage)
a) Ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt?
b) Ermessensfehler
aa) § 114 S. 1 1. Var. VwGO: Ermessensüberschreitung
VA setzt Rechtsfolge, die nicht mehr von der Ermächtigungsgrundlage
gedeckt ist (z. B. wegen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprin-
zip!)
bb) § 114 S. 1 2. Var. VwGO: Ermessensfehlgebrauch
Behörde lässt sich nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensvor-
schrift leiten
- Abwägungsdefizit
- sachfremde Erwägungen
cc) Ermessensnichtgebrauch/-unterschreitung
7
Behörde macht von dem ihr eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch,
weil sie sich irrig für gebunden hält oder die Grenzen des eingeräumten
Ermessen verkürzt.
c) Eventuell Ermessensreduzierung auf Null, dann rechtliche Bindung auf der
Rechtsfolgenseite auf eine einzige rechtmäßige Entscheidung.
5. Unbeachtlichkeit formeller Rechtsfehler, § 46 VwVfG
6. Subjektive Rechtsverletzung
Feststellung, dass subj. Rechte des Klägers verletzt (Schutznormtheorie)
II. Die Verpflichtungsklage, § 42 Abs. 1 2. Var. VwGO
A. Zulässigkeit
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
2. Statthafte Klageart, § 42 Abs. 1 VwGO
Klagebegehren ist gerichtet auf den Erlass eines unterbliebenen oder aufge-
hobenen VAs
3. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
Hat der Kläger möglicherweise einen Anspruch (subjektiv-öffentliches Recht)
auf Erlass des begehrten VA?
4. ggf. Vorverfahren, § 68 Abs. 2, 1 VwGO
entfällt in NRW regelmäßig aufgrund § 110 Abs. 1 JustG NW
5. Klagefrist, § 74 Abs. 2, 1 VwGO
6. Klagegegner, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO
7. Partei-, Prozess-, Beteiligtenfähigkeit, §§ 61-63 VwGO
Die Punkte 8 bis 11 sind mit denen der Anfechtungsklage identisch, siehe oben.
B. Begründetheit
Die Verpflichtungsklage ist begründet, wenn die Ablehnung oder Unterlassung des
Erlass des begehrten VA rechtswidrig war und der Kläger dadurch in seinen Rechten
verletzt ist, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
1. Anspruch des Klägers auf Erlass des begehrten VAs
Anspruchsgrundlage identifizieren
Materielle Voraussetzungen des Anspruchs herausarbeiten, und dann den
Sachverhalt unter die Tatbestandsvoraussetzungen subsumieren.
2. subjektive Rechtsverletzung des Klägers: Dieser Punkt ist unproblematisch, wenn
die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind, da die Nichterfüllung eines rechtmä-
ßigen Anspruchs denknotwendig eine Rechtsverletzung beinhaltet. Allerdings soll
hier auf den Spezialfall der Drittverpflichtungsklage hingewiesen werden; In diesen
Fällen ist eine eingehendere Begründung zur subjektiven Rechtsverletzung hinsicht-
lich der drittschützenden Wirkung der in Rede stehenden Norm erforderlich.
3. Rechtsfolge des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen
8
a) Bei gebundener Entscheidung oder einer Ermessensreduzierung auf Null
ist der Erfolg der Klage in Form eines sog. Bescheidungsurteils, d. h., das Ge-
richt verurteilt die Behörde zum Erlass des begehrten VAs.
b) Bei begründeten Ansprüchen auf Ermessensentscheidungen ist die Beson-
derheit zu beachten, dass das Gericht das Ermessen nicht an Stelle der Be-
hörde ausüben kann. Solche Entscheidungen sind daher nicht spruchreif und
in dem Urteil wird die Behörde „nur“ verpflichtet eine ermessensfehlerfreie
Entscheidung zu treffen.
9
C. Der Verwaltungsakt
I. Begriff und Bedeutung des Verwaltungsakts, § 35 VwVfG
1. Einführung
Zur Verwirklichung ihrer Aufgaben stehen der Verwaltung verschiedene Hand-
lungsformen zur Verfügung. Dabei knüpft das Gesetz an die verschieden Hand-
lungsformen unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen
– insbesondere
auch bezüglich der Rechtsschutzmöglichkeiten. Die praktisch bedeutsamste öf-
fentlich-rechtliche Handlungsform der Verwaltung ist der Verwaltungsakt.
2
2. Legaldefinition, § 35 S. 1 VwVfG
In § 35 S.
1 VwVfG wird der Verwaltungsakt legaldefiniert als „jede Verfügung,
Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Rege-
lung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“
3. Anwendungsbereich des § 35 VwVfG
Gem. § 1 Abs. 1 VwVfG gilt die Begriffsbestimmung des VA subsidiär (d. h. wenn
§ 35 S. 1 VwVfG als lex generalis nicht von einer spezielleren Vorschrift verdrängt
wird) im Rahmen des Anwendungsbereichs des VwVfG (also insbesondere bei
Maßnahmen von Bundesbehörden, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 VwVfG).
Für die Einordnung landesbehördlicher Maßnahmen ist umstritten, ob die VwGO
insoweit mit dem Begriff des Verwaltungsakts (vgl. §§ 42, 68 ff., 113 VwGO) auf
Bundes- oder Landesrecht Bezug nimmt. Da jedoch die jeweiligen §§ 35 S. 1 des
VwVfG und des VwVfG NW wortlautidentisch sind, ist dieser Streit in NRW nur
von akademischer Bedeutung.
4. Verhältnis zu anderen Handlungsformen
Im Zentrum des Verwaltungsverfahrensrechts steht der Verwaltungsakt. Andere
Handlungsformen der Verwaltung wurden erst im Laufe der Zeit um den Begriff
des Verwaltungsakts herum entwickelt. Infolgedessen sind die übrigen Arten des
Verwaltungshandelns typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass es ihnen an
einzelnen Tatbestandsmerkmalen des § 35 S. 1 VwVfG (s. u.) fehlt.
In der Fallbearbeitung ist daher eine kontradiktorische Abgrenzung vorzunehmen:
Handelt die Verwaltung öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich? Ist die Maßnahme
auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet, oder handelt es sich um sog.
schlichtes Verwaltungshandeln? Kommt ihr Außenwirkung zu, oder ist sie blo-
ßes Verwaltungsinternum?
2
Eine Einführung zum Verwaltungsakt findet sich bei Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2011, 34.
10
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Begriffsmerkmalen des
Verwaltungsakts ist indessen nur dort erforderlich, wo der Sachverhalt an der
Verwaltungsaktsqualität der Verwaltungsmaßnahme zweifeln lässt. An welcher
Stelle eines Gutachtens zu prüfen ist, ob eine bestimmte Verwaltungsmaßnahme
einen Verwaltungsakt darstellt, ist von der Aufgabenstellung abhängig, z. B.:
Ist die Fallfrage auf die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage gerichtet,
so muss i. R. d. statthaften Klageart der Charakter der Behördenhandlung un-
tersucht werden: Nur wenn ein Verwaltungsakt streitgegenständlich ist, sind
die daher sog. VA-Klagen (Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Fortsetzungs-
feststellungsklage) zulässig.
Geht es dagegen um eine Prüfung ausschließlich der Rechtmäßigkeit einer
Maßnahme, muss deren Verwaltungsaktsqualität schon aus logischen Erwä-
gungen an erster Stelle geprüft werden. Denn je nach Rechtsnatur ergeben
sich unterschiedliche Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen für die jeweilige
Maßnahme.
II. Begriffsmerkmale des Verwaltungsakts
Die Definition des § 35 S. 1 VwVfG lässt sich in sechs konstitutive Tatbestandmerk-
male unterteilen
3
:
1. Hoheitliche Maßnahme
Eine Maßnahme ist jede
– auch konkludente – Willensäußerung. Als Beispiele
hierfür werden in § 35 S. 1 VwVfG exemplarisch die Verfügung und die Entschei-
dung genannt. Handlungen, denen es an jedwedem Erklärungswert fehlt, sind
keine Maßnahmen i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG. Das ist insbesondere der Fall, wenn
die Behörde untätig bleibt. Untätigkeit oder Schweigen können nicht als Handlun-
gen i.S.d. § 35 S.1 VwVfG qualifiziert werden.
Das Merkmal „hoheitlich“ wird dahingehend ausgelegt, dass die Maßnahme ein-
seitig von der Verwaltung getroffen wird. Dies ist beispielsweise nicht der Fall bei
einem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Die Abgrenzung fällt vor allem bei mitwir-
kungsbedürftigen Verwaltungsakten schwer, welche eine Beteiligung des Adres-
saten am Verwaltungsverfahren erfordern (häufig i. F. e Antrags, z. B. einer Ge-
nehmigung). Unterscheidungskriterium ist insofern die Möglichkeit des Bürgers
zur inhaltlichen Einflussnahme. Fehlt es hieran, kann der Bürger zwar über das
„Ob“ nicht aber über das „Wie“ der Behördenentscheidung bestimmen. Damit ist
die Maßnahme hoheitlich und stellt allenfalls einen mitwirkungsbedürftigen Ver-
waltungsakt dar.
3
Zu den Merkmalen des Verwaltungsaktsbegriffs mit Beispielfällen Kahl, JURA 2001, 505.
11
2. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts
Die Maßnahme muss darüber hinaus öffentlich-rechtlich sein. Insoweit finden die
allgemeinen Theorien zur Abgrenzung des öffentlichen Rechts vom Privatrecht
Anwendung (siehe oben). In der Fallbearbeitung ist dies häufig bereits Gegen-
stand der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 S. 1
VwGO. Insofern reicht regelmäßig ein Verweis auf die Ausführungen zur Eröff-
nung des Rechtswegs aus.
Vom § 35 S. 1 VwVfG nicht erfasst werden privatrechtliche Willenerklärungen der
Verwaltung, etwa zum Abschluss eines Kaufvertrags über Büromaterial i. R. d
sog. fiskalischen Verwaltungshandelns.
Schwierigkeiten bei der Zuordnung einer Maßnahme entstehen, wenn sowohl öf-
fentlich-rechtliche als auch zivilrechtliche Rechtsgrundlagen in Betracht kommen.
4
Als Ansatzpunkt zur Bestimmung des Rechtsgebiets kann der Zweck der Maß-
nahme dienen.
Besonderheit:
Einzelne Rechtsverhältnisse, insbesondere im Zusammenhang mit Subventionen
und der Benutzung von öffentlichen Einrichtungen (Leistungsverwaltung), können
zweistufig ausgestaltet werden (Zweistufentheorie). Die erste Stufe, das „Ob“ der
Leistungsgewährung (Grundverhältnis), ist in diesen Fällen öffentlich-rechtlicher
Natur. Die zweite Stufe, das „Wie“ (Abwicklungsverhältnis), kann entweder öffent-
lich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet sein.
3. Behörde
Die Maßnahme muss einer Behörde zurechenbar sein. Behörde im funktionellen
Sinne des § 35 S. 1 VwVfG ist nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 4 VwVfG je-
de Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung (unter Einsatz obrigkeitlicher
Gewalt) wahrnimmt. Zurechenbarkeit ist gegeben, wenn die Maßnahme rechtlich
auf die Behörde zurückzuführen ist.
Werden Organe der Legislative oder der Judikative verwaltend tätig, also nicht in
ihrer spezifischen Funktion als Gesetzgebungs- bzw. Rechtsprechungsorgan, so
unterfallen sie nach dem oben Gesagten ebenfalls dem Behördenbegriff des § 1
Abs. 4 VwVfG. Auch Privatpersonen können demnach Behörden sein, wenn ih-
nen durch Beleihung Hoheitsrechte übertragen wurden.
5
4. Regelung
Eine Maßnahme, die zur Regelung i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG ergeht, ist darauf ge-
richtet, unmittelbar eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Dies ist der Fall,
4
Ein Schulbeispiel hierfür stellt die Ausübung des Hausrechts dar, empfehlenswert dazu der Fall bei
Zilkens, JuS 2003, 165.
5
Im Übrigen vergleiche oben zum Behördenbegriff.
12
wenn Rechte oder Pflichten des Betroffenen begründet, geändert, aufgehoben
werden oder ihr (Nicht)Bestehen festgestellt wird. Entscheidend ist, dass die Re-
gelungswirkung von der Behörde bezweckt ist (Finalität der Regelung). Die bloß
zufällige oder mittelbare Setzung einer Rechtsfolge ist für dieses Merkmal gerade
nicht ausreichend.
Unter diesem Gesichtspunkt stellt auch die verbindliche Ablehnung eines Antrags
auf Erlass eines Verwaltungsakts (= Versagungsakt) einen Verwaltungsakt dar.
- Exkurs:
Dies ergibt sich allerdings nicht aus der sog. actus contrarius-Theorie, wonach
der Gegenakt (actus contrarius) die Rechtsnatur des Ausgangsakts (actus pri-
mus) teilt. Kehrseite des Erlasses eines Verwaltungsakts ist nämlich nicht deren
Verweigerung, sondern die Aufhebung des Verwaltungsakts.
Anhand des Begriffsmerkmals der Regelung lässt sich der Verwaltungsakt vom
sog. schlichten Verwaltungshandeln abgrenzen. Hierunter werden alle Maßnah-
men der Verwaltung verstanden, denen jedweder
– auch ein konkludenter – Re-
gelungscharakter fehlt. Das sind zum einen Realakte, also Handlungen, die einen
tatsächlichen, aber keinen rechtlichen Erfolg herbeiführen (z. B. der Schuss eines
Polizisten auf den Bankräuber) und zum anderen bloße (Wissens-) Erklärungen
ohne Rechtswirkung (z. B. ein Hinweis zur Produktwarnung).
Soll mit der Maßnahme lediglich der Inhalt eines bereits erlassenen Verwaltungs-
akts nochmals aufgezeigt werden (wiederholende Verfügung), ist damit keine
Regelungswirkung verbunden. Dagegen stellt der sog. Zweitbescheid eine er-
neute Sachentscheidung dar, da eine erneute Prüfung der Sachlage stattfindet.
Der Zweitbescheid ist daher ein Verwaltungsakt.
Der Neubescheid; sog. Zweitbescheid ist daher ein Verwaltungsakt. Kein Verwal-
tungsakt ist indes die Ankündigung des Erlasses eines zukünftigen Verwaltungs-
akts.
Weiterhin dient das Kriterium der Regelung zur Abgrenzung des Verwaltungsakts
von den einen Verwaltungsakt lediglich vorbereitenden Maßnahmen (beachte in-
sofern auch § 44a VwGO) oder von Teilakten ohne abschließende Regelungswir-
kung.
- Exkurs: Arten von Verwaltungsakten
Die möglichen Regelungsinhalte eines Verwaltungsakts sind vielfältig. Eine grobe
Einteilung in verschiedene Kategorien kann wie folgt vorgenommen werden:
a) Befehlende, gestaltende und feststellende Verwaltungsakte
Während der befehlende Verwaltungsakt dem Bürger ein bestimmtes Verhalten
vorschreibt (z. B. ein polizeilicher Platzverweis), wird mit dem rechtsgestaltenden
13
Verwaltungsakt ein konkretes Rechtsverhältnis begründet, geändert, aufgehoben
oder beendet (z. B. die Beamtenernennung).
Durch den feststellenden Verwaltungsakt
6
wird ein Recht oder eine rechtlich er-
hebliche Eigenschaft einer Person oder einer Sache festgestellt (z. B. die Fest-
stellung der Staatsbürgerschaft). Hiervon zu unterscheiden, ist der bloße Hinweis
auf die geltende Rechtslage. Dieser ist nicht dazu bestimmt, eine Rechtsfolge zu
setzen, sondern ist eine bloße Wissenserklärung.
b) Begünstigende und belastende Verwaltungsakte
Der begünstigende Verwaltungsakt wird in § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG legaldefiniert.
Hierunter fallen demnach Verwaltungsakte, die ein Recht oder einen rechtlich er-
heblichen Vorteil begründen bzw. bestätigen. Alle übrigen Verwaltungsakte (für
die § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG gilt) sind für den Betroffenen nachteilig und daher be-
lastend. Das sind insbesondere Verwaltungsakte, die Pflichten begründen, Rech-
te entziehen oder die Begründung eines Rechts versagen (z. B. Ablehnung einer
Baugenehmigung).
c) Vollstreckbare Verwaltungsakte
Vollstreckbar sind nur Verwaltungsakte, die dem Betroffenen Verhaltenspflichten
auferlegen (befehlender Verwaltungsakt). Diese müssen sich aus dem Tenor
selbst ergeben, die Begründung kann nur zur Bestimmung des Bindungsumfangs
herangezogen werden. Ein vollstreckungsfähiger Inhalt fehlt etwa bei gestalten-
den oder feststellenden Verwaltungsakten, diese sind lediglich hinsichtlich ihrer
Kosten vollstreckbar.
d) Verwaltungsakte mit Dritt- oder Doppelwirkung
Von einem Verwaltungsakt mit Doppel- oder Drittwirkung wird gesprochen, wenn
dieser gleichzeitig einen Bürger begünstigt und einen anderen belastet. Allerdings
wird der Terminus Doppelwirkung auch für Verwaltungsakte verwendet, die belas-
tende und begünstigende Wirkung bei derselben Person entfalten (sog. Misch-
verwaltungsakt).
e) Vorläufige, vorsorgliche und Verwaltungsakte mit Dauerwirkung
Der vorläufige Verwaltungsakt steht unter dem Vorbehalt einer endgültigen Ent-
scheidung durch einen späteren Verwaltungsakt (z. B. der Subventionsbescheid
unter dem Vorbehalt einer späteren Betriebsprüfung). Wobei der endgültige Ver-
waltungsakt den vorläufigen ersetzt, ohne dass eine Aufhebung des letzteren er-
forderlich wäre (dadurch wird unter anderem die Anwendung von aufhebungser-
schwerenden Vorschriften umgangen, wie z. B.
§ 48 Abs. 2, 4 VwVfG).
Der vorsorgliche Verwaltungsakt steht unter dem Vorbehalt, dass eine seiner Vo-
raussetzungen von einer bestimmten, zuständigen Behörde festgestellt wird.
6
Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5.11.2009, Az. 4 C 3/09.
14
Durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wird keine zeitpunktbezogene,
sondern eine zeitraumbezogene Regelung erlassen, deren Rechtsfolgen während
einer gewissen Zeitspanne gelten (z. B. das Aufstellen eines Verkehrszeichens
oder die Festsetzung einer laufenden Geldleistung).
5. Im Einzelfall
Der Verwaltungsakt i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG ist als Einzelfallregelung grundsätz-
lich konkret-individuell, d. h. auf einen nach Ort, Zeit und sonstigen Umständen
bestimmten Sachverhalt bezogen (konkret) und an eine oder mehrere, zumindest
bestimmbare Personen (individuell) gerichtet.
Als solches ist der Verwaltungsakt zu unterscheiden von abstrakt-generellen Re-
gelungen (materiellen Rechtsnormen). Grundlage dieser Differenzierung bildet die
Bestimmtheit in Bezug auf den Kreis der betroffenen Personen sowie die Zahl der
erfassten Sachverhalte. Ist allerdings die gewählte Handlungsform formell un-
zweideutig als VA zu qualifizieren (z. B. durch Betitelung als Bescheid) erübrigt
sich ausnahmsweise eine materielle Bestimmung.
Die in § 35 S. 2 VwVfG legaldefinierte konkret-generelle Allgemeinverfügung stellt
ebenfalls eine Einzelfallregelung dar. Beachte: Selbstverständlich setzt auch die
Allgemeinverfügung voraus, dass die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 35
S. 1 VwVfG vorliegen.
Das Gesetz nennt in § 35 S. 2 VwVfG drei Varianten von Allgemeinverfügungen.
Die personenbezogene Verfügung ist an einen nach allgemeinen Merkmalen be-
stimmten oder bestimmbaren Personenkreis gerichtet (z. B. der Platzverweis für
gewisse Personen aus dem Drogenmilieu). Die sachbezogene Verfügung regelt
öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache (z. B. die Genehmigung nach § 144
Abs. 3 BauGB). Die benutzungsbezogene Verfügung betrifft die Benutzung einer
Sache durch die Allgemeinheit (z. B. Verkehrsschilder oder Benutzungsordnun-
gen bezüglich der „Nutzung öffentlicher Gebäude“).
6. Intendierte Außenrechtswirkung
Die Regelung muss auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sein.
Der Begriff des Gerichtet seins bringt zum Ausdruck, dass es einerseits unerheb-
lich ist, ob die Außenwirkung tatsächlich eintritt, und dass diese anderseits nicht
bloß eine mittelbare oder zufällige Konsequenz der Regelung sein darf.
Die Außenwirkung ist zu bejahen, wenn durch die Regelung ein Rechtssubjekt als
Träger eigener Rechte unmittelbar betroffen ist. Anhand der Außenwirkung soll
der Verwaltungsakt von inneradministrativen Akten abgegrenzt werden. Maßgeb-
lich hierfür ist die Unterscheidung, ob der Betroffene als Teil der Verwaltung oder
als Träger eigener Rechte angesprochen wird.
15
Problemfälle ergeben sich diesbezüglich häufig i. R. v. Sonderstatusverhältnis-
sen, bei denen eine besondere Rechts- und Pflichtenbeziehung zwischen Bürger
zum Staat existiert. Hierunter fallen etwa Strafgefangene, Schüler, Studenten so-
wie insbesondere Beamte. In dieser Beziehung wird regelmäßig zwischen Maß-
nahmen im Grundverhältnis (Außenverhältnis) und Maßnahmen im Betriebsver-
hältnis (Innenverhältnis) unterschieden.
Wird beispielsweise einem Beamten innerhalb derselben Behörde ein neuer Auf-
gabenbereich zugewiesen (Umsetzung), so ist nur die innerbetriebliche Organisa-
tion der Einrichtung betroffen. Es handelt sich daher um ein bloßes Verwaltungs-
internum. Die Versetzung eines Beamten in eine andere Behörde oder in den
Ruhestand betrifft diesen dagegen in seiner persönlichen Rechtssphäre und nicht
nur in seiner Funktion als Amtswalter. Es handelt sich dann um eine Regelung mit
Außenwirkung.
7. Bedeutung der äußeren Form
Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 VwVfG bestimmt
sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt der behördlichen Maßnahme. Ent-
scheidend für die Verwaltungsaktsqualität und auch den Regelungsgehalt der
Maßnahme ist demnach ihre Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont
entsprechend §§ 157, 133 BGB. Anhaltspunkte hierfür sind neben der äußeren
Form auch Inhalt, Umstände und Begründung der Behördenentscheidung sowie
Rechtbehelfsbelehrungen etc. Hingegen kommt es auf die Intention der erlassen-
den Behörde nicht an.
Fehlt es nach dieser Betrachtungsweise an einer oder mehreren Voraussetzun-
gen der Legaldefinition des § 35 VwVfG, so liegt nach h. M. dennoch ein sog.
formeller Verwaltungsakt vor, wenn sich aus der äußeren Form der Maßnahme
eindeutig auf den Willen der Behörde, einen Verwaltungsakt zu erlassen, schlie-
ßen lässt (z. B. bei der Bezeichnung der Maßnahme als Bescheid, Anordnung
oder Verfügung). In diesem Fall ist der materielle Gehalt der Maßnahme bedeu-
tungslos, kann also z. B. auch zivilrechtlicher Natur sein. Nach anderer Auffas-
sung kann die Form allenfalls als Indiz für das tatsächlich Gewollte dienen und
nicht per se die Verwaltungsaktsqualität begründen.
7
Gegen diese Ansicht lässt
sich jedoch einwenden, dass der Bürger dadurch im Vergleich zur rechtskundigen
Behörde einem unverhältnismäßig höheren Rechtsschutzrisiko ausgesetzt wird.
Da es allein im Handlungsbereich, ob überhaupt ein VA ergeht, soll sie auch das
Risiko einer Fehlentscheidung prozessual verantworten.
Die Frage, wie die Behörde hätte handeln müssen, also ob der formelle Verwal-
tungsakt seinem Inhalt nach z. B. in Form einer privatrechtlichen Willenserklärung
rechtmäßig gewesen wäre, ist keine Frage der Rechtsnatur der Maßnahme, son-
7
Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2011, 34 (36); anders die h. M., BVerwGE 18, 1; eine dritte Ansicht diffe-
renziert zwischen materiell- und prozuessualrechtlichem Verwaltungsaktsbegriff, so z. B.
Stelkens/Bonk/Sachs-Stelkens, § 35 Rn. 15.
16
dern der Rechtmäßigkeit. Darauf kommt es aber nicht an: Der (nur) formelle Ver-
waltungsakt ist ohnehin rechtswidrig, da er die materiellen Voraussetzungen des
§ 35 S. 1 VwVfG nicht erfüllt.
III. Funktionen und Rechtsfolgen des Verwaltungsakts
Der Verwaltungsakt ist als Zweckbegriff zu verstehen. Diese Funktionen des Verwal-
tungsakts
8
lassen sich an vier Begriffen festmachen:
1. Stabilisierungsfunktion
9
Durch einen Verwaltungsakt kann bindend festgestellt werden, dass eine be-
stimmte generell-abstrakte Regelung auf einen konkreten Einzelfall (nicht) an-
wendbar ist.
10
Ein solcher feststellender VA dient dazu die gesetzlichen Rechte
und Pflichten des Bürgers im Einzelfall deklaratorisch festzuhalten.
Entscheidend für das Bestehen einer Pflicht bzw. eines Rechts ist in diesem Fall
die abstrakt-generelle Gesetzesnorm.
Die erlassende Behörde bindet dabei nicht nur den Adressaten, sondern auch
sich selbst: Eine Aufhebung des Verwaltungsaktes kommt nur unter den Voraus-
setzungen der §§ 48, 49 und 51 VwVfG in Betracht. Andere Behörden und Ver-
waltungsträger haben ihren Entscheidungen die Regelungen des Verwaltungs-
akts zu Grunde zu legen (sog. Tatbestandswirkung). Mithin wirkt der Verwal-
tungsakt durch seine Verbindlichkeit stabilisierend und erzeugt Rechtssicherheit.
Daraus folgt, dass der Adressat eines feststellenden VA diesen anfechten muss,
wenn er mit der getroffenen Feststellung unzufrieden ist. Denn ansonsten er-
wächst dieser in Bestandskraft.
2. Verfahrensfunktion
Dem Verwaltungsakt kommt neben der materiell-rechtlichen auch eine verfah-
rensrechtliche Bedeutung zu, indem er gem. § 9 VwVfG das Verwaltungsverfah-
ren formell abschließt. Strebt die Behörde den Erlass eines Verwaltungsakts an,
so ist sie an die Einhaltung der Verfahrensvorschriften der §§ 9 ff. VwVfG gebun-
den (z. B. Anhörungspflicht gem. § 28 VwVfG, Formerfordernisse gem. § 37
Abs. 2-5 VwVfG, Begründungspflicht gem. § 39 VwVfG).
3. Titelfunktion
Der Verwaltungsakt ist Vollstreckungstitel (allerdings nur soweit ein vollstreckba-
rer Inhalt gegeben ist), § 6 Abs. 1 VwVG. Die Bestätigung durch ein Gerichtsurteil
8
In aller Kürze hierzu Fehling, JA 1997, 482 m. w. N.
9
Auch Konkretisierungs-, Individualisierungs- oder Klarstellungsfunktion.
10
So wörtlich BVerwG, NVwZ 1988, 941; s. schon oben die Definition Mayers.
17
ist nicht erforderlich. Mit dem Verwaltungsakt hat die Behörde daher ein Mittel zur
zwangsweisen Rechtsdurchsetzung.
4. Verwaltungsprozessuale Funktion
Die Qualität einer Maßnahme als Verwaltungsakt ist für die Art des i. R. d. VwGO
gewährten Rechtsschutzes ausschlaggebend. Für Klagen, die gegen einen Ver-
waltungsakt oder auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet sind, sind je-
weils eigene Klagearten statthaft.
11
Hieraus ergeben sich Konsequenzen für die
Sachentscheidungsvoraussetzungen (z. B. die Fristenregelung des § 74 VwGO)
und weitere Besonderheiten (z. B. der Suspensiveffekt i. R. d. vorläufigen
Rechtsschutzes, also die aufschiebende Wirkung der gegen den Verwaltungsakt
erhobenen Rechtsbehelfe, § 80 Abs. 1 VwGO).
IV. Wirksamkeitsvoraussetzungen des Verwaltungsakts (Existenz, Wirksamkeit,
Bekanntgabe, und Bestandskraft)
12
1. Rechtswidrigkeit
Entscheidend für die Rechtswirksamkeit eines Verwaltungsakts ist gem. § 43
Abs. 1 VwVfG allein seine Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen. Ab diesem
Zeitpunkt ist der Verwaltungsakt für den Betroffenen wie die Behörde verbindlich.
Auf die (formelle oder materielle) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kommt es
dagegen grundsätzlich nicht an. Die Begriffe der Wirksamkeit und der Rechtmä-
ßigkeit sind daher streng auseinander zu halten. Ausnahmsweise kann ein
rechtswidriger Verwaltungsakt jedoch nichtig und damit unwirksam sein, wenn die
Voraussetzungen des § 44 Abs. 1, 2 VwVfG vorliegen.
2. Existenz
Die Existenz eines Verwaltungsakts beginnt mit seiner wirksamen Bekanntgabe
nach § 41 VwVfG an zumindest (irgend-)einen Betroffenen. Erst ab diesem Mo-
ment kann der Verwaltungsakt
– auch von Beteiligten denen gegenüber der Ver-
waltungsakt (noch) nicht bekannt gegeben wurde
– angefochten werden (strei-
tig!).
13
Vor Bekanntgabe, bei unwirksamer Bekanntgabe oder der Behörde nicht
zurechenbarer Bekanntgabe handelt es sich um einen sog. Nicht-Verwaltungsakt,
der ein rechtliches Nullum darstellt.
3. Wirksamkeit
Die Existenz ist zu trennen von der Wirksamkeit des Verwaltungsakts, welche in
§ 43 VwVfG geregelt ist. Bei der Wirksamkeit muss wiederum zwischen der äuße-
ren und der inneren Wirksamkeit unterschieden werden.
11
Zur Anfechtungsklage s. o. Gliederungspunkt B. I.; zur Verpflichtungsklage s. o. Gliederungspunkt
B. II.
12
Zum „Leben eines Verwaltungsakts“ lesenswert: Herrmann, ZJS 2011, 25.
13
So BVerwG, NVwZ 1987, 330, demzufolge zuvor ggf. eine Feststellungsklage gem.
§ 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig ist (a. A. BeckOK VwVfG -Tiedemann, § 41 Rn. 61:
§ 43 Abs. 1 Alt. 2 VwGO); zum Scheinverwaltungsakt: Blunk/Schroeder, JuS 2005, 602.
18
a) Äußere Wirksamkeit
Äußerlich wirksam wird ein Verwaltungsakt gem. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG nur für
den Betroffenen, demgegenüber der Verwaltungsakt individuell bekannt gegeben
wurde. Derselbe Verwaltungsakt kann daher gegenüber mehreren Beteiligten zu
unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam werden. Mit der äußeren Wirksamkeit wird
der Betroffene
– wie auch die erlassende Behörde – an die im Verwaltungsakt ge-
troffene Regelung gebunden und die Rechtsbehelfsfristen beginnen zu laufen.
b) Innere Wirksamkeit
Den Eintritt der materiell-rechtlichen Rechtsfolgen eines Verwaltungsakts be-
zeichnet man dagegen als innere Wirksamkeit. Die innere Wirksamkeit ist durch
die äußere Wirksamkeit des Verwaltungsakts bedingt und wird i. d. R.
– aber nicht
notwendigerweise
– zeitgleich mit der äußeren Wirksamkeit, also dem Zeitpunkt
der Bekanntgabe eintreten.
c) Ende der Wirksamkeit
Die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts endet gem. § 43 Abs. 2 VwVfG mit seiner
Erledigung; Absatz 2 enthält hierfür eine nicht abschließende, beispielhafte Auf-
zählung an Erledigungsgründen.
4. Bekanntgabe
Die Bekanntgabe wird in § 41 VwVfG geregelt. Gem. § 41 Abs. 1 VwVfG trifft die
Behörde die Pflicht zur individuellen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts gegen-
über allen in Absatz 1 aufgeführten Beteiligten i. S. d. § 13 VwVfG. Die Absätze 2
bis 5 regeln die Art und Weise und den Zeitpunkt der Bekanntgabe.
a) Begriff der Bekanntgabe (Bekanntgabewille, Zugang)
Eine Definition der Bekanntgabe enthält § 41 VwVfG nicht. Aus der Systematik
des VwVfG ergibt sich jedoch, dass unter der Bekanntgabe die wissentliche und
willentliche Eröffnung des Verwaltungsaktes durch die zuständige Behörde in
amtlicher Eigenschaft zu verstehen ist.
Eröffnung ist die Mitteilung über das Ergehen des Verwaltungsakts sowie über
dessen Inhalt. Voraussetzung der Bekanntgabe ist von daher vor allem das wil-
lentliche In-den-Verkehr-bringen des VA durch die Erlassbehörde, § 130 BGB
analog. Zudem muss der Verwaltungsakt derart in den Machtbereich des Adres-
saten gelangen, dass für diesen die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Eine
rein zufällige Kenntniserlangung (etwa durch Dritte) reicht nicht aus, vielmehr
muss diese gerade von der Behörde veranlasst worden sein. Sind diese Voraus-
setzungen nicht erfüllt, fehlt es an einer Bekanntgabe.
Werden hingegen Formvorschriften bzgl. der Bekanntgabe verletzt, ist der Ver-
waltungsakt zwar rechtswidrig, aber dennoch bekannt gegeben und somit recht-
lich existent bzw. wirksam.
19
b) Formen der Bekanntgabe des VA
Grundsätzlich gilt für die Bekanntgabe wie auch für den Verwaltungsakt an sich
Formfreiheit. Das heißt, die Form der Bekanntgabe liegt im Ermessen der erlas-
senden Behörde. Die h. M. nimmt dabei an, dass die Form der Bekanntgabe von
der für den Verwaltungsakt vorgeschriebenen Form beeinflusst wird.
14
Demnach
sind insbesondere die Formerfordernisse des § 37 Abs. 2 bis 5 zu beachten. Mit-
unter ist spezialgesetzlich eine bestimmte Form der Bekanntgabe
– i. d. R. die
Zustellung nach § 41 Abs. 5 VwVfG i. V. m. dem VwZG (bzw. dem LZG NRW)
–
vorgeschrieben. Gem. § 41 Abs. 3, 4 VwVfG kommt ausnahmsweise auch eine
öffentliche Bekanntgabe des Verwaltungsaktes in Betracht.
15
c) Zeitpunkt der Bekanntgabe
Zum Zwecke einer eindeutigen Fristenberechnung (§ 57 VwGO i. V. m. § 222
ZPO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, Ereignisfrist), enthält § 41 Abs. 2
VwVfG eine Zugangsfiktion, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt drei Tage
nach seiner Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt und zwar selbst dann,
wenn der Verwaltungsakt bereits vorher beim Adressaten eingeht. Der dritte Tag
ist auch dann maßgeblich, wenn er auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag
fällt. Diese Fiktion ist zugunsten des Bürgers widerlegbar, falls der Verwaltungs-
akt tatsächlich nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
5. Bestandskraft
a) Formelle Bestandskraft
Kann der Verwaltungsakt mit regulären Rechtsbehelfen nicht mehr angegriffen
werden, ist er also unanfechtbar geworden (z. B. durch Fristablauf gem. § 74
VwGO), so ist er in formelle Bestandskraft erwachsen. Ein solchermaßen be-
standskräftiger Verwaltungsakt muss befolgt werden, selbst wenn er rechtswidrig
ist. Auf diese Weise vermittelt die formelle Bestandkraft Rechtssicherheit und
kann insofern mit der materiellen Rechtskraft eines Gerichtsurteils verglichen
werden.
b) Materielle Bestandskraft
Unter materieller Bestandskraft wird die Verfestigung der inhaltlichen Bindungs-
wirkung des Verwaltungsakts verstanden, welche grundsätzlich schon aus der
äußeren Wirksamkeit des Verwaltungsakts folgt. Die Behörde kann von einer frü-
heren Entscheidung nicht ohne weiteres abweichen (sog. Abweichungsverbot).
Die materielle Bestandskraft setzt die formelle Bestandskraft voraus.
14
Wolff/Decker, § 41 VwVfG Rn. 9, der als Beispiel einer fehlenden Bekanntgabe, das bloße Vorlesen
einer schriftlich zu erteilenden Baugenehmigung (vgl. § 75 I 2 BauO NRW) per Telefon nennt.
15
Beachte: Nach h. Rspr. handelt es sich beim Aufstellen von Verkehrsschildern um keine öffentliche
Bekanntgabe i. S. d. § 41 VwVfG; vielmehr liegt eine individuelle Bekanntgabe gegenüber denjenigen
Verkehrsteilnehmern vor, welche das Verkehrsschild zum ersten Mal passieren, BVerwG, NJW 2011,
246 (a. A. etwa Stelkens/Bonk/Sachs-Stelkens, § 35 Rn. 332).
20
Auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt kann allerdings gem. §§ 48, 49, 51
VwVfG aufgehoben werden, wobei eine eventuelle Rechtswidrigkeit des Verwal-
tungsakt dies nicht zwangsläufig erforderlich macht.
16
V. Die Rechtmäßigkeit des VA/Anspruch auf Erlass eines VA
1. Ermächtigungsgrundlage/Anspruchsgrundlage des VA
Aufgrund des Gesetzesvorbehalts bedarf es im Rahmen der Eingriffsverwaltung
einer Ermächtigungsgrundlage. Im Rahmen der Leistungsverwaltung ist dagegen
irgendeine demokratische Legitimation ausreichend (siehe oben zu Gesetzesvor-
behalt).
In dem Fall, in dem die Behörde die falsche Ermächtigungsgrundlage nennt, kann
das Verwaltungsgericht anstelle der im angefochtenen VA angegebenen Rechts-
grundlage eine andere heranziehen, solange dies nicht zu einer Wesensverände-
rung des angefochtenen VAs führt.
17
2. Formelle Rechtmäßigkeit des VA
Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit sind grundsätzlich Zuständigkeit, Ver-
fahren und Form zu prüfen.
a) Zuständigkeit
Die Zuständigkeit richtet sich i. d. R. nach der Rechtsmaterie, der auch die Er-
mächtigungsgrundlage entstammt. Fehler führen gem. § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG
üblicherweise nicht zur Nichtigkeit (Ausnahme: § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG), son-
dern sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 VwVfG unbeachtlich.
b) Verfahren
Unter dem Prüfungspunkt ordnungsmäßiges Verfahren ist insbesondere an das
Anhörungserfordernis des § 28 VwVfG zu denken. Meist ist die Anhörung jedoch
nachholbar gem. § 45 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Desweiteren wird hier die ordnungs-
gemäße Begründung des VAs angesprochen.
c) Form
Verwaltungsakte ergehen grundsätzlich formfrei, § 37 Abs. 2 VwVfG, z. B. schrift-
lich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise. Zu beachten sind jedoch ggf.
spezialgesetzliche Vorschriften wie z. B. in § 75 Abs. 1 S. 2 BauO NW (Schrift-
form).
d) Heilung von Verfahrens- und Formfehlern
Gem. § 45 VwVfG können bestimmte formelle Mängel geheilt werden. Zu beach-
ten ist in Bezug auf die zeitlichen Grenzen der Unterschied zwischen Bundes-
und Landesrecht:
16
Zu den §§ 48 ff. VwVfG s. u.
17
OVG Münster, NVwZ-RR 2006, 86, 88.
21
Nach § 45 Abs. 2 BVwVfG kann eine Heilung bis zum Abschluss der letzten Tat-
sacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
Auf Landesebene ist dies gem. § 45 Abs. 2 VwVfG NW nur bis zum Abschluss
der ersten Instanz möglich und bezieht sich nicht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
NW.
aa) Nachholen der Begründung
Fehlt die nach § 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG erforderliche Begründung vollständig,
kommt ein Nachholen der Begründung in Betracht, § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Die
Gründe werden dann nur nachträglich bekannt gegeben. Es handelt sich dabei
um die Gründe, die für den Erlass des VAs tatsächlich maßgeblich waren. Ob der
VA tatsächlich aufgrund der angeführten Begründung rechtmäßigerweise erlas-
sen werden durfte, wird erst im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit des VAs
überprüft.
bb) Nachschieben von Gründen
Ein Nachschieben von Gründen ist dann gegeben, wenn im Prozess weitere tat-
sächliche und rechtliche Gründe zum formell ordnungsgemäß begründeten VA
vorgetragen werden.
Nach § 114 S. 2 VwGO kann die Behörde ihre Ermessenserwägungen noch im
Verwaltungsprozess ergänzen, wenn sie ihr Ermessen bereits tatsächlich ausge-
übt hat.
18
Dies wird als Argument angeführt, dass auch das Nachschieben einfa-
cher Erwägungen (der Begründung) zulässig ist. Zudem lässt sich für diese An-
sicht anführen, dass eine Versagung dieser Möglichkeit nur unnötigen Formalis-
mus zur Folge hätte. Denn wenn der VA mit der „nachgeschobenen“ Begründung
erlassen werden kann, hat der Bürger durch die Versagung des Nachschiebens
der Begründung nur Zeit gewonnen, da die Behörde den aufgehobenen VA durch
einen inhaltsgleichen VA
– dann mit „ordnungsgemäßer“ Begründung – ersetzt.
Grenzen des zulässigen Nachschiebens von Gründen:
Die Gründe müssen schon bei Erlass des VAs vorgelegen haben.
Der VA darf durch die Gründe nicht in seinem Wesen verändert werden (dies
wird nach h. M. dann angenommen, wenn ein Tatbestandsmerkmal ausge-
wechselt wird).
Dem Kläger darf dadurch seine Rechtsverteidigung nicht unangemessen er-
schwert werden.
3. Materielle Rechtmäßigkeit des VA
Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit sind die Tatbestandsvoraussetzun-
gen der Ermächtigungsgrundlage zu prüfen. Eine genaue Subsumtion des Sach-
verhalts unter die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen ist an dieser Stelle un-
erlässlich.
18
BVerwG, NVwZ 2007, 470, 471.
22
4. Der unbestimmte Rechtsbegriff
Der unbestimmte Rechtsbegriff ist im Gegensatz zum Ermessen nicht auf der
Rechtsfolgenebene, sondern auf der Tatbestandsebene relevant. Unbestimmte
Rechtsbegriffe, sind solche Rechtsbegriffe, die in einer Norm verwendet werden
und die vor ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall der behördlichen Konkreti-
sierung bedürfen.
a) Gerichtliche Überprüfbarkeit
Strittig ist, ob diese unbestimmten Rechtsbegriffe der anwendenden Behörde auf
der Tatbestandsseite einen Anwendungs- und Entscheidungsspielraum eröffnen
und ob das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines unbestimm-
ten Rechtsbegriffs gerichtlich überprüfbar ist. Streitig ist folglich, wem die Ausle-
gungskompetenz der unbestimmten Rechtsbegriffe zusteht, den anwendenden
Behörden oder den Gerichten.
Einer Mindermeinung nach besteht nur eine beschränkte gerichtliche Über-
prüfbarkeit der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Demnach ist es den
Gerichten nur möglich, die äußeren Grenzen des gerichtsfreien Beurteilungs-
spielraums auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Diese Ansicht führt je-
doch dazu, dass die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG leer läuft, da
das Gericht keine materielle Kontrolle ausüben darf.
Der herrschenden Meinung folgend ist die behördliche Anwendung eines un-
bestimmten Rechtsbegriffs stets voll gerichtlich überprüfbar. Diese Ansicht
stützt sich in ihrer Argumentation insbesondere auf die Rechtsweggarantie
des Art. 19 Abs. 4 GG, den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und der Ge-
waltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG).
19
Die herrschende Meinung macht jedoch eine Ausnahme, für den Fall, dass
ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum vorliegt. Ein solcher
Fall liegt dann vor, wenn die Behörde aufgrund der geregelten Materie einen
uneinholbaren Wissensvorsprung hat. Dies ist bei folgenden Fallgruppen an-
erkannt
20
:
aa) Prüfungsentscheidungen
Bei Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen haben die Prüfer einen
Beurteilungsspielraum, da nur die Prüfer das konkrete Verhalten des Prüflings
in der Prüfungssituation persönlich wahrgenommen haben. Zu unterscheiden
ist daher zwischen prüfungsspezifischen Wertungen und fachwissenschaftli-
chen Fragen. Nur die prüfungsspezifischen Wertungen unterliegen der einge-
schränkten gerichtlichen Kontrolle, während bei fachwissenschaftlichen Fra-
gen kein Beurteilungsspielraum besteht und diese somit unbeschränkt über-
prüfbar sind.
19
BVerfG, NVwZ 2002, 1368.
20
BVerfGE NJW 1991, 2005 ff.
23
- Exkurs
Bei fachwissenschaftlichen Prüfungsteilen ist zu beachten: Zutreffende Antworten
und brauchbare Lösungen dürfen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden. Soweit
die Richtigkeit oder Angemessenheit der Lösungen wegen der Eigenart der Prü-
fungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, die Beurteilungen vielmehr unterschied-
liche Ansichten im Raum lässt, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum,
andererseits muss aber auch dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zu-
gestanden werden. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig
begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Dies ist ein allgemeiner
Bewertungsansatz, der bei berufsbezogenen Prüfungen aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt.
Daraus folgt, dass überprüfbar ist, ob der Prüfling vertretbar argumentiert hat und
dies vom Prüfer zu Unrecht falsch bewertet wurde. Deshalb ist eine ausführliche Be-
gründung der Bewertung der Prüfungsleistung zwingend.
Zu beachten ist, dass alle Prüfungsmängel, abgesehen von materiellen Bewertungs-
fehlern, unverzüglich geltend gemacht werden müssen, denn sonst werden diese
nicht im Verwaltungsverfahren berücksichtigt (beispielsweise übermäßiger Lärm).
bb) Beamtenrechtliche Beurteilungen
Auch bei beamtenrechtlichen Beurteilungen steht der Behörde ein Beurtei-
lungsspielraum zu, so dass für die Beurteilung eines Beamten oder Soldaten
für einen bestimmten Dienstposten oder eine bestimmte Aufgabe eine einge-
schränkte Überprüfungskompetenz der Gerichte besteht.
cc) Höchstpersönliche Akte wertender Erkenntnis
Bei höchstpersönlichen Akten wertender Erkenntnis geht es um solche Behör-
denentscheidungen, die aufgrund persönlichen Eindrucks unter Berücksichti-
gung besonderer fachlicher Erfahrung der Amtswalter getroffen werden. Auf-
grund dieses persönlichen Eindrucks und der besonderen Kompetenz des
Amtswalters, steht der Behörde ein Beurteilungsspielraum zu und die gericht-
liche Kontrolle ist eingeschränkt.
b) Grenzen der gerichtlichen Überprüfbarkeit bei unbestimmten Rechtsbegrif-
fen mit Beurteilungsspielraum
Die gerichtliche Kontrolle der behördlichen Anwendung von unbestimmten
Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum ist auf folgende Kriterien beschränkt:
Ist die Behörde von falschen Tatsachen ausgegangen?
Sind Verfahrensvorschriften nicht eingehalten worden?
Hat sich die Behörde von sachfremden Erwägungen leiten lassen?
Sind allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe nicht eingehalten worden?
Ist die Entscheidung ausreichend begründet?
– Denn nur mit Hilfe einer aus-
reichenden Begründung kann das Gericht wirksam überprüfen, ob ein Beurtei-
lungsfehler aus den vorgenannten Kategorien vorliegt.
Chancengleichheit
24
5. Ermessen
Ermessen liegt vor, wenn bei Verwirklichung eines Tatbestands die Behörde ei-
genverantwortlich zwischen mehreren Rechtsfolgen wählen kann, ihr also ein ge-
wisser Handlungsspielraum zugewiesen wird. Das Ermessen kann sich dabei auf
das „Ob“ des Einschreitens (Entschließungsermessen) und/oder auf das „Wie“
(Auswahlermessen) beziehen
.
a) Einräumung von Ermessen
Der Behörde wird Ermessen typischerweise durch Formulierungen wie „kann“,
„darf“ oder „ist befugt/berechtigt“ eingeräumt. Jedoch bedarf es im Einzelfall einer
Auslegung der Ermächtigungsgrundlage, ob eine Ermessensermächtigung vor-
liegt oder nicht.
- Exkurs
Einer klaren Einordnung in die Kategorien Ermessensvorschrift bzw. gebundene Ent-
scheidung entziehen sich sog. „Soll-Vorschriften“ (Intendiertes Ermessen). Diesen
Vorschriften ist gemein, dass grundsätzlich eine bestimmte Rechtsfolge einzutreten
hat bzw. eine bestimmte Regel anzuordnen ist (womit sie Ähnlichkeit zu gebundenen
Entscheidungen aufweisen). Jedoch sehen Soll-Vorschriften Ausnahmetatbestände
vor, die die behördlichen Handlungsmöglichkeiten über die Anordnung der „Regel-
rechtsfolge“ hinaus erweitern (was sie den Ermessensvorschriften annähert).
b) Ermessenskontrolle / Grenzen des Ermessens
Gemäß § 40 VwVfG muss die Behörde ihr Ermessen in den gesetzlichen Gren-
zen und entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage ausüben. Die ge-
richtliche Kontrollbefugnis von Ermessensentscheidungen, ist gemäß § 114 S. 1
VwGO auf die Kontrolle der Einhaltung dieser Anforderungen beschränkt.
Da § 40 VwVfG und § 114 S.1 VwGO nicht präzise genug sind, erfolgt die Ermes-
senkontrolle anhand von Literatur und Rechtsprechung auf Grundlage dieser
Vorschriften entwickelten Grundsätze.
Danach ist zunächst der übergeordnete Grundsatz zu beachten ist, dass aus-
schließlich die Behörde selbst und letztverantwortlich über die Zweckmäßigkeit ih-
res Verhaltens entscheidet. D. h. das Gericht darf nur die Rechtmäßigkeit des
VAs, nicht aber dessen Zweckmäßigkeit überprüfen, also insbesondere kein ei-
genes Ermessen ausüben. Die Rechtmäßigkeitskontrolle der Gerichte nach § 114
S. 1 VwGO ist vielmehr auf die anerkannten Ermessensfehler beschränkt.
c) Ermessensfehler
Ein Ermessenfehler liegt vor, wenn die Behörde ihr Ermessen gar nicht gebraucht
(Ermessensnichtgebrauch), die Entscheidung der Behörde den gesetzlichen
Rechtsfolgenrahmen überschreitet (Ermessensüberschreitung) oder die Behörde
von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigungsgrundlage (nicht zu
verwechseln mit der Zweckmäßigkeit der Maßnahme) nicht entsprechenden Wei-
se Gebrauch macht (Ermessensfehlgebrauch).
25
Für die Feststellung des Vorliegens eines Ermessenfehlers ist insbesondere die
Begründung, die die Behörde bzgl. des Erlasses des VAs gem. § 39 VwVfG ab-
gegeben hat, ein wichtiges Indiz. Gem. § 114 S. 2 VwGO können die Ermessens-
erwägungen im Prozess noch ergänzt werden, sofern die Behörde bereits von ih-
rem Ermessen Gebrauch gemacht hat. Nicht erfasst ist demnach eine erstmalige
Ermessensbetätigung.
aa) Ermessensnichtgebrauch und Ermessensunterschreitung
Bei der Entscheidung betätigt die Behörde ihr Ermessen gar nicht. Die Behörde
verkennt also, dass ihr ein Ermessensspielraum eingeräumt wird. Stattdessen
fühlt sich die Behörde verpflichtet, eine bestimmte vom Gesetz vorgegebene Ent-
scheidung zu treffen.
Bei der Ermessensunterschreitung erkennt die Behörde zwar, dass ihr ein Er-
messensspielraum zusteht, verkennt jedoch dessen Grenzen und verkürzt unbe-
wusst den ihr offenstehenden Entscheidungsspielraum.
Somit ist der Ermessensnichtgebrauch ein Unterfall der Ermessensunterschrei-
tung.
bb) Ermessensfehlgebrauch
Im Rahmen der Kontrolle steht die Frage, ob die Behörde in einer dem Zweck der
Ermächtigung entsprechenden Weise von ihren Befugnissen Gebrauch gemacht
hat, § 114 S. 1 VwGO. Dabei ist zwischen zwei Varianten zu unterscheiden:
- Ermessensdefizit: Ein solches liegt vor, wenn die Behörde nicht alle Umstände
des Einzelfalls in die Abwägung mit einbezieht, die nach Lage und nach Maßgabe
des Gesetzes hätten berücksichtigt werden müssen.
- Sachfremde Erwägungen: Sachfremde Erwägungen liegen schon dann vor,
wenn die Entscheidung (auch) aufgrund von Gesichtspunkten erlassen wurde, die
nicht zweckdienlich i. S. d. Ermächtigungsgrundlage sind. Dies ist insbesondere
bei Willkür, böser Absicht, Missbrauch oder unangemessene
r
Berücksichtigung
privater Interessen der Fall.
Im Rahmen der Überprüfung hat in beiden Fällen eine Ermittlung der Zwecke der
Ermächtigungsgrundlage zu erfolgen und ob diese Zwecke hinreichend bei der
Entscheidung durch die Behörde beachtet wurden.
cc) Ermessensüberschreitung
Die Behörde überschreitet mit ihrer Entscheidung die Grenzen des ihr eingeräum-
ten Ermessens, also den gesetzlichen Rechtsfolgerahmen. Dies ist vor allem
dann der Fall, wenn gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder den Gleichheits-
satz verstoßen wurde.
Demnach dürfen durch die Ermessensentscheidung die rechtlich geschützten In-
teressen des Betroffenen nicht in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt wer-
den. Zudem darf die Behörde ohne sachlichen Grund nicht von ihrer bisherigen
Verwaltungspraxis abweichen (Selbstbindung der Verwaltung).
26
d) Ermessensreduzierung auf Null
Das behördliche Ermessen ist auf Null reduziert, wenn nur eine Ermessensent-
scheidung zu einem rechtmäßigen Ergebnis führt, die Behörde also keinen Er-
messensspielraum mehr hat. Eine solche Reduktion des Ermessens kann bei-
spielsweise aufgrund von Selbstbindung der Verwaltung oder aufgrund des Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatzes entstehen.
e) Folgen von Ermessensfehlern
Ein VA, der unter einem Ermessensfehler leidet, ist rechtswidrig.
aa) Anfechtungssituation
Falls der Kläger eine Anfechtungsklage erhoben hat und der VA an einem Er-
messensfehler leidet, muss er vom Gericht aufgehoben werden, wenn er auf-
grund seiner Rechtswidrigkeit in die Rechte des Klägers eingreift (§ 113 Abs. 1
S. 1 VwGO).
Eine Ausnahme liegt vor, wenn das behördliche Ermessen auf Null reduziert ist,
also der VA erlassen werden musste. Dann ist der VA rechtmäßig und kann ge-
richtlich zumindest dann nicht aufgehoben werden, wenn die Behörde „nur“ sach-
fremde Erwägungen mit einbezogen hat (Ermessensfehlgebrauch) oder Umstän-
de nicht berücksichtigt hat, die in das Ermessen mit einbezogen hätten werden
müssen (Abwägungsdefizit), da die fehlerfreie Ermessensausübung an der Ver-
pflichtung den VA zu erlassen nichts geändert hätte.
Eine weitere Ausnahme von diesem Grundsatz liegt vor, wenn die Regelung des
VA innerhalb behördlichen Ermessens liegt und objektiv und ohne Zweifel fest-
steht, dass die Behörde auch ohne Ermessensfehler entsprechend entschieden
hätte. Auch dann ist ein Ermessensfehler ausnahmsweise unbeachtlich. Die Be-
weislast für das Vorliegen dieser Ausnahme, liegt bei der Behörde.
Für Verfahrens- und Formfehler gilt § 46 VwVfG, wenn offensichtlich ist, dass die
Verfahrens- und Formfehler die Entscheidung nicht beeinflusst haben. Kleinste
Zweifel an dieser offensichtlichen Nichtbeeinflussung führen zum Fehlen der
Offensichtlichkeit.
bb) Verpflichtungssituation
Ein Anspruch auf die Vornahme oder Nichtvornahme einer Handlung oder einer
bestimmten Entscheidung besteht bei Ansprüchen, welche auf Erlass einer Er-
messensentscheidung gerichtet sind, nicht. Grundsätzlich hat der Betroffene aber
einen Anspruch darauf, dass die Behörde eine ermessensfehlerfreie Entschei-
dung trifft. Anderes gilt nur, wenn das behördliche Ermessen im Einzelfall auf Null
reduziert ist.
Daraus folgt, dass der Anspruch des Bürgers auf Erlass eines ermessensfehler-
freien VA nicht erfüllt wird, wenn die Behörde ermessensfehlerhaft entschei-
det/entschieden hat. Hat der Kläger bei Vorliegen eines ermessensfehlerhaften
VA eine Verpflichtungsklage erhoben, unterliegt die Behörde im Prozess und
27
wird zur erneuten Entscheidung über das Begehren des Bürgers, unter Beach-
tung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt (Bescheidungsurteil § 113
Abs. 5 S. 2 VwGO).
VI. Nebenbestimmungen
Nebenbestimmungen sind behördliche Anordnungen, welche einem VA beigefügt
werden, um ihn sachlich oder zeitlich zu beschränken. Der Erlass von Nebenbestim-
mungen richtet sich
– sofern nicht spezialgesetzlich geregelt – nach § 36 VwVfG.
1. Arten
In § 36 Abs. 2 VwVfG werden grundsätzlich fünf Arten von Nebenbestimmungen
geregelt. Diese bilden einen deklaratorischen (offenen) Katalog an Nebenbe-
stimmungen.
a) Befristung
Nach § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG handelt es sich bei der Befristung um eine Neben-
bestimmung, der zufolge die Wirksamkeit des VAs in zeitlicher Hinsicht modifiziert
wird. Die Befristung kann aufschiebend (z. B. ab 01.01.2012), auflösend (z. B. bis
zum 31.12.2011) oder in Form einer Zeitraumbefristung (z. B. ab 15.10.2011 bis
zum 07.02.2012) ergehen.
b) Bedingung
Eine Bedingung ist eine Bestimmung, welche die Wirksamkeit der Regelung an
den ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses knüpft. Eine Bedingung ist
aufschiebend, wenn die Wirksamkeit mit Eintritt des Ereignisses beginnt und sie
ist auflösend, wenn sie mit Eintritt des Ereignisses wegfällt.
c) Widerrufsvorbehalt
Mit einem Widerrufsvorbehalt behält sich die Behörde vor, den erlassenen VA zu
einem späteren Zeitpunkt zu widerrufen.
d) Auflage
Mit der Auflage kann dem Adressaten eines begünstigenden VAs ein Tun, Dulden
oder Unterlassen auferlegt werden. Sie sind eigenständig mit den Mitteln der
Zwangsvollstreckung durchsetzbar.
e) Auflagenvorbehalt
Der Auflagenvorbehalt dient dazu, der Behörde die Möglichkeit zu erhalten, zu ei-
nem späteren Zeitpunkt Auflagen aufzunehmen, zu ändern oder zu ergänzen.
2. Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen
Klassisches Problem im Zusammenhang mit Nebenbestimmungen ist die Frage
nach den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen: Kann eine Nebenbestimmung
isoliert (vom Haupt-VA) angefochten werden, oder muss Verpflichtungsklage auf
Erlass eines nebenbestimmungsfreien VAs erhoben werden?
Inzwischen muss dieser Streit nicht mehr geführt werden. Es hat sich die folgende
Meinung durchgesetzt:
28
Jede Nebenbestimmung ist isoliert mit einer sog. Teilanfechtungsklage anfecht-
bar, sofern sie vom Haupt-VA im logischen Sinne teilbar ist (h.M.).
21
Die logische Teilbarkeit wird verneint, wenn eine Inhaltsbestimmung vorliegt. Die
Abgrenzung zwischen Neben- und Inhaltsbestimmung erfolgt anhand der Leitfra-
ge: Handelt es sich um eine zusätzliche Regelung zu einem inhaltlich bestimmten
Haupt-VA oder legt die Regelung erst den Gegenstand oder die Grenzen des
Haupt-VA fest?
3. Rechtmäßigkeitsprüfung von Nebenbestimmungen im Rahmen der Teilan-
fechtungsklage
Die Teilanfechtungsklage ist begründet, soweit die Nebenbestimmung rechtswidrig
ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird und der Hauptverwal-
tungsakt ohne die Nebenbestimmungen rechtmäßigen Bestand haben kann.
Bei der Prüfung ist zwischen den verschiedenen Haupt-VAen (gebundene oder
Ermessensentscheidung) zu differenzieren.
a) Gebundene Entscheidung
Handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, so sind Nebenbestimmungen
gem. § 36 Abs. 1 VwVfG nur rechtmäßig, sofern sie sicherstellen sollen, dass die
gesetzlichen Voraussetzungen des Haupt-VAs erfüllt werden. Hypothetisch muss
hier also geprüft werden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen auch dann erfüllt
wären, wenn der mit der zusätzlichen Regelung bezweckte Erfolg nicht eintritt.
Beispiel für eine zulässige Nebenbestimmung:
- Auflage der Sicherung der Erschließung eines Grundstücks als zusätzliche Re-
gelung einer Baugenehmigung.
b) Ermessensentscheidung
Handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, so sind Nebenbestimmungen in
den Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens (Ermessensfehlerlehre) zulässig.
Beispiele für zulässige Nebenbestimmungen:
- Aufschiebend bedingte Aufnahme in ein Postgraduierten Programm anknüpfend
an das Bestehen der Abschlussprüfung des Erststudiums.
VII. Aufhebung von Verwaltungsakten
Die Behörde, die einen VA erlassen hat, kann diesen VA gemäß der §§ 48, 49, 51
VwVfG aufheben.
22
1. Allgemeines
Soweit die Behörde einen rechtswidrigen VA aufheben will, richtet sich dies nach
§ 48 VwVfG und wird als Rücknahme bezeichnet. Will die Behörde einen recht-
mäßigen VA aufheben, richtet sich die Aufhebung nach § 49 VwVfG und wird
Widerruf genannt.
21
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.11.2000, Az. 11 C 2/00.
22
Siehe zu der Thematik im Ganzen z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Auflage, § 11,
Rn. 1 ff.
29
Innerhalb der Tatbestände der §§ 48, 49 VwVfG wird zwischen der Rücknahme
bzw. dem Widerruf eines belastenden VAs (§§ 48 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 VwVfG)
und der Rücknahme bzw. dem Widerruf eines begünstigenden VAs (§§ 48 Abs. 1
S. 1, Abs. 2 bis 4, 49 Abs. 2 bis 4 VwVfG) unterschieden.
Die Aufhebung des VAs steht im Ermessen der Behörde. Die Regelungen der
§§ 48, 49 VwVfG gelten sowohl für bestandskräftige (also nicht mehr anfechtbare
VAe) als auch für nicht bestandskräftige VAe.
Statthafte Klageart gegen die Rücknahme oder den Widerruf eines VAs ist regel-
mäßig die Anfechtungsklage. Angegriffen wird die Aufhebung, die nach der actus
contrarius-Lehre selbst ein VA ist. Mit Beseitigung der Aufhebung lebt sodann der
Ausgangs-VA wieder auf (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG).
2. Abgrenzung von rechtmäßig und rechtswidrig
Ein VA ist rechtswidrig, wenn er gegen höherrangiges Recht verstößt. Soweit er
gegen Verwaltungsvorschriften verstößt, ist er nur rechtswidrig, soweit diese aus-
nahmsweise Außenwirkung haben oder ihre Nichtbeachtung gegen Art. 3 Abs. 1
GG verstößt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Rechtmäßigkeit bzw. der
Rechtswidrigkeit bei der Aufhebung von VAen gemäß §§ 48, 49 VwVfG
23
ist der
Erlass des VAs. Ändert sich beispielsweise die Rechts- oder Sachlage nach Er-
lass eines rechtmäßigen VA, so dass dessen Erlass nun rechtswidrig wäre, so
kann ihn die Behörde dennoch nur widerrufen § 49 VwVfG.
24
Es gibt jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz. Zum einen dann, wenn eine
nach VA-Erlass erfolgte Rechtsänderung aus besonderen Gründen auf den Zeit-
punkt des VA-Erlasses zurückwirkt (z. B. bei Rückwirkung der Aufhebung des
Gesetzes auf dem der VA beruht). Dann wird der Ausgangs-VA rückwirkend
rechtswidrig und eine Aufhebung muss gemäß § 48 VwVfG erfolgen.
Des Weiteren in den Fällen, in denen der VA auf eine laufende behördliche Geld-
leistung gerichtet ist und die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Leistung
wegfallen (Änderung der Sachlage). Dann richtet sich ab dem Zeitpunkt des Weg-
falls der tatbestandlichen Voraussetzungen die Aufhebung des Ausgangs-VA
nach § 48 VwVfG, soweit dieser durch die Änderung der Sachlage rechtswidrig
wird.
Eine weitere Besonderheit betrifft sog. Dauer-VAe, z.B den Führerschein. Ein ur-
sprünglich rechtmäßig erlassener Dauer-VA kann rechtswidrig werden, da an sei-
ner Stelle eigentlich regelmäßig ein neuer VA erlassen werden könnte. In diesen
Fällen ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung der Rechtswidrigkeit des
VA die letzte mündliche Verhandlung.
23
Dies gilt nur im Rahmen der Aufhebung von VAen. Normalerweise ist für die Feststellung der
Rechtswidrigkeit von VAen der Zeitpunkt der letzte behördliche Entscheidung maßgebend. Siehe da-
zu: BeckOK, Decker, VwGO § 113, Rn. 21 ff.
24
Siehe dazu Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Auflage, Rn. 680 ff.; BeckOK, Müller,
VwVfG § 48, Rn. 31 ff.
30
Zu beachten ist zudem, dass ein materielles Gesetz, welches durch das BVerfG,
LVerfG oder das OVG für nichtig bzw. ungültig erklärt wird, ex tunc rechtswidrig
bzw. nichtig ist. Derartige gerichtliche Entscheidungen sind rein deklaratorischer
Natur, d. h. sie stellen die schon vorher bestehende Rechtslage verbindlich fest.
Somit sind auch die auf diesem Gesetz beruhende VAe bereits im Zeitpunkt ihres
Erlasses
– mangels wirksamer Ermächtigungsgrundlage – rechtswidrig (nicht
nichtig!).
3. Abgrenzung zwischen belastenden und begünstigenden VAen
Maßgeblich ist die Sicht des Betroffenen, d. h. wird ein belastender VA aufgeho-
ben, um einen noch belastenderen VA zu erlassen, gelten die Vorschriften über
die Aufhebung eines begünstigenden VAs. Umgekehrt gelten die Vorschriften
über die Aufhebung eines belastenden VAs soweit ein begünstigender VA aufge-
hoben wird, um einen begünstigenderen VA zu erlassen.
Soweit ein begünstigender VA eine belastendende Drittwirkung entfaltet oder ein
belastender VA eine begünstigende Drittwirkung, richtet sich die Bewertung, ob
es sich um einen belastenden oder begünstigenden VA handelt nach der Sicht
des Adressaten des VA.
4. Zwischenfazit
Damit ergeben sich für die Aufhebung von VAen vier verschiedene Konstellatio-
nen:
a) Die Rücknahme von rechtswidrigen belastenden VAen. (§ 48 I 1
VwVfG)
b) Die Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden VAen. (§ 48 I 2
i.V.m. § 48 II
– IV VwVfG)
c) Der Widerruf von rechtmäßigen belastenden VAen. (§ 49 I VwVfG)
d) Und der Widerruf von rechtmäßigen begünstigenden VAen. (§ 49 II
VwVfG ff.)
31
Daraus ergeben sich folgende Prüfungsschemata für die Begründetheit einer Anfech-
tungsklage:
Zu a) Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden VAs
Begründetheit:
1. Ermächtigungsgrundlage für den Rücknahme-VA (§ 48 Abs. 1 S. 2 statt 2
S, 1 VwVfG)
2. Formelle Rechtmäßigkeit des Rücknahme-VAs
a) Zuständige Behörde (für Rücknahme-VA)
b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
aa) Anhörung
bb) Begründung
c) Form
3. Materielle Rechtmäßigkeit des Rücknahme-VAs
a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des
Rücknahme-VAs
aa) Rechtswidrigkeit des Ausgangs-VAs
(1) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Aus
gangs-VAs
(2) Formelle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Zuständige Behörde
(b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
(aa) Anhörung
(bb) Begründung
(c) Form
(3) Materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächti -
gungsgrundlage des Ausgangs-VAs
(b) Hinreichende Bestimmtheit des Ausgangs-VAs
(c) Richtiger Adressat des Ausgangs-VAs
(d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des
Ausgangs-VAs
bb) Belastende Regelung des Ausgangs-VAs
b) Hinreichende Bestimmtheit des Rücknahme-VAs
c) Richtiger Adressat des Rücknahme-VAs
d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des Rücknahme-VAs
32
Zu b) Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden VAs
Begründetheit:
1. Ermächtigungsgrundlage für den Rücknahme-VA (§ 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 1
S. 1, Abs. 2 bis 4 VwVfG)
2. Formelle Rechtmäßigkeit des Rücknahme-VAs
a) Zuständige Behörde
b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
aa) Anhörung
bb) Begründung
c) Form
3. Materielle Rechtmäßigkeit des Rücknahme-VAs
a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des
Rücknahme-VAs
aa) Rechtswidrigkeit des Ausgangs-VAs
(1) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Aus
gangs-VAs
(2) Formelle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Zuständige Behörde
(b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
(aa) Anhörung
(bb) Begründung
(c) Form
(3) Materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächti -
gungsgrundlage des Ausgangs-VAs
(b) Hinreichende Bestimmtheit des Ausgangs-VAs
(c) Richtiger Adressat des Ausgangs-VAs
(d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des
Ausgangs-VAs
bb) Begünstigende Regelung des Ausgangs-VAs
cc) Kein schutzwürdiges Vertrauen des betroffenen Bürgers in
den Bestand des Ausgangs-VAs (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG)
dd) Jahresfrist (§ 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG)
b) Hinreichende Bestimmtheit des Rücknahme-VAs
c) Richtiger Adressat des Rücknahme-VAs
d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des Rücknahme-VAs
33
Zu c) Widerruf eines rechtmäßigen belastenden VAs
Begründetheit:
1. Ermächtigungsgrundlage für den Widerrufs-VA (§ 49 Abs. 1 VwVfG)
2. Formelle Rechtmäßigkeit des Widerrufs-VAs
a) Zuständige Behörde (Annexkompetenz § 49 V VwVfG)
b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
aa) Anhörung
bb) Begründung
c) Form
3. Materielle Rechtmäßigkeit des Widerrufs-VAs
a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des
Widerrufs-VAs
aa) Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(1) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Aus
gangs-VAs
(2) Formelle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Zuständige Behörde
(b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
(aa) Anhörung
(bb) Begründung
(c) Form
(3) Materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächti -
gungsgrundlage des Ausgangs-VAs
(b) Hinreichende Bestimmtheit des Ausgangs-VAs
(c) Richtiger Adressat des Ausgangs-VAs
(d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des
Ausgangs-VAs
bb) Belastende Regelung des Ausgangs-VAs
cc) Ausschluss des Widerrufs, §49 I 1 VwVfG
b) Hinreichende Bestimmtheit des Widerrufs-VAs
c) Richtiger Adressat des Widerrufs-VAs
d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des Widerrufs-VAs
34
Zu d) Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs
Begründetheit:
1. Ermächtigungsgrundlage für den Widerrufs-VA (§ 49 Abs. 2 VwVfG)
2. Formelle Rechtmäßigkeit des Widerrufs-VAs
a) Zuständige Behörde
b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
aa) Anhörung
bb) Begründung
c) Form
3. Materielle Rechtmäßigkeit des Widerrufs-VAs
a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des
Widerrufs
–VAs
aa) Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(1) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Aus
gangs-VAs
(2) Formelle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Zuständige Behörde
(b) Ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren
(aa) Anhörung
(bb) Begründung
(c) Form
(3) Materielle Rechtmäßigkeit des Ausgangs-VAs
(a) Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächti -
gungsgrundlage des Ausgangs-VAs
(b) Hinreichende Bestimmtheit des Ausgangs-VAs
(c) Richtiger Adressat des Ausgangs-VAs
(d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des
Ausgangs-VAs
bb) Begünstigende Regelung des Ausgangs-VAs
cc) Vorliegen eines der Widerrufsgründe des § 49 Abs. 2 Nr. 1
bis 5 VwVfG
cc) Jahresfrist (§ 49 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG)
b) Hinreichende Bestimmtheit des Widerrufs-VAs
c) Richtiger Adressat des Widerrufs-VAs
d) Verhältnismäßigkeit / Ermessen hinsichtlich des Widerrufs-VAs
35
5. Die Rücknahme von Verwaltungsakten nach § 48 VwVfG
a) Rücknahme eines rechtswidrigen belastenden VA nach § 48 Abs. 1 S. 2
VwVfG
Wie dem obigen Prüfungsschema zu entnehmen ist, enthält die Prüfung der Tat-
bestandsvoraussetzungen für die Rücknahme denknotwenig eine vollständige
Rechtmäßigkeitsprüfung des zurück zu nehmenden VAs (Ausgangs-VA).
Abgesehen vo
n der „Schachtelprüfung“ ergeben sich in dieser Konstellation keine
Besonderheiten.
b) Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden VAs nach § 48 Abs. 1 S. 2,
Abs. 1 S. 1, Abs. 2 bis 4 VwVfG
Zusätzlich zu der Schwierigkeit der „Schachtelprüfung“ gilt es hier, folgende Be-
sonderheiten zu beachten:
aa) Kein schutzwürdiges Vertrauen des begünstigten Bürgers in den Bestand
des rechtswidrigen Ausgangs-VAs
Damit die materielle Rechtmäßigkeit der Rücknahme des VAs nicht wegen Ver-
trauensschutz ausgeschlossen ist, muss einer der folgenden drei Fälle vorliegen.
Der Betroffene kann sich überhaupt nicht auf den Vertrauensschutz berufen,
er hat nicht auf den Bestand des Ausgangs-VAs vertraut oder, das Vertrau-
en, das der Betroffene auf den Bestand des Ausgangs-VAs hatte, ist nach Ab-
wägung mit dem öffentlichen Rücknahmeinteresse nicht schutzwürdig:
Fall 1: Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG
Auf Vertrauensschutz kann sich der begünstigte Bürger nicht berufen, wenn
einer der in Satz 3 genannten Tatbestände erfüllt ist. Liegt ein solcher Fall vor,
ist die Prüfung des Vertrauensschutzes an dieser Stelle beendet und die
Rücknahme ist insoweit rechtmäßig. Darüber hinaus wird die Rechtsfolge des
§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG in Form einer Soll-Vorschrift eingeschränkt (§ 48
Abs. 2 S. 4 VwVfG). In den Fällen des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG ist der Aus-
gangs-VA i. d. R. mit ex tunc-Wirkung zurückzunehmen. Es sind gravierende
Umstände notwendig, um keine Rücknahme des VAs oder lediglich eine
Rücknahme mit ex nunc-Wirkung zu erreichen.
Fall 2: Kein tatsächliches Vertrauen auf den Bestand des Ausgangs-VAs,
§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG
In der Regel hat der Betroffene auf den Bestand des Ausgangs-VAs vertraut.
Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn er von dem Erlass des
Ausgangs-VAs noch keine Kenntnis hatte oder er Erklärungen abgegeben hat,
aus denen objektiv zu entnehmen ist, dass er an der Richtigkeit des Aus-
gangs-VAs zweifelt (z. B. die ihm zugebilligte Summe zu hoch sei). Liegt kein
Vertrauen auf den Bestand des Ausgangs-VAs vor, ist die Rücknahme inso-
weit rechtmäßig.
36
Fall 3: Keine Schutzwürdigkeit des Vertrauens unter Abwägung mit dem
öffentlichen Rücknahmeinteresse, § 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG
§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG normiert eine gesetzliche Vermutung für die Schutz-
würdigkeit des Vertrauens, soweit der Betroffene dieses objektiv betätigt hat.
Objektiv betätigt ist das Vertrauen, wenn die gewährte Leistung verbraucht
wurde oder der Betroffene im Vertrauen auf den Bestand des Ausgangs-VAs
eine Vermögensdisposition getroffen hat, die nicht mehr oder nur unter unzu-
mutbaren Nachteilen rückgängig gemacht werden kann.
Ein Verbrauch einer Leistung liegt nicht vor, wenn sich das durch die Leis-
tung Erlangte bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise noch im Vermögen des
Begünstigten befindet. Diese Prüfung orientiert sich an den zu § 818 Abs. 3
BGB entwickelten Maßstäben (beispielsweise der Saldotheorie). D. h., dass
das durch die Leistung Erlangte beispielsweise dann nicht verbraucht ist,
wenn es zur Schuldentilgung oder zur Anschaffung von Gerätschaften oder
ähnlichem verwendet wurde.
25
Eine Vermögensdisposition ist jedes Verhalten, das Auswirkungen auf den
Vermögensstand hat. Eine solche Vermögensdisposition ist nicht mehr oder
nur unter Hinnahme unzumutbarer Nachteile rückgängig zu machen, wenn
z. B. das einschlägige Zivilrecht einer Rückabwicklung entgegensteht oder
wenn die Rückabwicklung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit ganz er-
heblichen Verlusten verbunden wäre.
26
Soweit das Vertrauen des Betroffenen schutzwürdig ist, muss eine Abwägung
des schutzwürdigen Vertrauens des Betroffenen mit dem öffentlichen Interes-
se an einer Rücknahme erfolgen, wobei allerdings nach der Vermutung des
§ 48 Abs. 2 VwVfG regelmäßig das Vertrauen des Betroffenen dem öffentli-
chen Interesse überwiegt.
In die Abwägung sind insbesondere der Grad der Rechtswidrigkeit des VAs
und die Auswirkungen einer Rücknahme oder Nichtrücknahme auf den Betrof-
fenen und auf Dritte einzubeziehen. Soweit eine Ausnahme vorliegt und das
öffentliche Interesse dem Vertrauen des Betroffenen überwiegt, steht der Ver-
trauensschutz einer Rücknahme nicht im Weg.
- Exkurs
Sowohl Behörden als auch Gemeinden (oder andere Körperschaften des öffentli-
chen Rechts) können sich grundsätzlich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da
sie an den Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung gebunden sind.
25
Siehe dazu vertiefend z. B. BeckOK, Müller, VwVfG, § 48, Rn. 63 ff.
26
Siehe dazu auch die Beispiele in Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 48, Rn 109
37
bb) Jahresfrist, § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG
Für begünstigende VAe gilt eine einjährige Rücknahmefrist, die ab dem Zeitpunkt
der Kenntnis der Behörde von den die Rechtswidrigkeit des Ausgangs-VAs be-
gründenden Tatsachen zu laufen beginnt.
Belastende VAe können ohne die Einhaltung einer Frist zurückgenommen wer-
den.
Streitig ist, in welchem Zeitpunkt Kenntnis der Behörde vorliegt und auf welche
Tatsachen sich die Kenntnis beziehen muss.
Nach dem BVerwG ist dies grds. dann der Fall, wenn der zuständige Sachbear-
beiter die Rechtswidrigkeit des VAs tatsächlich erkannt hat und alle für die Aus-
übung des Rücknahmeermessens relevanten Tatsachen kennt. Das bedeutet,
dass die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme (z. B. aus den Akten des zustän-
digen Sachbearbeiters) nicht ausreicht. Deutlicher: Selbst grob fahrlässige Un-
kenntnis
– z. B. aufgrund fehlender Akteneinsicht – schadet nicht.
Bitte beachten Sie, dass es Ausnahmen von diesem Grundsatz gibt (z. B. in Fäl-
len mit Bezug zum europäischen Beihilfenrecht).
-Exkurs
Tatsachen sind Begebenheiten der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis
zugänglich sind.
Der Begriff der Tatsachen umfasst nach Ansicht des BVerwG im Rahmen des
§ 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG ausnahmsweise auch Rechtsanwendungsfehler.
Problem dieser Ansicht ist, dass durch die hohe Schwelle
– Kenntnis aller rele-
vanten Tatsachen inkl. Rechtsanwendungsfehler
– die Jahresfrist praktisch um-
gangen wird.
Nach einer verbreiteten Gegenansicht soll deshalb das Merkmal der Kenntnis-
nahme enger ausgelegt werden. Demnach ist Kenntnisnahme zu bejahen, wenn
nach objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit der weiteren Aufklärung mehr
besteht.
- Exkurs
Besonderheiten des Unionsrechts bei staatlichen Subventionen
27
Aufgrund der wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts (Effektivitätsgrundsatz) fin-
det sowohl eine Modifikation des Vertrauensschutzes als auch eine Einschränkung
der Ausschlussfrist nach § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG bei der Rückforderung von rechts-
widrigen staatlichen Subventionen bzw. Beihilfen statt.
27
Vertiefend dazu z. B. Tilmann/Schreibauer, in GRUR 2002, S. 212 ff: BVerwG, Urteil vom
16.12.2010, Az. 3 C 44.09, 3 C 44/09.
38
Die Modifikation betrifft diejenigen Fälle, in denen staatliche Beihilfen gegen das im
Rahmen des Notifizierungsverfahren geltende Durchführungsverbot (Art. 108 Abs. 3
AEUV) verstoßen.
Der Empfänger der Beihilfe kann sich dann regelmäßig nicht auf schutzwürdiges Ver-
trauen berufen, da ein sorgfältiger Gewerbebetreibender die Nichteinhaltung des
Durchführungsverbots hätte erkennen müssen. Solche Beihilfen müssen zwingend
nach nationalem Recht zurückgenommen werden (in Deutschland: §§ 48 ff. VwVfG).
Zudem ist in solchen Fällen die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG aufgrund des
Vorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar.
- Exkurs
Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG
Ein Ausgleichsanspruch steht dem Betroffenen zu, soweit sein Vertrauen auf den
Bestand des VAs schutzwürdig ist und keiner der in § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG genann-
ten Ausschlussgründe vorliegt.
Begrenzt ist der Ausgleichsanspruch auf das schutzwürdige Vertrauen des Betroffe-
nen (§ 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG), also das negative Interesse. Der Betroffene muss so
gestellt werden, als wäre der VA nie erlassen worden. Die Obergrenze für den An-
spruch ist das positive Interesse (§ 48 Abs. 3 S. 3 VwVfG), d. h., der Betroffene darf
nicht besser stehen, als wenn der VA erfüllt worden wäre.
Die Festsetzung des Ausgleichs erfolgt durch VA auf Antrag des Betroffenen inner-
halb der Jahresfrist.
c) Rechtsfolge des Vorliegens der Rücknahmevoraussetzungen
Das Vorliegen der Tatbstandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG hat
auf Rechtsfolgenseite zur Folge, dass der Behörde ein Ermessensspielraum über
die Rücknahme des konkreten rechtswidrigen Ausgangs-VAs eröffnet wird. Die
Entscheidung darüber, ob der VA ganz oder nur teilweise zurückgenommen wer-
den soll, mit ex nunc- oder ex tunc-Wirkung liegt im Ermessen der Behörde.
Eine Ermessensreduzierung kommt in Betracht, wenn die (Teil-) Aufrechterhal-
tung des belastenden VAs für den betroffenen Bürger unzumutbar wäre.
6. Widerruf von rechtmäßigen Verwaltungsakten nach § 49 VwVfG
a) Widerruf eines rechtmäßigen belastenden VAs, § 49 Abs. 1 VwVfG
Der Widerruf eines rechtmäßigen belastenden VAs ist ganz oder teilweise mög-
lich, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach dem Erlass des VAs geändert hat
und dieser jetzt nicht mehr erlassen werden dürfte, auch wenn der VA noch
rechtmäßig ist (für die Bestimmung der Rechtmäßigkeit ist der Zeitpunkt des VA-
Erlasses entscheidend).
Der VA kann nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Zudem ist ein
Widerruf ausgeschlossen, wenn ein VA gleichen Inhalts erneut erlassen werden
müsste oder der Widerruf aus anderen Gründen unzulässig ist (z. B. wegen spe-
39
ziellen Vorschriften, die den Widerruf nur unter bestimmten Voraussetzungen dul-
den).
b) Widerruf eines rechtmäßigem begünstigenden VAs, § 49 Abs. 2 VwVfG
Der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs ist nur zulässig, wenn ei-
ner der in § 49 Abs. 2 VwVfG abschließend aufgezählten Gründe vorliegt. Wenn
der VA eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt, findet stattdessen
§ 49 Abs. 3 VwVfG Anwendung.
Der Widerruf gem. § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG
Nr. 1: Der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs ist möglich, so-
fern der Widerruf in einer spezialgesetzlichen Vorschrift vorgesehen ist. Diese
Tatbestandsalternative der Nr. 1 ist praktisch nicht anwendbar. Wenn der
Widerruf bereits in einem Spezialgesetz vorgesehen ist, so findet auch nur
dieses für den Widerruf Anwendung (lex specialis derogat legi generali). Der
Begriff der Rechtsvorschrift umfasst dabei auch Satzungen, Rechtsverordnun-
gen oder einen Widerrufsvorbehalt im VA selbst (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 3
VwVfG).
- Exkurs
Im Fall des Widerrufsvorbehalts müssen zudem sachliche Gründe vorliegen, die mit
dem Sinn und Zweck des Widerrufsvorbehalts in Zusammenhang stehen.
Liegt diese Voraussetzung nicht vor, ist ein Widerruf, den die handelnde Behörde
erlässt, ermessensfehlerhaft. Problematisch sind die Fälle, in denen der
Widerrufsvorbehalt rechtswidrig, aber in Bestandskraft erwachsen ist. Das BVerwG
hat hierfür entschieden, dass die Behörde grundsätzlich von einem rechtswidrigen
Widerrufsvorbehalt Gebrauch machen darf. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz
wird
jedoch
dann
gemacht,
wenn
der
dem
Ausgangs-VA
beigefügte
Widerrufsvorbehalt gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
Nr. 2: Der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs ist möglich,
wenn eine mit dem VA verbundene Auflage nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt
wurde. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Behörde bei Nichterfüllung
einer Auflage zunächst versuchen muss, die Durchsetzung der Auflage an-
derweitig z. B. durch Androhung eines Widerrufs des VAs zu erreichen. Der
Widerruf selbst ist ultima ratio. Soweit der Auflage im Hinblick auf den Haupt-
VA nur geringfügige Bedeutung zukommt, ist der Widerruf nach der Nr. 2 nicht
möglich.
Ist die Auflage rechtswidrig, gelten die Ausführungen zum rechtswidrigen
Widerrufsvorbehalt entsprechend.
Nr. 3: Der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs ist möglich,
wenn nachträglich Tatsachen eintreten, aufgrund derer die Behörde nunmehr
zum Nichterlass des VAs berechtigt wäre und ohne den Widerruf eine Gefähr-
dung des öffentlichen Interesses droht.
40
Das öffentliche Interesse ist gefährdet, wenn bei Fortbestand des Ausgangs-
VAs eine konkrete Gefahr für wichtige Individualrechte oder Gemeinschaftsgü-
ter bestünde.
Nr. 4: Der Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden VAs ist möglich, so-
weit sich die einschlägigen Rechtsvorschriften derart ändern, dass die Behör-
de nunmehr zum Nichterlass des VAs berechtigt wäre. Der Widerruf nach Nr.
4 ist nicht möglich, wenn der Begünstigte von der Begünstigung bereits Ge-
brauch gemacht hat oder aufgrund des Ausgangs-VAs Leistungen erhalten
hat. Auch hier muss eine Gefährdung des öffentlichen Interesses drohen (sie-
he hierzu die Ausführungen zu Nr. 3).
Der Widerruf eines begünstigenden VA in allen vier Varianten wird zudem durch
die Ausschlussfrist gem. § 49 Abs. 2 S. 2 VwVfG i. V. m. § 48 Abs. 4 VwVfG (ein
Jahr) eingeschränkt.
c) Rechtsfolgen des Vorliegens der Widerrufsvoraussetzungen
Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 VwVfG hat auf Rechts-
folgenseite zur Folge, dass der Behörde ein Ermessensspielraum über den Wi-
derruf des konkreten rechtmäßigen Ausgangs-VAs eröffnet wird. Anders als bei
der Rücknahme erstreckt sich dieses Ermessen jedoch nur auf die Möglichkeiten
ganz oder nur teilweise zu widerrufen. Zeitlich ist die Behörde an einen Widerruf
ex nunc gebunden. Lediglich in den Fällen des § 49 Abs. 3 VwVfG ist ein Widerruf
mit ex tunc-Wirkung möglich.
Zudem stehen dem Betroffenen ggf. gemäß § 49 Abs. 6 S. 2 VwVfG Entschädi-
gungsansprüche zu.
- Exkurs
Ausnahmsweise kann auch ein rechtswidriger VA, wenn die Voraussetzungen des
§ 49 VwVfG vorliegen, nicht aber die des § 48 VwVfG, nach § 49 VwVfG analog wi-
derrufen werden. Diese Analogie beruht auf dem Gedanken, dass, wenn schon ein
rechtmäßiger VA widerrufen werden könnte, erst recht auch die Möglichkeit eröffnet
sein muss, einen rechtswidrigen VA zurückzunehmen.
7. Erstattungspflicht nach § 49a VwVfG
Wird ein VA mit ex tunc-Wirkung aufgehoben, sind die gewährten Leistungen zu
erstatten gem. § 49a VwVfG. Die Vorschrift erfasst nur Ansprüche der Verwaltung
gegen den Bürger und nicht umgekehrt.
Die Regelung gilt sowohl für die Rücknahme eines VAs nach § 48 VwVfG als
auch für den Widerruf nach § 49 Abs. 3 VwVfG.
Der Umfang der Erstattungspflicht richtet sich gem. § 49a Abs. 2 VwVfG nach den
§§ 818 ff. BGB.
Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen VA festzusetzen, § 49a Abs. 1
S. 2 VwVfG.
41
D. Der öffentlich-rechtliche Vertrag
I. Begriff und Bedeutung
An die Stelle eines VAs kann grundsätzlich eine einvernehmliche Vereinbarung gem.
§ 54 VwVfG zwischen der Verwaltung und dem Bürger treten. Ausgeschlossen ist ein
öffentlich-rechtlicher Vertrag dort, wo ein Vertragsformverbot vorgesehen ist. Dies ist
z. B. in Leistungs- oder Eignungsprüfungen der Fall sowie im Steuerrecht.
Der Vertrag kommt wie im Zivilrecht durch übereinstimmende Willenserklärungen
zustande.
An die Stelle eines VAs kann grundsätzlich eine einvernehmliche Vereinbarung gem.
§ 54 VwVfG zwischen der Verwaltung und dem Bürger treten. Der Vertrag kommt wie
im Zivilrecht durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Ausgeschlossen
ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag dort, wo die Handlungsform des Vertrages verbo-
ten ist. Dies ist z. B. in Leistungs- oder Eignungsprüfungen der Fall sowie im Steuer-
recht. Als weiteres Beispiel kann das Verbot des öffentlich-rechtlichen Vertrags be-
züglich der Beamtenbesoldung im Beamtenrecht genannt werden. Streitig ist jedoch
ob im Bereich der Landesbauordnung öffentlich-rechtliche Verträge geschlossen
werden können (§ 75 BauO NW). Aus der Rechtsnatur der Baugenehmigung als ge-
bundener Erlaubnis folgt, dass ihre Erteilung nicht von Gegenleistungen abhängig
gemacht werden darf, somit keine Austauschverträge bezüglich der Genehmigung
geschlossen werden können oder sollen. Dies gilt vor allem dann, wenn der Antrag-
steller ohnehin einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf die Baugenehmigung
hat. Die Genehmigung darf nicht von etwas abhängig gemacht werden, worauf der
Anspruch auch ohne Austausch bestand hätte
28
. Heute weicht die Rechtsprechung
ab, da sie vor allem das Vertragsinhaltsverbot berücksichtigt.
Als Beispiel eines koordinationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen
Ländern können die Verträge über Sportwetten und der Glücksspielstaatsvertrag ge-
nannt werden, die für beide Bereiche ein Staatsmonopol einrichten.
II. Arten verwaltungsrechtlicher Verträge
Zu unterscheiden sind Verträge im Bereich des Völkerrechts oder Verfassungsrechts
von den Verträgen im Bereich des Verwaltungsrechts. Zu den Verträgen im Bereich
des Verwaltungsrechts gehören auch sog. Verwaltungsabkommen, die zwischen öf-
fentlichen Rechtsträgern geschlossen werden und keine Außenwirkung entfalten, wie
z. B. Rundfunkstaatsverträge.
28
Gädtke, Czepuck, Johlen, Plietz, Wenzel – BauO NRW Kommentar, 12. Aufl. Köln 2011.
42
Bei den Verträgen im Bereich des Verwaltungsrechts wird zwischen koordinations-
und subordinationsrechtlichen Verträgen nach den am Vertragsschluss Beteiligten
differenziert. Inhaltlich wird zudem zwischen Austausch- und Vergleichsverträgen
unterschieden.
Subordinationsrechtliche Verträge sind solche, die an die Stelle eines VAs treten
können. Da ein VA nur vorliegt, wenn unter anderem das Merkmal der Außenwirkung
bejaht werden kann, können solche öffentlich-rechtliche Verträge also nur zwischen
einer Behörde und einem Privatrechtssubjekt geschlossen werden. D. h., die Verwal-
tung wählt statt der Handlungsform des VAs die des öffentlich-rechtlichen Vertrages.
Aufgrund der ungünstigeren Position des Bürgers (Drohung des VA-Erlasses als
Handlungsalternative der Behörde), gelten hier besondere Schutzvorschriften wie
§§ 56, 59 Abs. 2 VwVfG.
Koordinationsrechtliche Verträge sind solche, die zwischen Hoheitsträgern geschlos-
sen werden. Hier stehen sich die Vertragspartner gleichberechtigt gegenüber.
Mit einem Austauschvertrag verpflichtet sich die Gegenpartei der Behörde gegenüber
zu einer Gegenleistung, § 56 VwVfG.
Der Vergleichsvertrag wird geschlossen, um durch ein gegenseitiges Nachgeben
eine „bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende
Ungewissheit“ zu beseitigen, § 55 VwVfG.
III. Abgrenzung zu anderen Handlungsformen
Abzugrenzen ist der öffentlich-rechtliche Vertrag von Absprachen, die keine Rechts-
bindungswirkung entfalten, privatrechtlichen Verträgen oder einem mitwirkungsbe-
dürftigen VA.
Bei Absprachen ohne Rechtsbindungswirkung (sog. gentlemen‘s agreements), ver-
traut jede Partei darauf, dass die andere sich trotz mangelnder Bindungswirkung an
den Inhalt der Abspräche halten wird.
Exkurs: Dies ist in der Praxis insbesondere bei wettbewerbsschädlichen Kar-
tellabsprachen relevant.
Öffentlich-rechtliche und keine privatrechtlichen Verträge liegen vor, wenn sich min-
destens ein wesentlicher Teil der Vereinbarung auf Feststellung, Konkretisierung
oder Gestaltung eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses bezieht. Dies ist
unproblematisch dann der Fall, wenn der Vertragsgegenstand auch Gegenstand ei-
ner Regelung durch VA sein könnte.
Bei einem mitwirkungsbedürftigen VA ist die Handlung des Bürgers nicht von einem
rechtsgeschäftlichen Bindungswillen getragen. Vielmehr ist der Bürger von dem Ziel
geleitet, die Behörde zu einem einseitigen Regelungsakt zu veranlassen. Im Einzel-
nen können die äußere Gestalt als Vertrag oder Bescheid, das Verfahren bei Zu-
43
standekommen oder die sonst übliche Handlungsform der Behörde in gleich gelager-
ten Fällen zur Abgrenzung dienen. Ein solcher VA liegt beispielsweise bei Beamten-
ernennungen vor.
IV. Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags
Gem. § 59 VwVfG ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag wirksam, wenn er nicht nichtig
ist.
1. Zustandekommen des Vertrags
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kommt wie ein privatrechtlicher Vertrag durch
übereinstimmende Willenserklärungen zustande, die auf den Abschluss des Ver-
trags gerichtet sind.
Die Regelungen des BGB sind in Bezug auf die Wirksamkeit der Willenserklärun-
gen, Zugang, Vertretung usw. grundsätzlich anzuwenden. Folgende Modifizierun-
gen finden sich im VwVfG:
- Handlungsfähigkeit von Beteiligten, § 12
- Vertretungsmacht, §§ 114 ff.
2. Schriftform, § 57 VwVfG
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kommt nur zustande, wenn er schriftlich ge-
schlossen wird. Alle mündlichen Absprachen oder Nebenabsprachen sind unwirk-
sam. Für die Schriftform gilt § 126 BGB bzw. die besonderen Vorschriften wie
z. B. § 311b BGB bei Grundstücksgeschäften.
3. Zustimmungserfordernis
Die Wirksamkeit des Vertrages, der in Rechte Dritter eingreift, ist von der Zu-
stimmung dieses Dritten abhängig, § 58 Abs. 1 VwVfG.
4. Keine Nichtigkeit nach § 59 VwVfG
Die in § 59 VwVfG aufgeführten Nichtigkeitsgründe sind abschließend, so dass
andere Rechtsverstöße allein nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führen (wie die
Rechtswidrigkeit des Vertragsinhalts oder ein Verstoß gegen ein Handlungsform-
verbot i. S. d. § 54 VwVfG).
29
Systematisch wird Absatz 2 zuerst geprüft, da er spezieller ist.
Schutzvorschrift des § 59 VwVfG
Zwischen § 59 I, III und II ist zu differenzieren. § 59 I, III VwVfG finden für alle Verträ-
ge Anwendung, ebenso für subordinations- wie für koordinationsrechtliche. § 59 II
hingegen ist ausdrücklich nur für subordinationsrechtliche Verträge i.S.d. § 54 S. 2
VwVfG anwendbar.
29
Andere Ansicht vertretbar, siehe Erichsen, Jura 1994, 47, 50.
44
a) Nichtigkeit nach Absatz 2
Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist dann nichtig,
- wenn auch ein VA mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre. Dies ist der Fall,
wenn einer der Tatbestände des § 44 VwVfG erfüllt ist.
- wenn durch die Vertragsparteien wissentlich ein Gesetzesverstoß vereinbart
wird, also den Beteiligten die materielle Rechtswidrigkeit des Vertragsinhalts
im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt ist. Dagegen ist fahrlässige Un-
kenntnis der materiellen Rechtswidrigkeit nicht ausreichend.
- wenn die Voraussetzungen des § 55 VwVfG für einen Vergleichsvertrag nicht
vorliegen, also keine Ungewissheit über die Sach- oder Rechtslage, kein ge-
genseitiges Nachgeben oder keine pflichtgemäße Ermessensbetätigung.
- wenn sich die Behörde eine nach § 56 VwVfG unzulässige Gegenleistung ver-
sprechen lässt. Dies ist der Fall, wenn die Gegenleistung nicht ausdrücklich
zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben vereinbart worden ist, nicht im Sachzu-
sammenhang mit der behördlichen Leistung steht oder die Gegenleistung den
gesamten Umständen nach nicht angemessen ist (insbesondere der Höhe
nach). Eine besondere Einschränkung gilt für die Fälle, in denen der öffentlich-
rechtliche Vertrag an die Stelle eines VAs tritt, auf dessen Erlass der Bürger
einen Anspruch hat. In diesen Fällen ist eine Gegenleistung des Bürgers in ih-
rem Umfang auf solche Gegenleistungen begrenzt, die dem Bürger auch im
Rahmen einer Nebenbestimmung hätten auferlegt werden können.
b) Nichtigkeit nach Absatz 1
Die Nichtigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ergibt sich zudem aus einer
entsprechenden Anwendung der Vorschriften des BGB:
- Sittenwidrigkeit, § 138 BGB
- Geschäftsunfähigkeit, § 105 BGB
- Scheingeschäft, § 117 BGB
- Mangel an Ernstlichkeit, § 118 BGB
- Verstoß gegen Formvorschriften, § 125 BGB (sowie § 57 VwVfG)
- Verstoß gegen Treu und Glauben, § 242 BGB
- Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot,§ 134 BGB. Dieser soll jedoch nur
dann zur Anwendung kommen, w
enn es sich um einen besonders „qualifizier-
ten Fall der Rechtswidrigkeit“ handelt.
30
5. Wegfall der Geschäftsgrundlage
Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt bei öffentlich-rechtlichen Verträgen
genauso in Betracht wie bei privatrechtlichen Verträgen: Die zivilrechtlichen
Grundsätze kommen hier zur Anwendung.
30
BVerwG, NJW 1996, 608, 609.
45
V. Vollstreckung vertraglicher Pflichten
Die Behörde kann die vertraglichen Pflichten des Bürgers nicht durch einen VA fest-
setzen und vollstrecken. Die Parteien müssen Klage vor dem VG erheben. Aus-
nahmsweise kann ohne gerichtliche Entscheidung vollstreckt werden, wenn eine Un-
terwerfung unter die sofortige Vollstreckung erfolgt nach § 61 VwVfG.