DIE FÜHRUNG DER HEERESGRUPPE MITTE
NACH SCHÖRNERS BEFEHLSÜBERNAHME
Die Lage am 18. Januar Das Ersatzheer wird endlich alarmiert "'Z.u spät"
für die Verteidigung des oberschlesischen Industriegebietes Die Oderlinie
muß verteidigt werden Betrachtungen zum Wiederfestigen der Moral Anrollen
zu geringer Reserven Stärkster Spritmangel drosselt die Luftwaffe
Utopische Wunschtraum-Auffassungen der obersten Führung
(Siehe Karte l im Anhang)
Das Oberkommando der Heeresgruppe A, welches vom 25. Januar ab die Bezeichnung
"Heeresgruppe Mitte" erhielt, hatte sein Hauptquartier von Krakau
mehr in die Mitte nach Tschenstochau verlegen wollen, war dort aber am
17. Januar gerade noch mit heiler Haut vor den russischen Panzerspitzen
nach Oppeln ausgewichen. Es soll versucht werden, mit einigen Strichen ein
Bild der Lage zu malen, um es mit Beurteilungen der Heeresgruppenführung
hinsichtlich feindlicher Absichten und einiger Möglichkeiten zu erläutern.
Ausgangspunkt ist der 18. Januar. Der auf 300 Kilometer Breite, durch tief
gegliederte Reserven gesichert, weiterhin rasch auf Deutschland vorstoßende
Feind näherte sich im Süden von beiderseits Tschenstochau her der schlesischen
Grenze. Im Norden hing er um den um 2 Tage späteren Angriffsbeginn
(14. Januar gegen unsere 9. Armee) um 2 Tagesmärsche zurück.
Hier hatte er erst die Linie LodzKutno erreicht.
Wie waren die Kräftequellen des Feindes, wie seine weiteren Absichten zu
beurteilen? Konnte man ein Vorstoßen in einem Zuge, mindestens an die
Oder von Oberschlesien bis vor Berlin, nicht nur erwarten, sondern als
ausführbar beurteilen, und zwar als ziemlich risikolos?
Welche eigenen Kräfte gab es, um diese in des Begriffs klarster Bedeutung
"Russische Dampfwalze" aufzuhalten oder deren Tempo zu bremsen?
Gewiß, wenn man weiter in Hitlers Wahnsinnsirrtum über das feindliche
Potential befangen blieb, durfte man ein baldiges Abebben der feindlichen
Offensive erwarten. Denn Hitler hatte bekanntlich getobt, die über die mächtigen
Kräftequellen des sowjetischen Aufmarsches zur Generaloffensive veröffentlichten
Angaben seien nicht nur falsch und übertrieben, nein, das Ganze
sei seit Dschingis Khan der größte Bluff der Weltgeschichte.
Zwar hatte sich ja der bei noch so genauen Nachrichten über jeder feindlichen
Handlung liegende Schleier nun mit erschreckender Klarheit gelüftet. Aber
die "entartete Führung" Hitlers, die damals längst auch gewisse Teile seiner
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allernächsten militärischen Umgebung erfaßt hatte, beging erneut den Kardinalfehler,
feindliche Absichten und Möglichkeiten nach eigenen Wünschen
zu beurteilen, unsere Kräfte und Aussichten aber stark zu überschätzen.
Keineswegs soll der Soldat, besonders der Befehlshaber, Schwarzseher und
Pessimist sein. Aber seine Beurteilungen dürfen nicht auf Wunschträumen
beruhen, imaginären Dingen reale Wirklichkeit unterstellen und so ins Utopische
abschweifen. Mit anderen Worten: Mit mutiger Willenskraft und
gesundem Optimismus gewappnet mußte die Führung der Heeresgruppe gerade
jetzt mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Diese Forderung
hat der Generalstab der Heeresgruppe auch nach Wechsel des Oberbefehlshabers
in sicher nicht einfachen, auch nach oben hin geführten Meinungskämpfen
bis zum Ende des Ringens um Schlesien erfüllt. Freilich werden wir
späterhin feststellen müssen, daß es herrschenden Gewalten gegenüber nicht
immer möglich war, auch in Schlesien den Fehler "zu kostspieliger Führung"
zu vermeiden, ja auszumerzen.
Um nun die oben angeschnittene Frage über den Feind und die eigenen Möglichkeiten
zu beantworten, sollte man, auf die bisher geschilderten Ereignisse
gestützt/wieder einen Blick auf die Karte l werfen. Die Niederlage, unter der
das Riesenloch von 300 Kilometer Breite entstanden war, hatte ganz erhebliche
Verluste gekostet. Wieviel Mann sich noch nach Schlesien durchschlagen
würden, ob es gar einsatzfähige Divisionen waren, das war am 18. Januar
nicht zu übersehen. Wenn auch an ganz wenigen Punkten, in oder zwischen
rückwärtigen Stellungen, ausnahmsweise Stellungsbesatzungen oder Reste
ausweichender Truppen kämpfen konnten und dort den Feind auch aufhielten,
so war die Zahl dieser Stellen zu gering und die gewonnene Zeit zu kurz,
um, aufs Ganze gesehen, einen wirklich hemmenden Einfluß grundlegender
Bedeutung gewinnen zu können. Allerdings zeigten selbst diese Kämpfe örtlich
erfolgreichen Widerstands wiederum, eine wie entscheidende Rolle die
rückwärtigen Stellungen bei Genehmigung der Operation "Schlittenfahrt"
gespielt hätten, und von welch großem Ausmaß der Fehler der obersten Führung
gewesen war, den sogar strategisch ins Gewicht fallenden Nutzen dieser
Stellungen geradezu leichtfertig zu vertun.
Richtig urteilte man daher, wenn man die Möglichkeit eines weiteren und
schnellen Fortschreitens der feindlichen Offensive voraussetzte, ohne auch nur
eine wirklich ins Gewicht fallende Abnutzung anzunehmen. Gewiß hatte auch
der Feind Verluste, und allen Kämpfern, auf der Erde und in der Luft, gebührt
gerade hier hohe Anerkennung dafür, aus schwerem Rückzug heraus immer
wieder Panzer abgeschossen zu haben. Das hat den Feind örtlich zur Vorsicht
gemahnt und mancher Truppe Leben, Freiheit und Schlagkraft gerettet. Aber
die große Offensive rollte eben durch die folgenden Reserven gut genährt
unaufhörlich weiter.
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Wenn auch erst die bis zum Monatsende abgelaufenen
Ergebnisse Klarheit über die feindlichen Absichten brachten, so war wohl am
18. Januar schon zu erkennen/ daß im Norden durch die Provinz Posen sehr
starke Kräfte auf Berlin vorgingen, während man sich als Aufgabe für die
auf Schlesien zielenden Armeen den Flankenschutz der nördlich nach Berlin
greifenden Kräfte vorstellen konnte. Auf alle Fälle würde ihr erstes Ziel das
Gewinnen von großen Brückenköpfen über die Oder sein, um sich sofort im
raschen Ergreifen günstiger Gelegenheiten die Voraussetzungen für die nächsten
Operationen westlich der Oder zu sichern. Und wohl außer jeder Frage
stand das oberschlesische Industriegebiet als schnell zu erringender Siegespreis.
Richtig war es außerdem, sich auch auf kräftiges Nähren der Offensive
der 4. Ukrainischen Front im Süden einzustellen, deren Aufgabe es ohne
Zweifel sein würde, die Mährische Pforte im Süden Oberschlesiens aufzustoßen
und die dahinter liegende allerletzte Warfenschmiede von Mährisch-Ostrau
zu nehmen. Zugleich würden die Sowjets damit Kräfte der Armeegruppe
Heinrici binden, der einzigen Armee der Heeresgruppe, die noch Reserven
nach dem bedrängten Norden abgeben konnte.
Düster war das Bild der eigenen Kräfte und Möglichkeiten. Klar war man
sich darüber, daß die 4. Panzerarmee und die 9. Armee zur Zeit nicht bestanden.
Ein Lichtblick hingegen war es, daß die 17. Armee bei ihrem ab 16. Januar
begonnenen Zurückkämpfen trotz großer Schwierigkeiten ihren Zusammenhalt
gewahrt, die Armeegruppe Heinrici nur wenig verloren hatte.
Beim Stab der Heeresgruppe erschienen zu dieser Zeit als Abgesandte Hitlers
der Reichsminister für Rüstung Speer und der Staatssekretär des Verkehrsministeriums
als Vertreter des Verkehrsministers Dorpmüller mit der Aufgabe, über eine
Binsenweisheit zu unterrichten: der Verlust des oberschlesischen
Industriereviers bedeute das Ende industrieller Fertigung und des
Verkehrs. Selbstverständlich konnte die Heeresgruppe bei der drohenden Feindlage
und dem Mangel eigener Kräfte keinerlei Zusage über die Erfolgsaussichten
des bevorstehenden Kampfes um Zechen und Gruben machen. Hier
muß zu wiederholtem Male wieder das "zu spät" warnend, wenn nicht sogar
richtend der obersten Führung entgegengerufen werden. Warum hatte diese
Führung dem Generaloberst Harpe und seinem genialen Chef Xylander Fesseln
angelegt? Ihr Plan wollte ja gerade auch Oberschlesien retten. Aber mit
dem Besuch und dem Versprechen Speers, sich für das Zuführen von Kräften
einzusetzen, standen ja in dieser Not neben einigen Resteinheiten der 4. Panzerarmee,
außer aufgefangenen Versprengten, in Eile aufgebotenem, mangelhaft
bewaffnetem Volkssturm sowie einigen schnell aus Gendarmerie und
Revierpolizei gebildeten Einheiten noch keine kampffähigen Verbände an
Schlesiens ungeschützt klaffender Grenze.
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Gegen Ende des Kapitels über die Beurteilung der Front und den Bau rückwärtiger
Stellungen wurde die Beweisführung dafür in Aussicht gestellt, daß
es mit Jahresbeginn Zeit gewesen wäre, das Ersatzheer in der B-1- und B-2-
Stellung einzusetzen. Daß das nicht geschah, ist nicht Schuld der Heeresgruppe A.
Denn das Ersatzheer unterstand ja Himmler und dem OKH. Und
daß die oberste Führung bei einem Streit zwischen Harpe und Himmler über
einen früheren Einsatz des Ersatzheeres gegen Harpe entschieden hätte, liegt
nach allen Erfahrungen auf der Hand.
So ist denn schließlich und endlich am Stichtag dieser Betrachtung, am 18. Januar,
zum Teil bereits am 17., auf energisches Drängen der Heeresgruppe der
Kampfeinsatz des Ersatzheeres befohlen worden. Aber bis zu diesem Tage
war eben wiederum kostbare Zeit vergangen, die verlorenen Raum und viel
Blut kosten sollte. Es ist auch möglich, daß Hitler Generaloberst Schömer größere
Vollmachten hinsichtlich der Befehlsgewalt über das dortige Ersatzheer
erteilt hatte, eine in dieser Gefahr geradezu selbstverständliche Maßnahme,
über der aber auch das Urteil "zu spät^ lastet. Denn unerfindlich ist es, daß
man nicht am 13. Januar, als bei der 4. Panzerarmee der völlige feindliche
Durchbruch erkannt war, spätestens aber am 14. Januar beim Losbrechen des
Angriffs auch bei der 9. Armee, das Ersatzheer alarmierte. 5 bis 6 kostbare
Tage und damit Erfolgsaussichten mindestens zum Schutz der zum Treck aufbrechenden
Bevölkerung wären gewonnen worden. Diese Betrachtung fühlt
sich frei von einem Vorwurf, eine vielleicht wissenswerte Beurteilung, die
aber doch den Makel nachträglicher Kritik trage, zu sein. Nein! Im Fortschreiten
der Führungsentartung hatte man offenbar verlernt, ganz nüchtern mit
Raum und Zeit zu rechnen, für die feindlichen wie für unsere Bewegungen.
Man vermute auch nicht eine Sucht nach kiemlich nörgelndem Abrechnen.
Dieses ja nun erst richtig beginnende Drama des Kampfes um Schlesien hat
Anspruch auf offene und ehrliche Betrachtung, die mithelfen soll, aus Unterlassungen
und Fehlern zu lernen. Über opfervolle Kämpfe des Ersatzheeres
wird später berichtet werden.
Welche als vielleicht noch ausführbar zu beurteilende Aufgaben hat sich die
Heeresgruppe damals richtigerweise gestellt? Das feindliche Vorgehen gegen
die Oder mußte verzögert, die Oder verteidigt werden. Dies Verzögern ostwärts
der Oder war nötig, um Zeit zu gewinnen zum Einrichten einer hinter
der Oder wieder wohlorganisierten und daher dann auch festgefügten Verteidigung.
Wenn dies auch ein offener Wettlauf mit dem Feind war, der Wille
zum Halten der Oderlinie mußte die ganze, wieder fest zu formende Heeresgruppe
beseelen. Gab man selbst nur gedanklich nach, war nicht abzusehen, ob es
noch gelingen würde, an und auf den schlesischen Gebirgen
eine Verteidigung aufzubauen.
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Eine weitere und ganz selbstverständliche
Aufgabe war das Wiederfestigen der Moral an solchen Stellen, wo sie unter
den niederziehenden Eindrücken der Niederlage, der Überlegenheit des Feindes
und der hohen Verluste wirklich ernstlich gelitten hatte oder sogar ganz
verloren gegangen war. Daß es hierzu oft drastischer Maßnahmen bedurfte,
wird niemand bestreiten. Denn die Zeit brannte auf den Nägeln, und jeder
Truppenführer, vom Oberbefehlshaber der Heeresgruppe an abwärts befand
sich bei der Erfüllung ernster Pflicht in gutem Recht, wenn er die ewig gültigen
Sätze der Felddienstordnung von 1908 beherzigte: "So bleibt entschlossenes
Handeln das erste Erfordernis im Kriege. Ein Jeder der höchste
Führer wie der jüngste Soldat muß sich stets bewußt sein, daß Unterlassen
und Versäumnis ihn schwerer belasten als Fehlgreifen in der Wahl
der Mittel^. Bei allem danach gebotenen Recht zum Anwenden drakonischer
und abschreckender Mittel, das beim Feuerkampf selbst unmittelbar vorm
Feinde in allen Armeen der Welt sehr weit geht, mußte man sich natürlich
über gewisse Grenzen klar sein. Sonst drohten solche Maßnahmen beim Fehlgreifen
in der Wahl der Mittel in selbstherrliche Willkür auszuarten. Wollte
man in der Truppe wieder wachsendes Zutrauen zu sich selbst und Vertrauen
zur Führung wecken und verbreiten, oder schien einem in solch harter Zeit
das Lieblingswort des römischen Kaisers Kaligula richtungsweisend; "oderint,
dum metuant" (mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten)? Wie
die deutsche Heeresgeschichte zeigt, hatte man bisher auch unter sehr
schweren Verhältnissen -- das Vertrauen höher bewertet als die Furcht. Die
Schwierigkeit der Aufgabe Schörners, die aus den Fugen geratene Heeresgruppe
wieder zusammenzuschweißen, soll nicht in Zweifel gezogen werden.
Dennoch darf nicht verschwiegen werden, daß seine Handlungen nicht immer
Vertrauen schufen, sondern auch den Keim zu Furcht und Mißtrauen gelegt
haben.
Die Beurteilung der eigenen Kräftelage war ungünstig, selbst unter Einschluß
der noch im Anrollen begriffenen 2 Infanteriedivisionen aus dem Westen und
der 2 Panzerdivisionen aus Ungarn, die vollzählig erst zwischen dem 20. und
31. Januar eingetroffen sein konnten. Mit Rücksicht auf die in Schlesien
zunächst am wichtigsten erscheinende Aufgabe, die Verteidigung des oberschlesischen
Industriegebiets, wurden die Transportspitzen dieser 4 Divisionen
auf die Linie KrakauZawiercie angesetzt. Das rasche Vordringen des Feindes
warf jedoch bald diese Anordnung um, wie wir später sehen werden. Die
zwischen den Beskiden und der oberen Weichsel im Zurückkämpfen befindliche 17.
Armee konnte keine Kräfte entbehren, im Gegenteil, sie mußte
verstärkt werden, stand ihr doch die Verteidigung des Industriegebietes bevor.
Daher wurde die Armeegruppe Heinrici zur einzigen und jetzt besonders
kostbaren Kräftereserve, welche bis Monatsende und Anfang Februar namhafte
Teile abgab.
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Wesentlich kümmerlicher stand es um die Kraft der Luftwaffe.
Vom Schwinden der Anzahl einsatzfähiger Flugzeuge ganz abgesehen
wuchs der Betriebsstoffmangel immer mehr, wie ein Befehl des Luftflottenkommandos
6 vom 17. Januar 1945 zeigt: "Luftflottenkommando 6 weist die
unterstellten Stäbe der Luftwaffe und die Stäbe der Armee auf die gespannte
Betriebsstofflage hin. Die Luftwaffe kann nur die ihr gestellten Mindestaufgaben
(Aufklärung und Panzerbekämpfung) erfüllen und muß von Einsätzen
zur Unterstützung der mit der Luftflotte zusammenarbeitenden Hceresverbände
absehen, wenn es die Lage nicht unbedingt erfordert und andere Mittel
zur Erfüllung dieses Kampfzweckes nicht zur Verfügung stehen". Die Verluste
der Luftflotte 6 betrugen an Tagen besonders starken Einsatzes: am
16. Januar 21 Flugzeuge, und am 19. Januar 32 Flugzeuge, davon insgesamt
27 total. Eine nicht rein militärische, aber keineswegs weniger wichtige Handlung
war die sofortige Einflußnahme auf die Gauleiter und damit auf die
Verwaltung. Steht der Feind vor der Tür oder bereits im Haus, kann nur
einer regieren: die militärische Führung, welche sich selbstverständlich der
mit möglichst großen Vollmachten versehenen Verwaltung bedient. Die Ernennung
der Gauleiter, die zugleich Oberpräsidenten waren, zu "Reichsverteidigungskommissaren",
ließ mach (hungrigen Persönlichkeiten, wie beispielsweise
dem Gauleiter Niederschlesiens, Hanke, den Kamm noch mehr schwellen.
Sie erteilte schrankenlose oder nur sehr unklar abgegrenzte Machtbefugnisse
(mangels einer klaren Dienstanweisung) und erhöhte den Wirrwarr, der
ohnehin schon unter der Drohung des bevorstehenden Feindeinfalls bestand.
Leider hat es der Einfluß der Heeresgruppe am 18. Januar nicht vermocht, die
Gauleiter zum sofortigen Erteilen des Treckbefehls an alle Gemeinden ostwärts
der Oder zu bewegen, geschweige denn zu zwingen. In der nun bis
jetzt entstandenen Lage kam es aber auf jede Stunde an.
Zum Abschluß dieses Kapitels erscheint die Betrachtung eines Auszuges der
von der Heeresgruppe am 18. Januar an das OKH gegebenen Tagesmeldung
von Wert. Denn in dieser Meldung, die ja nach Wechsel des Oberbefehlshabers
erstattet wurde, drückt sich eine optimistische Grundauffassung der
Lage aus, in der wir die Ursache für spätere immer wieder auftauchende
Fehlbeurteilungen gefunden zu haben glauben. Um hier richtig verstanden zu
werden, die Führung der Heeresgruppe selbst blieb davon künftig frei, aber
bei der obersten Führung hielt sich noch lange Zeit eine solche "Wunschtraumauffassung",
die sich sehr schnell, wie wir noch sehen werden, bis zu
manchen Truppen durchgesetzt hatte. Hier nun folgt der Wortlaut: "Die
Aufgabe der Deckung des oberschlesischen Industriegebietes wird sich bei
raschem Eintreffen der 20. und 8. Panzerdivision mit Erfolg sicherstellen
lassen.
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Der Ansatz der 4. Panzerarmee des Feindes in Richtung auf die Gegend
beiderseits Posen trifft jedoch in eine weit aufgerissene Lücke und
erfordert einen sehr rasch erfolgenden Aufmarsch neuer eigener Kräfte im
Raum zwischen Breslau und Thom, die nach Auffangen dieses Stoßes gegen
Front und Flanke des Feindes zum Angriff antreten können//. Hier also taucht
zum ersten Mal der Gedanke auf, zu einem großen Gegenschlag gegen die
tiefe Flanke des auf Berlin vorgehenden Feindes anzutreten. Übrigens haben
sich an dieser Vorstellung überhitzte Phantasien militärisch Halbgebildeter,
wie Gauleiter Hanke in Breslau, lange Zeit erwärmt.
Die sowjetische Führung, die von Beginn des Ostfeldzuges an ganz planmäßig
und immer wieder erkennbar ihre Schulung methodisch und nur zu fleißig
betrieb, hatte bei Vorbereitung des großen Aufmarsches natürlich auch eine
mögliche Bedrohung der Südflanke der auf Berlin vorgehenden l. Weißrussischen
Front richtig beurteilt. Deshalb waren ja starke Kräfte auf Schlesien
angesetzt, um von vornherein und ein für allemal diese Flankengefährdung
auszuschalten. In der eben zitierten Beurteilung der Heeresgruppe sind darum
zwei grundlegende Dinge nicht verständlich, aber nicht etwa nur für heutige,
zu einer Kritik wieder geschärfte Augen, sondern auch auf Grund des am
18. Januar bekannten und ebenso klaren wie ernsten Lagebildes. Um zwischen
Breslau und Thorn aufmarschieren zu können, wie der Vorschlag lautete,
mußte dieser 250 Kilometer breite Raum in eigenem sicheren Besitz
sein. Nach dem Feindbild vom 18. Januar konnte er aber keineswegs feindfrei
sein, im Gegenteil, mit jedem Tag würde sich dort der Feind verstärken.
Wenn man also dort aufmarschieren wollte, mußte man diesen Feind erst
durch einen vollen Sieg beseitigen. Nachdem nun unter den eingehend geschilderten
Fehlem der obersten Führung eine rechtzeitige Verstärkung der
Ostfront unterblieben war, ist es unbeantwortbar, woher und innerhalb welcher
Zeit denn solche Kräfte in den Größenmaßen einer frischen Heeresgruppe
kommen sollten. Es ist nicht klar, was die Heeresgruppe mit dieser
Beurteilung bezweckte. Hat man in ihrem Stabe auch nur im Entferntesten
an eine Verwirklichung dieses Vorschlages glauben dürfen? Wollte man
einen bei Hitler hoch im Kurse stehenden Optimismus und Offensivgeist
zeigen, um sich damit für die Zukunft das Wohlwollen des Diktators zu
sichern? Um diese Tagesmeldung vom 18. Januar nun abzuschließen: die
Aussichten für einen solchen großen Gegenschlag waren längst verspielt.
Es war aber auch die letzte Tagesmeldung der Heeresgruppe mit weitgesteckten
Vorschlägen. Von nun an diktierte der durch einen immer stärker werdenden
Feind genährte Kampf in Schlesien selbst das Gesetz und begrenzte
das Blickfeld auf den immerhin noch weiten Raum zwischen den Beskiden
und der mittleren Oder an Niederschlesiens Grenze.
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