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mehrerer Sprachcn ausdriicken kann. Wie verhalten sich die erwor-benen Sprachen zueinander und haben sie Effekte aufdie allgemei-ne Kognition? Eine Zeit lang ist von Gegnem der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalitat angenommen worden, dass Mehrsprachigkeit sich insgesamt negativ auf die beteiligten Sprachen und eher ver-wirrend auf den allgemeinen Geisteszustand des Lerners auswirken wiirde. Auch ais politisches Argument gegen die Eingliederung eth-nischer Minderheiten wurden diese vermuteten negativen Effekte der Mehrsprachigkeit herangezogen. So zum Beispiel in der Nazizeit gegeniiber slawischsprachigen Minderheiten in Deutschland. Inzwi-schen hat sich diese Einstellung grundsatzlich geandert. auch wenn nicht immer verstanden wird. welche Folgen dieses positive Ver-standnis gerade mit Blick aufdie Entwicklung des Denkvermógens und die Integration von Migranten in Aufnahmegesellschaften hat.
Schwellenhypothese
Die wichtigsten Antworten liefem zwei Hypothesen. die inzwi* schen durch eine umfangreiche Feldforschung auch hinlanglich abgesichert sind: Die Schwellenhypothese und die Interdependenzhypo-these. Die Schwellenhypothese geht von zwei Schwellen aus. von denen aus sich unterschiedliche Effekte auf den Spracherwerb ergeben. Unterhalb der ersten Schwelle zeigen sich eher negative Effekte auf beide Sprachen. Das Ergebnis kann dann sogar eine dop* pette Halbsprachigkeit (doppelter Semilinguaiismus). eine sehr niedrige und bruchstuckliafte Kompetenz in Erst- und Zweitsprache sein. Ein typisches Beispiel hierfiir sind Kinder von Migranten. die zu Hause eine rudimentare Variante einer Sprache sprechen und in der Zielkultur nur ungeniigend integriert sind beziehungsweise sich vorwiegend in instabilen gemischtsprachigen Gruppen auflial-ten. Hier kann die Zweitsprache zu negativen Einfliissen auf die Erstsprache fiihren. besonders dann. wenn es an Systematik fehlt und wenig auf sprachliche Korrektheit geachtet wird. Zwischen die-ser unteren Schwelle und der oberen Schwelle befinden sich die so genannten Standard- oder Normalfalle. in denen die Erstsprache gut entwickelt ist. die Zweitsprache weniger. Positive und negative Effekte der Sprachen aufeinander halten sich die Waage. Reprasen-tativ hierfiir sind schulische Lemsituationen. Der Fremdsprachen* unterricht bleibt meist eine Akkumulation von neuem Wissen. aber zu einer echten Mehrsprachigkeit fuhrt er selten. Erst oberhalb der zweiten Schwelle sind die Kompetenzen in beiden Sprachen sehr gut ausgebildet und beeinflussen sich auch gegenseitig positiv. Hier spricht man von ausgeglichener oder additiver Zweisprachigkeit.
Die Interdependenzhypothese geht noch einen Schritt weiter. Sie besagt. dass mit zunehmendem Grad der Sprachbeherrschung die in einer der Sprachen erworbenen Kenntnisse. wie zum Beispiel fachliches Wissen, iibertragbar sind und vor allem zunehmend positive Effekte auf die allgemeinen kognitiven Fertigkeiten haben. In dem Schema von Toukomaa/Skutnabb-Kangas (1977) sind beide Hypothesen zusammengefasst:
Interdependenz
hypothese
An der Zwci-cpradilgkdl A. *addlilvc Zwei-cprachigkctl' hohe Komprtrnr In bełden Sprachen
Auswirkungen auł die geiłtige Entwicklung
podthre
B. 'Normallall*
gui ausgebildeie Er*t-sprache
uh wacho Zweli- oder Frcm<hprachenniveau
-2. Schwelie
weder poiitlvr noch negative
Abb. 4.4
Die Effekte der Mehrsprachigkeit und die Schwellen- und Interdependenzhypothese fToukomaa/Skutnahb-Kangas 1977)
C. *doppelte Halb-tprachigkcii* niedrigere Kompetenr in bel den Sprachen
negaiive
1. Schwelle
Diese Hypothese hat in Schulversuchen in Deutschland unter ande- Fórderunterricht rem dazu gefiihrt, Fórderunterricht fiir Immigrantenkinder in dereń Erstsprache einzufiihren. wenn diese nicht gut ausgebildet ist. Erst spiiter kommt dann Unterricht in der Zielsprache hinzu.
In einer neueren langfristigen (longitudinalen) Untersuchung konnten Reeder und Bournot-Trites (2001) die Entwicklung von Schulem mit der Muttersprache Englisch von der 4. bis zur 7. Klas-se in einer bilingualen Schule in Kanada in Bezug auf sprachliche Kompetenzen in Englisch und Franzósisch und in Bezug auf ihre Leistungen in Mathematik beobachten. Die eine der untersuchten Gruppen hatte dabei 50% des Unterrichts in der Zweitsprache Franzósisch. die andere 80% des Unterrichts. unter anderem den Mathematikunterricht. Die Rahmenbedingungen der beiden Gnip-