Umer Lachen und kleinen drolligen Liebkosungen drehtc er mich um, dafi ich dem riesengrofien Wandspiegei gegen-iiberstand. In dem sah ich mich.
Ich sah, einen winzigen Moment lang, den mir bckanntcn Harry, nur mit einem ungewohnlich gutgclaunten, hellen, lachenden Gesicht. Aber kaum, dafi ich ihn erkannt hatte, fiel er auseinander, lóste sich eine zweite Figur von ihm ab, einc dritte, cine zehnte, eine zwanzigste, und der ganze Riesenspiegel war voll von lauter Harrys oder Harry-Stuk-ken, zahllosen Harrys, dereń jeden ich nur einen blitzhaf-ten Moment erblickte und erkannte. Einige von diesen vie-len Harrys waren so alt wie ich, einige alter, einige uralt, andere ganz jung, Jiinglinge, Knaben, Schulknaben, Lausbu-ben, Kinder. Fiinfzigjahrige und zwanzigjahrige Harrys lie-fen und sprangen durcheinander, dreifiigjahrige und fiinf-jahrige, ernste und lustige, wiirdige und komische, gutge-kleidete und zerlumpte und auch ganz nackte, haarlose und langlockige, und alle waren ich, und jeder wurde blitz-schnell von mir gesehen und erkannt und war verschwun-den, nach allen Seiten liefen sie auseinander, nach links, nach rechts, in die Spiegeltiefe hinein, aus dem Spiegel her-aus. Einer, ein junger eleganter Kerl, sprang dem Pablo la chend an die Brust, umarmte ihn und lief mit ihm davon. Und einer, der mir ganz besonders gefiel, ein hiibscher, rei-zender Jungę von sechzehn oder siebzehn Jahren, lief wie der Blitz in den Korridor hinein, las gierig die Inschriften an all den Turen, ich lief hinterher, vor einer Turę blieb er sichen, ich las an ihr die Aufschrift:
Alle Madchen sind dein! Einwurf eine Mark
Der liebe Jungę schnellte sich mit einem Sprung empor, Kopf voran, stiirzte sich sclbst in den Einwurf und war hin-icr der Tur verschwunden.
Auch Pablo war verschwunden, auch der Spiegel schien ver-schwunden und mit ihm alle dic zahllosen Harryfiguren. Ich spiirte, dafi ich jetzt mir selber und dem Theater uber-iassen sei und trat neugierig von Tur zu Tur, an jeder las ich eine Inschrift, eine Lockung, ein Yersprechen.
Die Inschrift:
Auf zum frdhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile
lockte mich an, ich óffnete die schmale Turę und trat ein.
Da rifi es mich in eine laute und aufgeregte Welt. Auf den Strafien jagten Automobile, zum Teil gepanzerte, und machten Jagd auf die Fufiganger, iiberfuhren sie zu Brei. druckten sie an den Mauern der Hauser zuschanden. Ich begriff sofort: es war der Kampf zwischen Menschen unii Maschinen, lang vorbereitet, lang erwartet, lang gefiirchtet, nun endlich zum Ausbruch gekommen. Uberall lagen Tote und Zerfetzte herum, uberall auch zerschmissene, verbo-gene, halbverbrannte Automobile, uber dem wiisten Durch-einander kreisten Flugzeuge, und auch auf sie wurden von vielen Dachem und Fenstern aus mit Buchsen und mit Ma schinengewehren gcschossen. Wilde, prachtvoll aufrci-zende Plakate an allen Wanden forderten in Riesenbuchst.i ben, die wie Fackeln brannten, die Nation auf, endlich sich einzusetzen fur die Menschen gegen die Maschinen, cnd lich die fetten, schóngekleideten, duftenden Reichen, die mit Hilfe der Maschinen das Fett aus den andern prefitcn. samt ihren grofien, hustenden, bose knurrenden, teuflisch schnurrenden Automobilen totzuschlagen, endlich die Fa-briken anzuziindcn und die geschandete Erde ein wenig auszuraumen und zu entvólkern, damit wieder Gras wach-sen, wieder aus der verstaubten Zementwelt etwas wie Wald, Wiese, Heide, Bach und Moor werden konne. Andre Plakate hingegen, wunderbar gemalt, prachtvoll stilisiert, in zarteren, weniger kindlichen Farben, aufierordentlich klug und geistvoll abgefafit, warnten im Gegenteil alle Besitzen-den und alle Besonnenen beweglich vor dem drohenden Chaos der Anarchie, schilderten wahrhaft ergreifend den Segen der Ordnung, der Arbeit, des Besitzes, der Kultur, des Rechtes und priesen die Maschinen ais hóchste und letzte Erfindung der Menschen, mit dereń Hilfe sie zu Gót-tern werden wurden. Nachdenklich und bewundernd las ich die Plakate, die roten und die griinen, fabclhaft wirkte ,iuf mich ihre flammende Beredsamkeit, ihre zwingende Logik, recht hatten sie, und tief iiberzeugt stand ich bald vor
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