Obraz 5 (4)

Obraz 5 (4)



ich auf meinem einsamen Spaziergang die Rosa Kreisler an-getroffen und sie schiichtern gegriifit und mich so betau-bend in sie verliebt hatte.

Damals hatte ich dem schónen Madchen, das allein und traumerisch bcrgaufwarts gegangen kam und mich noch nicht sah, voll banger Erwartung entgegengesehen, hatte ihr Haar gesehen, das in dicken Zópfen aufgebunden war und doch noch zu beiden Seiten der Wange offene Strahnen hatte, die im Windę spielten und flossen. Ich hatte gesehen, zum erstenmal in meinem Leben, wie schon dies Madchen war, wie schon und traumhaft dies Spiel des Windes in ih-rem zarten Haar, wie schon und sehnsuchtweckend der Fali ihres diinnen blauen Kleides iiber die jungen Glieder hinab, und ebenso, wie mich mit dem bitter-wiirzigen Ge-schmack der zerkauten Knospe die ganze bange siifie Lust und Angst des Fruhlings durchtrankte, so erfiillte mich beim Anblick des Madchens die ganze tódliche Ahnung der Liebe, die Ahnung vom Weibe, das erschutternde Vorge-fuhl ungeheurer Moglichkeiten und Versprechungen, na-menloser Wonnen, unausdenklicher Verwirrungen, Angste und Leiden, innigster Erlosung und tiefster Schuld. O wie brannte der bittre Fruhlingsgeschmack auf meiner Zunge! O wic strómte der spielende Wind durch das lose Haar ne-ben ihren roten Wangen! Dann war sie mir iiahe gekorn-men, hatte aufgebłickt und mich erkannt, war einen Augen-blick schwach errótet und hatte beiseite geblickt; dann griifite ich sie, mit gezogenem Konfirmandenhut, und Rosa, alsbald gefaGt, griiGte lachelnd und ein wenig damenhaft zuriick, erhobenen Gesichts, und ging langsam, sicher und iiberlegen weiter, umsponnen von tausend Liebeswiin-schen, Forderungen und Huldigungen, die ich ihr nach-sandte.

So war es einst gewesen, an einem Sonntag vor fiinfund-dreiGig Jahren, und alles Damalige war in diesem Augen-blick wiedergekehrt: Hugel und Stadt, Marzwind und Knos-pengeruch. Rosa und Lhr braunes Haar, aufschwellende Sehnsucht und siiGe wiirgende Angst. Alles war wic damals, und mir schien, ich habe niemals mchr in meinem Leben so geliebt, wie ich damals Rosa liebte. Aber diesmal war es mir gegeben, sie anders zu empfangen ais jenesmal. Ich sah ihr Erróten, ais sic mich erkannte, sah ihr Bemiihen, das Erró-ten zu vcrbergen, und wufite sofort, dafi sie mich gerne habe, dafi ihr diese Bcgegnung dasselbe bedeutete wie mir. Und statt wicder den Hut zu ziehen und feierlich mit gezo-genem Hut zu stehen, bis sie voruber ware, tat ich diesmal trotz Angst und Beklemmung, was mein Blut mich tun hiefi, und rief: „Rosa! Gott sei Dank, dafi du gekommen bist, du schónes, schónes Madchen. Ich habe dich so lieb.“ Das war vielleicht nicht das Geistreichste, was sich in die-sem Augenblick sagen liefi, allein es bedurfte hier keines Geistes, es genugtc vollkommcn. Rosa machte kein Damen-gesicht und ging nicht weiter, Rosa blieb stehen, sah mich an und wurde noch róter ais vorher und sagte: „Griifi Gott, Harry, hast du mich denn wirklich gern?“ Dazu strahlten ihre braunen Augen aus dem kraftigen Gesicht, und ich spiirte: mein ganzes vergangenes Leben und Lieben war falsch und verworren und voll dummen Unglikks gewesen von dem Augenblick an, wo ich Rosa an jenem Sonntag hatte davonlaufen lassen. Jetzt aber war der Fehler gutge-macht, und es wurde alles anders, wurde alles gut.

Wir gaben einander die Hande, und Hand in Hand gingen wir langsam weiter, unsaglich glucklich, sehr verlegen, wufi-ten nicht, was sagen und was tun. begannen aus Verlegen-heit schneller zu laufen und trabten, bis wir den Atem ver-loren und stehenbleiben mufiten, ohne aber unsre Hande loszulassen. Wir waren beide noch in der Kindheit und wufiten nicht recht was miteinander anzufangen, wir kamen an jenem Sonntag nicht einmal bis zu einem ersten Kufi, aber wir waren ungeheuer glucklich. Wir standen und atme-ten, wir setzten uns ins Gras, und ich streichelte ihre Hand, und sie fuhr mir mit der andern Hand schiichtcrn iibers Haar, und dann standen wir wieder auf und probierten zu messen, wer von uns grófier sei, und eigentlich war ich um eincn Fingerbreit grófier, aber ich gab es nicht zu, sondern stellte fest, dafi wir ganz genau gleich grofi seien und dafi der Iiebe Gott uns fiireinander bestimmt habe und dafi wir uns spater heiraten wurdcn. Da sagte Rosa. sie rieche Veil-chen. und wir knieten im kurzeń Fruhlingsgras und suchten und fanden ein paar Veilchen mit kurzeń Stielchen, und je-des schenkte die seinen dcm andern, und ais es kiihler wurde und das Licht schon schrag iiber die Felsen ficl, sagte Rosa, sie miisse hcim, und da wurden wir beide sehr trau-

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