Ich verbeugte mich tief und dankbar vor diesem begabten Schachspielcr, steckte die Figiirchen in meine Tasche und zog mich durch die schmale Tur zuriick.
Eigentlich hatte ich mir gedacht, ich wiirde nun alsbald im Korridor mich an den Boden setzen und stundenlang, eine Ewigkeit lang, mit den Figuren spielen, aber kaum stand ich wieder in dem hellen runden Theatergang, so zogen neue Strómungcn, starker ais ich, mich davon. Ein Plakat flammte grell vor meinen Augen auf:
Wunder der Steppenwolfdressur
Vielerlei Gefuhle regte diese Inschrift in mir auf: allerlei Angste und Zwange aus meinem gewesenen Leben, aus der verlassenen Wirklichkeit her, zogen mir peinlich das Herz zusammen. Mit bebender Hand óffnete ich die Tur und kam in eine Jahrmarktbude, darin sah ich ein Eisengitter er-richtet, das mich von der diirftigen Schaubiihne trennte. Auf der Biihne aber sah ich einen Tierbandiger stehen, ei-nen etwas marktschreierisch aussehenden und wichtigtuen-dcn Herrn, der trotz groGem Schnauzbart, trotz muskel-strotzendem Oberarm und geckenhafter Zirkuskleidung mir selbst auf eine hamische, recht widerwartige Weise ahn-lich sah. Dieser starkę Mann fiihrte - jammerlicher An-blick! - einen groGen, schónen, aber furchtbar abgemager-ten und sklavisch-scheu blickenden Wolf an der Leine wie einen Hund. Und es war nun ebenso ekelhaft wie span-nend, ebenso scheuGlich wie dennoch heimlich-lustvoll, diesen brutalen Bandiger das edle und doch so schmahlich gehorsame Raubtier in einer Reihe von Tricks und sensatio-nellen Szenen vorfiihren zu sehen.
Der Mann, mein verfluchter Zerrspiegelzwilling, hatte sei-nen Wolf allerdings fabelhaft gezahmt. Der Wolf gehorchte aufmerksam jedem Befehl, reagierte hiindisch auf jeden Zu-ruf und Peitschenknall, er fiel in die Knie, stellte sich tot, machte das Mannchen, er trug einen Brotlaib, ein Ei, ein Stiick Fleisch, ein Kórbchen folgsam und artig in der Schnauze, ja, er muGte dem Bandiger die Peitsche, die dieser hatte fallen lassen, aufhcben und im Maule nachtragen, wozu er unertraglich kriecherisch mit dem Schwanze we-delte. Es wurde dem Wolf ein Kaninchen vorgefuhn und dann ein weifies Lamm, und er bleckte zwar die Zahne und lieB den Speichel tropfen vor zitternder Begierde, beruhrtc aber keines der Tiere, sondern sprang auf Befehl uber sic, die bebend am Boden kauerten, in elegantem Schwung hin weg, ja, er legte sich zwischen Hase und Lamm nieder, urn armte beide mit den Vorderpfoten und bildete mit ihnen eine riihrende Familiengruppe. Dazu frafi er aus des Men schen Hand eine Tafel Schokolade. Es war eine Qual, mit-anzusehen, bis zu welch phantastischem Grade dieser Wolf seine Natur hatte verleugnen lernen, und mir standcn dabei die Haare zu Berg.
Fur diese Qual wurde jedoch der erregte Zuschauer im zweiten Teil der Vorfiihrung, ebenso wie der Wolf selbst, entschadigt. Nach Abwickelung jenes raffinierten Dressur-programms namlich und nachdem der Bandiger uber der Lamm- und Wolfsgruppe sich triumphierend mit siiBem La-cheln verbeugt hatte, wurden die Rollen venauscht. Der harryahnliche Tierbandiger legte plótziich seine Peitsche mit tiefem Biickling dem Wolf zu FiiBen und begann ebenso zu zittern, einzuschrumpfen und elend auszusehen wie vorher das Tier. Der Wolf aber leckte sich lachend das Maul, Krampf und Verlogenheit fielen von ihm ab, sein Blick leuchtcte, sein ganzer Leib wurde straff und bliihte in wiedererlangter Wildheit auf.
Und nun befahl der Wolf, ond der Mensch mufite gehor-chen. Auf Befehl sank der Mensch in die Knie nieder, spielte den Wolf, lieB die Zunge heraushangen, riB sich mit den plombierten Zahnen die Kleider vom Leibe. Er ging, je nachdem der Menschenbandiger befahl, auf zweien oder auf vieren, machte das Mannchen, stellte sich tot, lieB den Wolf auf sich reiten, trug ihm die Peitsche nach. Hiindisch und begabt ging er auf die Demiitigung und Perversion phantasievoll ein. Ein schónes Madchen kam auf die Biihne, naherte sich dem dressierten Mann, streichclte ihm das Kinn, rieb ihre Wange an seiner, aber er blieb auf allen vieren, blieb Vieh, schuttelte den Kopf und fing an, der Schónen die Zahne zu zeigen, zuletzt so drohend und wól-1'isch, daB sie entfloh. Schokolade wurde ihm vorgesetzt, die er verachtlich beschnoberte und wegstieB. Und zuletzt wurde das weiBe Lamin und das fette gescheckte Kanin-
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