79096 Obraz0 (14)

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ben. Zugleich dachte ich: so, wie ich jetzt mich anziehe und ausgehe, den Professor besuche und mehr oder weniger er-logene Artigkeiten mit ihm austausche, alles ohne es eigent-lich zu wollen, so tun und leben und handeln die meisten Menschen Tag fiir Tag, Stunde um Stunde zwanghaft und ohne es eigentlich zu wollen, machcn Besuche, fiihren Un-terhaltungen, sitzen Amts- und Bureaustunden ab, alles zwanghaft, mechanisch, ungewollt, alles konnte ebensogut von Maschinen gemacht werden oder unterbleiben; und diese ewige fortlaufende Mechanik ist es, die sie hindert, gleich mir, Kritik am eigenen Leben zu iiben, seine Dumm-heit und Seichtheit, seine scheuGlićh grinsendę Fragwiirdig-keit, seine hoffnungslose Trauer und Ode zu erkennen und zu fiihlen. Oh, und sie haben recht, unendlich recht, die Menschen, daG sie so leben, daG sie ihre Spielchen spielen und ihren Wichtigkeiten nachlaufen, statt sich gegen die betriibende Mechanik zu wehren und verzweifelt ins I^ere zu starren, wie ich entgleister Mensch es tue. Wenn ich in diesen Blattem zuweilen die Menschen verachte und auch verspotte, so glaube doch darum niemand, daG ich ihnen die Schuld zuwalzen, daG ich sie anklagen, daG ich andre fiir mein persónliches Elend verantwort!ich machen móchte! Ich aber, der ich nun einmal so weit gegangen bin und am Rande des Lebens stehe, wo es ins bodenlose Dun-kel fallt, ich tue unrecht und liige, wenn ich mir und andern vorzutauschen versuche, ais laufe auch fiir mich jene Mechanik noch, ais sei auch ich noch zu jener holden kindli-chen Welt des ewigen Spiels gehórig!

Der Abend wurde denn auch entsprechend wunderbar. Vor dem Hause meines Bekannten blieb ich einen Augenblick stehen und sah zu den Fenstern empor. Da wohnt dieser Mann, dachte ich, und tut Jahr um Jahr seine Arbeit weiter, liest und kommentiert Texte, sucht nach Zusammenhangen zwischen vorderasiatischen und indischen Mythologien und ist vergniigt dabei, denn er glaubt an den Wert seines Tuns, er glaubt an die Wissenschaft, dereń Diener er ist, er glaubt an den Wert des bloGen Wissens, des Aufspeicherns, denn er glaubt an den Fortschritt, an die Entwicklung. Er hat den Krieg nicht miterlebt, nicht die Erschiitterung der bisherigen Denkgrundlagen durch Einstein (das, denkt er, gcht nur die Mathemarikcr an), er sicht nichts davon, wie rings um ihn der nachste Krieg vorbereitet wird, er halt Ju-den und Kommunisten fur hassenswert, er ist ein gutes, ge-dankenloses, vergnugtes, sich wichtig nehmendes Kind, er ist sehr zu beneiden. Ich gab mir einen Ruck und trat ein, wurde vom weiBbeschiirzten Dienstmadchen empfangen, aus irgendeiner Ahnung mir genau die Stelle merkend, wo-hin sie meinen Hut und Mantel brachte, ich wurde in ein warmes helles Zimmer gefuhrt und zu warten gebeten, und statt ein Gebet zu sprechen oder ein wenig zu schłafen, folgte ich einem spielerischen Trieb und nahm den nach-sten Gegenstand in die Hande, der sich mir anbot. Es war ein kleines gerahmtes Bild, das auf dem runden Tisch sei-nen Standort hatte, durch eine stetfe Kartonklappe zum Schragstehen gezwungen. Es war eine Radierung und stellte den Dichter Goethe dar, einen charaktervollen, ge-nial frisienen Greis mit schón modelliertem Gesicht, in wel-chem weder das beruhmte Feuerauge fehlte noch der Zug von leicht hofmannisch ubertiinchter Einsamkeit und Tragik, auf welche der Kiinstler ganz besondere Miihe ver-wandt hatte. Es war ihm gelungcn, diesem damonischen Al-ten, seiner Tiefe unbeschadet, einen etwas professoralen oder auch schauspielerischen Zug von Beherrschtheit und Biederkeit mitzugeben und ihn, alles in allem, zu einem wahrhaft schónen alten Herrn zu gestalten, welcher jedem Biirgerhause zum Schmuck gereichen konnte. Vermutlich war dieses Bild nicht diimmer ais alle Bilder dieser Art, alle diese von fleifligen Kunsthandwerkern hergestellten holden Heilande, Apostel, Heroen, Geisteshelden und Staatsman-ner, vielleicht wirkte es nur durch eine gewisse virtuose Ge-konntheit so aufreizend auf mich; sei dem wie ihm wolle, auf jeden Fali schrie mir, der ich schon hinlanglich gereizt und geladen war, diese eitle und selbstgefallige Darstellung des alten Goethe sogleich ais ein fataler Mifiklang entgegen und zeigte mir, dafi ich hier nicht am richtigen Ort sei. Hier waren schon stilisierte Altmeister und nationale Grófien zu Hause, keine Steppenwólfe.

Ware jetzt der Haushcrr eingetreten, so ware es mir viel-leicht gegliickt. unter annehmbaren Vorwanden meinen Riickzug auszufuhren. Es kam jedoch seine Frau herein, und ich ergab mich ins Geschick, obwohl ich Unheil ahnte. Wir begriifken uns, und dem ersten Mifiklang folgten lauter

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