Obraz7 (4)

Obraz7 (4)



I

kann ich dann morgen vielleicht wieder."

Ich hatte mich etwas zu ihr hinabgebeugt, da faBte sie mei-nen Kopf mit ihren beiden groBen, festen Handen, zog ihn herab und kiiBtc mich lange. Dann setzte ich mich zu ihr attfs Bett, hielt ihre Hand. bat sie, leise zu reden, da man uns nicht hóren diirfe, und sah in ihr schónes volles Ge-sicht hinab, das fremd und wunderbar wie eine groBe Blume da auf meinem Kissen lag. Langsam zog sie meine Hand an ihren Mund, zog sie unter die Decke und legte sie auf ihre warme, still atmende Brust.

„Du brauchst nicht lustig zu sein", sagte sie. „Herminc hat mir schon gesagt, daB du Kummer hast. Das versteht ja je-der. Gefalle ich dir denn noch, du? Neulich beim Tanzen warst du sehr verliebt.“

Ich kuBte sie auf Augen, Mund, Hals und Briiste. Eben noch hatte ich an Hermine gedacht, bitter und mit Vorwur-fen. Nun hielt ich ihr Geschenk in Handen und war dank-bar. Die Liebkosungen Marias taten der wundervollen Musik nicht weh, die ich heut gehórt hatte, sie waren ihrer wiirdig und ihre Erfiillung. Langsam zog ich die Decke von der schónen Frau, bis ich mit meinen Kiissen zu ihren Fii Ben gelangt war. Ais ich mich zu ihr legte, lachelte ihr Blu-mengesicht mich allwissend und giitig an.

In dieser Nacht, an Marias Seitc, schlief ich nicht lange, aber tief und gut wie ein Kind. Und zwischen den Schlaf-zeiten trank ich ihre schóne heitere Jugend und erfuhr im leiscn Plaudern eine Menge wissenswerter Dinge iiber ihr und Hertnines Leben. Ich hatte iiber diese Art von Wesen und Leben sehr wenig gewufit, nur beim Theater hatte ich friiher gelegentlich ahnliche Existenzen, Frauen wie Man ner, angetroffen, halb Kiinstler, halb Lebewelt. Jetzt sah ich ein wenig in diese merkwurdigen, diese seltsam unschuldi-gen, seltsam verdorbencn Leben hinein. Diese Madchen, von Hause mcist arm, zu klug und zu hiibsch, um ihr gan zes Leben einzig auf irgendeinen schlecht bezahlten und freudlosen Broterwerb zu stellen, lebten alle bald von Gelc genheitsarbeit, bald von ihrer Anmut und Liebenswiirdig keit. Sie safien zuweilen ein paar Monate an einer Schreib maschine, waren zeitweise die Geliebten wohlhabender Lc-bemanner, bekamen Taschengelder und Geschenke, lebten zu Zeiten in Pelz, Auto und Grand Hotel, zu andern Zeiten in Dachkammern und waren zur Ehe zwar unter Umstan-den durch ein hohes Angebot zu gewinnen, im ganzcn aber kcineswegs auf sie erpicht. Manche von ihnen waren in der l.iebe ohnc Begehrlichkeit und gaben ihre Gunst nur wider-willig und unter Feilschen um den hóchrsten Preis. Andre, und zu ihnen gehórte Maria, waren ungewóhnlich liebesbe-gabt und liebesbediirftig, die meisten auch in der Liebe mii bciden Geschlechtern erfahren; sie lebten einzig der Liebe wegen und hatten stets neben den offiziellen und zahlen-<len Freunden noch andre Liebesbcziehungen bliihen. Em-sig und geschaftig, sorgenvoll und leichtsinnig, klug und doch besinnungslos lebten diese Schmetterlinge ihr ebenso kindliches wie raffiniertes Leben, unabhangig, nicht fur jeden kauflich, vom Gliick und guten Wetter das Ihre erwar-icnd, ins Leben verliebt und doch viel weniger an ihm han-gend ais die Burger, stets bereit, einem Marchenprinzen in sein SchloB zu folgen, stets mit halbgm Bewufitsein eińes schweren und traurigen Endes gewiB.

Maria lehrte mich - in jener wunderlichen ersten Nacht und in den folgenden Tagen - vieles, nicht nur holde neue Spicie und Begliickungen der Sinne, sondern auch neues Verstandnis, neue Einsichten, neue Liebe. Die Welt der Linz- und Vergniigungslokale, der Kinos, der Bars und Ho-tclteehallen, die fiir mich, den Einsiedler und Astheten, noch immer etwas Minderwertiges, Verbotenes und Ent-wurdigcndcs hatte, war fiir Maria, fiir Hermine und ihre Ka-meradinnen die Welt schlechthin, war weder gut noch bose, weder begehrens- noch hassenswert, in dieser Welt bliihte ilir kurzes sehnsiichtiges Leben, in ihr waren sie heimisch und erfahren. Sie liebten einen Champagner oder eine Spe-/i.łlplatte im Grill Room, wie unsereiner einen Komponi-sicn oder Dichter liebte, und sie verschwendeten an einen ncuen Tanzschlager oder an das sentimentale, schmalzige l.ied eines Jazzsangers dieselbe Begeisterung, Ergriffenheit und Riihrung wie unsereiner an Nietzsche oder an Hamsun. Maria erzahlte mir von jenem htibschen Saxophonbla-,cr Pablo und sprach von einem amerikanischcn Song, den er ihnen zuweilen gesungen habe, und sie sprach davon mit i iner Hingerissenheit, Bewunderung und Liebe, die mich mhrte und ergriff, weit mehr ais die Ekstasen irgendeines I lochgebildeten iiber ausgesucht yornehme Kunstgeniisse.

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