Obraz5 (19)

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beide deutlich die Unertraglichkeit und Unhaltbarkeit mei-nes Zustandes. Dieser Steppcnwolf muGte sterben, er muGte mit eigener Hand seinem verhaGten Dasein ein Ende machen - oder er muGte, geschmolzen im Todesfeuer einer erneuten Selbstschau, sich wandeln, seine Maskę ab-reiGen und eine neue Ichwerdung begehen. Ach, dieser Vorgang war mir nicht neu und unbckannt, ich kannte ihn, ich hatte ihn mehrmals schon erlebt, jedesmal in Zeiten der aufiersten Verzweiflung. Jedesmal war bei diesem schwer aufwiihlenden Erlebnis mein jeweiliges Ich in Scherben zerbrochen, jedesmal hatten Machte der Tiefe es aufgeriit-telt und zerstórt, jedesmal war dabei ein gehegtes und be-sonders geliebtes Stiick meines Lebens mir untreu gewor- ' den und verlorengegangen. Das eine Mai hatte ich meincn biirgerlichen Ruf samt meinem Vermógen verloren und hatte lernen miissen, auf die Achtung derer zu verzichten, die bisher vor mir den Hut gezogen hatten. Das andre Mai war iiber Nacht mein Familienleben zusammengebrochen; meine geisteskrank gewordene Frau hatte mich aus Haus und Behagen vertrieben, Liebe und Vertrauen hatte sich plótzlich in HaG und todlichen Kampf verwandelt, mitleidig und verachtlich blickten die Nachbarn mir nach. Damals hatte meine Vereinsamung ihren Anfang genommen. Und wieder um Jahre, um schwere bittere Jahre spater, nachdem ich mir in strenger Einsamkeit und muhsamer Selbstzucht ein neues, asketisch-geistiges Lebcn und Ideał gebaut und wieder eine gewisse Stille und Hóhe des Lebens erreicht hatte, hingegeben an abstrakte Denkiibung und an streng geregclte Meditation, da war auch diese Lebensgestaltung wieder zusammengebrochen und hatte ihren edlen hohcn Sinń mit einemmal verloren; auf wilden anstrengenden Rei-sen riG es mich aufs neue durch die Welt, neue Leiden turmten sich und neue Schuld. Und jedesmal war dem Ab-reiGcn der Maskę, dem Zusammenbruch eines Ideals diese grausige Leere und Stille vorangegangen, diese tódliche Einschniirung, Vereinsamung und Beziehungslosigkeit, j diese leere ode Hólle der Lieblosigkeit und Vcrzweiflung,. wie ich sie auch jetzt wieder zu durchwandern hatte.

Bei jeder solchen Erschiitterung meines Lebens hatte ich am Ende irgend etwas gewonnen, das war nicht zu leugnen, etwas an Freiheit, an Geist, an Tiefe, aber auch an Einsarn-, keit, an Unverstandensein, an Erkaltung. Von der biirgerli-i hen Seite her gesehcn war mein Leben, von jeder solchen Krschiitterung zur andem, ein bestandiger Abstieg, eine im-mer grófiere Entfernung vom Normalen, Erlaubten, Gesun-den gcwesen. Ich war im Lauf der Jahre benifslos, familien-los, heimatlos geworden, stand auGerhalb aller sozialen Gruppen, allein, von niemand geliebt, von vielen bearg-wóhnt, in standigem, bitterm Konflikt mit der óffentlichen Mcinung und Morał, und wenn ich auch noch im biirgerli-i hen Rahmen lebte, war ich doch inmitten dieser Welt mit tneinem ganzen Fiihlen und Denken ein Fremder. Religion, Vaterland, Familie, Staat waren mir entwertet und gingen inich nichts mehr an, die Wichtigtuerei der Wissenschaft, der Ziinfte, der Kiinste ekelte mich an; meine Anschauun-gen, mein Geschmack, mein ganzes Denken, mit dem ich einst ais ein begabter und beliebter Mann geglanzt hatte, war jetzt verwahrlost und verwildert und den Leuten ver-dachtig. Mochte ich bei all meinen so schmerzlichen Wand-lungen irgend etwas Unsichtbares und Unwagbares gewon-nen haben - ich hatte es teuer bezahlen miissen, und von Mai zu Mai war mein Leben harter, schwieriger, einsamer, gefahrdcter geworden. Wahrlich, ich hatte keinen Grund, eine Fortsetzung dieses Weges zu wtinschen, der mich in iinmer dunnere Liifte ftihrte, jenem Rauche in Nietzsches llerbstlied gleich.

Ach ja, ich kannte diese Erlebnisse, diese Wandlungen, die das Schicksal seinen Sorgenkindern, seinen heikelsten Kin-dern bestimmt hat, allzu gut kannte ich sic. Ich kannte sie, wie ein ehrgeiziger, abererfolgloserjager die Etappen einer Jagduntemehmung, wic ein alter Bórsenspieler die Etappen der Spekulation, des Gewinns, des Unsicherwerdens, des Wankens, des Bankerotts kennen mag. Sollte ich all dies nun wirklich noch einmal durchleben? All diese Qual, all diese irre Not, all diese Einblicke in die Niedrigkeit und Wertlosigkeit des cigenen Ich, all diese furchtbare Angst vor dem Erliegen, all diese Todesfurcht? War es nicht klti-ger und einfacher, die Wiederholung so vieler Leiden zu yerhiiten, sich aus dem Staube zu machen? GewiG, es war einfacher und kluger. Mochte nun das, was in dem Steppen-wolfbuchlcin iibcr die „Selbstmorder“ behauptet wurde,

• ich so oder anders yerhalten, niemand konnte mir das Ver-

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