Obraz1 (11)

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der, schlug schlafrig mit kleinen schwachen Fliigeln. Goethe war bei mir gewesen. Ein Madcben hatte mich essen, trinken, schlafen geheifien, hatte mir Freundliches erwie-sen, hatte mich ausgelacht, hatte mich einen dummen kleinen Jungen genannt. Und sie hatte mir auch, die wunder-bare Freundin, von den Heiligen erzahlt und mir gezeigt, dafi ich sogar in meinen wunderlichsten Verstiegenheiten gar nicht allein und unverstanden und eine krankhafte Aus-nahme sei, dafi ich Geschwister habe, dafi man mich ver-stehe. Ob ich sie wiedersehen wiirde? Ja, gewifi, sie war zu-verlassig. „Ein Wort ist ein Wort.“

Und schon schlief ich wiedcr, schlief vier, fiinf Stunden. Es war zehn Uhr voruber, ais ich aufwachte, in zerknitterten Kleidern, zerschlagen, miide, die Erinnerung an irgend et-was Grafiliches von gestem im Kopf, aber lebendig, hoff-nungsvoll, voIl guter Gedanken. Bei der Heimkehr in meine Wohnung empfand ich nichts mehr von den Schrecken, die diese Heimkehr gestem fur mich gehabt hatte.

Auf der Treppe, oberhalb der Araukarie, traf ich mit der „Tante" zusammen, meiner Vermieterin, die ich selten zu Gesicht bekam, dereń freundliches Wesen mir aber sehr gefiel. Die Begegnung war mir nicht angenehm. ich war immerhin etwas verwahrlost und iibernachtig, nicht ge-kammt und nicht rasiert. Ich griifite und wollte voriiberge-hen. Sonst respektierte sie mein Verlangen nach Allein-bleiben und Nichtbeachtetwerden stets, heut aber schien in der Tat zwischen mir und der Umwelt ein Schleier zer-rissen, eine Schranke gefallcn zu sein - sie lachte und blieb stehen.

„Sie haben gebummelt, Herr Haller, Sie waren ja heut nacht gar nicht im Bett. Sie werden schon mtide sein.

„Ja“, sagte ich und mufite auch lachen. „Es ging heut nacht etwas lebhaft zu, und weil ich den Stil Ihres Hauses nicht stóren wollte, schlief ich in einem Hotel. Mein Respekt vor der Ruhe und Achtbarkeit Ihres Hauses ist grofi, manchmal komme ich mir darin sehr wie ein Fremdkórper vor.“ „Spotten Sie nicht, Herr Haller!"

„Oh, ich spotte blofi iibcr mich selber."

„Eben das sollten Sie nicht tun. Sie sollcn sich in meinem 'Haus nicht ais .Fremdkórper' ftihlen. Sie sollen leben, wie es Ihnen gefallt, und treiben, was Sie mógen. Ich habe

schon manchc sehr, sehr achtbare Mietcr gehabt, Juwełen an Achtbarkcit, aber keiner war ruhiger und hat uns wcni-ger gestórt ais Sie. Und jetzt - wollen Sie einen Tee ha-ben?“

Ich widerstand nicht. In ihrem Salon mit den schónen Grofivaterbildern und Grofivatermóbeln bekam ich Tee vor-gesetzt, und wir schwatzten ein wenig, die freundliche Frau crfuhr, ohne eigentlich zu fragen, dies und jenes aus mei-nem Leben und meinen Gedanken und hórte zu mit der Mischung von Ąchtung und miitterlichem Nicht-ganz-ernst-Nehmen, welche kluge Frauen fur die Verschroben-heiten der Manner haben. Es war auch von ihrem Neffen die Rede, und sie zeigte mir in einem Nebenzimmer dessen neueste Feierabendarbeit, einen Radioapparat. Da safi der fleifiige jungę Mensch an seinen Abenden und stocherte eine solche Maschine zusammen, hingerissen von der Idee der Drahtlosigkeit, anbctend auf frommen Knien vor dem Gott der Technik, welcher es fertiggebracht hat, nach Jahr-tausenden Dinge zu entdecken und hóchst unvollkommen darzustellen, welche jeder Denker schon immer gewufit und kluger benutzt hat. Wir sprachen dariiber, denn die Tante ncigte ein klein wenig zur Frommigkeit, und reli-giose Gesprache sind ihr nicht unlieb. Ich sagte ihr, die All-gegenwart aller Krafte und Taten sei den alten Indem sehr wohl bekannt gewesen und die Technik habe lediglich ein kleines Stiick dieser Tatsache dadurch ins allgemeine Be-wufitsein gebracht, dafi die dafiir, namlich fur die Tonwel-len, einen vorerst noch grauenhaft unvollkommenen Emp-fanger und Sender konstruiert habe. Die Hauptsache jener alten Erkenntnis, die Unwirklichkeit der Zeit, sei bisher von der Technik noch nicht bemerkt worden, schliefilich werde aber natiirlich auch sie „entdeckt" werden und den geschaftigen Ingenieuren in die Finger geraten. Man werde, vielleicht schon sehr bald, entdecken, dafi nicht nur gegen-wartige, augenblickliche Bilder und Geschehnisse uns be-standig umfluten, so, wie die Musik aus Paris und Berlin jetzt in Frankfurt oder Ziirich hórbar gemacht wird, son-dern dafi alles je Geschehene ganz ebenso rcgistriert und vorhanden sei und dafi wir wohl eincs Tages, mit oder ohne Draht, mit oder ohne stórende Nebengerausche, den Kónig Salomo und den Walther von der Vogelweide werden spre-

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