Obraz6 (5)

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gegangcn, hatte die herrliche Stimme einer Bachsangerin wieder gehórt, mit der ich einst befreundet gewesen war und viele aufierordentliche Auffuhrungen erlebt hatte. Die , Stimmen der alten Musik, ihre unendliche Wiirde und Hei- ) ligkeit hatte mir alle Erhebungen, Entzuckungen und Be geisterungen der Jugend wachgerufcn, traurig und versun-ken saB ich im hohen Chor der Kirche, fur eine Stunde zu Gast in dieser edlen, seligen Welt, die einst meine Heimat gewesen war. Bei einem Haydnischen Duett waren mir plótzlich die Tranen gekommen, ich hatte den SchluB des Konzerts nicht abgewartet, hatte auf das Wiedersehen mit der Sangerin verzichtet (oh, wieviel strahlende Abende hatte ich einst nach solchen Konzerten mit den Kiinstlern hingebracht!), hatte mich aus dem Munster hinweggeschli-chen und in den nachtlichen Gassen miide gelaufen, wo da und dort hinter den Fenstern der Restaurants Jazzkapellen die Melodien meines jetzigen Lebens spielten. Oh, was fur ein triibes Irrsal war aus meinem Leben geworden!

Lange hatte ich auf diesem Nachtgang auch iiber mein merkwiirdiges Verhaitnis zur Musik nachgedacht und hatte, einmal wieder, dies ebenso riihrende wie fatale Verhaltnis zur Musik ais das Schicksal der ganzen deutschen Geistig-keit erkannt. Im deutschen Geist herrscht das Mutterrecht, die Naturgebundenheit in Form einer Hegemonie der Musik, wie sie nie ein andres Volk gekannt hat. Wir Geistigen, statt uns mannhaft dagegen zu wehren und dem Geist, dem Logos, dem Wort Gehorsam zu leisten und Gehór zu ver-schaffen, triiumen aile von einer Sprache ohne Worte, wel-che das Unaussprechliche sagt, das Ungestaltbare darstellt. Statt sein Instrument mógiichst treu und redlich zu spielen, , hat der geistige Deutsche stets gegen das Wort und gegen die Vcrnunft frondiert und mit der Musik geliebaugelt. Und in der Musik, in wunderbaren seligen Tongebilden, in wun-1 derbaren holden Gefiihlen und Stimmungen, welche nie zur Verwirklichung gedrangt wurden, hat der deutsche Geist sich ausgeschwelgt und die Mehrzahl seiner tatsachli-chen Aufgaben versaumt. Wir Geistigen alle waren in der Wirklichkeit nicht zu Hause, waren ihr fremd und feind, darum war auch in unsrer deutschen Wirklichkeit, in unsrer Geschichte, unsrer Politik, unsrer óffentlichen Meinung dic Rolle des Geistes eine so klagliche. Nun ja, oft hatte ich die-

sen Gedanken durchgedacht, nicht ohne zuweilen eine hef-tige Sehnsucht danach zu fuhlen, einmal Wirklichkeit mit-zugestalten, einmal ernsthaft und verantwortlich tatig zu sein, statt immer bloB Asthetik zu treiben und geistiges Kunstgewerbe. Es endete aber immer mit der Resignation, mit der Ergebung ins Verhangnis. Die Herren Generale und Schwerindustriellen hatten ganz recht: es war nichts los mit uns „Geistigen", wir waren eine entbehrliche, wirklich-keitsfremde, verantwortungslose Gesellschaft von geistrei-clien Schwatzern. Pfui Teufel! Rasiermesser!

So von Gedanken und vom Nachklang der Musik erfullt, das Herz schwer von Trauer und verzweifelter Sehnsucht nach Leben, nach Wirklichkeit, nach Sinn, nach unwieder-bringlich Verlorenem, war ich endlich heimgekehrt, hatte meine Treppen erstiegen, hatte im Wohnzimmer Licht ge-macht und vergebens ein wenig zu lesen versucht, hatte an die Verabredung gedacht, die mich zwang, morgen abend /.u Whisky und Tanz in die Cecil-Bar zu gehen, und hatte nicht nur gegen mich selbst, sondern auch gegen Hermine (iroli und Bitterkeit empfunden. Mochte sie es gut und herzlich meinen, mochte sie ein wundervolles Wesen sein sie hatte mich doch damals lieber zugrunde gehen lassen soLleń, statt mich in diese wirre, fremde, flirrende Spielwclt liinein- und hinabzuziehen, wo ich doch immer ein Frem-der bleiben wiirde und wo das Beste in mir verkam und Not litt!

Und so hatte ich traurig mein Licht gelóscht, traurig mein Sihlafzimmer aufgesucht, traurig mit dem Entkleiden be-gonnen, da machte ein ungewohnter Duft mich stutzig, es roch leicht nach Parfiim, und umblickend sah ich in mei-nem Bett die schóne Maria liegen, lachelnd, etwas bange, mit gro Ben blauen Augen.

„Maria!" sagte ich. Und mein erster Gedanke war, dafi meine Hauswirtin mir kiindigen wiirde, wenn sie das

wiifite.

..Ich bin gekommen", sagte sie leise. „Sind Sie mir bose?" „Nein, nein. Ich weifi, Hermine hat Ihnen den Schliissel ge-geben. Nfln ja."

„Oh, Sie sind bose daruber. Ich gehe wieder."

„Nein, schóne Maria, bleiben Sie! Nur bin ich gerade heut .ibend sehr traurig, lustig sein kann ich heute nicht, das

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