nach so etwas wie Heimat fiihrt mich, hoffnungslos, immer wieder diese alten dummen Wege. Nun ja, und ich habe auch den Kontrast gern, in dem mein Leben, mein einsa-mes, łiebloses und gehetztes, durch und durch unordentli-ches Leben, zu diesem Famiłien- und Burgermilieu steht. Ich habe das gem, auf der Treppe diesen Geruch von Stille, Ordnung, Sauberkeit, Anstand und Zahmheit zu atmen, der trotz meincm Biirgerhafi immer etwas Riihrendes fur mich hat, und habe es gern, dann iiber die Schwelle meines Zim-mers zu treten, wo das alles aufhórt, wo zwischen den Bii-cherhaufen die Zigarrenreste liegen und die Weinflaschen stehen, wo alles unordentlich, unheimisch und verwahrlost ist und wo alles, Bucher, Manuskripte, Gedanken, gezeich-net und durchtrankt ist von der Not der Einsamen, von der Problematik des Menschseins, von der Sehnsucht nach ei-ner neuen Sinngebung fur das sinnlos gewordene Men-schenleben.
Und nun kam ich an der Araukarie vorbei. Namlich im er-sten Stockwerk dieses Hauses fiihrt die Treppe am kleinen Vorplatz einer Wohnung voriiber, die ist ohne Zweifel noch tadelloser, sauberer und gebursteter ais die andern, denn dieser kleine Vorplatz strahlt von einer iibermenschli-chen Gepflegtheit, er ist ein leuchtender kleiner Tempel der Ordnung. Auf einem Parkettboden, den zu betreten man sich scheut, stehen da zwei zierliche Schemel und auf jedem Schemel ein groCer Pflanzentopf, im einen wachst eine Azalee, im andern eine ziemlich stattliche Araukarie, ein gesunder, strammer Kinderbaum von grófiter Vollkom-menheit, und noch die letzte Nadel am letzten Zweig strahlt von frischester Abgewaschenheit. Zuweilen, wenn ich mich unbeobachtet weiC, beniitze ich diese Statte ais Tempel, setze mich iiber der Araukarie auf eine Treppen-stufe, ruhe ein wenig, falte die Hande und blicke andachtig hinab in diesen kleinen Ganen der Ordnung, dessen riih-rende Haltung und einsame Lacherlichkeit mich irgendwie in der Seele ergreift. Ich vermute hinter diesem Vorplatz, gewissermafien im heiligen Schatten der Araukarie, eine Wohnung voll von strahlendem Mahagonie und ein Leben voll Anstand und Gesundheit, mit Friihaufstehen, Pflichter-fiillung, gemaBigt heitern Familienfesten, sonntagiichem Kirchgang und friihem Schlafengehen.
Mil gespielter Munterkeit trabte ich iiber den feucht be-i hlagenen Asphalt der Gassen, tranend und umflort blick-irn die Laternenlichter durch die kuhlfeuchte Triibe und Migen trage Spiegellichter aus dem nassen Boden. Meine vcrgessenen Jiinglingsjahre fielen mir ein - wie habe ich il.imals solche finstre und triibe Abende im Spatherbst und Winter geliebt, wie gierig und berauscht sog ich damals die 'nimmungen der Einsamkeit und Melancholie, wenn ich lulbe Nachte, in den Mantel gehullt, bei Regen und Sturm durch die feindliche, entblatterte Natur lief, einsam auch damals schon, aber voll tiefen Geniefiens und voll von Ver-i n, die ich nachher bei Kerzenlicht in meiner Kammer, auf dem Bettrand sitzend, aufschrieb! Nun, dies war voriiber, dleser Becher war ausgetrunken und wurde mir nicht mehr gcfiillt. War es schade darum? Es war nicht schade darum. I ■ i war um nichts schade, was voriiber war. Schade war es urn das Jetzt und Heute, um all diese ungezahlten Stunden und Tage, die ich verlor, die ich nur erlitt, die weder Ge-• lienke noch Erschiitterungen brachten. Aber Gott sei ge-Inbi, es gab auch Ausnahmen, es gab zuweilen, selten, auch mdrc Stunden, die brachten Ersęhiitterungen, brachten Ge-•t lienke, rissen Wandę ein und brachten mich Verirrten wieder zuriick ans lebendige Herz der Welt. Traurig und duch zuinnerst angeregt s uch te ich mich des letzten Erleb-nisses dieser Art zu erinnern. Es war bei einem Konzert ge-wesen, eine herrliche alte Musik wurde gespielt, da war ,-wischen zwei Takten eines von Holzblasern gespielten 1'lano mir plótzlich wieder die Tur zum Jenseits aufgegan-gen, ich hatte Himmel durchflogen und Gott an der Arbeit gcschen, hatte selige Schmerzen gelitten und mich gegen nichts mehr in der Welt gewehrt, mich vor nichts mehr in dci Welt gefikchtet, hatte alles bejaht, hatte an alles mein I Ii i /, hingegeben. Es hatte nicht lange gedauert, vielleicht '•me Viertelstunde, aber es war im Traum jener Nacht wie-dcrgekehrt und hatte seither, durch alle die óden Tage, hin mul wieder heimlich aufgeglanzt, ich sah es zuweilen fur Minuten deutlich wie eine goldene góttliche Spur durch mein Leben gehen, fast immer tief im Kot und Staub ver-■ liiittet, dann wieder in goldenen Funken vorleuchtend, nu mehr vcrlierbar scheinend und dennoch bald wieder tief V rloren. Einmal geschah es nachts, dafi ich im Wachliegen
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