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Der Begriff des einheitlichen Verfahrens ist von der Arbeitsgruppe nie ais ein perfektionisti-sches Wahlsystem interpretiert worden, das bis ins kleinste ausgearbeitet werden miisse. Viel-mehr waren wir uns einmiitig klar, dass es sich bei der ersten Wahl nur um die Festlegung gemeinsamer Grundprinzipien handeln konne, um eine Art von weitgestecktem elastischem Rahmen, innerhalb dessen jeder Staat die Mog-lichkeit habe, sein Wahlrecht entweder modifi-ziert oder unmodifiziert, auf jeden Fali abcr den Notwendigkeiten der Gemeinschaftswahl angepasst, anzuwenden.
Wir befinden uns damit auf dem Boden der Ad-hoc-Versammlung, die von diesen gemein-samen Grundprinzipien gesprochen hat. Auch Professor Martino hat in dieser Richtung pla-diert. Herr Vizeprasident Marjolin hat in Briissel darauf hingewiesen, es sei erstrebenswert, Ge-meinschaftsgrundsatze festzusetzen, und zwar sie schon in der ersten Phase einzufuhren, denn dann werde es fur das neugewahlte Europaische Parlament um so leichter sein, sein Wahlgesetz auszuarbeiten.
Ebenso hat der Prasident des Italienischen Rates der Europa-Bewegung gesprochen — ich darf Ihre Zeit nicht so lange in Anspruch neh-men, um alle diese Stimmen zu zitieren —, ebenso der Wahlrechtsexperte Nicola Picella usw. Auch Prasident Bohy hat in diesem Sinne pla-diert, man diirfe die nationalen Traditionen nicht verletzen, konne aber mit allgemeinen Grund-satzen oder einem Rahmentext durchaus der Aufgabe gerecht werden. Vielleicht interessiert es noch, dass auch unser sehr verehrter Kollege Herr Margue in Luxemburg uns dieses Petitum mit auf den Weg gegeben hat : mindestens ge-meinsame Grundsatze, wenn nicht schon sofort ein einheitliches Verfahren.
Wir waren uns klar dariiber, dass auch die einheitlichen Grundsatze nur bei sorgfaltiger Respektierung der nationalen Traditionen erar-beitet werden kónnen. Ich stimme Herrn Schuijt vollstandig zu, der von den Samthandschuhen gesprochen hat, die hier anzuwenden sind. Ich glaube, es gibt nur einen Weg, namlich den Weg, deduktiv, empirisch vom Bestehenden, von der Wirklichkeit auszugehen und sich so an die Findung gemeinsamer Prinzipien heranzuar-beiten. Auf diese Weise wird auch die Gefahr der Entmutigung vermieden, die angesichts der Grosse der Aufgabe bei abstrakter Betrachtung eintreten miisste und in der Tat die Arbeit der Gruppe mitunter iiberschattet hat.
Fur unsere Arbeit lag uns ein ausgezeichnetes Materiał in Form einer Ausarbeitung der Haupt-abteilung fur Parlamentarische Dokumentation und Information unseres Parlaments iiber die Wahlsysteme der sechs Lander vor. Dariiber hin-aus haben wir auf unserer Reise durch die Hauptstadte die Wahlrechtsexperten in Einzel-konsultationen gehort.
Die Arbeitsgruppe selbst hat aber niemais einen Wahlrechtsvergleich angestrengt und systematisch durchgefiihrt. Sie wissen, Herr Prasident Dehousse, dass ich immer den Wunsch hatte, die Arbeitsgruppe wenigstens voriiber-gehend in ein Wahlrechtsseminar zu verwandeln und dabei die Ergebnisse einer gemeinsamen Konferenz der Wahlrechtsexperten der Innen-ministerien der Lander, die vom Ministerrat ein-berufen werden miissten, vor Augen zu haben und die Ergebnisse mit der Arbeitsgruppe ab-zugleichen.
Ich hatte schon in der Sitzung im Januar 1959 in Briissel die Erstellung und das Studium dieses Rechtsvergleichs angeregt. Schon damals habe ich darum gebeten, dass sich die Wahlrechts-experten der sechs Lander an einem Tisch ver-sammeln mochten. Ich hatte darum gebeten, der Ministerrat mogę dies zulassen, weil ich davon iiberzeugt bin, dass ein solches Kolloquium die Entwicklung fordem wiirde.
Herr Carboni hat dasselbe gesagt. Er hat ge-sagt, er hoffe, dass die Regierungen unsere Arbeit nachhaltig unterstiitzen wiirden.
Bei unseren Arbeiten ist ein Mangel klar-geworden, meine Damen und Herren Kollegen, der Mangel namlich, dass dieses Parlament kein echtes Parlament ist, dass ihm etwas fehlt, namlich eine Exekutive. Wenn man Gesetze macht, braucht man das Kolloąuium mit der echten Exekutive ais einem Koordinierungs-organ. Wir haben darauf verzichten miissen, so sehr wir von den uns zur Verfiigung stehenden Gremien und Mitarbeitern unterstiizt wurden.
Lassen Sie mich in aller Kurze das Ergebnis eines solchen Rechtsvergleichs vorlegen.
In Belgien gilt das Verhaltniswahlrecht mit einem personalisierten Listenwahlsystem. Der Wahler kann seine Stimme entweder fur eine unveranderte Listę ais Ganzes oder ais Prafe-renzstimme fur einen Kandidaten abgeben, den er bevorzugt. Die regionalen Yerhaltnisse wer-
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