Apache Cochise 26 Das wilde Rudel

background image

background image

2

Dan Roberts

Das wilde Rudel

Apache Cochise

Band Nr. 26

Version 1.0

background image

3

Prolog

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.

Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner

waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?

Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und

mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von

background image

4

vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,

Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.

background image

5

Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten

Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.

Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu

richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde.

Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen

und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen und auch makabren
Hintergrund.

Ihr Martin KelterVerlag.

background image

6

***

»Wenn das so weitergeht, müssen wir uns bald nach 'nem
neuen Job umsehen«, sagte der Beifahrer auf der schweren
Kutsche mißmutig zu seinem Partner.

Der alte Mann, dessen schwielige Hände die Zügel des

Sechsergespannes hielten, lachte leise.

»Denkst du, die Rothäute schaffen es, Hank?« fragte er.

»Glaubst du wirklich, die Apachen jagen die Weißen aus
diesem Land jemals wieder hinaus?«

»Keine Ahnung«, erwiderte der jüngere Begleiter, »ich weiß

nur, daß jeder in Furcht vor den roten Teufeln lebt. Und in
letzter Zeit sind sie wieder besonders wild geworden.«

»Weiß der Geier, was in ihren Köpfen vorgeht«, sagte der

Kutscher und spuckte einen Strahl Tabaksaft über das Geländer
des Sitzes.

Die Räder mahlten sich durch den Sand, der die

Wagenspuren der letzten Tage bedeckte. Die Kutsche holperte
und schwankte. Ab und zu drang ein lästerlicher Fluch aus dem
Wagenkasten.

»Nur zwei Passagiere«, fuhr der Beifahrer fort, »lange hält

die Company das nicht mehr durch.«

»Wird schon wieder besser«, brummelte der Alte.
Er musterte die Umgebung, die Halbwüste, unter der Krempe

seines Hutes hervor. Floyd Pearson lebte schon lange in
Arizona. Bisher hatte er es verstanden, seinen Skalp zu
behalten. Heute jedoch verspürte er ein Jucken in der
Kopfhaut, das ihn warnte. Immer wenn dieses Gefühl auftrat,
wurde es gefährlich. Floyd verließ sich darauf, konzentrierte
seine Aufmerksamkeit auf die unwahrscheinlichsten
Deckungen, hinter denen ein Neuling im Apachenland niemals
einen Indianer vermuten würde.

background image

7

All die Sandwellen, flachen Geröllhalden und umgestürzten

Kakteen boten einem Krieger der Apachen hervorragende
Deckung. Stürzten die Angreifer plötzlich hervor, fragten sich
die Weißen in den letzten Sekunden ihres Lebens, warum sie
die Krieger nur übersehen hatten.

»Was ist mit dir los?« wollte der Beifahrer wissen, »du bist

heute ziemlich faul im Reden.«

Floyd antwortete nicht. Das Jucken verstärkte sich,

veränderte sich fast zu einem Schmerz, und der
faltengesichtige Kutscher zog das Gewehr aus der Halterung.

Floyd besaß eine siebenschüssige Spencer. Die mächtigen

Geschosse vom Kaliber 52 wurden von einer Pulverladung aus
dem Lauf gejagt, die genaue Treffer auf fast zweihundert Yards
zuließ.

»Verdammt, was ist? Kommen die roten Hundesöhne?«

fragte Hank aufgeregt.

Er sah sich um. Nirgendwo entdeckte er einen

Apachenkrieger. Natürlich wußte der Beifahrer, daß Floyd ein
erfahrener Mann war. Jetzt hielt er ihn trotz seiner langen
Erfahrung für überängstlich.

Hank ließ den Lauf seines Gewehres los, grinste schwach

und dachte, daß Floyd ihn nur erschrecken wollte, weil er keine
Lust zum Reden hatte.

Dies war Hanks letzter Gedanke. Er spürte nur einen

dumpfen Hieb gegen den Oberkörper, den Schmerz nahm er
schon nicht mehr wahr.

Floyd fluchte laut und brüllte: »Apachen! Von allen Seiten!«
Die kurze Kriegslanze wippte noch, als der Kutscher bereits

feuerte. Die schwere Spencer wummerte auf, und der Krieger,
der Hank getötet hatte, warf beide Arme in die Luft.

Ein Pfeilhagel war die Vergeltung für den Tod des ersten

Apachen.

Floyd sprang vom Bock, nachdem er mit aller Kraft die

Bremse herangerissen hatte. Die Pferde zerrten die Kutsche,

background image

8

deren Rad blockiert war, noch mehr als zehn Yards weiter.

Drei, vier Schüsse peitschten. Die vordersten Tiere brachen

in den Geschirren zusammen. Grell wieherten die vier
Gespannpferde, als der Blutgeruch in ihre Nüstern drang.

»Unter den Wagen!« brüllte Floyd, »sonst haben wir keine

Chance.«

Zu beiden Seiten der Kutsche flogen die Türen zurück. Jeder

der Passagiere ließ sich auf einer anderen Seite hinausfallen.
Der ältere Mann reagierte zu langsam. Als er sich herumrollte,
tackten ein halbes Dutzend Pfeile in das Holz der Kutsche. Ein
Pfeil erwischte den Mann. Er war sofort tot.

Der zweite Passagier handelte geschickter. Er berührte kaum

den Boden, als er auch schon herumwirbelte und seinen
Revolver leerfeuerte. Natürlich war gezieltes Schießen
unmöglich. Doch der Kugelhagel, der flach über die
Deckungen der Apachen sauste, zwang die Krieger für
Sekunden mit den Gesichtern in den Sand.

Diese kurze Zeitspanne genügte dem Fahrgast. Er drehte sich

rasend schnell, gelangte unter den Boden des Wagens und stieß
hervor »Mister, das ist aber kein feiner Spaß. Fehlt nur noch,
daß die Butterfield später noch einen Zuschlag zum Fahrpreis
für Unterhaltung verlangt!«

Floyd lachte grimmig. Ihm fehlte die Zeit zu einer

gebührenden Antwort. Statt dessen jagte der Kutscher Schuß
um Schuß aus seiner Spencer.

Drei, vier Krieger sprangen mit weiten Sätzen auf die Pferde

zu. Messerklingen blitzten im grellen Schein der Sonne auf.
Unter raschen Hieben fielen die Seile und Riemen. Die Pferde
rasten davon.

Der Passagier hatte seinen Revolver aufgeladen. Mit vier

blitzschnell hingeworfenen Schüssen tötete er drei der Apachen
vor der Kutsche.

Wutgebrüll stieg plötzlich rundherum auf. Die Halbwüste

schien rote Männer auszuspucken. Das gellende

background image

9

Angriffsgeschrei ließ den kaltblütigen Fremden nun doch
zusammenzucken.

»Ja, das ist eine prächtige Unterhaltung, Mann«, rief der alte

Floyd. »Kein Aas verlangt von dir 'nen Zuschlag dafür. Tote
zahlen nämlich nicht mehr.«

Der Passagier preßte die Lippen zusammen, daß sie wie

dünne, blutleere Striche wirkten. Mit geschickten Bewegungen
entledigte sich der Mann seines Waffengurtes und schob ihn
vor sich so zurecht, daß er blitzschnell die Patronen erreichte,
wenn es ums Nachladen ging.

Ein Schwarm Brandpfeile sirrte durch die Luft. Von allen

Seiten ließen die Krieger die Sehnen schnellen. Es dauerte nur
Sekunden, bis die Polsterung der Sitze Feuer fing.

»Rauchfleisch hält sich länger«, brüllte Floyd wütend und

leerte in rasender Folge seine Spencer.

Ein halbes Dutzend angreifender Apachen zwang dieser

Kugelhagel zu Boden. Als das schwere Gewehr schwieg,
standen nur zwei Krieger wieder auf. Sie fielen unter den
Geschossen des Revolvermannes.

Ein Reiter auf einem fahlgelben Mustang preschte heran,

verhielt das Tier knapp außer Schußweite und brüllte ein paar
Befehle in der Stammessprache. Sofort änderten die Angreifer
ihre Taktik. Sie verwandelten sich in wild umherspringende
Krieger. Es war unmöglich, auch nur einen gezielten Schuß
abzugeben.

Die beiden Weißen sparten ihre Patronen. Rannten die

Apachen erst dicht um den Wagen herum, würden noch
mindestens zehn oder zwölf in die ewigen Jagdgründe
eingehen. Floyd und auch der Passagier wollten sich so teuer
wie möglich verkaufen, riskierten die unmittelbare Nähe beim
Kampf, denn sie hatten beide mit ihrem Leben abgeschlossen.

Der brennende Kutschwagen war das große Risiko. Wenn

die feurige Lohe die Verteidiger zu früh aus der Deckung trieb,
sank die Chance, noch eine Menge Angreifer mitzunehmen,

background image

10

auf Null.

»Wir müssen raus oder braten!« brüllte Floyd, als glimmende

Stücke aus dem Boden herabfielen.

»Raus!« schrie der Fahrgast und drehte sich auch schon zur

Seite.

Schnell wie ein Apachenkrieger sprang er hoch und fächerte

mit der Linken über den Hahnsporn. Drei, vier, fünf Kugeln
brachte der Mann aus dem Lauf, ehe es ihn erwischte. Eine
Kriegslanze riß ihm die Seite auf, prallte an einer Rippe ab und
fiel zu Boden. Ächzend sank der Mann zusammen. In dieser
Sekunde erwischte ihn eine Kugel an der rechten Schulter.

Floyd Pearson erging es kaum besser. Er mußte zwei Kugeln

einfangen, von denen ihm eine das rechte Schienbein
zerschmetterte. Nochmals drückte der Oldtimer ab, sah mit
Genugtuung einen Apachen zu Boden sinken, als er einen
mörderischen Schlag gegen den Brustkorb spürte.

Es wurde dunkel um Floyd.
Er sah nicht, daß die Krieger plötzlich reglos standen, die

Waffen sinken ließen.

Der Anführer auf dem fahlgelben Pony hob die Linke

senkrecht in die Höhe. Auf dieses Zeichen hin räumten die
Angreifer das Feld. Sie schleppten ihre Toten und
Verwundeten mit. Wie Schatten, wie ein Spuk verschwanden
die roten Krieger in der Dornbuschwüste.

*

Zwei Reiter trieben ihre Mustangs in den Galopp. Apachen
saßen auf den nackten Pferderücken, hochgewachsene
Gestalten, die sich deutlich von den Angreifern unterschieden.

Cochise sprengte heran. Der große Jefe der Chiricahuas kam

zu spät. Er und sein Sohn Naiche waren dem Klang der
Schüsse gefolgt. Denn die beiden Führer wußten, daß
Geronimos Bande in diesem Gebiet umherstreifte.

background image

11

Das Gesicht des Chiefs wirkte unbewegt, als er vom Pferd

glitt. Er war zu oft mit dem Tod in Berührung gekommen, um
etwas dabei zu empfinden. Zudem war für einen Apachekrieger
Tod und Sterben etwas vollkommen Natürliches. Und die
Halbwüste und Wüste gehörte den Apachen.

Cochises kluge Politik wurde jedoch immer wieder von

ehrgeizigen Kriegern und Häuptlingen unterlaufen.
Weißenhasser wie Victorio, der wilde Führer der Mimbrenjos,
führte seine beutehungrigen Kämpfer selbst gegen die
Bleichgesichter.

Geronimo, einer der Unterführer, machte mit einer eigenen

Bande das Gebiet zwischen den Chiricahua und Dragoon
Mountains unsicher.

»Sie leben noch«, sagte Cochise und richtete sich auf. »Wir

bringen sie nach Tombstone, Sohn. Hellauge ist in der Stadt.
Wir beobachteten ihn unterwegs.«

Naiche starrte seinen Vater an und fragte: »Du willst zu den

Bleichgesichtern? In die Ansiedlung mit den steinernen
Hütten? Du wirfst dein Leben weg, mein Vater.«

Lächelnd erwiderte Cochise »Nein, wir bringen sie an den

Rand des Ortes. Irgend jemand wird uns sehen und die anderen
alarmieren. Ich lege ein Zeichen für Hellauge.«

So geschah es. Die beiden Chiricahuas, die für den Frieden

im Südwesten kämpften, nahmen die Besinnungslosen vor sich
auf die Pferde und schlugen den Weg zum Mule Paß ein, der
am Südrand der Dragoons den Zugang nach Tombstone
bildete. Nur hundert Pferdelängen vor dem östlichsten Haus
der Stadt legten die beiden Apachen die Verletzten nieder. In
der Ferne klang schon Geschrei auf. Die Bleichgesichter
rechneten sicher mit einem Angriff und schlugen Alarm.
Cochise legte einen abgebrochenen Pfeil auf die Brust des
älteren Mannes, einen Pfeil mit dem Gefieder, wie es die
Mimbrenjos verwendeten.

»Welches wird dein Zeichen sein, mein Vater?« fragte

background image

12

Naiche neugierig.

Er wußte, daß zwischen Thomas Jeffords, den der Jefe

Hellauge nannte, und den Chiricahuas keine besonderen
Signale vereinbart waren.

Lächelnd zog Cochise ein Lederstück unter seinem Hemd

hervor. Der kleine Beutel war verschlossen. Was er enthielt,
wußte nicht einmal der Häuptling.

»Deine Schwester, Tla-ina, gab ihn mir«, sagte Cochise. »Ich

soll ihn Falke geben, falls ich ihn treffe. Nun, Hellauge wird
wissen, wer mit dieser Nachricht gemeint ist.«

Der Häuptling legte den Beutel deutlich sichtbar in den Sand

und zog mit der Fußspitze einen Kreis darum.

»Wir reiten«, sagte der Chief zu seinem Sohn.
Es wurde Zeit. Die ersten Weißen trieben ihre Pferde an und

schwenkten Gewehre über den Köpfen.

Cochise und Naiche ließen ihre Tiere im Trab davongehen.

*

»Apachen!«

Der gellende Warnschrei ließ die Menschen

zusammenzucken. Sie wirbelten herum, starrten durch die
Lücken zwischen den Häusern ins freie Land und entdeckten
zwei Krieger, die sich in etwa hundertfünfzig Yards
Entfernung zu schaffen machten.

Welche Teufelei heckten die roten Halunken nun wieder aus?
»Lauft zur Station, zum Postmeister!« brüllte ein Mann.

»Jeffords ist in der Stadt. Er kennt die roten Dreckskerle am
besten.«

»Nehmt die Gewehre, los, los, schnell! Ihr wißt doch, daß die

Kerle wie aus dem Nichts erscheinen.«

Panik kam auf. Unsichtbare Wellen liefen vor den

verängstigten Menschen her. Die Furcht verbreitete sich in
Windeseile in der Stadt.

background image

13

Jeffords hörte das Geschrei, die Laute, verstand aber kein

deutliches Wort. Trotzdem stand er auf. Unruhig ging er zum
Fenster der Station, das auf die Plaza hinausführte und starrte
ins Freie.

Von Osten her rannten Männer und Frauen auf das Zentrum

zu. Wie gehetzt blickten sich die meisten Bürger immer wieder
um. Kinder plärrten, als ihre Mütter sie unsanft mitrissen.

Ein halbes Dutzend Männer hetzte mit langen Sprüngen in

die entgegengesetzte Richtung.

»Apachen!« gellte wieder der Angstschrei auf.
Jeffords sprang zum Gewehrständer, riß eine Winchester

heraus und stopfte sich eine Schachtel Munition unters Hemd.

»Haltet auf jeden Fall die Station!« rief er seinen

Mitarbeitern zu, ehe er wie ein wilder Brasada-Bulle
hinausstürmte.

Der Postmeister schloß sich den Bewaffneten an, die

keuchend zum Ostteil Tombstones rannten. Keiner der Männer
sprach ein Wort. Sie umklammerten die Waffen so fest, daß die
Knöchel weiß hervortraten. Angst stand in den Gesichtern der
Bürger, Furcht flackerte in ihrem Blick.

Es war noch nicht lange her, daß die Apachen die Stadt

angegriffen hatten. Nur durch die Waffen des Armeedepots,
das der Marshal kurzerhand hatte aufbrechen lassen, war es
gelungen, die Angreifer zurückzuschlagen.

Jeffords lief mit langen Schritten an den Bürgern vorbei. Sie

erkannten ihn, machten ihm bereitwillig den Weg frei, denn er
galt als Freund der roten Teufel, und er sollte auch die erste
Kugel, den ersten Pfeil erwischen.

Als Jeffords den Stadtrand erreichte, sah er die beiden Reiter

hinter einer Bodenwelle verschwinden. Sofort sah er im Geist
Cochise und Naiche vor sich. Die hochgewachsenen Gestalten
konnten nur die Führer der Chiricahuas gewesen sein.

Was führte die beiden Männer so nahe an die Stadt heran?

Spähten sie etwa selbst? Suchten sie nach schwachen Stellen in

background image

14

der Verteidigung der Ansiedlung? Bereiteten die Chiricahuas
trotz aller Versprechungen einen Angriff vor?

Unruhig, mit Zweifel im Herzen, blickte sich Jeffords um.
Er entdeckte die beiden Bündel im Sand und lief sofort los.
»Mensch, sind Sie verrückt geworden?« schrie ein Mann

gellend hinter dem Postmeister her.

»Laß ihn«, sagte ein anderer gehässig, »es ist doch sein

Skalp. Außerdem ist er ein Freund der roten Stinker. Und wer
weiß, vielleicht erwischen wir ein paar, wenn sie gleich aus den
Deckungen aufspringen.«

Jeffords bremste seinen Lauf, sah die beiden Verwundeten,

das verkrustete Blut und warf sein Gewehr einfach zu Boden.
Der Postmeister sank auf die Knie, untersuchte die
Besinnungslosen flüchtig und atmete auf, als er Lebenszeichen
entdeckte.

Er stand auf und schrie: »Los, schnell, ein paar Tragen,

Leitern oder zwei Türen. Die Männer sind schwer verletzt. Sie
müssen sofort zum Doc, wenn sie 'ne Chance haben sollen.«

»Und die Rothäute?« gellte es angstvoll zurück.
»Keiner in der Nähe, stellt euch nicht so an. Habt ihr die

Hosen voll, ihr Narren? Wollt ihr lieber zwei Männer sterben
lassen?«

Jeffords starrte in das faltige Gesicht des alten Mannes und

sog scharf die Luft ein. Das war ja Floyd Pearson. Einer seiner
besten Kutscher.

»Jetzt haben sie dich also doch erwischt, Floyd«, sagte

Jeffords halblaut. »Scheint, als sei deine Glückssträhne zu
Ende. Verdammt!«

Der Postmeister nahm das Pfeilende, drehte es nachdenklich

zwischen den Fingern und dachte: Mimbrenjos, eindeutig.

Und dann entdeckte er den kleinen Lederbeutel, hob ihn auf

und öffnete ihn. Eine Perle lag darin mit einer Schnur aus
zusammengedrehtem schwarzem Haar. Sanft fuhr Jeffords mit
der Fingerkuppe über die Strähne. Sie war weich, sehr weich.

background image

15

Das ist für Haggerty, dachte der Postmeister lächelnd. Also

waren es wirklich Cochise und Naiche, die uns die Verletzten
brachten.

Ehe die anderen Männer mit zwei Decken herangekommen

waren, verstaute Thomas Jeffords den kleinen Beutel in seiner
Hosentasche und verwischte den Kreis im Sand. Die Kerle aus
der Stadt sollten sich nicht zu viele Gedanken über Haggerty,
ihn selbst und die Apachen machen.

Endlich breiteten die Städter die Decken aus. Behutsam

hoben die Männer die Besinnungslosen auf die Tücher, faßten
die Zipfel und trugen die Überlebenden vorsichtig in die Stadt.

»Zur Station«, befahl Jeffords, blickte noch ein paar

Sekunden in die wüstenhafte Landschaft und fragte sich, wann
dieser endlose Kleinkrieg wohl endlich aufhörte.

»Jemand soll den Doc holen«, sagte der Postmeister. »Es

geht um Minuten, denke ich.«

Mit langen Schritten eilte Jeffords an den Trägern vorbei zur

Station.

Als er eintrat, standen seine Männer mit schußbereiten

Waffen an den Fenstern des Gebäudes. Jeffords wies sie an, die
Gewehre in den Ständer zurückzustellen und alles für die
Verletzten vorzubereiten.

Innerhalb einer Minute glich die Station einem Hexenkessel.

Der Doc stürmte herein, prallte gegen Jeffords und stieß eine
Serie wüster Flüche aus.

Der Postmeister wich ein wenig zurück, als er die

Alkoholwolke in die Nase bekam, die von dem Arzt ausging.
Gleichzeitig war Thomas beruhigt. Stand Doc Honester unter
Alkohol, unterlief ihm niemals ein Fehler. Er operierte
geschickt und sicher. War er dagegen nüchtern, hätte Jeffords
Bedenken gehabt. Aber mit einer halben Flasche Whisky ließ
sich auch dieses Problem lösen.

»Her mit den Kerlen!« brüllte Honester, »wo ist mein

Skalpell? Oder glaubt ihr, ich kann mit meinen Zähnen die

background image

16

Kugeln rausholen?«

Als der Arzt das Messer ansetzte, schwoll vor dem

Stationshaus das Gemurmel der Bürger zu bedrohlichem
Geschrei an.

Jeffords seufzte und ging zur Tür. Er trat auf den Gehsteig

hinaus und wartete, bis die Menschen endlich schwiegen.

»Was bedeutet das, Jeffords?« fragte ein vierschrötiger Mann

laut. »Was haben die roten Hurensöhne jetzt wieder vor?«

»Woher soll ich das wissen«, antwortete der Postmeister.

»Ich kenne die Gedanken der Apachen nicht. Ich weiß nur, daß
ich wieder eine Kutsche verloren habe.«

»Wann machen wir endlich ein Ende mit der roten Brut?«

fragte ein anderer Mann. »Schwingen wir uns auf die Pferde,
treiben wir die verfluchten Indsmen zusammen und bringen sie
um.«

Jeffords schüttelte den Kopf und rief: »Ihr wißt doch, daß ihr

es nicht schafft. Sie verbergen sich in der Wüste, wochenlang,
und wenn ihr auf dem Rückzug seid, erledigen sie einen nach
dem anderen. Nein, so hat das doch keinen Sinn.«

»Aber es hat Sinn, daß gute Männer und Frauen

abgeschlachtet werden, wie?« schrie ein Mann.

Jeffords blickte auf die Menschen.
»Genauso, wie es unter uns Weißen Banditen und Gesindel

gibt«, erwiderte Jeffords, »leben auch unter den Apachen
verwegene Krieger, die sich nicht an die Befehle der Chiefs
halten.«

Das ging eindeutig an die Adresse des letzten Schreihalses.

Denn der war schon mehr als einmal in zwielichtige Geschäfte
verwickelt gewesen.

Der junge Mann preßte die Lippen zusammen. Zorn wallte in

ihm hoch. Wie kam dieser verdammte Briefträger dazu, ihm
solch eine Vorhaltung zu machen? Es ging doch darum, die
Apachen endlich in ihre Schranken zu verweisen oder
niederzukämpfen.

background image

17

»Sie sind doch der Indianerfreund!« rief der Mann. »Sorgen

Sie dafür, daß die roten Kerle endlich Frieden halten, daß sie
die Rebellen in ihren Stämmen unter Kontrolle bringen. Wozu
lungern denn die Blauröcke in den Forts herum? Machen sich
die Kerle nur einen guten Tag?«

Bitter erwiderte Jeffords: »Halten Sie doch den Mund, Sie

Narr. Sie wissen doch genauso gut wie ich, daß General
Howard zuwenig Soldaten im Land hat. Ihr alle wißt, daß die
Apachen den Männern der Army überlegen sind. Aber ich
werde mit dem General sprechen.«

Thomas Jeffords drehte sich um und betrat die Station der

Kutschenlinie wieder. Es war sinnlos, mit diesen Menschen
draußen zu reden. Sie alle begriffen nicht, daß die Apachen
dieses Land, jeden Fußbreit, noch immer als ihr Eigentum
ansahen. Die weißen Siedler und Digger verstanden nicht, daß
immer wieder Zwischenfälle durch Weiße ausgelöst wurden.
Denn für die meisten Menschen galt das Wort, daß nur ein toter
Indianer ein guter Indianer war. Es schien unmöglich, die
beiden Rassen zu einem dauerhaften Frieden zu bringen.

»Ich muß zum Fort«, sagte der Postmeister. »Laßt hier alles

so laufen, wie es läuft.«

»Sehen Sie eine Chance, die Apachen zum Frieden zu

zwingen?« fragte der Stationsleiter.

Jeffords lachte bitter und erwiderte: »Wir haben Frieden,

Mann!«

»Das sieht aber eher nach Krieg aus«, entgegnete Anthony

Grifford, einer der Clerks, und deutete auf die beiden
Besinnungslosen.

»Kein Krieg, rebellische Apachen«, sagte Jeffords nur.

»Vielleicht bekommen wir diese Banden eines Tages unter
Kontrolle. So richtig glaube ich allerdings nicht daran. Ich reite
jetzt, Männer. Sorgt für Floyd und den Passagier.«

Wenige Minuten später ließ der Postmeister sein Pferd nach

Nordosten traben, dem Apache Paß zu.

background image

18

*

Cochise und sein Sohn Naiche hielten die geflochtenen
Graszügel nur locker in den Händen. Die Krieger leiteten die
Mustangs mit den Beinen nach Osten, in die Dragoon
Mountains. Dort lag, versteckt in einem uneinnehmbaren
Felsental, die Apacheria des Stammes.

Späher und Wächter sicherten sämtliche Wege zum Versteck

der Chiricahuas. Kein Fremder vermochte dort einzudringen,
sich zu nähern, ohne bemerkt und gestellt zu werden.

Kaum ein Weißer wußte von der Lage dieses Verstecks. Nur

die beiden Freunde des großen Jefe, Thomas Jeffords und John
Haggerty, kannten einen Weg in die Felsenfestung, aber auch
nur einen.

»Mein Vater«, sagte Naiche nach einer langen Weile,

»Geronimo sammelt Krieger um sich. Als seine Rotte das
rollende Jacale überfiel, folgten mehr als dreißig Mimbrenjos
dem ›der gähnt‹.«

Dies war der eigentliche Name des Kriegers Geronimo, der

bis vor kurzer Zeit durch nichts aus den Reihen der anderen
Mimbrenjos herausgeragt war. Erst nach einem Überfall in
Mexiko, als der Mann wie ein wilder Teufel kämpfte, Angst
und Tod über die Gelbhäutigen brachte, gaben ihm die
Mexikaner den Namen Geronimo.

»Naiche, er ist wild wie ein einsamer Bergwolf«, antwortete

Cochise. »Nicht einmal Victorio vermag ihn aufzuhalten.«

»Will er ihn denn aufhalten?« fragte Naiche.
»Er muß, Sohn«, erwiderte Cochise ernst, »Geronimo strebt

nach der Häuptlingswürde. Er haßt die Weißen erbarmungslos,
genau wie Victorio.«

Cochises Sohn überlegte eine Weile und machte eine

Handbewegung, die seine Ratlosigkeit zeigte.

»Vater, wie kann ein Krieger wie er Jefe werden? Erfahrene

Männer stehen weit vor ihm. Nana und Loco sind gute Führer.«

background image

19

»Nana liebt den Kampf«, antwortete der Chief der

Chiricahuas. »Er besitzt ein heißes Herz und wildes Blut. Er
wird immer wieder ausbrechen und kämpfen. Loco ist zu
schwach, Geronimo Widerstand zu leisten. Nur Victorio kann
ihn aufhalten. Er muß ihn aufhalten, denn übernimmt er die
Führung der Mimbrenjos, brennt das gesamte Land.«

»Und du, mein Vater?« fragte Naiche, »du gabst dem

Einarmigen dein Wort. Kannst du zulassen, daß die
Mimbrenjos dein Wort brechen?«

Cochise sah seinen Sohn nicht an. Der Jefe blickte zu den

zerklüfteten Felsen der Dragoon Mountains.

Naiche hatte das Problem richtig erkannt. Eine einfache

Lösung gab es nicht. Denn die Stämme beharrten auf ihrer
eigenen Macht. Cochise galt zwar als der große Führer,
vermochte jedoch nicht, die Rebellen zum Frieden zu zwingen.
Vor allem dann nicht, wenn die Häuptlinge der anderen Sippen
stillschweigend die Raubzüge ihrer Krieger duldeten oder sie
gar selbst anführten.

Für Cochise stand das Schicksal der Apachen seit langem

fest. Die Weißen drangen immer weiter vor, fielen zahlreich
wie ein Schwarm Heuschrecken in das heiße Land ein. Und je
mehr Weiße die Apachen umbrachten, desto mehr würden
kommen.

Es gab nur eine Möglichkeit: gemeinsam mit den

Eindringlingen die Lebensweise der Apachen behutsam zu
ändern. Doch dem stand der wilde Sinn der Wüstenkrieger
entgegen. Seit Jahrhunderten lebten sie in diesem Gebiet,
waren sie die Herren über Halbwüste und Wüste und versteckte
Wasserstellen, die nach und nach von den Weißen entdeckt
wurden.

Jeder Apache betrachtete ein jedes Lebewesen in diesem

Land als seine Beute.

Und wenn die Rebellen die Oberhand gewannen, wenn sie

alle Stämme in einen Krieg gegen die Bleichgesichter führten,

background image

20

stand für Cochise der Untergang seiner Rasse fest.

Denn trotz moderner Waffen blieben die Krieger den

Soldaten mit ihren Kanonen und Gatling Guns unterlegen. Eine
offene Schlacht war undenkbar.

»Viele unserer Krieger sind unzufrieden, mein Vater«, fuhr

Naiche fort. »Sie folgen Geronimo. Er verspricht ihnen Skalps,
Kampf und Beute.«

»Laß sie ziehen«, antwortete Cochise lächelnd. »Sie kommen

zurück, wenn sie Chiricahuas sind.«

»Aber sie erzählen von den großen Kämpfen«, erwiderte

Naiche erregt. »Andere spüren ihr Blut heißer wallen und
mißachten ebenfalls deine Befehle.«

Cochise nickte und sagte: »Ich darf nicht wagen, einen Streit

zwischen den Stämmen heraufzubeschwören. Setzen sich die
anderen Chiefs über mein Wort hinweg, so ist Cochise nichts
als ein kleiner Häuptling. Ich muß behutsam und geschickt
vorgehen, mein Sohn. Dies ist der Grund, warum wir immer
wieder dieses Land durchstreifen. Du hast erlebt, wie schnell
Geronimo aufgab und verschwand.«

Nachdenklich nickte Naiche. Ja, sein Vater hatte recht.

Allein das persönliche Erscheinen des großen Häuptlings
brachte die rebellischen Krieger zum Aufgeben. Denn sie
wußten genau, daß sie gegen seine Befehle verstießen, sein
Wort brachen, das alle Stämme band.

Was aber geschieht, dachte Naiche, wenn die wilden Krieger

eines Tages nicht zurückweichen? Wenn wir auftauchen,
erkannt werden und die Männer kämpfen weiter?

Sekunden später gab sich Naiche selbst die Antwort: dann

war sein Vater nicht mehr Cochise, nicht mehr der Führer. In
diesem Moment begann der endgültige Untergang der
Apachen.

»Welches sind deine Pläne, mein Vater?« fragte Naiche nach

langer Zeit.

»Wir müssen erfahren, was Hellauge plant«, antwortete der

background image

21

Jefe. »Holt er die Pferdesoldaten zur Hilfe, wird kein
Mimbrenjo mehr eine Kutsche angreifen. Die Krieger brennen
dann die Häuser der weißen Siedler nieder.«

»So dumm ist Hellauge nicht«, erwiderte Naiche überzeugt.

»Er wird sich etwas anderes ausdenken.«

»Reiten wir zu den Quellen«, sagte Cochise. »Hellauge wird

bereits unterwegs sein.«

Naiche kannte das Land, wußte, was ein gutes Pferd zu

leisten vermochte und wußte auch, daß Jeffords mindestens
sechs Stunden unterwegs sein würde, ehe er den Apache Paß
erreichte.

Cochise und sein Sohn verfügten über genügend Zeit.

*

Thomas Jeffords war ein furchtloser Mann. Einst hatte er
Cochise überrascht, indem er in die Bergfestung, in die
Apacheria, eingedrungen war. Beeindruckt von so viel Mut
hatte der Jefe seine Erlaubnis zum Bau der Relaisstation auf
der Paßhöhe gegeben. Denn nur dort sprudelten Quellen aus
dem Felsen, die selbst im heißesten Sommer nicht versiegten.
Dieser Ort war wichtig für die Butterfield Overland Company,
war der einzige Ort, an dem die Pferde und Reisenden Wasser
bekamen.

Jeffords ritt auf einem struppigen, zähen Pferd nordostwärts.

Überall bemerkte der erfahrene Mann die Spuren von Apachen,
spürte, daß er beobachtet wurde, witterte jedoch noch keine
Gefahr.

Die Sonne versank bereits im Westen, als der Postmeister

sein zerzaust wirkendes Pferd vor den Steinmauern von Fort
Buchanan zügelte.

Das mächtige Tor war geschlossen. Auf den Laufgängen

hinter den Mauern patrouillierten die Posten. Die meisten
Männer kannten den Postmeister.

background image

22

Es dauerte nicht lange, bis Jeffords mit dem Wachhabenden

sprechen konnte. Thomas wollte zu John Haggerty, dem
Chiefscout des gesamten Südwestens.

»Mr. Jeffords, sorry, Lieutenant Haggerty sitzt beim

General«, sagte der junge Captain, der das Kommando führte.
»Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Gentlemen
fertig sind.«

Jeffords verspürte Unruhe. Alles, was hier im Fort

besprochen wurde, war wichtig, berührte auch die
Kutschenlinie und die Sicherheit der Fahrer und Passagiere.

»Wissen Sie, worum es geht?« fragte der Postmeister.
»Bedaure, Sir, ich habe keine Ahnung.«
»Ich muß Haggerty sprechen«, fuhr der Postmeister fort.

»Richten Sie ihm bitte aus, daß er in das Tal der Steine
kommen soll. Dort erwarte ich ihn. Es ist wichtig, Captain.
Heute habe ich wieder eine Kutsche verloren. Ich brauche
Haggertys Hilfe.«

Der Offizier versprach, den Chiefscout sofort loszuschicken,

sobald die Besprechung bei Howard beendet war.

Jeffords verließ das Fort, ritt zur Paßhöhe hinauf und wurde

von seinen Freunden lautstark begrüßt.

»Buck und Larry sind hier«, sagte Burt Kelly, »sie lungern

im Stationsraum herum und fallen Walker auf den Geist. Er ist
ganz verrückt nach ihren dämlichen Spielchen mit den Colts.«

Kelly schüttelte den Kopf und murmelte etwas von

verdammten Revolvermännern, die gerade noch gefehlt hätten,
um den Topf zum Überkochen zu bringen.

Jeffords warf dem knorrigen Burt die Zügel zu und stapfte

zum Haus. Als er die Tür öffnete, starrte er in zwei
Revolvermündungen. Buck Tinatra und Larry Osborne hatten
blitzschnell ihre Colts aus den Halftern gezaubert, als Jeffords
eintrat. Norbert Walker stand ein paar Schritte neben den
beiden und beobachtete sie genau.

»So macht man das, Norbert«, sagte der blonde Larry.

background image

23

»Schnell fest zupacken, den Daumen auf dem Hahnsporn«,

fügte Buck hinzu.

Walker packte zu, umklammerte den Griff seines Revolvers

wie einen Hammerstiel und zerrte die Waffe aus dem Halfter.

Jeffords lachte laut und rief:
»Das sieht ja prächtig aus, Norbert! Wenn du so

weitermachst, hast du Weihnachten die Mündung oben!«

Beleidigt stopfte der Posthelfer die Waffe ins Halfter zurück

und erwiderte:

»Ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich möchte

diese beiden Revolverhelden mal sehen, wenn sie Hufeisen
aufnageln.«

Larry lachte und erwiderte: »An so 'nen schwierigen Job

trauen wir uns nicht ran, Norbert. Dazu müßten wir erst mal
üben, so wie du mit dem Colt.«

Jeffords betrachtete seinen Helfer nachdenklich. Norbert

Walker war ein guter Mann, ein ausgezeichneter Schütze. Nur
haperte es mit dem blitzschnellen Ziehen des Revolvers.

»Hör mal«, sagte der Postmeister bedächtig, »warum wirfst

du nicht mit Hufeisen? Damit kannst du einem Gegner auch
Wunden beibringen, vielleicht sogar den Schädel einschlagen.
Und wenn du nicht triffst, ist er zumindest so verblüfft, daß du
ihn niederschlagen kannst.«

Walker schnaubte verächtlich und verließ den Stationsraum.
»Jetzt hast du ihn beleidigt«, stellte Buck Tinatra fest und

fuhr sich mit der Linken über die schwarzen Haare. »Was treibt
dich überhaupt hierher zum Paß?«

Jeffords zog einen Stuhl heran und setzte sich.
»Geronimo«, erwiderte der Postmeister, »wir haben wieder

eine Kutsche verloren. Hank wird tot sein. Floyd ist schwer
verletzt. Er und ein Passagier verdanken Cochise ihr Leben.
Der Jefe und Naiche müssen die beiden dicht zu den ersten
Häusern Tombstones gebracht haben.«

Buck und Larry wirkten auf einmal sehr hart und wachsam.

background image

24

Weder in ihren Augen noch in den Gesichtern war etwas von
der Fröhlichkeit zurückgeblieben, die sie vor ein paar Minuten
noch verspürt hatten.

»Was hast du vor?« fragte Buck. »Wir waren unterwegs.

Alles schien friedlich.«

»Ich weiß es noch nicht genau«, erwiderte Jeffords mit

müder Stimme. »Zuerst möchte ich mit Haggerty reden. Er war
bei Howard in einer Besprechung. Wir treffen uns im Tal der
Steine.«

»Wann?« fragte Larry.
»Sicher nicht vor morgen. Wir reiten bei Sonnenaufgang los.

Ihr seid meine Patrouillen auf den Strecken. Vielleicht habt ihr
doch was bemerkt. Warten wir ab, was Haggerty sagt.«

Die Nacht verlief ungestört. Thomas Jeffords erwachte, als

im Osten der erste grau schimmernde Lichtstreifen über den
Horizont zog. Larry und Buck waren schon auf den Beinen.
Aus der Küche drang verlockender Duft nach gebratenem
Schinken, Eiern und Kaffee.

Burt Kelly trug eine blaue Schürze, die bis auf die Stiefel

hinabhing.

Walker kümmerte sich im Stall um die Pferde, überprüfte die

Eisen, das Lederzeug und die Sättel, bevor er sie auflegte.

Als Jeffords und seine beiden Streckenreiter die Station

verließen, war alles für sie bereit. Sie saßen auf, nickten
Walker zu und preßten den Tieren die Absätze in die Flanken.

»Laßt euch nicht von Geronimos Kriegern erwischen«, rief

Walker ihnen nach. »Würde mir leid tun.«

Es dauerte nicht lange, bis die Reiter das Tal der Steine

erreichten. Der Einschnitt in den Felsen hieß bei den Apachen
so, weil der Boden mit kopfgroßen Geröllbrocken übersät war,
die eine fast vollkommene Kugelform besaßen. Woher diese
Steine stammten, vermochte niemand zu sagen.

Büsche wucherten aus Felsspalten, in die der Wind Erde

geweht hatte. Bergwacholder reckte seine Zweige nach oben,

background image

25

der Sonne zu. Und Katzenklauenakazien standen dicht an den
Felswänden des Tales. Dort sammelte sich die Feuchtigkeit
und bot den Gewächsen genügend Nahrung.

»Haggerty ist schon da«, sagte Jeffords und deutete nach

vorn.

Ja, der Chiefscout saß im Sattel seines Falben. Das Pferd

stand inmitten hüfthoher Geröllbrocken. Hinter dem Tier ragte
die Steilwand hoch auf. Schmale, kaum handbreite Schrunden
und Risse vermochten höchstens einer Bergziege Halt zu
bieten, oder einem Apachen.

»Haggerty, ich brauche Hilfe«, sagte der Postmeister,

nachdem sie sich begrüßt hatten, und berichtete, was am
vergangenen Tag geschehen war.

Ernst nickte der Scout, als Jeffords schwieg.
»Geronimo ist Gift für dieses Land und für die Krieger«,

sagte der Chiefscout.

Er war Cochises Freund, genau wie Thomas Jeffords. Falke

nannte der große Häuptling den Fährtensucher.

»Ich fand bei den Verwundeten etwas, das auf Cochise

hinweist«, fuhr Jeffords fort. »Es ist nicht für mich bestimmt.«

Er zog den kleinen Lederbeutel aus der Hemdtasche und

reichte ihn Haggerty. Der Scout wog ihn ein paar Sekunden in
der Hand, ehe er die Schnur löste und die Perle herausholte.

Jeffords bemerkte die Veränderung, die in dem Scout

vorging. Haggerty starrte die Perle an, fuhr mit der
Fingerkuppe über die glänzende Oberfläche und streichelte die
Haarschnur, während er in unendliche Fernen zu starren schien.

Der Blick des Scouts wirkte irgendwie verloren, als er an

Tla-ina dachte, Cochises Schwester.

Haggerty wußte nicht, ob je die Zeit kommen würde, in der

er dieses Mädchen zu sich holen durfte. Sie liebte ihn, den
Weißen, den Eindringling. Und er spürte sie in seinem Blut,
wußte, daß er nicht auf die Schwester des großen Jefes
verzichten konnte.

background image

26

Alles sprach gegen eine solche Verbindung. Es gab für John

Haggerty nur eine Möglichkeit: er mußte selbst zum Apachen
werden. Wurde er von Cochise in den Stamm der Chiricahuas
aufgenommen, stand der Verbindung zu Tla-ina nichts mehr im
Wege. Doch dann war John kein Weißer mehr. Noch
vermochte er nicht, diese Entscheidung zu treffen. Niemand
wußte, nicht einmal er selbst, ob es je dazu kommen würde.

Er fing sich wieder, verbarg die Perle sorgfältig in dem

Lederbeutel und steckte diesen in die Innentasche seiner Jacke.

»Ja, Geronimo ist Gift, wütendes Feuer und ein tollwütiger

Wolf«, fuhr Haggerty fort, als sei nichts gewesen. »Wir wissen
nicht, wie wir den Krieger aufhalten sollen. Ich sprach gestern
mit Howard. Ich bin Chiefscout, gut. Ich kenne mich mit den
Apachen besser als jeder andere aus, auch gut. Und was nutzt
uns das? Nichts, Jeffords, überhaupt nichts. Meine
Freundschaft mit Cochise bewahrte uns bisher vor einem
offenen Krieg. Das ist auch alles. Wir müssen neue Wege
einschlagen.«

Larry Osborne zog die Brauen hoch.
»Welche Wege?« fragte der blonde Kämpfer.
»Ich habe eine Idee«, erwiderte Haggerty, »aber das ist alles

noch nicht soweit, daß ich mich entscheiden kann.«

»Reden Sie doch, vielleicht können wir helfen, etwas dazu

beisteuern«, forderte Jefford den Scout auf.

Aufmerksam musterte Haggerty die drei Männer. Er kannte

sie gut genug, um ihnen vertrauen zu können.

»Ich verlasse mich darauf, daß ihr schweigt«, sagte er. »Ich

habe General Howard vorgeschlagen, mich aus der Army zu
entlassen. Natürlich arbeite ich weiterhin für ihn. Das Land
muß endlich zur Ruhe kommen. Solange ich aber von
Vorschriften und Befehlen eingeengt bin, vermag ich nicht
genug zu tun. Ich will als freier Mann durch den Südwesten
reiten, dort eingreifen, wo es nötig ist. Ich möchte mit Cochise
ständig unterwegs sein, alles beobachten und zupacken, wo der

background image

27

Friede gebrochen wird. Dabei ist es gleichgültig, wer für Ärger
sorgt, Indianer oder Weiße oder Mexikaner.«

Jeffords überlegte kurz und erwiderte: »Ein verwegener, ein

guter Plan. Wie stellt sich Howard dazu?«

»Das ist es ja«, rief Haggerty, »er zaudert, windet sich,

kommt einfach zu keiner Entscheidung.«

Der Scout schwieg, hob den Kopf, als wittere er und

beobachtete die Steilhänge der Talwände.

»Wir sind nicht allein«, behauptete Haggerty plötzlich.
Langsam zog er seine Winchester aus dem Scabbard und

legte den Hahn mit dem Daumen zurück. Jeffords und seine
Freunde hielten innerhalb einer Sekunde ihre Gewehre
ebenfalls schußbereit in den Fäusten. Buck und Larry ließen
die Pferde angehen, ritten zwei Längen zur Seite und bildeten
so mit Haggerty und Jeffords gemeinsam einen Halbkreis vor
der Felswand.

»Dort oben, auf der anderen Seite«, sagte der Scout. »Neben

der Sommerzypresse.«

Zwei braunhäutige Männer glitten wie Schemen über die

schmalen Vorsprünge. Metall glänzte im Sonnenlicht auf. Die
Krieger trugen moderne Gewehre. Geschmeidig turnten die
Apachen höher, erreichten die Steilkante und verschwanden.

»Chiricahuas?« fragte Buck Tinatra.
»Nein, sicher nicht«, antwortete Haggerty, »ich glaube, es

waren Mimbrenjos. Geronimo heckt eine neue Teufelei aus,
Jeffords. Wie kann ich Ihnen helfen? Ihre Kutschen sind nicht
mehr sicher.«

Der Postmeister preßte die Lippen zusammen. Am liebsten

würde er Cochise um Hilfe bitten und sagte das auch.

»Er wird nicht helfen«, erwiderte der Scout. »Der Jefe ist ein

kluger Politiker. Er kann seine Macht nicht gefährden. Stellt er
sich ganz offen auf unsere Seite, übernimmt Victorio die
Führung. Und dann überzieht er den Südwesten mit Mord und
Feuerbrand.«

background image

28

Jeffords nickte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als jede

Kutsche durch bewaffnete Begleiter zu sichern.

»Buck und Larry, ihr fahrt mit dem nächsten Wagen nach

Tombstone. Nehmt Gewehre und genügend Munition mit. Es
geht nicht mehr anders. Ich bin für das Leben der Passagiere,
der Kutscher und die Fracht verantwortlich. Wir müssen
Geronimo zeigen, daß wir es auf eine große
Auseinandersetzung ankommen lassen.«

»Und die Strecken?« fragte Larry, »wie sollen wir

beobachten und Nachrichten bringen, was sich unterwegs
ereignet?«

»Das ist jetzt unnötig«, sagte der Scout. »Jeffords hat recht.

Der Mimbrenjo muß erkennen, daß der Spaß zu Ende ist, daß
wir zurückschlagen.«

»Wir?« fragte Buck gedehnt.
»Ja, wir«, erwiderte Haggerty nachdrücklich, »ich fahre

ebenfalls mit. Jede Waffe mehr ist von Vorteil.«

Er hob abermals den Kopf, blickte zum jenseitigen Zugang

des Tales und kniff die Augen ein wenig zusammen.

»Wir bekommen Besuch«, sagte er. »Hufschlag, zwei

Pferde.«

Nun hörte auch Jeffords die Tiere. Es mußten Indianerponys

sein, denn kein Klingen von Eisen war zu vernehmen, nur das
leise Tacken der Hufe auf dem felsigen Untergrund.

»Cochise«, sagte Larry Osborne erstaunt, als er die beiden

hochgewachsenen Reiter erkannte.

Wenig später verhielten der Jefe und Naiche ihre Mustangs

vor den Weißen.

»Falke, Hellauge«, sagte der Häuptling, »und zwei der besten

Krieger treffen sich hier. Ihr seid unvorsichtig, wißt ihr das
nicht?«

»Als wir die beiden Späher entdeckten, gaben sie auf«,

erwiderte der Scout lächelnd. »Geronimo erfährt nicht, was wir
planen.«

background image

29

»Sie gaben auf, weil wir in der Nähe waren«, erwiderte

Naiche lächelnd. »Werden wir eure Pläne kennenlernen?«

Jeffords hielt die Gelegenheit für günstig. Vielleicht half der

Chief doch, wenn er ihn darum bat. Denn immerhin lag auch
Cochise der Friede am Herzen.

»Cochise, die Mimbrenjos lauern meinen Kutschen auf«,

sagte der Postmeister. »Gestern verlor ich wieder einen Wagen.
Du weißt es. Ihr wart in der Nähe. Nur dir und Naiche haben
die beiden Manner ihr Leben zu verdanken. Ich bitte dich um
deine Hilfe, Cochise.«

Der Häuptling sah Jeffords lange an. Die schwarzen Augen

in dem reglosen Gesicht wirkten ausdruckslos, verrieten nichts
von dem, was gerade in Cochises Kopf vorging.

»Wie soll die Hilfe der Chiricahuas aussehen, Hellauge?«

fragte der Häuptling aufmerksam.

»Wenn ein paar Rotten deiner Krieger jede Kutsche

begleiten«, sagte Jeffords langsam, »schreckt das die
Mimbrenjos ab. Sie werden doch sicher keinen Kampf mit
deinem Stamm beginnen. Und die Kutschen sind sicher.«

Naiche starrte den Postmeister an und verzog das Gesicht.
»Weißer Mann, Hellauge, warum sollten die Apachen euch

schützen?« fragte Cochises Sohn. »Dies ist unser Land.
Beschützt du den Feind, der in dein Haus eindringt! Hilfst du
deinem Feind, der dir dein Haus stehlen will, gegen deine
Brüder, die sich wehren? Nein, Hellauge, das darf nicht sein.«

Jeffords blickte den großen Häuptling an und wartete. Der

Postmeister verspürte die Hoffnung, daß Cochise auf seinen
Vorschlag einging.

Endlich antwortete der Häuptling. Er blickte in weite Ferne,

während er sprach.

»Du willst den Frieden, Hellauge«, sagte er, »ich auch. Aber

deine rollenden Jacales bringen immer Menschen deiner Rasse
in unser Land. Und jedes Bleichgesicht, das seinen Fuß
hierhersetzt, will bleiben. Jeden Tag stehlen uns die Weißen

background image

30

ein Stück Land. Ich habe nur wenig gute Menschen unter euch
gefunden. Du verstehst mich, ich weiß es. Ich kann nicht für
wenige viel opfern. Die rollenden Jacales sind dein Problem,
Hellauge, nicht das meine. Ich kann meinen Kriegern nicht
befehlen, gegen ihre Brüder zu kämpfen. Denn dann zerbricht
der Friede, und die Apachen führen untereinander Krieg.«

Die Antwort lautete also nein. Jeffords senkte den Kopf. Er

verstand Cochise. Der Häuptling wollte die Stämme geeint
halten. Noch wog sein Wort schwer, sehr schwer in den
Ratsversammlungen der Alten. Stellte er sich jedoch gegen die
eigene Rasse, schwand Cochises Macht wie Schnee im
Sonnenglast.

»Es bleibt also dabei, daß Larry, Buck und ich die Kutschen

durch die Ebene begleiten«, sagte Haggerty.

Er lächelte hart. Ein gefährlicher Funke tanzte in seinen

Augen.

»Wir wehren uns gegen alle Angreifer, Jefe«, sagte er laut.

»Auch gegen Krieger deines Stammes, sollten sie gemeinsame
Sache mit den Mimbrenjos machen.«

»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte Cochise. »Ich reite

jetzt. Wir sehen uns wieder.«

Naiche und der große Häuptling zogen ihre Pferde herum.

Die Mustangs trabten an. Wenige Minuten später
verschwanden die Tiere in der engen Schlucht des
Talausganges.

»Also los, zum Paß hinauf«, sagte Jeffords. »Ihr wartet auf

die Kutsche nach Tombstone und fahrt sofort mit. Ich bleibe in
der Station. Sie ist gefährdet, wenn Geronimo mit seiner Horde
umherstreift.«

*

Einige Stunden später drang wüstes Fluchen an die Ohren der
Männer, die in der Station warteten. Räder knarrten, und ein

background image

31

Pferd wieherte laut.

»Na endlich«, sagte Burt Kelly, »wurde aber auch Zeit.«
Der Posthelfer lief ins Freie. Auf dem Bock der schweren

Kutsche saßen Ted Riley als Fahrer und Jack Vance als
Begleiter.

»Apache Paß, eine halbe Stunde Aufenthalt!« brüllte Ted

und riß den Bremshebel zurück, nachdem er das
Sechsergespann gezügelt hatte.

Er kletterte steifbeinig vom Bock herab und baute sich vor

Burt Kelly drohend auf und sagte: »Wenn du mir hier solche
Mistviecher wie diese elenden Klepper einspannst, Burt, ziehst
du bei der Rückfahrt selbst im Geschirr. Das verspreche ich dir.
Diese Böcke sind ja selbst zum Schlafen zu lahm. Wie sollen
wir den Apachen davonsausen, he?«

»Reg dich nicht auf, Schwachkopf«, antwortete Burt. »Du

solltest erst mal lernen, wie man mit so einen Pferdchen
umgeht. Ein schlechter Kutscher ruiniert das beste Gespann.
Weißt du das nicht?«

Ted lief knallrot im Gesicht an. Er gehörte zu den besten

Fahrern der Gesellschaft und wußte das auch. Ehe er jedoch
Burt Kelly drei Dutzend Flüche und Beleidigungen an den
Kopf werfen konnte, trat Norbert Walker näher.

»Mann, wer hat dir denn diese Klepper angedreht, Ted?«

fragte er.

Riley grinste plötzlich, deutete auf Burt und rief: »Und der

Narr da will mir erzählen, daß es gute Deichselpferde sind!«

»Er hat doch keine Ahnung«, sagte Walker lässig. »Wie viele

Plätze sind noch frei?«

»Bekomme ich hier neue Passagiere?« fragte Ted erstaunt.
Er zog die buschigen Brauen dicht zusammen. Riley wußte,

was das zu bedeuten hatte. Und dabei war ihnen während der
ganzen Fahrt kein Apache über den Weg gelaufen.

»Drei Männer fahren mit«, fuhr Walker fort. »Larry, Buck

und John Haggerty.«

background image

32

Ted pfiff schrill durch die Zähne. Wenn der Chiefscout selbst

mitwollte, stank es meilenweit nach Verdruß.

»Ich fahre nur zwei Männer durch die Gegend«, sagte Riley.

»Es scheinen Goldsucher zu sein.«

Jeffords ging zur Kutsche, nickte Fahrer und Begleiter zu,

öffnete den Wagenschlag und stieg auf den Eisenbügel, der als
Stufe diente.

»Wir wollen nicht raus«, sagte ein älterer Mann, dessen

Gesicht faltig und verwittert aussah.

»Gentlemen«, antwortete Jeffords ernst, »es wäre besser, Sie

blieben hier in der Station. Die Apachen machen die Gegend
unsicher. Ich rechne mit einem Angriff auf diese Kutsche.«

Der Ältere grinste und hielt plötzlich einen Revolver in der

Rechten.

»Die sollen nur kommen«, sagte der Passagier grimmig, »wir

werden ihnen das rote Fell voll Blei pumpen.«

Jeffords sah sich den jüngeren Mann eingehend an. Er saß

gegenüber auf der gepolsterten Bank und hörte gleichgültig zu.

»Was ist mit Ihnen, Mister?« fragte der Stationsleiter.
»Mein Sohn bleibt ebenfalls«, erwiderte der Alte. »Er schießt

genauso gut wie ich.«

»Wie Sie wollen. Ich habe Sie gewarnt.«
Jeffords ließ die Tür offen und ging davon. Die beiden

Fahrgäste erweckten wirklich den Eindruck, sie könnten ihr
Leben erfolgreich verteidigen.

Haggerty, Buck und Larry marschierten zum Wagen. Außer

den Gewehren trugen die drei Männer kaum Gepäck. Sie
wollten durch nichts behindert werden, wenn es zum Kampf
kam. Lediglich einen flachen Beutel mit Munition, ein paar
Streifen Trockenfleisch und Wasserflaschen führten sie mit.

»Gibt's 'nen Krieg, Leute?« fragte der faltige Alte, als die

neuen Fahrgäste einstiegen.

»Verlaß dich drauf«, erwiderte Larry Osborne, »und ihr

werdet dann dienstverpflichtet.«

background image

33

»Hihihi, für die Army habe ich nicht viel übrig«, erwiderte

der Alte.

»Auch nicht für deinen Skalp?« erkundigte sich Buck

freundlich. »Um den geht's nämlich, Mister.«

Statt einer Antwort holten die beiden zahlenden Fahrgäste

ihre Colts aus den Halftern und überprüften die Waffen.

Endlich standen neue, ausgeruhte und kräftige Pferde in den

Geschirren.

Ted Riley schwang sich auf den Bock, wartete auf Jack

Vance, den Begleiter und brüllte: »Es geht weiter Leute, in die
Ebene hinab, zu den Apachen. Bereitet euch darauf vor, gegen
eine Meute blutgieriger Teufel zu kämpfen. Hoooo, zieht an,
ihr Böcke!«

Die Kutsche rollte zum westlichen Hang des Passes.

Knirschend drehten sich die Eisenreifen auf dem felsigen
Boden.

Larry sah Jeffords' sorgenvolles Gesicht.
»Thomas steckt mächtig in der Klemme«, sagte Osborne zu

seinem Freund.

Sie kannten sich schon lange, auch den Postmeister. In

Kansas waren sie vor Jahren zum erstenmal
zusammengetroffen. Die beiden Revolverkämpfer blieben
unzertrennlich. Und als Jeffords Hilfe benötigte, holte er seine
beiden verwegenen Freunde, die er als ausgezeichnete Kämpfer
in Erinnerung behalten hatte.

Gleichmütig saß Haggerty in der Ecke. Er spürte förmlich,

daß diese Fahrt ungewiß enden würde, daß ein harter Kampf
auf sie wartete. Wie alle Männer der Wildnis verfügte der
Scout über einen feinen Instinkt für Gefahr, für Situationen, die
ihm das Leben kosten konnten.

Und seine Ahnungen ließen ihn nie im Stich, täuschten ihn

niemals. Daher war er sicher, daß die Apachen bereits auf der
Lauer lagen, die Beute erwarteten.

Langsam rollte der Wagen die Straße zur großen Ebene

background image

34

hinab. Immer wieder zügelte Ted Riley die Pferde, die
voranstürmen wollten, denn nun fuhr die Last hinter ihnen fast
von allein.

Aber der Kutscher wußte, daß die Kraft der Tiere unten

gebraucht wurde. Wenn es darum ging, den Angreifern
davonzufahren, benötigten die Deichselgäule jede Menge
Energie.

Die Butterfield-Kutsche erreichte das flache Land, das im

grellen, heißen Schein der Mittagssonne lag. Überall blitzten
Sandkristalle auf, waberten Hitzeschleier über den
festgebackenen Boden und gaukelten den Männern auf dem
Bock Trugbilder vor.

Riley und Vance kannten sich in diesem Gebiet aus. Sie

fielen nicht mehr auf die Visionen von weiten, flachen
Lagunen herein, die so manchem Greenhorn zum Verhängnis
wurden.

»Wann kommen die roten Brüder?« fragte der mundfaule

Jack.

»Bald, wenn sie kommen«, antwortete Ted und packte die

Zügelriemen fester.

Es sollte nicht mehr lange dauern.
Der Hang des Passes lag vielleicht fünf oder sechs Meilen

hinter der Kutsche, als es geschah.

Ein Dutzend mächtige Orgelpfeifenkakteen erweckte Jacks

Aufmerksamkeit. Als er letzte Woche diese Strecke gefahren
war, standen diese Gewächse noch nicht hier. Und es war
unmöglich, daß ein Kaktus innerhalb von sieben Tagen
derartige Ausmaße erreichte.

»Es geht los«, sagte Jack Vance in normaler Lautstärke. »Die

Kakteen, Ted. Sie waren vor 'ner Woche noch nicht hier.«

Durch das Knarren der Räder und Schnauben der Pferde

hörten die Männer auf dem Bock, daß die Passagiere ihre
Waffen schußbereit machten. Das metallische Schnappen der
Gewehrhähne drang durch die kleine Öffnung, die mit Glas

background image

35

verschlossen gewesen war, als die Kutsche neu aus der
Stellmacherei gekommen war. Inzwischen hatte eine
Kriegslanze der Apachen das kleine Fenster zertrümmert.

»Fahren wir weiter oder stellen wir uns?« wollte Ted Riley

wissen.

»Wir warten ab«, erwiderte Haggerty. »Wenn's zu wild wird,

werft ihr euch unter den Wagen, klar?«

»Okay, mach dir mal keine Sorgen um uns, Scout«, erwiderte

Ted.

Und dann kamen sie!
Die Wüste spuckte eine Horde roter Männer aus. Sie fuhren

aus dem Sand hoch wie Kistenteufel, über die sich Kinder auf
dem Jahrmarkt amüsierten.

Aber dies hier war kein Spaß. Dies war tödlicher Ernst.
Mehr als vier Dutzend Apachen stürmten vor. Hinter einer

Bodenwelle tauchten Mustangs auf. Noch mehr Indianer
griffen an.

Schrille Kriegsschreie erschütterten die Luft. Immer wieder

gellte der Ruf auf: »Zastee! Tötet!«

»Ich nach hinten«, rief Haggerty und stieß das Glas des

Heckfensters mit dem Gewehrlauf aus dem Rahmen.

Schüsse peitschten scharf und grell. Die Kugeln schlugen in

den Wagenkasten, fetzten Holzsplitter heraus und prallten
jaulend von den eisernen Reifen der Räder ab.

»Noch nicht schießen«, befahl Buck den beiden Passagieren,

die ihre Revolver aus den Fenstern hielten. »Sie müssen noch
näher rankommen. Wir wollen ihnen einen Bleihagel
servieren.«

Pfeile zischten durch die Luft. Dumpf pochten die Geschosse

ins Holz. Ein Pfeil sauste durch das Fenster der linken
Wagentür, dicht am Gesicht des Alten vorbei, wischte dem
jüngeren Mann durch die Haare und sirrte durch die andere Tür
wieder ins Freie.

»Rote Hurensöhne«, brüllte der Alte und drückte ab.

background image

36

Ein Apache fiel zu Boden, als habe ihn eine gewaltige Faust

niedergestreckt. Das Kriegsgeschrei verstärkte sich. Wutgeheul
klang auf, als der erste Krieger sein Leben verlor.

»Los, drauf!« brüllte John Haggerty.
In rasender Folge jagte er Kugel um Kugel aus dem Lauf.

Immer wieder pumpte er mit dem Unterhebel frische Patronen
ins Lager.

Verschossen!
»Anhalten!« brüllte der Scout, als die Apachen nicht

aufgaben.

Kreischend radierte der Bremsklotz über den Eisenreifen und

gab eine Funkenspur frei, die dicht vor Larrys Gesicht
entlangfegte.

Haggerty lud seine Winchester auf. Als er die Waffe wieder

schußbereit in den Fäusten hielt, entdeckte er Geronimo. Der
Mimbrenjo saß auf einem gelben Pferd, das ein Stück abseits
der Krieger stand.

»Verdammt, Old Vic ist auch dabei«, sagte der Scout.
»Was heißt das?« rief der jüngere Passagier durch das

Krachen der Schüsse.

»Daß nicht nur Rebellen in diesem Trupp sind« antwortete

Haggerty. »Victorio beteiligt sich ganz offen an dem Kampf.
Er legt es wohl drauf an, den Krieg wieder richtig aufflammen
zu lassen.«

Unter dem Wagen donnerte eine Schrotflinte, als sei ein

Feldgeschütz abgefeuert worden. Die Ladung gehackter Nägel
prasselte zwischen eine Rotte von einem halben Dutzend
angreifender Apachen, deren Mustangs grell wiehernd
ausbrachen.

»Hufnägel, jawohl!« brüllte Jack Vance, »kleingehackte

Hufnägel gebe ich euch zu fressen, ihr verfluchten Hunde!«

Buck und Larry hatten sich ebenfalls verschossen. Ehe sie

die Gewehre aufladen konnten, jagte ein weiterer Reitertrupp
heran. Die beiden Kämpfer zogen die Colts und belegten die

background image

37

Angreifer mit rasend schnellem Feuer. Jede Kugel forderte ein
Opfer. Krieger fielen aus den Sätteln, tot oder verwundet,
Pferde brachen zusammen, steilten auf, jagten grell wiehernd
davon, und die Luft wurde von einem dumpfen Geruch nach
Blut und Schweiß durchzogen.

Noch eine Salve benötigten die Männer in der Kutsche.

Unter dem Wagen dröhnte die Flinte des Beifahrers, und die
Spencer des Kutschers hämmerte in gleichmäßigem Takt.

»Sie ziehen sich zurück!« brüllte der Alte. »Die haben

einstweilen genug. Ha, wenn wir so weitermachen, gibt's bei
den Roten bald nur noch Squaws und Kinder.«

Haggerty lud seine Waffen auf. Die Finger verrichteten ihre

Arbeit automatisch, wahrend der Scout hinter den Apachen
herspähte, die sich in jagendem Galopp entfernten. Tote und
Verwundete ließen sie einstweilen liegen.

Die Apachen wußten, daß die Bleichgesichter den Ort des

Überfalls so schnell wie möglich verlassen würden. Dann
hatten sie Zeit genug, ihre Gefallenen und Verletzten zu
bergen.

»Diese Kerle sind verdammt schlau«, sagte Haggerty zu den

beiden Fahrgästen. »Vielleicht probieren sie noch ein- oder
zweimal einen Überfall. Werden sie wiederum abgeschlagen,
ändern sie ihre Methode. Dann geht's Farmern und Ranchern
an den Kragen. So ist das hier, Mister.«

Ted und Jack krochen unter dem Wagen hervor, öffneten die

Türen und blickten in den Passsagierraum.

»Na, alles okay?« fragte der Fahrer.
»Keiner verletzt«, erwiderte Buck Tinatra, »wollt ihr hier

Wurzeln schlagen? Fahrt doch endlich weiter. Oder haben die
Gäule was abbekommen?«

Sofort knallten die Fahrer die Türen zu und liefen zu den

Pferden. Zwei der Tiere hatten Streifschüsse davongetragen.
Die flachen Wunden verkrusteten bereits und bedurften keiner
Behandlung.

background image

38

Kaum eine Minute später zogen die Pferde wieder an. Die

Kutsche rollte weiter, auf Tombstone zu.

Geronimo und sein Häuptling Victorio hingegen zogen sich

in ihr Bergversteck zurück, um die Wunden zu lecken. Die
Toten mußten bestattet, die Lieder mußten gesungen werden,
ehe die Rotte erneut auf Raubzug ausgehen durfte.

Cochise und Naiche saßen noch lange auf ihren Pferden.

Hoch oben in den Bergen, durch die der Apache Paß als
einzige Verbindung für Kutschen führte, vermochten die
beiden Chiricahuas die weite Ebene zu übersehen.

»Sie sind zurückgeschlagen«, sagte Cochise gelassen.

»Vielleicht ist ihnen das eine Warnung. Vielleicht erkennen
sie, daß ein Krieg gegen die Bleichgesichter bereits verloren
ist, ehe er richtig begonnen hat.«

»Wir müssen wie die Schlange zuschlagen, mein Vater«,

sagte Naiche, der dem Kampf mit innerer Erregung gefolgt
war. »Wir sind Apachen, uns gehört die Wüste. Und wir
müssen kämpfen wie seit Jahrhunderten, dann besiegen wir die
Bleichgesichter.«

Lächelnd schüttelte der Jefe den Kopf, eine Geste, die er den

Weißen abgeschaut hatte.

Naiche war noch zu jung, besaß zu wildes Blut. Für jedes

Bleichgesicht, das starb, drangen drei neue in den heißen
Südwesten vor. Aber die Apachen vermochten ihre toten
Krieger nicht so einfach zu ersetzen.

*

»Ich bin gespannt, ob die Kutsche durchkommt«, sagte der
hochgewachsene Wyatt Earp zu seinem Bruder Virgil.

Der antwortete nicht. Seinem runden Gesicht war nicht

anzumerken, ob ihn die Kutsche der Linie überhaupt
interessierte. Kaum jemand vermochte die Augen der Männer
zu sehen. Sie lagen tief in den Höhlen, und die Knochen unter

background image

39

den Brauen beschatteten sie.

Die beiden Earps lehnten neben der Station der Overland

Mail an zwei Pfosten, die das Dach des Gehsteiges trugen.

»Mach dir lieber Gedanken darüber, wie wir

weiterkommen«, sagte Virgil träge. »Allmählich betrachten uns
die Burschen hier mit Mißtrauen.«

Wyatt grinste verwegen und erwiderte: »Verstehe ich gar

nicht. Weil wir ab und zu mal Glück im Spiel haben, mehr
Glück als andere, sehen uns die Narren schief an.«

»Das ist es nicht allein«, sagte Virgil. »Uns sind in letzter

Zeit ein paar Sachen fehlgeschlagen. Denk an unseren Ruf. Wir
sind hart und verwegen, kämpfen für die Menschen hier. Mann,
wir brauchen doch irgendwas Festes, eine Basis. Wir können
doch nicht bis ans Ende unserer Tage von den Karten leben.«

Wyatt antwortete nicht. Er war davon überzeugt, daß die

Glücksgöttin auf ihrer Seite stand. Bisher war sie eben noch
nicht aus dem Schatten hervorgetreten. Aber sie würde
erscheinen, dessen war sich der junge Wyatt Earp gewiß.

»Da, die Kutsche!« sagte er laut und deutete mit dem Kinn

nach Osten. »Sie sind wahrhaftig durchgekommen.«

Er fuhr sich prüfend über das zurückgekämmte braune Haar

und betastete mit den Fingerspitzen den Schnurrbart.

»Erwartest du 'ne schöne Lady?« fragte Virgil spottend.
»Wer weiß«, erwiderte Wyatt, »vielleicht rollt dort ein

Goldvögelchen heran, das nur auf mich gewartet hat.«

Virgil lachte glucksend. »Die haben's aber dick bekommen«,

sagte er, als er die Kutsche genauer sah.

Hell glänzten die Spuren der Kugeln im Holz. Splitter

stachen halb abgebrochen nach außen, und mindestens ein
Dutzend Pfeile steckten noch im Wagen.

Menschen liefen zusammen und starrten zu dem Wagen der

Butterfield Line. Der Fahrer brachte ihn vor dem Depot zum
Stehen, indem er die Deichseltiere zügelte und gleichzeitig die
Bremse anzog.

background image

40

»Tombstone, alles aussteigen«, brüllte Ted Riley, »der Spaß

ist zu Ende, Gentlemen. Sie sind im wildesten Nest des
Südwestens angelangt. Für Dollars können Sie hier alles
bekommen, was sich ein Mensch nur auszudenken vermag.«

»Gentlemen, hast du gehört?« fragte Virgil seinen Bruder.

»Keine schöne Lady für uns, Wyatt.«

Der jüngere Earp zog nur die Schultern hoch.
Die Wagentür flog zurück. Haggerty sprang in den Staub der

Straße. Larry Osborne und Buck Tinatra folgten ihm. Alle drei
Männer trugen Gewehre in den Händen.

»Sieh dir mal diese nachgemachten Heldensöhne an«, rief

Wyatt Earp laut seinem Bruder zu. »Der mit dem schwarzen
Haar denkt, er könnte mit dem Colt umgehen.«

»Die anderen sind auch nicht besser«, sagte Virgil

geringschätzig. »Der Wüstenwolf findet sich vielleicht im Sand
zurecht und kann damit werfen, ansonsten ist doch nicht viel
mit ihm los.«

»Er ist aber ein Indianerfreund, Bruder, weißt du das nicht?«

sagte Wyatt noch lauter. »Wer weiß, vielleicht bekommen die
verdammten Rothäute von ihm die guten Tips, wo es was zu
holen gibt.«

Larry Osborne wandte sich den Earps zu, denen sie bereits

mehrmals begegnet waren. Fast immer hatten die Männer auf
verschiedenen Seiten gestanden. Alle Aktionen der beiden
Brüder waren fehlgeschlagen. Sie hatten sich zwar einen
Namen gemacht, aber keinen Ruf dabei erworben. Sie hatten
sich in letzter Zeit zu ihrem Nachteil verändert.

»Du Maulheld«, sagte Larry verächtlich, »alles, was du

kannst, ist, die Lippen zu bewegen und dumm zu krächzen.
Verschwinde doch in einem Saloon, Wyatt Earp.«

Der hochgewachsene Mann spannte sich, machte einen

kurzen Schritt und stand am Rande des Gehsteiges. Wyatts
Rechte schwebte dicht über dem Griff des Revolvers.

»Sieh mal, Buck, er versucht sich als Revolvermann«, rief

background image

41

Larry und lachte verächtlich auf. »Er steht da, wie einer, der
gerade in die Hose gemacht hat.«

Earp preßte die Lippen zusammen. Das reichte. Diesem

großmäuligen Kerl wollte er eine Lektion erteilen.

»Er ist doch nur ein Coltschwinger, zweitklassig«, sagte

Buck Tinatra. »Vielleicht kann er mit den Karten tricksen, aber
das ist auch alles. Er ist doch nur ein Betrüger und Kartenhai
Larry. Laß ihn doch spinnen.«

»Halt!« rief Wyatt scharf. »So kommt ihr mir nicht davon.«
Virgil glitt einen Schritt zur Seite. Von der Trägheit seiner

sonstigen Bewegungen war nichts mehr zu sehen.

Die beiden Passagiere kletterten aus der Kutsche,

betrachteten die Situation und wichen seitlich aus. Eine
Schießerei schien unvermeidlich zu sein.

»Los jetzt«, sagte Wyatt Earp scharf, »ich will es wissen, ihr

nachgemachten Revolvermänner.«

»Das sieht dir ähnlich«, erwiderte Larry. »Warum fährst du

denn nicht mal in einer Kutsche mit? Dann hast du Gelegenheit
genug, dich abzukühlen und deine Schießkünste zu zeigen.«

»Die besitzt er doch nicht«, warf Buck ein.
John Haggerty griff ein. Er wußte, daß sich Tinatra und

Osborne nicht mit den Earps vertrugen. Diese Männer waren
wie Feuer und Wasser. Obwohl sie alle über Mut und
Verwegenheit verfügten und vielleicht ausgezeichnete Kämpfer
waren, bestand gegenseitig eine merkwürdige Abneigung.

So war das eben in diesen Zeiten: Männer trafen sich,

spürten, daß sie zueinander paßten und trailten gemeinsam
Monate oder Jahre durch das wilde Land.

Verspürten sie aber Abneigung, gingen sie sich aus dem

Weg. Nur war das hier nicht möglich. Denn immer wieder
stießen Osborne und Tinatra auf die Earps.

John Haggerty marschierte einfach vorwärts, stellte sich

genau in die Schußlinie und zog die Winchester an die Hüfte.

»Verschwinde, du Wüstenratte«, sagte Virgil laut, »oder du

background image

42

bekommst auch Blei zu schmecken.«

»Schluß damit«, befahl der Scout scharf. »Ihr seid wohl

übergeschnappt. Wir haben unterwegs gegen vier Dutzend
blutgierige Apachen gekämpft, und ihr fangt hier einen
sinnlosen Streit an. Wenn ihr Abkühlung braucht, reitet doch in
die Ebene hinaus. Ich bin sicher, daß ihr eine Menge Spaß
bekommt. Vor allem jetzt, da die Apachen ihre Wunden
lecken. Zwei Skalps wie eure kommen ihnen gerade recht.«

Larry und Buck nickten sich zu. Sie drehten sich um und

stapften zum Eingang des Depots. Sie ließen die Earps einfach
stehen. Wenn die Brüder jetzt feuerten, war das Mord. Und das
würden sie nicht wagen, denn zu viele Menschen warteten auf
den Ausgang des Streites.

Als Tinatra und Osborne im Depot verschwunden waren,

wandten sich Wyatt und Virgil ab. Langsam gingen sie davon
Die Zuschauer zerstreuten sich. Eigentlich waren sie alle
gekommen, um die zerschossene, beschädigte Kutsche
anzustarren. Doch dann war ihnen noch bessere Unterhaltung
geboten worden.

*

Haggerty wartete, bis die kampflustigen Earps in einem Saloon
verschwanden, ehe er in die Station ging.

Larry und Buck berichteten bereits, was geschehen war. Die

Kutsche sollte erst ausgebessert werden, bevor sie weiterfuhr.
Bei ihrer Rückkehr nach Tombstone würden Haggerty und die
beiden Streckenreiter der Linie wieder bis zum Apache Paß
mitfahren.

Denn John glaubte, daß der gefährlichste Abschnitt die große

Ebene zwischen den Chiricahua Mountains und der Minenstadt
war.

Die Männer überprüften ihre Waffen, ergänzten die

Munitionsvorräte aus dem Lager der Kutschenlinie und

background image

43

beratschlagten, wie sie den Abend verbringen sollten.

»Wir nehmen ein paar Whiskys in einem Saloon«, schlug

Larry vor. »Wird sicher Spaß machen, mal wieder Musik zu
hören und zu sehen, wie die Goldsucher die Saloonschwalben
über die Tanzfläche schwenken.«

»Wie sie ihnen auf die Füße treten, meinst du wohl«,

erwiderte Buck.

Auch Haggerty war einverstanden. Schlafen würden sie im

Depot. Das Hotelzimmer konnten sie sich sparen.

Am frühen Abend, nachdem sich die drei Männer den Staub

aus den Kleidern geklopft hatten, gingen sie auf die Allen
Street.

»Norden oder Süden?« fragte Buck Tinatra grinsend.
»Süden? Du mußt übergeschnappt sein«, erwiderte Larry.

»Denkst du, ich will vertrockneten Ladies beim Einkaufen von
Nähgarn zuschauen? Zur Nordseite, Partner. Dort ist was los!«

So war es wahrhaftig. Die Allen Street bildete die Grenze

zwischen den sogenannten ordentlichen, ehrbaren Bürgern und
dem Teil der Stadt, in dem zügelloses Leben herrschte.

Südlich gingen die Pfeffersäcke ihren täglichen Geschäften

nach. Aber auf der anderen Seite der Straße standen Saloons,
Spielhöllen und Tanzhallen dicht an dicht, denen sich das
Viertel der willigen Girls anschloß.

In Tombstone war wirklich für Geld alles zu haben, was ein

Mensch nur begehren konnte.

Larry steuerte auf Billy Kings Saloon zu. Er gehörte zu den

etwas besseren Amüsierpalästen, besaß sogar eine erste Etage,
in dem King wohnte. Seine Angestellten und Tanzgirls lebten
ebenfalls dort oben in kleinen Zimmern, die er ihnen
vermietete.

Die eleganteste Gestalt im Saloon war ohne Zweifel Charley

Recanzone. Er vereinigte die Fähigkeiten eines großartigen
Barkeepers mit denen eines gerissenen Spielers.

Als Larry, Buck und Haggerty eintraten, ein paar Sekunden

background image

44

lang bewundernd die prachtvolle Einrichtung musterten, spielte
Charley gerade Bankhalter an einem mit grünem Filz
bezogenen Kartentisch.

»Auch das noch, die Earps«, sagte Larry, als er die

Pokerpartner am Tisch gemustert hatte. »Ich wette, es gibt
wieder Ärger.«

»Aber nicht mit uns, Freunde«, sagte Haggerty entschlossen.

»Wir halten uns raus. Immerhin ist unser Job wichtiger als alles
andere.«

Recanzone zwirbelte seine Schnurrbartenden, ehe er die

Karten zusammenfegte und in rasendem Tempo mischte. In
gleichmäßigem Takt flogen die Kartonstückchen über den Filz
und landeten genau eine Handbreit vor den Spielern.

Es ging um eine Menge Dollars, stellte Buck fest, der vom

Tresen aus immer wieder zum Pokertisch hinüberschielte.

Das Orchestrion hämmerte plötzlich los. Sofort stürzten sich

zwanzig schmutzige Digger auf die Tanzgirls. Sekunden später
stampften die vergnügungssüchtigen Goldsucher über die
Tanzfläche. Die Mädchen kreischten, wenn ihre Partner ihnen
auf die Zehen traten oder dorthin kniffen, wo sich die
Rundungen besonders angenehm anfühlten.

Recanzone gewann die Partie für die Bank und strich die

Dollars ein. Immer mehr Betrieb herrschte an der Theke.
Charleys Geschick wurde erforderlich, die übrigen Keeper so
zu leiten, daß sie alle Wünsche der Gäste erfüllten. Er
verabschiedete sich von seinen Pokergegnern und ging zum
Tresen.

Die Earps hatten verloren, ziemlich viel sogar. Verdrossen

hantierte Wyatt mit den Karten, ließ sie von der linken in die
rechte Hand flirren und blickte sich um.

Unter dem Tisch stieß er gegen den Fuß seines Bruders.

Virgil blickte auf und schien sofort zu wissen, was Wyatt
vorhatte. Ein zerlumpt gekleideter Digger schaute geradezu
gierig auf die Karten.

background image

45

Larry, Buck und Haggerty verstanden nicht, was am

Spieltisch gesagt wurde. Der Lärm des Orchestrions übertönte
auf diese Entfernung die Worte der Männer.

Der Zerlumpte setzte sich, nachdem er einen prall gefüllten

Lederbeutel gezeigt hatte. Ein weiterer Goldsucher holte vom
Tresen die Waage, die in dieser Zeit in jedem Saloon der
Boomtown Tombstone zu finden war. Oft genug bezahlten die
Digger ihre Drinks mit Goldstaub oder Silberbrocken. Und
manch ein Barkeeper hatte die Grundlage zu seiner weiteren
Existenz damit gelegt, daß er seine Fingernägel besonders lang
wachsen ließ, damit immer etwas Staub oder Goldflitter
hängenblieb, wenn er eine Prise zum Wiegen aus den Beuteln
der Prospektoren nahm.

Außer den Earps saßen weitere drei Männer am Kartentisch.
Wyatt mischte fast so geschickt und schnell wie vorhin

Charley Recanzone und teilte die Karten aus. Eine Weile
wanderten die Gewinne hin und her. Plötzlich aber steigerte
Virgil immer höher, drückte selbst seinen Bruder aus dem Spiel
und saß schließlich nur noch einem Spieler gegenüber, der
eisern mithielt.

Endlich lagen die Karten auf dem Tisch. Virgil Earp deckte

vier Könige und ein As auf.

Unendlich langsam stand der zerlumpte Goldgräber auf,

schlug seine hüftlange Jacke zurück, die eigentlich nur noch
aus Löchern bestand, und riß den Colt aus dem Halfter.

»Du verdammter Betrüger!« brüllte der Digger, »wie kannst

du ein As auf der Hand halten, wenn ich alle vier Asse habe?«

Virgil Earp saß reglos. Seine Hände lagen auf dem Filztuch.

Dies war Wyatts Sache. Er mußte eingreifen, denn bewegte
Virgil auch nur eine Fingerspitze, drückte der wütende Digger
sicher ab.

»Diese verdammten Falschspieler«, sagte Larry Osborne

zornig und verächtlich zugleich. »Sie bringen die Hölle über
Tombstone.«

background image

46

»Dabei passiert hier doch schon genug«, warf Buck Tinatra

ein, »Mensch, was regst du dich so auf?« fragte Wyatt Earp
laut und lenkte den Digger für den Bruchteil einer Sekunde ab.

Virgil warf sich zur Seite. Auf eine solche Gelegenheit hatte

er gewartet und nutzte seine winzige Chance.

Der Prospektor drückte ab. Dumpf wummerte der Colt. Die

Kugel durchschlug die Rücklehne des Stuhles. Beißender
Pulvergestank wölkte auf, überdeckte den Geruch von Bier,
Whisky und Schweiß.

Charley Recanzone hielt es nicht mehr hinter dem Tresen.

Der Keeper und Spieler eilte mit langen Schritten zum
Kartentisch.

»Misch dich nicht ein«, brüllte der Digger. »Als du die

Karten gabst, ging alles mit rechten Dingen zu. Dieser
verfluchte Falschspieler aber versucht es mit dreckigen
Tricks.«

»Das ist vielleicht ein Narr«, murmelte Larry Osborne. »Als

ob auch nur ein einziger Gambler fair spielt. Kein Mensch hat
'ne Chance gegen die Kartenhaie.«

Wyatt hielt plötzlich seinen Colt in der Rechten.
»Wenn du spannst, Maulwurf«, sagte der schnurrbärtige

Mann, »bekommst du die Kugel. Verstanden?«

Der Daumen des Diggers lag auf dem Hahnsporn des alten

Schwarzpulvercolts. Unsicher blickte der Goldsucher die
Brüder Earp an. Er entdeckte in ihren Blicken eine Gewißheit,
die ihn zögern ließ.

»Ihr seid Betrüger«, sagte er laut. »Jemand soll den Marshal

holen.«

Virgil glitt etwas schwerfällig zur Seite, gelangte neben den

Prospektor und zog seinen Revolver.

Die Unruhe im Gesicht des Mannes wich dem Ausdruck der

Furcht.

»He, ihr alle spielt doch Poker!« rief der Digger. »Zeigt den

Burschen eure Colts. Wir sind doch kein Freiwild für die

background image

47

Gambler.«

Haggerty kam die Situation etwas merkwürdig vor. Er traute

den Earps nicht. Aber war der Digger besser? Er benahm sich
überhaupt nicht siegessicher, als sei er seiner Sache gewiß.
Genausogut konnte der Goldsucher ein paar Karten zuviel ins
Spiel geschmuggelt haben und versuchte nun, den Earps die
Schuld aufzuladen.

Virgil bewegte sich plötzlich sehr schnell. Sein Arm zuckte

hoch, wieder herab und der Digger sank zusammen, als er den
Lauf an den Kopf geschmettert bekam.

»Damit ist das wohl erledigt«, sagte Virgil kalt.
Wyatt bedrohte die übrigen Gäste mit seinem Revolver,

schien nur darauf zu lauern, daß sich jemand einmischte.

Und dann sah er Osborne, Tinatra und Haggerty.
»Ihr hockt einfach da rum«, schrie Wyatt, »ihr denkt gar

nicht dran, irgendwas zu unternehmen, wie?«

Buck Tinatra wollte hitzig aufbegehren. Er versteifte sich,

seine Finger klammerten die Tischplatte, aber Haggerty hielt
Buck zurück.

»Warum sollen wir uns in eure Angelegenheiten mischen?«

fragte der Scout ruhig. »Vor ein paar Stunden habt ihr beide
uns noch beschimpft. Und jetzt erwartet ihr Hilfe von uns?«

Wyatt atmete ein paarmal tief und erwiderte: »Das ist doch

was anderes. Ihr kennt mich doch so gut, daß ihr wißt: wir
betrügen nicht.«

Haggerty lächelte bitter und antwortete: »Was ich von dir

kenne, Wyatt Earp, hilft dir nicht. Du bist nicht gut für dieses
Land und für die Indianergrenze im Südwesten. Etwas anderes
weiß ich nicht.«

Virgil Earp schien sich nicht für das Gespräch zu

interessieren. Der kräftige Mann bückte sich und durchsuchte
die Taschen des bewußtlosen Goldsuchers.

»Da!« rief Virgil, »und hier auch noch mal! Seht euch das

an. Und dieser verdammte Bursche wollte uns Betrug

background image

48

unterschieben.«

Der ältere Earp warf ungefähr ein Dutzend Karten auf den

Spieltisch, die er dem zerlumpt gekleideten Prospektor aus den
Taschen gezogen hatte, oder war es nicht so gewesen?

Niemand vermochte das zu sagen. Denn jeder Gast und die

Keeper waren dem Gespräch zwischen Wyatt und Haggerty
gefolgt, niemand hatte Virgil beobachtet.

»Geht uns aus dem Weg«, sagte Larry Osborne, »wir haben

einen Job. Ihr dagegen setzt auf das Glück. Das verträgt sich
nicht.«

»Hast du was dagegen?« wollte Wyatt grinsend wissen.
»Nein, aber es paßt nicht zu uns«, erwiderte Larry. »Wir sind

hier, um die Strecken zu sichern. Ihr treibt euch herum wie
Satteltramps, lauert auf 'ne Chance, damit ihr endlich Fuß
fassen könnt. Das ist nicht unsere Art.«

»Du bist ein Pfeffersack!« rief Wyatt, »ja, im Grunde deines

Herzens bist du nichts anderes als ein Krämer oder
Tintenkleckser. Und Kerle wie du wollen die Kutschen
schützen? Da lache ich aber drei Monate lang.«

»Paß nur auf, daß dir die Luft dabei nicht ausgeht«, erwiderte

Buck grinsend. »Nicht, daß es um dich schade wäre, aber du
drehst doch sicher durch, wenn du um Atem ringst.«

Wyatt lief rot an, schien kurz vorm Platzen zu stehen. Diese

verdammten Coltschwinger bildeten sich wahrhaftig zuviel ein.
Vielleicht waren sie wirklich gut, vielleicht sogar
hervorragende Schützen. Aber genau das machte Wyatt
mächtig zu schaffen. Er vertrug keine Konkurrenz, wollte
zeigen, daß er der Beste, der Größte war.

»Gehen wir«, sagte John Haggerty ruhig.
Er warf ein paar Münzen auf den Tisch und stand auf.
»Natürlich, es wird haarig, und der Scout verschwindet«,

hetzte Wyatt. »Was bist du eigentlich, Haggerty, ein Scout, ein
Kämpfer oder 'ne Wüstenratte, die sich feige verkriecht, wenn
es Verdruß gibt?«

background image

49

Lächelnd wandte sich der Chiefscout dem jungen Earp zu

und erwiderte: »Ich bin ein Mann, Jungchen. Das willst du erst
werden. Und ich prophezeie dir, daß du mal ein guter Mann
wirst. Alles, was du jetzt erlebst, wird dich formen und prägen.
Du darfst nur nicht zulassen, daß du auf die andere Seite des
Zaunes gerätst. Das wäre dein Untergang.«

Wyatt Earp starrte den mehr als sechs Fuß großen Scout

unsicher an. Der junge Kämpfer spürte, daß John seine Worte
ernst gemeint hatte. Aber Wyatt wußte nichts damit
anzufangen.

Wie sollte er auch ahnen, daß er in wenigen Jahren schon in

Tombstone das Gesetz vertreten würde? Daß die zwielichtigen
Gestalten, zu denen er heute eigentlich selbst noch gehörte,
ihm mit großem Respekt aus dem Weg gehen würden?

Larry Osborne und Buck Tinatra, die beiden

Revolverkämpfer aus Kansas, standen ebenfalls auf. Ihnen war
der Spaß am Abend verdorben. Den Earps waren sie sowieso
nicht grün, und der Zwischenfall in Billy Kings Saloon rief
keine freundlicheren Gefühle in ihnen für die Earps wach.

Buck, Larry und John Haggerty warteten auf die Kutsche.

Auf der Rückfahrt in Richtung Apache Paß würden sie wieder
die Begleiter sein. Denn Geronimo und sein Chief Victorio
lauerten in der weiten Ebene zwischen den Dragoon und den
Chiricahua Mountains, im Gebiet also, über das eigentlich
Cochise herrschte, das seine engere Heimat war.

*

Die Sonne stand als blutroter Ball über dem westlichen
Horizont. Feuer glühten wie lodernde Augen durch die
schmalen Hochtäler der Gebirgsketten. Männer mit braunroter
Haut kauerten vor den Flammen, rösteten Fleisch, legten
erbeutete Maiskolben in die Glut und warteten darauf, daß sie
essen konnten.

background image

50

Unruhe entstand im Kreis der Krieger, waberte wie eine

Flammenlohe durch die Reihen der Kämpfer. Das Gemurmel
schwoll an. Unmut brach aus den Kriegern heraus. Sie wagten
offene Kritik an ihren Führern.

Ein untersetzter Apache, ein Mimbrenjo, stand auf. Er

verneigte sich gegen alle vier Himmelsrichtungen, grüßte
Himmel und Erde, ehe er sprach.

»Geronimo«, rief er laut, »du hast uns Beute, Skalps und

heißen Kampf gegen die Bleichgesichter versprochen. Allein
der Kampf blieb von deinem Versprechen. Kein Skalp weht im
Rauch der Hütten, keine Beute liegt neben den Feuern. Aber
Bu, der Bote des Todes, fliegt eifrig von unserem Leben in das
jenseitige Land und kündet dort von den Männern, die ihr
Leben ließen.«

Der untersetzte Krieger schwieg. Er vermochte nichts mehr

zu sagen, seine Anklage gegen den selbsterwählten Führer
nicht weiterhin in Worte zu fassen.

Ein zweiter Krieger stand auf. Er wirkte verwegen, wild.

Obwohl er die meisten Apachen um mehr als Haupteslänge
überragte, klang zustimmendes Gemurmel auf, als er seine
Rede begann.

»Ich bin ein Mimbrenjo«, sagte der Krieger, »ich weiß, daß

ich früher ein Sklave des Stammes war, daß die Krieger mich
als kleines Kind im Land der Gelbhäutigen raubten. Jetzt bin
ich ein Mimbrenjo. Ihr alle kennt meinen Namen. Doppelwolf
heiße ich, weil ich zwei Wölfe sah, die aus einem entstanden,
als ich in der Wüste hungerte. Und wie zwei Wölfe möchte ich
zuschlagen, wenn es gegen die Bleichgesichter geht. Und wie
die anderen Krieger glaube ich, daß wir reiche Beute machen
können. Aber nicht, wenn wir die rollenden Jacales überfallen.
Die Männer der Wagenlinie sind mißtrauisch. Heute bezahlten
wir mit Blut dieses Mißtrauen, Geronimo. Morgen sterben wir,
wenn wir weiterhin die rollenden Hütten angreifen. Das ist es,
was ich sagen wollte. Es ist gut so, denn ich weiß, daß unsere

background image

51

Führer uns zu reicher Beute und zu Skalps führen werden.«

Victorio, der wilde Führer der Mimbrenjos, triumphierte

innerlich. Sein Widersacher Geronimo, der ehrgeizig nach der
Macht strebte, bekam seine Schranken gezeigt.

Geronimo hob beide Hände, wartete, bis die Krieger

schwiegen und rief in merkwürdigem Singsang: »Unsere
Götter sind uns wohlgesonnen. Ich hörte ihre Stimmen. Wenn
die Sonne stirbt, entdecken wir die Götter, welches unser
nächstes Ziel sein muß. Krieger, ihr habt tapfer gekämpft. All
unsere Freunde jagen nun im besseren Land auf goldenen
Mustangs über die Halbwüste, verbringen ihre Zeit mit Jagd
und Spiel und sind glücklich, obwohl sie keine Beute zu ihren
Jacales brachten, obwohl die Squaws die Totenlieder singen.
Aber wir sind Apachen. Uns gehört dieses Land, die
Halbwüste. Und wir werden Beute machen, wie sie kein
Krieger zuvor errang. Das verspreche ich euch, ich,
Geronimo.«

Der Krieger hatte geschickt Zeit herausgeschunden. Er

blickte den Jefe an. Victorio, der ein gnadenloser Weißenhasser
war, lächelte leicht. Er wußte genau, daß Geronimo jetzt Hilfe
erwartete.

Einerseits sorgte Geronimo für die jungen wilden Krieger,

deren Blut heiß durch die Adern wallte. Andererseits strebte er
die Würde des Häuptlings an, die Führung der Mimbrenjos.

Und genau dies war der Zeitpunkt, an dem Victorio sein

Wissen und Können in die Waagschale warf.

»Hört mich an, ihr Krieger«, begann Victorio, »hört meine

Worte, denn ich bin der Chief des Stammes der Mimbrenjos.
Der große Geist, Usen, hat mir eingegeben, wie wir Beute
erreichen werden.«

Der wild aussehende Häuptling schwieg, blickte sich um und

stellte fest, daß er immer noch die Krieger in Bann zu schlagen
vermochte. Sie lauschten angespannt, erwartungsvoll, ja,
geradezu begierig.

background image

52

»Wir vollbringen zwei Dinge«, führte Victorio aus. »Einmal

tragen wir Unruhe und Kampf in das Land, das Cochise
beherrscht. Zum anderen stillen wir unseren Rachedurst und
machen die bleichgesichtigen Eindringlinge nieder. Gegen
Sonnenaufgang, zwei Reitstunden von den Bergen entfernt, in
denen Cochises Apacheria liegt, graben weiße Männer nach
Gold. Ihr alle kennt die Jacales dort.«

Abermals schwieg der Jefe der Mimbrenjos, beobachtete

seine Krieger und Geronimo. Der ehrgeizige Führer ließ sich
nichts anmerken. Und doch entdeckte Victorio in den dunklen
Augen des anderen Zorn. Zorn darüber, daß Geronimo nicht in
diese Siedlung eingefallen war, die wie auf dem
Präsentierteller lag wie eine Frucht, die sich jedermann nehmen
konnte.

»Schickt Späher aus«, befahl Victorio, »wir müssen wissen,

ob Maultiertrecks unterwegs sind, ob die Bleichgesichter
Verstärkung bekommen. Zählt die Männer und Frauen, die dort
leben, zählt die Donnerstöcke, die sie besitzen, damit wir die
Stärke unserer Gegner kennen. Und wenn wir dies alles wissen,
wollen wir angreifen. Angreifen und siegen, mit Skalps und
Beute in unsere Jacales zurückkehren.«

Die Krieger riefen ihre Begeisterung heraus. Ein paar

Männer improvisierten einen Gesang, der Victorio als den
größten aller Kriegsführer rühmte.

Geronimo saß mit untergeschlagenen Beinen reglos vor

einem Feuer. Dem Gesicht des Mimbrenjos war keine Regung
anzumerken. Und doch wußte der Jefe, daß der Zorn in dem
ehrgeizigen Krieger loderte.

Darum schoß Victorio gerade jetzt seinen zweiten Pfeil ab.
»Wir brauchen Krieger«, rief er, »Krieger und Weiber. Also

nehmen wir die weißen Squaws gefangen, treiben sie
zusammen wie Mustangs in den Tälern der Berge. Die Kinder
sollen Brüder unserer Kinder werden, sollen lernen, wie
Apachen zu leben, zu kämpfen und zu sterben. Unser Stamm

background image

53

muß stark werden, stärker als alle anderen Sippen. Nur wenn
wir mehr Köpfe vereinigen als die anderen, können wir die
Führung übernehmen und endlich zum großen Krieg gegen die
Weißen aufrufen und diesen Krieg gewinnen.«

Die Begeisterung riß Victorios Krieger zu schrillen Schreien

hin. Dumpfer Trommelschlag dröhnte plötzlich auf.
Getrocknete Kürbisse schlugen gegeneinander, und die Rasseln
zischten scharf. Das Jaulen einer Apachenfiedel fiel ein, und
ein Dutzend der roten Wüstenkämpfer stampfte im Takt der
Musik um die Feuer.

Doppelwolf, der Mexikaner, der als Kleinkind zu den

Mimbrenjos gekommen war, verspürte sein Blut schnell und
heiß pochen. Seine geheimsten Träume standen vor ihrer
Erfüllung. Denn Doppelwolf dachte zwar wie ein Apache,
kämpfte wie seine Brüder, vermochte jedoch den Frauen dieser
Rasse nichts abzugewinnen.

Wie oft schon hatte er bei den Kriegszügen nach Mexiko

gehofft, eine der schönen Senoritas zu erbeuten, sie in seine
Hütte zu führen und zur Frau zu nehmen.

Bisher war Doppelwolfs Wunsch nicht in Erfüllung

gegangen. Denn gerieten die Krieger in den Rausch des Tötens,
machten sie selbst vor Frauen und Kindern nicht halt.

Jetzt aber, da Victorio selbst von der Notwendigkeit

gesprochen hatte, den Stamm zu verstärken, witterte
Doppelwolf seine Chance. Und er würde sie zu nutzen wissen.

*

»Dieser verdammte Maulwurf spielte falsch«, sagte Wyatt Earp
zu seinem Bruder Virgil. »Er hatte Karten im Ärmel stecken.
Und uns wollten die Kerle nicht helfen.«

Virgil hob langsam die Schultern. Er wußte, daß es für sie

irgendwie falsch lief. Was sie auch anpackten, endete mit
einem Mißerfolg.

background image

54

»Hat keinen Sinn, noch länger zu bleiben«, sagte Virgil

gedehnt. »Die Burschen hier sind mißtrauisch.«

»Natürlich, aber warum laufen sie in die Saloons, in die

Spielhöllen?« fragte Wyatt erbittert. »Sie können doch nicht so
blöd sein. Sie müssen doch wissen, daß Charley Recanzone,
Dick Clark, Bones Brannon und all die anderen bekannten
Gambier bei fast jedem Spiel betrügen.«

Virgil lachte halblaut. Sicher, sein jüngerer Bruder hatte

schon recht. Aber er vergaß etwas bei seinen Überlegungen, in
seinem Zorn gegen die Pokerpartner im Minendistrikt.

»Sie sind bekannt hier, Bruder«, sagte Virgil, »sie gelten als

ehrenwerte Männer. Sie tragen feine Anzüge, Schleifen und
weiße Hemden. Sie gehen ins Badehaus und zum Barbier. Wir
dagegen sind nur Satteltramps, Wyatt. Wir lassen uns auf jedes
windige Geschäft ein, wenn wir 'ne Chance wittern. Die
Lösung ist ganz einfach, denk mal nach.«

Wyatt Earp dachte nach und gelangte zu einer

überraschenden Entdeckung.

»Wir kamen zu spät hierher«, sagte er. »Ja, das ist es. Die

anderen sind schon seit Beginn des Booms im Silber- und
Goldland. Und Dick Clark besaß bereits einen Haufen Dollars,
als er hier anfing. Das muß es sein, oder meinst du was
anderes?«

»Das ist es, Bruder«, erwiderte Virgil. »Und darum ist unsere

Chance hier verschwindend klein.«

Die beiden Earps erreichten die Plaza. Wie mächtige

Sonnenschirme wirkten die dichten Laubkronen der mächtigen
Bäume gegen den Nachthimmel. Sterne funkelten am
Firmament, und die Kerosinlaternen warfen gelbliche
Lichtkreise auf die Plaza.

Überall herrschte Betrieb, klangen die mechanischen

Klaviere und Orchestrions. Das Gekreische der Tanzmädchen
drang aus den Amüsierpalästen. Saloonschwalben schleppten
ihre allzu willigen Opfer in das Viertel der roten Laternen.

background image

55

Irgendwo feierten einige Dutzend Mexikaner eines ihrer

zahllosen Feste. Das Lärmen der Musikkapelle schwoll an,
übertönte alle anderen Geräusche und wurde wieder leiser.

»Aber nur hier finden wir unsere Chance«, sagte Wyatt Earp

nachdrücklich. »Das übrige Land ist tot, trocken und wird von
den Apachen beherrscht. Wo liegt unsere Möglichkeit? Hier,
Virgil, denn hier kommen die meisten Menschen zusammen. In
Tombstone rollt der Dollar.«

Virgil nickte. Er wußte wohl, daß sein Bruder recht hatte.

Doch ehe sie wirklich anerkannt wurden, benötigten sie einen
Ruf.

»Nicht nur der Dollar rollt hier«, sagte Virgil ruhig. »Auch

eine Menge Blei fliegt durch die Luft. In jeder Nacht stirbt
mindestens ein Mann, wird ausgeraubt oder beim Spiel getötet.
Der Sternträger schafft es nicht mehr. Und wir werden von
diesem Strudel mitgewirbelt.«

Der ältere Earp schwieg ein paar Minuten nachdenklich. Er

lehnte neben Wyatt mit dem Rücken an einem der mächtigen
Stämme auf der Plaza.

»Wir sollten eine Weile aus Tombstone verschwinden«, fuhr

Virgil nach einiger Zeit fort. »Gelingt es uns, an einem anderen
Ort eine Menge Dollars zu machen, fassen wir hier wieder
leichter Fuß. Vielleicht schaffen wir es, uns in eine Spielhalle
einzukaufen oder in einen Saloon. Das wäre der beste Start für
uns.«

»Wohin sollen wir reiten?« fragte Wyatt matt. »Das Land ist

mehr als unsicher. Die Rothäute metzeln jeden nieder, den sie
erwischen.«

Virgil lachte humorlos auf und erwiderte: »Dorthin, wo es

Dollars zu ernten gibt. Was hältst du von Pearce? Wir hörten
immer wieder in den letzten Wochen, daß dort 'ne Menge Gold
aus dem Boden gekratzt wird.«

Wyatt ging der Name Dick Clark nicht aus dem Kopf. Der

Besitzer des Alhambra Saloons galt als einer der besten Spieler

background image

56

aller Zeiten.

»Ja, das ist es«, sagte Wyatt, »wir ziehen den Kerlen in

Pearce die Hosen aus. Anschließend reiten wir weiter nach Fort
Buchanan. Soldaten brauchen keine Dollars. Was sollen sie
damit anfangen? Mit etwas Pech werden die Blauröcke doch
von den Apachen umgebracht, und das schöne Geld fällt
irgendwelchen Leuten zu. Wir machen es wie Dick Clark. Der
trailte auch durch den ganzen Westen und spielte sich sein
Kapital zusammen, ehe er hier in Tombstone das Alhambra
eröffnete.«

Virgil war mit seinem Bruder zufrieden. Der Kleine hatte den

Gedanken richtig aufgenommen und weitergesponnen. Es war
wirklich verrückt, hier in der Boomtown weiterhin zu
versauern und sich den Anfeindungen der Pokerpartner
auszusetzen.

»Aber wie gelangen wir nach Pearce?« fragte Wyatt. »Okay,

die Dragoon Mountains sind einigermaßen sicher. Cochise hält
seine Chiricahuas im Zaum. Aber Victorio mit seinen
Mimbrenjos macht die große Ebene unsicher.«

Träge erwiderte Virgil: »Morgen trifft die Kutsche wieder

hier ein. Warum sollen wir reiten? Drei bewaffnete Männer,
alle drei gute Schützen, begleiten die Stage. Wir kommen noch
dazu. Ich wette einen Dollar gegen fünfzig, daß wir sicher nach
Pearce gelangen.«

Wyatt verzog das Gesicht. Er dachte an Osborne, Tinatra und

den Scout. Diese Burschen würde der jüngere Earp am liebsten
von hinten betrachten. Welche Wahl blieb ihnen? Die Kutsche
der Butterfield Overland war die einzige Möglichkeit, das Land
halbwegs sicher zu durchqueren. Erreichten sie ungeschoren
die Diggersiedlung Pearce, mußte der große Schlag gelingen.

»Anschließend fahren wir weiter nach Fort Buchanan«,

verkündete Wyatt siegessicher. »Die Soldaten bekommen zwar
nur dreizehn Dollar Sold im Monat, aber sie können ruhig
zehn, oder sagen wir elf Bucks davon an uns verlieren.«

background image

57

Virgil nickte. Für eine Sekunde geriet die untere Hälfte

seines rundlichen Gesichtes in den Lichtkreis einer Laterne und
schimmerte hell auf.

»Es gibt noch mehr Forts im Südwesten«, sagte der ältere

Earp. »Wenn wir geschickt vorgehen, besitzen wir in zwei oder
drei Monaten so viel Geld, daß wir einen prächtigen Saloon
bauen können. Und dann rollen die Dollars fast von selbst in
unsere Taschen.«

Sie waren sich wieder einmal einig. Gemeinsam stiefelten

die Brüder Earp zu ihrem Quartier. Jetzt wollten sie nicht mehr
auffallen.

Der Marshal begegnete ihnen auf der Allen Street.

Mißtrauisch beobachtete der Gesetzeshüter die beiden Männer,
die er als Störenfriede und Unruhestifter einschätzte.

»Frohe Botschaft, ehrenwerter Ordensträger«, sagte Wyatt,

als sie kaum noch drei Schritte voreinander entfernt waren.
»Wir verlassen für eine Weile diese ungastliche Stadt. Wir
begeben uns an einen anderen Ort.«

»Endlich mal 'ne gute Nachricht«, erwiderte der Marshal.

»Wenigstens zwei Kartenhaie und Coltschwinger weniger.
Auch ohne euch schäumt die Stadt bald über. Wen werdet ihr
mit eurer Anwesenheit unglücklich machen?«

»Irgendeine Town«, erwiderte Virgil würdevoll, »in der die

Menschen noch ehrlichen Poker zu schätzen wissen, in der die
Leute nicht so mißtrauisch sind wie hier.«

Der Marshal lachte sarkastisch auf und rief: »Drei Tage nach

eurem Erscheinen bleibt den Menschen dort nichts anderes
übrig, als mißtrauisch zu sein. Aber das ist mir gleichgültig.
Hauptsache, ich brauche mich nicht länger mit euch
rumzustreiten.«

*

Pearce, knapp ein Dutzend Meilen von den zerklüfteten

background image

58

Felsmassiven der Dragoon Mountains entfernt. Weites
Hügelland umgab die schäbige Ansiedlung, die an einem Creek
entstanden war, dessen Namen nur die Apachen wußten.

Außer Gold und Silber gab es in diesem Land nichts, was

einen Weißen anzulocken vermochte.

Die eigentliche Stadt bestand aus einem Dutzend

Adobehäuser, ein paar Zelten und einigen Holzhütten, die den
Girls vom leichten Gewerbe als Unterkunft dienten.

Denn die Schwalben stellten sich innerhalb von zwei

Wochen ein, wurde die Lage eines neuen Goldfeldes bekannt.
Sie zogen mit den Betrügern, Saloonern und Kartenhaien
immer dem leichten Geld nach, dem schnell verdienten Dollar.

Was brauchte der einsame Goldsucher, Unterhaltung, Musik,

Schnaps und heiße Poker- oder Würfelschlachten. Daß er dabei
meistens um den letzten Cent gebracht wurde, interessierte ihn
nicht mal selbst. Dort draußen im Sand lag noch genügend
Gold.

Das Feld der Digger hörte wie abgeschnitten hundert Yards

vor der Town auf. Gräben durchzogen das Erdreich, zeugten
von den vergeblichen Versuchen, hier an das begehrte gelbe
Metall zu gelangen, das einen merkwürdigen Glanz, ja, Gier in
den Augen der meisten Menschen hervorrief.

Pearce war ein Tombstone in kleiner Ausführung. Die

einzige Ordnung, die hier herrschte, betraf das Wasser. Es war
verboten, oberhalb des Goldfeldes Abfälle oder Unrat in den
breiten, flachen Creek zu schütten. Also bauten die
dollarhungrigen Geldhaie ihre Hütten und Adobehäuser ein
Stück weiter unterhalb. Und noch während bezahlte Arbeiter
bei der Errichtung der Häuser schufteten, zogen die
Auftraggeber den Diggern schon die Nuggets aus der Tasche.

Das kostbare Wasser wurde umgeleitet, ins Goldfeld. Und

nach strengen Regeln erhielten die Goldsucher ihre Rationen
zugeteilt, damit sie die Erde in den Pfannen und Schüsseln
auswaschen konnten.

background image

59

Natürlich floß das Wasser anschließend wieder zurück in den

Creek.

Etliche der älteren Digger träumten von den Goldfeldern in

Colorado, am Cripple Creek. Dort gab es so viel Wasser, daß
neben jedem Claim ein long Tom gestanden hatte. Die Schürfer
brauchten die Erde nur in die geriffelte Rinne zu schaufeln, und
die Strömung des Wassers übernahm die Arbeit des
Auswaschens.

Um wieviel mühevoller war doch hier die Suche nach dem

großen Fund. Cripple Creek lag lange zurück, Jahre war es her,
daß dort in Colorado der Goldrausch die Menschen beherrscht
hatte.

Und je schwieriger die Arbeit wurde, desto mehr

Unterhaltung und Abwechslung benötigten die Digger.

Jeder Fund löste eine wilde Feier aus, der Whisky floß in

Strömen, und die Kartenhaie rieben sich insgeheim die Hände.
Denn sie waren die eigentlichen Gewinner bei diesem
Goldrausch.

Es war heller Vormittag. Die Sonne stach erbarmungslos auf

die Menschen hinab und erhitzte den Sand, daß er förmlich zu
glühen schien.

Da brüllte ein Mann sein Glück heraus.
»Gold!« gellte der alte Ruf über die Claims, »ich hab's! Das

ist die Bonanza! Gold, Männer!«

Überall fielen Hacken, Schaufeln und Waschpfannen zu

Boden. Die Digger kletterten aus ihren Löchern und Gräben
und rannten zu dem Claim, in dem der Glückliche wie ein
Drehkreisel umhersprang.

In beiden Händen hielt der Mann dicke Klumpen, die

metallisch im Sonnenlicht aufblitzten. Es schien pures Gold zu
sein. Vielleicht der Anfang einer mächtigen Ader?

Die Nachbarn des Diggers tauchten in ihre Claims hinab und

legten die Waffen zurecht. Drehten andere, erfolglose
Goldsucher durch, wollten sie die Nachbarclaims besetzen, so

background image

60

schlug ihnen heißes Blei entgegen.

»Wieviel ist es denn, Harry?« fragte ein alter Goldsucher, der

sein Leben lang auf allen Goldfeldern Amerikas verbracht
hatte.

Er beugte sich weit über den Rand des fast quadratischen

Loches und spähte hinab. »Eine Tasche, vermute ich«, sagte
der Alte. »Mach weiter, hol alles raus, ehe ein Schurke sich an
deinem Eigentum vergreift.«

Der glückliche Digger wühlte wie besessen. Erde und Sand

flogen in wildem Wirbel zur Seite. Mit der Hacke hebelte der
Mann die Brocken heraus, schabte mit der Handkante sorgsam
alles in die Waschpfanne und stand schließlich eine Stunde
später vor einem kleinen Berg Gold, der sicherlich mehr als
zweitausend Dollar einbringen würde. Und das war eine
Menge Geld in dieser Zeit.

»Los, kommt mit!« rief Harry, »heute darf jeder so viel

trinken, bis ihm der Schnaps an den Ohren wieder rausläuft.«

Das ließen sich die Goldsucher nicht zweimal sagen. Sie

hoben ihren spendablen Kameraden aus dem Loch und trugen
ihn zu den Adobehäusern. Vor den Hütten fingerten die
leichten Mädchen schon an ihren dünnen Kleidern herum. Sie
mußten die anderen ausstechen, so viel Aufreizendes zeigen,
daß die Männer gerade zu ihnen kamen.

Nur ein graubärtiger Bursche blieb dem Zug der Digger fehl.

Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Das geht schief. Ich
spüre es.«

»Was spürst du, Alter?« fragte ein blutjunger Abenteurer.
»Die Apachen«, erwiderte der Oldtimer. »Ich habe so ein

merkwürdiges Jucken unter der Kopfhaut. Ich verschwinde
lieber, ehe die roten Teufel über uns alle herfallen.«

Für ein paar Sekunden schaute sich der junge Bursche um,

spähte zu den Hügeln hinüber und lachte danach laut auf.

»Mensch, die zeigen sich nicht«, rief er übermütig. »Laß sie

doch kommen. Wir schicken sie mit blutigen Köpfen wieder in

background image

61

ihre stinkigen Hütten zurück.«

»Wenn du dich nur nicht täuschst«, murmelte der Alte.
Seine Worte gingen im Gebrüll der Digger unter.
Es dauerte nicht lange, bis der Whisky in Strömen floß, bis

die Flittergirls auf den Knien der Männer umherrutschten und
die Klaviere hämmerten.

Auch ohne diesen Lärm hätte niemand die Mimbrenjos

bemerkt, die in den Hügeln lauerten.

Geronimos dunkle Augen glühten förmlich. Zorn und

Beutegier beherrschten den Krieger. Nicht nur, daß Victorio
diesen Vorschlag zum Überfall auf Pearce gemacht hatte, nein,
nun wurde es noch ein leichter Kampf. Denn die
Bleichgesichter dort unten tranken das brennende Wasser und
wurden trunken davon wie ein Apache, der bei den Tänzen den
Tizwin in sich hineinlaufen ließ.

Ein Mann dort unten, ein einziger Mann, schien das Unheil

zu spüren, das in den Hügeln lauerte. Aufmerksam beobachtete
Geronimo den Graubärtigen, der ein Muli sattelte, ein Packtier
belud und sich auf den Trail machte, ohne auch nur einen Blick
zurückzuwerfen.

Geronimo glitt wie eine Schlange von Deckung zu Deckung.

Er gelangte hinter den mächtigen Stamm eines Seguarokaktus
und lag reglos. Änderte der Weiße seine Richtung nicht, mußte
er eine Mannslänge neben dem Versteck des Mimbrenjo
vorbeireiten.

Geronimo hatte Glück. Lautlos stand er auf, hielt die

Kriegskeule in der Rechten, den Messergriff mit der Linken
gepackt.

Jetzt!
Der Mimbrenjo schnellte hinter dem Kaktus hervor. Lautlos

huschte der Apache über den Sand. Im letzten Moment seines
Lebens schien ein Gefühl den graubärtigen Digger gewarnt zu
haben.

Er riß den Kopf herum, wollte zum Colt greifen, einen

background image

62

Warnschuß abgeben, doch der geschmeidige Körper des
Mimbrenjos bog sich. Die Kriegskeule traf, und der alte
Prospektor war bereits tot, als er aus dem Sattel fiel.

Geronimo stieß den Ruf der Zwergeule aus. Sekunden später

tauchten zwei Krieger auf. Sie führten die beiden Mulis davon,
während ihr Unterführer den Toten ausplünderte. Vor allem der
Revolver hatte es Geronimo angetan. Eine solche Waffe
vermochte beim Nahkampf unschätzbare Dienste zu leisten,
wenn sie auch nicht lautlos wirkte.

Ein anderer Mimbrenjo, einst Sklave, nun Krieger, schob

sich immer näher an die Goldfelder heran. Doppelwolf starrte
zu den Frauen hinüber. Dort wartete seine Beute auf ihn. Er
mußte nur schnell genug sein, wenn Victorio den Angriff
befahl. Denn die Frau mit dem strohgelben Haar mußte
Doppelwolf in sein Jacale führen.

Das Rufen des Rennkuckucks klang auf, wurde von jenseits

der Siedlung erwidert, und die Apachen glitten näher an die
Siedlung heran. Ein Glücksfall hatte die Claims menschenleer
werden lassen.

Der Kampf, der auf die Krieger wartete, ließ den

Bleichgesichtern nicht die geringste Überlebenschance.

*

»Hey, Harry, wie sieht's mit 'ner Partie Poker aus?« fragte der
hochgewachsene, schlanke Spieler den Digger.

Harry blickte auf, musterte prüfend das Gesicht, die ehrlich

wirkenden Augen und nickte.

Sie setzten sich an den rohen Tisch. Ein Girl brachte die

Goldwaage vom Tresen, und gemeinsam machten sie sich
daran, das gelbe Metall zu wiegen, seinen Wert festzusetzen.

Minuten später flogen die Karten über den Tisch. Harry

flohlockte. Er hielt ein Full House auf der Hand und gewann
hundert Dollar. Auch die nächsten beiden Spiele überzeugten

background image

63

den Digger davon, daß der Gambler ehrlich pokerte.

Bei der dritten Runde verlor Harry fünfzig Bucks, blieb aber

fröhlich und dachte nicht im Traum daran, daß der Kartenhai
nun anfing, ihm das letzte Gram Gold abzunehmen.

Soweit sollte es auch nicht kommen.
Denn als der schlanke Spieler aufsah, durch das zerfetzte

Ölpapier der Fensteröffnung sah, ließ er die Karten fallen. Er
hatte drei braunhäutige Männer entdeckt, die moderne
Gewehre in den Fäusten hielten.

»Apachen«, stieß der Gambler hervor, »Apachen. Zu den

Waffen, Männer!«

Der Klavierspieler brach mit einem Mißton ab. Kreidebleich

verfärbte sich das Gesicht des rundlichen Mannes. Er sprang
auf, griff in die Ecke, in der sein altes Gewehr stand, und in
diesem Moment sirrte ein Pfeil in die Cantina und traf den
Spieler tödlich. Er fiel schräg auf die Tasten seines Klaviers.
Eine quälend grelle Tonfolge klang auf, eine Melodie des
Todes.

Sekunden später hämmerten die Gewehre der Angreifer. In

das Peitschen der Winchester, in das dumpfe Dröhnen der
Colts mischten sich die Angstschreie der Frauen und die
grellen Kriegsrufe der Apachen.

Aus den Fenstern und Türen stürzten Männer ins Freie,

feuerten wild um sich, schickten einen Bleihagel zu den
Mimbrenjos, die mühelos diesem kopflosen Ausbruch
auswichen und ihre Kugeln und Pfeile zielsicher abschossen.

Doppelwolf, der große Mimbrenjo, der von allen des

Stammes als einer der ihren angesehen wurde, kämpfte sich
rücksichtslos vor. In nichts unterschied er sich von den übrigen
Kriegern. Seine Haut war von der Sonne gebräunt, die
schwarzen Augen glommen in wilder Kampfeslust, und der
gellende Kriegsschrei ließ den Weißen das Blut in den Adern
förmlich gefrieren.

In der Linken hielt Doppelwolf den Schädelbrecher. Mit der

background image

64

Rechten umklammerte er einen Revolver, eine alte
Schwarzpulverwaffe, die bei jedem Schuß erbärmlich stank
und große Wolken neben der Kugel ausspie.

Ein brennendheißer Hieb streifte Doppelwolfs Schulter. Er

zuckte herum, sah einen schwarz gekleideten Mann hinter dem
Loch in der Mauer und feuerte sofort.

Der Kartenhai, der vor Minuten noch den Digger Harry um

sein Gold bringen wollte, sank tot zurück, prallte auf den
Kartentisch. Die Schöße der schwarzen Jacke öffneten sich,
gaben die geheimen Bänder und Taschen frei, aus denen fast
ein ganzes Kartenspiel hervorrutschte und so den Betrüger
bloßstellte.

Niemand interessierte sich dafür. Es ging nicht um Gold oder

Dollar. Es ging um das nackte Leben.

Der Vorhang am Eingang der Cantina wurde zur Seite

gezogen. Drei, vier Krieger schnellten in den Raum jagten
auseinander und brachen wie Wölfe zwischen die Verteidiger
ein.

Ein Girl kreischte gellend, als sie in das wilde Gesicht eines

Kriegers blickte, den Tod in den Augen sah. Im letzten
Moment veränderte, der Mimbrenjo den Abwärtsschwung
seines Armes. Haarscharf am Gesicht der Frau blitzte die
Messerklinge vorbei.

Die Saloonschwalbe brach ohnmächtig zusammen.
Hinter dem Tresen brannte der Barkeeper eine Schrotflinte

ab. Die Ladung gehacktes Blei richtete unter den Verteidigern
mehr Schaden an als unter den Apachen.

Ehe der Barmann die zweite Flinte hochzureißen vermochte,

wirbelte ein Schädelbrecher durch die Luft und setzte seinem
Leben ein Ende.

Immer noch grellten die Angriffsrufe der Apachen auf,

trommelten die Hufe der Mustangs über den Boden, dröhnten
die Waffen.

Doppelwolf rannte weiter. Ein blonder Haarschopf

background image

65

verschwand ein Stück weiter vor ihm in einer Bretterhütte, aus
der angstvolles Kreischen aufklang. Der Krieger erreichte das
Haus, warf sich gegen die Tür und landete in einem Wirbel aus
Splittern im Innern.

»Du kommst mit mir«, sagte der Mimbrenjo kehlig in

verständlichem Englisch und deutete mit dem Dolch auf die
Blonde.

Ihm war es leichter als den Stammesbrüdern gefallen, die

Sprache der Bleichgesichter zu erlernen.

»Zastee! Tötet!« gellte der Ruf der Apachen draußen auf.
Noch immer krachten Schüsse, zischten Pfeile von den

Sehnen.

Die blonde Frau trat einen Schritt zurück, sah sich

verzweifelt um, suchte ein Versteck und wußte tief in ihrem
Inneren doch, daß es kein Versteck gab, das sie vor einem
Apachenkrieger schützte.

Die letzten Schüsse wummerten. Außer den Freudentrillern

der Krieger war nichts mehr zu hören.

Irgendwo klirrte Glas. Die Mimbrenjos sammelten die

Schnapsvorräte ein. Schon während des Rückzuges ins
Versteck würden die Krieger mit dem Trinken beginnen.

Doppelwolf winkte mit dem Colt. Die drei Frauen ergaben

sich in ihr Schicksal. Langsam gingen sie an dem großen
Krieger vorbei ins Freie. Als der Mann die Blonde berührte,
zuckte sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen.

»Du bist meine Beute«, sagte Doppelwolf.
Angst zeichnete das Gesicht der Frau.
»Sag mir deinen Namen«, forderte der Indianer.
»Myriam«, erwiderte die Frau schwach, »was hast du mit mir

vor? Ich werde dich töten. Ja, sobald ich die Chance bekomme,
bringe ich dich um!«

»Eine Wildkatze«, sagte Doppelwolf bewundernd, »ich habe

mir eine Wildkatze gefangen.«

Draußen warteten einige Krieger. Sie trieben die Frauen und

background image

66

Mädchen zusammen, wachten über sie und ließen nicht zu, daß
sich auch nur eine von ihnen einen halben Schritt entfernte.

Die wenigen Häuser und Zelte waren schnell geplündert. Vor

allem die Waffen, Schnapsflaschen und Messer erregten die
Gier der Mimbrenjos.

Myriam schien es, als sei sie in einem entsetzlichen Traum

gefangen, schaffte es nicht, einfach aufzuwachen und
erleichtert das Grauen abzuschütteln, das sie beherrschte.

Als sie die toten Goldsucher, die Barkeeper und Spieler sah,

mußte sie sich übergeben. Sie war nicht die einzige, die den
Anblick der skalpierten Männer nicht ertragen konnte.

Das Entsetzen steigerte sich sogar noch. Denn all diese

Frauen und Mädchen wurden von den Gedanken geschüttelt,
was sie wohl weiterhin erwartete. Voller Angst mußten sie hier
verharren, wußten nicht, ob sie das Ende dieses Tages noch
erlebten.

Victorio erkannten sie sofort. Sein wildes Gesicht mit den

schulterlangen Haaren war oft genug in den Zeitungen
abgebildet gewesen, die auch in den Südwesten gelangten. Er
galt als der grausamste Apachenführer.

»Reiche Beute«, rief der Jefe der Mimbrenjos, »wir sind

Krieger, und keine Weiber wie die Chiricahuas. Nehmt das
gelbe Metall mit, die Münzen, wir brauchen das wertlose Zeug,
damit wir von anderen Bleichgesichtern Munition kaufen
können. Fangt die Pferde und Mulis ein, sie werden unsere
Bäuche füllen, wenn wir in unserem Lager den Sieg feiern.«

Die Aussicht auf gebratenes Mulifleisch ließ manchem

Krieger das Wasser im Mund zusammenlaufen. Galt das
Fleisch doch bei allen Apachen als ausgesprochene
Delikatesse.

Die grausame Arbeit war getan. Für die Apachen bedeutete

dieser Überfall jedoch etwas ganz Natürliches. Denn gehörte
nicht alles, was in diesem Land existierte seit Urzeiten ihnen?
Waren sie denn nicht die Herren der Halbwüste und der

background image

67

Wüste? Und Kampf und Tod gehörten zu einem Krieger wie
Sand zur Wüste und die Sterne zum Himmel.

Die Packtiere waren beladen. Alle Schnapsflaschen lagen so,

daß sie nicht klirren konnten. Jedes Metallteil war umwickelt.
Gold und Münzen und bedruckte Papierscheine trugen
Geronimo und Victorio in Beuteln mit sich. An den
Ledergürteln der Krieger hingen frische Skalps, auf die der
Rauch der Feuer wartete.

Steil hob der Chief der Mimbrenjos den linken Arm in die

Luft. Das Zeichen zum Aufbruch.

Zehn Krieger bewachten abwechselnd die Frauen und

Mädchen, trieben sie mit den Schäften der Kriegslanzen und
den Enden der Bögen an. Langsam marschierten die Frauen
los. Nach wenigen Schritten drang die Gluthitze des Sandes
durch die Schuhsohlen, stach die grelle Sonne auf die
ungeschützten Köpfe.

Und alle dachten das gleiche: dies war erst der Anfang des

Marsches ins Ungewisse. Welche Schrecknisse warteten noch
auf sie?

*

In Tombstone wurde die Kutsche beladen. Pferdehelfer führten
kräftige Deichseltiere aus dem Corral. Ted Riley, der Fahrer,
befestigte den Postsack und warf Jack Vance, dem Begleiter,
Frachtstücke hoch, die er auf dem Dach der Stage verstaute.

Ein dicker Mann wartete unter dem Vordach der Station. Er

trug städtische Kleidung in kräftigem Braun. Neben ihm stand
eine große geblümte Tasche auf den Brettern des Sidewalks.

Randolph Glandon war zufrieden mit seinen Geschäften, sehr

zufrieden sogar. Gelang es ihm, weiterhin in Tombstone
Aufträge zu erhalten, konnte er zum reichen Mann werden.

Glandon war ein Whiskyvertreter. In der geblümten Tasche

führte er Dutzende von Proben mit, die alle unterschiedlich

background image

68

schmeckten und auch unterschiedlich teuer waren.

In die Zufriedenheit des dicken Mannes mischte sich ein

Anflug von Furcht. Die beiden Revolvermänner traten aus dem
Stationshaus. Ihnen folgte der hochgewachsene Scout, der
nicht minder gefährlich auf Glandon wirkte.

Sie hatten ihn gewarnt. Die Apachen streiften durch die

große Ebene. Auf der Fahrt nach Tucson hatten diese drei
Männer einen Angriff abgeschlagen. Sie würden auch jetzt
wieder die Stage begleiten.

Randolph Glandon hielt sich für den einzigen Passagier. Er

fragte sich, wie die Gesellschaft das nur finanziell durchhielt.
Denn von Geld verstand Glandon eine Menge.

»Stage nach Duncan über Pearce, Fort Buchanan und Apache

Paß!« brüllte einer der Clerks. »Die Kutsche fährt pünktlich
ab.«

Larry Osborne öffnete den Wagenschlag und hielt ihn höflich

für den einzigen zahlenden Passagier auf. Ächzend und
schnaufend kletterte der dicke Whiskyvertreter in den Wagen.
Die Federn kreischten und knackten, als der schwergewichtige
Mann sich zurechtsetzte.

»Danke, der Service wird immer besser auf dieser Strecke«,

sagte Buck Tinatra, als er an Larry vorbeiging und seinem
Freund ein Zehn-Cent-Stück in die freie Hand drückte.

Verblüfft starrte Osborne auf die Münze, auf seinen Freund

und fragte: »He, was soll das denn?«

»Ich bin es gewohnt, Trinkgelder zu geben, wenn jemand

besonders höflich zu mir ist«, erwiderte Buck grinsend.

Larry schnaubte und verstaute den Dime sorgfältig in seiner

Jackentasche.

Haggerty stieg ebenfalls ein und sagte: »Ich habe leider kein

Kleingeld, Portier. Einen halben Dollar kann ich Ihnen nicht
geben. Sie werden sonst übermütig und mieten sich eine
Extrakutsche.«

»Ihr seid wohl übergeschnappt!« rief Larry und kletterte in

background image

69

das Innere der Stage.

»Natürlich«, erwiderte Buck Tinatra, »nur Verrückte fahren

durchs Apachenland.«

Der Whiskyvertreter rutschte unbehaglich auf dem

Lederpolster hin und her. Er brachte den Wagenkasten zum
Schwanken.

»Hören Sie«, stieß er hervor, »ist es wirklich so gefährlich?

Werden wir vielleicht sogar angegriffen?«

Furcht schwang in seiner Stimme mit. Haggerty dachte

darüber nach, daß diese Burschen für jeden Dollar Gewinn die
unglaublichsten Strapazen und Gefahren auf sich nahmen.
Wußten sie aber vorher schon, daß es Verdruß geben konnte,
waren sie nervöser als ein Senator vor der Wahl.

»Wir beschützen Ihre kostbaren Proben«, versprach Larry

ernsthaft.

»Natürlich auch Ihr Leben, Mister«, fügte Buck hinzu und

blickte seinen Freund strafend an.

»Gentlemen, äh, wenn mir etwas zustoßen sollte«, sagte der

Dicke. »In der Tasche hier steckt mein Auftragsbuch. Die
Anschrift meiner Firma steht auf dem Umschlag. Ich flehe Sie
an, schicken Sie das Buch weg. Wenn mir was zustößt, braucht
meine Familie jeden Cent. Und hier in Tombstone habe ich viel
verdient.«

Larry Osborne beruhigte den Mann und versprach ihm

ernsthaft, zuerst dessen Auftragsbuch zu schützen und dann
sein Leben. Das war natürlich nicht dazu angetan, den Mann zu
beruhigen.

»Bekommen Sie noch Verstärkung?« fragte er nach ein paar

Sekunden.

Buck stand auf, blickte aus dem Türfenster, sah aber

niemanden mehr.

»Zwei Gentlemen mit tiefgeschnallten Revolvern gingen in

die Station?« erklärte der Dicke und stellte sich bei der
Gelegenheit vor.

background image

70

Es dauerte nicht lange, bis der Wagenschlag aufgerissen

wurde.

»Die Kartenhaie«, sagte Buck giftig, »wird euch der Boden

in Tombstone zu heiß unter den Füßen?«

»Halt's Maul, Tinatra«, erwiderte Wyatt Earp. »Wir haben

unsere Fahrkarten bezahlt. Seid höflich zu uns, sonst
beschweren wir uns bei der Gesellschaft.«

»Wenn's nach mir ginge«, sagte Larry Osborne, »dürften an

Kerle wie euch überhaupt keine Karten verkauft werden.«

Virgil sagte nichts. Er setzte sich neben Haggerty auf das

Polster und starrte zum Fenster hinaus.

Draußen warf der Beifahrer das Gepäck der Earps aufs Dach

der Kutsche. Wenig später zogen die Deichselpferde an. Die
Kutsche rollte über die Plaza, verließ Tombstone zu der
gefährlichen Fahrt nach Osten.

Die ersten Meilen schwiegen die Passagiere. Randolph

Glandon hatte das ungemütliche Gefühl zwischen zwei
verfeindeten Gruppen zu sitzen. Ihm schien, daß ein wüster
Streit jeden Augenblick losbrechen konnte. Und darum dachte
er sich etwas aus, um die gespannte Atmosphäre zu entladen.

Daß er dabei vollkommen falsch griff, merkte er nach

einigen Sekunden.

»Was wird eigentlich gegen die Überfälle der Apachen

unternommen?« fragte er unschuldig. »Es geht doch nicht an,
daß diese Wilden immer wieder angreifen, morden und
sengend und brennend durch das Land ziehen.«

Wyatt Earp lachte sarkastisch auf und rief: »Das haben wir

diesem Mann da zu verdanken!«

Er zeigte auf John Haggerty, dessen Gesicht wie aus Stein

gemeißelt wirkte.

»Das ist der Chiefscout der Army im Südwesten«, fuhr

Wyatt Earp fort. »Er ist mit Cochise befreundet. Die beiden
haben einen angeblichen Frieden ausgehandelt. Aber Sie haben
sicher schon gehört, wie dieser Friede aussieht, Mister.«

background image

71

»Glandon, Randolph Glandon«, sagte der Dicke und

verbeugte sich ein wenig im Sitzen.

»Earp, eines Tages schlägt dir jemand dein vorlautes Maul

mit der Faust zu«, sagte Larry Osborne beinahe freundlich.

»Und zwar so, daß du einen Monat keinen verständlichen

Ton mehr hervorbringen wirst«, fügte Buck Tinatra bei. »Du
weißt ganz genau, was im Südwesten los ist. Warum setzt du
solche Lügen in die Welt?«

»Was ist 'ne Lüge?« fuhr Wyatt hitzig auf. »Es stimmt doch,

daß die Rothäute immer wieder Ranches und Farmen
überfallen, daß sie Diggercamps ausplündern und
niederbrennen. Wo ist denn der Friede, von dem Cochise und
General Howard immer reden, he?«

Haggerty fuhr sich mit den Fingern der Linken durch das

braune, gewellte Haar. Er musterte prüfend den
Whiskyvertreter, lächelte und sagte freundlich: »Es gibt immer
zwei Arten, eine Sache zu betrachten, Mr. Glandon. Das
werden Sie wissen, denke ich. Und Wyatt Earp ist ein
hitzköpfiger junger Mann, der sicher über Qualitäten verfügt.
Ihm fehlt nur die Erfahrung, das ist alles. Ich werde Ihnen
erzählen, was wirklich in diesem heißen Land vorgeht.
Vielleicht lernt Mr. Earp etwas draus.«

Wyatt schnaubte verächtlich und lehnte sich zurück. Er sah

seinen älteren Bruder an, bemerkte dessen verstecktes Grinsen
und fragte sich, ob er wirklich so falsch dachte, wie selbst
Virgil anzunehmen schien.

»Der Frieden ist mit Cochise ausgehandelt«, begann

Haggerty. »Er ist der oberste Führer aller Apachenstämme. Die
Chiricahuas halten sich an Cochises Wort. Die Aravaipas,
Mescaleros und White Mountains halten ebenfalls Frieden.
Lediglich Victorio, der Führer der Mimbrenjos, läßt seine
Krieger am langen Zügel laufen. Sie brechen immer wieder aus
der San Carlos Reservation aus. Victorio haßt uns Weiße wie
eine schlimme Krankheit. Und das sind wir ja wohl auch für

background image

72

die Apachen. Sie verteidigen nur ihr Land, das sie seit
Jahrhunderten besitzen. Cochise ist klug. Er weiß, daß sein
Stamm untergeht, stellt er sich gegen die Macht der Weißen.
Victorio muß dies erst noch lernen. Cochise hingegen kann
nicht offen gegen seinen Widersacher vorgehen. Dann
zerbräche jeglicher Zusammenhalt der Stämme, und der
Südwesten verwandelt sich in ein Meer aus Blut und Feuer.«

Wyatt Earp hatte beeindruckt zugehört. Trotzdem lachte er

jetzt verächtlich und rief: »Warum machen wir die Kerle nicht
einfach nieder? Warum schnappt sich die Kavallerie nicht
jeden Apachen und sperrt ihn ein?«

»Er ist noch dümmer, als ich bisher dachte«, sagte Buck

Tinatra darauf.

Wyatts Unterkiefer mahlte. Am liebsten würde er diesem

schwarzhaarigen Kerl die Faust mitten ins grinsende Gesicht
pflanzen.

»Weil die Soldaten eben nur Soldaten sind«, erwiderte

Haggerty sanft. »Sie schaffen es einfach nicht, sich der
Kampfesweise der Apachen anzupassen. Seit ungezählten
Jahrhunderten wachsen die jungen Krieger in der Wüste auf.
Sie sind jedem Weißen überlegen. Wenn sie nach ihrer Art
kämpfen, müßten hunderttausend Männer Schulter an Schulter
das gesamte Land durchkämmen, in jedes Kaninchenloch
hineinkriechen, jeden Felsbrocken umdrehen. Und selbst
danach wären nicht mehr als die Hälfte der Apachen gefangen,
Mr. Earp. So sieht das aus. Und ich denke, daß Sie eigentlich in
den letzten Wochen und Monaten etwas darüber gelernt haben
müßten.«

Wyatt schwieg. Der Scout hatte ihm den Wind aus den

Segeln genommen. Denn allzu geschickt hatte sich Wyatt bei
seinen Unternehmen in letzter Zeit nicht angestellt.

Randolph Glandon blickte immer wieder unruhig von einem

Gesicht zum anderen, spähte lange zum Seitenfenster hinaus
und erwartete jede Sekunde, eine Horde Apachenkrieger

background image

73

auftauchen zu sehen.

Die Furcht kroch dem dicken Mann in alle Glieder, lähmte

sein Denken, und schließlich erschienen ihm nicht einmal mehr
die fünf verwegenen Mitfahrer als ausreichenden Schutz.

Mit zitternden Fingern öffnete Glandon seine geblümte

Tasche, die er zwischen den Beinen festgeklemmt hielt. Er
tastete eine Weile in dem großen Innenraum umher und nahm
schließlich eine kleine Flasche Whisky heraus. Der Korken
schnappte aus dem Hals. Glandon setzte die winzige Bottle an
den Hals und trank die beiden Schlucke.

Ächzend fingerte er die nächste Probenflasche hervor.
Er achtete nicht auf die interessierten Blicke der anderen

Fahrgäste, während er nach und nach vier der kleinen Flaschen
leerte.

»Wie lange fahren wir durch dieses gefährliche Gebiet?«

fragte er endlich und klappte die Tasche zu.

»In einer Stunde ungefähr erreichen wir Pearce«, antwortete

Buck Tinatra. »Dort gibt's ein paar Kaschemmen. Die
Diggersiedlung ist ziemlich sicher, denke ich. Sie liegt zu nahe
an den Dragoon Mountains, als daß Victorio oder Geronimo
angreifen würden. Cochise würde sie vertreiben. Und das
riskieren sie wohl nicht.«

Randolph Glandon verdrehte die Augen, bückte sich und

holte eine weitere kleine Flasche heraus. Als er sie
leergetrunken hatte, besann er sich und gab jedem der anderen
Passagiere ebenfalls eine Probe.

»Das ist bester Whisky, Bourbon«, erklärte der Dicke. »Der

Maisanteil der Maische beträgt mehr als fünfzig Prozent.
Bestes Kalksteinwasser aus Kentucky ist eine weitere Garantie
für die Qualität dieses Produktes.«

Larry Osborne betrachtete den Dicken mit schiefgelegtem

Kopf, öffnete die Flasche und trank.

»Na, wie schmeckt es?« fragte Glandon erwartungsvoll.
»Nach mehr«, erwiderte Larry und leckte sich mit der Zunge

background image

74

über die Lippen.

Er ließ sich eine zweite und dritte Probeflasche geben und

leerte sie.

»Du bist ein verdammter Narr«, sagte Wyatt Earp auf

einmal. »Jetzt trinkst du dir 'nen Rausch an. Und wenn die
Apachen angreifen, kannst du nicht mehr geradeaus schießen.«

Buck Tinatra lachte glucksend und erwiderte: »Dann halten

wir ihm ein Schwefelholz vor den Mund. Wenn er ausatmet,
werden die Mimbrenjos von der Stichflamme versengt und
sausen nach Hause.«

Tinatra benötigte keine Ermahnung.
Das sagte er auch sehr deutlich und ließ sich über Wyatt Earp

derart aus, daß Handgreiflichkeiten in der Luft lagen.

Virgil griff ein. Träge sagte er »Hört doch mit dem Mist auf,

Männer. Ich setze zwei gegen fünfzig, daß wir noch alle Kraft
brauchen werden.«

Lediglich der Whiskyvertreter hielt sich nicht an die Worte

des älteren Earp. Glandon leerte ab und zu eine der kleinen
Flaschen. Er hatte inzwischen eine erstaunliche Menge vertilgt
und war trotzdem noch nüchtern.

Die Pferde legten sich in die Geschirre. Noch führte der Weg

bergauf.

Bald jedoch war die Höhe erreicht, ging es hinab in die weite

Ebene, die doch von zahllosen Hügeln übersät war. Bald
erreichten die Reisenden Pearce, die Diggersiedlung, die um
diese Zeit bereits vernichtet war.

*

Myriam verspürte das Gefühl, mit ganzem Körper in flüssiger
Glut zu stecken, durch Feuer zu marschieren und feurige Luft
einzuatmen.

Die Beine gaben unter ihr nach. Schwer fiel die junge Frau in

den heißen Sand.

background image

75

Sie spürte kaum den Stoß mit dem Schaft der Kriegslanze,

der sie in die Seite traf.

»Weiter, weiße Frau, laufen«, sagte ein Apache guttural.
»Ich kann nicht mehr«, stöhnte Myriam, »Wasser, um

Himmels willen, ich brauche Wasser.«

»Wenn die Sonne stirbt«, erwiderte der Krieger und hieb

erneut mit dem Holzschaft zu.

Geronimo bemerkte die Stockung, zog sein fahlgelbes Pferd

am geflochtenen Graszügel herum und leitete es zu dem Zug
der Gefangenen.

Ausdruckslos starrte der Krieger auf die Frau mit dem gelben

Haar hinab. In seinen Augen war sie ziemlich häßlich, aber
Geronimo war auch ein reinblütiger Apache.

»Du stirbst, wenn du nicht weitergehst«, sagte er

schwerfällig. »Du stirbst sofort.«

Warum sollten sie sich mit diesem schwachen Geschöpf

abgeben, dachte der Krieger. Sie würde dem Stamm keine
starken Söhne schenken, die später einmal gegen die Weißen
kämpfen konnten.

Doppelwolf sah sich um. Wo war die weiße Frau, die er als

seine Beute beanspruchte? Der Krieger entdeckte das Glänzen
des Blondhaares auf dem hellen Sand und riß seinen Mustang
herum.

»Nein!« rief Doppelwolf, als Geronimo die Kriegslanze zum

tödlichen Stich erhob. »Sie gehört mir.«

Der Anführer der Rebellen sah den Krieger verblüfft an. Was

wollte Doppelwolf mit dieser Squaw?

»Sie ist schwach«, erwiderte Geronimo kalt, »du siehst es,

Krieger. Sie wird das Leben in den Jacales nicht aushalten. Die
anderen Weiber quälen sie zu Tode. Sie wird eine Last für dich
sein, Doppelwolf.«

»Meine Beute, Geronimo«, erwiderte der Krieger gefährlich

leise, »du machst mir meine Beute streitig? Dann mußt du mit
mir kämpfen.«

background image

76

Geronimo dachte daran, daß Doppelwolf einst ein Sklave, ein

geraubter Mexikaner war. Sicher befahl ihm das Blut der
anderen Rasse, diese Frau zu schützen, für sich zu nehmen.
Aber dieses Blut gehörte auch dem Stamm, dessen erfahrene
Krieger aus dem Mexikanerkind einen vollwertigen Apachen
geformt hatte. Einen Krieger, der so dachte und fühlte und
haßte wie Bewohner der Halbwüste. Es würde schwer sein,
Doppelwolf zu besiegen. Vor allem deshalb, weil es um nichts
ging, nur um eine erbeutete Squaw, die nichts taugte.

»Nimm sie mit, Krieger«, sagte Geronimo kalt. »Vergiß nie,

daß du ein Mimbrenjo bist. Braucht sie Wasser, gib ihr dein
Wasser. Der Stamm sorgt erst für sie, wenn wir in der
Apacheria angelangt sind.«

Hart riß Geronimo am Graszügel. Sein gelber Mustang warf

sich herum und preschte davon.

Doppelwolf saß ab, richtete Myriam zu sitzender Stellung

auf und hielt ihr den dünnen Fellschlauch vor den Mund.

Der Geruch des Felles ließ die junge Frau würgen. Sie wußte,

spürte jedoch, daß Wasser wichtig für sie war und schluckte.

»Mehr«, bettelte sie, »ich vertrockne, mehr Wasser.«
»Nein«, erwiderte der Krieger, »später, viel später. Du mußt

jetzt laufen, Squaw, laufen oder sterben.«

Er bückte sich, suchte im Sand, bis er ein paar glatte Steine

fand und steckte sie ihr in den Mund.

»Es hilft, weiße Frau«, sagte Doppelwolf, »wenn die Sonne

stirbt, erreichen wir die Jacales. Dort kannst du ausruhen. Dort
gibt es Wasser.«

Myriam stand mühsam auf. Die Welt schien unter ihren

Füßen zu schwanken, und die Sonne schaukelte irgendwo hin
und her.

»Weiter, du mußt!« rief der Krieger.
Die junge Frau, die sich in Pearce ein Stück von dem

goldenen Kuchen hatte abschneiden wollen, egal auf welche
Weise, spürte die Kiesel im Mund, spürte, daß sich Speichel

background image

77

sammelte und erkannte, daß der Durst nachließ. Sie nahm sich
zusammen, beruhigte ihren rasenden Herzschlag, setzte Fuß
vor Fuß und stapfte weiter.

Nach ein paar Dutzend Schritten nahm die Welt wieder ihre

gewohnte Gestalt an. Es gab nichts zu sehen, nichts außer
Sand, ab und zu eine glänzende Eidechse, die sich unter der
Erschütterung des Bodens in Spalten zurückzog.

Einmal, wie lange später vermochte Myriam nicht zu sagen,

verschwand ein scharfkantiger Stein mit schlängelnden
Bewegungen im heißen Sand. Myriam hatte nie zuvor von
einer Krötenechse gehört, geschweige denn, ein solches Tier
gesehen. Die wüstenhafte Umgebung schien doch mehr
Wunder bereitzuhalten, als ein weißer Mensch ahnen konnte.

Die junge Frau wußte, daß sie bei Verstand bleiben mußte.

Sie fand nur einen Weg, nicht zu verzweifeln, und darum
beobachtete sie so genau wie möglich ihre Umgebung.

Da sie alles eingehend betrachtete, entging ihr auch nicht das

Verhalten der meisten Krieger. Immer wieder tranken die
Apachen aus den Whisky- und Tequilaflaschen, die sie erbeutet
hatten.

Die beiden Anführer, der wildgesichtige Victorio und der

Mann, der sie vorhin niederstechen wollte, schienen unruhig zu
werden. Sie leiteten ihre Pferde immer wieder entlang der
Krieger, achteten auf jede Kleinigkeit und trieben die Kämpfer
zur Eile an.

Der Boden stieg steiler an. Myriam blickte auf. Wild

zerklüftete Felsmassen türmten sich himmelhoch. Wenigstens
erschienen sie der jungen Frau so gewaltig. Ab und zu
entdeckten ihre von der Sonne geblendeten Augen einen
grünen Fleck im Schwarz des Basaltes und dem Glitzern des
Prophyrs.

Also gab es dort in den zerrissenen Felsengebieten Wasser.

Gleichzeitig wußte Myriam, daß ihr Schicksal besiegelt war,
erreichten sie erst das Versteck der Horde. Noch kein Weißer

background image

78

war je den Apachen lebend entkommen.

Verzweifelt schaute sich die blonde Frau um. Nicht weit von

ihr lief ein Maultier ein Stück neben dem Zug der Gefangenen.
War das ihre Chance? Sie mußte es wagen. Vielleicht
verfolgten die Krieger sie nicht, denn ihr Ziel mußte dicht vor
ihnen liegen.

Myriam nahm allen Mut und alle Kraft zusammen. Sie ging

langsamer, schritt allmählich zur Seite, auf das Muli zu. Und
als sie ihre Gelegenheit gekommen sah, lief sie los.

Mit beiden Händen umklammerte Myriam den Hals des

Tieres, schwang sich auf den Rücken und hieb ihm die Absätze
der weichen Stiefel in die Seiten. Das Muli trabte los. Aber es
lief mit den übrigen Tieren auf die Felsen zu. Vergeblich zerrte
die blonde Frau an der Mähne, ohne Erfolg schlug sie dem
störrischen Biest die geballte Faust zwischen die Ohren, das
Muli ließ sich nicht beirren.

Ein paar Krieger lachten laut, deuteten mit halbleeren

Schnapsflaschen auf die häßliche Weiße, die vor Wut und
Mutlosigkeit weinte und so kostbare Körperflüssigkeit
verschwendete.

Doppelwolf galoppierte heran. Er grinste breit und sagte:

»Gut so, Goldhaar, wenn wir in der Apacheria ankommen, bist
du für mich ausgeruht. Wer weiß, vielleicht empfängst du
schon heute den Sohn von mir, den Jungen, der einst als Mann
gegen Menschen deiner Hautfarbe kämpfen wird. Geronimo
hat unrecht. Du bist nicht schwach. Du bist listig und mutig.
Und unser Sohn wird ein großer Krieger werden.«

Er ließ seinen Mustang zwei Längen neben dem Muli auf

gleicher Höhe traben. Myriam wußte, daß ihr Fluchtversuch
kläglich gescheitert war. Eine weitere Chance erhielt sie nicht.
Warum hatte sie das Maultier genommen? Warum kein Pferd?
Sicher hätte ein richtiges Reitpferd gehorcht und sie
davongetragen.

Ein Schauder, ein Frösteln überlief die junge Frau, wenn sie

background image

79

an die Nacht dachte, die vor ihr lag. Sie wollte nicht willenlos
bleiben, wenn ihr dieser hochgewachsene Krieger Gewalt
antat. Sie wollte keine Beute sein und spürte doch tief in ihrem
Denken, daß es keinen Ausweg mehr für sie gab – es sei denn
den Tod.

Schmale Felsenpfade führten in schwindelnde Höhen hinauf.

Die Tiere setzten sicher Huf vor Huf. Einschnitte, kaum so
breit wie ein Pferd, verschluckten förmlich die Menschen und
Pferde und Mulis.

Durch grün bewachsene Täler, vorbei an Steinbrocken

gewaltiger Größe, über Geröllawinen und durch
messerscharfes Gras führte der Weg der Horde zu ihrem
Versteck.

Endlich war der erschöpfende Marsch zu Ende.

Freudenschreie der halb betrunkenen Krieger zeugten davon,
daß sie ihr Ziel erreicht hatten.

Die Apachen saßen ab, liefen zu den Jacales, den

Zweighütten und entfachten Feuer.

Myriam wandte den Kopf ab, als die Krieger über zwei

Mulis herfielen und die Tiere innerhalb von Minuten
schlachteten und zerlegten.

Zwei der übrigen Frauen erbrachen sich, würgten nichts als

ein wenig Flüssigkeit heraus und sanken matt zusammen.

»Die Weiber in die große Hütte dort«, befahl Victorio hart

und deutete auf ein Wickiup, das mehr als doppelt so groß wie
die anderen war. Zustimmendes Gemurmel klang auf.
Lediglich Doppelwolf verzog sein Gesicht zu einer finsteren
Maske.

»Warum stecken sie uns zusammen!« fragte ein Mädchen,

das in Pearce eine Menge Kunden gehabt hatte. »Wollen sie
uns nacheinander rauszerren, wenn sie betrunken sind? Wollen
sie alle über uns herfallen?«

Weder sie noch Myriam wußte, daß diese Hütte zu einem

ganz bestimmten Zweck erbaut war. Die Apachen glaubten

background image

80

nämlich, daß weiße Frauen – und auch Mexikanerinnen – böse
Geister verborgen in sich herumtrügen. Und diese Hütte war
mit allerlei Zauber ausgestattet, der die bösen Geister der
andersfarbigen Squaws während der Nacht vernichten sollte.

Willenlos ließen sich die Frauen in die Zweighütte treiben.

Zwei mußten draußen warten. Ein älterer Krieger zeigte ihnen
die verborgene Quelle und gab ihnen Fellbeutel und
Tierblasen. Endlich durften die Gefangenen ihren quälenden
Durst löschen. Später am Abend würden sie auch Essen
bekommen, einen geringen Anteil des gebratenen
Mulifleisches.

Wer nicht aß, mußte eben hungern.
Der Geruch des bratenden Fleisches zog durch den Talkessel

und ließ selbst den Gefangenen das Wasser im Mund
zusammenlaufen. Ein paar Frauen wuschen ihre blutenden
Füße mit Kleiderfetzen ab.

Als die Sonne im Westen versunken war, hämmerten die

ersten Trommeln. Steine rasselten in ausgehöhlten Kürbissen
im gleichen Rhythmus. Die Krieger feierten ihren Sieg, die
überreiche Beute, die ihnen Ehre und Ansehen beim Stamm
einbringen würde.

Der schrille Klang der einsaitigen Fiedel mischte sich in das

Dröhnen der Trommeln und Rasseln.

Schaudernd drängten sich die Frauen, die am vergangenen

Tag noch erbitterte Rivalinnen um die Gunst der Goldgräber
gewesen waren, zusammen.

Wilder Gesang klang auf, schallte über die Steingebilde

hinweg und kündete vom großen Sieg.

Lauter hämmerten die Trommeln, schneller wurde der

Gesang, schneller kreisten die Flaschen, und die ersten
Apachen sanken berauscht zu Boden.

Geronimo und Vicotrio ließen ihre Krieger gewähren. Sie

wagten nicht, den Unmut der Rebellen herauszufordern,
wagten nicht, diese traditionelle Siegesfeier zu verbieten. Denn

background image

81

sie benötigten diese aufrührerischen Kämpfer für ihren Feldzug
gegen die verhaßten Weißen. Offen durften sie nicht vorgehen.
Dagegen stand Cochises Wort, das alle anderen Stämme band.
Insgeheim jedoch wußte Victorio immer einen Weg, den
Kampf gegen die Eindringlinge fortzusetzen.

Doppelwolf spürte flüssiges Feuer in seinen Adern kreisen.

Sein Kopf fühlte sich seltsam leicht an. Die Sterne rutschten
über den Nachthimmel, wenn der Krieger sich zu schnell
bewegte.

Er sah die blonde Squaw vor sich. Plötzlich war ihm

gleichgültig, welche furchtbaren fremden Geister ihn verderben
konnten. Er wollte diese Frau jetzt, heute nacht noch, besitzen.

Langsam zog sich Doppelwolf zurück. Er trank die

viereckige Flasche mit dem brennenden Wasser aus, ließ sie in
den Sand fallen und schlich hinter das große Jacale.

Er vermochte kaum, sich weiterhin zu beherrschen. Mit

beiden Händen fetzte er die Zweige zur Seite, achtete nicht auf
die ängstlichen, schrillen Schreie, die ihm entgegendrangen
und erweiterte die Öffnung so, daß er in wenigen Augenblicken
hineinschlüpfen konnte.

Noch einmal holte der Krieger tief Luft, gab dem fordernden

Pochen seines Blutes nach und hob ein Bein über die Reste der
Bodenbefestigung.

*

Die Pferde zogen die schwere Overlandkutsche die Steigung
hinauf. Der Weg verlief flach, ehe er sich im Osten der
Dragoon Mountains wieder hinabneigte.

»Endlich, ihr lahmen Böcke!« brüllte der Kutscher und ließ

die Peitsche zwischen die vordersten Tiere des
Sechsergespannes zischen.

Er straffte die Zügel, denn nun schob der Wagen gegen die

Seile und Geschirre. Knapp ein Dutzend Meilen noch bis

background image

82

Pearce, dachte Haggerty. Er verspürte eine merkwürdige
Ahnung in sich. Als Mann der Wildnis gab er diesen Gefühlen
nach, handelte oft instinktiv und wußte, daß er immer richtig
handelte.

»Hoffentlich ist in Pearce noch alles beim alten«, sagte

Haggerty leise zu Larry Osborne.

Doch der dicke Whiskyvertreter hatte die Worte gehört.

Seine Augen weiteten sich, und das Fett des Dreifachkinns
zitterte beängstigend.

Wyatt Earp musterte den Scout interessiert. Sein Bruder

Virgil blickte Haggerty nur kurz an. Virgil wußte von den
Ahnungen der Männer, die überwiegend auf sich allein gestellt
das wilde Land durchtrailten.

Niemand sprach während der nächsten Stunde. Ab und zu

gluckerte es in der Ecke des Dicken, wenn er wieder eines
seiner Probenfläschchen leerte.

Sooft Larry und Buck auch hinausspähten, sie blickten

immer gegen die zerfressenen, bizarren Felsgebilde der
Dragoon Mountains. Noch umschlossen die Ausläufer der
Berge den Kutschweg, den einzigen, den es in dieser Zeit für
die Fahrt nach Osten und Westen gab.

Doch dann rollte die Kutsche in die Ebene hinab.
»Rauchwolken, im Nordosten«, rief Ted Riley vom Bock.

»Freunde, ich glaube, Pearce steht nicht mehr.«

Wyatt Earp stieß einen Fluch aus und preßte anschließend

die Lippen eng zusammen.

»Laß sie laufen, Ted«, rief Buck zum Seitenfenster hinaus.
Knallend fuhr die Peitsche zwischen die Zugpferde. Sie

legten sich mit aller Kraft in die Riemen und rissen die schwere
Kutsche über den Fahrweg. Im Galopp preschten die
Deichseltiere voran. Der Geruch nach Feuer, Brand und Rauch
drang bis in den Wagen.

»Alles ist verbrannt!« brüllte Jack Vance, der Begleiter.
Er umklammerte die Winchester so fest, daß seine

background image

83

Fingerknöchel weiß hervortraten. Jack war bereit, es mit den
roten Mordbrennern aufzunehmen, ihnen heißes Blei um die
Ohren fliegen zu lassen, sollten sie noch in der Nähe auf
weitere Beute lauern.

»Sie sind weg«, sagte Haggerty im Wagen ruhig. »Wenn sie

Pearce wahrhaftig gestürmt haben, fanden sie reiche Beute. Die
Apachen bringen erst diese Beute in Sicherheit.«

Die Pferde scheuten, als ihnen der Blutgeruch in die Nüstern

drang. Nur mit all seinem Können hinderte Ted Riley die Tiere
am Ausbrechen. Endlich zog er die Bremse an, hielt die Zügel
immer noch straff gespannt, bis sich die Gäule beruhigten.

Larry, Haggerty und Buck rissen die Türen auf und sprangen

hinaus.

Ein Bild des Grauens erwartete sie.
Die Holzhäuser waren niedergebrannt. Einzelne Bretter und

Balken, verkohlt, teilweise noch glimmend, ragten wie
mahnende Finger aus den Aschehaufen. Die Strohdächer der
Adobehäuser waren vernichtet. Und überall lagen Tote ohne
Skalps.

Der Wagenkasten knirschte, als der dicke Randolph Glandon

ausstieg.

»Herr im Himmel«, sagte der Whiskyvertreter gepreßt, »das

ist ja unmenschlich. Das können doch nur Tiere vollbracht
haben.«

Er wandte den Blick ab, vermochte nicht, dieses Bild des

Schreckens länger anzusehen.

Er stieß gegen Wyatts Stiefel, als er nach seiner Tasche griff,

um sich mit weiterem Whisky zu stärken. Geschickt sprang der
schlanke Earp über den Dicken hinweg und landete sicher auf
den Füßen.

Virgil wartete, bis sich Glandon abgewandt hatte, ehe er

ausstieg.

Grimmig sagte der schnauzbärtige Wyatt: »Das sind also Ihre

Freunde, Chiefscout. Schöne Freunde haben Sie, wirklich.«

background image

84

Haggerty verspürte hilflosen Zorn in sich. Obwohl Earp es

doch besser wußte, hörte er nicht mit seinen Sticheleien auf.

»Sehen wir uns um«, sagte Larry mit kalter Stimme.
»Denkst du, einer hat das überstanden?« fragte Buck und

deutete auf einen Mann, der skalpiert worden war.

Osborne antwortete nicht. Wie von selbst gingen die vier

Männer auseinander, marschierten mit einigen Yards Abstand
zwischen sich durch die rauchenden Trümmer der kleinen
Siedlung zum Goldfeld.

Nichts Lebendes fand sich.
Die Kutscher blieben wachsam auf dem Bock, suchten die

Umgebung mit ihren Blicken ab, vermuteten hinter jedem
Dornbusch, hinter jedem Stein einen Apachen und vermochten
sich kaum zurückzuhalten. Am liebsten hätten sie die gesamte
Umgebung mit heißem Blei bepflastert.

Haggerty drang in die Trümmer ein. Suchend zog er seine

Spur, beugte sich hin und wieder hinab und kehrte schließlich
zu den anderen zurück.

»Was unternehmen wir?« fragte Waytt.
»Wir fahren so schnell wie möglich weiter«, entschied der

Chiefscout. »Das ist ein Job für die Kavallerie.«

»Wieso?« wollte Virgil wissen.
»Die Apachen nahmen alles von Wert mit«, erwiderte

Haggerty. »Sie schleppten eine Menge Schnaps fort, denke ich
mir. Und noch etwas fehlt: die Frauen!«

Entsetzt blickten sich die Männer an.
»Haggerty hat recht«, stieß Buck hervor, »nirgendwo haben

wir eine tote Frau gefunden. Heiliger Jason.«

»Die Army muß die Bande verfolgen und stellen«, sagte der

Scout. »Unter Druck sind die Krieger sicher zu Verhandlungen
bereit. Wir dürfen nicht zulassen, daß sie die Frauen
mitschleppen. Sie werden in den Dörfern oder Apacherias wie
der letzte Dreck behandelt, vielleicht sogar zu Tode gequält.«

Buck und Larry schoben die Hüte entschlossen nach hinten.

background image

85

»Kommt nicht in Frage«, sagte Osborne entschlossen, »das

ist keine Sache für die Idioten in den blauen Uniformen. Die
verderben doch alles nur. Wir setzen uns auf die Fährte der
Apachen. Und Sie führen uns, John. So wird's gemacht, und
nicht anders.«

Wyatt Earp sah Larry verblüfft an.
»Du hast recht, Gunslinger«, sagte er, »die Hohlköpfe von

der Army galoppieren mit Gesang und Trompetengeschmetter
in die Berge. Den nächsten Monat brauchen diese Narren, um
selbst wieder rauszufinden. Bis die Blauröcke die Horde
erwischen, sind die mitsamt den Frauen längst in Sicherheit.«

Haggerty schüttelte den Kopf. Sicher, auch die Earps waren

gute Kämpfer. Aber hier ging es darum, die Macht der Weißen
zu zeigen. Den Apachen klarzumachen, daß sich die
Bleichgesichter nicht alles gefallen ließen.

Zudem fand der Scout ein gutes Argument, wie er dachte.
»Und ihr wollt also zu Fuß hinter der berittenen Horde

hermarschieren?« fragte Haggerty. »Ihr wollt ihnen in jede
Falle laufen, die sie für uns aufstellen?«

Entgeistert sahen sich die vier Männer an. Schließlich sagte

Buck Tinatra grinsend:

»Um ein Haar hättest du uns reingelegt, Scout. Aber wirklich

nur um ein Haar.«

»Wie weit ist es bis Fort Buchanan?« fragte Larry Osborne.
»Länger als fünf Stunden«, erwiderte Haggerty.
»Also, Mister, in etwa zwei Stunden schaffen wir die Strecke

zurück nach Tombstone. Dort klemmen wir uns gute Pferde
zwischen die Beine und reiten los. Rechnen Sie doch mal nach:
fünf Stunden mit der Kutsche zum Fort. Eine Stunde, um den
Offizieren alles klarzumachen. Frühestens in sechs Stunden
kann die Truppe unterwegs sein, kommt also erst bei Einbruch
der Dunkelheit hier an. Wir schaffen den Weg bis hierher
zurück in höchstens vier bis fünf Stunden, haben also noch den
ganzen Spätnachmittag Zeit, in die Dragoons einzudringen.«

background image

86

»Du bist zwar überhaupt nicht mein Fall«, sagte Wyatt Earp,

»aber du hast recht. Nur ohne Haggerty geht's nicht. Oder traut
ihr euch zu, die Fährte der Rothäute aufzunehmen und zu
halten?«

»Das nicht, aber die Spur der gefangenen Frauen«, erwiderte

Buck lässig. »Ich wette, sie müssen laufen. Die Apachen
wollen sie fertigmachen, ihre Widerstandskraft schwächen.
Denn die Krieger feiern doch bestimmt ihren großen Sieg.
Oder nicht, Haggerty?«

Der Scout nickte. Ja, die roten Kämpfer würden tanzen,

trinken und die reiche Beute aufteilen.

Vielleicht hatten die anderen Männer sogar recht. Jede

Minute Vorsprung für die Apachen brachte die gefangenen,
mitgeschleppten Frauen ihrem erbarmungslosen Schicksal
näher.

»Also gut, ich bin einverstanden«, sagte der Chiefscout

schließlich. »Wir fahren so schnell wie möglich zurück nach
Tombstone.«

»Und das hier? Die Toten alle?« wollte Virgil wissen.
»Das hat Zeit«, erwiderte Haggerty, »wenn wir Erfolg haben,

schicken wir die Kavallerie raus. Die sollen die Toten
begraben.«

Sie liefen zur Kutsche zurück.
»Also, ab in die Dragoons«, sagte Larry Osborne zu den

Fahrern.

»Zurück nach Tombstone?« fragte Ted Riley ungläubig.
»Ja, aber schnell«, erwiderte Buck Tinatra, »egal, ob die

Pferde dabei draufgehen. Sie müssen nur bis zur Station
durchhalten, klar?«

»Warum? Ist das ein Befehl der Streckenreiter?«
»Das ist ein Befehl, vergiß deinen Fahrplan«, sagte Larry

hart. »Die Apachen haben sämtliche Frauen mitgeschleppt. Wir
brauchen gute Pferde, wenn wir die Horde erwischen wollen.«

»Allmächtiger«, sagte Ted Riley und ächzte.

background image

87

Er löste die Bremse, ließ die Peitsche knallen und wendete

den schweren Wagen. Erbarmungslos trieb der Fahrer die Tiere
an. Sie wieherten empört, stemmten sich jedoch in die
Geschirre.

Die Kutsche erreichte Tombstone in nur anderthalb Stunden.

Dort kümmerte sich keiner der Fahrgäste um die Neugierigen,
die zusammenliefen und aufgeregt einen Schwall von Fragen
losließen.

Buck und Larry stürmten ins Office der Company, gaben

eine Reihe von Befehlen, und sofort wirbelten die Männer
durcheinander.

Es dauerte nur zehn Minuten, bis jeder mit einem

ausgezeichneten Reitpferd, einer vollen Wasserflasche und
ausreichend Munition versehen war.

Erst als die fünf Männer im Galopp die Minenstadt wieder

verließen, versuchte der dicke Whiskyvertreter aus der Kutsche
zu klettern. Er schaffte es nicht, stolperte, fiel zu Boden und
schlief sofort ein.

Wie ein zitternder Fleischberg lag er dort, verbreitete einen

Schnapsgestank, der einen wenig trinkfesten Mann
umgeworfen hätte.

Drei Pferdehelfer waren nötig, den Dicken in den Stall zu

schleppen, in dem er seinen Rausch in einer leeren Box
ausschlafen durfte.

*

Weitere zwei Stunden später nahm John Haggerty die Spur der
Horde auf. Die Mimbrenjos waren genau nach Westen
gezogen, auf die Dragoon Mountains zu. In den zerklüfteten
Felsentälern fanden die Krieger genügend Verstecke, die wie
Festungen kaum zu erobern sein würden.

Noch war die Fährte deutlich zu erkennen. Haggerty wußte,

daß sich das ändern würde. Marschierten die Tiere erst über

background image

88

felsigen Untergrund, mußte der Scout seine ganzen Fähigkeiten
einsetzen, um die Spur nicht zu verlieren.

»Hört mal zu, ihr beiden Komiker«, sagte Larry Osborne, der

sein Pferd zwischen die Tiere der Earps leitete.

Wyatt kniff die Augen zusammen. Seine Augen waren nicht

zu sehen. Die vorgewölbten Stirnknochen beschatteten sie.

»Was willst du, Halbwilder?« fragte Wyatt und übersah das

tadelnde Kopfschütteln seines Bruders.

»Wißt ihr, worauf ihr euch eingelassen habt?« erkundigte

sich Larry Osborne ernst. »Die Apachen sind wilde Teufel.
Stoßen wir auf sie, wenn sie noch betrunken sind, kämpfen sie
noch rücksichtsloser als sonst.«

»Er hat die Hosen schon voll«, spottete Wyatt. »Da sind wir

doch aus anderem Holz geschnitzt, nicht wahr, Virgil?«

»Du solltest dich nicht wie ein Narr benehmen«, warf Buck

ein.

»Genau das ist es«, sagte Larry friedlich. »Wir folgen einer

Horde blutgieriger Teufel. Diese Rebellen sind die wildesten
Krieger. Sie nehmen jede Gelegenheit wahr, auf Raubzug zu
gehen, lassen sich nicht von ihren Häuptlingen bändigen. Was
ich sagen will, ist dies: wir sind aufeinander angewiesen. Daß
wir uns gegenseitig nicht ausstehen können, muß vergessen
sein, klar?«

Wyatt nickte nachdenklich. Dieser Revolverschwinger hatte

recht. Obwohl Buck Tinatra und Larry Osborne überhaupt
nicht nach Wyatts Geschmack waren, blieben sie doch
gefährliche Kämpfer. Und nun, da sie zusammen ritten, mußte
sich einer auf den anderen bedingungslos verlassen können.

»In Ordnung, schließen wir Frieden«, sagte Wyatt Earp,

»wenigstens so lange, bis wir die Frauen befreit haben.«

Virgil nickte nur. Er wußte ohnehin, daß jegliche Streiterei

untereinander nur zu lebensgefährlichen Situationen führen
würde, vor allem in ihrer Lage.

»Was ist mit dem Scout?« fragte Virgil plötzlich und richtete

background image

89

sich im Sattel auf.

John Haggerty hatte sein Pferd gezügelt und blickte zu

Boden.

Als die vier Reiter ihre Tiere hinter John verhielten, sagte der

Fährtensuchen »Aus, hier endet die Spur. Die Felsenwege
beginnen.«

Wyatt fluchte zornig und fragte: »War alles umsonst? Oder

findest du die Fährte wieder?«

Haggerty lächelte und erwiderte:
»Wir haben einen Vorteil. Die gestohlenen Pferde und Mulis

tragen Hufeisen. Ich entdecke schon irgendeinen Kratzer, der
uns weiterhilft. Es dauert eben nur etwas länger.«

Ungeduld brannte in den Verfolgern. Larry und Buck hatten

mittlerweile bei ihren einsamen Patrouillenritten gelernt, daß
Geduld die wichtigste Eigenschaft im Apachenland war. Sie
sahen Haggerty zu, der sein Pferd langsam hin und her leitete.
Endlich verhielt er vor einem Felsband, das sich, kaum einen
halben Yard breit, entlang einer zerklüfteten Steilwand nach
oben erstreckte.

»Los, das ist der Trail«, sagte Buck und trieb sein Tier an.
»Mann, bist du sicher?« fragte Wyatt Earp erstaunt. »Das ist

doch ein Weg für 'ne Bergziege und keiner für einen Gaul.«

Haggerty leitete sein Pferd ohne Zögern auf das schmale

Band zu. Langsam setzte das Tier Huf vor Huf. Selbst an den
engsten Spalten verhielt John, musterte den Boden und suchte
nach Spuren.

Immerhin war es möglich, daß die Apachen einen Krieger

zurückgelassen hatten, der die eigene Fährte beobachten sollte.
Dies war eine uralte Gewohnheit der Wüstenkrieger. Sie
unterbrachen ihren Trail und starrten stundenlang auf die
eigene Spur, um einen eventuellen Verfolger zu entdecken und
in die Falle laufen zu lassen.

Es ging nur langsam weiter.
Endlich fand Haggerty die Abzweigung. Sie war so eng, daß

background image

90

die Weißen die Füße aus den Steigbügeln ziehen und die Bügel
selbst hochnehmen mußten.

»Zwei Längen Abstand halten«, befahl Haggerty halblaut.
Warum das, wollte Wyatt fragen. Als er hochsah, wußte er

die Antwort. Auf den Zacken und Vorsprüngen lagen kleine
Berge lockeren Gerölls. Ein Krieger vermochte leicht, eine
Steinlawine auszulösen. Hielten die Reiter genügend Abstand,
erwischte es nur einen Mann.

Innerlich fluchte der jüngere Earp. Diese Felsen waren von

Spalten durchsetzt, die irgendwo begannen und irgendwo
endeten. Für einen Weißen stellten sie einen Irrgarten dar, in
dem er hoffnungslos verloren war, fand er die eigene Fährte
zurück nicht mehr.

Irgendwo sickerte Wasser. Aus einer kaum handbreiten

Öffnung wehte es kühl heraus.

Ab und zu wucherten Grasbüschel aus Spalten, in die der

Wind Erde abgelagert hatte. Weiter vorn stand ein
Bergwacholder niedrig geduckt gegen die Geröllbrocken
geschmiegt.

Ein totes Land, dachte Wyatt Earp. Und doch verbergen sich

die roten Krieger hier. Also muß es genügend große Täler
geben, in denen Gras für die Mustangs wächst. Gras und
Wasser benötigten die Tiere. Allein mit Wasser kamen die
Krieger aus. Aber alle Apachen wußten von geheimen Quellen,
die wohl nie ein Weißer zu Gesicht bekam.

Haggerty verhielt sein Pferd und beugte sich aus dem Sattel.

Endlich, nach langen Minuten, deutete der Scout auf ein noch
schmaleres Felsband, das in einen dunkel gähnenden Tunnel
hineinführte.

»Was, da sollen wir durch?« fragte Wyatt den blonden

Osborne. »Am Ende lauert doch schon ein Apache, um uns die
Köpfe abzuschneiden.«

Larry grinste und fragte: »Was willst du sonst machen?

Drüberfliegen?«

background image

91

Zweifelnd blickte Wyatt hoch und schüttelte den Kopf.
»Geht nicht, zu hoch«, erwiderte er.
Glatt wuchs die Felswand vor ihnen auf. Nicht der geringste

Vorsprung war zu entdecken. Sie mußten in den dunklen
Stollen eindringen, wollten sie den Apachen weiterhin auf der
Spur bleiben.

Das Unbehagen wich erst von den Männern, als der etwa

dreißig Yards lange Gang einige Pferdelängen hinter ihnen lag.
Der Weg verbreiterte sich so, daß zwei Mann nebeneinander
reiten konnten. Im Trab liefen die Pferde voran.

Doch nach etwa einer halben Meile zügelte Haggerty sein

Tier und saß ab. Er suchte gebeugt den Boden ab.
Kopfschüttelnd blieb er schließlich vor einem keilförmigen
Einschnitt stehen und deutete mit der Hand auf die Öffnung.

»Sie sind dort durch«, sagte der Scout. »Ich weiß zwar nicht,

wie sie das geschafft haben, aber die Spuren führen durch diese
Spalte.«

»Eine falsche Spur vielleicht«, vermutete Virgil Earp, der

während des ganzen Rittes noch kein Wort gesprochen hatte.

»Unmöglich«, erwiderte Haggerty sofort.
Er wandte sich ab, schlug die Steigbügel über den Sattel und

glitt in die Felsspalte. Unwillig folgte das Pferd dem
fordernden Druck der Zügel, setzte tastend Huf vor Huf und
kletterte schließlich in die Öffnung, indem es sich drehte und
wand. Endlich hatte das Tier die Engstelle passiert.

»Hier wird's besser«, sagte John halblaut. »Beeilt euch, wir

haben nur noch zwei Stunden Tageslicht. In diesen Schluchten
wird's schneller dunkler als draußen.«

Es dauerte einige Zeit, bis die vier übrigen Pferde die

schmale Öffnung bezwungen hatten. Aber anschließend
konnten die Reiter ihre Tiere wieder traben lassen.

Andauernd blickte John Haggerty zu den Gipfeln der

Felswände hinauf, suchte jede nur mögliche Deckung mit
seinen Blicken ab. Er verspürte ein merkwürdiges Gefühl. So,

background image

92

als würde er beobachtet, aber nicht von einem Feind.

»Was ist mit ihm los? Juckt der Skalp?« fragte Wyatt den

dunkelhaarigen Larry Osborne.

»Spürst du es nicht?« fragte er zurück. »Ich merke es

ebenfalls. Wir werden beobachtet. Fragt sich nur, wer in einer
guten Deckung lauert.«

Wyatt lachte kurz und freudlos und erwiderte: »Die Frage ist

doch nicht schwer zu beantworten. Die Späher der
Apachenhorde hocken da oben. In ein paar Minuten decken sie
uns mit heißem Blei ein.«

Osborne schüttelte den Kopf. Nein, es waren keine Gegner,

die auf sie warteten. Denn in diesem Fall hätte Larrys Instinkt
längst Alarm gegeben.

Der breite Weg wand sich wie eine Schlange durch die

Felsen der Dragoon Mountains. Hinter jeder Biegung konnte
das Verderben warten, konnten rote Krieger auftauchen, wie
vom Felsen ausgespuckt.

Und als sich der Trail noch mehr verbreiterte, entdeckten die

fünf Weißen die Indianer.

Zwei Krieger ritten auf sie zu.
»Verdammt, jetzt wird's ernst«, zischte Wyatt und wollte die

Winchester aus dem Scabbard reißen.

»Nicht, es ist Cochise mit seinem Sohn Naiche«, warnte

Buck Tinatra.

*

Ruhelos durchstreifte der Jefe der Chiricahuas das weite
Gebiet. Begleitet wurde er nur von Naiche, seinem Sohn. Am
frühen Mittag entdeckten die Indianer die Rauchwolken.

Naiches dunkle Augen glommen unheilvoll, als er sich

seinem Vater zuwandte und sagte: »In unserem eigenen Land,
mein Vater. Der einarmige General wird sagen, daß dein Wort
weniger wert ist als eine tote Klapperschlange.«

background image

93

Der Chief unterdrückte mühsam seinen Zorn. Geronimo ging

zu weit. Der ehrgeizige Krieger brachte es mit seinem Drang
zur Häuptlingswürde noch fertig, daß der gesamte Südwesten,
das Apachenland, von Weißen und Indianern zu einer Hölle
gemacht wurde.

»Wir reiten dorthin«, sagte der Jefe nur und trieb seinen

Mustang an.

Ihnen bot sich das gleiche Bild wie vor wenigen Stunden den

Männern der Kutsche nach Duncan.

Tod, verkohlte Balken, skalpierte Männer, waren das

Ergebnis von Geronimos Raubzug. Cochise und Naiche saßen
ab, suchten die gesamte Siedlung nach Spuren ab und
entdeckten sofort die Stiefelabdrücke weißer Männer, die
ebenfalls durch die Trümmer gestreift waren.

»Hier, ein rollendes Jacale hat gewendet«, sagte Naiche und

deutete auf die tief eingegrabenen Radfurchen.

»Wenn sie davonfahren und die Pferdesoldaten holen,

stürmen die Blauröcke unsere Berge«, fuhr Naiche mit
schwerer Stimme fort.

Er wußte, daß die Apacheria des Stammes kaum

einzunehmen war. Brachten die Bleichgesichter jedoch
Kanonen und jene Gewehre mit, die ohne Pause feuerten, stand
es um die Chiricahuas schlecht.

Cochises Gedanken führten in eine andere Richtung. Der

Chief kannte die Zeiten der Kutschen. Er erinnerte sich daran,
daß der Falke und die beiden Streckenreiter mitfuhren, daß sie
schon einen Angriff Geronimos abgeschlagen hatten.

»Es ist Falke«, sagte Cochise. »Sie fuhren zurück, um in

Tombstone Pferde zu holen. Nur er wagt es, eine Rotte Krieger
zu verfolgen.«

»Warum aber?« wollte Naiche wissen, »wegen der Beute?

Aus Rache für die toten Weißen?«

Der Jefe schüttelte nach Art der Bleichgesichter den Kopf

und erwiderte: »Du hast oft genug diese Menschen hier

background image

94

beobachtet, Sohn. Berichte, überlege, was du dabei erspähtest.«

Naiche atmete nach wenigen Augenblicken scharf aus und

rief: »Sie haben die Squaws mitgeschleppt. Das ist ihre wahre
Beute.«

Sofort entstand vor den Augen des jüngeren Chiricahuas das

Bild einer neuen Sippe, die sich zu einem Stamm entwickelte.
Wenn die Rebellen unter Geronimo sich irgendwo in der
Felsenwildnis verbargen, konnten sie in einem Dutzend Jahren
gefährliche Feinde werden.

Naiche teilte seinem Vater diesen Verdacht mit. Cochise

jedoch wehrte ab und sagte: »Das genügt Geronimo nicht. Er
will die Führung übernehmen, will wie ich werden. Glaube
mir, dies ist sein Ziel: größer zu sein als Victorio. Nein, er
gründet keine neue Sippe. Er wird die Squaws mit in die
Reservation schleppen und dort verstecken.«

»Und das bedeutet«, sagte Naiche, »daß die Pferdesoldaten

jeden Fußbreit Boden absuchen, jeden Apachen wie einen
Eselshasenjagen. Es gibt Krieg, den du nicht willst, mein
Vater.«

Grimmig nickte der große Häuptling. Ja, diesmal hatte sein

Sohn recht. Geronimo wurde zu einer großen Gefahr für das
Gebiet der Indianer. Der ehrgeizige Krieger vermochte alles zu
zerstören, was Cochise mühsam erhielt. Der Frieden, dem er
zugestimmt hatte, war wieder einmal gefährdet. Verbündete
sich Geronimo mit Victorio, gab es keinen Frieden mehr, dann
überzog sich das Land der Apachen mit Krieg.

Und dieser Konflikt würde das Ende der Wüstenkämpfer

bedeuten.

Cochise war entschlossen, durch kluge Politik seiner Rasse,

den Stämmen der Apachen zumindest das Leben zu erhalten.

Einige wenige Weiße dachten wie er. Aber diese Absichten

wurden von Menschen beider Hautfarbe immer wieder
durchkreuzt. Auf der einen Seite lockten Kampf und Beute.

Die Weißen wollten Gold, Land und Wasser. Ein

background image

95

Zusammenleben schien unmöglich, wenn nicht beide Gruppen
gewisse Regeln respektierten.

»Wir folgen den Rebellen«, entschied Cochise. »Es ist nötig,

daß die Krieger um Geronimo die weißen Frauen herausgeben.
Führen wir die Squaws zu Falke, wird er die Verfolgung
aufgeben und erkennen, daß auf Cochises Wort kein Verrat
folgt. Und Falke berät den einarmigen General. Er vermag ihn
von der Entsendung der Blaubäuche abzuhalten.«

Naiche folgte seinem Vater, der den Mustang herumzog. Sie

ritten direkt auf die Berge zu, die ihre Heimat waren, in der die
uneinnehmbare Felsenfestung, die Apacheria der Chiricahuas,
lag.

Nach etwa einer Stunde vermutete Cochise bereits, welches

Versteck Geronimo ausgesucht hatte.

»Er lagert in dem Felsental«, sagte der Chief zu seinem

Sohn, »in dem das Wasser im Boden verschwindet.«

Die beiden Chiricahuas ließen die Pferde in einem Versteck

zurück und glitten zu Fuß weiter. Nach langer Zeit erreichten
sie eine vorspringende Klippe, von deren Ende aus sie den
Talkessel überblicken konnten.

Cochise und Naiche sanken zu Boden, schoben sich weiter

und spähten schließlich in die Tiefe.

Feuer loderten auf. Zwei Mulis starben unter den Beilhieben.

Wenig später zog der Duft bratenden Fleisches in die Höhe.

Die Frauen wurden zu einer großen Rundhütte getrieben,

dem Jacale, das die bösen Geister vernichtete.

»Zurück«, raunte Cochise, »sie bleiben hier.«
Als die Männer wieder ihre Pferde erreichten, fragte Naiche:

»Hast du die Flaschen gesehen?«

Cochise nickte nur. Grimm fraß in ihm. Die Krieger ließen

sich viel zu leicht verleiten, das brennende Wasser der Weißen
zu trinken. Diese ätzende Flüssigkeit, die zuerst den Geist
verwirrte, dann den Mut und die Verwegenheit anstachelte und
zum Schluß die Glieder schwer machte und einen Mann zu

background image

96

Boden schlug.

Dumpf ahnte der große Häuptling, daß dieses brennende

Wasser eine mächtige Waffe in den Händen der
Bleichgesichter war. Denn Cochise kannte Apachen, die
diesem Trank des bösen Geistes verfallen waren, die alles
hergaben, um nur eine Flasche davon zu erhalten.

»Vater, was unternehmen wir?« fragte Naiche, als sie

zurückritten.

»Wir halten Falke und seine Männer auf«, erwiderte Cochise

entschlossen. »Er findet die Fährte der Horde. Die Krieger sind
berauscht. Es gibt ein furchtbares Gemetzel, greift Falke an.
Die Rebellen werden die Squaws nicht schonen. Und das wäre
unser Ende.«

»Willst du ihnen die Beute überlassen?« fragte Naiche.
»Nein, mein Sohn, ich, Cochise, handele«, erwiderte der

Jefe. »Dies sind meine Berge. Weder ein Weißer noch
Mimbrenjos haben hier etwas zu suchen, wenn ich sie nicht
gebeten habe, herzukommen. Reiten wir Falke entgegen.«

*

Ein halbes Dutzend Pferdelängen trennten Haggerty von
seinem Freund, dem großen Häuptling.

Cochise zügelte seinen Mustang, streckte in einer

gebieterischen Geste die Linke aus und sagte laut: »Halt, Falke,
dies ist mein Land. Und du bist jetzt nicht willkommen.«

Haggerty saß reglos im Sattel. Seine Gedanken jagten sich.

Fieberhaft suchte John nach einer Erklärung für das Verhalten
des Jefes. Er zeigte seine Macht als Häuptling des größten
Stammes, als Chief der Apachen.

Warum verwehrte er John den Zugang zu den Dragoon

Mountains?

Machte er etwa gemeinsame Sache mit Geronimo?
Etwas von diesen Gedanken oder Gefühlen mußte sich auf

background image

97

Haggertys Gesicht widergespiegelt haben. Denn Cochise
lächelte flüchtig und rief: »Es ist meine Sache, abtrünnige
Apachen zu bestrafen. In diesen Bergen gilt Cochises Gesetz,
und dieses Gesetz ist das unserer Stämme.«

Haggerty zögerte mit seiner Antwort. Er befürchtete, den

Chief zu verletzen. Und John wollte auf keinen Fall, daß die
Freundschaft zwischen ihnen einen Riß erhielt.

»Ich sage Freund zu dir, Cochise«, erwiderte John langsam.

»Und ich frage dich, ob ich als Freund hier willkommen bin,
hier an diesem Ort.«

Der Chiefscout wartete die Antwort nicht ab, sondern

schwang sich nach dem letzten Wort aus dem Sattel. Mit
gemessenen Schritten ging er auf den Jefe zu, der ebenfalls
absaß.

Er reichte seinem weißen Freund die Hand nach Sitte der

Bleichgesichter.

»Ich sehe, Falke, wir müssen ein Palaver abhalten«, sagte

Cochise.

Er setzte sich ohne Zögern nieder. Haggerty folgte seinem

Beispiel und wartete höflich, bis der Häuptling das Gespräch
eröffnete.

»Höre, Falke«, begann Cochise, »ich fand die Toten, die

niedergebrannten Jacales der Siedlung. Ich fand die Spuren des
rollenden Wagens. Und ich wußte, daß du in Tombstone Pferde
holen würdest. Ich entdeckte, daß die Horde alle Squaws
verschleppt hat.«

Der Chief schwieg einen Moment. Seinem Gesicht waren die

Sorgen, die ihn bedrängten, nicht anzumerken.

»Die Mimbrenjos erbeuteten Schnaps, Falke«, fuhr Cochise

fort. »Wenn du angreifst, werden die weißen Frauen sterben.
Zusammen mit deinen Männern vermagst du nicht jeden
Apachen zu töten. Vergiß nicht: Geronimo führt die Horde. Er
hat viele Anhänger. Seine Freunde werden einen Rachefeldzug
unternehmen und Weiße töten.«

background image

98

Haggerty schwieg eisern. Zuerst sollte der Häuptling seine

Pläne mitteilen. Danach würde John antworten.

»Ich werde die Krieger bestrafen, nach unserem Gesetz«,

fuhr Cochise fort. »Vergiß nicht, Falke: sie brachen mein
Wort.«

Haggerty überlegte kurz und schauderte innerlich zusammen.

Er sah die Folgen deutlich vor sich.

Die Mimbrenjos unter Victorio begaben sich auf den

Kriegspfad gegen ihre Brüder, die Chiricahuas. Die lockere
Allianz zwischen den Stämmen, die widerwillig Cochises
Frieden einhielt, mußte zerbrechen. Ein grausamer Krieg war
die Folge, ein Krieg, der den Südwesten in eine wabernde
Feuerlohe versetzte.

Denn die Apachen aller Stämme beschränkten sich nicht

darauf, gegen die Chiricahuas zu ziehen. Sie griffen in diesem
Fall jeden Weißen an, würden mit Hilfe ihrer Listen die Forts
stürmen und die Patrouillen der Kavallerie niedermachen.

»Jefe«, erwiderte Haggerty schwer, »dies ist dein Land. Dein

Gesetz gilt hier. Doch ich frage mich, ob es klug ist, die
Rebellen streng nach diesem Gesetz zu strafen. Denn die Strafe
ist der Tod, wie ich weiß. Sterben die Krieger, richtet sich der
Zorn aller Apachen gegen dich. Wenn du dich so offen auf die
Seite der Weißen stellst, bricht dein Handeln den Frieden. Ich
möchte die Frauen befreien, ja. Sie sterben, müssen sie bei den
Squaws der Stämme leben. Ich möchte den Kriegern jedoch die
Möglichkeit zum Rückzug lassen. Vergiß nicht, daß nur
wenige Apachen immer wieder Raubzüge unternehmen, daß
eigentlich Frieden im Land herrscht.«

Cochise starrte nachdenklich zu Boden. Er schien zu spüren,

daß Falke auf seiner Einstellung beharren würde.

»Mann, was reden die da herum?« fragte Wyatt Earp leise.

»Wenn Cochise auf unserer Seite steht, können wir doch
gemeinsam angreifen!«

Buck und Larry schüttelten gleichzeitig die Köpfe.

background image

99

»Wir dürfen Cochise nicht zu sehr reizen«, erklärte Buck.

»General Howard hat ihm zugesichert, daß die Chiricahuas die
Dragoon Mountains als ihr Eigentum behalten und in der
Ebene jagen dürfen. Wir stehen auf Cochises ureigenstem
Gebiet.«

Wyatt bewegte die Lippen in lautlosen Flüchen. Einerseits

kam ihm die Verstärkung durch den Häuptling und seinen
Sohn gerade recht. Andererseits würde er am liebsten mitten
zwischen die verdammten roten Banditen springen und sie
niedermachen.

John Haggerty dachte an Tla-ina, die Schwester des Chiefs.

Für ein paar Sekunden erwog der Scout, ob er den Häuptling
nach dem Mädchen fragen sollte. Das entspannte die Situation
vielleicht.

Falke kam davon ab. Es war nicht Brauch bei den Apachen,

sich nach einer Squaw zu erkundigen. Selbst dann nicht, wenn
sie durch ihren Bruder dem weißen Mann, den sie liebte, ein
Geschenk geschickt hatte.

»Ich höre, mein Freund«, sagte der Scout darum so gelassen

wie möglich. »Drei Dinge bewegen mein Herz. Das Schicksal
der geraubten Frauen, der Friede in diesem Land und meine
Freundschaft zu dir.«

Das mußte doch ein harter Brocken sein, dachte John.

Gleichzeitig befürchtete er, zu weit gegangen zu sein. Denn
wenn er die Freundschaft zu Cochise in die Waagschale warf,
mochte der Jefe dies als zu gering für eine Erprobung dieser
Freundschaft ansehen.

»Falke, auch diese Dinge brennen in meinem Herzen«,

erwiderte der Häuptling langsam. »Ich kenne die Apacheria der
Rebellen.«

Haggerty blickte auf. Eine neue Situation ergab sich. Der

Chief war in der Lage, den fünf Weißen den Zugang zu
versperren. Andererseits konnte er ihnen helfen, ungesehen an
das Lager anzuschleichen und den Versuch zur Befreiung der

background image

100

Frauen zu wagen.

»Wir begleiten euch«, sagte Cochise, »wir bleiben außer

Hörweite der Apacheria. Im Morgengrauen befreien wir
gemeinsam die weißen Squaws. Ihr bringt sie in Sicherheit.
Was weiter geschieht, ist meine Sache.«

Haggerty überlegte und sagte drängend: »Töte die Männer

nicht, mein Freund. Die Rache ihrer Sippen würde die Hölle
aufbrechen lassen.«

»Du hast mein Wort, Falke«, erwiderte der Häuptling und

stand auf.

Er ging zu seinem Pferd, saß geschmeidig auf und übernahm

mit Naiche die Führung des Reitertrupps.

»Da marschieren wir wie Schafe hinter dem gefährlichsten

Apachen her, der überhaupt lebt«, sagte Wyatt Earp. »Wenn er
uns nun in eine Falle führt? Wenn er gemeinsame Sache mit
den Rebellen macht?«

Larry Osborne lachte kurz und erwiderte: »Dann ist dies das

Signal zu einem mächtigen Aufstand. Und wir würden so oder
so sterben. Denn wir reiten durch die Dragoon Mountains.«

Haggerty erkannte an den Spuren, daß sie die Fährte der

räuberischen Mimbrenjos verließen. Ein Felsenweg zweigte
scharf nach rechts ab, führte weg vom vermuteten Lager der
Krieger.

Der Scout schwieg, bis Cochise sie in ein langgestrecktes Tal

führte, das nur diesen einen Zugang zu besitzen schien.

Es roch nach Wasser und Gras.
Haggerty leitete sein Pferd neben den Mustang des Chiefs

und fragte: »Ist dies der Ort, an dem wir den Morgen
abwarten?«

»So ist es, Falke«, bestätigte Cochise lächelnd. »Wir können

Feuer entfachen und uns ungestört unterhalten. Niemand hört
auch nur ein Wort.«

Unbehaglich fuhr John fort: »Ich habe das Gefühl, in einer

Falle zu stecken. Gibt es noch einen anderen Ausgang?«

background image

101

»Komm mit, Falke«, forderte der Chief seinen Freund auf.
Sie saßen ab. Cochise ging leichtfüßig zu einigen großen

Geröllbrocken, die scheinbar den Weiterritt verhinderten. Der
Jefe wich seitlich aus, deutete mit der Rechten auf einen Weg,
der breit genug für ein Pferd war, und sagte: »Folgst du diesem
Pfad, gelangst du direkt zum Paß durch die Dragoons. Ein
langsames Tier marschiert zwei Stunden, nicht länger.«

Verblüfft blickte Haggerty den Apachenhäuptling an. Der

Scout glaubte, die Gegend um den Mule Paß wie seine
Hosentasche zu kennen. Aber in dieser zerklüfteten
Felsenwildnis gab es immer mehr Wege und Wunder zu
entdecken.

»Verdammt, warum greifen wir nicht jetzt an?« fragte Wyatt

Earp aufsässig, als er den Bauchgurt seines Pferdes lockerte.
»Kostbare Zeit geht verloren. Und das nur deshalb, weil sich
Haggerty und Cochise immer wieder erzählen, wie sehr sie
befreundet sind.«

Naiche sah den jungen Weißen an. Lächelnd sagte der

Häuptlingssohn: »Komm mit, ich zeige dir Wasser und Gras.«

Wyatt preßte die Zähne zusammen. Er witterte Verrat.

Trotzdem stapfte er, sein Pferd am Zügel, hinter dem
hochgewachsenen Chiricahua her.

»Wir kämpfen nicht in der Dunkelheit«, erklärte Naiche auf

dem Weg zur Quelle. »Unsere Seelen finden dann nicht den
Weg ins Totenreich. Bu, der Bote des Todes, verfehlt sie und
sie irren für alle Zeiten umher.«

Wyatt Earp verkniff sich ein paar bissige Bemerkungen über

diesen verdammten Aberglauben.

Er murrte nun »Inzwischen lassen sich die Halunken mit

Schnaps vollaufen und machen sich über die Frauen her.«

Auf einmal stand Cochise vor ihm. Im Mondlicht sah der

Häuptling noch ehrfurchtgebietender als am Tage aus. Er
schien von einer silbernen Aura eingehüllt, die wie ein Mantel
wirkte.

background image

102

Selbst der hitzige Wyatt Earp war beeindruckt und hielt sein

loses Mundwerk im Zaum.

Buck und Larry entfachten ein Feuer. Der mitgeführte

Proviant reichte für ein karges Mahl, das mit ein paar
Schlucken Wasser abgerundet wurde. Als die Zigaretten
brannten, sagte Naiche: »Ich wache. Legt euch nieder.«

Cochise streckte sich dicht neben seinem Pferd aus, schloß

die Augen und atmete regelmäßig.

Buck und Larry löschten das Feuer. Die Earps unterhielten

sich leise. Sie trauten dem Frieden nicht, sagten das auch, und
abermals wies John Haggerty sie zurecht.

»Wir müssen uns schon nach Cochise richten«, raunte der

Scout. »Wir sollten dankbar sein, daß er uns hilft. Gelangen
wir morgen mit den befreiten Frauen ungeschoren nach
Tombstone, ist unser Ziel erreicht.«

Endlich gaben auch die Earps Ruhe. Sie dachten noch eine

Weile über ihr Pech nach. Denn Pearce wäre für sie sicher eine
Goldgrube gewesen. So trailten sie am anderen Tag nach
Tombstone zurück, in die Stadt, die ihnen kaum eine Chance
gab.

Mitten in der Nacht erwachte Wyatt. Er richtete sich auf,

lauschte argwöhnisch und zuckte zusammen, als er das Rufen
eines Kaktuskauzes vernahm. Der junge Mann sah zu Cochises
Pferd. Der Pinto stand noch an seinem Platz. Aber von Cochise
war keine Spur zu entdecken.

Wyatt sprang auf, wollte Haggerty anstoßen, aber der Scout

erwachte durch die Störung von selbst.

»Was ist los?« fragte John hellwach.
»Der Häuptling ist verschwunden«, erwiderte Wyatt zornig.

»Ich hab's doch gerochen. Wir sind in eine Falle gelaufen.
Vielleicht rösten uns die Apachen morgen früh schon über
kleinem Feuer.«

»Wartet, ich sehe mich um«, sagte Haggerty und stand auf.
Wie ein Schatten verschwand er in der Dunkelheit. Es

background image

103

dauerte lange, zu lange, bis er zurückkehrte, dachte Wyatt, der
nervös am Griff seines Revolvers herumfingerte.

»Sie sind beide fort«, berichtete Haggerty halblaut.
»Was haben sie vor?« fragte Virgil, der ebenfalls erwacht

war. »Ich denke, Apachen kämpfen nicht in der Dunkelheit.«

Larry und Buck standen auf.
»Frauen befreien ist kein Kampf«, sagte der Scout

nachdenklich. »Vielleicht holen sie schon die Gefangenen.«

»Und was wird aus den verdammten Bastarden, die Pearce

niedergebrannt und die Männer dort umgebracht haben?«
fragte Wyatt Earp hitzig.

»Das ist ohnehin Cochises Angelegenheit«, erwiderte

Haggerty. »Machen wir uns lieber Gedanken darüber, wie wir
die Frauen nach Tombstone bringen. Wir können sie nur
marschieren lassen, nicht wahr?«

Wyatt fluchte halblaut vor sich hin. Darüber hatte er noch

nicht nachgedacht.

*

Die Mitte der Nacht war erreicht. Cochise richtete sich auf. Er
hatte keinen Moment geschlafen. Es war ihm gelungen, die
Bleichgesichter zu täuschen. Lautlos gelangte der Jefe auf die
Füße und glitt davon, ohne ein Geräusch zu verursachen.

Naiche erwartete seinen Vater bereits. Gemeinsam schlichen

sie durch die Felswildnis, die vom kalten Silberlicht des
Mondes erhellt wurde. Die fußbreiten Gesteinsbänder, die
kleinen Vorsprünge, die den beiden Chiricahuas als Halt
dienten, waren kaum zu erkennen. Trotzdem fanden sie ihren
Weg mit nachtwandlerischer Sicherheit.

Endlich verharrten sie. Langsamer Trommelschlag klang

durch die Nacht. Ein paar trunkene Stimmen sangen
Bruchstücke eines Siegesliedes.

Frauenstimmen kreischten angstvoll auf.

background image

104

Cochise vollführte eine komplizierte Handbewegung. Naiche

glitt davon. Er mußte die Wachtposten auf der linken Seite
ausschalten. Sein Vater übernahm die rechte Hälfte des
Kessels.

Unhörbar glitt der Chief der Chiricahuas über Sand, kleine

Steine und Grasbüschel. Er ahnte den Standort des Kriegers.
Und als er näher gekommen war, roch er ihn. Der Alkohol
verbreitete einen Gestank, der dem Chief unangenehm war.

Hinter dem Posten, der sich schwer auf den Lauf seines

Gewehres stützte, schnellte der Häuptling hoch. Ein Schlag mit
der Faust genügte, und der Mimbrenjo sank zusammen.

Mit der Linken packte der bärenstarke Chief den Krieger um

den Oberkörper, während er mit der Rechten das kippende
Gewehr auffing. Behutsam ließ Cochise seine Last zu Boden
gleiten und sank in die Hocke. Auf dieser Seite mußte ein
weiterer Posten stehen.

Schlangengleich glitt der Apache weiter. Eine winzige

Bewegung verriet den zweiten Wächter. Dieser Mann hatte
nichts von dem brennenden Wasser getrunken. Lange Minuten
wartete Cochise ab. Erst als weiter hinten Holz splitterte, als
der Posten für den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt wurde
und den Kopf wandte, schnellte Cochise hoch. Er legte seinen
Unterarm um den Hals des Mannes und drückte mit aller Kraft
zu. Nur ein Atemzug drang lauter durch die Nacht, ehe der
Mimbrenjo schlaff zusammenfiel.

Vorsichtig legte der Häuptling auch diesen Mann auf den

Felsenboden und horchte. Abermals splitterte es.

Cochise vermutete, daß einer der Krieger in seiner

Trunkenheit die Angst vor den fremden Geistern überwunden
hatte und in die Hütte der gefangenen weißen Squaws
eindrang.

Mit weiten Sprüngen überquerte der Häuptling die

Entfernung zu der großen Hütte.

»Packt ihn, wenn er reinkommt«, sagte eine Frau leise. »Ich

background image

105

werfe mich gegen seine Beine. Er ist doch betrunken. Wir
müssen das schaffen. Hört ihr. Wir müssen!«

Cochise glitt dicht an der Zweigwand des Jacales entlang,

erreichte die Rückseite und sah den hochgewachsenen Krieger,
der etwa so groß wie Naiche sein mußte.

Ein Bein hatte der Mimbrenjo bereits über den Rest der

Flechtwand geschwungen. Mit beiden Händen stützte sich der
Betrunkene ab, als er das zweite Bein nachziehen wollte.

Cochise zog lautlos den Dolch aus der Lederscheide. Eine

andere Waffe hatte der Jefe in dieser Nacht nicht. Die scharfe
Klinge lag sicher in der Hand des Chiricahuas. Ein
blitzschneller Hieb genügte. Der massive Griff traf den
Hinterkopf des Mimbrenjo. Ohne einen Laut von sich zu
geben, brach der Mann zusammen.

Cochise hob ihn mühelos auf und trug ihn zur Seite.
Naiche hetzte heran und flüsterte kaum hörbar am Ohr seines

Vaters: »Wir sind sicher. Weißt du, daß Victorio in einem
Jacale schläft?«

Heiß wallte der Zorn in Cochise auf. Der Mimbrenjo machte

gemeinsame Sache mit dem ehrgeizigen, machthungrigen
Geronimo. Beide haßten die Weißen, beide lehnten sich immer
wieder gegen den Frieden auf.

Hätte der Chief bereits am Nachmittag Victorio gesehen,

wäre es nicht zur Begegnung mit Falke gekommen. Denn dann
wäre der Mimbrenjo-Häuptling gestorben. Cochise hätte ihn
zum Zweikampf herausgefordert, nach den Bräuchen der
Apachen. Und nach eben diesen Bräuchen die gesamte Beute
der Kriegerhorde erhalten.

»Sie haben was gemerkt«, sagte eine Frauenstimme in der

Sprache der Weißen leise. »Mein Gott, jetzt überlegen sie sich
eine wilde Teufelei.«

»Höre, weiße Frau«, sagte Cochise gedämpft »ich bin hier,

um euch zu holen.«

»Das kann ich mir denken«, antwortete eine der Gefangenen

background image

106

schrill.

»Leise, leise«, warnte der Jefe, »wenn die Krieger erwachen,

schlägt mein Plan fehl.«

»Vielleicht haben wir dann noch eine Galgenfrist«, sagte

eine andere Frau. »Also los, schreien wir. Ich zähle bis drei.
Eins…«

»Halt, ihr dummen Weiber«, sagte Cochise scharf, »mein

Freund Falke, den die Weißen John Haggerty nennen, schickt
mich. Er wartet auf euch, will euch in Sicherheit bringen.«

»Falke?« klang eine Stimme auf. »Haggerty ist doch der

Scout aus Fort Buchanan«, sagte eine andere Frau. »Wie soll
der hierher kommen?«

Cochise seufzte tief. Es war fast unmöglich, einem Weißen

was klarzumachen, ihn zu schnellem Handeln zu bringen. Bei
einer weißen Squaw schien das tatsächlich unmöglich zu sein.

»Haggerty ist der Freund von Cochise«, sagte eine dritte Frau

nachdenklich. »Und der Häuptling will Frieden mit den
Weißen halten.«

»Du meinst, er hat sich angeschlichen und will uns hier

rausholen?« fragte eine andere ungläubig.

»Es ist so«, sagte Cochise scharf, »wenn ihr noch länger

zögert, muß ich gehen. Nicht alle Mimbrenjos sind betrunken.
Ich bin in Gefahr, genau wie ihr.«

Ein paar Sekunden war es still im großen Jacale.
Entschlossenheit klang in der Stimme der Frau mit, die jetzt

sagte:

»Ich riskiere es. Cochise ist ein Chiricahua. Wenn uns

Mimbrenjos überfallen und verschleppt haben, wird er uns
helfen.«

»Wenn es Cochise ist«, warnte eine andere ängstlich. »Es

kann auch ein Trick sein.«

»Egal, ob es heute oder morgen passiert«, erwiderte die

entschlossene Frau. »Geschieht es jetzt, habe ich es hinter
mir.«

background image

107

Sie trat an die Öffnung, die Doppelwolf gerissen hatte, und

blickte hinaus. Deutlich sah sie den Chief, der im vollen
Mondlicht stand.

»Heilige Madonna von Guadeloupe, es ist wahrhaftig

Cochise«, sagte die Frau erleichtert und kletterte ins Freie.

Sie erschrak, als Naiche ihr die Hand reichte und vor einem

Sturz bewahrte. Sofort legte der Chief seine Hand auf ihren
Mund und raunte: »Das ist mein Sohn Naiche. Er wird euch
gleich zu Falke führen. Bewegt euch leise. Es ist wichtig,
obwohl die meisten Mimbrenjos trunken vom brennenden
Wasser sind.«

Die Frau nickte, und der Häuptling löste seine Hand von

ihren Lippen.

Cochise half den anderen Gefangenen ins Freie und zählte

fünfzehn Frauen. Besorgnis erfüllte ihn. Hoffentlich gelang es,
so viele Pferde oder Mulis zu stehlen. Denn er hatte
beschlossen, den Weißen zu zeigen, daß er seine Versprechen
nicht nur erfüllte, sondern sogar mehr tat.

»Der Weg ist schmal und gefährlich«, raunte Cochise.

»Wenn Naiche es sagt, faßt ihr euch an den Händen. Ihr geht
durch den Berg. Kein Licht erhellt den Stollen. Schweigt auch,
wenn ihr bei Haggerty ankommt.«

Eine Frau trat vor, deren Haar im Mondlicht golden

aufglänzte. Sie blickte Cochise an, sah zu ihm auf, denn er war
mehr als einen ganzen Kopf größer als sie.

»Ich danke dir«, sagte die Blonde, »ich habe etwas gelernt,

das ich nie vergessen werde.«

»Und was hast du gelernt, weiße Squaw?« fragte der Chief

leise.

»Daß nicht alle Indianer schlecht sind«, antwortete sie

schlicht und wandte sich ab, um hinter Naiche zu treten.

Lächelnd blickte Cochise der Gruppe nach, die natürlich eine

Menge Geräusche verursachte.

Ein winziger Schritt, dachte der Häuptling, tausend solcher

background image

108

Schritte ergeben bei einigen Menschen Verständnis für andere.
Tausend solcher Menschen vermögen vielleicht andere zu
überzeugen. Aber das ist etwas, das tausend Mondzeiten
dauert. Es kommt zu spät.

Er schüttelte die Gedanken ab und glitt in die Schatten der

Felswände.

Unruhig schnaubten die Pferde und Mulis, als sie den Geruch

des Indianers in die Nüstern bekamen. Beruhigend sprach
Cochise leise auf die Tiere ein. Im Schein des Mondes sonderte
er sofort einige Pferde aus, die ihm schwach und wenig zäh
erschienen.

Dreizehn Tiere standen schließlich eng zusammengedrängt

vor den Felsbrocken, mit denen die Mimbrenjos das kleine
Seitental versperrt hatten, das vom großen Kessel abzweigte.

Cochise wand sich zwischen den Steinen durch, fand

Graszügel und befestigte sie. Er vertraute darauf, daß die
übrigen zwölf Pferde dem ersten Tier folgten, das er führte.

Er stemmte sich gegen einen Steinbrocken, wuchtete ihn mit

seiner gewaltigen Kraft zur Seite und machte so den Weg frei.
Langsam marschierten die Pferde durch die Lücke.

Ehe der Häuptling sich mit den Tieren auf den Weg machte,

verschloß er die Öffnung wieder. Nichts sollte vorzeitig das
Mißtrauen der rebellischen Mimbrenjohorde erwecken.

Dies war der Moment der größten Gefahr für den Chief der

Chiricahuas. Denn die Pferde der Weißen trugen metallene
Hufeisen, die auf dem Felsboden klirrten.

Trotz dieser Geräusche gelang es Cochise, die Apacheria der

Horde unangefochten zu verlassen. Auf Wegen, die nur den
Indianern bekannt waren, leitete er die gestohlenen Pferde zum
Lager seines Freundes Falke.

*

Naiche traf zuerst mit den befreiten Frauen ein.

background image

109

»Es ist besser so«, sagte der hünenhafte Sohn des großen

Häuptlings zu John Haggerty. »Victorio begleitet die Horde.
Sieht er euch, kämpfen seine Krieger bis zum Tod.«

Nachdenklich stimmte Haggerty zu. Damit hatte er nicht

gerechnet, daß der Chief der Mimbrenjos seinen ehrgeizigen
Widersacher Geronimo auf einem Raubzug begleitete.

»Wo ist dein Vater, Naiche?« fragte der Scout.
Er blickte zu Wyatt Earp hinüber, der sich mit einer blonden

Frau unterhielt und sie sogar zum Lachen brachte. Es war gut,
daß die befreiten Frauen ihren Lebensmut wiederfanden. Denn
der Marsch nach Tombstone würde ihnen noch einiges
abverlangen.

»Er kommt bald, Falke«, antwortete Naiche. »Setz dich, ich

will dir berichten.«

Ein paar Sekunden war Haggerty verwundert. Als er jedoch

Naiches Lächeln sah, dachte er sofort an Tla-ina.

»Der Sanfte Wind trägt Trauer im Herzen«, sagte Cochises

Sohn in der Sprache der Chiricahuas, damit ihn die übrigen
Weißen nicht verstanden. »Sie ist unsicher, gehört nicht mehr
ganz zu ihrem Volk. Genauso, wie du nicht mehr ganz zu
deinem Volk gehörst. Und doch weiß sie, daß sie dir nicht
folgen kann. Sie weiß, daß ihr in diesem Land niemals
glücklich sein werdet.«

Haggerty schwieg. Er dachte an das Mädchen. Es gehörte

einfach nicht zu ihm und war doch ein Mensch, wie jeder
andere. Aber gerade diese Erkenntnis fehlte vielen Männern
und Frauen beider Rassen. Sie trugen nur Haß in den Herzen
und spürten nicht, daß der andere Weg der bessere war.

»Grüße sie von mir«, sagte John Haggerty schwerfällig.

»Sage ihr meinen Dank für ihr Geschenk, das mir Hellauge
brachte. Sobald ich kann, sende ich ihr etwas von mir.«

Der Scout überlegte, was Tla-ina wohl erfreuen würde.

Schmuckstücke waren bei den Apachen nicht beliebt und auch
nicht üblich. Trotzdem hatte sie sorgsam ihr Haar zu einer

background image

110

Schnur geflochten und sie durch die Perle gezogen, die
sicherlich von einem Raubzug der Krieger in Mexiko stammte.

Haggerty kam zu keinem Entschluß. Er wagte nicht, Naiche

zu fragen. Denn das hätte das Eingeständnis einer Schwäche
bedeutet.

»Vielleicht kommt der Tag«, murmelte Haggerty, »an dem

wir friedlich irgendwo zusammenleben können.«

Wyatt Earp näherte sich den beiden Männern.
»Ein tolles Bravourstück«, sagte der junge Mann

bewundernd. »Myriam erzählte mir gerade, daß Cochise auch
noch Pferde besorgen will. Ehrlich gesagt, Haggerty,
allmählich komme ich dahinter, wieso die Army mit den
Apachen nicht fertig wird. Das macht ihnen keiner nach: mitten
in der Nacht ins feindliche Lager schleichen, Gefangene
befreien und dann auch noch Pferde stehlen.«

Ehe der Scout antworten konnte, hörte er den Klang von

Hufeisen auf Gestein. Cochise brachte die Reittiere.

Die Frauen jubelten, als sie die Pferde sahen.
»Still!« sagte Haggerty scharf, »wir dürfen die Mimbrenjos

nicht auf unsere Spur locken. Sättel gibt es nicht, wie ihr seht.
Ihr schafft es auch ohne.«

»Nur dreizehn Tiere waren gut und ausgeruht«, sagte

Cochise bedauernd.

Wyatt Earp grinste, drehte sich um und lief zu der Blonden

zurück. Er packte sie mit beiden Händen und setzte sie auf sein
Pferd, bevor er selbst in den Sattel stieg.

Sein Bruder Virgil zog eine dunkelhaarige Frau hoch, die

sich sofort an ihn lehnte.

»Wie du siehst, mein Bruder«, sagte Haggerty zu Cochise,

»gibt es keine Probleme.«

Zögernd blickte der Chief seinen Freund an.
»Naiche berichtete mir bereits, daß Victorio die Horde

führt«, sagte der Scout gelassen. »Ich vertraue dir, Jefe. Wende
eure Gesetze weise an. Laß es nicht zu einem Aufstand

background image

111

kommen. Wir beide sind zu schwach, um ihm Einhalt gebieten
zu können.«

Cochise drückte dem Falken die Hand und raunte: »Wir

sehen uns bald schon wieder, mein Freund. Reitet nun, wir
wachen hier, bis der Hase die Sonne über den Horizont schiebt.
Es ist nicht nötig, daß ihr leise auf dem Ritt seid.«

Lächelnd antwortete John: »Sie sollen trotzdem schweigen.

Das Geschwätz der Weiber ist von Zeit zu Zeit angenehm.
Aber zu viele von ihnen auf einem Haufen machen einen Mann
nervös.«

Der Scout verabschiedete sich von Naiche und saß auf. Er

leitete sein Pferd zu dem Weg, den ihm der große Jefe vor
Stunden gezeigt hatte. Der Mond schien hell genug, um den
Pfad zu erkennen.

Die blonde Myriam winkte Cochise zu, als Wyatt Earp sein

Tier an ihm vorbeitraben ließ. Und der Häuptling hob grüßend
die Rechte.

Innerhalb weniger Minuten verschwanden die Tiere,

verklang der Schall der Eisen auf dem Felsen.

Naiche kauerte sich auf den Boden, blickte zu seinem Vater

hoch und fragte: »Welche Strafe erlegst du den Abtrünnigen
auf?«

Der Jefe blickte zum Mond hinauf, lächelte grausam und

antwortete: »Sie müssen in der Reservation bleiben, zwei
Monde lang. Trifft sie ein anderer Krieger außerhalb des
Gebietes, ist er verpflichtet, sie sofort zu töten. Wagen sie
jedoch den Todessprung, sind sie frei.«

Naiche dachte über die Worte seines Vaters nach und kam zu

dem Schluß, daß er ein wahrhaft weises Urteil gefällt hatte.

Geronimo und Victorio würden sicherlich den Sprung über

den Abgrund wagen. Denn sie galten als die mutigsten Krieger
und Führer. Allein um ihren Einfluß zu erhalten, mußten sie
springen. Aber Geronimos Anhänger würden ihr Leben dafür
nicht aufs Spiel setzen. Und einige der Rebellen wurden

background image

112

wenigstens für die nächste Zeit von Raubzügen ferngehalten.

»Was geschieht, wenn sich der Stamm der Mimbrenjos

gegen dieses Urteil auflehnt?« fragte Naiche.

»Sie sind zweifach schuldig« erwiderte Cochise ernst.

»Einmal brachen sie mein Wort. Zum zweiten brachen sie es
im Gebiet der Chiricahuas. Sie müssen das Urteil anerkennen,
wie es die Sitten der Apachen verlangen. Sonst wird sie der Rat
der Stämme ausstoßen.«

Cochise und Naiche machten sich auf den Weg zur

Felsenfestung der aufrührerischen Mimbrenjos. Noch lagen die
Krieger berauscht wie tot am Boden. Aber wenn die Sonne
über die Felsen schien, würden sie den Verlust der weißen
Squaws bemerken. Und dieses war Cochises Augenblick.

*

Victorio erwachte wie immer im Morgengrauen. Der Häuptling
der Mimbrenjos glitt aus seinem Jacale und sah sich um. Wie
leblos lagen die meisten seiner Krieger, vom Schnaps der
Weißen niedergestreckt, nicht von einem Feind im Kampf.

In der großen Rundhütte blieb es seltsam still. Langsam

schlich der Anführer, der die Weißen so haßte, auf die
Geisterhütte zu. Lauschend verharrte er neben dem Geflecht
aus Zweigen. Nichts rührte sich. Kein noch so geringes
Geräusch drang heraus.

Ein langgezogener Eulenruf ließ Victorio zusammenzucken.

Ungläubig starrte er zum grauen Himmel und verfolgte voller
Schrecken den mächtigen Nachtvogel, der mit lautlosem
Flügelschlag zwischen die Klippen glitt.

Für Sekunden war Victorio verunsichert.
Hatte der Todesbote wahrhaftig die Geister der weißen

Frauen ins jenseitige Reich geleitet? Waren sie von den
Schutzgöttern der Apachen vernichtet worden?

Entschlossen überwand Victorio seine Furcht und riß den

background image

113

Eingang auf.

Sein Wutgeschrei gellte über die schlafenden Krieger und riß

selbst diejenigen aus der halben Besinnungslosigkeit, die noch
halb berauscht waren.

»Die weißen Squaws sind verschwunden!« brüllte der

Häuptling der Mimbrenjos. »Wer das gewagt hat, soll den Zorn
meines Stammes zu spüren bekommen. Wir werden ihn jagen,
bis er tot vor uns liegt.«

Die Krieger umzingelten die Hütte, fanden Doppelwolf, der

sich gerade stöhnend aufrichtete und die mächtige Beule
betastete.

»Die Frau mit dem Goldhaar«, stieß der Krieger hervor und

lief unsicher auf die Hütte zu.

Er spähte durch das Loch, das er in die Rückwand gerissen

hatte und verspürte wilden, zügellosen Zorn in sich aufsteigen,
als er gegenüber im Eingang Geronimo erkannte.

Doppelwolf schwor in dieser Sekunde Rache. Er war

entschlossen, sich die Squaw mit dem Goldhaar abermals zu
erobern und in sein Jacale zu bringen. Sie gehörte ihm.

Ein paar Krieger sahen auf, als die Sonne, die Spenderin des

Lebens, im Osten über die Felsenformationen stieg.

In diesem Augenblick trat eine große, muskulöse Gestalt auf

die Klippe.

»Cochise!« gellten die Rufe der Mimbrenjos auf.
Vicotorio empfand für eine Sekunde Schrecken, zügelte ihn

und wartete resignierend ab. Er wußte, daß er im Unrecht war.

»Hört mich an, Mimbrenjos«, rief der oberste Häuptling mit

donnernder Stimme. »Ihr habt mein Wort gebrochen, den
Frieden gebrochen. Wenn euer Herz Kampf fordert, so reitet
ins Land der Gelbhäutigen. Ich habe Frieden gelobt, und Friede
herrscht in diesem Land. Ihr habt mein Wort mißachtet. Ihr
habt in meinem Land getötet und Skalps genommen. Ich
befreite allein mit meinem Sohn Naiche in der Nacht die
weißen Squaws und nahm euch dreizehn Pferde. Die Squaws

background image

114

sind in Sicherheit. Weiße Männer brachten sie in die Stadt
Tombstone. Ihr seht sie nie wieder.«

Cochise schwieg ein paar Sekunden lang.
Mit verbissenem Gesichtsausdruck erwartete Victorio das

Urteil des obersten Führers der Stämme.

»Ihr dürft zwei Monde die Reservation nicht verlassen«, rief

der große Jefe, der vom Licht der Sonne umflossen auf der
Klippe stand. »Trifft euch ein Apache außerhalb des Gebietes
an, wird er euch ohne Gnade töten. Wer es wagt, vollbringt den
Todessprung in diesen Bergen. Ihr kennt die Schlucht. Ihr wißt,
was euch erwartet. Entscheidet euch, Mimbrenjos!«

Victorio zögerte keine Sekunde und rief: »Ich springe,

Cochise. Und du weißt, daß ich damit dein Urteil aufhebe.«

Herausforderung hatte in der Stimme des Häuptlings

gelegen.

»Ich springe ebenfalls«, brüllte Geronimo zur Klippe hinauf.
Doppelwolf fühlte den brennenden Haß in seinem Herzen,

einen Haß, wie ihn nur ein Apache empfinden konnte.

Der sechs Fuß große Krieger trat vor und rief laut: »Ich wage

den Sprung, Cochise. Ich will frei sein, nicht deinem Urteil
unterworfen. Und ist dieses erst aufgehoben, erkenne ich dich
nicht länger als obersten Führer der Stämme an. Ich,
Doppelwolf, schlage meinen eigenen Weg ein.«

Verwundert sprachen die übrigen Krieger aufeinander ein.

Lediglich Geronimo schien zu ahnen, was den ehemaligen
Sklaven bewegte. Und ganz sicher überlegte er bereits, wie er
den mächtigen Krieger benutzen, zu seinen – Geronimos
Zielen – lenken konnte.

Keiner der anderen wagte es, Cochises Angebot

anzunehmen. Sie alle wußten von dem Sprung über den
Abgrund, auf dessen Sohle außer nadelscharfen Felszacken
mehr als hundert Klapperschlangen lauerten.

»Ihr reitet sofort«, befahl Cochise.
»Jeder von euch weiß, wo meine Apacheria liegt. Ich gebe

background image

115

euch einen Sonnenumlauf Zeit. Morgen um diese Zeit müßt ihr
euer Leben wagen, wenn ihr frei sein wollt.«

Cochise verschwand von der Klippe. Er war klug genug,

nicht auch noch die übrige Beute der Rebellen zu fordern.
Denn das hätte den Sitten widersprochen und mehr als böses
Blut gegeben.

Zudem wußte der Chief um die besonderen Windverhältnisse

an der Klippe.

Morgen um diese Zeit wehte ein kräftiger Luftzug den

Springern entgegen. Entschloß sich doch noch der eine oder
andere Krieger, das Wagnis einzugehen, würde er sicher
zurücktreten, spürte er den Wind.

Der große, kräftige Doppelwolf, den er vergangene Nacht

niedergeschlagen hatte, vermochte es zu schaffen.

Cochise verspürte Unruhe, wenn er an den Mann dachte. Er

ahnte dumpf, daß dieser Krieger noch Anlaß zu harten
Kämpfen geben würde.

ENDE


Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Apache Cochise 14 Das letzte Wasserloch
Apache Cochise 16 Das Kriegsbeil Luzifers
Apache Cochise 02 Mit dem Abend kam das Grauen
Apache Cochise 29 Blutsbrueder des Falken
Apache Cochise 13 Apachen kennen kein Erbarmen
Apache Cochise 25 Cochise in Noeten
Apache Cochise 07 bis zum bitteren Ende
Apache Cochise 04 Cochise, die Geissel Gottes
Apache Cochise 12 Kein Apache stirbt allein
Apache Cochise 36 So long, Cochise
Apache Cochise 17 Apachen Poker
Apache Cochise 18 Letzte Huerde vor der Hoelle
Apache Cochise 01 Gefaehrlich wie eine Vipernbiss
Apache Cochise 05 Ein Pfeil als Lohn
Apache Cochise 09 Die Angst der Einsamen
Apache Cochise 03 Mit einem Stiefel in der Hölle
Apache Cochise 35 Der rote Agent
Apache Cochise 20 Cochises lange Jagd
Apache Cochise 15 Ritt ins Inferno

więcej podobnych podstron