Apache Cochise 36 So long, Cochise

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Alexander Calhoun

So long, Cochise

Apache Cochise

Band Nr. 36

Version 1.0

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Prolog

Ihr Land war es, in das Mexikaner und Amerikaner
eindrangen. Das Land ihrer Väter. Karstig und elend,
wasserarm und unfruchtbar schmorte es unter heißer
Arizonasonne. Wüste, bizarre Klippen, himmelansteigende
Berge und Giftschlangen. Trotzdem verteidigten sie es mit der
Stärke ihrer Seele und dem wilden Schlag ihrer Herzen. Zu
diesem Zeitpunkt waren sie längst keine Athapasken mehr,
sondern deren Nachfahren: Apachen.

Sie selbst nannten sich T'Inde ++ Volk, auch Naizhan ++

Unsere Rasse. Und sie besiedelten ein Land so groß wie
Deutschland und Frankreich zusammen. In diesen ihren
Jagdgründen leisteten sie Eindringlingen Widerstand und
verteidigten jeden Fußbreit Boden mit ihrem Herzblut.

Zur Zeit der Handlung unserer Geschichte APACHE

COCHISE lebten 6000-7000 Apachen, die in Arizona und
Neumexiko Angst und Schrecken verbreiteten, besonders im
amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet und weit in Sonora,
bis hinunter zur Sierra Madre Occidental.

Ihren Haß gegen die Nachfahren der Spanier und den

Erzfeind, die Comanchen, übertrugen sie auf ihre neuen
Unterdrücker. Von ihnen ist die Rede in unserer Serie. Sie ist
die historiengetreue Basis der Thematik APACHE COCHISE.

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***

»Wer gibt hier die Befehle? Ihr oder ich?«

»Ich sage dir, Sam, das können wir nicht machen!«
»Und warum nicht, Casy?«
Casy Carradine reckte seine schmächtige Brust und

schleuderte einen wütenden Blick durch die Dunkelheit zu
Samuel High. Die anderen schwiegen.

»Weil wir dann den ganzen Stamm auf den Fersen haben.

Hunderte von Chiricahuas werden auf unserer Spur kleben und
den Tod ihres Häuptlings rächen. Wir hätten nicht die geringste
Chance.«

»Memmen! Angst vor einer Rothaut! Hat die Welt so was

schon gesehen?«

»Wie du es auch auslegst, laß Cochise in Ruhe«, erwiderte

Casy ruhig. »Ich hole den Teufel aus der Hölle, wenn es sein
muß, aber mit den Apachen lege ich mich nicht an. Basta!«

Samuel High ließ die Zügel seines Pferdes los, setzte sich auf

einen Stein und starrte düster auf die Banditengruppe. Sie
waren acht, ihn eingerechnet. Dort unten beim Feuer saßen nur
vier Rothäute: Cochise und weitere drei Chiricahuas.

High spürte die Ablehnung seiner Leute. Aus ihren Mienen

sprach Starrsinn und Angst. Eine so günstige Gelegenheit, sich
ihre Verfolger vom Hals zu schaffen, würde sich nie wieder
bieten.

»Den Teufel holst du aus der Hölle, Casy? So, den Teufel?

Dort unten sitzt er. Du brauchst nur hinunterzugehen und ihn
festzunehmen. Kleinigkeit, wie?«

»Du bist schlechthin ein Narr, Samuel, und du scheinst nicht

zu wissen, wie die Stämme reagieren, wenn wir ihren Jefe
umlegen«, wehrte sich der kaltgesichtige Revolvermann.
»Cochise ist nicht einfach ein Indianer, den man abschießt wie

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eine Klapperschlange. Cochise ist eben Cochise, nicht mehr
und nicht weniger.«

Samuel High lachte gehässig.
»Du gehörst zu jenen Leuten, die sich mit dem Hintern auf

'ne Kreissäge setzen und danach genau sagen, welcher Zacken
sie geritzt hat. Blöder Hund!«

»Das nimmst du zurück, Sam!« Casy Carradine fuhr hoch.

»Von dir lasse ich mich noch lange nicht blöder Hund nennen.
Los. Nimm's zurück!«

High stand auf, spreizte die Beine und beugte sich ein wenig

vor. Es war die typische Haltung von Männern, die ihre
Streitigkeiten mit einem Revolver austrugen. Carradine lachte
nur. ++ »Das kannst du gar nicht riskieren, du Angeber. Ein
Schuß würde sofort unsere Anwesenheit verraten und die
Apachen auf die Beine bringen. Hier oben im Badsland sind sie
uns haushoch überlegen und …«

»Halte deine verdammte Klappe!« unterbrach ihn High. »Ich

gebe die Befehle und niemand anders, verstanden? Eine Stunde
vor Sonnenaufgang greifen wir an. Das ist mein letztes Wort!«

Carradine schaute den anderen in die Gesichter, einen nach

dem anderen. Was er in der Dunkelheit sah, war nicht viel.
Jedenfalls nicht genug, ihre Gedanken zu erraten. Aber ihre
stimmungsbedingte Ablehnung spürte er deutlich. Niemand
rannte blinden Auges in ein offenes Messer, und wie die
Apachen ihre Klingen zu benutzen verstanden, wußte jeder.

High entspannte sich, setzte sich aber nicht wieder. Er ging

auf leisen Sohlen zum Ausgang des engen Spalts im Felsen und
stierte in den Canyon hinab.

Das Feuer war herabgebrannt. Das dämonische Auge der

Glut beleuchtete geisterhaft die vier Indianer. Alles, auch ihre
Umgebung, war wie in rote Farbe getaucht.

Schweigend studierte High die Umgebung beim Lagerfeuer.

Die linke Seite des Canyons war frei von Vegetation. An der
rechten zogen sich Streifen von Yuccas, Speerdom und Disteln

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bis zu jenem Punkt, den sein Augen gerade noch erreichen
konnte. Sogar ein Palo Verde-Baum stand einsam und wie
vergessen dort unten.

Samuel High ging den kurzen Weg in die Schatten der

Klamm zurück und setzte sich wieder auf den Stein. Wer ihn
näher betrachtete, mußte von diesem Mann enttäuscht sein.
Unter einem Desperado stellte man sich in diesem Land etwas
ganz anderes vor. Hochgewachsen und hart mußte ein Bandit
sein. Sein Äußeres mußte abgerissen und schmutzstarrend
wirken und sein Auftreten herrisch und jeder Lage gewachsen.

Nichts von alledem. High wirkte zwar körperlich nicht klein,

aber den Idealvorstellungen der in jenem Raum lebenden
Menschen entsprach er nicht. Zwar bedeckte ein tagealter
Stoppelbart sein Gesicht und seine Lippen waren schmal, aber
seine Kleidung war makellos, im Gegensatz zu der seiner
Kumpane.

Helle Augen musterten die schweigsamen Gestalten. Und als

er sprach, klang seine Stimme durchaus nicht wie die eines
Outlaws, gemessen an der Vorstellung der breiten Masse.

»Wir überwältigen sie im Morgengrauen, Jungs. Wer Angst

hat, trete rechts raus. Wir können es uns bei unseren
bevorstehenden Geschäften nicht leisten, einen Trupp
Chiricahuas wie einen Kometenschweif hinter uns herzuziehen.
Nun?«

Niemand bewegte sich. Auch Casy Carradine wechselte nicht

seinen Standort. Der kaltgesichtige Revolvermann blieb wie
ein Bolzen stehen, gab aber seiner Meinung mit einer gewissen
Lautstärke Ausdruck.

»Das hast du zu verantworten, Sam. Hättest du die

Indianerfamilie in Ruhe gelassen, könnten wir uns nun in
Sicherheit wiegen. Du hast deine Weisheit vom verkehrten
Baum der Erkenntnis geschüttelt, aber du siehst das nicht ein
und gehst stur deinen Weg.«

»Warum nörgelst du ständig an mir herum, Casy? Kannst du

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es besser als ich? Ich meine, willst du die Bande führen?«

»Ich will sie nicht führen«, orgelte Carradine. »Eine gesunde

Kritik muß jedoch erlaubt sein. Wir sind nicht deine Sklaven,
Sam, und wir lassen uns nicht herumhetzen und unsere Haut
schinden.«

»Noch ist keiner von uns geschunden worden.« High erhob

seine Stimme. »Im Gegenteil! Ich glaube, wir haben alle ganz
gut bei unseren Geschäften verdient. Ist jemand anderer
Meinung?«

Schweigen, verstimmt und zurückhaltend, aber anhaltendes

Schweigen.

Samuel High fuhr fort: »Die Apachen müssen getötet

werden, das sind wir unserer Sicherheit schuldig. Tun wir's
nicht, werden unsere Skalps bald vor einigen Wicki-ups
trocknen.«

»Du willst Cochise umbringen«, erwiderte ein anderer mit

dem Namen Elias Quant. »Weißt du, was du da tust? Die
Indianer sind sich untereinander nicht grün, das gebe ich zu.
Aber wenn es um den Chief geht, sind alle Streitigkeiten unter
den Stämmen vergessen. Vereint werden sie sich erheben und
ihr Kriegsgeschrei ausstoßen. Hast du ihren Kampfruf schon
einmal gehört, Boß? Ich sage dir, das geht unter die Haut,
durch Mark und Knochen. Das ist so, als seien auf einmal
sämtliche Teufel der Hölle losgelassen.«

Elias schrie die letzten Worte fast, so erregte er sich bei dem

Gedanken an das Kriegsgeschrei der Chiricahuas.

High antwortete wegwerfend: »Du übertreibst, Eli. Sie sind

Wilde, nichts weiter. Barbaren!« setzte er im Brustton der
Überzeugung hinzu. Und als Abschluß: »Mordbestien!«

Sein Atem ging stoßweise, als er jedem der Outlaws ins

Gesicht blickte und eine drohende Miene aufsetzte. Am
längsten blieben seine Augen auf Casy Carradine hängen. In
ihm sah er seinen eigentlichen Widersacher, außerdem
fürchtete er Casys Revolver.

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»Sattelt die Pferde ab und ruht euch aus«, befahl er nach

einer Weile drückenden Schweigens. »Wenn wir das dort unten
erledigt haben, verschwinden wir aus der Gegend. Burt, du
übernimmst die erste Wache.«

»Klar, Boß.«
Die enge Klamm war kalt und feucht, aber ein

ausgezeichnetes Versteck für Leute, die das Tageslicht scheuen
mußten. Zwei Outlaws trieben die Pferde nach hinten und
nahmen ihnen die Lasten ab. Auf ein Feuer mußten sie
während der Nacht verzichten, weil es ihre Anwesenheit
todsicher an die Apachen verraten hätte.

Chiricahuas rochen Rauch auf eine Meile, und ihre Augen

waren schärfer als die von Nachtfalken. Ihre unmittelbare Nähe
verunsicherte die Weißen, aber sie mußten sich damit abfinden,
wenn sie ihren Coup am frühen Morgen starten wollten.

Apachen auf der eigenen Fährte war immer eine Gefahr, die

man nicht ignorieren durfte. Man entledigte sich ihrer am
besten, wenn man kurz entschlossen reinen Tisch machte und
die Indianer in die Ewigen Jagdgründe schickte.

In den meisten Fällen war dies jedoch leichter gesagt als

getan. Apachen waren sehr geschickt und im Nahkampf selbst
den gutbewaffneten Weißen überlegen.

Beunruhigt durch die Lautlosigkeit der umgebenden Wildnis

stand Samuel High wieder auf und wanderte zum Ausgang des
Spaltes. Das Feuer glühte noch, schwacher Rauch kräuselte wie
ein Faden zum Himmel und verteilte sich in höheren
Luftschichten.

Um das erlöschende Feuer buckelten vier Pakete, lang und

wahllos hingestreckt. Daß eins dieser Packen nur eine leere
Hülle war, konnte der Bandit nicht wissen. Apachen ließen ein
Lager, und sei es noch so klein, nie unbeaufsichtigt.

Aber den Krieger, der die Wache übernommen hatte, sah

man nicht.

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*

Der einzelne Reiter näherte sich dem langen Hang, der mit
Geröll und Erosionsschutt bedeckt war. Der Mann, ganz in
Wildleder gekleidet, ritt ein Pferd von dunkelbrauner Farbe,
das das Brandzeichen der Armee trug. Sein rötlich gewelltes
Haar wurde von einem grauen Feldhut bedeckt.

John Haggerty war mit jeder Phase der Wildnis in diesem

Landesbereich vertraut. Hinter ihm lag Fort Bowie, vor ihm der
Apachen Paß.

Die Sonne prallte mit voller Stärke auf die lange, unendlich

lange Steigung, die sich in Windungen hinaufzog zum
eigentlichen Paßsattel. Nicht der kleinste Strauch wuchs auf
dem karstigen Boden, kein Grashalm, kein Baum. Nackt und in
der Sonne gleißend wie flüssiges Silber lag das tote Gestein
steril wie eine Mondlandschaft vor dem einsamen Reiter.

Einsam?
Kaum. Haggerty wußte, daß jeder Schritt seines Pferdes von

scharfen Indianeraugen beobachtet wurde. Er befand sich auf
Cochises Territorium, auf dem angestammten Land der
Chiricahuas, und keinem lebenden Wesen würde es jemals
gelingen, es ungesehen zu durchqueren.

Kurz nach Mittag tauchten Roß und Reiter in die kühlen

Schatten zwischen den steil aufragenden Hängen beim Sattel
ein. Jeder Meter Boden war hier erdgebundene Tradition und
vom Blut gefallener Weißer und Apachen getränkt.

Hier oben hatte Victorio, der Mimbrenjo, seine größte

Demütigung erfahren. Hier war Cochise mit seinem größten
Apachenaufgebot, das die Geschichte in Südwest kennt, von
den Haubitzen des Captain Thomas Roberts mit seinen 126
California Volunteers geschlagen worden, und hier, nicht weit
entfernt, rottete der übereifrige Lieutenant George N. Bascom
Cochises Sippe fast aus.

Am Apachen Paß war Geschichte gemacht worden, eine

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traurige Geschichte, die sich mit blutigen Lettern in das Buch
der Ewigkeit eingeschrieben hatte, und hier oben würde die
Geschichte der Apachen irgendwie zu Ende gehen. Früher oder
später.

John warf einen traurigen Blick auf die braunen und grauen

Hänge, auf die Seitencanyons und Spalten, und seine Gedanken
waren dabei so leer wie das Land.

Sein Pferd trabte um die Kehre. Der Reiter setzte sich im

Sattel zurecht und kaschierte seinen gedankenvollen
Gesichtsausdruck mit einem leichten Lächeln.

Übergangslos wurde das Land grün. Zahlreiche Quellen

speisten den dürftigen Humusboden und garantierten eine fette
Weide für Pferde und Maultiere der Butterfield Mail.

Die Station tauchte auf, Ställe, Schuppen, die Schmiede.

Sämtliche Bauten trugen noch die Spuren eines Brandes und
sahen aus wie geräucherte Schinken. John Haggerty ritt durch
das Tor. Ein Mann in derber Kleidung kam ihm entgegen und
grüßte mit der Hand.

»Hallo, Mr. Haggerty, wie geht's?«
»Hallo, Buck!« rief John freundlich. »Wie geht's immer hier

oben?«

»Ruhig, sehr ruhig. Was bringt Sie so hoch herauf?

Hoffentlich nicht ein neues Ungewitter?«

Haggerty schwang sich aus dem Sattel und begrüßte den

schwarzhaarigen Revolvermann mit Handschlag. Über den
Platz zwischen Stationshaus und Stall kam der blondhaarige
Larry Osborne und stieß lachend einen Ruf hervor.

Die Männer schüttelten sich die Hände, klopften sich aus

Wiedersehensfreude auf die Schultern und tauschten
Witzeleien aus.

»Um Ihre Frage zu beantworten, Mr. Tinatra: Kein

Ungewitter ist im Anzug. Die Sonne wird weiter scheinen und
ungetrübten Glanz auf die Hütten werfen. Wie geht es Thomas
Jeffords?«

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»Er ist im Haus«, antwortete Larry Osborne. »Gehen Sie

doch hinein, Haggerty.«

»Das werde ich tun. Kommen Sie mit?«
»Geht nicht, Sir. Eine Postkutsche ist angemeldet. Sie bringt

einen schrägen Vogel, den wir nicht aus den Augen lassen
wollen.«

Haggerty lachte und ging auf das große Haus zu. In dem

Augenblick, als er die Steintreppe betrat und das Podest
erreichte, ertönte aus dem Haus ein brüllender Ruf. Die Tür
wurde aufgerissen und schlug donnernd gegen die Wand.

Thomas Jeffords stand auf der Schwelle und streckte John

beide Hände entgegen.

»Willkommen, John Haggerty! Willkommen in der

bescheidenen Festung der Butterfield Mail!«

John blieb stehen und grinste. Er musterte Thomas eine

ganze Weile, wie das damals in diesem Land üblich war, wenn
man sich eine geraume Weile nicht mehr gesehen hatte.

Stämmig, breitschultrig, grinste ihn Jeffords an. Sein

rötlicher Bart glänzte wie Katzengold und ringelte sich um das
willensstarke Kinn, ohne dabei seine Züge zu verändern. An
diesem Mann wirkte alles stark, freundlich und ehrlich.

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, drückten sie,

schüttelten immer wieder. Es lag etwas Kraftvolles in diesem
Händeschütteln und -drücken, das Zuneigung und Vertrauen
ausdrückte.

»Kommen Sie herein«, sagte Jeffords. »Sie werden Hunger

haben und durstig sein. Alles für einen alten Freund vorhanden,
alles. Und noch mehr.«

John lachte. Dieses Ungestüme kannte er bei dem sonst so

ruhigen Jeffords nicht. Er trat über die Schwelle und ließ sich
von Jeffords in dessen Büro begleiten. Kühl und dämmerig war
es in dem mittelgroßen Raum. John blieb stehen.

»Ich will erst mein Pferd absatteln und in den Stall bringen

…«

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»Keine Sorge, das hat Burt Kelly schon getan. Wir sind doch

keine Barbaren hier oben, wo denken Sie hin?«

Sie lachten, rückten sich Stühle zurecht und nahmen Platz.

Thomas Jeffords sagte:

»Wir essen zusammen mit den Reisenden, die erwartet

werden. Einverstanden?«

»Natürlich«, antwortete John. »Noch bin ich nicht

verhungert. Sie erwarten einen schrägen Vogel, wie mir Larry
sagte. Um wen handelt es sich?«

»Das wissen wir leider nicht. Ein Reiter des Pony Express

brachte uns die Nachricht vom Sheriff aus San Simon. Sie
wissen, daß jeder über den Paß muß, wenn er nach Süden oder
umgekehrt nach Norden will. Und wir konnten bisher so
manchen Galgenstrick an das Gesetz ausliefern oder
entsprechende Hinweise geben.«

Thomas Jeffords nahm eine Flasche und zwei Gläser aus

dem Schrank und goß ein. John Haggerty, der ehemalige
Chiefscout, hob sein Glas und trank Jeffords zu.

»Was führt Sie zu uns Hinterwäldlern, John? Wenn es ein

militärisches Geheimnis ist, vergessen Sie meine Frage.«

»Durchaus nicht. Ich brauche Ihren Rat, Mr. Jeffords.

General Howard ist der Meinung, daß Sie der Armee helfen
und einen Dienst erweisen können.«

»Wenn es in meiner Macht steht ++ natürlich!«
Haggerty trank noch einmal einen kleinen Schluck. Er

machte sich nicht viel aus Hochprozentigem, ging aber zu
Ehren Jeffords von der Regel ab.

»Sie haben von der Western Union gehört, oder? Wie dem

auch sei, die Gesellschaft baut eine Telegrafenlinie bis in den
Südwestzipfel von Arizona. Die Sache wird vom Kongreß
unterstützt und steht unter der Schirmherrschaft des
Präsidenten.«

»Ich weiß«, sagte Jeffords. »Details sind bekannt. Aber was

hat das mit Ihrer Anwesenheit beim Paß zu tun?«

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»Das wollte ich Ihnen gerade erklären.«
John senkte die Stimme und gab Jeffords einen ausführlichen

Bericht zur Lage. Er schloß mit den Worten:

»Howard bittet Sie, sich mit mir bei Cochise stark dafür zu

machen, daß er sich nicht an den Überfällen auf die
Streckenbauer beteiligt. Der General ist der Meinung, daß wir
beide, weil wir mit Cochise befreundet sind, ihm die Worte ins
richtige Ohr flüstern können.«

Thomas Jeffords lachte.
»Ob wir noch Freunde von Cochise sind, weiß man nicht so

genau.«

»Auf Cochise kann ich mich verlassen«, erwiderte John.
»Cochise vergißt aber nie, das kann ich sagen. Dieser Mann

ist zwar ein indianischer Gentleman, aber leider auch Indianer.
Ein Fürst wie er hat es nicht nötig, einem Weißen auch nur den
geringsten Gefallen zu tun. Sie wollen also, daß ich mit Ihnen
zusammen Cochise aufsuche?«

»Es ist der Wunsch des Generals.«
Jeffords überlegte kurz. Nach einer Weile sagte er:
»Okay, wir reiten morgen früh. Bis dahin sind Sie Gast der

Butterfield. Hören Sie! Die Kutsche kommt! Wir warten noch
ein paar Minuten und gehen dann in den Speisesaal.
Einverstanden?«

John war es. Er wußte genau, warum ihn Jeffords zu den

Reisenden schleppte.

*

Zwei Tage später hielten sie Steigbügel an Steigbügel auf
einem Hügel hoch über dem Osthang der Dragoon Mountains.
John Haggerty kannte Cochises Versteck und getraute sich, den
Weg dorthin zu finden.

Je mehr sie sich der Apacheria näherten, desto höher schlug

sein Herz. Das mulmige Gefühl, beobachtet zu werden, hatte

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sie schon gestern den ganzen Tag nicht verlassen.

Apachenspäher hatten scharfe Augen und die Ankunft des

»Falken« bereits weitergemeldet. Das war sicher. Sie wären
sonst niemals so weit gekommen.

Thomas Jeffords stieß einen Grunzlaut aus und zeigte mit der

ausgestreckten Hand auf einen nahen Hügel. Wie eine Statue
aus braunem Lehm hob sich dort ein Indianer gegen den hellen
Himmel ab.

»Sie beobachten uns«, sagte John. »Haben Sie aber keine

Furcht, sie sind uns friedlich gesonnen.«

»Woher wissen Sie das? Können Sie hellsehen?«
John lachte. »Das nicht, ich kenne aber ihre Sitten und

Gebräuche. Apachen können Sie nur sehen, wenn sie gesehen
werden wollen. Die Rothaut dort auf der Klippe will uns nur
sagen, daß wir auf dem richtigen Weg und willkommen sind.
Reiten wir weiter!«

Vor Sonnenuntergang gelangten sie in die Nähe von

Cochises Lager. Die Apacheria lag eingebettet zwischen zwei
Klippenzügen und wurde von mächtigen Brocken
glattgeschliffenen Felsens eingeschlossen, die die letzte Eiszeit
zurückgelassen hatte.

John und Thomas ritten in die rote Sonne hinein und

schlossen geblendet die Augen. Die Pferde fanden den Weg
allein, es gab nur den einen. Wer über die Felsbarrieren wollte,
mußte Saugnäpfe an den Fußsohlen haben.

Unvermittelt blieben beide Pferde stehen. John öffnete die

Augen einen Spalt und blinzelte gegen die Feuerlohe. Gestalten
standen vor ihren Pferden, wilde Gestalten, die zur Umgebung
paßten, als wären sie ein Stück von ihr.

Sie waren zu dritt angetreten, und einer von ihnen, ein älterer

Apache, hob die flache Hand. John erwiderte den Gruß und
war zufrieden.

»Der Falke will zu Cochise?«
»Ist der Jefe in seinem Jacale?«

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»Er ist nicht bei seiner Familie. Cochise ist auf dem Weg der

Rache und hat den Pfad des Krieges beschritten.«

John Haggerty erschrak. Cochise auf dem Kriegspfad, das

hatte nichts Gutes zu bedeuten.

»Wird mein roter Freund mir mitteilen, wohin sich der Jefe

begeben hat? Ist sein Kriegsbeil gegen die Weißen gerichtet
oder gegen Indianer eines anderen Stammes?«

»Desperados töteten eine Sippe der Chiricahuas … Weiße.«
Haggerty und Jeffords wechselten einen Blick. Thomas

Jeffords wandte sich an den Chiricahua.

»Cochise ist mein Freund, du weißt es?« Als der Rote

würdevoll nickte, fuhr er fort: »Ich muß dringend zu dem Jefe.
Wirst du mir sagen, welchen Weg er geritten ist?«

Der Krieger drehte sich herum, während die beiden anderen

mit ausdruckslosen Gesichtern die Weißen musterten. »Diesen
Weg, Hellauge.« Das war Norden. John und Thomas
überlegten fieberhaft, wie sie Cochise so schnell wie möglich
erreichten, ohne weite Umwege durch Suchen machen zu
müssen.

»Wie viele Krieger hat Cochise mitgenommen?«
»Wieviel Tatzen braucht ein Bär, um ein Kitz zu schlagen?«
»Eine«, sagte John überzeugungsgemäß. »Aber die Weißen

sind in der Überzahl, wie?«

Der Apache nickte. Nach einigem Zögern bequemte er sich

dazu, ein wenig mehr aus sich herauszugehen.

»Cochise hat Naiche und zwei Krieger dabei. Du wirst seine

Spur nicht finden, Falke. Cochise ist wie der Wind und schlau
wie der Wüstenfuchs.«

»Für heute ist es sowieso zu spät«, murmelte Jeffords. Er

hatte Hunger und Durst, und er war müde.

So leise er gesprochen hatte, der Indianer hatte es gehört.
»Cochises Jacale steht seinen Freunden zur Verfügung.

Kommt!«

Ohne Antwort abzuwarten, stürmte er wie eine Gazelle

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davon. Die beiden Chiricahuas folgten ihm. Ein paar Minuten
lang ging es durch ein Labyrinth von Felsgiganten und
Barrieren. Während John sein Pferd unter Kontrolle hielt,
dachte er darüber nach, wie es sein würde, wenn die Armee
diese natürliche Festung angriff. Ein Regiment wäre
notwendig, Cochises Bastion zu erobern.

Plötzlich standen sie in einem langgestreckten Tal, das von

steilen Hängen flankenartig eingeschnürt wurde. Es mußte hier
oben reichlich Wasser geben. Gutes Gras und Büsche wuchsen,
und weiter hinten im Canyon weideten Ponys.

In diesem Augenblick ging die Sonne unter. Dämmerung

legte sich wie ein schützender Mantel um die Apachenfestung.
Aus einem Wicki-up trat eine schlanke Gestalt und blieb drei
Schritte vor den Weißen stehen.

John schwang sich aus dem Sattel und begrüßte Tla-ina mit

ausgestreckter Hand. Eine Sekunde lang sah es aus, als wollte
sich das Mädchen an seine Brust werfen und seine Arme um
den Hals des Weißen schlingen.

Aber Tla-ina hielt sich zurück. Die Begrüßung bei den

Apachen geschah streng zeremoniell und zurückhaltend.
Gefühle wurden nicht gezeigt, und wenn doch, dann nur
zwischen Mann und Frau.

»Der Falke hielt Wort. Er ist gekommen.«
Eine logische Feststellung oder mehr? Tla-inas Gesicht blieb

ausdruckslos, nur ihre dunklen Rehaugen leuchteten und
deuteten an, was das Mädchen für John empfand.

»Ich halte immer Wort, Tla-ina. Manchmal aber treten

Umstände ein, die ein Wiedersehen zwischen uns
hinauszögern. Die Zeit ist stärker als wir Menschen.«

»Ich weiß es. Der Falke mag mit Cochises Freund in dessen

Hütte treten. Das Essen steht bereit.«

Als sie hinter dem Mädchen den Jacale betraten, kam ihnen

Nahlekadeya, Cochises zweite Frau, entgegen. Ein stilles
Lächeln überflog die Züge der schönen Nedni-Apachin und

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Tochter des Häuptlings Yuh.

»Willkommen in der Hütte des Jefe«, sagte sie. »Das Essen

ist angerichtet. Bitte, nehmt Platz.«

Beide folgten ihrer Einladung und setzten sich mit

untergeschlagenen Beinen auf die Sitzkissen aus Fell und
grobem Stoff. Aus den flachen Schüsseln in Feuernähe duftete
es lieblich. Aus braunem Ton gebrannt, standen sie auf flachen
Steinen, angestrahlt von der Wärme der Asche.

Sie aßen aus muldenförmig vertieften Holzbrettern und

bedienten sich eines hölzernen Löffels, die gebratenen
Fleischstücke, Wildgemüse und die röstfrischen Tortillas zu
verzehren. Zum Essen wurde klares Quellwasser, mit
Fruchtsaft angereichert, gereicht.

Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatten, reichte Tla-ina

eine Tonschüssel mit warmem Wasser und ein Tuch aus Bast.
Nach Apachenart wurde während des Essens nicht gesprochen.
Nun begann die Unterhaltung in Fluß zu kommen.

Haggerty interessierte sich am meisten für den derzeitigen

Aufenthaltsort Cochises und richtete eine entsprechende Frage
an seine Frau. Nahlekadeya antwortete mit einem freundlichen
Kopfschütteln.

»Krieger pflegen ihren Frauen nicht zu sagen, wohin sie auf

den Kriegspfad ziehen und gegen wen. Es sind weiße Männer,
mehr kann ich dir nicht sagen, Falke.«

Tla-ina setzte hinzu: »Weiße Desperados. Sie töteten eine

Sippe unseres Volkes. Sie werden ihre Untat am Marterpfahl
bereuen oder unter Cochises Kriegsbeil ihr verruchtes Leben
aushauchen.«

»Das ist schlimm«, erwiderte John. »Ich hatte gehofft, daß

der Friede an der Grenze halten würde, jedenfalls länger als nur
ein paar Wochen.«

Cochises schöne Schwester übernahm die Antwort und wies

mit aller Deutlichkeit darauf hin, daß die Weißen und nicht die
Chiricahuas den Frieden brachen. Beinahe kalt fügte sie hinzu:

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»Es sind die Weißen, die unsere Dörfer verbrennen, Kinder

und Frauen töten. Müssen sich die Indianer, denen alles Land
ringsum gehört, Mord und Totschlag ohne Gegenwehr gefallen
lassen?«

John schwieg. Er kannte die Situation an der Grenze und den

Landhunger seiner Rasse. Jeffords senkte betreten den Kopf
und hütete sich, die schöne Indianerin zu unterbrechen, oder ihr
gar ins Wort zu fallen. Tla-ina erhob sich vom Feuer und
entfernte sich. Beim Hütteneingang blieb sie stehen und warf
einen Blick zu Haggerty.

»Es ist sehr warm hier drin. Kommst du mit nach draußen,

Falke?«

Warm war es nicht im Wicki-up, aber John begriff. Alle

Evastöchter, ob braun oder weiß, sie hatten eins gemeinsam:
die List. John lächelte und stand auf.

Als sie Seite an Seite ins Freie traten, standen Sterne am

Himmel. Der Mond war noch nicht aufgegangen. Wolken
zogen träge über die hohen Berggipfel hinweg und jagten ihren
Schatten auf der Erde nach.

Im Tal brannten mehrere Feuer. Ihre Flammen loderten an

den Felswänden empor und gaben den Büschen ein eigenes
Leben. Tla-ina ging nicht etwa zu den Feuern hinüber, sondern
in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollte mit John allein
sein und machte keinen Hehl daraus.

»Du wirst dem Jefe folgen?« fragte sie.
»Ich muß. Wenn möglich, bin ich gezwungen, ein weiteres

Blutvergießen zu verhindern. Der Jefe muß endlich einsehen,
daß das sinnlose Töten an der Grenze ein Ende haben muß.«

»Die Mörder sollen straffrei ausgehen?«
»Nein, Mädchen, und noch einmal nein. Sie werden ihre

gerechte Strafe durch die Armee erhalten. Tod durch Hängen!«

Unwillkürlich griff sich die Indianerin an den Hals.
»Ein schrecklicher Tod«, sagte sie leise.
»Unser Gesetz wird die Mörder deines Volkes so richten, wie

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sie es verdienen. Das Recht der Weißen macht keine
Ausnahme.«

»Cochise wird damit nicht einverstanden sein. Wir Indianer

haben auch ein Gesetz. Das Gesetz der Wildnis, der Berge und
Flüsse, ein Gesetz, das wir aus dem Salz der Erde schöpfen und
…«

Haggerty blieb stehen und unterbrach Tla-ina.
»Es gibt nur ein Gesetz, das wurde von Gott und den

Menschen gemeinsam gemacht.«

Sie wandte sich zu ihm um, blieb vor ihm stehen. Ihre Hände

hoben sich in einer hilflos anmutenden Geste, schlangen sich
um seinen Hals. So standen sie eine Weile und hörten ihre
Herzen pochen. Mit besonderer Anmut hob Tla-ina dem Mann,
den sie verehrte, ihr Gesicht empor. John fühlte, wie die
Spannung ihre Glieder zittern ließ.

»Dieses Gesetz«, sagte sie, »das Gesetz der Weißen, ist nur

für die Bleichgesichter gemacht und schützt den roten Mann
nicht. Das ist doch so, Falke?«

»Unsere Gesetze sind für alle Menschen gleichermaßen

gültig. Es faßt und verurteilt jeden, der gegen seine Buchstaben
verstoßen hat. Mord bleibt nun einmal Mord, Tla-ina. Und ob
der Mord an einem Indianer oder einem Weißen begangen
wurde, spielt keine Rolle.«

»Du wirst dem Jefe also nicht beistehen?«
»Ich werde für Cochise alles tun, was in meiner Macht steht,

das bin ich ihm schuldig. Er muß sich aber an die Auslegung
unseres Gesetzes halten und die Gefangenen der Armee
übergeben.«

Tla-ina legte ihren Kopf gegen Johns Brust und senkte den

Blick. Einen Moment lang war der Mann versucht, seinen
Gefühlen nachzugeben und sie ganz fest an sich zu reißen.

Sanft streichelte er das blauschwarze Haar des Mädchens. Er

spürte, wie ihre Spannung erlahmte, wie sie nachgab und sich
von ihm löste. Ihre Lippen blieben stumm, nur ihre Augen und

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ihre Gesten sprachen. Aber was sie zum Ausdruck brachten,
durfte John nicht verstehen.

»Gehen wir«, sagte sie und setzte sich in Bewegung.
In beiden brannte Leere und Enttäuschung, aber sie ließen es

nicht deutlich werden und schnürten ihre Gefühle ein. Dumpfe
Benommenheit befiel die beiden Menschen mit der
unterschiedlichen Hautfarbe. Sie waren sich ihrer Liebe
zueinander sicher, durften sich aber dieser Liebe nicht
hingeben, weil Vorurteile und Weltanschauungen
dazwischenstanden und wie eine unübersteigbare Mauer Weiß
und Rot trennte.

»Du reitest im Morgengrauen, Falke?«
»Ich werde Cochise beistehen«, antwortete John schlicht.
»Cochise braucht keine Hilfe«, erwiderte sie stolz. Dann

besann sie sich und schwächte ihre Worte ab: »Mein Bruder
benötigt deine Freundschaft mehr als Hilfe, Falke.«

»Ja«, sagte er leise. »Meine Freundschaft ist ihm sicher.

Trotzdem: ich werde ihm folgen und ihm beistehen, bei allem,
was sein mag.«

John Haggerty hielt das Fell am Jacaleeingang hoch und ließ

Tla-ina eintreten.

*

»Bewegt euch wie Katzen!« zischte Samuel High. »Kämpft
wie Katzen, wenn es sein muß und tötet wie Katzen! Schnell,
sicher und lautlos!«

High bewegte die Arme wie Windflügel und stieß die Fäuste

in den Canyon, als wollte er ihn zertrümmern.

»Greifen wir sie frontal an?« fragte Murry Gutman.
»Wir kreisen sie ein«, antwortete High aus der Dunkelheit.
Im Osten kroch ein fahler Streifen über den Horizont und

breitete sich aus. Der neue Tag brach an und schickte seinen
Boten. Die Banditen verließen einer hinter dem anderen die

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21

klammähnliche Seitenschlucht und kletterten über den
geröllbedeckten Hang nach unten.

Beim Lagerfeuer war alles ruhig. High deutete stumm auf

den Vegetationsgürtel und schickte Casy Carradine und Elias
Quant los. Nach zwei Minuten folgten Burt Spencer und Ray
Ewing.

Wieder wartete Samuel High eine geraume Zeit, bevor er

sich mit Lester Davis und Jim Joad nach der anderen Seite hin
in Bewegung setzte und im Grüngürtel untertauchte. Der achte
Mann war zurückgeblieben und bewachte die Pferde. Bei
Chiricahuas konnte man nie wissen.

Nach zehn Minuten war das Apachenlager eingekreist. Highs

Leute zogen den Gürtel enger und bewegten sich nur noch
kriechend. Würde ihr Vorhaben glücken?

Mit Sicherheit wußten sie es nicht. Apachen hatten auch im

Schlaf Ohren und vernahmen das leiseste Geräusch. Ein
Steinkauz schickte seinen klagenden Ruf über das Lager
hinweg. Ein Abschiedsruf an die Nacht und an die erfolgreich
gewesene Jagd.

Die Weißen verharrten wie erstarrt, wagten sich nicht zu

rühren. Der Ruf verklang und ließ nackte Furcht und bebende
Herzen zurück. Als nichts geschah, beruhigten sich die
Outlaws und setzten ihren Weg kriechend fort.

Der Schrei überraschte sie völlig.
Es war ein seltsamer Schrei. Tierisch menschlich und doch

so animalisch durchdringend in der Leblosigkeit und Stille der
weichenden Nacht.

Das Sirren des Pfeils überhörten die Weißen, aber nicht den

Aufschrei eines ihrer Kumpane. Im Nu waren die Apachen auf
den Beinen, Waffen in den nervigen Fäusten.

»Auf sie!« brüllte High, der schnell begriffen hatte, daß das

vierte Bündel beim Feuer nichts weiter als eine Attrappe war
und ihr Inhalt zwischen Felstrümmern und stacheliger Flora
versteckt lag.

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22

Ein zweiter Pfeil schwirrte und traf Ray Ewing in den Arm.

Der Rest der Banditen stürmte und stürzte sich mit
geschwungenen Waffen auf die Indianer.

Ein wildes Handgemenge entstand. Durch die Yuccas glitt

ein Indianer, warf sein Messer in Quants Oberschenkel und
stürzte sich in das Kampfgetümmel.

High war an Cochise geraten, Carradine an Naiche. Der

hochgewachsene Apache überragte den Revolvermann um
einen ganzen Kopf. Der Nahkampf wogte hin und her.
Verzweifelt wehrten sich die Chiricahuas, konnten sich aber
der tödlichen Umklammerung und der Übermacht der Weißen
nicht entziehen.

Unter den Kolbenhieben brachen sie einer nach dem anderen

zusammen. Cochise kämpfte mit dem Mut eines Löwen und
stand bis zuletzt auf den Beinen.

Als auch er unter einem Hieb zusammenbrach, gab es für die

Outlaws kein Halten mehr. Sie stießen ein infernalisches
Geheul aus.

High gebot nach einer Weile Ruhe.
Niemand von ihnen war ohne eine Blessur davongekommen.

Sie verbanden ihre Wunden so gut es ging.

Das Feuer flackerte wieder, genährt von trockenem Holz,

und beleuchtete eine Szene wilder Geschäftigkeit.

»Was machen wir mit ihnen?« fragte Carradine. »Töten wir

sie?«

»Dummkopf. Das hätten wir einfacher haben können. Wir

hängen sie auf, mit dem Kopf nach unten und rund um den
Stamm des Palo Verde dort drüben. Macht euch an die
Arbeit!«

Als Cochise und die übrigen Apachen wieder aus ihrer

schweren Betäubung erwachten, hingen sie mit dem Kopf nach
unten an dem rauhen Stamm des Palo Verde und sahen ihre
Welt auf den Kopf gestellt. Am Feuer bewegten sich acht
lädierte Weiße und stießen wilde Verwünschungen gegen die

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23

Apachen aus.

»Wir sind in ihrer Hand, Cochise, was können wir tun?«
»Im Augenblick nichts weiter als warten, Naiche.«
»Das Blut wird uns in den Kopf dringen und uns wieder

bewußtlos machen.«

»Sind die Krieger der Chiricahuas plötzlich alte Weiber

geworden, die sich vor einer Ohnmacht fürchten?«

Mehr sagte der Häuptling nicht. Naiche verstand den Vater

und blieb still. Die beiden Krieger, die auf der anderen
Baumseite hingen, schwiegen ebenfalls. In Gegenwart des
Häuptlings hatten sie keine Stimme.

Es wurde hell, der neue Tag brach mit mächtiger Lichtflut

und erbarmungsloser Hitze an. Schweiß lief den Apachen in
die Augen und blendete sie. Ihre einfache Wüstenkleidung troff
nur so von Schweiß.

Samuel High kam vom ersterbenden Feuer herüber, Casy

Carradine im Schlepp und einen weiteren Mann, der seinen
Arm in einer Schlinge trug. Ray Ewing litt unter der
Pfeilwunde, und er mußte seine ganze Kraft aufbieten, um
nicht laut zu fluchen und dem Jefe bösartig ins Gesicht zu
treten.

»Wie gefällt euch die Welt aus dieser Sicht, ihr roten

Halunken?« fragte Sam High zynisch.

Keine Antwort. High fuhr fort:
»Fleht zu eurem Manitu, daß er euch von den Qualen erlöst.

Wir tun es erst, wenn die Sonne am höchsten steht. Ein bißchen
was sollt ihr noch von den Freuden dieser schönen Erde mit
hinübernehmen in die Ewigen Jagdgründe, ihr rotes
Geschmeiß!«

Unter Hohngelächter und obszönen Worten entfernten sich

die rüden Männer wieder.

»Banditos!« zischte Naiche wütend und spuckte aus. Er

spürte ruckartige Bewegungen am Seil, das ihn hielt. Cochise
versuchte die Knoten durch Zerren und Rucken zu lockern. Es

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24

mißlang.

Stunde um Stunde verging. Die Sonne war nicht mehr weit

vom Zenit entfernt und näherte sich schnell ihrem
Scheitelpunkt. Cochise sah umher und suchte verzweifelt und
ebenso vergeblich nach einer Rettungsmöglichkeit.

Ein paar Nager huschten auf Futtersuche vorbei, eine

Klapperschlange wand sich raschelnd durch das
zundertrockene Unterholz.

Von der Lagerstätte herüber toste das zynische Gelächter der

entmenschten Banditen, und ihr Lachen, von den
Vorstellungen über ihre Rache ausgelöst, hallte weit durch den
Canyon.

Knistern und kaum hörbares Knacken war in der Nähe des

Baumes zu vernehmen. Die Chiricahuas hatten es gehört und
verhielten sich still. Sie hielten sogar die Luft an, damit ihr
keuchender Laut kein Geräusch verdeckte.

»Cochise«, flüsterte es kaum hörbar. »Ich bin's, Cochise, der

Falke.«

»John«, hauchte Cochise. »Du bist es wirklich, John?«
»Thomas Jeffords ist bei mir. Habt Geduld, wir befreien

euch. Habt nur eine Sekunde Geduld.«

»Warum wartest du und verlängerst unsere Qual, Falke?«
»Nur eine Sekunde, eine winzige Sekunde«, erwiderte

Haggerty zwischen den Yucca- und Diestelstauden. »Du wirst
mich gleich verstehen.«

Die Stimme war noch nicht verklungen, als ein mächtiges

Getöse den Canyon erschütterte. Felsbrocken stürzten vom
Canyonrand, hüllten das Lager in Staub und platzten am
Canyonboden wie Granaten einer Feldhaubitze.

Kreischendes Wiehern der Pferde, schrill vor Angst und

Entsetzen, füllte den Canyon und löste ein Chaos unter den
Banditen aus. Kopflos rannten sie umher, wichen rollenden
Felsen aus und verloren die Orientierung völlig im wogenden
Staub.

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25

Neben Cochise tauchte John Haggerty auf. Ein Messer

zuckte zu den Fesseln, Körper glitten zu Boden, blieben nach
Atem ringend liegen.

Das Donnern und Prasseln stürzenden Gesteins nahm

gleichermaßen zu, wie das Schreien der Pferde und Brüllen der
Banditen in höchster Qual.

Und als schließlich der Steinschlag aussetzte und dafür

Schüsse von oben fielen, gab es für die Desperados kein Halten
mehr. Zu Pferd, zu Fuß oder kriechend, verließen sie den
Kampfplatz und versuchten so schnell wie es nur ging den
Canyonausgang zu gewinnen.

John Haggerty kauerte neben dem Häuptling der Apachen,

der unermüdlich seine Hand- und Fußgelenke rieb, um das
gestaute Blut in Bewegung zu bringen.

Cochise deutete nach oben. Der Staub hatte sich gelichtet.

Man konnte deutlich den Canyonrand sehen und die Gestalt,
die armschwenkend dort oben stand und Cochise zuwinkte.

»Thomas Jeffords«, sagte Cochise. »Er handelte klug und

weise.«

Zusammen gingen sie zu der erkalteten Asche des

Lagerfeuers und setzten sich wartend auf die Steine. Jeffords
erschien nach kurzer Zeit und wurde von dem Häuptling mit
Handschlag begrüßt. Kein Wort des Dankes, kein Lob floß
über Cochises Lippen, als er sich neben Jeffords auf die
flachen Steine setzte.

John Haggerty eröffnete das Palaver nach Indianerart, das

sich mehr in Gesten als in Worten ausdrückte. Er fragte:

»Cochise ist auf der Jagd?«
Cochise nickte, streckte seine Hand aus und schlug einen

großen Bogen.

»Ich jage Mörder und ging ihnen in die Falle. Der Falke und

du, Thomas, habt mich gerettet. Cochise vergißt das nicht.«

Einfach und schlicht klang Cochises Dank. Er sprach ohne

Pathos, wie das sonst bei seiner Rasse üblich war.

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26

»Was taten die weißen Banditen?«
»Sie töteten Männer, Frauen und Kinder meines Volkes. Sie

werden durch meine Hand sterben und den Frevel sühnen.
How!«

Haggerty sah eine Chance, mit seinem Anliegen

herauszurücken. Sie konnte zu keinem anderen Augenblick
besser sein. Cochise litt noch unter der Schmach seiner
Gefangennahme und würde bereit sein, John geduldig
zuzuhören. Außerdem hatte er Jeffords zur Unterstützung an
seiner Seite.

»Diese Mörder sind es auch, die den Telegraf und einsame

Gehöfte überfallen, die Menschen massakrieren und die Schuld
den Apachen in die Schuhe schieben. Aufruhr droht an der
Grenze!«

Cochise löste seinen Blick von der erkalteten Asche und sah

John Haggerty an.

»Dich schickt der einarmige General, Falke?«
»Ich bin sein Bote«, antwortete John schlicht.
Er wechselte einen Blick mit Jeffords, der Haggertys Zeichen

verstand und sich in das Gespräch einschaltete.

»Der Telegraf liegt auch mir am Herzen, Häuptling. Das

Land braucht ihn, die Armee hat ihn dringend nötig, um Ruhe
und Ordnung an der Grenze aufrechtzuerhalten, und ich
brauche ihn ebenfalls dort oben am Paß.«

Cochise lauschte dem Klang der Stimme und nahm die

Worte in sich auf, ohne sich zu äußern. Er wartete, wartete auf
das, was John Haggerty hinzusetzen und ergänzen würde. John
war aber der bessere Taktiker und schwieg. Er wollte sich nach
dem orientieren, was der Häuptling Jeffords antwortete und in
welcher Form er seine Gedanken bloßlegte. Doch er sah sich
getäuscht.

Cochise schwieg und blieb auch stumm wie ein Fisch, als er

begriff, wie der Falke taktierte. Tiefe Niedergeschlagenheit
ergriff diesen großartigen Indianerhäuptling, der sich in diesem

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27

Augenblick über den Charakter des Telegrafs klar wurde.

Die neue Taktik würde die Indianer in seinem Gebiet weiter

eingrenzen und in die wilden Berge zurückdrängen, wo ihnen
der gewohnte Lebensraum fehlte.

Cochise sah die Dinge aus seiner Sicht und erkannte die

andere Seite der Medaille nicht, die ihm von den Weißen
angeboten wurde. Er fürchtete für seinen Stamm, für alle
Indianer gemeinhin, und er war klug und weitschauend genug
zu erkennen, daß der Telegraf den Untergang der roten Rasse
beschleunigte. John Haggerty, dem das Schweigen bereits
peinlich wurde, machte eine vage Geste mit der Hand und
setzte seine Erklärung fort.

»Der Telegraf kommt allen Menschen in diesem Territorium

zugute«, erklärte er mit ruhiger, sachlich betonter Stimme. »Er
wird seine Tätigkeit nicht nur in den Dienst der Armee stellen,
sondern auch für Zivilisten und sogar für Indianer da sein.
Erkennst du die Vorteile für das ganze Land, Cochise?«

»Ich sehe die Vorteile für die Langmesser, Falke. Sie können

sich über weite Räume hinweg verständigen, Unterstützung
anfordern und einen Kampf für sich entscheiden, während den
Apachen nur ihre eigene Nachrichtenübermittlung bleibt.«

Thomas Jeffords fühlte den Kloß in seinem Hals und seinen

belastenden Druck auf den Kehlkopf. Er würgte und schluckte,
und er wunderte sich, wie glatt Haggertys Worte über dessen
Lippen flossen. John war ein Freund der Apachen. Wie
Cochise sah er den Untergang der roten Rasse. Stets hatte er
sich für die Indianer eingesetzt und für ihre Interessen
gekämpft. War das plötzlich anders geworden?

Haggerty riß sich zu einer Antwort zusammen, obwohl er die

augenblickliche tiefe Verstimmung des Jefe fühlte. Er sagte:

»Das mag aus deiner Sicht gelten, Cochise. Wir wollen im

Augenblick nicht darüber diskutieren, wer den größeren
Nutzen durch den Telegraf hat. Ich kann dir aber versichern,
daß den Stämmen der Apachen durch den Telegraf kein

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größerer Schaden erwachsen wird.«

John biß sich auf die Lippen und schwieg. Seine Antwort

war taktisch unklug gewesen. Von Schaden hätte er nicht reden
dürfen. Der hellhörige Indianer würde sofort einhaken und
seine Argumente in die Waagschale werfen.

Er hatte sich nicht geirrt. John sah es an dem mißtrauischen

Augenausdruck Cochises, und in diesem Augenblick verfluchte
er seinen Auftrag mitsamt dem General und dessem
Sorgenkind: der Telegraf.

Cochise, ein Kind der Natur und nur oberflächlich mit den

zivilisatorischen Errungenschaften der Weißen behaftet, zog
seine Weisheiten und Erkenntnisse aus den elementaren
Naturgesetzen und handelte entsprechend.

»Schaden«, sagte er gedrückt. »Hatten die Apachen nicht

schon genug Schaden durch das ständige Vordringen der
Weißen, die so vielzählig wie die Sandkörner in den Flüssen
sind?«

Bevor sich Haggerty auf Cochises Worte eine Antwort

zurechtlegen konnte, wurde er abgelenkt. Ein Warnschrei gellte
durch den Canyon. John stand auf und bedeckte die Augen mit
der Hand, um die grellen Sonnenstrahlen zu mildern. Naiche
kam zu Fuß den Canyon heraufgejagt und winkte warnend.

»Sie sind nicht fortgeritten«, schrie er, »sie sammeln sich!«
John fragte: »Was haben die Kerle vor?«
»Rache für die Niederlage wollen sie«, antwortete Naiche,

dabei ging sein Atem nach dem schnellen Lauf ruhig wie
vorher.

Johns zweite Frage traf den Kern.
»Greifen sie uns an?«
Naiche deutete auf den Canyonrand.
»Sie kommen über den Höhenrücken.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fiel von oben ein

Schuß. Thomas Jeffords zuckte zusammen und stürzte aufs
Gesicht. Mit einem weiten Sprung war Haggerty bei ihm und

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29

drehte ihn auf den Rücken. Der Schock hatte Jeffords in tiefe
Ohnmacht sinken lassen.

Cochise übertrug die Abwehr seinem Sohn, der sich mit den

beiden Kriegern auf den Weg machte, Deckung hinter einer
Felsbarriere zu suchen und die Weißen mit ihren Gewehren
unter Feuer zu nehmen.

Inzwischen kniete Cochise neben Jeffords und riß ihm das

Hemd über der Brust auf. Die Wunde blutete heftig. Die Kugel
war unterhalb des rechten Brustbeins eingetreten und im
Rücken wieder ausgetreten, ohne einen Knochen oder die
Lunge zu verletzen.

»Wir müssen den Canyon verlassen, sonst stirbt er«, sagte

Cochise zu Haggerty. »Ich nehme ihn auf mein Pferd.«

»Er wird zuviel Blut verlieren«, erwiderte John und machte

ein besorgtes Gesicht. »Wohin willst du ihn bringen?«

»Er muß zu einem Medizinmann der Weißen gebracht

werden«, antwortete Cochise.

»Die nächste Stadt ist Pearce, Häuptling. In dem

Schlammstraßen-Kaff wird es einen Doc geben. Ich weiß es
aber nicht genau. Tombstone wäre besser, ist aber zu weit. Wir
verbinden ihn erst einmal.«

Minuten später waren Jeffords Wunden mit Kompressen

versorgt. Eine breite Binde schlang sich um seine Brust und
hielt das Blut zurück.

Gemeinsam hoben sie den Ohnmächtigen zu Cochise aufs

Pferd. Der Jefe steckte zwei Finger in den Mund und stieß
einen schrillen Pfiff aus. Seine indianischen Begleiter deckten
seinen Rückzug und feuerten pausenlos ihre Gewehre auf den
rechten Canyonrand ab.

John schwang sich auf sein Pferd und ritt im Galopp neben

dem Häuptling her. Sie durchmaßen den Canyon und gelangten
auf die Ebene zwischen den Dragoon- und den Chiricahua
Mountains. Pearce lag genau im Osten, und wenn Jeffords die
Strapaze des Rittes durchhielt, konnten sie die Ansiedlung in

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30

weniger als einer Stunde erreichen.

*

Als der Schlund der Main Street in Sicht kam, zügelte John
seinen Dunkelbraunen. Er deutete auf die Stadt. Reger Verkehr
floß durch ihre Straßen und staute sich in deren Zentrum.

»Soll ich Thomas nicht allein zum Doc bringen? Ich könnte

mir vorstellen, daß die Weißen an einen Überfall glauben und
zu den Waffen greifen, wenn sie dich und deine Apachen
sehen.«

»Cochise bringt seinen Freund persönlich zu dem weißen

Medizinmann«? antwortete Cochise bestimmt. Er gab dem
hinter ihm reitenden Naiche Befehle und spornte sein Pferd
wieder an.

Die Apachen blieben zurück und machten sich unsichtbar,

während John Haggerty damit rechnete, wegen Cochise mit
den Stadtbewohnern Schwierigkeiten zu bekommen.

Sie blieben auf der Straßenmitte und beobachteten die

Menschen auf den Gehsteigen. Sie blieben mit offenen
Mündern stehen und glotzten schweigend auf den seltsamen
Reitertrupp.

Nicht der Weiße und der Verwundete interessierte sie, das

sahen sie alle Tage. Der hochgewachsene Indianer mit seiner
majestätischen Haltung tat es ihnen an, und sie fragten sich im
stillen, wer die Rothaut wohl war.

An der Hauptstraße erkannte John das Türschild des Arztes.

Er lenkte sein Pferd zum Halfterbalken und stieg aus dem
Sattel. Zusammen trugen Cochise und Haggerty den
bewußtlosen und vom Blutverlust geschwächten Jeffords ins
Haus.

Doc Keith Hampton kam ihnen im Korridor entgegen und riß

die Tür zu seinem Ordinationsraum auf. Er brauchte eine
geraume Weile, um den Schock über den Anblick des Apachen

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31

zu überwinden.

John machte nicht viel Umstände. Er wies sich aus und

berichtete dem Arzt, was passiert war. Doc Hampton nickte,
deutete auf den Operationstisch und sagte:

»Legen wir ihn hier drauf, Mr. Haggerty. Hmhmm … Hätten

Sie den Indianer nicht draußen lassen können? Sein Anblick
macht mich ganz nervös.«

»Sie brauchen keine Angst zu haben«, erwiderte Haggerty.

»Cochise, der Häuptling der Apachen, tut Ihnen gewiß nichts
zuleide.«

»Oh, das ist Cochise?«
Hampton setzte seinen Kneifer zurecht und starrte den Jefe

wie ein Fabelwesen an. Als ihn Cochise fixierte, senkte er den
Blick und machte sich an der durchbluteten Kleidung Jeffords
zu schaffen.

Als er die Wunde freilegte, pfiff er leise durch die Zähne.

Cochise stand mit einem einzigen langen Schritt bei ihm und
umklammerte seinen Arm. Seine Stimme kam tief aus der
mächtigen Brust und grollte:

»Wie steht es um meinen Freund Thomas? Wie schlimm ist

es?«

»Wenn wir eine Blutvergiftung abwenden können, wird er

überleben. Aber die Wunde sieht gefährlich aus, Sir.«

Cochise kannte die Anrede der Weißen, wenn sie einen

anderen ehren wollten. Er zuckte mit keinem Lid und tat so, als
sei er es gewohnt, mit Sir angeredet zu werden.

Er hielt dem Doc die Faust unter die Nase.
»Heile meinen Freund, Medizinmann. Du wirst von dem

Häuptling der Apachen reich belohnt werden. Stirbt er, wirst
du durch diese Hand sterben. Adios!«

Er drehte sich herum und verließ lautlos das Zimmer. Doc

Hampton warf Haggerty einen verstörten Blick zu und
murmelte mit gerungenen Händen:

»Ich kann nicht dafür garantieren, Mr. Haggerty, daß ich ihn

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über die Runde kriege. Der Schußkanal sieht nach einem
einsetzenden Wundbrand aus. Nein, ich kann nicht für die
Erhaltung seines Lebens garantieren. Wird die Armee mich vor
diesem Wilden beschützen, wenn er mir unter den Händen
stirbt?«

So makaber die Worte des Arztes in seinen Ohren klangen,

John mußte lächeln. Dieser Wilde hatte Keith Hampton gesagt,
und die nackte Angst hatte aus ihm gesprochen. Wenn Cochise
ein Wilder war, dann mußte Haggerty sich selbst als
Urzeitmensch betrachten.

»Fangen Sie an!« befahl er barsch, um einer weiteren

Diskussion um Leben oder Tod zu entgehen. Er ging zu einem
Stuhl an der Wand und setzte sich.

Der Arzt desinfizierte den Wundkanal. Durch den scharfen

Schmerz klappte Thomas Jeffords die Augen auf und stieß ein
schmerzgeplagtes Stöhnen aus. Aber sofort danach fiel er
wieder in Ohnmacht.

Doc Hampton verband den Durchschuß und wusch sich die

Hände. Mehr konnte er nicht tun.

»Wenn er über die Schwelle geht, bringt mich der Apache

um«, sagte er mürrisch. »Das hat man nun davon, wenn man
den Menschen hilft.«

John winkte ab. Er stand auf und ging zum Tisch. Thomas

hielt die Augen geschlossen, atmete aber tief und ruhig.

»Sie sagen nichts«, jammerte der Arzt weiter, und sein

Tonfall klang nun nörgelnd. »Ich kann nicht mehr für ihn tun
als die Wunde zu reinigen und zu verbinden. Warum haben Sie
den Verletzten nicht zu einem Medizinmann der Apachen
gebracht?«

»Weil er ein Weißer ist«, antwortete Haggerty. »Trauen Sie

den Medizinmännern der Wilden, wie Sie sagten, mehr zu als
Ihrer ärztlichen Kunst?«

Doc Keith Hampton schnappte nach Luft und senkte

beschämt die Augen.

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»Tut mir leid, Sir. Das war selbstverständlich nicht so

gemeint.«

»Was fangen wir mit dem Verwundeten an?« lenkte John

vom Thema ab. »Können Sie ihn hier in Ihrem Haus
behalten?«

Hampton zögerte kurz, schließlich nickte er. John Haggerty

ahnte, was den Arzt zu dem Zögern veranlaßt hatte.

»Um das Honorar brauchen Sie sich keine Sorgen zu

machen. Die Butterfield Mail kommt für alle Kosten auf,
darauf können Sie sich verlassen. Außerdem machte Cochise
Ihnen ein Angebot, das sich sehen lassen kann.«

»Cochise? Die Apachen haben doch kein Geld.«
»Aber Gold«, sagte John schnell. »Sie haben davon so viel,

daß sie das ganze verdammte Drecksnest hier mit Nuggets
kaufen könnten, die Bewohner eingeschlossen.«

Dr. Keith Hampton warf John einen unsicheren Blick zu und

schüttelte den grauhaarigen Kopf.

»Es geht mir nicht um Geld, Sir, sondern um die Vorurteile,

die die Leute meinem Verhalten gegenüber an den Tag legen
werden. Ein Apache in meinem Haus … Das ist ungefähr so,
als hätte ich Aussätzige hier beköstigt.«

John Haggerty wandte sich angewidert ab. An der Tür drehte

er sich noch einmal um.

»Cochise und ich kommen heute abend wieder. Pflegen Sie

diesen Mann gut, Doc, oder der Jefe macht seine Drohung
wahr.«

Er verließ das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.

Als er aus der Haustür trat, stieß er auf Cochise, der an der
Wand lehnte und mit untergeschlagenen Armen auf die
Menschenmenge starrte.

Wohlweislich hielten sich die Gaffer auf dem

gegenüberliegenden Gehsteig auf und kamen aus Furcht vor
dem Apachen nicht über die Straße.

»Reiten wir«, sagte Haggerty und ging zu seinem Pferd.

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34

*

In der Abenddämmerung war die ganze Stadt auf den Beinen.
Die Menschen bevölkerten die Gehsteige und die obere
Straßenhälfte, und sie stierten und gafften, als gäbe es ein
Weltwunder zu sehen.

Es war dunkel geworden, als Haggerty und der Apache in die

Stadt ritten. John machte nicht viel Umstände und trat ohne
anzuklopfen ein. Thomas Jeffords lag mit offenen Augen auf
der Pritsche und sah ihnen entgegen.

John stellte sich links vom Operationstisch auf, Cochise

rechts. Beide ergriffen die Hände des Verwundeten.

»Du wirst wieder gesund werden, Rotbart«, sagte Cochise

mit Freundlichkeit in der Stimme.

Jeffords Gesicht hatte wieder Farbe und sah nicht mehr

krankhaft gelb aus wie am Nachmittag. Er nickte.

»Klar werde ich. Der Doc tut für mich alles, was in seiner

Macht steht. Eine Infektion ist nicht mehr zu befürchten. Du
willst hinter den Mördern her, Cochise, ich weiß es. Reite, ich
komme schon zurecht.«

Abrupt ließ der Apache Jeffords Hand los und ballte grimmig

die Hände.

»Ich werde sie zermalmen, Rotbart! Das verspreche ich

dir…«

»Jefe«, unterbrach ihn Jeffords mit ruhiger Stimme. »Jefe,

hast du darüber nachgedacht, was der Falke dir über den
Telegraf sagte? Das Land braucht den Draht. Beschütze ihn mit
deinem Herzblut und halte alle Störungen von ihm fern. Ich,
dein Freund, bitte um dein Verständnis …«

Thomas Jeffords schloß die Augen und schlief ein. Cochise

und Haggerty wechselten einen Blick und gingen schweigend
hinaus. Im Korridor begegnete ihnen der Arzt.

»Er wird durchkommen«, sagte er hastig, als er einen Blick

in das grimmige Gesicht des Chiricahua warf. »Ganz bestimmt,

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er wird es schaffen, das Fieber ist zurückgegangen.«

Cochise trat nahe an den Arzt heran und legte ihm seine

Hand auf die Schulter. Mit sonorer Stimme sagte er:

»Mache ihn gesund, Bleichgesicht, ich werde dich belohnen,

wie noch kein Weißer von mir belohnt wurde. Cochise wird
tief und ewig in deiner Schuld stehen.«

Er ließ den verblüfften Arzt stehen und verließ das Haus.

John folgte ihm mit einem Augenzwinkern. Ohne die
Menschentrauben zu beachten, stiegen sie auf ihre Pferde und
ritten aus der Stadt.

Draußen im Badland stießen sie auf Naiche mit den beiden

Kriegern. Cochise wandte sich sofort an seinen Sohn.

»Du hast die Spuren der bleichgesichtigen Mörder verfolgt.

Wohin sind sie geritten, Naiche?«

Naiche deutete nach Süden.
»Sie sind in der Stadt, die die Weißen Gleeson nennen.«
»Wir reiten hin«, sagte John Haggerty sofort.
Cochise gab keine Antwort. Er wendete sein Pferd nach

Süden und ritt wortlos an. Als sich die Sonne dem Großen
Ozean zuneigte, sahen sie die Ansiedlung in der Ebene liegen.

Auf einem Hügel zügelte Cochise seinen Pinto und starrte

finsteren Blickes auf die Häuser, die von hier oben aus wie
Bausätze aus einem Spielkasten wirkten. Dort unten war kein
ständiges Kommen und Gehen wie in Pearce. Die Ansiedlung
wirkte verschlafen und menschenleer. Die scharfen Augen der
Apachen sahen Pferde vor den Hitchrails einiger Saloons und
einen hochbeladenen Frachtwagen, der von sechs stämmigen
Pferden aus der Stadt nach Norden rollte.

»Wenn es dunkelt, reiten wir hinab«, sagte der Häuptling zu

John Haggerty.

John runzelte die Stirn.
»Wie denkst du dir die Sache, Jefe? Du kannst keine weißen

Männer in einer Stadt festnehmen, die von Weißen bewohnt
wird. Die Einwohner werden sich auf die Seite der Banditen

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schlagen und ihnen helfen.«

Cochise neigte den Kopf mit dem breiten Apachenstirnband.

Wortlos stieg er vom Pferd und zerrte es in die Deckung hinter
dem Hügel.

»Auch Krieger müssen essen, Falke. Du und ich, wir beide

werden hinuntergehen.«

Sie packten ihre Proviantbeutel aus und begnügten sich mit

einer kalten Mahlzeit. Ein Feuer zu entfachen, konnten sie
nicht wagen, weil sie der Rauch wahrscheinlich verraten hätte.

So saßen sie im Kreis und warteten auf den

Sonnenuntergang. Naiche hielt sich mit den Kriegern im
Hintergrund auf. Wenn er auch ein Häuptlingssohn war, so
konnte ihm durch den Stammesführer immer nur eine
kurzzeitige Rolle übertragen werden.

John las trotz der anbrechenden Dunkelheit Sorgen und

Kummer in Cochises Gesicht. Machte sich der Chief Gedanken
um Thomas Jeffords? Er kannte die Verbundenheit und die
Freundschaft zwischen den beiden Männern und achtete sie
deswegen um so mehr.

Die ersten Sterne erschienen blaß und ohne Leuchtkraft am

Firmament. Cochise stand unvermittelt auf und legte die Hand
um den Messergriff.

»Falke, bist du bereit?«
»Ich bin es«, antwortete Haggerty und stand auf.
»Wir gehen bewaffnet«, fuhr Cochise in seiner schlichten Art

fort, die nur wenig Pathos kannte. »Und wir lassen die Pferde
hier.«

»Einverstanden, Jefe.«
Lautlos versackten sie in der Dunkelheit, die wie ein

schwarzer Teppich den Hügelhang heraufkroch. Fledermäuse
taumelten zirpend durch die Nacht, verfolgt von Nachtfalken,
die sich mit schrillen Schreien Signale gaben. Das Karussell
des Jagens und Gejagtwerdens hatte begonnen.

Sie brauchten mehr als eine halbe Stunde, um in Stadtnähe

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zu gelangen. Wie schleichende Panther pirschten sie sich an.
Von der Main Street her dröhnten die Orchestrions, Lachen
geschminkter Frauen und das satte, röhrende Brüllen
betrunkener Männer.

John und Cochise begingen nicht den Fehler, über die

Hauptstraße in die Stadt einzudringen und Kneipe für Kneipe
abzukämmen. Sie orientierten sich nach dem lautesten
Geschrei und schlichen an der Rückfront der Häuserzeile
entlang zu dem lautesten Tingeltangel.

Lautlos überquerten sie Baulücken und Seitenstraßen, die ins

Freie führten, und sie hielten sich stets im Schlagschatten der
Häuser und verständigten sich gegenseitig mit Gesten.

Der Saloon, den sie ansteuerten, mußte bis auf den letzten

Platz besetzt sein. Der Musikautomat hämmerte den neuesten
Gassenhauer in die Nacht und übertönte die geringfügigen
Geräusche, die die beiden Freunde machten, wenn sie im
Dunkeln gegen Flaschen und Büchsen stießen.

Neben einem Holzstapel blieben sie stehen und beobachteten

die Hinterfront des zweigeschossigen Hauses. Es hatte zwei
Fenster und eine Hintertür, aber vor den Fenstern lagen
schwere Läden mit Innenverriegelung.

»Wir müssen auf die Straße«, hauchte John. »Nur von dort

aus ist was zu erkennen.«

»Was erkennen?«
»Den Saloon, in dem sie sich aufhalten.«
»Du willst die Schnapsbude betreten?«
»Ich will herausfinden, wo sie sind.«
»Das kannst du nur, wenn du hineingehst.«
»Nicht unbedingt. Sie sind zu acht, also müssen

logischerweise acht Pferde am Hitchrail stehen. Sehen wir acht
Pferde, dazu staubbedeckt, haben wir die Kerle gefunden.«

Cochise wiegte den Kopf.
»Zu gefährlich«, flüsterte er. »Wenn wir entdeckt werden,

haben wir die ganze Stadt auf dem Hals.«

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»Ohne Risiko kein Erfolg. Du bleibst hier und deckst mir den

Rücken.«

»Cochise wird mitkommen. Es ist zu gefährlich für einen

einzelnen Mann. Diese Mörder sind keine Kämpfer, sondern
Heckenschützen. Cochise kommt mit!«

Die letzten Worte hatte er grimmig und laut hervorgestoßen,

für Haggertys Geschmack zu laut. Er erschrak und ergriff den
Häuptling beim Arm.

»Pst«, sagte er eindringlich. »Nicht so laut, Jefe, irgendwer

könnte uns hören.«

»Gehen wir.«
Bevor John begriff, was der Häuptling wollte, war er schon

fort. Die Seitenstraße, durch die sie eilten, war mit Unrat
knöcheltief bedeckt. Es knirschte, schepperte und klirrte bei
jedem Schritt. Unbemerkt gelangten sie auf die Hauptstraße.
Eine Straßenbeleuchtung gab es nicht. Vor einigen Häusern
brannten gelbe und rote Lampen und warfen farbige
Lichtpunkte auf die Gehsteige, das war die ganze Beleuchtung.
Im übrigen verließ man sich während der Nacht auf das
Sternenlicht.

Im Dachschatten eines Vorbaues blieben John und Cochise

stehen. Mit brennenden Augen starrten sie in die Dunkelheit
und wunderten sich über die Leblosigkeit der Main Street.

»Dort drüben«, flüsterte John heiser. Seine Hand deutete auf

eine Stelle vor der falschen Fassade eines zweistöckigen
Hauses.

Cochise hatte die Pferdegruppe längst gesehen und nickte. Es

war das gleiche Gebäude, dessen Hinterfront sie belauert
hatten. Beide wurden von den harten Schritten eines Mannes
abgelenkt, der den Gehsteig heraufkam und Blicke nach allen
Seiten warf. Auf seiner Brust funkelte ein metallisch
glänzender Stern.

John Haggerty neigte sein Gesicht zu Cochise und flüsterte:

»Der Town-Marshal, er macht seine Abendrunde. Sei still.«

Ein

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flüchtiges Lächeln glitt über die braunen Züge des Apachen.
Als wenn er das nicht selbst gewußt hätte. Der Marshal
verschwand weiter unten in einem Saloon und kam in den
nächsten Minuten nicht wieder zum Vorschein.

»Ich husche hinüber, Chief. Gib auf meinen Rücken acht.«
Fort war er. Sekundenschnell überquerte er die Straße und

duckte sich in den Schlagschatten einer Veranda. Als er den
Kopf vorsichtig anhob, las er das Schild: BEAN & BROTHER.
STORE AND HARDWARE.

Bean und Bruder schliefen jedenfalls selig, denn alles war

dunkel und still im Store. John huschte wie eine riesige Kröte
weiter, Licht und Lärm entgegen. Bei den Pferden
angekommen, richtete er sich auf und sprach halblaut zu den
Tieren. Einem stämmigen Braunen strich er über die Kruppe.
Staub haftete an seiner Hand. Staub mit dem Schweiß des
Tieres verklebt, bildete eine dicke Schmutzschicht auf dem
Tierfell.

»Armer Kerl«, murmelte der tierliebende Haggerty. »Nicht

mal zu saufen haben sie euch gegeben.«

Das Pferd blickte ihn aus großen, feuchten Augen an, als

verstünde es das Mitgefühl des Mannes.

John kam nicht dazu, zur Saloontür zu huschen und einen

Blick über die geschweiften Eselsbrücken der Pendeltüren zu
werfen. Weiter unten auf dem Gehsteig wurde es turbulent. Der
Marshal war es, der die lautstarke Unruhe auslöste. Er schob
einen Betrunkenen durch die Tür des Saloons und hielt ihn an
der Wand fest.

Ununterbrochen beschwerte sich der Mann und beteuerte

seine Unschuld. Was er getan oder nicht getan haben sollte,
verstand John nicht. In diesem Augenblick fing der Betrunkene
wieder laut an zu zedern.

»Marshal, was fällt dir ein? Ich hab' nichts getan, weswegen

du mich den Genüssen des Lebens fernhalten könntest. Gar
nichts habe ich getan! Mann, Blechstern, ich habe hundert

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grünschimmelnde Eintrittskarten zu den Freuden und
Annehmlichkeiten dieser sündigen freien Welt in der Tasche
und möchte sie in Whisky umsetzen. Laß mich los, du
hirnverbrannter Trottel!«

»Halt's Maul!« brüllte der Marshal wütend. »Du hast dem

Rancher Billings das Geld geklaut.«

Die Stimmen wurden deswegen leiser, weil sie sich

entfernten. Der wütende Marshal zerrte den Betrunkenen am
Kragen seiner Jacke in Richtung Gefängnis und verschwand
mit ihm hinter einer massiven Eichenholztür. Es wurde wieder
still.

Nun wagte es John Haggerty. Er glitt unter einem Pferdehals

hindurch, stieg hinter dem Halfterbalken wieder zur vollen
Höhe empor und war mit einem einzigen Sprung auf der
Veranda. Die Schwingtür erreichte er mit einem weiteren
Schritt.

Wie er gedacht hatte, der Saloon war randvoll. Blauer

Tabakqualm drang durch die Tür und gleichzeitig ätzend in
seine Lungen. Mit Mühe unterdrückte er ein Husten. Nach
einem schnellen Blick zog er seinen Kopf wieder zurück und
wartete Sekundenbruchteile.

Ein zweiter Blick zeigte ihm den Standort der Gesuchten, die

an der Theke standen und gewaltige Reden schwangen.
Besonders ein Mann tat sich hervor: Samuel High.

High gestikulierte gerade mit beiden Händen, stieß seinen

Stetson aus der Stirn und rief im Befehlston:

»Noch ein Bier und einen Schnaps für jeden, dann geht's

weiter nach Tombstone! Männer, warum sollen wir in diesem
elenden Kaff versauern, wenn wir in Tombstone alles kriegen,
was wir haben wollen?«

Seine Männer johlten und klopften sich gegenseitig auf die

Schultern vor Begeisterung.

»Auf nach Tombstone!« heulten sie im Chor.
John Haggerty hatte genug gehört. Wie ein Wiesel huschte er

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über die silberglänzende Straße und tauchte neben Cochise in
den Schatten.

»Sie reiten in etwa einer Stunde weiter nach Tombstone«,

erklärte er Cochise. »Was tun wir? Sie hier in der Stadt
anzugreifen, rate ich nicht.«

»Warum nicht?«
»Es sind immerhin acht Männer, und sie haben eine Menge

Freunde in Gleeson. Das würde für uns gar nicht gut aussehen,
Jefe.«

Härte war in Cochises Augen zu sehen. Seine Hand

umklammerte den Messergriff. John bemerkte, daß er sich nur
mühsam beherrschte. So nahe war er den Mördern seiner
Sippe, und sie waren dennoch so weit entfernt und unerreichbar
für ihn.

»Ich würde auch gern wissen, welche Schandtaten sie für die

nächste Zeit planen. Deine Rache ist dir sicher, Chief. Sie läuft
nicht davon, und wenn du dich ein wenig geduldest, bis wir
alles wissen, wäre ich dir sehr dankbar.«

Stumm neigte der Apache den Kopf und bekundete seine

Zustimmung. Sie brauchten nicht lange zu warten. Tombstone
zog die Banditen an wie ein Magnet Nägel. Tobend kamen sie
aus dem Saloon und schwangen sich in die Sättel. Als sie im
Galopp über die Main Street nach Westen preschten, zählte
John Haggerty sieben Reiter. Ein Pferd stand noch beim
Hitchrail. Sein Reiter, es war Murry Gutman, löste den
Zügelknoten und wollte das Tier besteigen.

Er hatte jedoch Schwierigkeiten durch den vielen Alkohol,

den er in sich hineingeschüttet hatte. Als er endlich seinen Fuß
in den Steigbügel brachte und sich hochziehen wollte, war es
für ihn schon zu spät.

Der Häuptling der Chiricahuas stürzte sich auf ihn und riß

ihn zu Boden. Bevor Murry auch nur ahnte, was mit ihm
geschah, traf ihn ein knallharter Schlag gegen die Schläfe und
trieb ihn einen Zoll tiefer in den Straßenschmutz. Murry

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Gutman verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig.

Was noch folgte, ging schnell. Cochise hob ihn hoch und

legte den Bewußtlosen quer über den Sattel. Mit Murrys
eigenem Lasso band er ihm Hände und Füße zusammen.

John hatte Cochise nicht zurückhalten können. Selbst wenn

er es vorgehabt hätte, wäre es ihm nicht mehr gelungen. Der
Häuptling war schneller weg als ein Blitz und mit ein paar
langen Sprüngen auf der anderen Straßenseite gewesen.

Sie verließen die Stadt, das fremde Pferd am Zügel. Der

Rückweg dauerte diesmal länger, weil sie auf die Banditen
achten mußten, die irgendwann ihren Kumpan vermissen und
nach ihm suchen würden.

Fast nach einer Stunde Fußmarsch stießen sie auf die

Apachengruppe. Naiche trat ihnen in der Dunkelheit entgegen,
das Gewehr in der Armbeuge. Er sagte nur ein einziges Wort,
aus dem seine tiefe Befriedigung klang. »How!«

Cochise übergab Pferd und Reiter den Kriegern. Er sah sich

von der Hügelkuppe aus um, warf einen langen Blick nach
Westen und nickte befriedigt.

»Zuviel Tizwin, nun betrunken«, sagte er. »Sie merken nicht

einmal, daß einer fehlt.«

John lachte und setzte sich auf einen Stein.
»Was willst du mit dem Gefangenen anfangen, Häuptling?«
»Er kommt an den Marterpfahl.«
»Was? Willst du den Kerl töten?« Aus Johns Stimme drang

Unglauben.

»Meine Krieger martern ihn, bis sein Geist den häßlichen

Körper verläßt.« John schickte einen Blick zu dem
Gefangenen. Der Mann war inzwischen wieder bei Bewußtsein
und hielt seinen Kopf erhoben.

Cochises sonore Stimme kam kalt wie Eis aus der

Dunkelheit.

»Ich reiße ihm den Skalp bei lebendigem Leib vom Schädel,

Falke, und seine Stücke werfen wir den Bussarden zum Fraß

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vor.«

John konnte ein Lachen kaum noch unterdrücken. Cochise

spielte den blutdürstigen Wilden, um den Kerl einzuschüchtern
und willfähig zu machen. Er stieß Drohungen aus, die ihm
sonst nie über die Lippen gekommen wären.

Im hinteren Teil eines Hügeltales flackerte ein von Naiche

entfachtes Feuer. Von der Stadt aus konnte man es nicht sehen,
weil sich ein schmaler Streifen von Tamarisken
dazwischenschob.

John Haggerty erhob sich. Er ging zu der Lichtquelle. Der

Gefesselte warf ihm einen verzweifelten Blick zu und sprach
ihn an.

»Sir! Ich hörte, was die verdammte Rothaut sagte. Dulden

Sie die Marterung eines Weißen? Ich bitte Sie um alles in der
Welt, retten Sie mich!«

John gab keine Antwort und ging seelenruhig weiter.

Cochise war ihm gefolgt und ließ sich auf eine ausgebreitete
Decke nieder. Mit untergeschlagenen Beinen saß er geraume
Zeit bewegungslos. Schließlich hob er den Kopf und sagte laut:

»Wenn der Mond aufgeht, kommt der Mörder an den

Marterpfahl!«

*

Keiner der sieben Banditen merkte, daß das achte
Bandenmitglied fehlte. Im Morgengrauen ritten sie in
Tombstone ein und verteilten sich auf ihre Quartiere. Samuel
High brachte sein Pferd persönlich in den Mietstall, rieb es ab
und gab ihm Wasser und Futter.

Sattellahm ging er anschließend über die Allen Street zum

Black Devil Saloon. Er war an der Fremont Street etabliert, in
der die meisten Geschäftsbetriebe und die
Handelsniederlassungen lagen.

Sam High wechselte die Richtung, ging die Fourth Street

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entlang und bog in der Fremont Street rechts ab. Er fluchte
mürrisch über den Unrat und den Staub auf der Straße.

Als im Papago Cash Store in seinem Rücken die ersten

Lichter angingen und vor Bauers Union Market ein
Frachtwagen vorfuhr, der beladen werden sollte, öffnete Sam
die Schwingtür zum Black Devil und tauchte in der
Halbdämmerung des Saloons unter.

Es roch schal nach Bier, Fusel, billigem Parfüm und Tabak.

Hinter der Bar brannte eine einsame Ölfunzel. Sam ging
breitbeinig zum Tresen, hieb mit der flachen Hand auf die
Glocke, daß der Ton wimmernd durch das Haus fuhr.
Schlurfende Schritte wurden laut.

»Gottverdammich, hat man nicht mal am frühen Morgen

Ruhe vor euch versoffenen Lumpen?«

Ein Vorhang teilte sich. Aus einem Nebenraum kroch wie

eine riesige Kröte ein Mann heran, der nicht nur so aussah wie
eine Amphibie, sondern auch ganz die Art dieser schleichenden
Wesen angenommen hatte.

Sein finsteres Gesicht bekam Glanz wie durch Sonnenschein,

als er Samuel High erkannte.

»Du, Sam? Dich hätte ich bestimmt nicht am frühen Morgen

erwartet. Wie geht's, altes Haus?«

»Es macht sich, Lester. Mühselig ernährt sich ein

Eichhörnchen. Bin ich in deinem Haus nicht willkommen?«

»Bist du. Bist du immer, Sam. Drink?«
»Whisky und ein Bier. Bin so trocken wie die Wüste, aus der

ich komme. Gibt's was Neues in der Town?«

»Wie lange warst du weg?«
»Zwei Wochen. Zwei beschissene Wochen, Bucko, das kann

ich dir sagen.«

»Was sollte sich in zwei Wochen in diesem miesen Kaff

schon ereignen? Jede Nacht dasselbe. Sie besaufen sich,
bekommen Streit, und dann schlagen sie mir alles kurz und
klein. Ein Hundeleben ist das, sage ich dir. Wenn nicht hin und

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wieder mal ein paar Blaubäuche hereinkämen und für
Volksbelustigung sorgten, wäre es hier nicht zum Aushalten.«

»Blaubäuche? Wie kommen die hierher?«
»Zwei Züge Dragoner sind neuerdings in Tombstone

stationiert. Sie sollen die Western Union bewachen und die
fertiggestellte Telegrafenleitung sichern. Ich mag sie nicht.
Aber was soll ich tun? Bevor ich vor Wut ständig in Stuhlbeine
beiße, gebe ich ihnen, was sie haben wollen.«

»Verständlich«, sagte Sam. »Die Jungs können nichts dafür,

daß sie in der Wüste von Arizona stationiert sind. Ich bin
müde, hast du ein Zimmer frei?«

Sam nahm einen langen Schluck aus dem Bierglas und

kippte den Whisky hinterher. Lester Bone machte eine
abwehrende Geste.

»Ich habe nur vier, Sam, das weißt du doch. Und alle vier

Räume im Obergeschoß sind von den Girls belegt. Wenn du
bei einer schlafen willst, ist das deine und ihre Sache.«

»Okay, Bucko. Ist Isabell y Gama noch bei dir?«
»Zweites Zimmer rechts. Aber vorsichtig, die beißt.«
High lachte, winkte ab, warf zwei Quarter auf die

Nickelplatte und ging durch die Hintertür zum Korridor und
zur Treppe nach oben. Der Gang war um diese Stunde
unbeleuchtet. Samuel High machte nicht viel Umstände, stieß
die Tür mit einem Ruck auf und trat ins Zimmer.

Es war dunkel, roch nach Parfüm und Puder und sah nicht

sehr geräumig aus. Das Bett seitlich neben dem Fenster stellte
neben einem schmalen Schrank, Tisch und zwei Stühlen, fast
das ganze Mobiliar dar. Es gab noch einen Waschständer aus
emailliertem Eisen und eine Wäschekommode.

Sam tastete sich zur Lampe auf dem Tisch. Ein metallisches

Klicken ließ seinen Fuß stocken.

»Wer bist du, Bastard, und was willst du?«
»Schlafen, nichts als schlafen. Amüsieren können wir uns

während der nächsten Nacht.«

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»Samuel High! Großer Gott, du bist wieder im Lande? Laß

das Licht aus, ich habe nichts an.«

High lachte. »Das hast du doch nie im Geschäft. Außerdem:

so sehe ich die Mädchen am liebsten. Nackt, wie Gott sie
erschaffen hat, ein Tablett mit Whisky in den Händen und
einem freundlichen Lächeln unter der Puderschicht.«

»Sam, du bist ein Zyniker. Pfui, wie du stinkst. Wie ein alter

Ziegenbock in der Brunft. Du kannst dort auf dem Teppich
schlafen, wenn's dir nichts ausmacht. Ins Bett kommst du erst
nach einem ausgiebigen Vollbad. Gute Nacht, ich bin
todmüde.«

High lachte, legte seinen Revolvergurt ab und die Kleidung.

In seiner roten Unterwäsche legte er sich auf den
Navahoteppich und schlief sofort ein.

*

Die helle Sonne des Vormittags weckte ihn, und der Lärm, der
von der Straße und aus dem Saloon drang. Isabell schlief noch.
High stand auf, kleidete sich an und verließ das Zimmer. Der
Schankraum war halb gefüllt mit Durstigen.

An einem Tisch saßen sechs Dragoner, die sich die Bäuche

mit Bier füllten. Junge Kerle noch, denen die Uniform
ausgezeichnet stand. Einer davon, ein Corporal, führte das
große Wort.

High stellte sich an den Tresen und bestellte bei Lester ein

ausgiebiges Frühstück. Bone deutete auf einen freien Tisch und
brummelte durch seine Zahnlücke:

»Kommt gleich, Bucko. Setz dich so lange auf deinen

Hintern.«

»Kennt ihr schon den neuesten Gag von Rich Barton, dem

Jüngsten unserer Schwadron?«

»Nein, nichts gehört«, erwiderte ein Dragoner und feixte.

Anscheinend wußte er, was kam, »Erzähle, Cop!«

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Der Corporal setzte sich in Positur und machte es recht

spannend. Er streckte die Brust heraus, die staubigen
Dragonerstiefel weit unter den Tisch.

»Hört zu, Boys, was sich dieser Affensteiß von einem

Helden der U.S. Army einfallen ließ … Geht der Kerl doch
zum Feldscher und meldet sich krank wegen seiner tierischen
Eigenschaften. ›Doc, sagt er, ich muß krank sein. Am Morgen
bin ich müde wie ein Hund, am Mittag gefräßig wie ein Wolf
und am Abend munter wie ein Fisch. Was ist mit mir los?‹«

»Und?« klang es im Chor. »Weiter!«
»Der Doc untersuchte ihn, schüttelt den Kopf und antwortet:

›Das sind nur drei tierische Eigenschaften, die Sie aufzählten,
mein Lieber. Ich erkenne aber fünf‹.«

»Mensch, Cop, mach doch weiter! Spanne uns nicht zu sehr

auf die Folter!«

Unter dem Gelächter der Soldaten fuhr der Corporal fort:
»›Davon weiß ich noch nichts, Doc‹«, sagt dieser dämliche

Holzkopf von einem Pferdeschinder. ›Was ist es denn? Was
Schlimmes?‹«

»Weiter, Mann!«
»Also, der Feldarzt zuckt mit den Achseln und erklärt:

›Morgens müde wie ein Hund, mittags gefräßig wie ein Wolf
und abends munter wie ein Fisch, dazu sind Sie noch dreckig
wie ein Schwein und stinken wie ein Fuchs in der Regenzeit.
Hauen Sie schnell ab, bevor ich Ihnen Beine mache!‹«

Das einsetzende frenetische Gebrüll ließ die Fensterscheiben

zittern und erstickte jeden anderen Laut. Das Gelächter wollte
nicht aufhören und riß selbst die anwesenden Zivilisten mit.
Selbst Sam konnte sich ein schwaches Grinsen nicht
verkneifen.

Sein Essen kam, dazu ein volles Glas Bier. Lester Bone kam

nach einer Weile herangeschlürft und setzte sich ungefragt an
den Tisch.

»Erfolgreich gewesen, Sam?«

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»Mäßig, kaum der Rede wert. Ist in Tombstone nichts zu

machen?«

»Scheint mir im Augenblick nicht ratsam. Die Armee ist

überall. Die ständigen Überfälle auf die Telegrafenlinie wirbeln
viel Staub auf. Laß die Finger von der Bank, das ist der beste
Rat, den ich dir geben kann.«

»Danke, ich werde auf dich hören.«
»Was machst du nach dem Frühstück, Sam?«
»Ein Bad nehmen, mich neu ankleiden und im Anschluß

daran einer Dame namens Isabell y Gama meine Aufwartung
machen. Damit ist der Tag und auch die Nacht ausgefüllt.«

»Okay, wir reden heute abend weiter. Kommst du zu einem

Spielchen herunter?«

»Werd's mir überlegen.« Er stand auf, schob den leeren

Teller zurück und verließ den Saloon.

*

Der Mond stand eine Handbreit über den Höhenrücken und
machte die Nacht zum hellen Tag. Rund und voll blickte er mit
seinem mildesten Lächeln auf den Baum, an dessen Stamm ein
Mann stand und seine Angst laut und gellend herausschrie:

»Mister, Sie sind doch ein Weißer wie ich! Können Sie es

zulassen, daß mich Ihre roten Freunde hier eiskalt
abmurksen?«

John Haggerty gab keine Antwort und beschäftigte sich mit

dem Verzehr eines mächtigen Stück Bratenfleisches, das an
einem Holzspieß über der offenen Flamme gegart worden war.
Er tat so, als ginge ihn das alles nichts an.

Cochise stand auf und gab einen Befehl an die Krieger, der

sie rasch auf die Beine brachte. Sie stellten sich zehn Schritte
vor dem Palo Verde entfernt auf, ihre Messer in den Händen.
Naiche wartete abseits und gesellte sich schließlich zu
Haggerty.

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»Nagelt ihm die Ohren fest!« befahl Cochise mit lauter

Stimme.

Die Krieger warfen ihre Klingen haarscharf neben Gutmans

Kopf in den Stamm. Sofort hatten sie neue Messer zwischen
Daumen und Zeigefinger.

Gutman brüllte, als sei er bereits zu Tode getroffen, dabei

hatten die Wurfmesser seine Haut nicht mal berührt.

»Die Schultern ++ hier und hier!« Cochise deutete die

Stellen mit ausgestreckter Hand an.

Wirbelnder Tanz der Messer im hellen Mondlicht. Sie

nagelten Gutmans Jacke und Hemd über die Schultern in den
Stamm, verletzten ihn aber wieder nicht dabei. Apachen waren
absolute Könner mit der langen Klinge und konnten damit
meisterlich umgehen.

»Aufhören!« heulte Gutman im schrillsten Diskant.

»Aufhören, ich will alles sagen! Nur aufhören mit der
Marterung!«

Bis jetzt war er noch nicht gemartert worden. Für die Krieger

war das nur ein Spiel, das sie so recht erfreute. Cochise deutete
auf eine dritte Stelle und ließ sich durch das Geschrei des
Weißen kaum beeindrucken.

Zwei blitzende, wirbelnde Klingen flogen, von kundiger

Hand geschleudert. Sie gruben sich links und rechts der Hüften
in den Stamm.

»Großer Gott, kannst du dieser Qual kein Ende bereiten?

Aufhören! Aufhören, ich will alles sagen!«

Cochise gab durch ein Kopfnicken ein Zeichen zu den

Kriegern. Er ging zum Baum und zog die Messer aus dem
Stamm.

»Rede!« sagte er scharf. »Redest du aber mit doppelter

Zunge, schneide ich dir bei lebendigem Leib den Skalp vom
Kopf. Los, und zögere keine Sekunde!«

John stand auf und ging mit Naiche zu dem Palo Verde.

Murry Gutman wirkte leichenblaß und verstört. Er zitterte an

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allen Gliedern. Die Augen weit aufgerissen, blickte er
Haggerty angsterfüllt an.

»Sir, ich will alles sagen, wenn Sie mir die Indianer vom

Leib halten!«

»Reden Sie«, antwortete Haggerty. »Schnell und

wahrheitsgemäß. Keine Pause. Kein Atemholen. Kapiert?
Wenn ich den Eindruck habe, daß Sie nicht lügen, will ich ein
gutes Wort bei den Apachen einlegen. Verschweigen Sie uns
aber etwas … Well, Sie hörten, was der Häuptling mit Ihnen
anstellen wird.«

»Ja, natürlich. Fragen Sie, Sir!«
John Haggerty übernahm das Verhör.
»Wie heißt der Anführer der Bande?«
»High, Sir. Samuel High.«
»Wieviel Leute habt ihr?«
»Acht. Manchmal mehr, wenn wir einen Coup vorbereiten.«
»Sehr schön. Ihr habt Cochises Sippe niedergemetzelt.

Warum?«

»Das war Highs Idee. Er vermutete Gold bei den Roten und

Informationen über den Telegrafenbau.«

»Chiricahuas interessieren sich nicht für Gold. Für sie ist das

gelbe Metall wertlos«, sagte John. »Warum gerade
Informationen über den Telegraf?«

»Sir, jeder weiß, daß die Apachen die Streckenabschnitte

überfallen und die Leitung wieder einreißen. Das ist jedem
Kind in Cochises County bekannt.«

»Soso, jedem Kind? Komisch, nur die Apachen wissen nichts

davon. Sagten Sie soeben die Wahrheit, Freundchen?«

»Die reine Wahrheit!« stieß der Bandit lauthals heraus. »Was

bleibt mir denn anderes übrig? Sehen Sie nicht, daß die Kerle
nur darauf warten, mir den Garaus zu machen? Ich sage Ihnen
doch alles, und erinnere Sie an Ihr Versprechen, mich laufen zu
lassen. Das tun Sie doch, nicht wahr?«

»Darüber befindet der Häuptling. Sie sind sein Gefangener.

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Ich sagte, daß ich mich für Sie verwenden will, wenn Sie offen
und ehrlich zu uns sind. Nicht mehr. Bis jetzt sieht es aber
nicht so aus, daß Sie nach ehrlichen Grundsätzen handeln. So
kommen Sie nicht mit Ihren Haaren davon, geschweige mit
Ihrem Leben.«

»Ich sagte doch alles wahrheitsgemäß!« heulte Gutman in die

Nacht. »Was wollen Sie denn noch wissen?«

Haggerty gab Cochise einen Wink. Der Häuptling senkte den

Arm wieder, den er schon erhoben hatte, um das Messerwerfen
fortzusetzen.

»Wir möchten einiges über die Pläne dieses Samuel High

erfahren«, erklärte er dem zitternden Outlaw. »Wir möchten
hören, was er in der nächsten Zeit vorhat, welche Bank er
auszurauben gedenkt und wieviel Schandtaten er noch
bereithält, um das Land zu terrorisieren. Also, mein Bester,
reden oder sterben. Für die Krieger wird es ein besonderes
Vergnügen sein, Sie in Stücke zu schneiden und Ihre Teile den
Bussarden vorzuwerfen.«

»Allmächtiger Gott, rette mich aus den Händen dieser

Wilden!«

Cochise trat wuterfüllt vor und schrie dem Outlaw ins

Gesicht: »Nimm den Namen des gütigen Großen Geistes aus
deinem Mund oder ich zerschmettere dich, Wurm!«

Der Jefe hielt den Arm wie zum Schlag erhoben, aber

Haggerty trat dazwischen und drängte den Häuptling zurück.

»Sie sollten den Chiricahua nicht reizen, Gutman. Ich warne

Sie. Kommen Sie jetzt etwas schneller zur Sache, wenn Ihnen
etwas an Ihrem Leben liegt. Was hat Samuel High in der
nächsten Zeit vor?«

»Eine Pferderanch in den Swisshelm Mountains soll

überfallen werden und die Bank in Pearce, mehr weiß ich nicht.
Glauben Sie mir, Sir, daß Sam den anderen nicht alle
Weisheiten mitteilt, die er mit dem Auftraggeber ausheckt.«

Haggerty wurde hellhörig.

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»Wer ist der Mann, den Sie Auftraggeber nennen?«
»Niemand kennt ihn, nicht einmal High. Sie treffen sich

irgendwo in Tombstone, und der geheimnisvolle Boß erscheint
stets vermummt.«

Haggerty wechselte das Thema. Sein Gefühl sagte ihm, daß

Murry Gutman die Wahrheit erzählte.

»Das sind sicher nicht die ganzen Pläne dieser

Halsabschneider, Gutman. Weiter! Reden, immer reden, keine
Sekunde unterbrechen und die volle Wahrheit. Denken Sie an
Ihren Skalp!«

»Was soll ich denn noch sagen, ich weiß nichts mehr!«
Haggerty hatte plötzlich so eine Ahnung, daß High sich nach

allen Richtungen hin absicherte und weitere Eisen im Feuer
hatte. Mit einer drohenden Gebärde fragte er:

»High arbeitet mit Indianerbanden zusammen. Lügen Sie

mich nicht an, ich weiß es. Die Namen der Führer, los, schnell,
die Namen!«

Gutman erblaßte.
»Sind Sie allwissend, Sir? Ja, es stimmt. High unterhält

Verbindungen zu Geronimo und Victorio. Sie begehen die
Untaten, die Cochise und seinem Stamm angelastet werden.«

»Geronimo und Old Vic sind in der San Carlos-

Reservation«, versuchte John den Desperado zu bluffen.

»Hin und wieder, ja. Aber immer nur dann, wenn es

Proviantzuteilungen gibt, meistens ziehen sie raubend und
plündernd durch das Land.«

»Bis nach Sonora hinein?«
Gutman nickte. »Noch weiter, Sir. In der Sierra Madre

besitzen sie Stützpunkte, die mit Proviant und Munition
angefüllt sind und die niemand kennt.«

»Sie kennen sie?«
Gutman lachte bitter und schüttelte den Kopf.
»Ich sagte, niemand kennt sie oder ihre Lage. Selbst die

Armee und die Federales in Mexiko wissen nichts von ihrer

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Existenz.«

Cochise hatte jedes Wort verstanden. In seinen sonst wie

versteinert wirkenden Gesichtszügen wetterleuchtete es. Eine
lange währende Ahnung wurde ihm bestätigt. Er beschloß,
sofort Ulzana und seine Leute nach Sonora zu schicken, um die
Apacherias der Rebellen auszukundschaften.

»Well, so weit, so gut, Gutman. Eine letzte Frage noch: Wer

zerstört die Telegrafenlinie der Western Union?«

»Wenn ich Ihnen das sage, bin ich dann frei?«
»Das entscheidet Cochise«, antwortete John drängend.

»Mensch, reden Sie! Verärgern Sie den Häuptling nicht, wenn
Ihnen was an Ihrem Leben liegt!«

Gutman verdrehte die Augen wie ein Kalb, das zur

Schlachtbank geführt wird. Mit schwerer Zunge antwortete er:

»Das sind Geronimos Rebellen, Sir. Mehr kann ich nicht

sagen, weil wir von der Bande niemals an solchen
Unternehmungen teilnehmen.«

»Das befiehlt alles High? Oder erhält er die Befehle von dem

unbekannten Boß?«

Gutman nickte und schielte dabei an Haggerty vorbei zu

Cochise, dessen grimmiges Gesicht ihn irritierte. John hatte
keine weiteren Fragen mehr. Er trat zurück und sandte einen
Blick, der mehr sagte als Worte, zu Cochise.

»Läßt du ihn frei, Häuptling? Ich glaube, er sagte alles, was

er weiß.«

»Er bleibt am Marterstamm bis zum Morgengrauen. Dann

mag er laufen, wohin er will. Treffe ich ihn wieder bei einem
Verbrechen, ist es um sein Leben geschehen.«

»Laufen?« heulte Gutman lauthals. »Laufen? Hat der

Indianer laufen gesagt?«

Haggerty antwortete: »Du hast es gehört. Du kamst mit dem

Leben davon, und dafür solltest du dich bei dem Chief
bedanken und…«

»Ich kann doch nicht bis nach Tombstone zu Fuß gehen.

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Wann und wie komme ich da an?«

»Schnee von gestern«, sagte Haggerty kalt. »Danken Sie

Ihrem Schöpfer, der Ihnen Ihren Skalp gelassen hat. Und nun
will ich kein Wort mehr von Ihnen hören, verstanden?«

*

Als High gebadet und in frischer Kleidung in den Saloon
zurückkehrte, empfing ihn wüstes Geschrei und schallendes
Gelächter. Die Jungs in Blau waren beim zehnten Bier
angelangt und bei ebenso vielen Schnäpsen.

Isabell y Gama kam ihm entgegen, das süßeste Lächeln unter

ihrer dicken Puderschicht. Auf den verwelkten Lippen trug sie
Lippenstift, und sie duftete nach Parfüm wie die
Kosmetikabteilung im Drugstore.

»Da bist du ja wieder, Liebster. Gibst du einen für deine

Liebste aus?«

»Heute nacht kannst du bekommen, was du willst, jetzt hau

ab! Im Augenblick hab' ich Besseres zu tun«, erwiderte High
unwirsch.

Ein paar Soldaten begannen ihn in ihre Witzeleien

einzubeziehen. Sam High drehte sich auf den Absätzen herum.

»Hört zu, Jungs! Amüsiert euch und macht eure Spaße, aber

laßt mich in Ruhe. Kapiert?«

»Oho!« knurrte ein irischer Riese mit Schultern so breit wie

ein Kleiderschrank und Augen wie Kieselsteine. »Du fühlst
dich wohl heute morgen außergewöhnlich stark, wie? Mit
einem Bastard von einem Zivilisten werden wir allemal fertig.
Komm her, wenn du was willst!«

Lester Bone witterte Unheil und kam hinter dem Tresen

hervor, ein nasses Wischtuch in den Händen. High ging
sporenklirrend zum Tisch der Dragoner und baute sich vor dem
Riesen auf.

»Na, dann komm!« sagte er kalt.

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55

Bevor sich der Uniformierte erheben und seine

schwankenden Beinsäulen fest mit dem Erdboden verankern
konnte, schlug High zu. Er traf den Mann mit einem Uppercut
voll am Kinn und riß ihn vom Stuhl. Zwei seiner Kameraden
stürzten mit zu Boden.

Die anderen sprangen auf und wollten sich auf den Zivilisten

werfen. Aber High war schneller. Als sie sich vor ihm
aufbauten, starrten sie wie hypnotisiert in die Mündung von
Highs Revolver.

»Noch einen Schritt, ihr Hundesöhne, und ich blase euch die

Gehirne aus euren Holzköpfen! Zurück!«

Schnappend rastete der Hahn ein. Das metallische Geräusch

war deutlich in der plötzlich auftretenden Stille des Black
Devil zu hören. Isabell stieß einen spitzen Schrei aus. Lester
Bone murrte und drohte, das Lokal zu räumen. Von der Erde
rappelten sich die Gestürzten auf und glotzten den Mann mit
dem Revolver tückisch an.

»Wir sehen uns wieder«, drohte der Ire. »Wir zwei sehen uns

bestimmt wieder, verlaß dich drauf, du gottverdammter
Revolverschwinger!«

High drehte sich um, ergriff Bone am Ärmel seines ehemals

weißen Hemdes und zerrte ihn mit zur Bar.

»Laß sie, sie sind nur ausgelassen«, sagte er laut. »Und wenn

ich zu hart war, gebe ich eine Runde für die Gentlemen aus.«

»Eine Runde?« schallte es von hinten.
»Mann, Bucko, du willst eine Runde ausgeben?«
»Warum nicht?« fragte High den Corporal. »Ich sagte doch,

ihr seid nicht bösartig, nur ein bißchen wild. Eine kleine
Meinungsverschiedenscheit muß nicht in einer blutigen
Schlägerei ausarten, oder seid ihr anderer Meinung, Jungs?«

Als sie ihm begeistert zustimmten, bestellte Samuel bei

Lester eine Runde und gab ihm ein Zeichen, auch Isabell nicht
zu vergessen. Die Ruhe war wieder hergestellt. Der Ire saß am
Tisch und hielt sich den Kopf.

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56

Der Nachmittag verging wie im Fluge. Nach der dritten

Lage, die High den Soldaten spendierte, wurden sie ruhiger.
Mancher schwere Kopf lag auf der Tischplatte, und das
Schnarchen der Schnapsmüden ertönte im Chor.

Gegen Abend füllte sich der Saloon mit den Zwielichtigen

aus Tombstone und dem Nahbereich, dazu gehörte auch Highs
Mannschaft. Die Banditen hatten sich wie Pfaue herausgeputzt.

Mit Einbruch der Dunkelheit verschwanden die Dragoner,

dafür kamen immer mehr Hartgesottene und Kaltäugige, die
ihre Revolver bemerkenswert tief an der Hüfte trugen.

High wurde lebhaft begrüßt. Man kannte ihn, und er kannte

die Männer und ihre Qualitäten mit dem Schießeisen. Der
Black Devil füllte sich überraschend schnell.

Lagen wurden lautstark ausgegeben. Schnaps und Bier

flossen in Strömen. High sonnte sich im Glanz des Spendierers
und schaffte sich mit seiner Freizügigkeit weitere Freunde. An
einem Hintertisch wurde ein Spielchen arrangiert. Samuel High
beteiligte sich mit Casy Carradine und Ray Ewing.

Man ging gleich in die Vollen und verschaffte so dem Spiel

einen dreifachen Kreis interessierter Kibitze. Sam High gefiel
das nicht. Er vermied es stets, Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen.

Das Spiel ging bis Mitternacht. Gewinn und Verlust hielten

sich in Grenzen. Carradine wandte sich an High und fragte ihn
nach seinen Plänen für die kommenden Tage.

High antwortete: »Kann ich noch nicht sagen, Casy. Warum

willst du das wissen?«

»Ein paar Jungs und ich wollen uns im Vogelkäfig ein paar

schöne Stunden machen. Steht uns doch zu, oder?«

Carradines Stimme klang kühl und herausfordernd.
»Ich habe euch dieses Lokal aus Sicherheitsgründen

verboten, Casy. Warum forderst du mich stets wieder damit
heraus?«

»Befehlen kannst du, Sam, aber nichts verbieten. Nicht mir.

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57

Ist das endlich in deinen Hirnkasten eingedrungen, oder muß
ich demnächst mal nachhelfen?«

In High kochte der letzte Blutstropfen. Carradine legte es

darauf an, ihn zu brüskieren und herauszufordern. Wie schon
so oft, gab der Bandit nach und mimte den Huld- und
Verständnisvollen. Casy war schnell mit dem Eisen, das wußte
High nur zu gut, und ob er den kaltschnäuzigen Revolvermann
im Ziehen übertrumpfen konnte, war fraglich. Er setzte sein
schönstes Lächeln auf und entgegnete aalglatt:

»Okay, ich sehe ein, daß die Jungs ein wenig Abwechslung

brauchen. Bone hat außer seinem gepantschten Schnaps ja
nichts zu bieten. Wie sieht's aus? Braucht ihr Geld?«

»Hundert reichen für diesen Abend.«
High griff in die Innentasche seines Jacketts, nahm ein

Bündel Geldscheine heraus, zählte zehn Zehner ab und schmiß
sie vor Carradine auf den Tisch. Casy steckte sie gelassen ein.

»Nehmt euch vor Johnny Ringo in acht. Der Mann ist

verdammt schnell und ein richtiger Feuerfresser. Kennst du
Ringo?«

Carradine machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wer ist schon Ringo? Mann, frage ich dich, wer ist schon

John Ringo? Mit dem nehme ich's besoffen auf. Wenn er sich
mausig macht, lege ich ihn um.«

»Laß das«, antwortete High drängend. »Laß es sein, Casy.

Mir liegt daran, so wenig wie möglich aufzufallen. Wenn er
angibt, ignoriere ihn.«

Carradine stand auf, warf einen nachlässig-spöttischen Blick

zu High, winkte zwei Kumpane auf die Füße und verließ
grußlos den Saloon.

Isabell y Gama sah ihre Zeit gekommen und näherte sich

hüftewackelnd dem Spieltisch. Eine Hand legte sie auf die
Schulter des Mannes, ihre Wange an seine.

»Heute nacht ist nichts mehr los, Darling. Lester kann mich

entbehren. Kommst du mit, Süßer?«

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»Mit Vergnügen, Honey! Wir nehmen uns 'ne Pulle mit nach

oben. Gläser brauchen wir sicher nicht.«

Er stand auf, ein wenig schwankend und unsicher, und

bezahlte seine Zeche.

*

Nach einer unbequemen Nacht erwachte Gutman und befreite
sich von seinen gelockerten Fesseln. Von den Apachen war
weit und breit nichts zu sehen.

Zwanzig Meilen weiter im Westen glühten zwei erlöschende

Feuer wie Katzenaugen in einer breiten Schlucht ohne
Vegetation. Wasser gab es nicht, dafür Apachen. Jede Menge
Apachen. Sie kauerten bei den Feuern, eingehüllt in Decken.

Träge zog der Holzrauch wie ein dünner grauer Faden durch

das Tal und drang in die hügelige Ebene, aus der sich ein
Reitertrupp näherte.

Unvermittelt hielt Cochise sein Pferd an und schnüffelte in

den Wind.

»Rauch«, sagte er mit sonorer Stimme. »Er kommt aus dem

Canyon. Viel Rauch. Böser Rauch.«

Warum Cochise den Rauch als böse bezeichnete, verstand

Haggerty nicht. Er ließ es gelten, weil Cochise bei solchen
Ankündigungen stets recht behielt. Der Jefe wechselte mit
Naiche, seinem Sohn, einen sprechenden Blick. Nur Indianer
hatten die besondere Gabe, sich ohne großen Wortaufwand zu
unterhalten.

Naiche hob die Hand, gab seinem Pinto die Absätze zu

fühlen und verschwand im erblassenden Mondlicht. Die beiden
Krieger blieben zurück und sondierten mit ihren Ohren und
Augen die Nacht. Nichts regte sich. So kurz vor Tagesanbruch
hatte das Jagen und Töten in der Wildnis aufgehört. Die
Beutejäger waren satt, die Nager, die den Klauen und Zähnen
ihrer Jäger entgangen waren, müde.

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Naiche kam bereits nach einer halben Stunde zurück. Sein

Gesicht wirkte ernst und verschlossen. Wer in diesem
Augenblick sein Profil sah, stellte die große Ähnlichkeit des
jungen Kriegers mit dem Häuptling der Apachen fest.

Naiche redete mit Cochise. Die Krieger und John Haggerty

hörten zu und äußerten sich in keiner Weise. Das hier war
Chiricahualand, Cochises ureigenster Besitz, sein Reich. Hier
bestimmte der Häuptling aller Apachenstämme, sonst niemand.

Trotzdem kam John ein kaltes Grausen, als die Namen

Geronimo und Victorio fielen. Naiche drehte sich auf seiner
Satteldecke herum und deutete in den Canyon. Er hob beide
Hände zweimal und sagte:

»Zwanzig Krieger, Cochise. Sie sind auf einem Beutezug.«
»Böses Feuer«, sagte Cochise und wiegte den Kopf.

»Geronimo und Victorio, kein gutes Gespann. Es wird Blut
fließen im Land der Chiricahuas, und für die Schuld, die
erwächst, wird mein Volk wieder herhalten.«

Naiche riß sein Kriegsbeil aus dem Gürtel, schwang es über

dem Kopf und schrie zündend:

»Greifen wir sie an, Cochise. Der Mimbrenjo muß für seine

Frevel bestraft werden!«

»Goghlayeh«, sagte Cochise leise, aber drohend. Mit harter

Stimme fuhr er fort: »Wir greifen nicht an und warten bis zum
Morgen. Ich fordere Rechenschaft von Geronimo und seinem
neuen Bundesgenossen Victorio.«

Er deutete zu einer flachen Mulde in der Wüstenlandschaft

und sagte:

»Ein geeigneter Lagerplatz und gut beschützt gegen die

kalten Winde vor Sonnenaufgang. Laßt uns hinreiten.«

Im Osten graute erstes Frühlicht, als sie mit ihren Pferden in

die Mulde ritten und sie anpflockten. Cochise und die anderen
Apachen setzten sich ins dürre Gras und warteten stoisch auf
das Aufgehen des Tagesgestirns. Kein Wort wurde gesprochen,
kein Gestenzeichen fiel.

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60

John sattelte seinen Dunkelbraunen ab und legte sich mit

unter den Kopf geschobenen Armen auf seine Deckenrolle.
Müde sah er das Verblassen der Sterne und den heller
werdenden Himmel im Osten.

Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um Dinge, die ihm

von der Armee aufgetragen worden waren, um sie zu klären
und zu bereinigen. Kein leichter Job in diesem Land, das aus
Wildnis bestand und immer mehr in Armut und Chaos verfiel.
Das Banditenunwesen nahm von Tag zu Tag mehr zu und
Ausmaße an, denen Recht und Gesetz nur noch mühsam Herr
werden konnte.

Endlich wurde es hell. Bekassinen und Haubenlerchen

überflogen mit jubelnden Klängen das Ödland und strichen ab,
als sie die Menschen in der Mulde gewahrten.

Kaum hatte sich die Sonne über den Horizont erhoben,

wurde es heiß. Wie glühende Pfeile schossen die Strahlen des
Muttergestirns über das Land und trieben jedes Leben in den
Schatten.

Cochise stand auf und verließ die Mulde. Haggerty sah ihn

oben auf dem Rand stehen und nach Westen blicken. Kurz
darauf wandte sich der Häuptling um. Er breitete die Arme der
Sonne entgegen und stand so viele Minuten regungslos. Betete
er?

Als Cochise zurückkehrte, wirkte sein kupferfarbenes

Gesicht ernst und reglos, starrer als sonst. Was ging in dem
Häuptling der Chiricahuas vor?

Vor John blieb er stehen und schaute ihn nachdenklich an.
»Der Falke ist mutig wie ein Puma und schnell und stark wie

der Adler, und er ist ehrlich und dem roten Mann
wohlgesonnen. Cochise will ihn fragen, wie er über den
›Singenden Draht‹ denkt, der die Weißen im Norden mit denen
im Süden verbindet?«

Haggerty war überrascht, daß der Häuptling gerade an

diesem Morgen auf den Telegraf zu sprechen kam und machte

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61

sich seine Gedanken über Cochises Verhalten. Ausweichend
sagte er zunächst:

»Der Telegraf ist für unser Land lebensnotwendig, Jefe.«
Sofort bereute er seine Worte. Nach der Gewohnheit aller

Weißen in den Staaten hatte er die Worte »unser Land«
gebraucht und nicht Chiricahualand gesagt. Das Echo kam
prompt:

»Unser Land? Wessen Land, Falke?«
Ein wenig widerstrebend bequemte sich Haggerty zu einer

Antwort, die ihm nicht flüssig von der Zunge ging und Cochise
wenig befriedigte. Er erkannte es am Zittern der Nasenflügel
und an der jähen Versteinerung der Gesichtszüge.

»Das Land der Indianer im Südwesten, meine ich.«
Übergangslos brach der Häuptling das Thema ab. Er richtete

sich auf und streckte seine Hand befehlend gegen die
Lagerstelle seiner Krieger aus.

»Wir reiten weiter!« befahl er.
Eine halbe Stunde später gelangten sie an die Mündung des

Canyons und spürten die glutheißen Winde, die seine Wände
abstrahlten. Bevor der Reitertrupp in die Schlucht eindringen
konnte, wurde er aufgehalten.

Zwei Krieger auf zottigen Ponys erschienen und blockierten

den Weg. Sie hielten Gewehre in den Armbeugen und
musterten jeden einzelnen Indianer um Cochise. Wenn sie auch
genau wußten, wer vor ihnen auf dem Pferd hielt, ließen sie
jedoch nicht erkennen, daß sie den Häuptling aller Apachen
respektierten.

Das bedeutete nichts Gutes, und Cochise wußte es.
»Gebt den Weg frei!« befahl er.
Die Apachen reagierten nicht und blieben stoisch auf ihren

Ponys sitzen.

»Ich bin Cochise, der Häuptling aller Stämme, haltet mich

nicht auf!«

Staub und Hufgetrappel drangen aus dem Canyon. Eine

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62

große Kriegerschar kam um die Biegung und hielt hinter den
beiden Wachtposten. Cochise erkannte Geronimo und Victorio.
Geronimo schien das Wort zu führen. Seine stechenden Augen
saugten sich an Cochise fest und musterten den Jefe.

»Du kannst dir keinen Durchgang erzwingen, ich habe mehr

Krieger als du!« schrie er über, die Distanz hinweg. »Hier
stehen zwanzig Mimbrenjos, Cochise, und diese zwanzig
Krieger sind die besten ihres Stammes!«

»Nur Mimbrenjos«, Cochise winkte ab. »Hier steht Cochise,

ein Chiricahua, der es mit deinen Mimbrenjos aufnimmt!«

Ein dumpfes Murren ging durch die Reihen der Krieger. John

Haggerty stand fast das Herz still. Wollte es der Chief mit dem
halben Stamm der Mimbrenjos aufnehmen? Geronimo nahm
die Herausforderung nicht an. Das bewies John, daß der Rebell
anderes im Auge hatte als einen Stammeskrieg zu entfesseln.

Ein junger, hünenhafter und bärenstarker Krieger drängte

sein Pony vor die Front. Sein grimmiges Gesicht richtete sich
abfällig auf Cochise. Mit beiden Fäusten trommelte er auf
seiner nackten Brust, und er schrie:

»Ich bin ein Aravaipa, Cochise, willst du mit mir kämpfen?«
»Du bist ein Hund von einem Pima. Wie kannst du es wagen,

einen Chiricahua herauszufordern? Kehre in deinen Erdbau
zurück und höre auf zu kläffen, wenn Chiricahua-Krieger
reden!«

Das war nicht nur eine grobe Beleidigung, sondern auch eine

herausfordernde Mißachtung, die ein Indianer jener Zeit nicht
ohne Gesichtsverlust hinnehmen konnte.

»Ich bin Saguaro, ein Aravaipa, und ich fordere die brüllende

Kröte von einem Chiricahua zum Zweikampf heraus! Leben
oder Tod! Du kannst wählen, Tizwintrinker, du kannst auch
deinen Schwanz einziehen und jaulend davonziehen. Hier steht
Saguaro, der beste Messerkämpfer der Aravaipas!«

»Dort steht Saguaro, der größte Maulheld der Aravaipas«,

höhnte Cochise abfällig. »Komm und stell dich, damit ich dir

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dein großes Maul stopfe!«

Geronimo drängte sein Pferd zwischen Cochise und den

Aravaipa. Ihm war an einem Zweikampf nicht gelegen.
Cochise jedoch war schneller, sprang von seinem Reittier und
drängte Geronimos Pferd mit seiner Schulter zurück. Seine
Augen flammten, als er die Hand gegen Geronimo ausstreckte
und kalt befahl:

»Du hältst dich heraus, Nedni-Rebell! Hier befehle ich!«
Geronimo wich tatsächlich zurück. Seine Augen funkelten

tückisch auf Cochise, und sein breiter, grausamer Mund warf
sich auf wie bei einem fletschenden Wolf.

»Er wird dich mit seinem Messer aufschlitzen wie einen

Kadaver, er wird dich in Stücke schneiden und deine
Eingeweide den Bussarden und Coyoten vorwerfen und deine
Ohren an einen Baum nageln.«

Cochise warf sich zu ihm herum. Seine Hand schnellte vor

und streckte sich anklagend gegen Geronimo vor.

»Zurück, Ratte! Wenn ich Saguaro besiegt habe, bist du an

der Reihe! Weiche zurück, schielender Bastard von einem
Hundefresser!«

In Geronimo kochte der Grimm. Seine Hand zuckte zum

Kriegsbeil, aber er zog es nicht, weil er sich vor den
flammenden Augen des Chiricahua fürchtete.

Die Krieger hinter ihm verhielten sich ruhig. Ihnen ging der

Streit der Häuptlinge nichts an. Victorio fühlte sich durch die
kalte Gelassenheit Cochises mehr zu ihm hingezogen als zu
Geronimo. Aber er hielt sich aus dem Spiel und mimte den
Unbeteiligten. Cochise hatte ihn schon einmal besiegt, oben am
Apachen Paß. Und Victorio hatte diese Niederlage bis heute
nicht vergessen.

Saguaro sprang wutentbrannt aus dem Sattel und riß sein

Messer aus der Scheide.

»Dich schlage ich mit einem Knüppel tot, dazu braucht ein

Aravaipa kein Messer!«

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64

»Geifernder Coyote, komm her, daß ich dich züchtige!«
Die Apachen stiegen von den Ponys und bildeten einen Ring.
John Haggerty blieb auf seinem Dunkelbraunen, den Henry-

Stutzen in der Armbeuge, und seine Augen glitten wachsam
über den Kreis der mit gespannter Erwartung erfüllten
Indianer.

Apachenduell!
Ein Duell zwischen Giganten mit Messern und unter

Ausnutzung ihrer physischen Kräfte … das war etwas für die
Rothäute, worüber sie noch in Jahren in ihren Wicki-ups und
an den nächtlichen Lagerfeuern erzählen würden.

Wer würde den Zweikampf gewinnen? Stand der Sieger

bereits von vornherein fest oder mußte der Kampf bis zum
bitteren Ende eines der beiden Kämpfer ausgetragen werden?

Stolz und Haß, Neid und Mißgunst prallten hier aufeinander

und suchten nach einem Ventil, das seine Öffnung nach der
Häuptlingswürde ausrichtete. Legende wurde Wirklichkeit,
eine Legende, die von der Wildnis bestimmt wurde und
animalische Instinkte in den Menschen jener Region weckte.

Die beiden Duellanten gingen aufeinander zu. Beide,

hochgewachsen und breitschultrig, hatten ihre Kalikohemden
ausgezogen und zeigten ihre nackten Oberkörper.

Haggerty musterte den fremden Indianer, der Cochise

herausgefordert hatte. Saguaro war stämmig und sehnig wie ein
Bison. Aber Cochise verriet mehr Geschmeidigkeit und
Wendigkeit. Unzweifelhaft verfügte er auch über eine größere
Körperstärke, die von seinen muskulösen Armen und von der
gewaltigen Brust ausging.

Ihre Wüstenmokassins reichten ihnen bis zu den Knien und

wurden von Lederriemen gehalten. Katzengewandt umkreisten
sie sich mit stoßbereiten Klingen.

Der erste Ausfall kam von Saguaro. Cochise parierte mit der

Messerhand und stieß dem jungen Krieger die freie Hand ins
Gesicht. Eine Regel gab es nicht. Jeder kämpfte so, wie es ihm

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sein Instinkt eingab.

Aber beide waren sie Taktiker und geübte Kämpfer. Der

Kampf wogte hin und her, vor und zurück. Keiner der Kämpfer
erlangte einen Vorteil oder konnte den anderen in die Enge
treiben.

John Haggerty beobachtete die beiden Indianer. Nach zehn

Minuten ließ die Energie Saguaros nach, während Cochise
noch so frisch wie zur ersten Minute wirkte. Auf der
dunkelbraunen Haut des Aravaipa erschienen Schweißtropfen.
Seine Muskeln bewegten sich langsamer und wirkten
verkrampft.

Cochise legte es scheinbar darauf an, den Gegner zu

zermürben, ohne sich selbst der Gefahr einer Verwundung
auszusetzen. Wieder drang Saguaro wütend auf den Häuptling
ein. Cochise machte eine halbe Drehung, ließ den Aravaipa ins
Leere rennen und stellte ihm ein Bein.

Mit einem brüllenden Wutschrei stürzte der Indianer, warf

sich noch im Fallen katzengewandt herum und hob sein Messer
zum Stoß. Cochise sprang ihm nach, trat ihm die Klinge aus
der Hand und warf sich auf ihn.

Der Ringkampf entfaltete sich am Boden mit äußerster

Wildheit. Die Zuschauer erkannten die Überlegenheit des
Häuptlings von Sekunde zu Sekunde besser. Einmal war der
Jefe oben, ein anderes Mal Saguaro.

Das Ende des Kampfes war nahe. Man sah es an den

verzerrten Gesichtszügen des Aravaipa und an Cochises
grimmigem Ausdruck. Der Chief legte seinen Arm um
Saguaros Hals und riß ihn neben sich zu Boden. Sein Kopf
schleifte im Staub und wurde von dem Chiricahua kräftig
geschüttelt.

Cochise warf sein rechtes Bein in die Höhe und schwang sich

aus dem Sattel. Hell glitzerte sein Messer über Saguaros Kopf.
Der Aravaipa erschlaffte.

Stieß Cochise zu oder würde er zögern?

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Nach dem Gesetz der Apachen hatte der Herausforderer sein

Leben verwirkt und mußte sterben. John Haggerty kannte
Cochise zu gut und ahnte, daß er das Leben des Besiegten
schonen würde. Dem Jefe lag nichts an Blutvergießen und
Töten. Ihm kam es darauf an, die Stämme der Apachen zu
einen, zu stärken im Kampf gegen ihre Feinde aus dem Norden
und Süden und sich selbst als Häuptling aller Stämme zu
manifestieren.

»Bist du besiegt?« hallte seine Stimme über den Kampfplatz.
Saguaro antwortete mit geschlossenen Augen:
»Ich bin es. Stoß zu!«
Alle hatten es gehört. Darauf kam es Cochise an. Er erhob

sich von dem liegenden Körper des Besiegten, steckte sein
Messer in die Scheide und schritt würdevoll zu seinem Pferd.
Gemächlich und majestätisch schwang er sich auf den Rücken
des Ponys und lenkte es zu Geronimo.

»Goghlayeh, du hast es gehört und gesehen! Ich besiegte

diesen Aravaipa. Ich besiege auch dich, wenn ich dazu
gezwungen werde. Fordere mich niemals heraus, denn dein
Leben werde ich nicht schonen!«

Langsam und mit drohender Gebärde zerrte er sein Pferd

herum und ritt durch den Kreis der Apachen zu Victorio auf die
andere Seite.

Vor Old Vic zügelte er den Pinto. Er tat nichts, sagte nichts,

starrte den wilden Mimbrenjo nur an. Nicht haßerfüllt und
demütigend, sondern schweigend und mahnend.

Victorios Hand glitt zum Messer. In Cochises Gesicht

wetterleuchtete es, aber er sagte kein Wort und bezwang den
stolzen Krieger mit seinem Blick.

Victorio senkte die Augen und nahm die Hand vom

Skalpmesser. Cochise entspannte sich, und der Triumph, Herr
über die wilde Horde geworden zu sein, spiegelte sich in
seinem stolzen Antlitz.

Als er sein Pferd herumzog, nickte er John und Naiche zu.

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Gemeinsam ritten sie nach Westen, Steigbügel an Steigbügel.

*

Tombstone am Spätnachmittag. Das Bird Cage Theatre flutete
über. In Dreierreihe umstanden die Besucher Spieltische und
Theke. Nicht nur Bier und Whisky flossen. Gott bewahre! In
den Zimmern knallten die Champagnerpfropfen um die Wette,
füllte französischer Wein geschliffene Gläser.

Dazu unterhielten Artisten und Tänzerinnen die pokermüden

Gäste, und Heerscharen leichtbekleideter Mädchen sorgten für
Stimmung und Umsatz.

An einem Ecktisch kam ein Spiel ohne Limit zusammen.

Kibitze drängten und schoben mit den Ellbogen, um einen
Blick auf die Karten zu erhaschen. Casy Carradine eröffnete
mit fünfzig Dollar und forderte zwei Karten.

Ray Ewing und Elias beteiligten sich nicht an dem Spiel, sie

standen wie leblos im Kreis der Zuschauer und ließen ihre
kalten Augen wachsam umhergleiten. In dieser Domäne der
Männer waren Tumult und rauhe Artikulation von heiseren
Stimmen an der Tagesordnung.

Symptomatisch dazu auch die anderen Nebengeräusche wie

das Klappern der Chips, das Rollen der Roulettekugel, die
knisternde Spannung und das verführerische Flüstern der
Animiermädchen. Niemand dämpfte seine Stimme. Wozu
auch? Man war in einem freien Land, im Land der
unbegrenzten Möglichkeiten.

»Ich eröffne mit hundert«, ertönte die monotone Stimme des

Bankhalters. »Karten, Gentlemen?«

Man spielte Vierhandpoker, alle gegen die Bank, und doch

jeder für sich allein. Die kleine Musikkapelle neben dem
Podium intonierte einen Cancan. Seide und Rüschen rauschten
und knisterten, und die Damenbeine schlugen und trommelten
auf dem holprigen Bretterboden einen unreinen Takt.

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68

Die Truppe trat ab, der Cancan verklang und wurde von

frenetischem Beifall und langgezogenen Pfiffen begleitet. Casy
Carradine konzentrierte sich auf sein Blatt. Nach kurzer
Überlegung nickte er.

»Ich gehe mit und erweitere um einen Greenback.«
Er spielte seit dem frühen Nachmittag und hatte bereits eine

beträchtliche Summe gewonnen, die ihm ein weiteres Risiko
erlaubte. Carradine gewann immer. Nicht, daß er dem Glück
nachgeholfen und die Karten manipuliert hätte. Nein, daran
dachte der stolze und von sich eingenommene Revolvermann
nicht. Seine eiskalte Ruhe und sein präzise funktionierendes
Gehirn gepaart mit fundierten Kenntnissen über
Kartenkonstellationen machte es ihm möglich.

Er gewann immer wieder und strich das Geld gelassen ein,

als seien es nicht dreihundert runde Dollar, sondern nur
Knöpfe. Im Aufblicken gewahrte er ein Paar frostblaue Augen,
die ihn glitzernd musterten. Der Mann lehnte wie gelangweilt
an einer Säule und starrte zu ihm herüber.

Carradine schätzte den Fremden ab. Tiefhängender Revolver,

landesübliche Kleidung, Stiefel und alles, was zu einem
Revolverschützen gehörte, der etwas auf sich und seinen
Nimbus hielt. Eine, erloschene Zigarette klebte im rechten
Mundwinkel des Burschen, der ihn unverwandt anstarrte.

»Ladys und Gentlemen!« tönte es laut und ein wenig

kreischend von der Bühne. »Ladies and Gentlemen! Sie sehen
vor sich Mike Allan Brescott aus Kansas City, den einzigen
Mann, dem es gelingt, eine abgefeuerte Kugel mit den Zähnen
aufzufangen!«

»Hohoho!« brüllte es im Chor.
»Jawohl, der einzige Mann auf der Welt, dem das Kunststück

gelingt!« Brescott holte Atem und füllte seine Lungen mit Luft.
Im schrillsten Diskant fuhr er fort:

»Ich spreche die Mutigen unter Ihnen an, Gentlemen! Wer

will es gleich mir versuchen, wer ist so kühn und wer will

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einhundert Dollar für das Wagnis verdienen?«

Stille. Niemand meldete sich. Keiner der Anwesenden hob

die Hand oder trat vor.

»Nun, meine Herren, ist niemand da, der hundert Dollar

verdienen will?«

Eine Stimme brüllte: »Vorzeigen, Bleifresser!«
Mike Allan Brescott hielt einen Schein hoch und wedelte

damit.

»Niemand will sich das Geld verdienen«, sagte er zu seinem

Gehilfen, der einen Revolver vom Tisch nahm und die
Trommel rotieren ließ.

»Schreiten wir zur Tat.«
Casy Carradine hätte gern das Spiel fortgesetzt, aber seine

Mitspieler hingen mit den Augen an der Bühne und waren ganz
gespannter Erwartung. Aus den Augenwinkeln heraus
beobachtete er den Fremden, der wie eine Statue am
Säulenschaft lehnte. Der Mann ließ ihn nicht aus den Augen.

Casy drehte den Kopf. »Ray, geh mal rüber und frag' den

Kerl, was er will und wer er ist?«

»Soll ich ihm gleich mal auf die Zehen treten?«
»Nein. Wenn er Hopp sagt, nehme ich mir den Pilger vor.

Hau ab!«

Ewing setzte sich in Bewegung, während auf der Bühne der

Hokuspokus unter den neugierigen Blicken der Gäste
weiterlief.

Ray tippte dem Mann auf die Schulter. Wenn er geglaubt

hatte, daß der so unsanft Angerempelte nun herumfahren und
protestieren würde, so sah er sich getäuscht.

»Was willst du?« kam es kalt und gelassen.
»Mit dir reden.«
»Bin ganz Aufmerksamkeit. Quatsch dich aus und verdufte

wieder, und etwas plötzlich, wenn's beliebt.«

»Es beliebt nicht. Weshalb glotzt du ständig Carradine an?«
»So, glotze ich? Carradine heißt der Hombre? Meinetwegen.

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Hau ab!«

Ray Ewing gingen die Gäule durch. Er gab dem anderen

einen kräftigen Stoß gegen die Schulter und ++ starrte in eine
kreisrunde Coltmündung.

»Lebensmüde, was?«
»Wer bist du? Glaub' ja nicht, daß ich Angst vor deinem

Schießeisen habe. Also, wer bist du und weshalb provozierst
du meinen Freund?«

»Tue ich das?« Der Revolver verschwand so schnell wie er

hochgezaubert worden war.

»Weiche nicht aus, du lahmer Pilger.«
Der Fremde stieß sich mit der Schulter von der Säule ab,

wirbelte herum und hieb Ray die Faust genau auf den Punkt.
Der Bandit wurde halb um seine Achse gerissen und stürzte
schwer zwischen die Tische. Halb benommen von dem Schlag
richtete er sich halb in die Höhe und sackte mit glasigen Augen
erneut zusammen.

Carradine hatte jede Phase der Auseinandersetzung verfolgt.

Seine Brauen schoben sich zu einem Strich zusammen, und
seine hellen Augen funkelten ebenso grausam wie tückisch.
Mit einer sanften Bewegung legte er den Kartenfächer auf den
Tisch und stand auf.

Wie schon gesagt, Carradine wirkte eher schmächtig als

kräftig. Aber von seiner Körperhaltung und seinem Gangwerk
ging eine solche Geschmeidigkeit und Straffheit aus, daß der
Fremde einen zweiten Blick an ihn verschwendete.

Drei Schritte vor dem Mann blieb Carradine stehen. Der

Fremde überragte ihn um einen ganzen Kopf und grinste ihn
hohnlächelnd an.

»Sag, wie wirst du dich fühlen, wenn ich dir ein paar Zähne

in deinen ungewaschenen Schlund hämmere, Bucko?«

»Wahrscheinlich wird mich das ärgerlich machen, so

ärgerlich, daß ich deinen mageren Wanst mit Blei fülle.
Versuch's mal!«

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Carradine zog die Oberlippe hoch. Sein Gesicht bekam etwas

Wölfisches, Gemeines.

»Wer bist du? Ich möchte wissen, wen ich gleich zu

Hackfleisch verarbeite.«

»Ich bin Johnny Ringo, Zwerg. Verzupf dich! Los,

verdufte!«

Carradines Hand glitt zum Halfter. Das Aufbrüllen eines

Schusses ließ ihn auf halbem Weg innehalten. Ringo hatte
nicht geschossen. Von dort kam kein Rauchwölkchen und kein
heißes Blei.

Beide Männer schickten verblüffte Blicke zur Bühne, wo

sich Pulverrauch zur Decke kräuselte. In diesem Augenblick
spuckte Mr. Mike Allen Brescott aus Kansas City unter
brüllendem Beifall der Zuschauer die erste aufgefangene Kugel
auf den Bretterboden.

Sein machiavellistisches Gelächter gackerte wie ein ganzer

Hühnerhof durch den Saal.

»Gentlemen, macht es mir jemand nach?«
»Donnerwetter!« sagte Ringo anerkennend. »Das kann er

wirklich!«

»Bluff«, grunzte Carradine wegwerfend,

»Taschenspielertricks.«

»Sein Gehilfe schoß doch aus 'nem Colt?«
»Platzpatronen. Die Kugel, die er ausspuckte, hielt er

zwischen den Zähnen. Kunststück!«

»Trotzdem …«
Ein paar Oldtimer, voll wie Haubitzen und wilder als

Katzenflieger, rankten sich in die Höhe und wedelten begeistert
mit den Händen. Einer aus ihrem Kreis, ein bärtiger Geselle
mit hervorquellenden Augen und schadhaftem Pferdegebiß riß
einen uralten Perkussionsrevolver aus dem Gürtel, nahm Maß
und legte auf den Bleifänger an.

»Ho, Kansas City, fängst du auch die?«
Sein Nachbar schlug ihm den Lauf herunter. Brüllend fuhr

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der Schuß in den Boden.

»Hohlkopf! Willst du den Spaßmacher umbringen?«
»Wer ist hier ein Hohlkopf? Ich zahle ihm zweihundert

Dollar, wenn er in meine Kugel beißt.«

»Und anschließend hängen sie dich wegen Mordes. Setz dich

hin, du Pavian mit einem Flohgehirn.«

Die Digger beruhigten sich, nahmen ihre Plätze ein und

vergaßen den Zwischenfall. Das Programm wechselte und
nahm an Farbe und Beweglichkeit zu. Langsam, als müßte er
seine Bewegungen sehr knapp bemessen, drehte sich Ringo zu
Carradine herum. Die Kippe wanderte vom rechten in den
linken Mundwinkel, und während er sprach, kniff er ein Auge
zu:

»Okay, Hombre, entscheide dich. Einen Whisky oder 'ne

Schießerei?«

»Mir gleich. Wenn es dich danach gelüstet, Blei

aufzufangen, dann greif zum Eisen!«

Johnny Ringo spuckte den Zigarettenstummel zu Boden und

grinste.

»So toll wird's wohl nicht sein, oder? Ein Dreck und ein

hübsches Mädchen wären mir allerdings lieber als
Pulverdampf. Wie wär's?«

»Okay, läßt sich hören. Komm mit, ich gebe einen aus.«
Seite an Seite schlenderten sie zur Bar. Zwei gleiche Typen,

zäh, kalt und absolut tödlich mit dem Revolver.

*

»Wir werden verfolgt.«

Cochise sagte es ruhig und so belanglos, als rede er über das

Wetter. John Haggerty, der Steigbügel an Steigbügel mit ihm
ritt, war von der Ankündigung so überrascht, daß er rasch den
Kopf wandte und das hügelige Land in seinem Rücken
musterte.

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Er fragte: »Wer?«
Cochise, kein Freund von langen Reden, schüttelte

verweisend den Kopf. Hinter ihnen ritten Naiche und die
beiden Krieger. Ihre Gesichter waren verschlossen und wirkten
wie zugeknöpft in Gegenwart des legendären Häuptlings.

»Lagern«, sagte der Chief und deutete auf eine dichte

Buschinsel.

Der Weiße an seiner Seite begriff und wunderte sich stets

wieder über den vorausschauenden Weitblick des Apachen. Er
nickte und lenkte sein Pferd zu dem Dornengestrüpp hinüber.
Was seinen Augen entgangen war, Cochise hatte den Durchlaß
im Dickicht mit Adlerblick erkannt.

Auf der Lichtung stiegen sie von den Pferden und spannten

einen Lasso-Corral. Naiche entzündete ein Feuer und packte
Proviant aus einer Wildledertasche.

Inzwischen versank die Sonne blutrot hinter dem Papago

Indian Stripe und ließ ein Meer von purpurnem Dunst und die
Ahnung einer sternklaren, kalten Nacht zurück.

John und Cochise saßen beim Feuer und unterhielten sich

leise. Trotz der Unterhaltung waren ihre Sinne aufs Äußerste
angespannt.

»Hast du sie gesehen, Jefe?«
»Einer«, antwortete Cochise. »Cochise schmeckt den Staub.«
John schwieg. Was hätte er auch sagen sollen? Die

Urinstinkte der Indianer waren denen der weißen Rasse weit
überlegen, wie der Apachen-Chief immer wieder unter Beweis
stellte.

Erste Schatten krochen durch die Büsche, eine gute

Gelegenheit für einen Späher, sich an das Lager zu schleichen.
Bevor es ganz dunkel wurde, nahmen sie ihre Abendmahlzeit
ein. Nach dem Essen entfernten sich die beiden Krieger auf
Holzsuche.

Cochise senkte den Kopf bis fast auf die Brust. Leise sagte

er:

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»Ich gehe, Falke. Verhalte dich ruhig!«
John nahm einen Zweig und stocherte im Feuer. Ebenso leise

antwortete er:

»Laß es mich tun, Cochise. Es ist unauffälliger, falls noch ein

paar andere Späher in der Nähe sind.«

Ohne eine Antwort abzuwarten stand Haggerty auf. Er tat so,

als müsse er abseits gehen und entfernte sich zur Lücke im
Dickicht hin. Als er sie erreichte, zuckten die letzten
Lichtbündel über das Land und hinterließen Dunkelheit.

John Haggerty hatte keine Ahnung, wo er den Späher finden

würde. Auf jeden Fall mußte er sich zunächst einmal
unsichtbar machen und durch die zähen Ranken
hindurchkriechen. Wenn es zu einem Kampf zwischen ihm und
der feindlichen Rothaut kam, war er im Unterholz gegenüber
dem gewandten Indianer im Nachteil. Dieses Risiko mußte er
aber eingehen, weil es keine andere Möglichkeit gab, sich des
Spähers zu bemächtigen.

John kroch auf Händen und Füßen, weiter. Staub stieg ihm in

die Nase und reizte seine Schleimhäute. Hier unter den Ranken
war es so dunkel, daß er die Hand nicht vor Augen sah. Und es
war still.

Johns Hand tastete sich vor. Wenn sie auf kein Hindernis

stieß, glitt sie weiter und zog den Körper nach. Meter um
Meter schaffte der schweißtriefende Mann und näherte sich
dem inneren Dickichtgürtel. Durch die dünnen Stämme der
meterhohen Speerdornpflanzen sah er das Feuer flackern.

Absolute Lautlosigkeit herrschte dort. Als er einmal in seinen

Bewegungen innehielt und Atem schöpfte, sah er Cochise
unbeweglich wie eine Statue bei den Flammen sitzen. Der
Häuptling hielt den Kopf gesenkt, als seien seine Gedanken
weit entrückt.

Weiter!
Ein knisterndes Geräusch ließ Haggerty zusammenzucken.

Er verhielt, lauschte atemlos nach allen Seiten und wagte nicht,

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sich zu bewegen. Woher war das Geräusch gekommen?

Seine Augen spähten unter dem aufgestützten Kopf hervor in

alle Richtungen, aber die absolute Finsternis unter dem
stacheligen Blätterdach ließ nichts erkennen.

Da, wieder!
Knirschen und Knistern. Schließlich brach unkontrolliert ein

dürrer Ast. John zuckte zusammen und hielt die Hand vor den
Mund, damit ihn sein keuchender Atem nicht verriet. Rechts
von ihm lag ein formloser Klumpen unter dem Stacheldach,
und dieser Klumpen bewegte sich Zentimeter um Zentimeter
dem Lichtschein am Feuer entgegen.

Haggerty lächelte grimmig. Warte, Bürschchen, dachte er.

Gleich werde ich dich liebevoll in die Arme schließen.

Er blieb liegen, beobachtete und ließ seinen Atem zur Ruhe

kommen. Der Mann vor ihm kroch weiter und mußte seinen
Weg schneiden, wenn er die Richtung beibehielt. Und wenn
Johns Augen ihn nicht trogen, war der Anschleicher ein
Indianer.

Cochise hatte wieder einmal recht gehabt.
Minuten vergingen. Eine Viertelstunde, eine halbe. Der

Späher war John so nahe gekommen, daß er bereits seine
Ausdünstung riechen konnte. So gut es möglich war, preßte
sich der Weiße gegen den harten Boden und verhielt sich
bewegungslos.

Am Feuer bewegte sich etwas. Einer der Krieger war

aufgestanden und schlug sich seitwärts in die Büsche. Gott sei
Dank nahm er die andere Richtung und entfernte sich.

Der Flügelschlag eines Nachtbeuters war über John. Er

wagte nicht, den Kopf zu heben und hochzublicken. Der Fleck
seines hellen Gesichtes hätte ihn bestimmt verraten. Vor ihm
entstand wieder Bewegung. Geräuschlos kroch der Indianer
wie eine große Echse näher.

John behielt ihn im Auge und verfolgte jede seiner

Bewegungen. Drei Meter mochten sie noch trennen. John hatte

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das Glück, vor seinem Kopf ein paar Grasbüschel zu haben, die
unter dem lichtlosen Blätterdach ein armseliges Dasein
fristeten.

Wieder Geräusche beim Feuer. Der Späher erstarrte und

preßte seinen Körper wie auch John gegen die Erde. Der
Apache war zurückgekehrt und rollte sich neben den Flammen
wie ein Igel zusammen.

Schweigen. Nur das Feuer knisterte und schickte dann und

wann einen Funkenregen in seine Nachbarschaft. Im Corral
stampften die Pferde mit den Hufen und durchdrangen die
Nacht mit ihrem tiefen Schnauben.

John sah, wie der Späher seine Richtung etwas änderte und

ihm dadurch schneller näherkam. Nur noch Sekunden, wenige
Sekunden, und er würde sich auf die Rothaut stürzen und ihm
die Faust gegen den Schädel donnern.

John Haggerty rechnete mit dem Überraschungsmoment und

auch mit Kampf. Wie in derartigen Fällen würde der
Überfallene erst einmal sekundenlang dem Schock unterliegen
und sich dann mit Zähnen und Klauen wehren.

Daß es ganz einfach werden würde, konnte er nicht ahnen.
Die permanente Nähe des potentiellen indianischen Gegners

trieb John Haggerty den Schweiß in wahren Sturzbächen über
den Körper. Dazu kam die gestaute Hitze unter dem verfilzten
Blätterdach, die Angst vor der Dunkelheit und die Zecken, die
sich herabfallen ließen und in seine ungeschützte Haut bohrten.

Zwei Meter, ganze zwei Meter, und er würde den fremden

Indianer mit der Hand berühren können. John lauerte und
wartete auf seine Chance. Er streckte vorsichtig die Hand aus,
öffnete sie wie im Spiel und schloß sie zur Faust, um die
Finger geschmeidig zu halten.

Raschelndes Knistern, das leise Knacken eines

Pflanzenstengels und das schleifende Geräusch zur Seite
geschobener Zweige ließen den Weißen angespannt erstarren.

Er hielt erneut den Atem an und spannte die Muskeln. Mit

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einem Sprung wollte er sich auf die Rothaut werfen und ihr
sein Messer an die Kehle setzen.

Der Mann lag vor ihm, fast greifbar.
John verlagerte sein Körpergewicht auf Knie und Ellbogen

und setzte zum Sprung aus seiner liegenden Position an.

Jetzt!
Wie ein abgeschossener Pfeil schnellte er in die Höhe und …
»Das Bleichgesicht muß keine Angst vor Saguaro haben.

Saguaro hat nichts Böses im Sinn.«

Ein wehrloser Indianer lag unter John, der ihm die Spitze

seines Messers in den Nacken setzte. Als hätte Cochise mit
seinen Chiricahuas nur auf diesen Augenblick gewartet,
sprangen sie wie auf ein Kommando auf und stürzten sich
zwischen die Büsche.

*

»By Jason, der Bastard spielt falsch! Und das so ungeschickt,
daß es jeder merken kann.«

Johnny Ringo nickte. Er und Carradine lehnten am Tresen,

brennende Zigaretten im Mundwinkel, die Augen verkniffen,
Whisky und Bier vor sich auf der Nickelplatte.

»Wie kann man nur so lange am Leben bleiben, wenn man so

blöd ist und in die verkehrte Tasche spielt?«

»Yeah«, knurrte Carradine gelangweilt. »In dieser Town gibt

es noch blödere Heinis. Mach dir nichts draus, John.
Hauptsache, uns beißen die Schweine nicht.«

Er warf einen abschätzenden Blick auf den Revolvermann

und fuhr fort:

»Was treibst du in diesem Sündenbabel? Rausschmeißer?«
»Käse! Ich und Rausschmeißer…? Sieh dir die beiden

Gorillas dort drüben an. Die besorgen das viel gründlicher als
ich. Das Rausschmeißen.«

»Von was lebst du?«

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»Von diesem und jenem«, sagte Ringo ausweichend. »In

dieser beschissenen Stadt gibt es wenig
Entfaltungsmöglichkeiten für einen Mann wie mich.«

Am ersten Spieltisch entstand Turbulenz. Sie hatten einen

Falschspieler bei einer Mogelei erwischt. Carradine wurde
abgelenkt und vergaß seine Frage. Sein schmales Grinsen
überflog seine Züge, als es drüben krachte und polterte. Die
Männer hatten das Problem auf ihre Art gelöst.

Einer der beiden Rausschmeißer kam mit eingestemmten

Armen herüber, packte den Bewußtlosen am Kragen und zerrte
ihn zur Tür. Mit einem gezielten Tritt beförderte er ihn in die
Nacht. Schweigend kehrte er zurück.

»Ich könnte einen Job gebrauchen«, sagte Casy Carradine

leise und kniff die Augen noch mehr zusammen, wenn das
überhaupt möglich war.

Johnny Ringo schüttelte den Kopf. Achselzuckend

antwortete er: »Einen Job suchst du? Was kannst du denn?«

»Schießen.«
»Das können Millionen andere auch.« Ringo winkte lässig

ab.

»Tresore knacken. Banken berauben.«
»Nicht mein Fachgebiet.« Er schüttelte den Kopf. »Nichts zu

machen, Sonny. Geh zu Juan Moreno, wenn du Geld machen
willst.«

»Ich arbeite für keinen Greaser.«
»Er hat ein paar tüchtige Jungs in seiner Bande. Du solltest

ihn dir wenigstens einmal anhören. Schnelle Eisen kann Juan
immer gebrauchen. Für wen hast du bis jetzt gearbeitet?«

»Samuel High.«
Zuckte Johnny Ringo zusammen? Oder täuschte sich

Carradine? Straffte er seinen sehnigen Körper nicht bei der
Namensnennung?

»So, für High«, dehnte Ringo lahm und uninteressiert. Er

deutete auf die leeren Gläser. »Ich bin dran. Whisky?«

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»Warum nicht? Kannst du noch mehr als nur deinen

Ballermann bedienen?«

»Kommt drauf an. Worauf zielst du?«
»Eigentlich auf nichts Bestimmtes. War nur so'n Gedanke.«
»Spinn ihn doch mal zu Ende. Ich bin tatsächlich bis auf die

Haut abgebrannt und brauche …«

»Stimmt nicht. Ich beobachtete dich am Pokertisch. Du hast

ganz schön abgesahnt.«

Carradine verkniff sich ein Grinsen und winkte ab.
»Nicht der Rede wert, Bucko. Also, dann nicht.« Er hob sein

Glas und trank Ringo zu. Johnny musterte ihn aus verkniffenen
Augen. Noch wußte er nicht, was dieser eiskalte Bursche
eigentlich wollte. Nicht von ihm persönlich, nur so im
allgemeinen.

Hörbar setzten sie ihre Gläser auf den Schanktisch. Der Lärm

im Saloon nahm zu. Man verstand sein eigenes Wort nicht
mehr. Eines der Tingeltangelmädchen im kurzen Rock und mit
seidenbestrumpften Beinen trippelte heran und legte Carradine
die Hand auf die Schulter.

»Gibst du einen aus, Darling?« flötete sie mit silberheller

Stimme. »Wenn du die Spendierhosen anhast, darf es auch
Champagner sein.«

Casy schüttelte, mit einer Seitwärtsdrehung die Hand ab.
»Verdufte, Vogelscheuche! Los, dalli, alte Schraube!«
Fäuste trommelten auf Carradine ein, und das Geschrei des

Mädchens, laut, gellend, ordinär, zog die Blicke aller
Anwesenden auf sich.

Um nicht ins Handgemenge zu geraten, zog sich Ringo ein

ganzes Stück an der Theke zurück, trat dabei einem anderen
auf die Füße, entschuldigte sich, dabei lachte er schallend.

Es sah zu komisch aus. Das Flittermädchen stieß, trat und

kratzte Carradine, und der mußte sich nach hinten absetzen, um
den wütenden Angriffen zu entgehen.

»Geh weg, du Biest!«

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»Wer ist hier ein Biest? George! Lefty! Her mit euch! Der

Bastard beleidigt mich!«

Schaukelnd kamen die Gorillas durch den Mittelgang.

Carradine wurde wütend, als ihn ein Hieb von zarter Hand auf
die Nase traf. Er sprang vor, packte die empörte Megäre bei der
Hüfte, hob sie auf und schleuderte die Zappelnde und
Kreischende dem ersten Rausschmeißer in den Arm.

Ein allgemeiner Tumult brach aus. Männer sprangen von den

Stühlen und schwangen die Fäuste. Schnapsheisere Stimmen
stießen wüste Drohungen aus, die im Androhen von Skalpieren
bis zur Kastration alles beinhalteten, was sich Volltrunkene so
einfallen ließen.

Lefty, ein bullig wirkender Mann mit breitgeschlagener Nase

und Blumenkohlohren, stieß das kreischende Weibsbild zur
Seite und stürzte sich wie ein wütender Bison auf Carradine.

Es kam, wie es kommen mußte.
Casy Carradine zog und ließ den Goliath in den Schlag mit

dem Revolverlauf laufen. Der Mann krachte wie von einer Axt
gefällt zu Boden.

George war schon da. Es gehörte zu seinem Prestige, diese

Laus von einem Zwerg zu züchtigen und ihm einmal so richtig
und aus Herzenslust Manieren beizubringen. Gewitzt durch den
schnellen Revolver verlegte er sich zunächst auf Fußtritte,
denen Carradine aber mühelos auswich.

Die beiden Kämpfer gerieten nach zwei, drei Minuten richtig

in Stimmung. Colt und Faust, Colt oder Faust, darauf kam es
jetzt an. Casy wich einem gewaltigen Schwinger durch
Abducken aus und ließ den langen Lauf seines Revolvers nach
oben fliegen.

Der Schlag genügte, den Hünen nach hinten kippen zu

lassen. Wie ein fallender Gigant stürzte er Tische und Stühle
um, riß ein paar Männer mit zu Boden und wälzte sich mit
ihnen eng umschlungen in den schmutzigen Sägespänen.

Der Kampf war aus. Der gespannte Revolver kühlte den Mut

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der anderen ab, die sich lediglich aus Lust am Kampf beteiligt
hatten. Rückwärtsgehend verließ Casy den Saloon. Sein letzter
Blick galt dem grinsenden Johnny Ringo.

*

»Du hast dich an unser Lager herangeschlichen und wolltest
einen von uns töten«, eröffnete Haggerty das Verhör in einer
unbestimmten Ahnung von Gefahr.

Saguaro hob den Kopf und schaute Cochise ins Gesicht. In

seinen Augen lag so viel Offenheit und Ehrlichkeit, daß der
Häuptling sofort anderen Sinnes wurde.

»Ich wollte nicht töten«, erwiderte der Aravaipa.
»Du hattest einen Mordanschlag auf Cochise vor«,

behauptete John mit einem Bluff.

Saguaro stand auf und breitete die Arme aus. Naiche, der

hinter ihm stand, setzte sofort sein Messer an den Nacken des
Indianers.

»Mit was hätte ich töten sollen? Seht ihr eine Waffe bei

mir?«

Saguaro war tatsächlich waffenlos. Nicht einmal ein Messer

steckte in seinem Gürtel.

»Du hast dein Gewehr im Dickicht versteckt.«
Saguaro schüttelte den Kopf. »Sucht danach, ihr werdet keins

finden.«

»Weshalb hast du dich dann angeschlichen?«
»Aus Dankbarkeit.«
»Dankbarkeit?« fragte Haggerty und staunte.
»Ich wollte Cochise dafür danken, daß er mir das Leben

schenkte.«

»Deswegen brauchst du dich doch nicht an uns

heranzuschleichen?«

»Wußte ich, ob ich willkommen war?«
Cochise stand vom Feuer auf, legte Holz nach und entfernte

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sich. An der Lichtgrenze ging er auf und ab. Seinen stolzen
Adlerkopf hielt der Häuptling bis auf die Brust gesenkt. Bei
ihm ein Zeichen, daß er nachdachte. Schon kurz darauf gab er
Naiche ein Zeichen.

»Saguaro ist ein freier Mann, ich glaube ihm.«
Sofort verschwand das Messer. Naiche setzte sich zu den

anderen und verfolgte die kurzstreckige Wanderung seines
Vaters mit stoischem Gleichmut. John Haggerty war noch nicht
ganz befriedigt. Konnte aber Cochise nicht widersprechen?

Der Jefe erkannte, was in dem Weißen vorging. Er trat

wieder zum Feuer und setzte sich Saguaro gegenüber.

»Du bist mit den Rebellenhäuptlingen geritten, roter Krieger.

Was hast du gesehen und gehört?«

»Will Cochise etwas Bestimmtes wissen?«
»Der Häuptling will alles wissen, und ich auch«, schaltete

sich John ein. »Rede, Rothaut!«

Cochise bedachte Haggerty mit einem vorwurfsvollen Blick

und machte eine abschwächende Handbewegung. Er wandte
sich an Saguaro und sagte im ruhigen Ton:

»Wie stehen Geronimo und Victorio zueinander? Haben sie

gemeinsame Pläne, und wer ist der tonangebende Krieger?«

Der Aravaipa überlegte. Schließlich hob er den Kopf und

antwortete: »Sie ziehen raubend und mordend durch das Land.
Einmal befiehlt Geronimo, ein andermal Victoria«

»Die beiden sind es, die den Telegrafenbau angreifen und

zerstören?«

Saguaro nickte. »Geronimo. Victorio interessiert sich nur für

Beute. Der Häuptling ist…«

»Halt!« befahl Cochise streng. »Weder Victorio noch

Geronimo ist ein Häuptling. Ich bin der gewählte Führer aller
Stämme!«

»Ich weiß es«, antwortete Saguaro schlicht.
»Sprich weiter«, Cochise wechselte einen Blick mit John.

»Warum zerstört der Mimbrenjo den Sprechenden Draht?«

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»Er bekommt Gewehre, Decken und Proviant dafür.«
Cochise und Haggerty gab es einen Ruck. John sagte schnell:
»Gewehre? Von wem? Ist es ein Weißer?«
Saguaros Hand wies nach Westen. Er nickte und warf einen

Blick zu Naiche hinüber, der ihn unverwandt anstarrte.

»Ein weißer Mann«, bestätigte der Indianer. »Das

Bleichgesicht will den Sprechenden Draht nicht und bekämpft
ihn. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Weißt du seinen Namen? Kennst du sein Aussehen,

Krieger?«

Saguaro zögerte. Nach einer Weile antwortete er:
»Geronimo nennt ihn Bussy Blaki. Gesehen habe ich ihn

nicht. Geronimo und Victorio reiten stets zu ihm, wenn er sie
ruft.«

»Und wohin geht der Ritt?«
»In die Nähe der Stadt, die die Helläugigen Tombstone

nennen.« Saguaro deutete noch einmal nach Westen.

»Die Stelle dieses Treffpunktes kennst du nicht?«
»Nein, Jefe.«
»Es ist gut«, sagte Cochise. »Du kannst bei uns bleiben,

wenn du willst.«

»Ich will«, antwortete Saguaro einfach.
Zunächst herrschte für eine Weile Schweigen am Feuer.

Jeder hing seinen Gedanken nach und versuchte sie zunächst
einmal zu ordnen. Es gab Lücken in Johns und Cochises
Überlegungen, die aufgefüllt werden mußten. Klaffende
Lücken.

Wer war Bussy Blaki? War er jener unbekannte

Banditenchef, der nicht nur eine Bande weißer Rowdys
befehligte, sondern auch wilde Apachenhorden aus den
Reservaten San Carlos und Fort Apache?

John Haggerty nahm sich vor, der Sache in Tombstone auf

den Grund zu gehen. Endlich hatte er eine Spur. Wenn sie auch
noch kalt und kaum erkennbar war, so konnte sie durch

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Ermittlungen belebt und sichtbar gemacht werden.

Tombstone hieß der Schlüssel.
Cochise sah ihn an, nickte. John nickte zurück. Sie

verstanden sich ohne viele Worte.

»Ich reite bei Tagesanbruch nach Tombstone«, sagte John

und richtete seine Augen auf den Aravaipa.

»Cochise begleitet dich.«
John wehrte ab. »Zu gefährlich«, antwortete er. »Indianer

sind in einer Stadt wie Tombstone nicht gern gesehen.«

»Wir alle kommen mit und warten in einem Versteck«,

entschied der Häuptling mit Bestimmtheit, die keinen
Widerspruch duldete. »Saguaro ist ein freier Mann und kann
sich uns anschließen oder Geronimo folgen. Wie er will.«

»Ich reite mit Cochise.«
»Du bist willkommen.«

*

Die Sonne stand im Zenit. Das Land stöhnte unter der Hitze
und unter dem Wassermangel. So weit das Auge reichte: nichts
grünte und keine Pflanze stand in Blüte.

Vor dem Büro der Western Union gleich neben dem Oriental

Saloon standen ein paar Pferde mit hängenden Köpfen vor dem
Hitchrail, willkommene Opfer der Pferdebremsen, die wie ein
Ungewitter in mächtigen Schwärmen durch die Stadt
schwirrten und sich auf die wehrlosen Tiere stürzten.

Ein Mexikaner lehnte an der Hauswand. Er hielt den Kopf

mit dem riesigen Wagenradsombrero gesenkt, als schliefe er im
Stehen. Seine weiße Leinenkleidung wurde von einem bunten
Poncho verdeckt, ebenso seine Waffen.

Zwei Fußgänger näherten sich dem in der Hitze dösenden

Mann. Der eine kam aus der Richtung Allen Street, der andere
vom Mietstall. Der aus der Allen Street Kommende trug die
übliche verwahrloste Kleidung der Frontierleute, der andere

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Wildlederbekleidung und einen grauen Militärhut.

Beide waren mit Revolvern bewaffnet. Der

Wildlederbekleidete trug zusätzlich ein langes Bowiemesser im
Gürtel. Der Allen Street-Mann blieb einen Schritt hinter dem
Mexikaner stehen und drehte sich eine Zigarette. Der
hochgewachsene Hombre in Wildleder sah deutlich, wie der
Amerikaner bei seiner Tätigkeit die Lippen bewegte und eine
Nachricht an den Mexikaner weitergab.

Er blieb stehen und lehnte sich gegen die schattige

Hauswand eines Lehmziegelhauses mit grüngestrichenen
Klappläden. Seinen Feldhut trug er in die Stirn gezogen, so daß
sein Gesicht im Schatten lag.

In diesem Augenblick zündete der Amerikaner seine

Zigarette an und ging weiter. John Haggerty, dieser war es,
blieb nach wie vor stehen und beobachtete weiter. Die
Entfernung bis zu dem Mexikaner betrug gut und gern dreißig
Yards, diagonal über die Straßenbreite gemessen.

Es dauerte nicht lange, da tauchte ein zweiter Mann auf, der

im Aussehen viel Ähnlichkeit mit dem ersten hatte. Das Spiel
wiederholte sich. Nachrichten wurden ausgetauscht, Befehle
weitergegeben.

Auch dieser Mann verschwand in Richtung des ersten. John

nahm Tabakbeutel und braunes Papier aus der Hemdtasche und
drehte sich selbst eine Zigarette. Sein Gehirn überschlug sich.
War er rein zufällig auf etwas gestoßen, das ihn weiterbringen
konnte?

Eine Bedeutung hatte das Verhalten dieser Männer, und John

würde sich nicht wundern, wenn weitere kämen, um ebenfalls
Nachrichten oder Befehle zu empfangen.

Wer gab die Befehle? Was wurde überhaupt hier gespielt?
Johns Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück und somit

in die Wirklichkeit. Von Westen her trabten drei Reiter in die
Stadt. Gegen Reiter war in diesem Land nichts einzuwenden,
denn die einzige sichere Fortbewegung war das Reiten auf

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einem Pferd.

Bemerkenswert war aber, daß die drei rüde aussehenden

Kerle genau dort ihre Pferde kurz anhielten, wo der Mexikaner
an der Wand des Hauses lehnte. Und alles spielte sich in
unmittelbarer Nähe des Büros der Western Union ab.

Wenn man noch in Betracht zog, daß sich einige Häuser

weiter auch noch der Pony Express etabliert hatte, der mit dem
Telegraf Hand in Hand arbeitete, so war das nicht nur
bemerkenswert, sondern auch geradezu auffällig.

Die Reiter trieben ihre schweißbedeckten Pferde an und

verschwanden aus Johns Gesichtskreis. Der Mex stand immer
noch dort drüben und schien nun fest zu schlafen. Niemand
kam mehr. Haggerty hielt es an der Zeit, weiterzugehen und
nicht aufzufallen. Er warf seine aufgerauchte Zigarette zu
Boden und verfolgte die Straße weiter nach Westen.

Er war kaum hundert Yards gegangen, als ihm blitzartig

bewußt wurde, daß er im Begriff war, einen Fehler zu begehen.
Er wirbelte herum und drückte sich gegen die Hausecke bei
einer Seitengasse.

Der Mexikaner war verschwunden.
Diese Tatsache elektrisierte Haggerty förmlich. Er setzte sich

in Bewegung und lief mit weit ausholenden Schritten den Weg
zurück. So sehr er auch nach dem Mexikaner Ausschau hielt, er
war nirgendwo zu sehen.

John schalt sich im stillen einen Narren und hätte sich am

liebsten selbst in die Kehrseite getreten. Alles Fluchen half
nichts. Der Greaser war in einer der unzähligen Kneipen
untergetaucht und hielt sich verborgen.

John blieb stehen und schnappte hörbar nach Luft. Irgendwie

ließ er sich von den lauten Klängen, die aus dem Vogelkäfig
Saloon drangen, inspirieren. Wo versteckte sich am besten ein
Mensch, wenn er anonym und unentdeckt bleiben wollte?
Selbstverständlich in einer Versammlung anderer Menschen.

Mit langen Schritten ging Haggerty kurz entschlossen über

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die Straße und betrat das großräumige Haus. Frenetischer
Höllenlärm schlug ihm wie eine Woge, trotz der frühen Stunde,
entgegen. Er blieb stehen, um sich zu orientieren und wurde
das Ziel einer geschminkten Schönen, die ihm ihren Ellbogen
in die Rippen stieß, dabei die Lippen spitzte und flötete:

»Hallo, mein Süßer, hast du Durst?«
Als John nicht antwortete, sie nur groß anstarrte, fuhr sie

fort:

»Komm, Darling, gerade eben ist eine Balkon-Loge

freigeworden. Spendierst du 'ne Pulle Schampus?«

»Jetzt nicht, keine Zeit«, sagte Haggerty schnell und dachte

dabei an die klare Sauberkeit Tla-inas, dem jungen
Apachenmädchen. Er wollte sich schon brüsk entfernen, als
ihm der zweite gute Gedanke dieses Tages kam. Mit einem
freundlichen Lächeln auf den braunen Gesichtszügen wandte er
sich an das Änimiermädchen.

»Sag, Honey, ist vor mir ein Mexikaner mit einem Poncho

und einem Riesenhut hereingekommen? Du kannst für eine
richtige Auskunft zwanzig Dollar verdienen.«

»Ich heiße Bemadette«, sagte sie und verzog die Lippen zum

Schmollmund. »Ein Greaser?« fragte sie. »Weißt du, Hombre,
von den braunen Affen halten wir hier nicht viel. Wer achtet
schon auf einen Spie?«

»Dreißig Dollar«, erwiderte John mit Nachdruck.
»Hat er dich beklaut?«
John Haggerty nickte. »Und nicht zu knapp. Also?«
»Hmm, dreißig? Läßt sich hören. Beschreibe ihn noch mal.«
John tat es. Mit den Händen deutete er Höhe und Breite an,

die ungefähre Größe und das Aussehen. Bernadette nickte,
faßte nach Johns Hand und zog ihn aus dem Strom der Spiel-
und Trinkfreudigen. Der Weg führte über eine Treppe in einen
langen Korridor, von dem zahlreiche Türen abzweigten.

Als sie in die intime Welt aus Samt und Plüsch traten,

deutete Bemadotte auf den schmalen Spalt im Vorhang. John

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trat näher und warf einen Blick hindurch. Kurz zuckte er mit
den Achseln und sagte:

»Was ist? Ich sehe nichts.«
Sie trat neben ihn, zerrte den schweren Plüsch zur Seite. Ihre

Hand zeigte über den Saal hinweg auf eine gegenüberliegende
Nische.

»Ist das der Spie, den du suchst?«
John fixierte die goldverzierte Brüstung. Sein Blick glitt

hoch. Zwei Männer unterhielten sich mit vielen Gesten. Den
Mexikaner erkannte er, den Amerikaner nicht. Trotzdem hatte
er das Gefühl, dieses nichtssagende Gesicht schon einmal
gesehen zu haben.

»Der Greaser ist La Rocco, ein bekannter Messerheld an der

Grenze.«

»Und wer ist der andere?«
»Kenne ich nicht. Bekomme ich die Belohnung?«
John fischte ein Bündel Dollarnoten aus der Tasche, zählte

drei Scheine je zehn Dollar ab und gab sie dem Mädchen.

»Hör zu, Kleine. Wie kann ich erfahren, was die beiden

miteinander sprechen?«

Bernadette zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. John

zog einen Fünfziger aus dem Geldbündel und wedelte damit
vor ihren Augen.

»Bleib hier«, sagte sie hastig. »Ich bin gleich wieder

zurück.«

Fort war sie. Haggerty nahm auf dem weichen Plüschstuhl

Platz und ließ kein Auge von der Loge. Die Minuten
vergingen. La Rocco unterhielt sich immer noch mit dem
Amerikaner. Plötzlich stand der Mexikaner auf und ging. Der
Amerikaner blieb sitzen und starrte zur Bühne.

Wenig später huschte Bernadette in die Loge und ließ sich

auf einem zweiten Stuhl nieder. Ihr Gesicht wirkte bleich,
dabei hektisch gerötet. Kreisrunde Flecken zirkelten auf ihrem
Gesicht.

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»Warum so aufgeregt?« fragte John lächelnd. »Du bekommst

den Schein, auch wenn du nichts gehört hast. Du hast
gelauscht, oder irre ich?«

Bernadette schüttelte den Kopf.
»Das ist es nicht, Hombre«, erwiderte sie mit harten Lauten.

»Wenn ich dir sage, was ich gehört habe, legst du noch 'ne
Kußhand zu.«

»Ja?« John wedelte mit dem Schein.
»Sie wollen dich umbringen!« fuhr es aus ihr heraus. »Ja, ja,

von dir war die Rede, Mann. Der Mex soll dich draußen mit
dem Messer erledigen. Und falls das nicht klappt, steht ein
Bursche namens Carradine mit 'nem gezogenen Revolver
hinter ihm.«

»So?« fragte Haggerty.
Der Geldschein wechselte den Besitzer und wurde

fachgerecht im Kleidausschnitt verstaut.

»Ist das alles, was du zu sagen hast?«
John machte eine vage Bewegung und starrte noch einmal

über den Raum hinweg auf die Nische. Der Amerikaner bekam
Besuch. Eines der Mädchen brachte einen Sektkübel und
Gläser. Sie blieb gleich in der Nische und setzte sich.

»Erwarten die Kerle mich draußen auf der Straße?«
Bernadette streckte John die flachen Hände entgegen.
»Wo sonst? Irgendwo. Hast du einen Revolver?«
John Haggerty nahm die Wildlederjacke zur Seite und

klopfte auf das Halfter.

»Soll ich Hilfe für dich organisieren? Das kostet aber eine

Kleinigkeit.«

»Nein, laß nur. Mit denen werde ich schon allein fertig.«
»Wir haben einen Mann im Vogelkäfig, der es mit diesem

Carradine aufnimmt, wenn du ihm ein paar Scheine zeigst.«

»Wie heißt er?«
»Johnny Ringo.«
»Der Revolvermann? Nein, danke. Ich schaffs schon allein.«

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John stand auf, klopfte dem Mädchen freundlich auf die

Schulter und verließ die Liebesnische. Im Saloon drang er
durch die blaue Rauchwolke wie ein Schiff durch die Flut,
steuerte die Bar an und stützte die Ellbogen auf die
Nickelstahlplatte.

»Whisky?« fragte der Keeper.
»Ja«, bestätigte er nickend. »Schätze, der ist jetzt

goldrichtig.«

John trank seinen Whisky und zeigte sich kaum beeindruckt

von seiner beißenden Schärfe. Langsam drehte er den Kopf und
musterte die vielen Männer aller Altersklassen und
Hautschattierungen.

Geächtete Revolverhelden zogen Arm in Arm mit

Tanzhallen-Mädchen in die oberen Stockwerke. Cowboys,
Gold- und Silberschürfer, Farmer und solche Männer, die für
gewöhnlich das Licht des Tages zu scheuen hatten, saßen
vereint an den Spieltischen oder verschränkten die zitternden
Hände über schmutzigen Schnapsgläsern.

Es war nicht der Whisky bei John Haggerty. Es war die

Ahnung von etwas Unangenehmem, von dem Kommenden,
das ihn weiter verharren ließ. Nach dem ersten Drink blieb der
zweite unangetastet. John blickte im Saloon umher und nahm
die Eindrücke wie verspätetes Wissen in sich auf.

Er starrte nur, John Haggerty, und er störte sich nicht an dem

Lärm und der Gemeinheit, die ihn umgab. Er vergaß, wer und
wo er war, welche Aufgabe er zu erfüllen hatte. Er pflückte
lediglich neue Erkenntnisse vom Baum des Lebens und
versuchte sie mit seinem eigenen einfachen in Einklang zu
bringen.

Nicht das Aroma des billigen Whiskys, der beizende Rauch

schlechten Tabaks, der Mief ungewaschener Männer und
schwitzender, süßlich parfümierter Frauen war es, was ihn
abstieß, sondern die Gemeinheit und die kalte Mordlust in den
Augen der Männer, denen man ihr Gewerbe auf eine Meile

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ansah.

Es war kein Traum, auch nicht die Angst vor dem

Unabwendbaren, das ihn auf der Straße erwartete. Nur die
Frage, wer war der Fremde in der Nische, beschäftigte ihn und
ließ ihn zaudern. Ein Mann, der einen Unbekannten umbringen
lassen wollte, verdiente Beachtung in diesem Land.

Er zuckte zusammen vor der Stimme, die über seine Schulter

hinweg sagte:

»Du hast Schiß? Sag's doch! Dort drüben steht Johnny

Ringo. Soll ich ihn auf einen Drink herbitten?« Haggerty
schüttelte den Kopf, drehte sich auf den Absätzen herum.

»Nein, Mädchen«, antwortete er. »Nimmst du einen Drink?

Das wenigstens bin ich dir für deine Informationen schuldig.«

Bemadette stellte sich neben ihn. Sie war einen Kopf kleiner,

geradezu zierlich. Ihre hellen Augen gaben dem Keeper einen
Wink. Als sie das Glas hatte, hob sie es hoch.

»Wenn du kein Geld mehr hast, für mich macht es Johnny

umsonst.«

»Laß es, ich brauche ihn nicht.«
»Nicht dort oben«, sie zeigte lachend zur Decke. »Aber hier

auf Erden. Cheers!«

Sie tranken sich zu. Hart stießen die Gläser aneinander. Er

sah den Mexikaner einen Augenblick früher als dieser ihn. Und
auch die anderen Hombres, die ihn begleiteten. Und er
bemerkte den kleinen, kaltgesichtigen Mann im Hintergrund,
der ihn anstarrte.

»Geh fort, Mädchen«, sagte er und gab ihr einen sanften

Stoß. »Verschwinde, es geht los!«

Er hätte ziehen und La Rocco sofort töten können, und das

wäre richtig gewesen. Kein Hahn hätte nach drei Mexikanern
gekräht. Nicht im Tombstone. Aber ein Mann wie John
Haggerty legte andere Männer nicht einfach um. Selbst dann
nicht, wenn sie in der Überzahl waren.

Auf Bemadettes Gesicht erschienen die hektischen Flecken

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wieder. Sie erkannte die Gefahr, gab dem Keeper ein hastiges
Zeichen und versank im Hintergrund.

Zehn Schritte waren die Mexikaner entfernt. Genau zehn.

John schlug die Jacke zurück und löste die Schlinge am
Revolverhahn.

Acht Schritte. Gewiß, es waren noch acht Schritte. Aber was

waren schon acht oder mehr Schritte, wenn Revolver oder
fliegende Messer das Wort hatten?

Die Mexe blieben stehen. Sie starrten John Haggerty drohend

an und versuchten ihn wahrscheinlich mit ihren Blicken
einzuschüchtern. John lächelte geringschätzig. Der Mann im
Hintergrund, der sich Carradine nannte, rührte sich nicht von
der Stelle. Er brauchte es auch nicht. Für seinen Revolver
waren zwanzig Yard die ideale Entfernung.

»Haben wir dich endlich, du Bastard!«
»Was wollt ihr?«
»Das Geld, das du uns im Falschspiel abgeluchst hast!«
Bemadette lief auf den Mexikaner zu und schrie:
»Lüge! Alles Lüge! Sie wollen ihn umbringen, Männer! Seht

ihr nicht, daß sie ihn ermorden wollen? Helft, Freunde! So helft
ihm doch!«

La Rocca war mit einem Sprung bei ihr und schlug ihr die

flache Hand ins Gesicht. Bemadette stürzte und blieb
benommen liegen.

John stieß sich vom Tresen ab und spreizte die Beine. Sein

Revolverkolben stand mehr als einen Zoll von der Hüfte ab.
Seine Stimme hallte durch den großen Raum, in dem es still
geworden war.

»Dem Mann, der eine Frau schlägt, soll die Hand am Stumpf

verfaulen!«

»He!«
La Rocca zog die Oberlippe hoch, grinste gemein und rief

zurück:

»Gib das ergaunerte Geld heraus, Bastard, und du kannst

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gehen!«

»Verdammter Spie! Welches Geld?«
»Gringoschwein! Ich rede von dem Geld, das du uns im

Poker abgegaunert hast!«

»Es ist nicht wahr!« schrie Bemadette und erhob sich vom

Boden. »Der Gentleman war die ganze Zeit bei mir!«

»Das glaube ich auch«, sagte eine kalte Stimme in die eisige

Stille hinein. »Laß dein Messer stecken, Spie, oder du
bekommst etwas Heißes in die Nieren!«

Ringo war herangetreten und stellte sich hinter die

Mexikaner, die sich nicht zu bewegen wagten. Die Situation
überstürzte sich. Carradine riß seinen Colt heraus und bedrohte
Ringo.

»Du hältst dich heraus«, sagte er mit leiser, aber

durchdringender Stimme. »Die Mexe sind Freunde von mir,
und meinen Freunden stehe ich in jeder Lage bei. Laß die
Knarre stecken!«

Die Lage wurde für John brenzlig. Carradine und Ringo

standen sich gegenüber und grinsten sich kalt und drohend an.
Zwischen ihnen gab es hur einen Unterschied: Carradine hielt
den Colt bereits in der Hand.

In diesem Augenblick wurde das Flüstern der wie gebannt

auf die Szene starrenden Männer wieder überlaut. John
Haggerty hatte nur Augen für die Mexikaner. Er kannte ihre
Art. Sie trugen ihre Wurfmesser selten offen, sondern mehrere
zugleich in einer Scheide im Nacken.

Mit einem Griff über die Schulter konnten sie die

gefährlichen Messer ziehen. Ziehen und Werfen war dann eins.
John achtete auf ihre Hände und näherte seine Rechte dem
Revolvergriff.

»Rückst du das Geld heraus oder nicht?«
»Geh zum Teufel, Spie!«
John sah La Rocco zusammenzucken und wußte, daß der

Mex das Schimpfwort als Kriegserklärung aufnahm. Starr

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beobachtete er seine Messerhand. John ließ sich von dem
Gebrüll und den anfeuernden Rufen der Gäste nicht ablenken.
Er wartete, lauerte auf den bewußten Moment und
konzentrierte sich auf den schnellen Zug seines Revolvers.

Eine böse Minute lang befürchtete Haggerty, dieser

Augenblick würde nie kommen, statt dessen aber ein
geschleudertes Messer oder eine Kugel in seinen ungeschützten
Rücken.

Die abrupt eintretende Stille frappierte ihn zunächst. Es

wurde so still, daß man ein Streichholz hätte fallen hören
können. Aber das Streichholz fiel nicht. Alle Anwesenden
starrten auf eine Stelle hinter seinem Rücken, und sie machten
Augen so groß wie Kaffeetassen.

La Rocca machte eine Bewegung zur Schulter, hielt aber so

plötzlich in seiner Bewegung inne, als hätte er nach dem Kopf
einer Klapperschlange gegriffen.

»Halt, Gelbhäutiger!« ertönte eine sonore Stimme.
John war es, als hätte er beim Klang der Stimme einen

Schlag mit einer Keule erhalten. Er stand momentan wie
erstarrt. Kein Glied hätte er in diesem Augenblick rühren
können. Jemand aus den Zuschauern schrie:

»Indianer! Allmächtiger, das sind doch Apachen!«

*

Samuel High hatte viel getrunken und sich noch besser
amüsiert. Er zog die Vorhänge auf und schickte das
Tingeltangel-Mädchen mit einem größeren Geldschein fort.
Eine Weile wunderte er sich über die Stille in den
weitverzweigten Räumen des Bird Cage Theatre, aber er dachte
sich nichts dabei und verließ die Nische.

Über den teppichbelegten Korridor kam er in den Spielsalon.

Was sich hier seinen Augen bot, verschlug ihm den Atem. Er
blieb stehen, lehnte sich an die tapezierte Wand und schlang

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seine Finger um den Hals.

In der Nähe der Bar stand jener Mann, den er dem Tod

überantwortet hatte. Vor ihm La Rocco und zwei Mexikaner.
Carradine bedrohte Johnny Ringo mit dem Revolver und
fletschte die Zähne wie ein Wolf.

Sämtliche Saloonbesucher hatten sich von ihren Stühlen

erhoben und glotzten mit hervorquellenden Augen auf eine
Szene, die so unwirklich war, daß Sam zu träumen glaubte.

Die Sekunden schlichen so langsam vorüber, daß man

förmlich hören konnte, wie sie in der Lautlosigkeit vertickten.
Der riesige Raum schien bis unter die Decke mit purer
Elektrizität geladen, die nur darauf wartete, sich zu entladen.

Samuel High wartete nicht auf diesen Moment. Er überwand

seine Lähmung und ließ sich fallen. Dabei hingen seine Augen
an der ganz in weißgegerbtem Hirschleder gekleideten Gestalt,
die gebieterisch den Arm gegen La Rocco ausstreckte.

Aber nicht die Kleidung war es, die High beeindruckte, auch

nicht die präparierte Klapperschlangenhaut, die der Indianer
anstelle des Apachenkopftuches um die Stirn geschlungen trug.

Es war die mächtige Gestalt und das gutgeschnittene Gesicht,

es war die königliche Haltung, die den Outlaw so sehr
beeindruckte.

Cochise hob seine Stimme und sagte laut in die Stille:
»Laß dein Messer stecken, Gelbhäutiger! Gegen den Falken

kommst du doch zu spät. Hinter mir stehen drei Krieger der
Chiricahuas mit angeschlagenen Gewehren. Wer sich bewegt
oder eine Waffe hebt, wird erschossen! Niemandem geschieht
ein Leid, wenn die Bleichgesichter vernünftig sind. Komm,
Falke, wir verlassen dieses böse Haus!«

Wie in Trance drehte sich Haggerty herum. Hinter ihm stand

Cochise, und in seinem Rücken bewegte sich Naiche mit den
Kriegern, Gewehre in den Händen.

Träumte er? Cochise in einem Saloon der Weißen?
»Verdammt!« schrie Carradine wild. »So nicht! Auf ihn, La

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Rocco!«

Er wirbelte herum, bot seinen ungeschützten Rücken Johnny

Ringo dar und hob den Colt. Johns Lähmung war mit einem
Schlag weggewischt. Er riß den Revolver aus dem Halfter und
schoß von der Hüfte aus.

Casy Carradine wurde die Waffe durch Johns Kugel aus der

Hand geprellt. Gleichzeitig spürte er Johnny Ringos
Coltmündung in den Nieren.

Mit einem zweiten Blick sah John den Outlaw Samuel High

im Flur verschwinden. Er fegte herum, schrie zu Cochise
hinüber:

»Fort! Fort aus diesem Höllenpfuhl! Wenn die Kerle ihre

Überraschung überwinden, schießen sie euch in Fetzen!«

John spurtete los, tauchte in den matt erleuchteten Gang ein

und sah ganz an seinem Ende High hinter einer Tür
verschwinden. Mit langen Sätzen war er dort. Als er sie aufriß,
sah er Dunkelheit und Nacht.

High rannte wie gehetzt durch die Third Street. John

hinterher. Dort hinten war irgendwo der Mietstall, gleich hinter
einem Store. High rannte durch eine Baulücke, stürzte, raffte
sich fluchend wieder auf und sprintete weiter.

Die Fremont Street lag dunkel, unbeleuchtet und gefährlich

vor ihm. Er raste weiter, bog in die Fourth Street ein und ließ
den O.K. Corral rechts liegen.

Nebel zog von den Banks herüber. In dünnen Schwaden

schob er sich zwischen Flüchtenden und Verfolger. Von einer
Sekunde zur anderen verschwand High. John blieb keuchend
stehen und preßte seinen Körper gegen die Hauswand.

Er sah sich um. Über ihm prangte das holzgemalte Schild der

Western Union. Das Haus war dunkel. Ein Stück weiter hatte
man einen Schuppen angebaut, auf dessem Tür die rote
Warnung prangte: Danger! Dynamit!

Unvermittelt wirbelte John Haggerty herum. Aus einer Gasse

quollen Gestalten und rannten geduckt näher. Weit hinter ihnen

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wurden Schüsse abgegeben, die aber nur den ziehenden Nebel
trafen.

John setzte sich ohne weiter zu überlegen in Bewegung und

rannte die Straße hinunter. Staub wirbelte unter seinen Sohlen
auf. Stetig holten die Apachen auf und überholten schließlich
den Weißen. Sie waren die besseren Läufer, das war
unbestreitbar, und sie waren den Weißen unendlich überlegen.

Cochise mäßigte das Tempo. Die Stadtgrenze lag vor ihnen.

An einer Hickory standen fünf angebundene Pferde. Cochise
hatte wieder einmal an alles gedacht. Diesmal aber war er von
seiner Gewohnheit abgewichen, den Tieren eine Wache
beizustellen. Bestimmt hatte er mit Widerstand gerechnet und
alle seine Krieger mit in den Saloon genommen, um John
herauszupauken.

Ständig warf John Haggerty bewundernde Blicke auf seinen

indianischen Freund. Vor ihm war das Bild eines edlen
Menschen, der eine bronzene Hautfarbe besaß, langes
schwarzes Haar trug und seine majestätische Gestalt in weißes
Wildleder gekleidet hatte.

Cochise bemerkte den Blick und lächelte. Er kam John

entgegen und reichte ihm nach der Sitte der Weißen die Hand.

»Der Falke mag nicht fragen, was Cochise bewog, in die

Belange seines weißen Freundes einzugreifen. Es war die
Sorge.«

Wie warm das klang, wie freundlich und zuneigend. John

drückte die dargebotene Hand mit aller Inbrunst.

»Jefe, ich danke dir. Du hast mein Leben gerettet.«
Cochise schüttelte den Kopf.
»Der Falke ist zu klug, um sein Leben in einer solchen

Schnapsbude zu riskieren. Der Mann, den du suchst, ist dir
entkommen?«

John gab es zähneknirschend zu.
»Ich folge ihm, Cochise, und ich werde ihn stellen. Samuel

High führt mich zu diesem Bussy Blaki, so oder so. Wann und

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wo sehen wir uns wieder?«

Cochise schwang sich auf seinen Pinto, deutete zum Himmel,

zur Erde und antwortete:

»Beim vollen Mond in der Ebene von Dos Cabezas.«
John hob die Hand. »So long, Cochise!«
»Der gütige Große Geist möge dich beschützen, Falke!«
John Haggerty war allein.

*

Im Schein der dünnen Mondsichel ritt ein einzelner Reiter
durch die wüstenartige Schüssel vor der kleinen Stadt Sierra
Vista. Fort Huachuca lag in seinem Rücken, die Spur führte
weiter nach Süden.

John Haggerty hing seitlich im Sattel und ließ keinen Blick

von der Fährte eines beschlagenen Pferdes, das die Richtung
auf Sierra Vista beibehielt. Das Tier war am Ende seiner
Kräfte. John erkannte es an den breiten, verschwimmenden
Abdrücken im Sand und an den tiefer eingegrabenen
Vorderhufen. Das Pferd ging bereits stelzbeinig und zog die
Hinterbeine nach.

Lichter tauchten aus dem Wüstendunst auf, und trotz der

frühen Morgenstunde wurden sie mehr und mehr, je näher er
der Frontiertown kam.

Highs Spur würde in Sierra Vista enden. John war sich

absolut sicher. Und wenn er Glück hatte, konnte er zwei
Fliegen mit einer Klappe schlagen und auch Bussy Blaki
festnehmen.

Auf seinem Ritt hatte er festzustellen versucht, wie der große

Unbekannte aussehen könnte und in welchem Verhältnis er zu
Sam High stand. Es war ihm nicht gelungen.

Sein Dunkelbrauner griff wacker aus und zeigte nicht die

geringsten Ermüdungserscheinungen. Die Lichter kamen
schnell näher und manifestierten sich als improvisierte

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Straßenbeleuchtung. John staunte. Das gab es nicht einmal in
Phoenix oder Flagstaff.

Haggerty hielt es nicht für gut, hoch zu Roß um fünf Uhr

morgens in die fremde Stadt einzureiten. Er ritt zu einer
Baumgruppe, band sein Pferd an, gab ihm zu saufen und hing
ihm den Futterbeutel um.

Kurze Zeit später erreichte er die menschenleere Main Street.

Nicht einmal Gehsteige gab es in dem Schlammstreifen-Kaff.
Dafür trockneten Landesfrüchte unter jeder Traufe und unter
den Dächern der Veranden.

Von dem fremden Reiter und dessem Pferd sah er nichts. Er

suchte den Mietstall und brauchte nur dem strengen
Ammoniakgeruch nachzugehen, den alle Mietställe im Westen
verbreiteten.

Er fand ihn und öffnete die Seitentür. Dunkelheit empfing

ihn.

Ganz hinten im Boxengang brannte eine einsame Lampe.

Feuchte und glänzende Augen sahen ihn an. Die Tiere, fünf an
der Zahl, standen in den Boxen und sahen gepflegt aus. Highs
Pferd war nicht hier.

John verließ den Stall, überquerte die Straße und ging in das

Hotel. Auch hier im Empfang Stille und abgenutzter Glanz.
Niemand war zu sehen. Nun wurde das Ganze zu einem
Lotteriespiel.

Zu einem gefahrvollen Spiel ohne Limit.
Das Hotel grenzte an die Briscoe Street und an Hartmanns

Store. Vermutlich hatte High nicht vor, sich lange in der Stadt
aufzuhalten. Oder doch? Konnte der Bandit so kaltblütig und
kühn sein, sich mitten in diesem kleinen Grenznest zu
verstecken? John verwarf diese Möglichkeit, als er seine
Erinnerung an Outlaws kritisch prüfte. High war skrupellos,
aber ohne Phantasie. Er würde seine Geschäfte abwickeln und
wieder verschwinden.

Plötzlich huschte ein Mann vor ihm über die Straße. John

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stand noch im Eingang und sah ihn deutlich. Er verfolgte den
Huschenden mit seinen Augen. Zwischen dem Büro der
Overland Mail und dem Golden Nugget blieb der Mann stehen
und starrte in eine finstere Gasse. Als er darin verschwand,
setzte sich John Haggerty in Bewegung.

Als er die Gasse erreichte, trennten ihn nur noch hundert

Yards trübes Sternenlicht und zwanzig Sekunden von dem
Mann. High stand vor einer Tür und klopfte. John machte sich
klein und unsichtbar.

Die Tür ging auf. Es blieb dunkel in der Gasse und

geräuschlos, bis auf ein geheimnisvolles Wispern. Stand John
kurz vor seinem Ziel? War High nun bei diesem Bussy, dem
Mann mit dem seltsamen Namen?

Dieser Gedanke konnte einem Mann den Nerv rauben.
Die Häuser in dieser Gasse hatten viele Jahre nach der

Anwanderung zahlreicher Mexikaner leergestanden und nur
Mäuse, Ratten, Fledermäuse, Schlangen und Skorpione zur
Miete gehabt. Doch nun hatte eins dieser baufälligen
Bruchbuden aus Lehmziegel einen noch gefährlicheren
Quartiergast ++ oder Gäste ++, wenn Johns Vermutung zutraf.
Seine Unruhe wuchs mit jeder Sekunde der verstreichenden
Zeit.

Er mußte sich förmlich einen Ruck geben, um die Gasse zu

betreten. Unrat, Müll, wohin er trat. Es knirschte und knackte,
quiekte und pfiff. Ratten, wohin er auch schaute.

Als er sich dem Haus näherte, schoß die Erinnerung an

ähnliche Abenteuer schwarz und fürchterlich aus dem Dunkeln
auf ihn zu. Die Gefahr, die ihm drohte, spürte er fast
körperlich.

Er hielt einen Moment an, verspürte den Drang, aus der Stadt

zu flüchten und alles hinter sich zu lassen. Aber er gab dem
Drang nicht nach. Der Griff zum Revolver beruhigte ihn
wieder. Kühl und wie ein guter Freund spürte er den Druck des
Kolbens in seiner Handfläche.

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Sein Fuß pflügte Salbei und anderes Unkraut. Aber er stand

vor der Tür, legte sein Ohr an das dünne Bretterholz und
lauschte. Murmeln wie das sanfte Plätschern eines Baches,
einmal ein Husten und Räuspern, ein unterdrückter Fluch, ein
hämisches Gelächter.

Ein Stuhl wurde gerückt. Jemand lachte rücksichtslos und

schadenfroh. Das leise Knarren des Fensterladens in seinem
Rücken überhörte John Haggerty.

Er sah nicht die Hand, nicht den Knüppel, der sich nach ihm

ausstreckte. Er fühlte aber den dröhnenden Schlag und brach in
die Knie. Ein zweiter Hieb traf ihn mit furchtbarer Gewalt und
warf ihn den Kot der Straße.

*

Lichter hingen in der Dunkelheit wie Lampions. Die Lichter
waren Sterne.

Taumelnd kam John auf die Beine. Sein Gesicht, sein

Oberkörper, seine Kleidung war mit Blut beschmiert und
starrte vor Schmutz. Ächzend lehnte er sich mit dem Rücken
an die Wand. Kreise tanzten vor seinen Augen, und schließlich
übergab er sich.

Nach Minuten wurde er ruhiger. Sein Gehirn befaßte sich mit

der Frage, was mit ihm geschehen war. Sie hatten ihn aus dem
Fenster heraus niedergeschlagen und für tot gehalten. So, wie
er aussah, mußten sie das geglaubt haben.

John hob seine Hand und befühlte seinen Kopf. Eine

faustgroße Beule schmerzte wie Höllenbrand und war
aufgeplatzt. Blut sickerte über seine Kleidung.

John Haggerty war High auf den Leim gegangen, das konnte

nicht bestritten werden. Nach ein paar tiefen Atemzügen wurde
er ruhiger. Er überlegte schärfer.

Waren sie noch in dem Haus? Oder hatten sie es nur als Falle

für den Verfolger benutzt? Alles war möglich und denkbar. Die

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Nacht verabschiedete sich mit aufkommendem Wind, der
wenigstens die scheußlichen Ratten verjagte. Im Osten wurde
es hell.

Schwankend hielt sich John Haggerty an der Wand fest. Er

hörte das Rieseln des sich auflösenden Außenputzes und
vernahm ein Geräusch bei der Dachtraufe. Eine Katze auf der
Jagd.

Obwohl sich alles vor ihm drehte, überlegte John Haggerty

lange und gründlich, wie er gegen die Leute im Haus vorgehen
konnte. Als er die hilfreiche Stütze der Wand verließ, fiel er
erst einmal auf die Knie. Mühselig richtete er sich wieder auf
und streckte seinen Oberkörper.

Nun ging es auf einmal. Das Schwindelgefühl ließ nach und

wich einer beschwingten Leichtigkeit, die von der leichten
Gehirnerschütterung ausgelöst wurde. Er stand. Über Johns
blutiges Gesicht glitt ein grimmiges Lächeln.

Im Zeitlupentempo wandte er sich der Tür zu, legte sein Ohr

an die Bretter, vernahm nichts und nickte. Sie hatten ihn
geleimt und konnten nun schon meilenweit entfernt sein.

Und doch, etwas ließ ihn verharren. Ein Gedanke kam ihm so

schnell wie ein Blitz. Flüchtig fiel ihm ein, daß sich High gar
nicht in dem Haus aufgehalten haben mußte. Es konnte sein,
daß er zufällig an den Schlupfwinkel kleiner Desperados aus
diesem Landesteil geraten war.

Dann erinnerte er sich an den huschenden Schatten, der in

die Gasse eingedrungen war. Zeitlich paßte es zusammen, und
die Wahrscheinlichkeit, daß er es doch mit dem Banditen aus
Tombstone zu tun gehabt hatte, war riesengroß.

Er neigte den Kopf und lauschte wieder. Knistern, als würde

Stoff bewegt.

Spannungen im Holzwerk lösten sich mit Knacken und

reißendem Poltern.

Sonst war nichts zu hören. Nichts?
War da nicht der unterdrückte Atem eines Menschen gleich

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hinter der Tür? Knackten nicht Fußgelenke, als wenn ein
schweres Körpergewicht verlagert wurde?

John hielt den Atem an. Er vernahm nichts mehr, so sehr er

seine Sinne auch anstrengte. Sinnestäuschungen?
Halluzinationen aufgrund der Kopfverletzung?

Wut packte den einsamen Mann in der düsteren Gasse.

Namenlose Wut, die er mühsam zurückhielt, um sich nicht zu
verraten. Erneut verraten.

Das krachende Splittern des Türriegels, der aus dem

morschen Türholz brach, hallte in der verbrauchten Luft des
zweiräumigen Hauses wider wie ein Gewehrschuß. John, der
sich trotz seiner Schmerzen durch die eingetretene Tür warf,
jagte seine erste Kugel zu einer brennenden Lampe auf einem
Tisch mit drei Beinen. Das vierte hatte man durch eine Kiste
ersetzt.

Seine Geschicklichkeit im Schießen begünstigte ihn. Die

44er Kugel traf den Kerosinbehälter, löschte die Flamme durch
den Luftzug und ließ das Öl nach allen Seiten spritzen.

Dann, in die jäh aufsteigende Schwärze und das laute

Tropfen des leckenden Öls drang ein Laut, der John motivierte,
sich sofort hinzuwerfen. Mit dem Laut kam das Bild der
brennenden Lampe zu John zurück. Brennende Lampe!

Wo eine Lampe brannte, gab es Menschen; die sie entzündet

hatten. John hob den gespannten Colt, aber es gab kein Ziel.
Rasch gewöhnten sich seine Augen an die Finsternis, die an
seinen Nerven zerrte.

An der anderen Seite des mittelgroßen Raumes hing eine Tür

lose und verdreht in ihren Angeln. Der Spalt war groß genug,
einen Mann durchzulassen. John kroch hin, legte den Kopf auf
den angewinkelten Unterarm und lauschte.

Schnaufende Atemzüge in der blindmachenden Dunkelheit.

John ließ sich nicht täuschen. Er blieb liegen, den Colt im
Anschlag. Stöhnen. Es klang, als sei ein Tier am Verenden.

John überlegte. Er mußte ins Zimmer nebenan und die beiden

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Kerle überwältigen. Die absolute Finsternis störte ihn.
Trotzdem: wenn er sich durch die Tür fallen ließ und den
beiden Outlaws sein Spiel aufzwingen konnte, besaß er eine
relativ gute Chance.

Das Problem vor ihm hing nicht mehr von seiner

Entscheidung ab. Die waren erfolgt, und was nun geschah, war
abhängig davon, wie die anderen reagierten. Gelangte er zum
ersten Schuß, war er gerettet. Wenn nicht, nun dann …

Er wartete, zählte die verrinnenden Augenblicke und besaß

die Nervenkraft, still zu lauschen. Wieder ein Stöhnen.
Seltsam. Kein Mensch stöhnte ohne Grund, und schon gar
nicht, wenn er gesund und lebenstüchtig war.

John zischte: »Kommen Sie heraus, Samuel High!«
Eisige Stille, drohend und herausfordernd. Schließlich wieder

das beklemmende Ächzen. John Haggerty verließ die Geduld.
Wenn er dieses Spiel auf diese Art fortsetzte, lag er in einer
Woche noch in dem muffigen Raum.

Mit einem Satz war er auf den Beinen und stürmte vorwärts.

Die Tür krachte zurück und zersplitterte mit einem
kreischenden Bersten. Späne flogen.

Im Nebenraum ließ er sich sofort wieder fallen und wälzte

sich um seine Achse, um dem Gegner Zielen und Schießen zu
erschweren. Kein Schuß fiel. Kein Dröhnen von
Revolverdetonationen belastete sein Gehör.

John war es, als sei er in ein Grabgewölbe eingedrungen, so

still war es. Er wagte einen Blick nach oben, zur Seite, auf die
schäbige Bettstatt in der Ecke. Ein formloses Bündel hob sich
dort ab.

Lag dort ein Toter? John schüttelte die lähmende Kälte

dieses Gedankens ab. Er preßte die Zähne zusammen, um den
Atem anzuhalten. Schließlich schüttelte er den Kopf. Tote
stöhnten nicht mehr.

Seine Augen kreisten. Auf einer Holzkiste stand eine Kerze,

durch das tropfende Wachs wie angeleimt. Er kroch hin,

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richtete sich auf. Neben der Kerze lagen Zündhölzer. Er riß ein
Hölzchen an und entzündete die Kerze. Licht flutete flackernd
im Luftzug. Das Fenster stand offen und ließ den Morgenwind
herein.

Ängstliches Stöhnen. John wirbelte herum, eilte zu dem

schmutzigen Lager. Ein älter Mann lag dort, gefesselt und
geknebelt. Er zog sein Messer, kappte den Strick und riß dem
Mexikaner den stinkenden Knebel aus dem Mund.

Der Alte streckte sich erst einmal und schickte Blicke voller

Angst zu dem Amerikaner. Er zitterte. Sein zahnloser Mund
formulierte unartikulierte Laute.

John rüttelte ihn an der Schulter.
»Wer bist du, Hombre?«
»Pedro, Senor. Bitte, tun Sie mir nichts …«
John unterbrach ihn hastig: »Du bist allein?«
Der Peon deutete auf das Fenster und nickte.
»Wer hat dich gefesselt?«
»Ein Americano, Senor. Er kam herein, bedrohte mich mit

einem Revolver und ich mußte mich setzen. Auf seinen Befehl
mußte ich sprechen, lachen und immer wieder sprechen. Auf
einmal schlug er mich nieder. Mehr weiß ich nicht.«

»Nur ein Amerikaner?« fragte John ungläubig. Pedro nickte.
»Es müssen zwei gewesen sein«, sagte John drängend.

»Zwei!« Er hob zwei Finger und rüttelte den Greis wieder an
der Schulter. Pedro schüttelte den Kopf, hob einen Finger und
antwortete:

»Einer, Senor, ich schwöre es bei den Heiligen.«
John Haggerty stand bewegungslos wie eine Salzsäule. Im

ersten Augenblick glaubte er, Eis im Blut zu haben, so
geschockt war er. Samuel High hatte ihn geleimt und ihn von
seiner Fährte abgeschüttelt. Mit einem einfachen Trick hatte er
seinen Verfolger in dieser primitiven Hütte festgenagelt.

John hatte sich die ganze Zeit dem Trugschluß hingegeben,

High wisse nicht, daß er verfolgt wurde. High hatte es sehr

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wohl gewußt und gehandelt.

Hier war jedenfalls kein Bussy Blaki, nicht in diesem Haus

und zu keiner Zeit. High war entkommen, daran gab es keinen
Zweifel. Das geöffnete Fenster sagte genug.

»Steh auf, Alter«, sagte er. »Gehört dir dieses Haus?«
Pedro nickte und schickte einen ängstlichen Blick aus

dunklen Augen zu dem bewaffneten Mann. Ein Gedanke glitt
flüchtig durch Johns Gehirn und setzte sich fest.

»Wie sah der Mann, der dich so mißhandelte, aus? Kannst du

dich erinnern?«

Pedro beschrieb High so deutlich, als stünde er vor ihnen.

John gab sich endgültig geschlagen, aber er resignierte nicht.

»Es ist gut«, sagte er. »Du bist frei. Niemand tut dir was.

Adios, Hombre!«

»Adios, Senor.«

*

Strahlendes Himmelslicht flutete in die verwinkelten Gassen
von Sierra Vista und vertrieb die Ratten. Die elende
Frontiertown, gegründet in der spanischen Kolonialzeit,
erwachte und regte sich wie ein Bär nach dem Winterschlaf.

John Haggerty schlurfte müde und verstimmt durch die Calle

Royal und suchte nach einem Saloon, wo er ein ausgiebiges
Frühstück einnehmen konnte.

Während er so durch den Staub pilgerte, fühlte er sich

ständig beobachtet und höhnisch belächelt. Sicher, er war für
heute ein geschlagener Mann. Aber gab es nicht auch noch ein
Morgen? Ein Übermorgen?

Gab es nicht noch tausend Möglichkeiten, dem Gesetz zum

Sieg zu verhelfen? John nickte mit zusammengekniffenen
Augenwinkeln.

Ich habe es nie auf die billige Art gemacht, sagte er zu sich

selbst. Nicht mit Hurra- und Kriegsgeschrei. Auch Gefühle und

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Anstand zahlen sich letztlich aus.

Er grinste, erwärmte die letzten Worte mit einem neuen

Gedanken: Manchmal werden sogar Verbrecher sentimental.
Es geschehen immer wieder Zeichen von Wunder.

Ein Mexikaner kam ihm entgegen. Er trug Poncho und

Spitzhut, Leinenkleidung und Strohsandalen. John hielt ihn an.

»He, Amigo, ich suche ein Frühstück mit viel Kaffee in

einem ruhigen Lokal. Ist da was zu machen?«

Der Mann deutete auf ein flaches Haus mit einem

Verandavorbau und mächtig viel Zwiebeln und Knoblauch
unter der Traufe.

»Si, Senor, in der Cantina bekommen Sie, was Ihr Herz

begehrt.«

John bedankte sich und ging weiter. Noch in der Nacht hatte

er sein Pferd versorgt. Er konnte sich Zeit lassen und sich ein
anständiges Frühstück leisten, das seine Müdigkeit
hinunterspülte und den Schlaf aus seinen Knochen vertrieb.

Schwer und wuchtig betrat er die Veranda. Seine Schritte

dröhnten auf dem sandbedeckten Holz. Bei jedem
ausgreifenden Schritt klatschte das schwere Halfter gegen
seinen Schenkel.

Er betrat die Cantina und starrte in die kühle Dämmerung.

Als er sich setzte und bei dem herbeieilenden Cantiniero ein
Frühstück bestellte, verblaßten für John Haggerty die
Erlebnisse dieser Nacht.

Er streckte die langen Beine unter den Tisch und schloß

schläfrig die Augen. Dabei murmelte er.

»Morgen … Ja, morgen schnappe ich ihn mir.«

ENDE


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