Apache Cochise 27 Schrei Hass in den Wind, Rothaut

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Dan Roberts

Schrei Haß in den Wind,

Rothaut

Apache Cochise

Band Nr. 27

Version 1.0

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Prolog

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.

Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner

waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?

Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und

mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von

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vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,

Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.

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Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten

Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.

Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu

richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Aufzeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde.

Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen

und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch
makabren Hintergrund.

Ihr Martin Kelter Verlag

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***

Die Wächter glitten von ihren Posten. Einer der Krieger
huschte geschickt über ein zerrissenes Felsband, erreichte eine
Art Kanzel und legte beide Hände um den Mund.

Ein langgezogener Ruf klang über die Felsschroffen der

Dragoon Mountains. Aus dem Jacale des Schamanen drang das
scharfe Rasseln eines getrockneten Kürbisses, der mit Steinen
halb gefüllt war.

Tanzend wand sich der Medizinmann der Chiricahuas aus

seiner Hütte. Auf dem Kopf trug er ein Gestell, das mit Federn
der schnellen Vögel, gefärbten Holzperlen und dem Schwanz
des schnellen Hirsches geschmückt war. In weiten Kreisen
tanzte der Schamane einen Weg hinauf, der auf einer
vollkommen glatten Felsklippe endete. Oben verharrte der
Zauberer der Chiricahuas.

Respektvoll traten Geronimo, Victorio und Doppelwolf zur

Seite. Galt doch Adlerschwinge als einer der besten, fähigsten
Zauberer bei allen Völkern der Apachen. Die Krieger waren
fest davon überzeugt, daß er mit den Geistern sprach, daß er
seine Macht, Krankheiten zu heilen, die Siege und Niederlagen
vorauszusagen, den zahllosen übernatürlichen Wesen
verdankte, die er kannte.

»Es ist soweit«, sagte Cochise zu Naiche. »Der Wind kommt

auf.«

Der Blick des großen Jefe wirkte kalt und hart. Naiche fragte

sich, was sein Vater in diesem Moment wohl bedachte.
Überlegte er sich, daß Geronimos und Victorios Tod durch
einen Fehlsprung die meisten Probleme lösen würde?

Cochise hatte seine Macht eingesetzt. Er mußte die

Aufrührer bestrafen. Wollten sie nicht zwei Mondzeiten lang in
der San Carlos Reservation bleiben, hatten sie jetzt ihr Leben

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einzusetzen.

Der Sprung über die Klippe gelang nur den kräftigsten und

geschicktesten Kriegern. Es war ein Gesetz der Götter, daß
diese Mutprobe im Morgengrauen stattfand. Der Schamane
hatte sogar einst in rätselhaften Worten davon gesprochen, daß
Usen, die oberste Gottheit der Apachen, selbst diesen Befehl
vor undenklich langer Zeit gab.

Endlich erreichte der Medizinmann die Kante des

Steilhanges. Adlerschwinge warf ein Pulver in die Luft.
Unendlich langsam sank das feine Staubgemisch hinab. Reglos
verharrte der Schamane. Winzige, kaum wahrnehmbare
Handbewegungen ließen die Kürbisrassel wie leichten Wind
aufrauschen.

Und nun setzte er ein, der Wind, der jeden Morgen aus dem

Osten her über die Dragoon Mountains zog.

Adlerschwinge trat zur Seite. Es war nicht seine Aufgabe,

das Zeichen zu geben. Dies stand Cochise zu, dem obersten
Führer aller Apachenstämme. Der Jefe schritt gemessen hinauf.
Victorio starrte den mehr als sechs Fuß großen Häuptling der
Chiricahuas an. Die Augen des Mimbrenjos zeigten unverhüllt
blanken Haß.

Geronimo, der tapfere Krieger, der nach einer Machtposition

unter den Apachen strebte, lächelte spöttisch.

Cochise schien nichts davon wahrzunehmen. Er blickte auf

Doppelwolf. Unter diesem Namen kannten ihn die Krieger.
Vor mehr als zwanzig Jahren hatten die Mimbrenjos den
kleinen Jungen in Mexiko geraubt und als Sklave
mitgeschleppt. Lange Zeit diente Doppelwolf als Spielzeug für
die Grausamkeiten der Halbwüchsigen des Stammes.

Er wurde zäh wie ein Apache, vergaß, daß sein eigentlicher

Name Juan Antonio Lopez de Garcia war, vergaß alles was
noch in seinem Gedächtnis haftete und wurde zum Krieger.

Vor wenigen Tagen jedoch war das Blut der anderen Rasse

in Doppelwolf durchgebrochen. Der Kriegszug gegen das

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Goldgräberlager Pearce hatte mit einem Sieg und reicher Beute
geendet.

Die blonde Frau, die Doppelwolf in seine Hütte bringen

wollte, hatte ihn teilweise zurückverwandelt.

Fast jedem Apachen erschien diese Frau mit dem Goldhaar

als sehr häßlich. Doppelwolf jedoch wußte, daß er nicht ohne
sie leben wollte. Darum wagte er heute den Todessprung,
unterwarf er sich Cochises Urteil. Denn je länger der
hochgewachsene Krieger in der San Carlos Reservation
eingesperrt war, desto weiter entfernte sich die Frau mit dem
Goldhaar.

»Es ist soweit«, rief Cochise mit weithin hallender Stimme.

»Wer den Sprung wagen will, möge vortreten. Ihr kennt mein
Urteil, Mimbrenjos. Und ihr kennt das Gesetz der Stämme.«

Victorio vermochte nicht, sich länger zu beherrschen. Der

Jefe der Mimbrenjos warf beide Arme hoch, der Sonne
entgegen, die blutrot im Osten über die Berge leuchtete.

»Hört mich an, ihr Götter der Apachen«, schrie der

Häuptling. »Wenn ein Mann die Stämme verraten hat, so war
dies Cochise. Er duldet die Bleichgesichter in unserem Land.
Nicht nur das, er schließt sogar einen Pakt mit ihnen, läßt sie
ihrer Wege ziehen. Und diese Wege nehmen den Apachen
alles, das Wasser, das karge Land und die Freiheit. Cochise ist
der wahre Schuldige, nicht wir, die Mimbrenjos. Wir wollen
unser Land behalten. Wir sind noch immer Krieger der Wüste
und keine Weiber wie Cochise und seine Chiricahuas.«

Die Rassel des Medizinmannes zischte so laut und scharf,

daß die Worte des Häuptlings übertönt wurden. Die
Chiricahuas, die in atemloser Spannung den Todessprung der
drei tapferen Krieger erwarteten, nahmen Victorios Hochreißen
der Arme als Gebet an die Sonne, die Spenderin allen Lebens
und brachen in laute Beifallsrufe aus.

Der Chief der Mimbrenjos hörte das zustimmende Geschrei

und blickte triumphierend den großen Cochise an. Als der

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Mimbrenjo das Lächeln des Chiricahuas sah, zuckte er
zusammen. Es wirkte verächtlich, ja, höhnisch. Unsicher
blickte Victorio zu Geronimo, zu Doppelwolf. Doch der
Krieger stand stumpf und starren Blickes am Abgrund und
stemmte sich dem Wind entgegen, der die Wagemutigen in den
Abgrund wehen sollte.

Als der Chief der Mimbrenjos das leise Lachen des

Medizinmannes hörte, preßte er die Lippen zusammen.
Abermals war er überlistet und gedemütigt worden. Aber
Cochise würde noch erfahren, wohin seine Politik der
Nachgiebigkeit, der Sanftmut führen würde. Hatte Victorio erst
den Todessprung vollbracht, so würde er sich aus der
Reservation andere Krieger holen. Hunderte warteten dort auf
seinen Ruf, warteten darauf, mit Apachenlist die
bleichgesichtigen Eindringlinge zu vertreiben und Beute und
Skalps zu erringen.

»Spring jetzt, Häuptling«, befahl Cochise gelassen. »Was

später aus deinen großen Worten wird, hast du zu
verantworten.«

Victorio maß die Entfernung mit den Augen ab, schätzte den

Wind und verspürte plötzlich nagenden Zweifel in sich.

Stärker und stärker stemmte sich der Sturm gegen den

Indianer, hinderte ihn am Absprung, am Anlauf, der so weit
und lang sein durfte, wie der Prüfling es für nötig befand.

Victorio trat ein halbes Dutzend Schritte zurück. Er duckte

sich. Sein Oberkörper pendelte über dem Felsboden, und die
Hände berührten fast den Fels, als sich der Mimbrenjo-
Häuptling konzentrierte.

Und dann rannte er los, wechselte nach drei Schritten die

Geschwindigkeit und stieß sich mit aller Kraft von der Kante
des Abgrundes ab.

Mit vorgestreckten Armen flog der Jefe über die tiefe

Schlucht. Sicher landete er auf der anderen Seite auf beiden
Füßen und unterdrückte mühsam seinen Triumphschrei. Nicht

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einmal die Arme riß er hoch. Er drehte sich langsam um,
blickte zurück und vollführte eine verächtliche Handbewegung.

Gelassen schritt Victorio über den Felsensteig davon. Drei

Dutzend Pferdelängen entfernt überbrückte ein schmales
Felsband die Schlucht. Mit sicheren Schritten betrat der Chief
der Mimbrenjos diesen Übergang und marschierte zurück zu
Cochise.

Geronimo nahm Anlauf, stieß sich ab, und in genau diesem

Moment verstärkte sich die Wucht des Morgenwindes,
stemmte sich dem Krieger entgegen, der für eine Sekunde
reglos in der Luft zu hängen schien.

Langsam flog er weiter. Mit ausgestreckten Armen erreichte

er die jenseitige Kante, krallte die Finger in das mürbe Gestein,
das unter dem harten Griff nachgab, abbröckelte, und gewann
nur mit seiner Körperkraft festen Grund, indem er sich
hochschwang.

Der Krieger hatte die gleiche Leistung vollbracht, die

schwere Prüfung bestanden – genau wie sein Häuptling.

Schaudernd wandten sich die übrigen gefangenen Kämpfer

der Mimbrenjos ab. Sie würden Usen nicht derart
herausfordern. Hatte sich nicht bereits jetzt gezeigt, daß er den
Versuchen der Mimbrenjos ungnädig gegenüberstand?

Lediglich Doppelwolf blieb unbeeindruckt. Er hatte

festgestellt, daß der Wind sich in bestimmten Abständen
verstärkte und wieder abflaute.

Es galt also, diese Pause abzuwarten und schnell zu handeln.

Doppelwolf hörte die Hohnschreie der Chiricahuas gar nicht.
Er nahm das erregte Gemurmel seiner Freunde überhaupt nicht
wahr, die an seinem Mut zweifelten und laut darüber sprachen,
daß er kein Krieger sei. Daß er sich nur mit Worten mutig
gezeigt habe und nun die Prüfung verweigerte.

Sie kannten Doppelwolf alle nicht. In ihm brannte das Bild

der goldhaarigen Frau, die ihm schöner als ein Hirsch in den
Bergen erschien.

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Jetzt!
Der Wind flaute ab. Doppelwolf lief los, verlängerte seine

Schritte, denn seine Körpermaße waren anders als die der
meisten Apachen. Er stieß sich ab, wußte schon während des
Fluges, daß er es schaffte und landete sicher auf beiden Füßen,
landete weitaus eleganter als Victorio.

Sekundenlang blieb es still. Doch dann stieg

unbeschreiblicher Jubel über die Draggon Mountains auf. Und
wären Goldsucher oder Scouts der Weißen in der Nähe
gewesen, so hätten sie sich bestimmt bekreuzigt und die Flucht
ergriffen, wäre dieses Gebrüll bis zu ihnen gedrungen.

Cochise hob die Linke. Die Krieger wurden still.
»Ihr seid frei, vom Urteil befreit«, sagte der große Häuptling

klar und deutlich. »Mißachtet nicht weiterhin Cochises Worte,
noch bin ich der Chief aller Stämme. Wenn das Blut eurer
Krieger zu heiß aufwallt, so zieht zu den Gelbhäutigen, ins
Land der Eisenmänner. Dort sollt ihr rauben, Skalps nehmen
und Beute machen, nicht in unserer Heimat. Ihr haßt die
Weißen, gut. Ich liebe sie nicht. Wir alle lernten ihre Macht
kennen. Wenn wir Apachen überleben wollen, wenn es in
hundert oder mehr Sommern noch Männer unserer Stämme
geben soll, müssen wir Frieden halten. Dies sage ich euch, und
dies ist meine Vision, die ich von den Göttern erhielt.«

Doppelwolf drängte sich an Victorio vorbei. Der Chief der

Mimbrenjos fuhr wild herum. Seine dunklen Augen glommen
unheilvoll, als er den großen Krieger anblickte, aber
Doppelwolf nahm diesen Ausdruck der Häuptlingsaugen gar
nicht wahr. Er sah in weite Ferne, sah das Gesicht und das
goldene Haar Myriams vor sich, jener Frau, die sein war, die er
in sein Jacale führen wollte.

Und Victorio wußte, daß sein Stamm einen Krieger verloren

hatte. Denn Doppelwolf war nicht länger ein Mimbrenjo. Das
Blut der Gelbhäutigen, die Rasse seiner Ahnen, hatte das
weggewischt, was einen Apachen ausmachte.

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Geronimo spürte das nicht. Er sah noch immer in dem

hochgewachsenen Krieger sein Werkzeug. Denn Doppelwolf
war ein Rebell – genau wie Geronimo.

*

Wyatt Earp starrte mißmutig seine Karten an. Das Blatt taugte
nicht mal, auch nur einen lausigen Cent zu gewinnen.
Trotzdem hielt der junge Abenteurer mit. An winzigen
Anzeichen hatte er bemerkt, daß sein Bruder Virgil unbedingt
weitermachen wollte. Er schien gute Karten zu besitzen, so
gute, daß er jede Summe in den Topf warf, die gefordert
wurde.

Zwei schmutzige, bärtige Prospektoren saßen als Gegner am

Spieltisch. Ihre zerlumpte Kleidung würde in jeder Stadt
östlich des Mississippi sofort den Stadtpolizisten auf den Plan
rufen. Hier jedoch kümmerte sich niemand um das Aussehen
eines Menschen. Die Hauptsache war, daß er Gold, Silber oder
Dollars besaß.

Und für Dollars bekam jeder in Tombstone alles. Die

Boomtown kochte beinahe über. Hier rollte das Geld von einer
Tasche in die andere.

Leichte Girls, Kartenhaie und Geschäftemacher in weißen

Kragen lauerten auf die glücklichen Digger, um ihnen alles
abzunehmen, was die Goldsucher besaßen.

Endlich verlangte Virgil zu sehen. Er atmete scharf und

hörbar, als einer der Zerlumpten einen Straight Flush bis zur
Dame auflegte. Und dieses Blatt besaß die höchste Farbe des
amerikanischen Pokers: Pik.

»Na, Mr. Kartentrickser«, sagte der Digger grinsend. »Pech

für dich, was! Du kannst eben nicht immer Glück haben.«

Der Goldsucher fegte mit den Händen den Dollarhaufen

zusammen, wollte das Geld zu sich heranziehen, als Virgil in
seiner trägen Art erwiderte: »Moment, Mann, ich möchte auch

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aufdecken.«

»Nur zu!« rief der Digger lachend, »wenn du dich blamieren

willst!«

»Nicht blamieren, sieh her«, antwortete Virgil Earp und legte

eine Acht nach der nächsten auf den Tisch. Die fünfte, wertlose
Karte war ein As. Es zählte nicht bei diesem Vierständer, der
höher als jeder Flush war.

»Allmählich glaube ich daran, daß jeder Spieler mit dem

Teufel im Bunde steht«, sagte der Digger und verzog das
Gesicht. »Aus für mich, Leute. Ich muß mich auf den Weg
machen.«

Die beiden Goldsucher verließen den Tisch. Virgil nickte

seinem Bruder Wyatt zu und teilte den kleinen Dollarberg in
zwei Hälften.

»Na endlich«, sagte Wyatt aufatmend und strich sich über

den braunen Schnurrbart. »Der Knoten ist geplatzt, Bruder.
Pokern wir weiter?«

Virgil schüttelte den Kopf und sagte: »Lieber nicht. Die

Kerle hier sehen uns schon wieder schief an. Überlegen wir,
wohin wir fahren. Tombstone ist zu heiß und zu eng für uns
geworden.«

Wyatt fluchte leise auf diese verdammten Narren, die hier

ihre Dollars ausgaben. Sicher, die Earps hatten oft Glück im
Spiel, vielleicht zu oft. Aber war es bei den anderen
Kartenhaien nicht auch so?

»Warum stellen sich die Menschen hier denn nicht gegen

Charley Recanzone, Dick Clark oder Bones Brannon? Jeder
weiß, daß sie die ganz großen Trickser sind, aber uns sehen sie
schief an.«

Virgil grinste und erwiderte: »Die sind ganz oben, Bruder.

Darum wagt sich keiner mehr an sie heran. Uns wollen sie gar
nicht erst groß werden lassen. So sieht das aus. Was hast du
jetzt vor?«

Wyatt lächelte und antwortete: »Ich besuche Myriam.

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Vielleicht braucht sie Hilfe.«

Virgil grinste stärker und zwinkerte seinem Bruder zu. Der

ältere Earp vermochte sich gut vorzustellen, woraus Wyatts
Hilfe bestand. Die Blonde hatte ihn beeindruckt, war genau die
Frau, auf die Wyatt gewartet hatte. Und sie schien nicht
abgeneigt, mit dem schlanken jungen Revolvermann und
Spieler etwas anzufangen.

Nach ihrem Erlebnis bei den Apachen genoß sie die

Aufmerksamkeit des Weißen doppelt. Tombstone war größer
als Pearce, größer und wilder. Hier pulsierte das Leben noch
schneller als in dem Diggercamp, das von den Apachen dem
Erdboden gleich gemacht worden war.

»Viel Spaß«, wünschte Virgil seinem Bruder Wyatt.
Der jüngere Earp stiefelte davon. Er ging zum Alhambra

Saloon des Dick Clark. Dort wollte Myriam versuchen, einen
Spieltisch zu mieten. Als Frau würde sie bestimmt eine
Herausforderung für die Goldgräber sein. Denn jeder Mann im
Westen war felsenfest davon überzeugt, daß er besser pokern
konnte als eine Frau.

Und gerade diese Einstellung brachte das große Geld den

wenigen Frauen, die sich mit Glücksspiel ihre Dollars
verdienten.

Wyatt betrat den Saloon und sah zur Bar hinüber. Charley

Recanzone schwenkte den Mixbecher und hatte ein strahlendes
Lächeln für Earp. Mehr als ein Dutzend Männer drehten sich
um. Ihre Gesichter überschatteten sich, als sie Wyatt Earp
erkannten. Doch dann dachten die Burschen an dieses Lächeln
des Barkeepers und Spielers und wurden vorsichtig.

Der elegante Charley schien den jungen Earp zu mögen.
Wyatt marschierte zielstrebig zu dem Tisch hin, der von

Männern förmlich umlagert wurde.

»Und noch zwanzig«, sagte eine Frau laut. »Wer hält mit,

Gentlemen?«

Wyatt verzog etwas das Gesicht, denn Gentlemen waren es

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wirklich nicht, die den Pokertisch umlagerten. Eher sahen die
Burschen wie Landstreicher aus. Aber sie hatten die Taschen
voller Gold. Nur das zählte in Tombstone. Wer Geld oder Gold
besaß war King, durfte sich alles erlauben, alles kaufen,
wonach ihm der Sinn stand.

Myriam blätterte lächelnd ihre Karten auf den Tisch, als

einer der Mitspieler sehen wollte. Die schöne blonde Frau
gewann mit einem Royal Flush in Karo den gesamten Topf,
den Wyatt auf mindestens dreihundert Bucks schätzte.

Sie hatte Erfolg, verdammt noch mal.
»Eine Pause, meine Herren«, bat Myriam. »Den Rest Ihres

Geldes dürfen Sie heute abend bei mir abliefern.«

Die Spieler und Zuschauer lachten dröhnend. Noch immer

dachten sie, dieser Frau überlegen zu sein. Und wenn Myriam
es geschickt anstellte, würde sie ein paar hohe Spiele verlieren,
nachdem sie wieder mit den Karten angefangen hatte. Doch das
wußte sie sicher selbst.

Die schöne Frau lächelte Wyatt an und sagte: »Ich freue

mich, daß du gekommen bist. Gehen wir essen? Lädst du mich
ein?«

Geschmeichelt grinste der junge Earp, und dieses Grinsen

fiel etwas töricht aus. Er bot Myriam den Arm. Die meisten
Gäste des Alhambra sahen den beiden nach, als sie Dick Clarks
Saloon verließen.

Clark selbst setzte ein gütiges Lächeln auf, als er die jungen

Menschen davongehen sah. Er konnte sich das leisten, denn
Myriam hatte ihm allein heute mehr als hundert Dollar
eingebracht.

Wyatt Earp protzte nicht, aber er führte die blonde Myriam

in ein gutes Speisehaus auf der anständigen, der guten Seite der
Allan Street, südlich dieser Grenze, die quer durch die
Boomtown verlief.

Tombstone besaß sogar ein Opernhaus. Anstandshalber

machte Wyatt seiner neuen Freundin den Vorschlag, am

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Nachmittag die Oper zu besuchen. Er atmete auf, als Myriam
ablehnte und sagte: »Wir mieten uns einen Wagen und fahren
ein kleines Stück, ja? Ich möchte dir etwas zeigen, Wyatt.«

Natürlich war er neugierig und willigte ein. Diese Neugierde

hatte nichts mit wilden Vorstellungen oder Träumen zu
schaffen, denn Myriam und er waren sich bereits vor zwei
Tagen so nahe gekommen, wie es nur Mann und Frau
vermögen.

Nach dem Essen, als sie endlich den Blicken der sogenannten

anständigen Bürger entkommen waren, führte der junge Earp
seine Schönheit zum Mietstall und besorgte dort einen
Whitechapel Cart, einen Einspänner mit Klappverdeck, das die
beiden Insassen vor der Sonne schützte.

Das lammfromme Deichselpferd gehorchte jedem Ruck des

Zügels. Myriam lehnte sich an Wyatt, der das Tier im Schritt
über die Main Street Tombstones marschieren ließ.

Mehr als ein Prospektor, mehr als ein »ordentlicher Bürger«

sah den beiden nach, als sie in Richtung Osten fuhren.

»Girly, bald beginnt das freie Land«, sagte Wyatt. »Ich habe

nur meinen Colt bei mir. Es ist zu gefährlich, weit
hinauszufahren, ohne ein Gewehr mitzunehmen. Das weißt du
doch. Was hast du vor?«

Myriam lächelte und erwiderte: »Wir sind gleich da. Siehst

du das Haus dort vorn?«

Wyatt sah es. Das Gebäude wirkte massiv und war aus

dicken Stämmen in der Art einer Blockhütte errichtet. Es sah
aus, als würde selbst ein Angriff einer Apachenhorde dieses
Haus nicht zum Einsturz bringen.

»Das ist jetzt mein Haus«, sagte Myriam leise. »Immer habe

ich mir ein eigenes Heim gewünscht. Hier in Tombstone ging
mein Wunsch in Erfüllung, Wyatt.«

Sie sah zur Seite, sah die zusammengezogenen Brauen und

fuhr leise fort: »Du bist jederzeit willkommen bei mir, mein
Lieber.«

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Earp lächelte. Das gefiel ihm schon besser. Natürlich störte

ihn, daß Myriam innerhalb von zwei Tagen anerkannt worden
war, daß sie am Pokertisch sitzen und Dollars machen konnte,
während die Earps schief angesehen wurden.

Aber diese Einladung versöhnte Wyatt mit allem.
Er half Myriam aus dem Wagen und führte sie zur Tür.

Umständlich kramte die schöne Frau einen großen Schlüssel
aus ihrer Tasche und sperrte auf.

Nach wenigen Minuten waren die Läden geöffnet.

Sonnenlicht fiel auf die schäbige Einrichtung. Myriam
vollführte eine großartige Handbewegung, die alles einschloß
und sagte: »Das Zeug schmeiße ich weg. Ich habe schon neue
Möbel bestellt. Sie werden morgen geliefert. Das Geld dafür
muß ich heute abend am Kartentisch gewinnen.«

Wyatt trat an das breite Bett, das aus massiven Brettern

erbaut war, und stemmte prüfend die Fäuste auf den Strohsack.

Lächelnd kam Myriam näher. Sie ließ ihre Tasche einfach

fallen, schloß nicht einmal die Tür ab, sondern legte Wyatt
beide Arme um den Hals.

Sie küßten sich heiß, mit einer Art Hunger, die das gesamte

Leben in diesem Land, in dieser Zeit kennzeichnete. Denn es
ging wahrhaftig nur um schnelles, gutes und reiches Leben. Es
mußte gehaltvoll und abwechslungsreich sein, viel bieten und
nicht zu viel fordern.

Wyatt Earp fingerte an den Bändern und Knöpfen ihres

Kleides, öffnete den Stoff und glitt mit den Fingerspitzen
zärtlich über die nackte Haut. Als er die festen Brüste Myriams
spürte, stöhnte sie leicht. Sekunden später sanken sie auf das
breite Bett.

*

Cochise wirkte wie ein Standbild. Sein Gesicht war unbewegt.
Selbst die schwarzen Augen zeigten keinen Ausdruck. Der

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große Chief nahm jedoch alles wahr, was um ihn herum
vorging.

So bemerkte er die achtungsvollen Blicke der Mimbrenjos,

als sie Geronimo ansahen, sah den Respekt, mit dem die
Krieger ihren Häuptling Victorio behandelten. Denn diese
beiden Männer hatten den Todessprung gewagt, waren frei
vom Urteil des Chiricahua-Häuptlings.

Doppelwolf betrachteten die Mimbrenjos mit scheuen

Blicken. Von dem hochgewachsenen Krieger ging etwas aus,
das Cochise zur Vorsicht mahnte. Der hünenhafte ehemalige
Sklave war nicht länger ein Apache, gehörte nicht mehr dem
Stamm der Mimbrenjos an.

Er verfügte über alle Fertigkeiten und Listen der

Wüstenkrieger. Doppelwolf war gefährlich wie eine Giftnatter.
Vor allem deshalb, weil nun sein Blut, das Blut der anderen
Rasse, in ihm erwacht war.

Die Mimbrenjos brachen auf. Sie straften die Chiricahuas mit

Verachtung. Waren diese doch nach Meinung von Victorios
Kriegern zu Weibern geworden, die duldeten, daß die Weißen
ungehindert in den heißen Südwesten eindringen durften.

Die Rasseln des Medizinmannes rauschten nur noch leise

auf. Die Prüfung war vorbei.

Cochise trat vor, versperrte den Mimbrenjos den Weg.

Feindselig sahen sie den hochgewachsenen Jefe an. Er stand
zwischen ihnen und dem freien Leben, den zügellosen
Raubzügen und der Beute.

»Ihr alle kennt mein Urteil«, sagte Cochise hart. »Meine

Krieger kennen euch. Und ich sage es noch einmal: jeder
Apache muß euch töten, trifft er euch in den nächsten beiden
Mondzeiten außerhalb der San Carlos Reservation an. Reitet
jetzt. Usen möge euch alle beschützen, er soll euren Geist
erleuchten, auf daß ihr erkennt, welcher Weg der richtige ist.
Denn wir vermögen die Bleichgesichter nicht zu bezwingen.
Wir töten hundert, und tausend folgen ihnen. Wir töten diese

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tausend, und zehn mal tausend drängen in unser Land. Sollen
sie doch das wertlose, weiche Sonnenmetall nehmen. Sollen sie
doch das Gestein aus dem Boden holen, das wie Mondlicht
schimmert. Uns nutzt es nichts, und das wißt ihr alle. Sind
diese Dinge endlich dem Leib der Erde entrissen, gehen die
Bleichgesichter, da sie die harte Arbeit scheuen.«

Victorio lachte auf und rief: »Natürlich gehen sie, wenn das

Sonnen- und Mondmetall zu Ende ist. Aber die eigentlichen
Feinde unserer Stämme bleiben. Es sind diejenigen, die gute
Wasserstellen besetzen, Vieh ins Land bringen und den Boden
mit ihren Eisenhaken aufreißen, um Körner hineinzulegen. Das
sind die Menschen, die sich mit Zähnen und Klauen
verteidigen, die hier in unserem Land eine Heimat finden
wollen. Das vergißt du, Cochise, großer Häuptling.«

Naiche trat einen kurzen Schritt vor. Der Sohn des Chiefs

umklammerte den Griff des erbeuteten Messers.

»Nein, Sohn«, sagte Cochise leise. »Dies ist eine Handlung,

die das Recht aller Stämme angeht. Das Gesetz dürfen wir
nicht brechen.«

Und der große Jefe fuhr laut fort: »Victorio, du haßt die

Weißen, gut. Ich liebe sie nicht, aber ich weiß, daß wir im
Kampf gegen sie nicht bestehen werden, niemals. Ich will, daß
in hundert und zweihundert Sommern noch immer Apachen in
diesem Land leben. Du willst, daß kein Apache in dieser Zeit
mehr lebt, daß unsere Rasse zu einer Legende wurde. Und das
darf nicht sein, Mimbrenjo. Reitet jetzt. Denkt an mein Wort,
das Frieden heißt. Vergeßt das alte Gesetz nicht.«

Doppelwolf kümmerte sich nicht um diese Sätze, die doch

die meisten Krieger wenigstens jetzt beeindruckten. Sobald
Cochise weit entfernt war, sobald die Mimbrenjos nur noch die
wilden Worte ihres Häuptlings Victorio hörten, sehnten sich
abermals nach Kampf und Beute.

»Doppelwolf, wir reiten«, mahnte Geronimo.
Der Krieger saß auf, packte die Graszügel und hieb dem

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Pinto die Absätze in die Flanken. Dicht hinter Doppelwolf ritt
Geronimo. Er dachte immer noch darüber nach, wie er die
Verrücktheit des jungen Kämpfers ausnutzen konnte.

Endlich, einige Meilen lag die Apacheria der Chiricahuas

bereits zurück, kam dem machthungrigen Geronimo der
richtige Einfall. Er leitete seinen Mustang dicht neben den
Pinto und sagte halblaut: »Du bist neben Victorio und mir der
einzige, Doppelwolf, der die Prüfung bestand. Ich habe eine
Aufgabe für dich, Krieger. Du wirst berühmt sein unter den
Apachen aller Stämme. Sie werden deinen Namen an den
Lagerfeuern mit Bewunderung aussprechen, wenn die Tat
gelingt.«

Geronimo sah sich um, vergewisserte sich, daß niemand so

nahe ritt, daß er die Worte verstehen würde.

»Hör zu, Doppelwolf«, fuhr der ehrgeizige Krieger fort, »du

mußt die Sprache der Weißen lernen, besser beherrschen. Es
dauert nur wenige Tage, glaube mir. Und dann läßt du dich bei
den Pferdesoldaten als Späher anwerben. Wir jagen dich,
verfolgen dich und dein müdes Pony. Es sieht so aus, als
wollten wir dich töten. Kurz vor Fort Buchanan geben wir auf.
Du hetzt weiter und zeigst so, daß du ausgestoßen bist.«

Doppelwolf bewegte keinen Muskel seines Gesichtes. Der

Blick des großgewachsenen Kriegers war nach Südwesten
gerichtet. Dort lag Tombstone. Dort lebte die blonde Frau, die
seine, Doppelwolfs, Beute war.

»Du führst die Patrouillen in die Falle, hörst du?« raunte

Geronimo. »Wir machen die Hälfte der Pferdesoldaten nieder,
ehe wir aufgeben und davonreiten. Alle Krieger können
kämpfen. Wir schlagen zu wie die Schlange, pfeilschnell und
verschwinden in der Halbwüste.«

Erwartungsvoll blickte Geronimo den über sechs Fuß großen

Doppelwolf an. Nichts in seinem Blick, in seinem Gesicht
verriet, daß er überhaupt verstanden oder zugehört hatte.

»Begreifst du?« fragte Geronimo. »Du führst die

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Pferdesoldaten in die Falle, die wir vorher für sie aufgestellt
haben.«

»Nein«, sagte Doppelwolf hart.
Weiter nichts, nur dieses harte Nein, das Geronimos

Bemühungen sofort zunichte machte.

Verständnislos sah der ehrgeizige Krieger den ehemaligen

Sklaven an und fragte: »Du bist ein Mimbrenjo, Doppelwolf.
Du gehorchst, wenn dir dein Jefe einen Befehl gibt. Spürst du
denn nicht dein Blut schneller rauschen, wenn du an die
Kämpfe und Skalps denkst?«

»Ich weiß, daß ich kein Mimbrenjo bin«, erwiderte der

Krieger. »Ihr habt mich als Kind mitgenommen, aus dem
Süden, dem Land der Gelbhäutigen. Lange Zeit lebte ich als
Sklave. Mehr als einmal wäre ich beinahe gestorben.«

»Aber du lebst!« rief Geronimo mit einem Ton von

Bewunderung in der Stimme. »Du bist so hart und zäh
geworden, wie jeder Apache. Du bist ein Apache, Doppelwolf.
Vergiß nicht, wie du zu deinem Namen kamst. Du warst gerade
in den Stamm aufgenommen worden, als der Winter über uns
hereinbrach. Wölfe fielen in unsere Apacheria ein. Sie waren
ausgehungert, voller Blutdurst und Hunger. Und du brachtest
zwei Wölfe um, indem du sie am Nackenfell packtest und sie
mit den Schädeln gegenseitig zerschlugst! Du bist ein großer
Kämpfer!«

Der große Krieger lächelte kalt. Er hob die Linke, deutete

nach Südwesten und sagte gelassen: »Ich werde töten,
Geronimo. Ich schlage die Bleichgesichter mit ihren Köpfen
zusammen wie damals die Wölfe, wenn sie mich daran
hindern, meine Beute zu holen.«

Geronimo spürte Wut in sich aufsteigen. Sein schöner Plan

war ohne Doppelwolf nichts wert. Denn kein Blaurock würde
einem Apachenkrieger die Flucht vor den eigenen
Stammesgenossen glauben. Die Späher der Blaßhäutigen, allen
voran dieser Haggerty, kannten die Sitten der Stämme. Sie

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wußten, daß ein Apachenkrieger sich lieber in die Halbwüste
zurückzog und dort sein Leben fristete, als zu den verhaßten
Eindringlingen zu laufen.

Doppelwolf war jedoch kein Apache. Er war Beute, und das

würden die Pferdesoldaten erkennen und glauben, daß der
Mann Schutz suchte, daß er dankbar war und sich als Späher
anbot, weil er die Schliche seiner ehemaligen Gefährten genau
kannte.

»Vergiß die Ehre nicht, Krieger«, murmelte Geronimo. »Du

wirst bald so bekannt sein wie Victorio oder Cochise.
Vielleicht werde ich eines Tages der Führer der Mimbrenjos.
Dich mache ich zu meinem Unterhäuptling, wenn unser Plan
gelingt.«

»Ich bin kein Krieger der Mimbrenjos«, sagte Doppelwolf

daher. »Ich reite dorthin, wo es mir gefällt. Ich kämpfe, wann
es mir gefällt. Und jetzt hole ich mir die Beute, die mir Cochise
abjagte.«

Geronimo holte Luft und erwiderte scharf: »Dann stoßen wir

dich aus dem Stamm aus.«

Lächelnd sagte der Krieger: »Dann will ich von diesem

Stand der Sonne an kein Mimbrenjo mehr sein.«

Er riß am Zügel. Der Pintohengst schwenkte herum und fiel

in Galopp. Sand stob unter den unbeschlagenen Hufen hoch,
als das Tier auf Tombstone zujagte.

Geronimos Gesicht blieb unbewegt. Innerlich verwünschte er

den sturen Kerl. Er war wirklich kein Mimbrenjo. Denn jeder
Apache hätte für eine solche Chance sein Leben gegeben.

*

Doppelwolf wurde schmerzlich bewußt, daß er allein war. Er
wußte, seine Gedanken liefen anders als die der
Stammesgefährten. Die Apachen fühlten sich in kleinen
Sippen, lockeren Familienclans wohl. Nur zu den großen

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Kriegszügen, die unsterblichen Ruhm brachten, schlossen sie
sich in den Stämmen zusammen.

Doppelwolf, der in Wahrheit ja Juan Antonio Lopez de

Garcia hieß, spürte das fremde Blut in sich schneller pulsieren.
Nein, er war kein Mimbrenjo, kein Apache mehr. Aber er
gehörte auch nicht zu den Gelbhäutigen, die im Süden
wohnten.

Der junge, hochgewachsene Krieger legte die Rechte auf sein

Herz und schrak zusammen. Die Rechte war die unreine Hand,
das Werkzeug des Tötens. Düster dachte Doppelwolf darüber
nach, daß er ein Mann zweier Eltern war.

Stunde um Stunde trabte der Pintohengst durch die

Halbwüste. Heiß stach die Sonne herab, brachte den Sand
förmlich zum Glühen.

Weder Doppelwolf noch sein Pony schienen die Sonnenglut

zu bemerken. Pferd und Reiter gehörten zu den Apachen,
besaßen alle Fertigkeiten der roten Kämpfer und vermochten
lange Zeit ohne Wasser auszukommen.

Doppelwolf zügelte seinen Mustang auf dem Kamm einer

Sanddüne und spähte in die Ebene hinab. Weiter hinten
türmten sich gewaltige Felsen auf. Dort brachen die Weißen
das Erz, das wie kaltes Mondlicht schimmerte. Und vor diesen
Bergen standen Häuser und Zelte, lag Tombstone, die wildeste
Ansiedlung im Südwesten.

Aufmerksam musterte Doppelwolf die Stadt, prägte sich jede

Einzelheit ein. Wurde er gejagt, vermochten ihm diese Dinge
das Leben zu retten. Endlich blickte der Reiter zu einem
Blockhaus, das außerhalb der Stadt stand. Ein Wagenpferd
stand zwischen den Stangen einer kleinen Kutsche und ließ den
Kopf hängen.

Doppelwolf lächelte, als ihm ein verwegener Gedanke durch

den Kopf zog.

Ja, dieses Haus würde sein Jacale werden. Von dort aus

machte er sich auf die Suche nach der goldhaarigen Frau, die

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sein war, seine Beute. An die Menschen, die dort wohnten,
verschwendete Doppelwolf keinen Gedanken. Setzten sie sich
zur Wehr, würde er sie töten.

Doppelwolf preßte dem Pony die Hacken in die Flanken. Das

Tier setzte vorsichtig Huf vor Huf, um in dem steilen Sandhang
nicht auszurutschen. Als der Mustang die Hälfte der Steigung
überwunden hatte, öffnete sich die Tür des Blockhauses.

Sofort zügelte der Krieger sein Pferd. Er wußte, daß weder

das Tier noch er selbst gegen den Hintergrund der Sanddüne zu
entdecken waren. Zumindest nicht von den ungeübten Augen
der Weißen.

Doppelwolf holte tief Atem und preßte die Zähne zusammen.

Wie Gold glänzte das Haar einer Frau auf. Sie wandte etwas
den Kopf, schien mit ihrem Begleiter zu sprechen. Der Krieger
erkannte Myriam.

Nun legte der weiße Mann den Arm um ihre Hüften, zog

Goldhaar an sich. Und sie ließ es zu.

»Du wirst tausend Tode sterben, weißer Mann«, sagte

Doppelwolf grimmig.

Der Begleiter der Frau half ihr in den Wagen und schwang

sich selbst auf den Sitz. Das Klatschen der Lederzügel auf den
Pferderücken drang bis zu dem Beobachter am Hang der
Sanddüne.

Doppelwolf kannte den Mann nicht. Sein Gesicht prägte er

sich jedoch ein. Er war sicher, den Begleiter der blonden Frau
jederzeit wiederzuerkennen.

Eine Staubfahne stieg unter den Hufen des Deichselpferdes

auf, wehte schwach zur Seite und verdeckte wie ein Schleier
den Wagen, der auf die Stadt der Weißen zufuhr.

Die Geduld der Apachen ließ Doppelwolf verharren. Länger

als eine Stunde beobachtete er die Umgebung, das Blockhaus.
Erst als er fühlte, allein zu sein, ließ der Krieger den Mustang
weitergehen.

Hinter der Rückwand der Hütte glitt der hochgewachsene

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Mann vom Pferd. Lautlos trat er zwei Schritte vor, lauschte
angespannt, vernahm aber nur die Geräusche der Halbwüste.
Im Haus blieb alles still.

Ehe der Indianer eindrang, mußte er sein Pony verbergen.

Behutsam huschte er zur Ecke. Als er langsam vorglitt, sah er
einen kleinen Stall. Doppelwolf untersuchte diesen
Bretterverschlag und holte zufrieden seinen Pintohengst. Das
Tier würde sich ruhig verhalten. Die Mimbrenjos wußten, wie
Pferde abgerichtet wurden: nicht mit Gewalt, wie bei den
Weißen, sondern sanft und freundlich. Der Wille des Tieres
durfte nicht gebrochen sein, sollte es ein gutes Indianerpony
werden, das auf ein halblautes Wort, auf ein Zungenschnalzen
reagierte.

Doppelwolf lehnte die Bretterwand nur an. Er glitt wie ein

Schatten zur Tür des Blockhauses. Sie war verschlossen. Ein
paar Sekunden lang musterte der Krieger das Schloß und
schüttelte endlich den Kopf. Nein, er würde dieses Ding nicht
beschädigen, denn nichts durfte seine Anwesenheit verraten.

Der hochgewachsene Mann lief zur Seite des Hauses und

betastete den Rahmen des Fensters. Neugierig kratzte
Doppelwolf mit den Fingern über das Glas. Eine richtige
Scheibe hatte er noch nie gesehen. Verwundert blickte er in das
Innere der Hütte. Sekunden später entdeckte er, wie der Riegel
funktionierte und schob die Messerklinge in den Spalt. Ein
Ruck genügte, und der Riegel flog zurück.

Geschickt schwang sich der Indianer über die Brüstung und

schloß das Fenster hinter sich, ehe er zur Seite glitt. Lange Zeit
vernarrte Doppelwolf reglos. Er nahm die fremden Gerüche
auf, die in der Hütte hingen. Endlich ging er zum Bett, das an
der anderen Wand stand. Haß wallte in dem Mann hoch. Er
wußte, was hier vor kurzer Zeit geschehen war. Und er schwor
abermals, den weißen Mann zu töten.

Nun blieb nur das Warten, das er bei den Apachen bis zur

Vollendung gelernt hatte.

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Seine Gedanken kreisten um die Frau mit dem Goldhaar und

um den Weißen, der sie vorhin hier geliebt hatte. Doppelwolf
wünschte inbrünstig, daß der Mann mit zum Haus kam, wenn
seine Beute wieder erschien.

*

Cochise saß am Feuer vor seinem Jacale. Naiche kehrte von
einem Kontrollgang zu den Wächtern zurück, setzte sich mit
unterschlagenen Beinen und sah seinen Vater an.

Das Gesicht des Chiefs verriet nichts von seinen Gedanken,

die schwer waren. Die dunklen Augen schienen blicklos in
unendliche Fernen zu starren.

»Er reitet, um zu töten, Sohn«, sagte der große Jefe plötzlich

und bewegte kaum die Lippen dabei. »Er ist kein Apache mehr,
kein Mimbrenjo. Doppelwolf ist ein Mann, in dessen Adern
das Blut der Gelbhäutigen und Weißen wallt. Er kennt alle
Listen unserer Rasse, weiß, wie ein Krieger in der Wüste
kämpft. Und weil er dieses Wissen besitzt, ist er fast allen
anderen Kriegern überlegen. Denn jetzt denkt er nicht mehr
wie ein Apache, sondern wie ein Weißer. Er selbst weiß das
noch nicht, doch seine Taten werden es beweisen.«

Naiche horchte der düster klingenden Stimme seines Vaters

nach, die über dem Feuer verhallte. Furcht kroch in dem
tapferen Sohn des großen Häuptlings empor. Er sah deutlich
vor sich, welchen Schaden ein solcher Rebell anzurichten
vermochte.

Naiche wollte antworten, seinen Vater beruhigen und blickte

auf. Die Augen des Häuptlings, sein Blick, verlor sich im
Schein der Flammenzungen.

Schwer sagte Cochise: »Ich sehe, daß seine Sonne

untergehen und nie wieder scheinen wird. Und ich sehe, daß
wir, seine eigentlichen Brüder, ihm den Tod bringen werden.«

Eine Vision, dachte Naiche fast ehrfürchtig. Mein Vater sieht

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Dinge, die erst noch geschehen werden. Für Minuten dachte er
darüber nach, ob Usen selbst – der große Geist der Apachen –
seinen Vater angerührt hatte.

Naiche gelangte zu keinem Ergebnis.
Cochise erwachte aus seiner Versunkenheit. Der Blick der

schwarzen Augen wirkte auf einmal klar und durchdringend.
Er schien das gesamte Problem erkannt zu haben und wußte
um die Lösung.

»Wir müssen ihn selbst aufhalten, Sohn«, sagte der große

Jefe. »Wir müssen ihn aufhalten und töten, seine Sonne, die
ihm Kraft spendet, erlöschen lassen.«

Naiche senkte den Kopf. Sein Vater wußte, was Doppelwolf

vorhatte. Er würde hinter der blonden Weißen herjagen und
erst aufgeben, wenn er tot war. Ein derartiges Unternehmen
vermochte den Feuerbrand des Krieges auszulösen. Die Angst
der Bleichgesichter vor den Apachen trieb die weißen
Eindringlinge in eine schier ausweglose Grausamkeit.

»Glaubst du, Doppelwolf dringt in die Stadt Tombstone

ein?« fragte Naiche langsam.

»Ja, er gibt nicht auf«, erwiderte der Chief. »Er ist wie ein

Apache, wie wir.«

»Und wie halten wir diesen Mann auf?« wollte Cochises

Sohn wissen.

»Er kennt keine Angst. Aber das Blut der Gelbhäutigen ist

nun stärker geworden als alles, was er bei den Mimbrenjos
lernte. Wir brauchen Hilfe, Sohn, die Hilfe weißer Männer.
Wir reiten zum Fort des Pferdesoldaten. Falke muß uns
begleiten.«

Geschmeidig stand Cochise auf. Naiche folgte seinem Vater.

Wenige Minuten später ritten sie über die verschlungenen
Pfade der Apacheria.

Die Mustangs der beiden Chiricahuas trabten unermüdlich

durch die Halbwüste. Stunde um Stunde verrann. Cochise und
sein Sohn folgten nicht dem Fahrweg, den die Kutschen

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28

benutzten. Die Apachen wußten andere Trails, schmale Pfade,
die kein Weißer kannte.

Am späten Nachmittag zeichneten sich die Berge, die den

Namen von Cochises Stamm trugen, gegen den Horizont ab.
Am Fuß der Chiricahua Mountains stand Fort Buchanan.
Erbaut aus Adobeziegeln und Palisaden, galt das Hauptquartier
der Kavallerie im Südwesten als wichtigster Stützpunkt.

Trotzdem verfügte General Howard, der Einarmige, über viel

zuwenig Soldaten, um das weite Gebiet kontrollieren zu
können. Noch immer galten die Apachen als die eigentlichen
Herren des Landes. Ihr Haß gegen die Weißen, die jeden
Fußbreit Boden an sich reißen wollten, kannte keine Grenzen.
Lediglich Cochise und seine Chiricahuas hielten sich im Zaum.
Der große Häuptling wußte um die Zukunft. Er war weiser als
alle anderen Stammesführer und wollte verhindern, daß die
Apachen untergingen, wie so manches andere Volk der roten
Rasse weiter im Norden.

Naiche und Cochise ritten geradewegs auf das Tor des Forts

zu.

Eine Trompete schallte. Befehle hallten über den Paradeplatz

hinter den Mauern.

Cochise lächelte flüchtig. Er ahnte, daß die Offiziere ihn wie

einen General empfangen würden. Natürlich schmeichelte
Cochise diese Geste, aber er wußte, daß eingehaltene
Versprechen wichtiger als ein großer Empfang waren.

Die Torflügel schwenkten zurück. Im Schein der

Nachmittagssonne war eine halbe Schwadron zu Pferd
angetreten. Waffen und Metallteile des Sattelzeugs
schimmerten im Licht.

»Aaaachtung!« brüllte ein Sergeant.
Die Soldaten strafften sich in den Sätteln, blickten Cochise

und seinen Sohn Naiche an, die ihre Mustangs im Schritt gehen
ließen. Langsam ritten die Chiricahuas an den Kavalleristen
vorbei. Cochise neigte würdevoll den Kopf.

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»Häuptling, willkommen in Fort Buchanan«, rief Colonel

Walman. »Was führt euch zu uns?«

Der Oberst strich sich über den gepflegten Spitzbart. Seine

Bewegungen wirkten etwas fahrig. Walman vermochte seine
Besorgnis nicht zu unterdrücken. Was wollte Cochise?
Freundschaftsbesuche wurden zumeist vorher ausgehandelt.
Also lag Verdruß in der Luft.

»Ich möchte mit meinem Freund Falke sprechen«, erwiderte

der Chief und saß ab.

Zwei Soldaten liefen heran und führten die Mustangs zu den

Ställen.

»Bitte, folgt mir«, sagte der Colonel. Er führte die Besucher

zu den Quartieren der Scouts.

John Haggerty sprach mit Al Sieber, redete eindringlich auf

ihn ein und sah plötzlich hoch.

»Cochise, Naiche!« rief John. »Eine Ehre für uns!«
Der Jefe blickte Walman an und sagte: »Ich danke dir,

Pferdesoldat. Und nun möchte ich mit meinem Bruder Falke
sprechen.«

Walman salutierte unwillkürlich. In der Stimme des

Häuptlings hatte so viel Autorität gelegen, daß der Colonel
einfach davongehen mußte.

Lächelnd sagte Haggerty: »Er verbrennt vor Neugierde,

Chief. Setz dich zu uns, Cochise. Al Sieber kennst du ja.«

Der Scout reichte dem Häuptling die Hand. Cochise drückte

sie nach Art der Weißen und sagte: »Du bist ein guter Mann,
Al Sieber.«

Er wollte sich abwenden, davongehen, doch Cochise forderte

ihn durch eine Geste zum Bleiben auf.

»Falke«, begann der Häuptling seine Rede. »Ich habe die

Mimbrenjo bestraft. Es ist Sitte, daß sie der Strafe entgehen,
wenn sie den Todessprung wagen. Victorio, Geronimo und ein
Krieger setzten über den Abgrund und sind frei von meinem
Urteil. Doppelwolf ist jener Mann, der die blonde Squaw

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erbeutet hatte.«

Haggertys Gedanken kreisten. Er kannte die Apachen, ihren

Starrsinn, wenn es um Beute ging und spürte einen Anflug von
Furcht in sich aufsteigen.

»Du denkst richtig«, sagte Cochise, der erkannte, was im

Kopf seines weißen Freundes vorging. »Doppelwolf ist nach
Tombstone unterwegs. Er will die Squaw mit dem goldenen
Haar zurückholen.«

Al Sieber holte tief Luft und sagte gepreßt:
»Ausgerechnet Tombstone. In dem Höllennest fliegt sowieso

alle paar Tage der Deckel vom Kochtopf. Ich glaube, du hast
recht, John. Dein Gedanke ist richtig. Hoffentlich überzeugen
wir den General.«

Cochise schwieg. Er verstand zwar die Worte, aber nicht

deren Sinn.

»Ich möchte nicht mehr länger Chiefscout sein, mein

Bruder«, erklärte John Haggerty. »Ich habe mit Al darüber
gesprochen. Es ist wichtig, daß ich dort eingreifen kann, wo es
nötig ist. Wir müssen handeln, ehe zuviel Unheil geschieht. Mit
dir zusammen wäre ich kaum zu schlagen, Jefe. Wir
durchstreifen das Land, erscheinen überraschend und
verschwinden wieder. Du bist der Häuptling der Apachen. Ich
als Weißer vermag hoffentlich meine Rassegefährten ruhig zu
halten. Wir haben deine Chiricahuas und die Kavallerie im
Rücken.«

Cochise lächelte und erwiderte: »Ein guter Gedanke, Falke.

Wir werden kaum Zeit finden, uns auszuruhen. Was sagt der
Einarmige dazu?«

»Ich weiß nicht, wie er sich entscheidet«, antwortete

Haggerty. »Aber ich fürchte, er ist nicht sehr begeistert von
dieser Idee.«

Cochise schwieg ein paar Sekunden, blickte Al Sieber an und

fragte ihn: »Was denkst du darüber, Fährtensucher?«

Al erwiderte bedächtig: »Ich glaube, das ist der richtige Weg,

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Häuptling. Jede Kleinigkeit kann einen Krieg auslösen. Deine
Macht hält die Apachen zurück. John spricht für die Weißen,
für die Army. Jefe, du weißt, daß General Howard zu wenig
Soldaten hier hat. Wir schaffen es einfach nicht, ständig
Patrouillen reiten zu lassen. Und selbst wenn andauernd
Hunderte von Männern unterwegs wären, was können einfache
Soldaten gegen die Wüstenkrieger ausrichten?«

Cochise lächelte abermals. Al Sieber war ein guter Mann,

kannte die Macht und die Fähigkeiten der Apachen. Er wußte,
daß ein Krieger fast allen Weißen überlegen war.

»Sprich mit dem Einarmigen, Falke«, sagte der Chief. »Ich

bin bereit, dir zu helfen. Zuerst müssen wir uns um Doppelwolf
kümmern. Wie dein Mann Al Sieber gerade sagte: Jede
Kleinigkeit kann den Krieg auslösen.«

John Haggerty sagte entschlossen: »Al, ich schlage dich als

meinen Nachfolger vor. Ich kann mir keinen anderen Mann als
Chiefscout vorstellen. Du kennst die wichtigsten Häuptlinge,
und Cochise ist dir wohlgesonnen.«

Der Jefe nickte nur.
»Ehe wir aufbrechen«, fuhr John fort, »sollten wir mit dem

General reden. Oder denkst du, Cochise, daß Doppelwolf wie
ein tollwütiger Puma in Tombstone einfällt?«

»Wer vermag zu sagen, was in seinem Kopf vorgeht«,

erwiderte der Häuptling. »Es war ein Sklave, den Victorios
Stamm einst aus dem Süden mitbrachte. Er wurde Mimbrenjo,
ein guter Krieger. Nun hat das Blut der Gelbhäutigen, das Blut
der anderen Rasse alles verdrängt.«

John Haggerty wußte, daß dieser Krieger Doppelwolf mehr

als gefährlich werden konnte. Ein Mann der weißen Rasse, der
sämtliche Fähigkeiten eines Apachenkriegers besaß, vermochte
eine Menge Unheil anzurichten.

*

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32

Schwer hingen die Rauchschwaden über den Köpfen der
Männer und Frauen. Die Kerosinlampen verbreiteten
gelbliches Licht. Das Hämmern der Orchestrione, die lauten
Reden, das Klirren der Flaschen und Gläser ließen den
Eindruck eines schnell pulsierenden Lebens entstehen.

Zwei zerlumpte Digger gerieten in Streit, schwangen die

Fäuste, droschen aufeinander ein. Männer sprangen zurück.
Einer brüllte eine ganze Serie von Flüchen, als ihm Whisky
und Bier übers Hemd lief.

Im Nebenraum war es ruhiger. Um die mit grünem Filztuch

bezogenen Spieltische hockten die Männer, die das Glück mit
den Karten machen wollten.

Nur eine einzige Frau saß in einer der Pokerrunden. Ihr

Gesicht war schön, jedoch ausdruckslos. Das goldschimmernde
Haar hing ihr bis auf die Schultern.

»Und noch zwanzig«, sagte Myriam, die ihre Karten

zusammengeschoben hingelegt hatte.

»Halte ich«, sagte ein Mann im schwarzen Tuchanzug der

Spielergilde. »Lady, diesen Topf kassiere ich.«

Myriam lächelte und erhöhte abermals. Die Männer an den

anderen Tischen witterten abermals eine Sensation. Bereits zur
Mittagszeit hatte die schöne Frau eine Menge Geld gewonnen.
War es wieder soweit? Strich sie zum zweitenmal an einem
Tag einen mächtigen Gewinn ein?

Der Mann in Schwarz blickte die Frau abschätzend an. Er

besaß keinen Cent mehr, und war dabei sicher, daß er
gewinnen würde. Sein Blatt mußte unschlagbar sein.

»Lady, ich kann nur meine Uhr dagegen setzen«, sagte der

Kartenhai. »Sie ist aus massivem Gold und hat vor zwei Jahren
über fünfhundert Dollar gekostet.«

Er hatte Myriam richtig eingeschätzt. Sie war kalt wie ein

richtiger Gambler. Und sie wollte dieses Spiel gewinnen.

»Gut, für dreihundert nehme ich an«, sagte die Blonde.

»Mehr Geld besitze ich nämlich auch nicht mehr.«

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»Okay, dreihundert Bucks von Ihnen, die Uhr von mir, und

danach decken wir auf«, erwiderte der Kartenhai und nestelte
die Uhr von der Kette.

Zugleich drehten Myriam und der Fremde die Karten um.

Die Zuschauer stöhnten, als sie die vier Könige des Mannes in
schwarz sahen. Jetzt fehlte nur noch das As, und die
zweithöchste Pokerkarte überhaupt lag auf dem Tisch.

Myriam lächelte sanft. In ihren hellen Augen schien ein

Funke zu tanzen.

Der Gambler drehte seine letzte, wertlose Karte um. Es war

eine Dame.

»Nun, Lady«, fragte er.
»Es gibt noch eine höhere Karte«, sagte die schöne Frau

sanft und wies auf ihre vier Asse, die ebenfalls von einer Dame
flankiert wurden.

Myriam besaß das höchste Blatt nach den Pokerregeln dieser

Zeit.

Der Berufsspieler blieb gleichmütig. Er stand auf, verbeugte

sich ein wenig und sagte: »Madam, ich bin geschlagen. Ich
danke Ihnen für den unterhaltsamen Abend.«

Und dann ging der Mann davon.
»Heiliger Rauch!« brüllte einer der zerlumpten Digger. »So

ein Ding habe ich noch nie erlebt.«

Wyatt Earp drängte sich an den Zuschauern vorbei. Wenn er

auch nicht annahm, daß Myriam etwas passierte, so war doch
ein schneller Colt sicher besser als das Vertrauen in die
Anständigkeit der Männer hier.

»Gehen wir?« fragte der junge Earp.
Er schaute nur Myriam an, schenkte dem Dollarsegen und

der goldenen Uhr keinen Blick. Niemand sollte auf die Idee
kommen, daß Wyatt an den Bucks interessiert sei. Die Frau
war ihm wichtiger. Brachte sie das Geld mit ihm zusammen
durch, um so besser.

»Wir gehen«, antwortete Myriam, »für heute reicht's mir.

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Vorher gebe ich noch eine Runde für alle Gäste aus.«

Eine Sekunde nach diesen Worten dröhnte der Saloon von

den Hochrufen der übrigen Spieler und Gäste. Dem Barkeeper
schob die schöne Frau so viele Bucks hin, daß er jedem Mann
und jeder Frau drei Drinks ausschenken konnte.

»Das erste Glas für die schöne Lady!« rief ein vierschrötiger

Bursche. »Sie hat ein mächtiges Abenteuer überstanden und
hat dazu alles Glück der Welt.«

Myriam nahm das Glas und trank es mit einem Schluck leer.

Der Whisky brannte ihr in der Kehle, doch sie ließ sich nichts
anmerken, genau wie am Pokertisch.

Wyatt brauchte ihr keine Bahn zu schaffen. Die Digger,

Spieler und Flittergirls traten so weit zurück, daß Myriam und
ihr Begleiter nebeneinander zum Ausgang marschieren
konnten. Wyatt trug den Gewinn in seinem Hut. Die Scheine
und Nuggets bildeten einen Hügel darin.

»Wohin?« fragte der junge Earp, als sie draußen standen.
»Nach Hause«, erwiderte Myriam. »Ich habe eine Pause

verdient.«

Wyatt gab ihr den Hut und besorgte einen Wagen. Die

Kunde von Myriams großem Gewinn machte bereits die
Runde. Überall grüßten Fremde, winkten ihr zu. Aber auch
einige finstere Blicke trafen die blonde Frau, die in das Reich
der Berufsspieler eingebrochen war.

Earp lenkte das Pferd vorsichtig durch die Straßen. Der Hut

lag in Myriams Schoß. Sie starrte unverwandt den Geldsegen
an, der sie in eine wohlhabende Frau verwandelt hatte. Selbst
wenn sie den Kaufpreis für das Blockhaus abzog, blieb ihr
genug, um lange Zeit sorgenfrei leben zu können.

»Was hast du jetzt vor?« wollte Wyatt wissen. »Setzt du dich

morgen wieder an den Kartentisch?«

»Ich weiß noch nicht«, erwiderte die junge Frau. »Vielleicht

sollte ich ein paar Tage warten.«

Earp lachte leise und sagte: »Besser wär's schon. Natürlich

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wollen dir die Dummköpfe morgen beweisen, daß du nicht
immer gewinnen kannst. Aber laß sie ruhig eine Weile zappeln,
ehe du wieder zuschlägst. Virgil und ich waren zu leichtsinnig,
gewannen zu oft. Darum sind wir hier nicht mehr gern gesehen.
Ich spreche aus Erfahrung, Kleines.«

Myriam lächelte. In den beiden Tagen in Tombstone hatte sie

so allerlei über die Earps gehört. Nicht nur ihre hohen Gewinne
beim Pokerspiel hatten die Earps in schlechtes Licht gebracht.
Wyatt ging keinem Streit aus dem Weg, vertraute auf seine
Fähigkeit im Umgang mit dem Colt und war zu wild und
aufbrausend.

Der Wagen rollte an den letzten Häusern vorbei. Das kalte

Licht des Mondes tauchte das Land in silbernen Schein.
Irgendwo heulte ein Kojote in die Nacht.

»Brauchst du noch etwas in deinem Haus?« fragte Wyatt.

»Ich fahre dann zurück in die Stadt und besorge, was dir fehlt.«

»Nein, ich habe heute morgen alles hingebracht«, antwortete

Myriam. »Für uns beide reicht es. Abendessen habe ich schnell
gekocht.«

Wyatt zügelte seine Freude. Seine Hoffungen wurden nicht

enttäuscht. Er hatte an eine Fortsetzung des wunderschönen
Mittages gedacht. Und in wenigen Minuten war es soweit.

Das Deichselpferd schnaubte, als Earp das Tier vor dem

Haus zügelte. Unruhig scharrte der Gaul mit den Hufen, warf
den Kopf hoch und prustete. Ihm war wohl der Geruch des
Indianerponys in die Nüstern gedrungen, der fremde Geruch
der Wildnis, des freien Tieres.

Weder Wyatt noch Myriam achteten auf dieses Zeichen. Er

hob die schöne Frau aus dem Buggy und stellte sie vor der
Schwelle behutsam auf die Füße.

»Der Schlüssel steckte in einer Tasche meines Kleides«,

sagte Myriam.

Earp tastete über den Stoff, spürte den Oberschenkel des

Mädchens und riß sich gewaltig zusammen. Endlich berührte

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er den Schlüssel, zog ihn heraus und sperrte auf.

Für den Bruchteil einer Sekunde verspürte Wyatt eine

Gefahr. Aber Myriam lenkte ihn ab. Sie drängte sich an ihn,
schob ihn weiter in die Hütte hinein und nahm den Hut in die
Linke, während sie mit der anderen Hand die Tür zuwarf.

»Die Lampe steht auf dem Tisch«, raunte das Mädchen.
Earp tastete sich weiter, stieß gegen einen Stuhl und

unterdrückte einen Fluch, denn er hatte sich das Handgelenk
geprellt.

In diesem Moment handelte Doppelwolf. Er streckte Earp

mit einem einzigen Hieb nieder. Seufzend brach der Mann
zusammen.

»Wyatt, was ist?« fragte Myriam erschrocken.
»Nicht Wyatt«, erwiderte eine kehlige Stimme. »Du kennst

mich, weiße Squaw. Ich hole dich, denn du gehörst mir.«

Myriam war eine Sekunde wie gelähmt. Sie ließ den Hut

fallen. Ihre Finger öffneten sich wie von selbst. Lediglich die
Uhr des Spielers verfing sich in einer Falte des Kleides.

Die Frau öffnete den Mund. Ein gellender Schrei zerriß die

Stille, während Myriam herumwirbelte und aus dem Blockhaus
hetzen wollte.

Doppelwolf war viel schneller. Mit einem Sprung gelangte er

hinter Myriam, riß sie an den Schultern zurück und preßte ihr
von hinten seine Hand gegen Lippen und Nase.

Ein paar Sekunden zappelte die schöne Frau wie ein Fisch

auf dem Trockenen. Ihr wurde die Luft knapp. Ein Krampf
schien ihren Oberkörper zu packen. Schlaff sank sie gegen den
mächtigen Oberkörper des Indianers.

»Du gehörst mir, weiße Squaw«, sagte Doppelwolf noch

einmal. »Ich nehme dich mit, denn du bist meine Beute.«

Myriam hörte diese Worte wie durch einen Nebel, der so

dicht war, daß er selbst Worte dämpfte.

Alles umsonst, hämmerte ein Gedanke in ihrem Kopf. Der

Apache schleppt mich in seine Berge. Wyatt! Was war mit

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ihm? Lebte er überhaupt noch?

»Bleibst du ruhig, wenn ich deine Lippen freigebe?« fragte

Doppelwolf.

Myriam nickte schwach. Sie spürte, wie sich der peinigende

Druck der Hand lockerte und sog gierig die Luft ein.

Keuchend, in hastigen Stößen, atmete die blonde Frau. Sie

lehnte noch immer am Oberkörper des Mimbrenjos.

»Ich werde dich töten«, stieß sie hervor, als sie wieder reden

konnte.

»Ich werde jede Sekunde darauf lauern, dich umbringen zu

können.«

Doppelwolf lachte leise.
Myriam schwieg abrupt. Sie erkannte, daß ihre Chancen

verschwindend klein waren. Hatte sie der Apache erst in die
Berge verschleppt, besaß sie keine Möglichkeit zur Flucht
mehr. Denn die anderen Squaws und Krieger würden darauf
achten, daß die weiße Gefangene nicht entkam.

Sie wußte nicht, daß sich Doppelwolf vom Stamm der

Mimbrenjos losgesagt hatte, daß er keinen Chief mehr
akzeptierte.

Und er selbst dachte erst in diesem Moment daran, daß seine

Schwierigkeiten immer größer wurden. Er mußte mit der
Squaw verschwinden, irgendwo in der Halbwüste untertauchen
und einen Weg nach Süden finden. Denn er war zu einem
Mann ohne Heimat geworden.

Doppelwolf packte Myriams Handgelenk, beugte sich zu

dem besinnungslosen Weißen hinab und betastete sein Gesicht.
Prüfend hielt der Indianer die Hand vor Mund und Nase.

Earp atmete gleichmäßig. Noch einmal schlug der

hünenhafte Krieger zu. Nun war er sicher, ein paar Stunden
Vorsprung herausreiten zu können. Selbst wenn seine
Gefangene das Pferd müde machte, müßte der Zeitgewinn
ausreichen, um die Fährte irgendwo in den Felsen enden zu
lassen.

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»Komm jetzt, Squaw«, sagte Doppelwolf und zerrte Myriam

hinter sich her ins Freie.

Myriam besaß keine Chance zur Flucht. Jedesmal, wenn sie

losrennen wollte, blickte der Indianer auf. Er löste geschickt
die Riemen und Seile des Deichselpferdes, verkürzte die Zügel
mit seinem Messer und packte endlich Myriam um die Hüften.
Mit einem gewaltigen Schwung setzte er sie auf das Pferd, das
er am Zügel zu dem windschiefen Stall führte. Ein leiser Pfiff
genügte, und das struppige Indianerpony marschierte heraus.

»Wohin bringst du mich?« fragte Myriam schwach.
»Zu mir«, antwortete Doppelwolf, denn er wußte selbst noch

nicht, wo sein Ziel lag.

»Was ist das?« fragte der plötzlich mißtrauisch und betastete

Myriams Bauch. »Was macht dieses Geräusch?«

Das Mädchen rutschte so weit wie möglich auf dem

Pferderücken nach hinten, vermochte den suchenden Fingern
jedoch nicht zu entgehen.

Nun hörte sie auch das Ticken.
»Eine Uhr«, erwiderte sie. »Wir lesen darauf die Zeit ab.«
Ein Laut der Verwunderung drang aus der Kehle des

Kriegers. Er begriff das nicht. Die Zeit war immer da. Es
genügte, zur Sonne oder zu den Sternen zu schauen. Jeder
wußte danach, wann es dämmerte oder wie lange der Tag noch
dauerte.

»Wirf sie weg«, forderte Doppelwolf. »Es ist böse Medizin.

Vielleicht stiehlt sie mir meine Zeit, Squaw.«

Myriam spürte, wie sich eine Idee in ihrem Kopf formte.
»Nein«, erwiderte sie fest, »ich behalte die Uhr. Ohne sie

geht meine Zeit verloren und ich sterbe.«

Doppelwolf zuckte ein wenig zurück. Das war böse Medizin.

Er würde einen Weg finden, diesem Schrecken zu entrinnen.
War er nicht vor wenigen Tagen in die Hütte eingedrungen, in
der die weißen und gelbhäutigen Squaws ihre bösen Geister
verlieren sollten?

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»Du reitest vor mir«, befahl der hochgewachsene Krieger.
Er versetzte Myriams Pferd einen Schlag auf die Hinterhand,

so daß es mit einem erschreckten Satz lospreschte. Das
Mädchen mußte alle Geschicklichkeit aufbieten, um nicht
runterzufallen.

*

General Howard betrachtete Cochise als ebenbürtig. Was den
Offizieren der Armee auf den Akademien beigebracht wurde,
beherrschte der Führer der Apachen von Natur aus. Vielleicht
besaß er auch eine besondere Begabung, Kriegszüge zu planen
und siegreich zu bleiben.

»Haggerty, es geht nicht so, wie Sie und Cochise sich das

vorstellen«, sagte der General nach einer Weile. »Sie müßten
die Armee verlassen, bekämen keine Unterstützung mehr,
wären ein einfacher Zivilist. Ich kann Sie nicht ohne
Reglement umherlaufen lassen.«

John schwieg. Es war sinnlos, noch weiter über diese Sache

zu reden. Howard zauderte zu stark. Vielleicht wußte er nur
keinen Weg, wie er diese Geschichte bewerkstelligen sollte.
Vielleicht war er auch nicht vom Erfolg des Planes überzeugt.

»Nun, Sir, dann eben nicht«, sagte Haggerty. »Cochise kam

her, um meine Hilfe zu erbitten.«

Der Chiefscout schilderte, was sich zugetragen hatte, nannte

die Vermutungen des großen Häuptlings, und Howard wirkte
sehr ernst.

»Das könnte alles wieder zum Kochen bringen«, sagte der

General schwer. »Ist dieses Land denn nie zur Ruhe zu
bringen?«

Cochise lachte kurz und erwiderte: »Doch,

Soldatenhäuptling, deine Männer sollen jeden Weißen aus
unserem Land treiben und danach selbst gehen.«

Howard verzog das Gesicht, als hätte er etwas Bitteres im

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Mund.

»Ihren Befehl, Sir«, bat der Chiefscout.
»Reiten Sie, Haggerty«, erwiderte der General. »Verhindern

Sie, daß der Mimbrenjo diese weiße Frau verschleppt. Wissen
Sie, was das bedeutet, wenn der Apache Erfolg hat?«

»Ich kann's mir denken«, erwiderte John. »Sämtliche Männer

Tombstones bewaffnen sich bis an die Zähne und drehen jeden
Felsbrocken um. Sie werden jeden Apachen töten, den sie
finden.«

»Und dann haben wir Krieg«, rief Howard erbittert.

»Cochise, ich beschwöre dich: halte diesen wahnsinnigen
Mann auf.«

Der Häuptling stand aus dem Sessel auf, nickte und

erwiderte: »Du hast mein Wort, Howard. Naiche kehrt zu den
Chiricahuas zurück. Falke und ich folgen der Fährte des
Abtrünnigen. Reitet er zu den Mimbrenjos, ist unsere Aufgabe
schnell erledigt. Zieht er jedoch in eine andere Richtung, haben
wir die Wüste vor uns.«

Howard blickte seinem Chiefscout und dem Häuptling nach,

als sie das Büro des Generals verließen. Kurze Zeit danach
klang Hufschlag auf.

Naiche trennte sich nach einigen Meilen von seinem Vater

und Falke. Cochise ritt schweigend neben Haggerty. Sie
würden Tombstone erst spät in der Nacht erreichen. John
hoffte, daß die Menschen dort den Indianer nicht angreifen
würden. War nichts anderes möglich, mußten sie sich trennen.
Cochise sollte dann versuchen, den Mimbrenjo vor der Stadt zu
fangen, während Haggerty die Frau beschützte, ständig
beobachtete.

Weder er noch der Häuptling ahnten, daß Myriam längst

entführt war.

Je näher sie der Stadt kamen, desto stärker schwang die

Unruhe in John auf. Er spürte, witterte, daß etwas geschehen
war.

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»Bruder, es nutzt nichts, die Mustangs schneller gehen zu

lassen«, mahnte Cochise. »Du bist unruhig, ich fühle das. Ich
fühle auch, daß wir zu spät kommen. Aber wir werden die Spur
finden und ihr folgen.«

Haggerty riß sich zusammen. Immer wieder dachte er an

Victorio und den machtgierigen Geronimo. Diese beiden
Männer waren unversöhnliche Weißenhasser. Sie würden
niemals aufgeben, die Eindringlinge zu bekämpfen.

»Liefern die Mimbrenjos die weiße Squaw aus, wenn du es

forderst?« fragte der Scout seinen Freund.

Cochise antwortete stolz: »Sie müssen, Falke. Ich habe diese

Frauen befreit. Sie gehören mir, den Gesetzen der Apachen
nach. Ich habe Beute gemacht, den Mimbrenjos ihre
Gefangenen gestohlen. Weigert sich Victorio, verletzt er das
Gesetz der Apachen.«

John hatte Zweifel, ob Victorio diese Ächtung treffen würde.

Der Mimbrenjo gehörte zu den Aufrührern, zu den Rebellen
unter den Apachen. Er fühlte sich bestimmt stark genug, allein
den mörderischen Kampf gegen die verhaßten bleichhäutigen
Eindringlinge fortzusetzen.

Victorio weigerte sich einfach, die Macht der Weißen

anzuerkennen. Er vermochte nicht über sein eigenes Leben
hinauszudenken. Cochise gehörte zu den weisen Führern der
Apachen. Er hatte eingesehen, daß selbst der
erbarmungsloseste Kampf gegen die Bleichgesichter zum
Scheitern verurteilt war. Denn immer mehr und mehr Weiße
drangen in den heißen Südwesten ein, besetzten fruchtbares
Land, jede Wasserstelle, jeden Flußlauf.

Es waren nicht die Digger, die das Ende des freien

Apachenlebens einleiteten. Es waren die Menschen, die seßhaft
werden wollten, sich eine Heimstatt bauten und den Boden
bestellten oder Rinder züchteten.

»Deine Gedanken sind schwer, Falke«, sagte Cochise auf

einmal. »Woran denkst du, Bruder? Was bewegt dich, daß du

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nicht mehr auf den Weg achtest?«

»Das Schicksal der Apachen und unser eigenes«, antwortete

John leise. »Ich verstehe nicht, warum zwei verschiedene
Völker nicht in Frieden zusammen leben können.«

Cochise lachte leise auf. Verständnis klang in diesem Lachen

mit.

»Ihr seid anders«, erwiderte der Chief. »Ihr laßt euch

irgendwo nieder und bleibt. Wir ziehen weiter. Du kennst
einiges von unserer Geschichte. Vor langen Jahren drangen wir
von Norden her in dieses Land. Wir kämpften gegen alle
Feinde, besiegten sie und eroberten das Gebiet. Dann kamen
die Comanchen. Ihnen folgten die Gelbhäutigen, die weit in
Richtung Westen vorstießen. Wir mußten ständig kämpfen, um
zu überleben. Denn jeder Eindringling mehr bedeutete, daß
Wasser und Nahrung weniger wurden. Und nun graben die
Weißen das Mondmetall und das gelbe Eisen aus dem Boden.
Immer mehr Weiße kommen. Auf einmal erzählt ihr uns, daß
dies nicht mehr unser Land ist. Was geschieht in deinem Kopf,
in deinem Herzen, wenn ein Mann in dein Jacale tritt und dich
davonjagt?«

Haggergy schwieg. Innerlich stand er auf der Seite der

Apachen. Und doch gehörte er der weißen Rasse an, verstand
deren Neugierde, die immer mehr Menschen dazu trieb
weiterzuziehen, nachzusehen, was hinter dem nächsten Hügel
lag.

»Ihr werdet siegen«, sagte Cochise nach einer Weile. »Ich

hoffe, daß es in hundert Sommern immer noch Apachen geben
wird. Vielleicht wird meine Hoffnung wahr, denn wir leben mit
dem Land. Wir wissen um die Dinge, die uns am Leben
erhalten. Ihr dagegen verändert das Land, bis es euch gefällt.
Mit der Zeit stirbt die Erdmutter, und dann kommt auch euer
Ende.«

John Haggery war bedrückt. Cochise hatte in vielem recht.

Mit dem Instinkt des Naturmenschen erkannte er die Wurzel

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des Übels.

»Ich fürchte jedoch um meine Kinder«, fuhr Cochise fort.

»Sie sind unvernünftig, verbringen ihre Zeit mit Kampf und
Raub, statt daran zu bauen, trotz des weißen Mannes zu
überleben.«

Lange Zeit schwiegen Haggerty und auch der Häuptling. Es

gab keine Antwort auf diese Sätze, diese Worte, die vom
Denken des großen Mannes der roten Rasse geprägt waren.

»Sieh, Falke, dort hinten stehen die steinernen Käfige, die

Gehäuse, in die sich die Weißen selbst einsperren, weil sie
Furcht vor dem Wind, der Kälte und der Sonne haben. Dort
liegt Tombstone, die wilde Siedlung. Unsere Aufgabe beginnt,
mein Bruder, der du bereits halb wie ein Apache denkst.«

John atmete auf. Seine Gedanken lösten sich von all jenen

Dingen, die Cochises Worte aufgewühlt hatten. Nun ging es
um Tatsachen, um unmittelbare Bedrohung.

»Trennen wir uns, Cochise?« fragte der Scout.
»Noch nicht«, erwiderte der Häuptling. »Wenn ich richtig

gedacht habe, ist Doppelwolf bereits mit der weißen Squaw
unterwegs.«

Haggerty zuckte zusammen. Der Chief sprach so gelassen,

als rede er über ein Stück der Wüste oder einen besonders
schönen Mustang. Begriff er denn nicht, was dies bedeutete?

»Woher weißt du?« fragte John langsam.
Mißtrauen quoll in ihm auf, ein böser Verdacht gegenüber

dem Freund. Hatte Cochise seine Finger im Spiel? War dies ein
besonderer Schachzug einer Politik, von dem nicht einmal
Haggerty ahnte, wie er enden würde?

»Ich weiß nichts«, erwiderte Cochise. »Ich denke nur. Und

ich kenne das Blut der Gelbhäutigen, wie ich unser eigenes
Blut kenne. Nimm einen Apachen, laß ihn bei den Männern in
Schwarz lernen, nimm ihn vom Stamm, wenn er kaum zwei
Sommer zählt. Irgendwann bricht sein Blut auf. Eines Tages
geht er davon, streift alles ab, was er lernte, wendet nur das an,

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was ihm nützlich erscheint. Und genauso ist es bei den Weißen
und den Mexikanern, Falke.«

Haggerty schämte sich innerlich, daß er an seinem Freund

gezweifelt hatte. Um seine Unruhe und Verlegenheit zu
verbergen, zu überspielen, sagte er »Also los, worauf warten
wir noch? Suchen wir das Mädchen, bewachen wir sie. Einer
von uns sollte außerhalb der Stadt bleiben. Vielleicht gelingt es
uns doch, Doppelwolf abzufangen, ehe er eindringen kann.«

»Vergiß meine Worte nicht«, mahnte der Häuptling. »Er ist

jetzt ein anderer Mann. Niemand von uns vermag sein Denken
nachzuvollziehen.«

Haggerty schwieg. Behielt Cochise recht, stand ihnen eine

üble Sache bevor.

Der Chiefscout richtete sich steil im Sattel auf. Zwischen den

Gebäuden Tombstones flackerten Fackeln. Gebrüll dröhnte
durch die Nacht, hallte bis weit in die Halbwüste hinein. Worte
waren nicht zu verstehen, doch eine Drohung strahlte von dem
Ort des Geschreis aus. Eine Gefahr, die John beinahe
körperlich spürte.

»Schneller, Freund«, rief Haggerty und hieb seinem Pferd die

Absätze in die Flanken. »Hoffentlich kommen wir nicht zu
spät. Es brodelt bereits in Tombstone. Viel scheint nicht mehr
zu fehlen, bis die Kerle dort überkochen.«

Cochise trieb sein Tier an, das sich willig streckte und

schnell mit Johns Mustang gleichzog. Immer größer wurden
die Häuser, immer lauter das Geschrei. Einzelne Stimmen
waren zu unterscheiden. Zorn, Haß, ja, Mord lag in der Luft.

Ein Mann brüllte die anderen nieder, ergriff das Wort und

hielt eine Rede, die immer wieder von begeistertem Johlen
unterbrochen wurde.

»Großer Moses, wir springen mit beiden Beinen in ein

Höllenfeuer«, sagte Haggerty leise.

»Jetzt reicht's uns!« dröhnte die Stimme, die John irgendwie

bekannt vorkam. »Wir müssen uns selbst helfen. Wir werden

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die roten Hunde bis zum Golf von Mexiko jagen, treiben sie ins
Wasser und sehen zu, wie sie absaufen!«

John ächzte nur. Cochise schien recht zu behalten.

Doppelwolf mußte schon in der Stadt gewesen sein. Hatte er
die blonde Myriam getötet oder verschleppt?«

»Holen wir die Kavallerie!« schrie ein anderer Mann. »Die

Blauröcke sollen für unseren Schutz sorgen. Dafür sind sie
hier.«

»Die Army wird uns nicht helfen«, rief der erste Sprecher.

»Wir müssen uns schon selbst schützen. Natürlich dürfen wir
Tombstone nicht in Gefahr bringen. Ein Teil von uns muß in
der Stadt bleiben. Wir anderen satteln unsere Pferde und folgen
dem roten Hundesohn.«

»Ich bin dafür, daß wir jeden Apachen umbringen, den wir

entdecken«, brüllte ein dritter Mann. »General Sherman hat's
schon gesagt: nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.«

Haggerty zügelte sein Pferd etwas, leitete es dicht an

Cochises Pony heran und sagte: »Bruder, diese Worte müssen
dich schmerzen. Du weißt, daß nicht alle Menschen so denken.
Vergiß das nicht.«

Der Häuptling blickte seinen Freund ernst an. Das Licht des

Mondes zauberte merkwürdige Schatten auf das Gesicht mit
der Adlernase.

»Die meisten Weißen denken so, Falke«, erwiderte der Jefe

gleichmütig. »Ich möchte wissen, ob sie in hundert Sommern
noch genauso denken.«

Das Trommeln der Pferdehufe ging in dem Gebrüll unter, das

aus Tombstone aufdröhnte.

»Natürlich, Wyatt Earp«, sagte Haggerty gepreßt, als er sein

Tier zügelte und aus einer Seitengasse auf die Plaza blickte.

Der jüngere Earp stand auf einer alten Holzkiste. Zahllose

Fackeln erhellten den Platz, ließen die Blätter der mächtigen
Bäume sattgrün aufschimmern.

»Er ist jung und wild«, erwiderte Cochise nachsichtig. »Du

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hast doch selbst gesehen, daß er Gefallen an der blonden
Squaw fand. Er nahm sie vor sich auf sein Pferd, als ich die
Frauen befreit hatte. Soll er jetzt tatenlos hinnehmen, daß sie
verschleppt wurde?«

Haggerty antwortete nicht. Er schätzte die Stimmung als

geradezu explosiv ein. Ein falsches Wort genügte, und die
Menge auf der Plaza verwandelte sich in einen entfesselten
Mob.

»Was hast du vor? Warte!« rief der Scout, als Cochise seinen

Mustang weitergehen ließ.

*

»Wir folgen der Fährte bei Morgengrauen!« verkündete Earp.
»Und wenn wir den roten Hundesohn erwischen, ziehen wir
ihm die Haut ab. Wie du eben gesagt hast, kämpfen wir jeden
Indianer nieder, den wir sehen. Ja, es muß ein Ende haben. Wir
wollen friedlich leben, nicht andauernd unsere Haut riskieren.
Und die Army könnt ihr vergessen. Howard hat nicht mal
genügend Soldaten, die normalen Patrouillen reiten zu lassen.
Nein, ich sage euch, daß wir unser Geschick selbst in die
Hände nehmen müssen. Zur Hölle mit jedem Apachen!«

Das Geschrei schwoll derart an, daß keiner der Männer und

Frauen auf der Plaza verstand, was der Nachbar rief.

Cochise zog gelassen das Gewehr aus der ledernen Schlinge,

richtete die Mündung gegen den Nachthimmel und feuerte
zweimal.

»Du bist ein Narr, Bruder«, murmelte Haggerty und

versuchte, die Furcht um den Freund zu unterdrücken.

Das Peitschen der Winchester ließ die Menschen schlagartig

verstummen.

Cochises Pony ging weiter. Eine Gasse bildete sich in der

Mauer der Leiber. Murren wurde laut. Fäuste hoben sich, und
das Gemurmel schwoll zu einem Brausen an, als die erregten

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Männer und Frauen einen Indianer erkannten.

Abermals hob der Chief das Gewehr und drückte ab.
»Gut, Wyatt Earp, schick mich in deine Hölle«, rief der

Häuptling mit aller Kraft seiner Stimme. »Das willst du doch.«

Die Menschen wandten sich um, starrten zur Kiste, den

jungen Revolvermann an, dessen Gesicht plötzlich im Schein
der Fackeln fahl wirkte.

»Cochise!« stieß Earp hervor.
»Ja, und ich warte darauf, daß du mit uns aufräumst, weißer

Mann«, erwiderte der Jefe kalt.

Seine imposante Gestalt wirkte einschüchternd auf die

Zuschauer des Spektakels. Einige Männer zogen die Köpfe ein,
blickten sich argwöhnisch um, als erwarteten sie jede Sekunde
ein paar Dutzend Apachen auftauchen zu sehen.

»Cochise, das gilt nicht dir«, erwiderte Wyatt laut. »Du hältst

Frieden, dein Wort. Aber Myriam wurde entführt. Du erinnerst
dich an die blonde Frau, die du befreit hast, du und Naiche?«

»Natürlich, darum bin ich hier«, antwortete der Häuptling

gelassen. »Ich erfuhr, daß sie in Gefahr ist.«

Ungläubig redeten die Menschen aufeinander ein. Wyatt

Earp starrte den hochgewachsenen athletischen Häuptling an,
als sei der ein Tier mit zwei Köpfen. Earp konnte und wollte
nicht glauben, daß der Führer aller Apachen die Wahrheit
sagte.

»Du wolltest sie schützen?« rief Wyatt laut.
»Ja, ich und mein Freund Falke, den ihr unter dem Namen

John Haggerty kennt«, sagte der Jefe. »Ich bin Cochise, und
ich halte mein Wort. Selbst dann, wenn es von einem anderen
Apachen gebrochen wurde.«

Der Häuptling überragte im Sattel selbst den jungen Earp,

der doch auf einer Kiste stand, um von allen Zuschauern
gesehen zu werden. Cochise trieb seinen Mustang mit einem
Schenkeldruck an, leitete das Tier neben die Kiste und
betrachtete die Gesichter der Männer und Frauen, die im

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Fackelschein wie Masken wirkten.

»Du bist ein tapferer Kämpfer, Wyatt Earp«, rief der Jefe

laut. »Du gehörst zu jenen Männern, die ihr Leben einsetzen,
auch für andere. Dies ehrt dich. Du bist jung, verwegen und
wild. Ich hingegen bin alt. Und weil ich ein alter Mann bin,
habe ich mehr als du gesehen und erlebt und erfahren. Darum
frage ich dich jetzt, warum du die Männer hier in den sicheren
Tod führen willst? Du weißt doch, wie mein Volk kämpft. Du
hast doch selbst gesehen, daß sie aus dem Sand hervorbrechen
und töten. Kennst du die Anzeichen eines solchen Verstecks?
Kannst du den Tod vieler deiner weißen Gefährten auf dich
nehmen? Ich sage nein. Vor allem deshalb nein, weil der
Mimbrenjo-Krieger, der die blonde Squaw entführte, dem
Gesetz der Apachen verfallen ist. Er muß sterben, von der
Hand eines Apachen getötet werden, nicht durch die Kugel
eines weißen Mannes.«

Cochise ersetzte gemächlich die drei verschossenen Patronen

und steckte die Winchester in die Lederschlinge zurück, die am
Zaumzeug des Mustangs befestigt war.

Eine solche Sicherheit, ein derartiges Selbstbewußtsein ging

von dem mächtigen Häuptling aus, daß keiner der Menschen
hier auch nur daran dachte, auf den Jefe zu feuern.

»Gibst du uns dein Wort, Cochise?« fragte Wyatt Earp

lauernd. »Versprichst du uns, Myriam lebend aus den Händen
des Schurken zu befreien und ihn zu töten?«

»Das vermag ich nicht«, erwiderte der Chief ehrlich.

»Genausowenig kannst du versprechen, daß die hellhaarige
Squaw lebend gerettet wird, wenn du mit deinen Freunden der
Fährte folgst. Ich verspreche, mein Bestes zu geben, mehr kann
ich nicht.«

Earp zögerte ein paar Sekunden. Er sah ein, daß Cochise

nicht mehr sagen konnte, denn es war unmöglich, den Ausgang
der Jagd auf den Entführer vorauszusehen.

»Einverstanden, Häuptling«, rief Wyatt dann. »Wenn dieser

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Mimbrenjo eurem Gesetz verfallen ist, so verfahre mit ihm so,
wie es die Regeln der Apachen vorschreiben.«

Eine Welle der Erleichterung ging von den Zuschauern aus.

Sie alle waren vor Minuten noch entschlossen gewesen, die
Halbwüste zu durchforschen und jeden Indianer
niederzumetzeln, den sie erwischten. Nun, da sie den Mut des
Apachenführers erlebt hatten, war ihr eigener geschmolzen wie
Schnee in der Sonne. Jetzt kam allen zu Bewußtsein, welch
furchtbare Kämpfer die Krieger waren, über welche Listen sie
verfügten, Tricks, denen fast kein Weißer etwas
entgegenzusetzen hatte.

Allmählich zerstreute sich die Menge. Einige Männer

drängten in die Seitengassen, verließen die Plaza. Minuten
danach standen Cochise und Wyatt Earp allein unter den
mächtigen Bäumen, deren Blätter im leichten Wind rauschten.

»Deine Jugend ist der Grund für deine Unvernunft«, sagte

der Jefe tadelnd zu Earp. »Warum wolltest du einen Krieg
entfachen? Weißt du nicht, daß ein solcher Anlaß genügt, um
mein gesamtes Volk in Aufruhr zu versetzen? Deine
Unbesonnenheit hätte bald mein Wort gebrochen.«

Wyatt starrte am Rand der Kiste auf den Staub der Plaza.

Langsam stieg der junge Kämpfer von seinem Podium und zog
die Schultern hoch.

»Ich war wie von Sinnen«, murmelte Earp. »Myriam, ich

glaube, ich liebe sie. Als ich sie in ihr Haus brachte, geschah
es. Ich besaß nicht mal den Hauch einer Chance. Plötzlich
spürte ich einen Hieb gegen den Kopf. Von dieser Sekunde an
weiß ich nichts mehr. Ich kam zu mir, als Stunden vergangen
sein mußten. Dann nahm ich den fremden Geruch wahr und
wußte, daß nur ein Apache Myriam in seine Gewalt gebracht
haben konnte.«

»Spuren?« fragte der Häuptling.
»Ein Mustang im Stall«, erwiderte Earp, »weiter fand ich

nichts. Das gesamte Geld ist noch vorhanden. Nur die goldene

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Uhr verschwand. Hat der Kerl eine besondere Vorliebe für die
Uhren der Weißen?«

Cochise wußte, was eine Uhr war, wenn er auch deren Sinn

nie begriffen hatte. Es lag so fern von ihm, die Zeit mit einem
Gerät zu messen, daß er sich beim besten Willen keinen
vernünftigen Grund dafür vorzustellen vermochte.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Chief langsam. »Aber

Doppelwolf ist kein Mimbrenjo. Er ist ein Mann aus dem
Süden, ein Gelbhäutiger, ein Mexikaner. Als Kind raubten ihn
die Krieger und behielten ihn als Sklaven. Später nahm der
Stamm ihn auf. Vielleicht erinnert ihn die Uhr an seine
Kindheit. Wer weiß das schon?«

Haggerty ritt näher. Wyatt Earp zuckte herum. Die Finger

der Rechten umklammerten den Griff des Revolvers.

»Es ist Falke, John Haggerty«, sagte der Jefe ruhig.
Earp lachte leise und erwiderte: »Also hat er dich die ganze

Zeit gedeckt. Hätte einer von uns Ärger angefangen, wäre ihm
Haggertys Kugel in den Kopf gesaust.«

Cochise lächelte und sagte nichts darauf. Sollte der Weiße

doch denken, was er wollte.

»Hallo, Earp, wieder mal das Volk aufwiegeln, wie?« fragte

John mit einem bissigen Unterton in der Stimme.

»Ach, verdammt, rutsch mir den Buckel runter«, erwiderte

der junge Kämpfer. »Sie haben ja gehört, was geschah. Würden
Sie das denn einfach so hinnehmen?«

Nein, dachte Haggerty, das würde ich nicht, auf keinen Fall.

Aber ich könnte mir was Vernünftiges ausdenken, um das Girl
zu befreien. Davon bist du noch weit entfernt.

»Ich wüßte, wo ich die richtige Hilfe finde«, sagte der Scout

laut. »Es war doch sinnlos, diese Digger und Stadtfräcke
aufzuhetzen. Die Hälfte hätte spätestens morgen mittag
kehrtgemacht. Die andere Hälfte nach weiteren zehn oder
zwölf Meilen.«

Earp knirschte mit den Zähnen. Er sah ja ein, daß dieser

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Wüstenfuchs recht hatte. Aber mußte er ihm das so unter die
Nase reiben?

»Und jetzt?« fragte Wyatt. »Was habt ihr vor? Setzt ihr euch

ganz allein auf die Fährte des roten Halunken?«

»Sicher, jeder Mann mehr ist eine Belastung«, erwiderte

Haggerty gelassen. »Vor allem dann, wenn jemand die Wüste
nicht kennt. Und er muß sich in ihr wie ein Apache
zurechtfinden, muß wie ein Krieger denken und die Tricks der
Kämpfer beherrschen. Ein schneller, sicherer Colt genügt in
diesem Fall nicht.«

»Führe mich zu der Hütte«, forderte Cochise. »Ich möchte

die Spuren sehen und prüfen.«

Earp holte sein Pferd, das in einer Seitengasse stand und

schwang sich in den Sattel. Auf dem Weg zum Blockhaus
erzählte der junge Mann, was er wußte. Es war wenig genug.
Aufmerksam registrierten Cochise und Haggerty, daß Myriam
auf einem ungesattelten Wagenpferd ritt. Dieser Umstand
mußte Doppelwolf stark behindern, denn kaum ein Weißer,
geschweige denn eine Frau, war daran gewöhnt.

Im Schein zweier Fackeln suchte der Häuptling den Boden

ab. Er las in den Fährten, wie ein Weißer, in einem Buch und
erklärte alles ganz genau.

»Wir reiten in der Dämmerung auf den Sonnenaufgang zu«,

sagte Cochise nach einer Weile. »Es wird eine gute Spur sein,
bis sie irgendwo in den Felsen abbricht.«

Wyatt Earp starrte das Gesicht des großen Chiefs an. Die

schwarzen Augen funkelten im Schein der Fackelflamme.

»Und dann?« fragte der Weiße.
»Danach wenden wir uns nach Süden«, erwiderte Cochise.

»Doppelwolf hat das Blut eines Mimbrenjos abgestreift. Er
hofft sicherlich, im Land der Gelbhäutigen Zuflucht zu finden,
denn dies ist seine Heimat. Er vergißt nur, daß er wie ein
Apache aussieht, handelt und riecht.«

»Vielleicht bricht ihm schon diese Tatsache den Hals«,

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murmelte John. »Aber was wird aus dem Mädchen?«

Wyatt Earp sagte nichts. Er ließ sich seine Besorgnis nicht

anmerken. Cochises Worte hatten einen Gedanken in dem
jungen Kämpfer gestärkt, den er nun unbedingt ausführen
wollte.

Er würde sich mit seinem Bruder auf die Spur von Haggery

und Cochise setzen. Vielleicht waren zwei weitere schnelle
Colts in diesem Höllenspiel entscheidend.

*

Myriam stöhnte laut und rutschte vom Pferderücken. Den
Aufprall fing sie mit den Unterarmen ab und blieb scheinbar
ermattet liegen.

Der Hufschlag des anderen Tieres brach ab.
»Steh auf«, sagte Doppelwolf kehlig. »Steh auf und setz dich

auf dein Pferd, Goldhaar.«

»Ich kann nicht mehr«, flüsterte Myriam. »Wasser, ich

brauche Wasser.«

»Kein Wasser«, lehnte der Krieger ab. »Erst wenn die Sonne

sinkt. Vorher nicht.«

Myriam rührte sich nicht. Sie spürte die Hitze wie einen

glühenden Mantel. In den letzten Stunden hatte sie sich
mindestens zehnmal vom Pferd fallen lassen. Es war ihr
einziges Mittel, den Ritt zu verlangsamen. Sie fragte sich, wie
lange Doppelwolf noch geduldig bleiben würde. Packte ihn die
Wut, band er sie bestimmt fest.

Langsam drehte sich die blonde Frau auf die Seite. Sie hielt

die Augen halb geschlossen, blinzelte zu dem Indianer hinauf,
der scheinbar turmhoch aufragte.

»Ich kann nicht mehr«, wiederholte Myriam. »Ich bin nicht

gewohnt, ohne Sattel zu reiten.«

Sie tastete nach der Uhr, ließ den Sprungdeckel aufklappen

und fuhr leise fort: »Meine Zeit verrinnt bereits schneller. Je

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mehr Kraft ich verliere, desto weniger Zeit bleibt mir.«

Doppelwolf bekämpfte die furchtsamen Gedanken, die durch

seinen Kopf schwirrten. Dieses Gerät aus dem gelben
Sonnenmetall beeindruckte den Krieger mehr, als er sich
eingestehen wollte.

»Ich habe keinen Sattel für dich, Goldhaar«, sagte er. »Wenn

du nicht wieder auf das Pony steigst, lege ich dich quer über
seinen Rücken und binde dich fest.«

Die Gleichgültigkeit, mit der diese Drohung ausgesprochen

wurde, ließ Myriam innerlich erschauern. Doppelwolf würde
nicht zögern, und dann verschwand die ohnehin geringe
Chance endgültig.

Die Gefangene tastete an dem Rädchen herum, mit dem sich

die Zeiger der Uhr verstellen ließen. Es gab nach, bewegte
sich, und in der nächsten Sekunden klang der zarte Ton einer
Glocke auf.

»Usen!« schrie Doppelwolf überrascht und sprang einen

Schritt zurück.

Myriam nutzte die Situation sofort aus und sagte: »Das war

die erste Warnung, Krieger. Wenn die Glocke dreimal schlägt,
holt dich der Bote des Todes. Mein Geist will es so.«

Zweifelnd starrte Doppelwolf das Gerät an. War es wirklich

möglich, daß sich ein so mächtiger Geist in diesem Ding
verbarg? Warum eigentlich nicht?

Wenn Usen überall lebte, warum denn nicht auch die Götter

und Geister der Weißen?

»Was will dein Schutzgeist, Goldhaar?« fragte der Krieger

scheinbar gelassen.

»Nur das, was mich am Leben erhält«, erwiderte Myriam.

»Wasser, einen Sattel und Schutz vor der Sonne, damit mein
Kopf nicht leer wird.«

Finster starrte der Indianer seine Beute an. Das bedeutete

Verzögerung. Dabei wollte er einen großen Vorsprung
herausreiten, um die Fährte gut zu verwischen, in Ruhe alle

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54

Spuren zu vernichten.

»Gut, ich gehorche«, sagte Doppelwolf. »Steig auf den

Mustang. In zwei Stunden bekommst du einen Sattel und
Wasser.«

Er vermochte die Verachtung in seiner Stimme nicht zu

unterdrücken. Zum erstenmal fragte sich der Krieger, ob er
nicht einen Fehler gemacht hatte. Diese Frau war keine
Apachensquaw. Sie würde erst nach langen Jahren an das harte
Leben in der Halbwüste gewöhnt sein. Vermochte sie
wenigstens ein Feuer zu entfachen, Fleisch zu braten?

Myriam stand langsam auf. Mit unsicheren Schritten stapfte

sie auf das Pferd zu, umklammerte den Hals und zog sich
stöhnend hoch. Mit beiden Armen umschlang sie den Hals des
Tieres und preßte ihm die Hacken in die Seiten. Langsam
setzte sich das Pferd in Bewegung.

Die nächsten beiden Stunden waren für Myriam mehr als

hart. Der Weg stieg immer steiler an. Kahle Felsen reflektierten
das grelle Sonnenlicht, das in den Augen der blonden Frau
brannte. Die Hitze hing wie ein Gluthauch über diesen Bergen.

Nur selten lockerte sich ein kleiner Stein unter den Hufen des

Tieres. Für jedes noch so winzige Zeichen war Myriam
dankbar. Sie hoffte, daß Wyatt ihr folgte, hoffte, daß er so
vernünftig war, einen erfahrenen Fährtensucher mitzunehmen.

Sie wußte nicht, daß sie die Mule Pass Mountains

durchquerten, auf dem Weg nach Süden waren. Myriam sah
nur, daß der Trail immer glatter wurde. Nirgendwo blieb eine
Spur zurück. Und zahllose Felsspalten und Hohlwege zweigten
von dem Trail ab, den Doppelwolf ritt.

Die Uhr, dachte Myriam, das Gold könnte ein Zeichen

hinterlassen.

Entschlossen ließ sie sich abermals fallen, verdeckte ihre

Hände mit dem gekrümmten Oberkörper und drückte das
goldene Gehäuse der wertvollen Taschenuhr gegen den Felsen.
Vorsichtig rieb sie hin und her und atmete auf, als ein gelblich

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55

schimmernder Streifen das Gestein verfärbte.

Myriam stand mühsam auf, ohne Doppelwolfs Befehl

abzuwarten und kletterte auf das Wagenpferd, das geduldig
wartete.

Noch zweimal fiel die schöne Frau herab und hinterließ das

Zeichen, den goldenen Strich auf hellem Gestein. Ein wirklich
aufmerksamer Scout mußte diesen winzigen Goldstrich
entdecken und wissen, daß er auf der richtigen Fährte ritt.

Myriam fragte sich, woher Doppelwolf den Sattel nehmen

wollte. In ihr keimte die Angst auf, daß er einen weißen Siedler
überfallen könnte, um ihre Wünsche zu erfüllen. Durfte sie das
verlangen? Vermochte sie den Tod anderer für ihre
Bequemlichkeit vor sich selbst zu verantworten?

Die Pferde atmeten schnarchend, als sie eine breite Felsspalte

erreichten. Ohne Zögern leitete Doppelwolf sein Tier hinein.
Nach wenigen Längen saß er ab und forderte Myriam durch
eine herrische Handbewegung auf, es ihm gleichzutun.

»Du wartest hier«, sagte der Krieger. »Ich hole deinen Sattel

und Wasser. Du wirst nicht fliehen, Goldhaar.«

Hatte er ihre Gedanken erraten?
»Wo holst du den Sattel?« fragte Myriam.
»Weiter vorn leben Weiße an einem Bach, der aus den

Felsen rinnt.«

Doppelwolf sah, daß ihr Gesicht starr wurde. Was hatte diese

Squaw nun wieder vor? Furcht glomm in ihm auf, als sie die
Uhr aus ihrem Kleid holte, den Deckel aufspringen ließ und
lange auf die fremden Zeichen starrte. Abermals klang die
Glocke auf.

»Du darfst diese Weißen nicht töten«, sagte Myriam fest und

steckte die Taschenuhr wieder weg. »Er will es nicht.«

Der Krieger stand reglos. War dieser Geist mächtiger als

Usen, der doch über alle Dinge herrschte?

Eine Erinnerung, ein Fetzen nur waberte durch das Gehirn

des Mannes.

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Er vernahm Glockenschläge, sah ein großes dunkles

Holzgehäuse vor sich, in dem sich Zeiger drehten.

›Es ist Zeit, Elena‹, klang eine Männerstimme auf. ›Wir

müssen gehen.‹ Doppelwolf schauderte, zog den Kopf etwas
ein und kam zu dem Schluß, daß dieser Gott wahrhaft Macht
besaß. Er zwang die Menschen zum Handeln. Und er würde
ihn auch zwingen, Dinge zu tun, die kein Apache je vollführte.

»Gut, ich töte nicht«, sagte Doppelwolf.
Unter seinem Gürtel zog er ein paar dünne Lederriemen

hervor. Er packte Myriam an der Schulter, drängte sie gegen
einen Gesteinsvorsprung und fesselte sie an den Felszacken.
Erschöpft schloß die Frau die Augen. Ihr blondes Haar hing
strähnig herab. Es war schweiß- und schmutzverklebt. Der Ritt
hatte Myriam viel abgefordert.

Doppelwolf glitt zu seinem Pony und saß auf. Die

unbeschlagenen Hufe tackten leise über den Felsboden.

Während Myriam dankbar über den Schatten war, den die

überhängenden Steine boten und in eine Art Dämmerschlaf
versank, trieb Doppelwolf seinen Mustang durch einen
Hohlweg, der mit kopfgroßen Brocken übersät war. Geschickt
tänzelte das Pony um die Hindernisse herum und verursachte
nicht viel mehr Geräusche als der Wind, der durch die enge
Schlucht strich.

Endlich saß der Krieger ab. Lautlos glitt er zum Ende des

Hohlweges, verharrte dort lange und spähte in das fruchtbare
Tal hinab, das unter ihm lag.

Dort würde er alles bekommen, Wasser, einen Sattel und

eine Decke. Vielleicht auch Nahrung.

Doppelwolf mußte geschickt vorgehen, wollte er Erfolg

haben. Er durfte nicht töten. Das ließ ihm seine Aufgabe als
schwierig erscheinen.

Nach langen Minuten setzte sich der Krieger in Bewegung.

Wie ein Schemen glitt er von Deckung zu Deckung, legte einen
Teil der Strecke kriechend zurück und blieb hinter einem

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Joshuabaum liegen und spähte abermals.

Alles auf der kleinen Farm war ruhig. Der Wind wehte von

Norden, Doppelwolf genau entgegen. Deutlich unterschied er
die Gerüche der fremden Tiere, den Duft des Grases und des
Getreides, das in der Sonne trocknete.

Mittagszeit. Der höchste Stand der Sonne tauchte das Land in

eine Hitzewelle, die schwer über dem Tal hing.

Doppelwolf glitt weiter. Wie eine Schlange kroch er voran,

erreichte einen hölzernen Zaun, hinter dem ein Dutzend Schafe
graste. Die Tiere witterten den Apachen, den fremden Geruch.
Ängstlich blökten sie, drängten sich aneinander und wichen
zurück.

Der Krieger huschte zwischen den Stangen durch, lief

geduckt weiter bis zur Ecke des Corrals und lauschte.

Das dürftige Wohnhaus, aus Balken und Steinen erbaut,

stand nur wenige Schritte entfernt.

»Fred, was haben die Schafe bloß?« fragte eine Frau.
»Vielleicht ein Luchs oder ein Puma«, erwiderte der Mann.

»Ich sehe mal nach, Eileen.«

Doppelwolf kletterte geschmeidig durch die Corralstangen

und stand reglos neben der Tür des Hauses. Sie schwang auf,
knirschte leise. Das Metall eines Gewehrlaufes blinkte in der
Sonne.

*

Die drei Männer wirkten wild und verwegen. Alle trugen
Wagenradsombreros, die ihre Gesichter in Schatten tauchten.
Pechschwarze Schnauzbärte verdeckten die Oberlippen.

Die Patronen in den über der Brust gekreuzten Gurten

blinkten in der Sonne gelblich auf. Wachsam wandten die
Mexikaner immer wieder die Köpfe. Ihr Trail war gefährlich.
Sie ritten durch Apachenland. Und nur die harten Goldpesos,
die ihnen am Ziel winkten, hatte die Bandoleros überhaupt

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aufbrechen lassen.

Nun befanden sie sich auf dem Rückweg. Wichtige

Nachrichten trugen die drei Männer nach Mexiko. Hatten sie
die Mule Pass Mountains erst überwunden, durften sie sich in
Sicherheit wähnen. Obwohl überall Apachen umherstreiften,
waren Kämpfe unmittelbar an der Grenze selten.

Und auf der anderen Seite, in der mexikanischen Provinz

Sonora, warteten Männer auf die drei Kundschafter. Benito
Pablo Juárez versteckte sich mit seiner Armee im Bergland von
Sonora. Die französischen Hilfstruppen und Kaiser Maximilian
hatten den rechtmäßigen Präsidenten vertrieben.

Juárez benötigte dringend moderne Waffen und Munition.

Seine Melder hatten die drei Bandoleros ausfindig gemacht und
sie auf den heißen Trail in die Staaten geschickt. Dort sollten
die Burschen erkunden, ob die Americanos gegen harte Pesos
oder Gold oder Silber Waffen und Patronen verkaufen würden.

Die Bandoleros hatten einen Mann gefunden, der liefern

wollte. Und nun spukte in den Köpfen der drei Mexikaner ein
Plan herum. Sie würden sich in die ganze Geschichte
einschalten, die Transporte durchführen und eine Menge Pesos
machen.

»Enrico, warte«, sagte einer der drei Männer.
Der vorderste Reiter zügelte sein Pferd, einen braunen

Wallach.

»Hörst du nichts?« fragte der zweite.
»Manolos Ohren sind besser als die eines Luchses«, sagte der

letzte Mann.

»Halt's Maul, Pedro«, erwiderte Manolo. »Da, jemand ruft

um Hilfe, hört sich nach einer Frauenstimme an.«

Die rauhen Kerle tasteten nach ihren Waffen.
»Eine Falle«, stieß Enrico hervor, »die roten Teufel haben

jemanden gefangen und liegen nun auf der Lauer. Sobald wir
uns sehen lassen, reißen sie uns in Stücke.«

Manolo zupfte am Zügel. Die Fuchsstute ging an, änderte die

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Richtung und marschierte über ein schmales Felsband bergauf.

»Er ist verrückt geworden«, sagte Pedro zu seinem Freund

Enrico. »Wir sehen ihn niemals wieder.«

»Nicht nur das«, erwiderte der andere, »er hetzt uns auch

noch die Apachen auf den Hals. Los, hinterher.«

»Der zweite Verrückte«, sagte Pedro fassungslos, doch er

folgte seinem Freund auf den schmalen Felsenweg.

Das Rufen war deutlicher geworden. Sie konnten nicht mehr

weit entfernt sein. Manolo sprang aus dem Sattel, nahm den
Sombrero ab und lief zur Steilkante. Der große Schatten des
Hutes hätte den Mann vielleicht verraten, wenn er über den
Abhang spähte.

Manolo zuckte zurück. Seine Freunde liefen heran, setzten

ihre Schritte vorsichtig, um das Geklingel der großen
Radsporen zu vermeiden.

»Was ist? Was hast du gesehen?«
»Eine Frau, eine blonde Americana«, erwiderte Manolo. »Sie

ist an einen Felszacken gefesselt. Ein ungesatteltes Pferd steht
in ihrer Nähe. Keine Ausrüstung, Amigos.«

Einrico fluchte halblaut und sagte schließlich: »Eine Falle,

wie ich schon sagte. Irgendwo lauern die roten Hunde, um die
Idioten abzuschlachten, die sich in den Kopf setzen, dieses
Weib zu befreien.«

Manolo schob sich erneut zur Kante vor und blickte lange

hinab.

Enrico glitt neben ihn, musterte das felsige Land, die

unzähligen Spalten und Einschnitte und raunte: »Da können
sich hundert Apachen verbergen. Wir sterben, wenn wir
runtergehen. Sei vernünftig, Manolo. Laß die blonde Pute
doch. Außerdem: was willst du mit ihr anfangen?«

Manolos Lächeln wurde böse und gemein.
»Kannst du dir das nicht vorstellen?« fragte er. »Wir

behandeln sie freundlich und höflich, bringen sie nach Mexiko.
Bei Elvira wird sie schon ihre Arbeit lernen. Und wir,

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60

Compadres, wir brauchen nichts zu bezahlen.«

Verblüfft starrten die beiden Gefährten den dritten Mann an.

Beinahe hätten sie ihm auf die Schulter geklopft und laut ihre
Zustimmung hinausgebrüllt.

Denn das war ja eine tolle Idee. Diese blonde Americana zu

Elvira in das Freudenhaus zu bringen, das die Mexikanerin in
Del Rio betrieb.

»Ich glaube auch nicht, daß eine Menge Aachen in der Nähe

lauern«, fuhr Manolo fort. »Ich habe einfach ein gutes Gefühl
bei der Sache. Ihr wißt doch, daß ich die Apachen wittere wie
ein guter Jagdhund.«

Das stimmte genau, und so ließen sich Enrico und Pedro

überreden. »Wie gelangen wir zu der Frau?« fragte Pedro.

»Mit den Reatas«, raunte Manolo, »holt sie. Ihr laßt mich

runter. Haltet nur fest. Sobald ich unten bin, nehmt ihr die
Revolver, falls sich doch noch Apachen sehen lassen.«

Nach wenigen Minuten waren die Wurfseile

zusammengeknotet. Manolo streifte sich die Schlinge über und
setzte sich auf die Kante des Abgrundes.

Langsam ließen ihn seine Freunde in die Tiefe hinab.
»Locker lassen«, sagte Enrico.
Manolo streifte sich die Schlinge ab, trat mit zwei Schritten

an die gefesselte Frau heran und durchschnitt die Riemen mit
seinem Dolch. Haltlos fiel Myriam nach vorn.

»Was ist geschehen?« fragte der Mexikaner leise in

ausgezeichnetem Englisch.

»Ein Apache, er hat mich entführt«, murmelte die schöne

Frau undeutlich. Ihre Zunge war geschwollen, lag wie ein
fremder Klumpen im Mund und hinderte sie, deutlicher zu
reden.

»Nur einer?«
»Ja, ein Krieger«, flüsterte Myriam.
»Nichts wie weg«, sagte Manolo und streifte der Blonden die

Schlinge über. Myriam nahm gar nicht richtig wahr, daß der

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Mexikaner sich ziemlich lange damit beschäftigte, das Seil
zurechtzurücken und dabei gierig ihren Busen betastete.

Sie war froh, dieser Höllenhitze zu entkommen, vielleicht

sogar Wasser zu erhalten.

Myriam schwebte nach oben, fühlte sich von kräftigen

Fäusten gepackt und zu Boden gelegt. Die Schlinge fiel wieder
hinab, und kaum eine Minute später schwang sich Manolo über
die Kante.

Grinsend deutete er auf die Blonde und fragte seine

Gefährten: »Na, was sagt ihr dazu Amigos?«

Enrico schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen vor

Entzücken. So ein Klasseweib konnte einem Mann schon die
Stunden versüßen. Und Elvira würde diese Americana schon
gefügig machen. Darin war die Mexikanerin unerreicht.

»Also, verschwinden wir«, sagte Pedro. »Je schneller wir

reiten, desto eher erreichen wir Sicherheit.«

Manolo kratzte sich in den fettigen Haaren, die ihm bis auf

die Schultern hingen und murmelte einen Fluch.

»Was ist los?« fragte Enrico.
»Laßt mich noch mal runter«, erwiderte der andere. »Ich

habe was vergessen.«

»Jetzt ist er wirklich übergeschnappt«, erklärte Pedro

nachdrücklich.

»Nein, diese Señorita wurde von einem einzigen Apachen

entführt«, erwiderte Manolo. »Wir besitzen nur drei Pferde,
kommen also mit doppelter Last auf einem Gaul nicht schnell
genug voran. Der Indianer hat jetzt zwei Tiere, wird uns
einholen, kapiert?«

»Du willst den Gaul doch nicht erschießen?« fragte Pedro

entsetzt.

Manolo zog seinen Dolch aus dem Gürtel und antwortete:

»Ich bin lange nicht so verrückt, wie du denkst, Amigo.«

Sie ließen ihren Freund also noch einmal hinab. Manolo

huschte zu dem Pferd, das mit hängendem Kopf dastand. Ein

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blitzschneller Hieb mit der Messerklinge genügte. Die
Schlagader war durchtrennt. Mit einem fast menschlichen
Seufzen brach das Tier einige Sekunden später zusammen.

Der Mexikaner rannte zum Seil zurück und ließ sich

hochziehen.

Die blonde Frau hatte sich aufgesetzt. Pedro wickelte die

Reatas auf, und Enrico gab der Americana die Wasserflasche.

»Langsam trinken«, riet der Mexikaner, »immer nur ein paar

Tropfen und erst den Mund anfeuchten.«

Myriam befolgte diesen Rat und spürte schon nach ein paar

Sekunden, daß es ihr besserging

.

Sie musterte die Mexikaner

genauer und vermochte ein unbehagliches Gefühl nicht zu
unterdrücken.

Sicher, viele Männer liefen so gekleidet herum. Die Reiter

der Wildnis trugen fast alle gekreuzte Patronengurte und
hielten ihre Waffen tadellos in Ordnung.

Aber die Augen, der Ausdruck der Gesichter gefiel Myriam

nicht. Sie spürte, daß die drei Mexikaner auf der anderen Seite
des Zaunes standen. Sie gehörten zu den Nachtfalken, den
Langreitern, die für harte Pesos oder Dollars jeden Job
annahmen und ausführten.

»Danke, Señores«, sagte Myriam nach ein paar Minuten.

»Sie haben mich gerettet. Dieser Krieger sieht mich als Beute
an. Wohin reiten Sie? Können Sie mich in Sicherheit bringen?«

Manolo grinste breit und antwortete: »Señorita, für eine

schöne Frau lassen wir alle Geschäfte fahren. Wir bringen Sie
über die Grenze nach Mexiko. Ich habe in Del Rio eine
Schwester. Dort können Sie sich erholen und überlegen, was
Sie unternehmen werden.«

Myriam nickte. Es war gleichgültig, in welche Richtung sie

ging. Wenn dieser Weg nur weit genug von Doppelwolf
wegführte.

»Wir wechseln uns ab, jeder nimmt sie ein Stück weit aufs

Pferd«, schlug Enrico vor und fuhr sich mit der Zunge über die

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Lippen, denn seine Gedanken beschäftigten sich mit den
Rundungen dieser Frau.

Myriam gelangte auf die Beine. Sie spürte noch immer

Schwäche, Mattigkeit und Hunger. Unsicher ging sie auf eines
der Tiere zu, einen kräftigen braunen Wallach.

Sie schaffte es nicht, allein in den Sattel zu steigen. Enrico

half und achtete darauf, während des Hinaufhebens möglichst
viel vom Körper der Americana zu betasten.

Seine Kumpane sahen neidisch zu, trösteten sich jedoch mit

dem Gedanken daran, daß die Blonde nach einigen Meilen das
Pferd wechseln mußte.

Myriam selbst schloß die Augen. Es war sinnlos, sich gegen

die gierigen Hände zu wehren. Diese Kerle würden sie eiskalt
in der Felsenwildnis zurücklassen. Sollten sie doch an ihr
herumtasten. Schlimmer als Doppelwolfs Absichten konnte
dies auch nicht sein.

Sie ahnte nicht, welches Schicksal die drei Banditen ihr

bereiten wollten. Vielleicht wäre sie zu Doppelwolf
zurückgekehrt.

Die Hufeisen klirrten über das Gestein, als die drei Halunken

zu ihrem alten Trail zurückritten, der durch die Berge nach
Süden führte, zur Grenze, hinter der schon mehr als ein
Mensch spurlos verschwunden war.

*

Doppelwolf packte blitzschnell zu. Der Weiße schrie
überrascht auf, ließ die Waffe fallen und brüllte: »Indianer!«

Er versuchte zurückzuspringen, in die Sicherheit der Hütte zu

gelangen, aber Doppelwolf warf ihm das Gewehr zwischen die
Beine.

Der Mann stolperte, fiel hin, und mit einem pantherartigen

Sprung setzte der Krieger über den Weißen hinweg.

Eine Frau warf sich über eine Holzkiste. Ein Kind schrie

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erschrocken und wimmerte, als es die Last der Mutter spürte,
zu wenig Luft bekam.

Der hünenhafte Apache stand mitten in dem einfach

möblierten Raum. In der linken Hand hielt er das Messer,
dessen Klinge im Sonnenlicht aufblinkte, das durch ein
winziges Fenster drang.

Die Rechte umklammerte einen erbeuteten Revolver.
Hinter Doppelwolf scharrten Stiefel über den Boden. Der

Krieger federte zur Seite, richtete die Mündung auf den
Weißen, der sich aufrichtete und auf die Winchester blickte, die
zwei Armlängen entfernt lag.

»Ich brauche einen Sattel«, sagte Doppelwolf kehlig. »Sattel,

Wasser und Nahrung der Weißen.«

Die Frau wimmerte fast im gleichen Tonfall wie ihr Kind.

Sie hörte gar nicht, was der Eindringling sagte.

Ihr Mann blickte den Krieger mißtrauisch an.
»Wenn du alles hast, tötest du uns«, sagte der Farmer rauh.

»Also bring uns lieber gleich um und suche deinen Kram
selbst.«

Doppelwolf zeigte grinsend seine starken weißen Zähne und

lachte rollend.

»Nicht töten«, erwiderte er, »der Geist hat es verboten. Bring

mir einen Sattel. Die Squaw und das Kind bleiben bei mir.«

»Eileen, hörst du?« rief der Mann drängend.
Das Wimmern der Frau erstarb. Sie hob den Kopf. Angst

flackerte in den hellen Augen, Todesangst verzerrte ihr
Gesicht.

Doppelwolf glitt lautlos über die Bodenbretter, die sonst bei

jedem Schritt knarrten. Wie fasziniert blickten die Weißen auf
die geschmeidigen Bewegungen des Apachen, der zum
gemauerten Kochherd ging und mit dem Messer den Deckel
von einem Topf stieß.

Doppelwolf verzog das Gesicht bei dem Geruch, der aus dem

Kessel aufstieg. Dies war keine Nahrung, wie er sie kannte. Er

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würde sämtliches Essen der Weißen gegen ein Stück
Maultierfleisch eintauschen.

»Was ist das?« fragte er.
»Ein Stew, mit Hammelfleisch«, erwiderte der Farmer.
»Überlebt ein Weißer, wenn er davon ißt?« wollte

Doppelwolf wissen.

Für eine Sekunde erschien ein Grinsen auf dem Gesicht des

Farmers, und er sagte: »Er fühlt sich sogar dabei wohl.«

»Gut, den Sattel und Wasser«, forderte der Krieger,

»schnell.«

»Geh, Fred, hol ihm, was er will«, flüsterte die Frau, die sich

langsam aufrichtete. »Vielleicht bleiben wir am Leben, wenn
du ihm etwas gibst. Ich weiß es nicht.«

Der Mann atmete schwer und stapfte zur Tür. Er blieb

stehen, wandte den Kopf und erwiderte: »Vielleicht warten
aber auch draußen die Kumpane des Kerls und wollen mich in
Stücke schießen.«

Trotz seiner Furcht verließ der Farmer das einfache Haus und

marschierte zum Stall hinüber. Es dauerte nicht lange, bis er
mit einem Sattel in der Türöffnung stand.

»Ich hole die Wasserflasche und fülle sie am Bach«, sagte

der Weiße und ging abermals davon.

»Was willst du noch?« fragte die Frau mit bebender Stimme.
»Nichts, Squaw«, erwiderte Doppelwolf. »Ich brauche die

Dinge der Bleichgesichter nicht.«

»Wem willst du dann den Sattel geben und das Essen?«

fragte die Farmersfrau erstaunt.

Der Apache steckte den Colt in den Bund seiner Hose und

klemmte sich das Messer zwischen die Zähne. Er bückte sich,
nahm die Winchester auf und beobachtete die Squaw, deren
Augen sich weiteten.

In rasender Schnelligkeit betätigte Doppelwolf den

Unterhebel und schnellte Patrone um Patrone aus dem
Röhrenmagazin. Die Messingzylinder schob er mit dem Fuß

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zusammen und scharrte sie unter das einfache Bett, das in einer
Ecke des Raumes stand.

»Wo ist der Revolver deines Mannes?« fragte er.
»Neben der Tür«, erwiderte die Farmersfrau gepreßt.
Der Apache entlud auch den Colt. Diese Patronen warf er zu

den übrigen, ehe er den Gurt vom Haken nahm und sich um
den Hals hing.

Ein paar Sekunden überlegte Doppelwolf. Ja, er hatte alles

beachtet, was ihm gefährlich werden konnte.

Er glitt zum Herd, prüfte die Temperatur des Kessels und

stellte fest, daß er kalt genug war.

»Nimm dein Kind«, sagte er zur Frau, die abwehrend die

Hände ausstreckte.

»Nein!« schrie sie. »Warum willst du uns töten? Wir haben

dir nichts getan, nie Streit mit einem Indianer gehabt.«

»Geh zu den Schafen«, befahl Doppelwolf grinsend. »Dort

gehört ihr Bleichgesichter hin.«

Die Frau preßte das kleine Kind an sich, als sie unsicher

hinausging und auf den Pferch zumarschierte.

»He, was ist denn jetzt?« schrie ihr Mann, der vom Bach

herbeigerannt kam und eine Wasserflasche schwang.

»Leg die Flasche neben den Sattel«, verlangte der Apache.

»Und dann gehst du auch zu den Schafen. Ich brauche hundert
Schritte Vorsprung.«

Der Farmer begriff, als er den Revolvergurt um den Hals des

Indianers sah. Hundert Schritte genügten dem Apachen. In
dieser Entfernung vermochte er sicherlich jeder Kugel
auszuweichen. Und der Weiße mußte erst die Patronen suchen
und das Gewehr laden.

Widerwillig gab Fred innerlich zu, daß sich der Indianer

einen guten Plan zurechtgebastelt hatte. Sämtliche Vorteile
waren auf seiner Seite.

Der Farmer legte die Canteen ab und lief hinter seiner Frau

her, die sich in die hinterste Ecke des Schafpferches

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zurückgezogen hatte.

Doppelwolf löste den Gurt, hing sich die Wasserflasche um

und darüber das Revolverleder. Anschließend wuchtete er sich
den Sattel auf die Schultern, steckte das Messer in den Gürtel
und zog den eigenen Revolver. Vom Herd holte der hünenhafte
Kämpfer den Topf und trat danach wieder ins Freie.

Er lief los, als spüre er die Last überhaupt nicht. Instinktiv

wußte er, wann er die sichere Entfernung erreicht hatte und
wandte sich um. Die Weißen standen noch immer innerhalb
des Gatters und starrten ihm nach. Sie machten keine
Anstalten, ins Haus zu laufen und das Gewehr zu holen, um
hinter dem Apachen herzufeuern.

Doppelwolf setzte den Topf ab, nahm den Coltgurt vom Hals

und ließ ihn fallen. Er wußte selbst nicht, warum er so
handelte.

Nur noch wenige Schritte, und er stand vor seinem

gescheckten Mustang. Doppelwolf stieg auf, legte den Sattel
auf die Oberschenkel, packte die Graszügel und schnalzte mit
der Zunge. Willig marschierte der Pinto los. In wenigen
Minuten gelangte der ehemalige Mexikaner zu seiner Beute,
zur Squaw mit dem Goldhaar. Sie würde essen, trinken und im
Sattel weiterreiten. Irgendwann erreichten sie das Land der
Gelbhäutigen, wie Doppelwolf seine eigentlichen
Rassegenossen noch immer nannte. Dort mußte er sich das
Haar abschneiden, um nicht wie ein Apache zu wirken.

Für Sekunden schwindelte dem jungen Kämpfer. Denn

plötzlich tauchten all die Dinge in ihm auf, die er noch lernen
mußte. Und seine indianische Erziehung lehnte sich mit aller
Kraft dagegen auf.

Noch eine Biegung. Tief sog der muskulöse Krieger die Luft

in seine Lungen. Der fremdartige Geruch des Essens störte ihn
beim Prüfen des Duftes, den er zu wittern glaubte.

Es roch nach Blut!
Doppelwolf hieb seinem Pony die Hacken in die Flanken.

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Das Tier streckte sich, wurde schneller, erreichte die Biegung,
trabte weiter und blieb jäh stehen, als Doppelwolf einen lauten
Schrei ausstieß.

Blitzschnell verwandelte sich der junge Mann wieder in

einen Apachen. Er ließ die fremden Gegenstände fallen, riß
sich die Canteen vom Hals und warf sie weit weg. Mit einem
Sprung gelangte Doppelwolf zu Boden. Witternd wie ein
Hund, weit vorgebeugt, suchte er nach Spuren.

Das tote Pferd war noch warm. Die rohledernen Riemen

lagen zerschnitten unter der Felszacke, an die der Krieger seine
goldhaarige Beute angebunden gehabt hatte.

Kratzer auf dem Gestein der Wand erregten Doppelwolfs

Aufmerksamkeit. Er schwang sich auf seinen Mustang und
trieb das Tier an. In scharfem Trab legte es ein Stück
Felsenweg zurück, bis sein Reiter einen Pfad entdeckte, der
steil in die Höhe führte. Ohne Zögern lenkte der Mann sein
Pferd auf das schmale Felsband.

Als er die Oberkante erreichte, sah er sich um. Langsam

näherte er sich der Stelle, an der die Pferde der Diebe
gestanden hatten. Deutlich erkannte Doppelwolf, daß es sich
um drei Reiter handelte, deren Tiere alle nach Art der Weißen
Hufeisen trugen.

Zorn und Haß brachen in dem jungen Mann auf. Er fühlte ein

Glühen in sich, das er kaum zu beherrschen vermochte. Weiße
oder Gelbhäutige hatten ihm die Squaw mit dem Goldhaar
gestohlen. Zum erstenmal war es Cochise gewesen, der die
Squaws befreite. Und nun, nachdem sich Doppelwolf seine
Beute zurückerobert hatte, stahlen ihm Menschen einer anderen
Rasse die weiße Frau.

Der Krieger hob beide Arme zur Mittagssonne empor und

rief in der Sprache der Mimbrenjos: »Usen, Großer Geist
unseres Volkes, wenn du mit deinem Kind bist, so helfe mir.
Gib mir Kraft, laß den Haß nicht versiegen, bis ich die Männer
gefunden und getötet habe. Wenn du mich als dein Kind siehst,

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so hilf mir. Ich kehre zum Stamm zurück und werde bis an das
Ende meiner Zeit wie ein Krieger unter den anderen leben.«

Ein Wind fauchte auf, wurde stärker und wehte heiße,

glühende Luft von der Wüste in die Berge.

Doppelwolf nahm dies als ein Zeichen des Großen Geistes.

Obwohl dieser peitschende Sturm, der die Sandkörner in
gefährlich scharfe, winzige Messer verwandelte, die Spuren der
Flüchtenden verwischte, fühlte sich Doppelwolf zufrieden.

Er spürte seinen Haß mächtig aufflammen und schrie Worte

in den Sturm, deren Sinn nicht einmal er selbst begriff.

Doppelwolf wußte, daß er die blonde Squaw abermals finden

würde. Denn er vermochte sich kein Leben ohne sie mehr
vorzustellen. Und er war fest entschlossen, mit ihr zu den
Mimbrenjos zurückzukehren. Nun kannte er seinen Platz. Das
Blut der Gelbhäutigen in seinen Adern war schwach. In Zeiten
der Not überwog die Erziehung der Apachen.

Minuten später trieb der Mann seinen Mustang an. Er folgte

der Fährte der gelbhäutigen Banditen, würde sie stellen und
töten. Und ihre Skalps würden sein Jacale zieren, das er mit der
blonden Frau teilen wollte.

*

Cochise überließ Haggerty das Verfolgen der Fährten. Der
Chief sah weder einmal, daß sein Freund Falke ein
hervorragender Scout war. Die wenigsten Weißen besaßen die
Fähigkeit, auf solch kargem Boden eine Spur zu erkennen und
zu deuten.

»Er reitet auf dein Gebiet zu, auf die Dragoon Mountains«,

sagte John erstaunt zu Cochise. »Weiß er nicht, daß die
Chiricahuas ihn jagen wollen?«

Der Chief lächelte und erwiderte: »Falke, er will uns

täuschen. Irgendwo biegt er nach Süden ab. Ich glaube, daß er
in die Heimat seines Vaters möchte.«

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Stunde um Stunde folgten der Apachenhäuptling und der

Chiefscout der Fährte des Rebellen. Mitten in der Mule
Mountains zügelte John Haggerty sein Pferd und blickte sich
um.

Ein halbes Dutzend Wege zweigten ab. Doppelwolf konnte

jede Richtung eingeschlagen haben. John hielt Ausschau nach
Kratzern im Felsen, die von den Eisen des beschlagenen
Wagenpferdes stammten. Er fand nichts, keinen einzigen
Hinweis auf die Richtung, die der Flüchtende eingeschlagen
hatte.

»Aus«, sagte Haggerty bitter. »Wir haben ihn verloren.

Dieser Doppelwolf ist schlauer als zwei Wölfe, schlauer als ein
ganzes Rudel, mein Freund.«

Der Häuptling lächelte und ritt an Falke vorbei.
»Diese Richtung«, sagte Cochise nach einigen Sekunden

bestimmt und deutete auf den Trail, der südlich verlief.

»Woher weißt du das?« rief John verblüfft. »Wo entdeckst

du eine Spur?«

»Deine Augen sind gut, mein Freund«, erwiderte der

Häuptling. »Aber dein Kopf arbeitet nicht richtig. Sag, wie oft
ist die gelbhaarige Squaw vom Pferd gefallen?«

»Achtmal, denke ich«, erwiderte Haggerty ohne Zögern.
»Zehnmal«, korrigierte der Jefe, »einmal hast du die

Anzeichen übersehen. Und das zehnte Mal fiel sie hier. Ich
meine, sie ließ sich absichtlich fallen. Sie ist klug, diese Frau
mit dem Goldhaar. Sie weiß, daß ein Mustang auf dem Felsen
kaum Spuren hinterläßt. Darum brachte sie ein Zeichen an,
welchen Weg Doppelwolf einschlug.«

Ungläubig starrte John seinen indianischen Freund an und

schwang sich aus dem Sattel. Langsam, Schritt für Schritt ging
der Scout weiter, suchte jeden Quadratfuß mit seinen Blicken
ab, entdeckte jedoch nichts.

»Stell dich so, daß die Sonne auf die Felsen scheint«,

forderte Cochise seinen weißen Bruder auf.

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Haggerty schüttelte den Kopf, nahm aber die gleiche Position

ein, wie vorhin der Jefe und bemerkte plötzlich ein
goldschimmerndes Aufblinken in der Sonne.

»Bei allen tausend Teufeln der Hölle«, murmelte Haggerty.

»Das gibt's doch gar nicht!«

Er ging langsam weiter, behielt den goldenen Strich im Auge

und beugte sich weit hinab. Ja, auf dem Grau der Felswand
schillerte ein Streifen, der eindeutig aus abgeriebenem Gold
bestand.

»Cochise«, sagte John, nachdem er sich aufgerichtet hatte,

»du bist nicht zu schlagen. Verrate mir, wie du dieses Zeichen
gefunden hast. Ich begreife das nicht.«

Cochise lachte leise und hielt alle Finger gespreizt hoch.
»Zehnmal, Falke«, erwiderte der Apache, »fiel die

goldhaarige Squaw vom Pferd. Das gab mir zu denken. Ist sie
nicht auf ungesattelten Tieren bis nach Tombstone geritten,
nachdem Naiche und ich sie befreiten? Wieso vermochte sie
nach einem Tag in der Stadt nicht mehr ohne Sattel zu reiten?
Das fragte ich mich. Und in meinem Kopf hörte ich wieder die
Worte der Frau. Sie sprach davon, daß sie etwas gelernt habe,
daß sie nun wüßte, daß nicht alle Menschen schlecht wären,
nur weil sie Apachen sind.«

Oder Weiße, fügte Haggerty in Gedanken hinzu.
»Sie ist eine kluge Squaw, Falke«, fuhr Cochise fort. »Sie

ahnte, daß Doppelwolf dann die Richtung ändern würde, wenn
keine Spuren zu sehen waren. Darum ließ sie sich immer aus
dem Sattel fallen.«

Haggerty schüttelte den Kopf. Gut, bis hierher vermochte er

den etwas verworrenen Gedanken des Häuptlings zu folgen.
Aber was Myriams Klugheit mit dem goldenen Streifen am
Gestein zu schaffen hatte, brachte John einfach nicht
zusammen.

»Dein Kopf arbeitet nicht richtig, Falke«, wiederholte der

Häuptling der Chiricahuas. »Ich dachte an die Uhr aus Gold,

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die verschwunden war. Der junge Kämpfer erzählte davon.
Dieses Zeichen ist Gold, das weiche Sonnenmetall. Denkst du
jetzt?«

Haggerty nannte sich innerlich einen vollkommenen Narren.

Da lagen alle Fakten und Beweise vor ihm. Und er schaffte es
einfach nicht, sie miteinander zu verknüpfen. Ein
Naturmensch, ein Mann der Wildnis dachte weiter als der
sogenannte zivilisierte Weiße, der die Zusammenhänge nicht
erkannte.

»Ich gebrauchte meinen Kopf nicht richtig«, gab der Scout

zu. »Reiten wir weiter?«

Statt einer Antwort trieb der Häuptling seinen Mustang an.
Lange Zeit später, die Sonne neigte sich schon dem

westlichen Horizont entgegen, verhielt der Führer der
Chiricahuas abermals sein Tier. Prüfend sah sich Cochise um.

»Wir nähern uns einem Ort, der nach Blut riecht«,

verkündete der große Apache. »Ich rieche das getrocknete Blut,
das tote Fleisch eines Tieres.«

»Oder das eines Menschen«, erwiderte John unruhig.
Cochise schüttelte nach Art der Weißen den Kopf und

entgegnete lächelnd: »Nein, ein toter Mensch riecht anders.
Und ein toter Apache wiederum anders als ein lebloses
Bleichgesicht. Eine Squaw anders als ein Mann. Ein Tier starb
vor Stunden in diesem Gebiet. Wir sehen nach, Falke.«

Haggerty gab auf. Er war dem Häuptling nicht gewachsen.

Cochise übertraf Johns Fähigkeiten als Spurenleser um ein
Vielfaches.

Erst als sie bereits ziemlich nahe am Pferdekadaver

angelangt waren, roch auch Haggerty den Tod.

Nach einiger Zeit fanden sie einen Kochtopf, der auf der

Seite lag. Ein Stew war zum Teil herausgelaufen.

»Hier, ein Coltgurt ohne Waffe«, rief Haggerty.
»Und dort liegt ein Sattel, wie ihn die Blaßhäutigen

benutzen«, erwiderte Cochise. »Doppelwolf war hier. Was

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suchte er?«

John fand die Wasserflasche und benutzte diesmal sein

Gehirn.

»Er holte Essen, Wasser und einen Sattel«, sagte der Scout

langsam. »Den Waffengurt nahm er wegen der Patronen mit.
Niemand sollte hinter ihm herschießen. Das bedeutet, daß die
Menschen noch leben, die er ausplünderte. Jefe, weißt du, was
ich glaube? Daß Myriam am Ende war, daß sie einen Sattel
brauchte, um weiterreiten zu können. Daß sie Nahrung und
Wasser benötigte, denn sie ist eine Weiße und keine
Apachensquaw.«

Cochise suchte weiter und entdeckte die zerschnittenen

Riemen unter der herausragenden Felszacke. Ihm entgingen
weder die Kratzer an der Steilwand noch die kaum sichtbaren
Fährten eines unbeschlagenen Pferdes, wie es die Apachen
ritten.

»Suchen wir die Weißen, denen Doppelwolf die Dinge

abnahm«, sagte John. »Velleicht können die uns einen Hinweis
geben.«

Gelassen sah der Chief zu, wie sein weißer Bruder die

fremden Dinge aufsammelte und seinem Pferd aufpackte.
Nebeneinander ritten sie in die Richtung, die Cochise wies und
entdeckten bald schon die Farm, die wie ausgestorben unter
ihnen lag.

Nach langer Zeit blökten ein paar Schafe. Kein Mensch ließ

sich blicken.

»Wir reiten offen auf das Haus zu«, entschied Haggerty.
Cochise hatte Bedenken, schwieg jedoch. Wenn die

Menschen durch Doppelwolf erschreckt worden waren, würden
sie sofort feuern, sobald sie einen Indianer sahen.

Bis auf vier Pferdelängen kamen die beiden Freunde an das

kleine Farmhaus heran.

Plötzlich flog die Tür auf. Aus dem Halbdunkel des Raumes

blühten orangerote Feuerblumen auf. Eine Winchester

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hämmerte ihr tödliches Lied. Das Blei schwirrte dicht an
Cochise und John vorbei.

Haggerty duckte sich hinter dem Hals seines Tieres. Als er

dreizehn Schüsse gezählt hatte, richtete er sich wieder auf.

»Hallo!« brüllte der Scout, »ich bringe euch den Coltgurt

zurück. Ihn und den Sattel und den Kochtopf. Wir fanden das
Zeug in den Bergen. Seid ihr übergeschnappt, oder was ist mit
euch los?«

Es blieb lange still, zu lange, fand John. Die Zeit reichte aus,

ein halbes Dutzend Winchestergewehre aufzuladen.

»Wer ist dieser verdammte Indianer, Mister?« brüllte ein

Mann aus dem Halbdunkel des Hauses. »Wir hatten heute
schon mal Besuch. Und er benahm sich mächtig schlecht,
dieser rote Kerl. Er könnte glatt ein Sohn von dem Roten neben
dir sein.«

»Doppelwolf«, sagte Cochise leise. »Er ist groß und kräftig,

wie Naiche und ich es sind.«

»Mann, ich bin John Haggerty, der Chiefscout der Army im

Südwesten«, rief der Falke. »Neben mir sitzt Cochise, der
Chief aller Apachen auf seinem Mustang. Wir sind hinter
einem Rebellen der Mimbrenjos her. Er hat eine weiße Frau
aus Tombstone entführt. Wir brauchen ein paar Auskünfte.«

Wieder blieb es lange Zeit still. John schien es, als beriete

sich der Farmer mit anderen.

Endlich kam die Antwort. »Okay, kommt näher, aber

versucht keine Tricks. Ich schieße ohne Warnung. Der Besuch
von heute mittag hat uns gereicht.«

»Schon gut, Mann, du hast nichts zu befürchten«, erwiderte

Haggerty und preßte seinem Pferd die Absätze in die Seiten.

Langsam marschierte das Tier auf die Farm zu. Die Schafe

drängten sich in die Ecke ihres Pferches. Sie schienen gewarnt
zu sein. Vielleicht erinnerten sich die Wollbiester noch an den
Geruch des anderen Indianers.

»Er hat Angst, Bruder«, murmelte Cochise, der sein Pferd

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dicht neben Johns Tier trieb. »Ein Mann voller Angst handelt
oft unbesonnen. Vergiß das nicht bei deinen Worten.«

John nickte und saß ab. Er wuchtete den Sattel herunter und

legte ihn neben die Tür. Kochtopf und Gurt warf er ins Innere
des Hauses.

»Zufrieden, Mister?« fragte der Scout gedehnt. »Leg endlich

die Kanone weg und rede vernünftig mit uns. Der Mann, der
sich um das Zeug erleichterte, heißt Doppelwolf. Er ist ein
Mimbrenjo, der dem Gesetz der Apachen verfiel.«

In groben Zügen und einfachen Worten erzählte der Scout,

was in den letzten Tagen um Tombstone geschehen war. Bevor
der Farmer antworten konnte, klang erneut Hufschlag auf.

»Erwartest du Besuch?« fragte Haggerty scharf.
»Nein, aber ihr sicherlich«, lautete die Antwort.
»Sei doch nicht so ein Narr!« fuhr John auf. »Dreh mir jetzt

nicht durch. Wir verschwinden, decken das Haus von den
Seiten, klar?«

»Ich wünsche bei Gott, daß du ehrlich bist«, erwiderte der

Farmer mit sorgenvoller Stimme.

»Verlaß dich drauf, Mann«, sagte Haggerty. »Cochise und

ich kämpfen für den Frieden in diesem Land, nicht für Krieg
und Tod.«

*

Myriam saß vor Manolo auf der Fuchsstute. Allmählich kehrte
die Kraft in den Körper der jungen Frau zurück. Trotz der
Unbequemlichkeit ruhte sie sich aus. Und mit jeder Minute
wuchs der Widerwille gegen die tastenden Hände des
Mexikaners.

Er überließ es seinem Pferd, sich den richtigen Weg zu

suchen, beschäftigte sich nur mit der schönen Frau.

»Hören Sie, Amigo«, sagte Myriam plötzlich kalt und hart.

»Sie haben mich gerettet. Gut, ich schulde Ihnen Dankbarkeit.

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Aber mein Leben und mein Körper gehören immer noch mir.
Verstehen Sie mich?«

Manolo lachte rauh und schloß seine Hände um Myriams

Rundungen.

Eine Sekunde später zischte er einen ellenlangen spanischen

Fluch. Denn das verdammte Weib hatte ihm in die Hand
gebissen. Blut tropfte auf Myriams Bluse, und die Kumpane
des Banditen lachten grölend.

»Das wird dir noch vergehen, du verfluchtes Weibsstück«,

brüllte Manolo. »Wenn wir erst in Mexiko sind, bleibt dir keine
andere Wahl mehr.«

Myriam saß stocksteif auf dem Pferd. Sie spürte einen

Schauer der Furcht über ihren Rücken kriechen. Was hatten
diese Männer mit ihr vor?

Sie wußte plötzlich, daß sie üblen Schurken in die Hände

gefallen war. Aus einer verborgenen Quelle schöpfte die
schöne Frau neue Kraft, ließ sich jedoch nichts anmerken.

»Wann erreichen wir Mexiko?« wollte sie wissen. »Ich freue

mich auf das Land. Und ich hoffe, daß sich dort die Männer zu
benehmen wissen.«

Manolo vergaß seinen Zorn und lachte belustigt auf.
»Señorita«, erwiderte er, »du mußt sehr nett zu den

mexikanischen Männern sein, wenn dein Leben nicht schlimm
werden soll. Du hast keine Wahl.«

Heiße Schrecken wallten in Myriam hoch wie eine Welle.

Plötzlich wurde der dumpfe Gedanke zur Gewißheit. Diese
Halunken wollten sie in irgendein Bordell verkaufen.

»Wo überqueren wir die Grenze?« fragte Myriam.
Sie bemühte sich, ein halbwegs normales Gespräch in Gang

zu bringen.

»Irgendwo, Señorita«, antwortete Manolo, »die Grenze ist

gefährlich geworden. Überall treiben sich die Männer des
Kaisers herum. Dazu kommen Juárez' Kämpfer, der seine
Armee im Norden unseres Landes aufbaut.«

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77

»Ihr seid Schmuggler?« wollte Myriam wissen.
Manolo lachte belustigt und erklärte ihr ganz genau, daß er

und seine beiden Freunde jeden Job annahmen, der ihnen nur
genügend Goldpesos oder harte Dollars einbrachte.

Myriam erkannte, daß ihre Befürchtungen gerechtfertigt

waren. Sie kämpfte gegen die Angst an, die sie zu überwältigen
drohte.

»Warum seid ihr jetzt unterwegs?« fragte sie. »Welchen

Auftrag habt ihr in den Staaten erledigt?«

»Das geht dich nichts an«, erwiderte der Mexikaner hart.

»Sei froh, daß wir dich vor dem verfluchten Apachen gerettet
haben.«

Myriam lachte bitter auf und rief: »Ist das denn schlimmer

als das, was ihr mit mir vorhabt?«

Manolo machte sich im Sattel steif. Verflucht! Woher wußte

diese Pute, was er sich ausgedacht hatte? Wie konnte sie nur
Lunte riechen?

»Was haben wir denn mit dir vor?« fragte der Mexikaner

scheinheilig.

»Ihr schleppt mich in ein Freudenhaus«, erwiderte Myriam

kalt. »Ich habe mehr als einmal davon gehört. Und irgendwann
kommt die Zeit, da ich nicht mehr stark genug bin und
nachgebe. Ihr kassiert eure Belohnung und verschwindet. Ist
das eine Rettung?«

Manolo stieß die Luft mit einem pfeifenden Geräusch aus

seinen Lungen. Was ging im Kopf dieser blonden Americana
eigentlich vor? War es denn nicht besser, sich mit richtigen
Männern statt mit Wilden abzugeben?

»Hör zu, in Del Rio leben viele Americanos«, sagte Manolo.

»Aber du hast doch nichts gegen uns Mexikaner, oder? Mach
dir keine Gedanken, Senorita, du wirst es gut haben. Und
richtige Männer sind doch was anderes als so ein stinkender
Apache. Das mußt du zugeben, denke ich.«

Myriam unterdrückte ihr Zittern und erwiderte: »Das weiß

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ich noch nicht. Bei den Apachen würde ich wenigstens den
Schutz meines Kriegers genießen. Wer schützt mich in Del
Rio?«

Myriam schwankte, rutschte seitlich vom Pferd und landete

schwer auf dem Boden. Mit dem Gehäuse schabte sie in
wahnsinniger Hast über den Felsen. Sie mußte einfach ein
Zeichen hinterlassen! Sonst war sie verloren, für immer in
Mexiko gefangen.

»Chica, was ist los mit dir?« fragte Manolo scheinbar

erstaunt.

Er wußte genau, daß die blonde Frau den Ritt verzögern

wollte. Hatte sie vor, der Rothaut eine Chance zu geben? Sollte
der Apache sie befreien? War es in Wirklichkeit so, daß sie
bereits mit ihrem Schicksal zufrieden war?

Manolo erinnerte sich an den Moment, in dem er sie befreit

hatte und vergaß den vorherigen Gedanken sofort wieder.

Nein, die Blonde wollte weder zu den Apachen noch in

Elviras Freudenhaus in Del Rio. Sie gehörte zu jenen Frauen,
die zäh und verbissen ihren eigenen Weg verfolgten, zu den
Frauen, die halb wie Männer waren, wie Manolo dachte.

Und vielleicht war auch Myriam ihrer Zeit und ihren

Rassegefährten weit voraus. Denn noch immer galt eine Frau
als ein Wesen, das zu gehorchen hatte, für Küche und Herd
zuständig war. Sie sollten Kinder gebären, die Feldarbeit
verrichten und mit dem zufrieden sein, was der Mann ihnen
gewährte oder schenkte.

Manolo sprang aus dem Sattel, packte die blonde Americana

jäh unter den Achseln und riß sie hoch.

Ein Metallgegenstand klapperte auf den Felsboden.

Unwillkürlich blickte Manolo hin, sah das goldene Glitzern
und lachte freudig, als er die Uhr entdeckte.

Enrico sagte scharf: »Wir müssen weiter. Der Apache wird

nicht aufgeben, Compradre. Also los, in den Sattel. Die Frau
kommt zu mir.«

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Manolo nahm mit einer schnellen Bewegung die goldene Uhr

an sich. Die drei gelblichen Striche auf dem Felsboden übersah
der Mexikaner.

Wenig später trabten die Pferde mit klirrenden Eisen weiter

südwärts. Keiner der Männer ahnte, daß Doppelwolf bereits in
der Nähe war. Auch Myriam witterte nicht die Gefahr.

»Wir reiten durch das Tal der Ritter«, entschied Enrico.

»Dort finden wir einige verlassene Silberminen aus der Zeit der
Spanier. Rückt uns dieser verdammte Schlangenfresser auf den
Leib, bieten uns die Stollen Deckung. Wir können uns tagelang
verteidigen.«

Pedro und Manolo schwiegen. Sicher, verkriechen konnten

sie sich in diesen Stollen. Ob sie in dieser Lage jedoch einem
Apachenkrieger überlegen waren, mußte sich noch
herausstellen.

Endlich erreichten die Pferde eine V-förmige Schlucht, deren

Seitenwände am Talboden kaum hundert Yard voneinander
entfernt aufwuchsen.

Ohne Zögern bog Enrico in den Einschnitt. Myriam saß

willenlos vor dem Mexikaner auf dem Pferd.

Pedro folgte seinem Kumpan, während Manolo den Schluß

des kleinen Trupps bildete.

Als der Halunke am Zügel rupfte, sein Tier in den Einschnitt

leiten wollte, peitschte eine Winchester. Wie vom Blitz
getroffen brach die Fuchsstute zusammen. Manolo fiel hart zu
Boden.

Das Tier war auf die linke Seite gefallen und lag auf den

Satteltaschen. Mühsam kam Manolo hoch und riß die
Winchester aus dem Scabbard. Abermals peitschte das Gewehr
des unsichtbaren Schützen. Die Kugel pfiff dicht über die
Schulter des Mexikaners und prallte von einem Felsen jaulend
als Querschläger ab.

Manolo verbiß sich den Schmerz, der wie ein glühendes

Eisen in seinem rechten Fußknöchel wühlte. Der Halunke

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humpelte in den Taleingang, erreichte die Deckung und ließ
sich fallen, während er die erste Patrone ins Lager hebelte.

Dabei dachte er grimmig daran, daß Enricos Worte vom

Verkriechen in den alten Stollen der Spanierminen sehr schnell
zur Tatsache geworden waren.

Nun besaßen sie nur noch zwei Pferde. Zum erstenmal

zweifelte Manolo daran, daß die Befreiung der blonden
Americana eine gute Idee gewesen war.

Notfalls lassen wir das Weibsstück eben zurück, überlegte

sich der angeschlagene Mann. Der verfluchte Apache wird sich
hoffentlich mit ihr zufrieden geben und uns ziehen lassen. Die
Pesos von Juárez' Beauftragten waren wichtiger als eine Frau
mit blonden Haaren, die Elviras Freudenhaus in Del Rio zieren
sollte.

Manolo wartete reglos, wie ein Apache, bildete er sich ein.

Dabei war er vom Können der Wüstenkrieger noch weit
entfernt, beherrschte er nicht mal ein Bruchteil ihrer
Fähigkeiten.

Er merkte dies, als ein Gewehr krachte und die Kugel einen

grauen, bleiernen Strich auf dem Felsen dicht vor seinen Augen
hinterließ. Der rote Hundesohn wußte genau, wo sein Gegner
sich verbarg. Und nun spielte er mit dem Mexikaner so lange,
bis sich Doppelwolf entschloß, dem Gelbhäutigen den Tod zu
geben.

*

Haggerty hielt die Winchester schußbereit an der Schulter. Er
wußte, daß Cochise ebenfalls kampfbereit war. Aus dem
Farmhaus klang leises Klicken. Der Mann lud das Gewehr auf.

Lauter wurde der Hufschlag. Weiße ritten dort heran, denn

die Eisen klirrten über den Felsboden. Natürlich war es auch
möglich, daß eine umherstreunende Apachenhorde Beute
gemacht hatte und die Mustangs der Weißen in ein Versteck

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brachte.

Haggerty erkannte zwei Reiter. Die beiden Gestalten kamen

ihm bekannt vor. Er kniff die Augen etwas zusammen. Nun
erkannte er die Männer:

Die Brüder Virgil und Wyatt Earp.
Cochise erschien plötzlich neben John. Der Scout hatte nicht

das geringste Geräusch vernommen, als der Jefe herangeglitten
war.

»Was machen wir mit den beiden Burschen?« fragte John.

»Sie geben nicht auf. Wyatt will die blonde Frau zurückholen.
Ich frage mich, ob er sie wirklich liebt.«

Cochise lächelte sanft und murmelte in der Sprache der

Chiricahuas: »Nicht so, wie du Tla-ina liebst, Falke. Wyatt
Earp ist jung und heißblütig. Er wird einmal ein guter Krieger.
Viele Frauen werden an seinem Weg stehen. Er sucht das
Abenteuer, mein Bruder, im Kampf und bei den Squaws. Dabei
muß ein Mann wissen, daß nur List und Kampf Abenteuer ist.«

Haggerty ließ das Gewehr sinken und sah den Chief von der

Seite her an. Tla-ina, Sanfter Wind in der Sprache der Weißen,
war Cochises Schwester. John hatte eine tiefe Zuneigung zu
dieser jungen Frau gefaßt. Und er wußte, daß Tla-ina seine
Liebe erwiderte.

Doch wie vermochten zwei Menschen verschiedener Rassen

in dieser Zeit, in diesem wilden, heißen Land ihrer Liebe
nachzugeben? Nicht nur die Bleichgesichter würden Haggerty
verurteilen. Auch Tla-ina würde von ihrem Volk verachtet,
wenn nicht gar verstoßen werden.

»Du mußt warten, mein Bruder«, sagte Cochise ruhig.

»Zeige die Geduld eines Apachen. Du besitzt sie. Ich weiß es.«

John war, als hätte der Häuptling seine Gedanken erraten.
Virgil und Wyatt Earp zügelten ihre Pferde. Ein Dutzend

Längen vor dem Farmhaus blickten sich die beiden Männer
mißtrauisch um. Sie schienen förmlich zu wittern, daß sie nicht
allein waren.

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John sah, daß sie die Köpfe zusammensteckten und redeten.

Kein Laut drang bis zu Johns Standort.

Hoffentlich spielt der Farmer nicht verrückt, dachte der

Scout. Wenn er feuert, veranstalten die beiden Earps einen
Zauber mit heißem Blei.

»Hallo, Haus!« rief Wyatt nach ein paar Sekunden, »wir

haben 'ne Frage, weiter nichts. Keine Angst, wir sind keine
Banditen, arbeiten auch nicht mit den Apachen zusammen.«

Nichts rührte sich im Haus.
John sah, daß die Brüder Earp unbehaglich in den Sätteln hin

und her rutschten. Sie fühlten sich mächtig unwohl, ahnten, daß
sie beobachtet wurden und vermochten ihrerseits diese
Beobachter nicht zu entdecken.

»Komm, Falke«, sagte Cochise, »sie zerplatzen sonst wie

eine Kröte, die vom Huf eines Mustangs getroffen wird.«

Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, traten

Haggerty und der Häuptling aus ihrer Deckung heraus. Die
Gewehre hielten sie in den Armbeugen.

»Ich habe euch doch gesagt, daß ihr in Tombstone bleiben

sollt«, sagte der Scout ruhig.

Die Earps schienen plötzlich zu explodieren. Wie der Blitz

sausten sie aus den Sätteln, duckten sich hinter den Pferden
und zeigten die Colts.

»Da siehst du es, mein Bruder«, spottete Haggerty, »dies sind

die Männer, die dein Land erobern wollen. Sie fürchten sich
vor einer Stimme. Was mögen sie erst empfinden, wenn sie die
Wölfe heulen hören?«

Wyatt Earp stapfte um sein Pferd herum und verzog das

Gesicht zu einem schiefen Grinsen.

»Bilde dir nur nicht ein, daß wir Angst vor dir haben, du

nachgemachter Fährtensucher. Wir sind nur vorsichtig, weiter
nichts.«

Virgil trat mit trägen Schritten hinter seinem Gaul hervor.

Der ältere Earp lächelte flüchtig und sagte: »Ich wette, die

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beiden haben damit gerechnet, daß wir ihnen folgen. Jetzt
wollen sie uns festnageln.«

Die Tür des Farmerhauses flog auf. Der Mann hielt die

Winchester im Hüftanschlag und fragte:

»Mister, kennen Sie diese beiden Burschen?«
»Schon gut«, erwiderte Haggerty. »Das sind Wyatt und

Virgil Earp. Sie verdienen sich ihre Dollars mit den Karten.
Beide halte ich für recht ordentliche Kämpfer, aber von diesem
Land verstehen sie nicht die Bohne.«

Wyatt plusterte sich auf wie ein Geier, den ein Kojote von

der Beute vertreiben will.

»Jetzt sag nur noch, daß wir deinen Befehlen nicht

gehorchen, und ich lache bis zum Winter«, rief der jüngere
Earp hitzig.

»So ist es, Revolvermann«, erwiderte John lächelnd. »Ihr

stört. Cochise und ich wissen, was wir tun, ihr nicht. Im
Gegenteil, ihr stolpert durch dieses Gebiet, als sei es die Allen
Street in Tombstone. Das kann tödlich enden, Earp.«

Wyatt holte tief Luft. Er sah so aus, als wollte er eine

Kanonade von Schimpfwörtern auf den Chiefscout loslassen,
beherrschte sich jedoch im letzten Moment.

Denn er dachte daran, daß Haggerty ihnen eine Menge

Knüppel zwischen die Beine werfen konnte, wenn sie in den
Forts die Soldaten um ihren Sold beim Kartenspiel
erleichterten.

»Myriam«, sagte der jüngere Earp etwas schwerfällig. »Was

ist mit ihr?«

Cochise erwiderte: »Sie ist in der Gewalt von drei

Gelbhäutigen. Doppelwolf wird jedoch um sie kämpfen. Und
das ist unsere Stunde.«

»Wir reiten mit«, rief Wyatt scharf. »Zwei sichere Colts

bringen vielleicht die Entscheidung, Jefe.«

Der Häuptling schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein, ihr

seid so laut wie eine Büffelherde. Doppelwolf besitzt die Ohren

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eines Luchses. Kommt ihr mit, ist er schon gewarnt, ehe wir
ihn sehen.«

Wyatt Earp wollte aufbrausen, aber sein Bruder Virgil legte

ihm die Hand auf den Arm und sagte ruhig: »Cochise hat recht.
Wir sind keine Männer der Wildnis. Sicher, wir schaffen es,
uns an ein Haus oder ein Camp heranzuschleichen. Einen
Apachen täuschen wir niemals. Es geht um das Leben deiner
Freundin, Wyatt. Überlaß es Cochise und Haggerty.«

Feindselig sah der jüngere Earp den Apachenchief und John

an.

»Ich möchte wissen, worum es eigentlich geht«, sagte der

Farmer in diesem Moment. »Ich heiße Fred Rancon. Meine
Frau Eileen und unser Sohn Mark sind im Haus. Noch etwas:
bisher haben wir keinen Kampf mit den Apachen zu bestehen
gehabt. Ich möchte nicht, daß sich das ändert. Wenn nun
Weiße durch das Gebiet streifen, folgen bald die Indianer. Und
unsere Skalps sitzen dann verdammt locker. Mister, es geht
nicht nur um Ihre Freundin. Es geht vor allem um uns.«

Wyatt sah den Mann verblüfft an und dachte sich, daß der

Farmer recht hatte.

»Also gut, wir bleiben hier, Mr. Rancon, wenn Sie erlauben«,

sagte Wyatt. »Viel Geld besitzen wir nicht. Aber ich bin bereit,
für mein Essen zu arbeiten. Sobald Cochise und Haggerty
zurückkehren, reiten mein Bruder und ich nach Tombstone
zurück.«

John atmete auf. Er kannte den Starrsinn des jungen

Revolverkämpfers und war froh, daß der Farmer eingegriffen
hatte. So wild und verwegen die Earps auch waren, sie achteten
das Leben und den Besitz anderer.

»Kommen Sie ins Haus«, lud Fred Rancon die Männer auf

dem Hof ein. »Ich würde zu gern erfahren, was es mit dem
Besuch des Indianers heute mittag auf sich hatte. Er benahm
sich mächtig seltsam.«

Haggerty erzählte in dem einzigen Raum des Hauses, was

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sich in den letzten Tagen zugetragen hatte. Der kleine Mark
erwachte, als er die Stimme vernahm und krähte vergnügt, als
Cochise ihn aus der Holzkiste hob, die mit Decken gepolstert
war.

Der Kleine griff nach dem Schweißband des Chiefs und

spielte mit den schwarzen Haaren.

Cochise lächelte Eileen an, die furchtsam zuschaute und

sagte: »Auch wir lieben unsere Kinder, weiße Squaw. Kein
Apache würde je sein Kind oder das eines anderen schlagen.«

Eileen Rancon holte tief Luft und erwiderte gepreßt: »Und

trotzdem bringt ihr alle Menschen um, die eine weiße Haut
besitzen? Ihr tötet Alte, Säuglinge und Halbwüchsige. Was
haben euch die Kinder getan?«

»Nichts«, antwortete Cochise ernst. »Doch eines Tages sind

sie erwachsen und kämpfen gegen uns. Es ist besser, sie jetzt
zu töten. Sieh, weiße Frau, dies ist unser Land. Wir haben euch
nicht gerufen. Und ihr und die Gelbhäutigen aus dem Süden
nehmt Apachenskalps und verkauft sie nach Sonora. Dort zahlt
der Gouverneur Goldpesos für jeden Skalp. Sollen wir weniger
hart sein als deine Rasse? Es geht um uns als Menschen und
um unser Land.«

Eileen senkte den Kopf. Sie hatte davon gehört und billigte

es nicht. Aber was vermochte sie schon gegen solche
Grausamkeiten auszurichten?

»Es ist besser, miteinander zu leben, als sich gegenseitig zu

töten«, sagte sie leise.

»Du sprichst weise Worte«, murmelte Cochise. »Würden alle

Menschen deines Volkes so denken, trügen die Krieger und
Squaws der Apachenstämme die gleichen Gedanken in ihren
Herzen, bräuchte niemand mehr zu sterben.«

Ein paar Minuten wirkten die schwarzen Augen des

athletischen Häuptlings matt, wie in endlose Fernen gerichtet.

»Ich denke«, sagte er danach bedächtig, »daß in hundert

Wintern noch immer Menschen gegen Menschen kämpfen.

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Und das aus den nichtigsten Gründen. Wir hingegen wehren
uns, weiße Squaw. Ihr kommt in unser Land, nehmt die guten
Wasserstellen und steckt Körner in die Erde. Die Berge, die
fruchtbaren Täler und die Halbwüste schenken uns alles, was
wir brauchen. Wir wollen kein Gold, kein Silber, kein
brennendes Wasser. Wir wollen unser Recht, das seit
ungezählten Sommern und Wintern gut für uns war. Wir sind
mit unserem Leben zufrieden.«

Wyatt Earp lachte halblaut und fragte: »Aber moderne

Waffen wollt ihr doch von uns, wie?«

»Selbstverständlich«, erwiderte der Häuptling. »Unsere

Waffen sind gut, richten jedoch gegen so viel Bleichgesichter
nicht genug aus. Wir müssen euch mit den Dingen bekämpfen,
die ihr selbst besitzt.«

Niemand sprach mehr im Farmhaus. Die Weißen starrten den

hochgewachsenen Häuptling an, der so anders aussah als die
meisten Apachen.

»Ich hatte zwei Träume«, sagte Cochise nach einer langen

Weile leise. »Der erste zeigte mir, daß es in hundert Sommern
keinen Apachen mehr gab. Alle Krieger, Squaws und Kinder
starben in dem Kampf gegen die Eindringlinge. Der zweite
Traum ließ mich Männer meines Volkes sehen. Darum gab ich
mein Wort, Frieden zu halten. Mein Volk muß leben. Es darf
nicht untergehen wie schon so viele rote Kinder starben, weit
im Sonnenuntergang.«

Lediglich Haggerty verstand, was der Chief mit den letzten

Worten ausdrückte. Der Scout interessierte sich seit jeher für
die Indianer, für die gesamte rote Rasse und hatte erfahren, daß
im Nordosten der Union, in jener Gegend, in der die ersten
Weißen an Land gingen, bereits einige Stämme nicht mehr
existierten.

»Wir reiten, Falke«, sagte Cochise brüsk und stand auf.
Eileen nahm den kleinen Mark entgegen, den ihr der große

Häuptling behutsam reichte und verspürte Unsicherheit. Dieser

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Mann gehörte zu den barbarischen Wilden, deren
Grausamkeiten im Südwesten jedem Weißen das Blut in den
Adern gefrieren ließ. Und doch schien er ein Weißer zu sein,
ein Mensch, der über seinen eigenen Schatten hinauszublicken
vermochte.

Eileen Rancon bekam plötzlich eine Ahnung davon, daß

nicht alle Apachen von Natur aus böse waren. Sie lebten,
handelten, wie es ihnen ihre Umgebung aufzwang, mußten
jedes Wasserloch mit ihrem Blut verteidigen. Und verloren sie,
so starben vielleicht die Kinder und Alten.

An der Tür ließ Cochise seinem Freund Falke den Vortritt,

wandte sich um und sagte eindringlich: »Ihr bleibt hier, in
diesem Jacale. Ich strafe nach unserem Gesetz den Rebellen
Doppelwolf. Denn mein Wort heißt Friede.«

Lautlos glitt der muskulöse Häuptling ins Freie.
Selbst die wilden und verwegenen Earps schwiegen

beeindruckt. Auch sie hatten begriffen: Cochise tötete einen
Krieger der Apachen, um sein Wort nicht zu brechen.

*

»Dieser verfluchte Diabolo!« brüllte Manolo, als eine Kugel
seine Kopfhaut aufriß und einen Streifen Haare mitnahm.

Sofort rann ihm Blut in die Augen. Der Mexikaner sah seine

Umgebung nur noch wie durch einen roten Schleier.

»Gebt mir Feuerschutz, ihr Narren?« gellte seine Stimme auf.

»Ich muß in das Tal!«

Sofort hämmerten zwei Gewehre los. Ein wahrer Bleihagel

rauschte über Manolo hinweg. Keines der Geschosse schien
auch nur in die Nähe des Angreifers zu gelangen, denn er
feuerte langsam weiter.

Der Mexikaner spürte einen harten Schlag und zog ruckartig

sein linkes Bein zurück. Eine Kugel hatte den Absatz seines
Reitstiefels weggerissen.

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»Dieser verdammte Bastard!« fluchte Manolo und kämpfte

gegen die Todesangst an, die in ihm aufstieg.

Plötzlich schnellte er hoch, stieß sich mit aller Kraft ab und

landete auf der anderen Seite des Felsbrockens, der ihm
Deckung gewährte.

Der Feind feuerte. Glühend heiß stieg es in Manolos

Oberschenkel hoch. Er blickte hinab, die staubbedeckte Hose
wies ein Loch auf, aus dem es rot herauslief.

Er spielt mit mir, hämmerte es in Manolos Kopf. Er sitzt

irgendwo oben, sieht den Eingang des Tales und weiß genau,
wo ich liege. O Madonna, vernichte diesen elenden Heiden.

Dem Mexikaner kam gar nicht zu Bewußtsein, was er dachte.

Er und seine Kumpane waren auf ihre Art keinen Deut besser
als der Apache Doppelwolf, der doch eigentlich zu Manolos
Rasse gehörte. Enrico, Pedro und Manolo waren eiskalte
Schurken, die für Geld jeden noch so dreckigen Job
durchführten. Aber nun spürten sie die Angst vor dem Ende,
vor dem Erlöschen des eigenen Lebens. Und die Furcht nagte
an allen wie ein Tier.

Manolo kroch dicht an den Stein heran, schmiegte sich an die

Deckung, schien zu versuchen, in den Felsen hineinzukriechen,
aber vergeblich.

Er vernahm noch das Peitschen der Winchester, mehr nicht.

Einen Sekundenbruchteil später sank der Bandit tot zusammen.

Ein Stück weiter im Tal fluchte Pedro haltlos. Er sah Enrico

an, der sich in den letzten Stunden zum Anführer der kleinen
Gruppe aufgeschwungen hatte. Angst flackerte in ihren Augen,
die Angst vor dem Ende.

»Wir lassen die Puta laufen«, sagte Pedro gepreßt. »Der

verfluchte Apache lauert dort draußen. Wenn er die Americana
sieht, hat er genug mit ihr zu tun.«

Enrico überlegte und schüttelte den Kopf.
»Nein, Amigo, das ist zu einfach«, erwiderte er. »Der

Indianer fesselt sie und rächt sich an uns. Nein, wir zeigen ihm,

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daß wir sie töten, gibt er nicht auf. Das hält ihn vielleicht
zurück.«

Pedro verzog sein Gesicht zu einem gemeinen, häßlichen

Grinsen. Er richtete sich auf, sprang neben Myriam und packte
sie an ihren schulterlangen blonden Haaren. Er riß der jungen
Frau den Kopf herum und fragte: »Versteht dein stinkender
Apache unsere Sprache?«

Myriam stöhnte vor Schmerz und erwiderte: »Englisch ja,

Spanisch weiß ich nicht.«

»Das genügt uns«, sagte Pedro rauh.
»Hör zu, du Apachenbastard!« brüllte Enrico. »Wir haben

deine Squaw hier. Entweder stellst du das Feuer ein, oder wir
jagen ihr eine Kugel durch den Kopf. Ich weiß, daß du die
Sprache der Gringos verstehst. Versuch nur keine Tricks. Bist
du einverstanden, schieß zweimal schnell hintereinander.«

Zwei Schüsse peitschten. Das Blei sirrte harmlos in den

Himmel.

»Na, endlich«, sagte Enrico aufatmend. »Wir ziehen uns in

die Stollen zurück. Wasser und Essen haben wir auf deinem
Pferd, Pedro. Mein Tier trägt genügend Munition. Wir nehmen
es mit diesem verfluchten Diabolo auf. Los, kommt!«

Nichts geschah, während die beiden Mexikaner ihre Pferde

an den Zügeln hinter sich her zerrten. Myriam mußte ein
Dutzend Schritte vor den Banditen marschieren. Ab und zu
riefen Enrico oder Pedro ihr die Richtung zu, die sie
einschlagen sollte.

Endlich erreichte die junge Frau ein Felsband, das sich in die

Höhe wand. Ein paar Sekunden zögerte sie, aber Enricos
Stimme brachte Myriam wieder in Bewegung.

»Los, weiter, wenn dir dein Leben lieb ist«, drohte der

Mexikaner. »Du mußt auf die Plattform dort oben. Hinter ihr
mündet ein Stollen. Dort finden wir Sicherheit.«

Myriam erreichte drei Schritte vor Enrico die Plattform und

hetzte in die dunkle Stollenmündung. Der erste Mexikaner

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folgte ihr, zerrte sein Tier hinter sich her.

Pedro trat auf die Steinplatte, die aus der Felswand

herausragte. Sein Pferd gewann die ebene Fläche, und in
diesem Moment peitschte die Winchester wieder auf.

Hart ruckte der Zügel aus Pedros Hand. Er hörte das

Keuchen seines Tieres und sprang mit einem mächtigen Satz in
den Gang. Drei, vier Kugeln schrammten über die Felswände,
die grau aufschimmerten.

»Der Hurensohn hat unser Proviantpferd abgeknallt«, sagte

Pedro stöhnend. »Woher wußte er, daß mein Gaul fast nur
Wasser und Essen trug?«

»Apachen wissen das eben«, erwiderte Enrico grob, um seine

Unsicherheit und Angst zu überspielen. »Los, sammelt Steine
auf. Wir benötigen eine Brustwehr, damit uns der Kerl nicht
einfach abschießt.«

Myriam lehnte an der Wand des Stollens. Blicklos starrte sie

die beiden Mexikaner an und sagte: »Baut eure Barrikade
selbst. Mir tut Doppelwolf nichts an. Das weiß ich sicher.«

Enrico schwenkte den Colt, richtete die Mündung auf den

Oberkörper der jungen Frau und sagte gemein: »Er nicht, aber
wir. Los, fang an. Ich bleibe hier vorn.«

Myriam fügte sich und schleppte Stein um Stein heran.

Allmählich wuchs die Mauer. Ab und zu fegte ein Geschoß
herüber und prellte einen kleinen Stein von der oberen Kante.

Pedro wuchtete einen Felsen hoch. Abermals krachte das

Gewehr des Apachen, und der Mexikaner schrie gellend auf.
Innerhalb von Sekunden verfärbte sich sein Hemd. Hoch in der
linken Schulter steckte das Blei. Pedro vermochte nicht länger,
die Barrikade mit aufzubauen.

Bleich wie ein Leinentuch sank er zurück.
»Wir hocken in der Falle«, sagte er jammernd. »Draußen

liegt mein Pferd. Wir haben keinen Tropfen Wasser. Der
Dreckskerl kann uns aushungern, Amigo. Es ist vorbei.«

Enrico schüttelte wild den Kopf und schrie: »Nein, noch

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lange nicht! Wir haben die Frau. Warte ab bis zur Nacht. Wir
schicken die Puta hinaus. Sie muß uns holen, was wir
brauchen.«

»Und wenn sie flieht?« fragte Pedro.
»Geben wir ihr eine Kugel«, erwiderte Enrico hart. »Aus

Manolos schönem Plan wird nichts, das ist klar. Also benutzen
wir die Americana so, wie es für uns nötig ist.«

Myriam spürte, daß sie innerlich zitterte. Doppelwolf würde

sie nicht absichtlich umbringen, ganz bestimmt nicht. Aber
vermochte er in der Dunkelheit zu unterscheiden, wer
hinausschlich, um Proviant und Wasser zu holen?

Ein Schuß peitschte. Haarscharf an Enricos Kopf vorbei

sirrte die Kugel und schrammte hinten im Stollen gegen die
Seitenwand.

Myriam setzte sich, lehnte mit dem Rücken an der Wand und

schaffte es nicht, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie gab keinen
Laut von sich, aber salziges Wasser rann aus ihren Augen und
verwandelte den Staub im Gesicht in eine schmierige Paste.

*

Haggerty und Cochise lagen nicht weit entfernt in
ausgezeichneter Deckung. Der Chief wußte, an welcher Stelle
Doppelwolf lauerte. Er beherrschte das gesamte Tal mit seiner
Winchester. Ging dem Mimbrenjo nicht die Munition aus,
konnte er die Eingeschlossenen tagelang niederhalten.

»Wir müssen ihn stellen«, sagte John drängend. »Die

Mexikaner werden verrückt. Sie töten das Mädchen, Cochise.
Und dann wird alles noch viel schlimmer. Die Earps
verbreiten, was sie wissen, und dann brodelt es wieder im
Südwesten.«

Der Häuptling schüttelte nach Art der Weißen den Kopf.

Cochise war nicht bereit, den abtrünnigen Mimbrenjo mit
Falkes Hilfe zu überwältigen. Diese Angelegenheit ging nur

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die Apachen etwas an.

Sicher, Doppelwolf durfte frei herumziehen, da er die

Prüfung des Todessprungs bestanden hatte. Aber er war erneut
gegen die Weißen vorgegangen, hatte die blonde Frau abermals
entführt und maßte sich an, ein Recht auf die weiße Squaw zu
besitzen.

»Er wird angreifen, Bruder«, sagte der Jefe. »Ich zeige mich,

fordere ihn auf, sich dem Gesetz der Apachen zu stellen.
Gehorcht er nicht, feuern wir.«

John stöhnte leise und erwiderte: »Welch ein Unsinn! Du

vergißt, daß die weiße Frau in der Gewalt der Mexikaner ist.
Die Kerle sehen uns, benutzen das Girl als Druckmittel, und
wir müssen uns zurückziehen.«

Cochise gab seinem Freund innerlich recht. Aber ging es

nicht um mehr als um das Leben eines einzigen Menschen?
Ging es nicht darum, das Wort des großen Häuptlings
einzuhalten? Doch Cochise erkannte auch das Unheil, das aus
einer starrsinnigen Haltung zu erwachsen vermochte. Die Earps
waren harte Kämpfer, wilde Burschen, und sie würden überall
verbreiten, daß Cochise am Tod der weißen Squaw die Schuld
trug.

»Gut, Falke, hör genau zu«, sagte der Häuptling. »Es gibt

einen Weg in den Gang, in dem die Gelbhäutigen liegen. Ich
kenne diese Stollen der uralten Silbermine. Du wirst eindringen
und die Mexikaner niederkämpfen. Alles andere ist nicht mehr
deine Sache.«

Cochise erklärte John, wie die Gänge im Berg

zusammenhingen. Zum besseren Verständnis zeichnete er mit
einem Zweigende im glattgestrichenen Sand den Verlauf der
Gänge auf.

»Hast du dir alles gemerkt?« fragte der Chief eindringlich.

»Vergiß nicht, daß viele Stollen an einem Abgrund enden. Bist
du unvorsichtig, fällst du in die Tiefe und stirbst. Die Leitern
der Eisenmänner sind längst zu Staub verfallen.«

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93

Haggerty lächelte, nahm dem Jefe den Zweig aus der Hand

und wischte den Sand wieder glatt. Innerhalb der nächsten
Minuten wiederholte der Scout jede Einzelheit und zog mit
dem dünnen Ast die gleichen Linien in den Sand, wie vorhin
Cochise.

Zufrieden nickte der Häuptling und sagte: »Gut, du gelangst

zu den Gelbhäutigen. Was willst du sagen? Sie sind voller
Mißtrauen, Falke.«

Haggerty lächelte und erwiderte: »Ganz einfach, ich erzähle

ihnen, daß ich helfen will. Wenn sich Myriam nicht verrät,
bekomme ich eine große Chance.«

John nahm seine Winchester aus dem Scabbard, hob die

Linke kurz und wollte loslaufen.

»Vergiß nicht, Falke«, sagte Cochise ernst, »Doppelwolf

muß nach dem Gesetz der Apachen bestraft werden. Töte ihn
nicht.«

Der Scout lief gebeugt hinter den schützenden Felsen und

Büschen davon. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte Cochise
seinem Freund nach, einem der wenigen weißen Freunde, die
überhaupt ein Apache besaß.

John erreichte das Gebiet, das der Häuptling ihm in den Sand

gezeichnet hatte und fand nach kurzem Suchen die enge Röhre,
die schräg hinabführte. Ohne Zögern glitt Haggerty mit den
Füßen zuerst in die dunkel gähnende Öffnung. Das Gewehr
hielt er mit der Rechten. Beide Hände hatte er nach oben
ausgestreckt.

Sand, mürbes Gestein und Geröll behinderten den

Fährtensucher. Mit ruckenden Bewegungen stieß er sich
weiter, gelangte auf glatten Untergrund und rutschte langsam
in die Tiefe.

Die Mündung des Ganges war nur noch als kleiner

Lichtfleck zu erkennen. Endlich hörte die Abwärtsbewegung
auf. Sekunden später schlängelte sich Haggerty aus der Röhre
und lauschte. Irgendwo knirschte Gestein. Sand rieselte herab.

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Wahrscheinlich genügte in diesem Teil der verlassenen Mine
ein einziger Schuß, um den Stollen einstürzen zu lassen.

Die alten Spanier waren keine Meister im Bergbau gewesen.

Sie verstanden nichts von dem richtigen Abstützen mit
Hölzern, sondern trieben einfach Gänge in den Berg.

Behutsam glitt John weiter. Mit der linken Hand tastete er

über die Seitenwand. An jeder Quermündung verharrte er und
rief sich den Plan ins Gedächtnis zurück. Cochise mußte dieses
System von Tunneln und Stollen im Fackelschein erkundet
haben. Wie konnte er sonst so genau den Weg wissen?

Endlich erreichte der Scout die Abzweigung, glitt hinein und

wechselte das Gewehr in die Linke. Nun fuhr er mit den
Fingerspitzen der Rechten die Seitenwand entlang. Es war bald
nicht mehr nötig, denn in einen der Stollen fiel Lichtschein von
weit oben hinein. Dies war der richtige Weg.

John sah die Helligkeit vor sich und blickte hoch. Blinzelnd

schloß er die Augen. Der Sonnenschein war zu grell. Erst nach
Sekunden vermochte Haggerty wieder richtig zu sehen.

Als er weiterglitt, sah er eine brüchige Mauer aus

Adobeziegeln. Ein Lichtreflex blitzte zwischen der teilweise
zusammengefallenen Mauer auf. Neugierig trat John näher,
drückte prüfend mit der Rechten gegen die Lehmziegel, die
knirschend auseinanderfielen und mit Getöse und Staub zu
Boden prasselten.

Der Scout hustete und wartete, bis sich die Wolke verzogen

hatte.

Lautlos glitt er dann weiter, beachtete alle Zeichen und

Wege, die Cochise erwähnt hatte und vernahm plötzlich
Stimmen.

»Dieser rote Hurensohn gibt nicht auf«, sagte ein Mann.
»Warte, bis es dunkel wird«, entgegnete ein anderer. »Die

Blonde muß rausgehen. Knallt er sie ab, haben wir Pech
gehabt.«

John glitt weiter, atmete leise und entdeckte hinter einer

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Biegung den hellen Fleck der Stollenmündung. Ein paar
Sekunden später hatten sich seine Augen an das veränderte
Licht gewöhnt. Deutlich unterschied John zwei Mexikaner und
Myriam, die auf dem Boden saß und mit dem Rücken an der
Wand des Ganges lehnte.

Haggerty holte Luft und sagte in normalem Tonfall: »Dreht

nur nicht durch, Amigos. Ich will euch helfen.«

Die beiden Männer wirbelten herum, als hätte ein Gespenst

hinter ihnen gesprochen. Myriam unterdrückte einen Aufschrei
nur unvollkommen.

»Bleibt ruhig«, fuhr John fort, »ich beobachte seit einer

halben Stunde, was hier passiert. Der rote Halunke sitzt am
Drücker. Ohne Hilfe habt ihr keine Chance.«

Langsam ging Haggerty weiter. Nun kam der entscheidende

Moment. Verriet Myriam sich, würde es nicht ohne
Verwunderung abgehen.

Die blonde Frau atmete nur scharf aus, als sie den Scout

erkannte.

»Wer bist du, Hombre?« fragte einer der Mexikaner. »Wie

kommst du in unseren Rücken? Gibt's etwa einen zweiten
Ausgang?«

»Langsam, Freunde, immer langsam«, erwiderte John

grinsend. »Ich bin Digger John. Kenne die Gegend wie meinen
Tabaksbeutel. Vor ein paar Jahren kratzte ich noch ein paar
Pfund Silber aus den alten Adern. Jetzt ist's mit dem Segen
endgültig vorbei.«

»Woher kommst du?« wollte Enrico wissen.
Sein Colt schwankte nicht um den Bruchteil eines Inches.

Die Mündung wies auf Haggertys Oberkörper.

»Es gibt 'ne Röhre, weit hinten«, erklärte der Scout. »Rein

kommt man dort, aber nicht wieder raus. Ich bin also freiwillig
in die Falle gehüpft.«

Enrico sagte verächtlich: »Du hältst uns wohl für dämlich,

wie? Wo ein Mann reinkommt, kann er auch wieder raus.«

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Haggerty lächelte mitleidig und erwiderte: »Du hast keine

Ahnung, Hombre. Das ist 'ne Röhre, die mächtig steil
runterführt. Da klettert kein Mensch hoch. Und den Gaul
müßtet ihr in Stücke schneiden, um ihn durchzubekommen.
Nein, für uns gibt's nur einen Weg: den verdammten
Mimbrenjo erledigen. Außerdem braucht ihr doch wohl noch
einen zweiten Gaul, oder?«

Pedro und Enrico sahen sich betroffen an. Daran hatten sie

noch nicht gedacht.

»Na also. Der Indianermustang ist zäh und ausdauernd«,

sagte John.

In diesem Moment hämmerte die Winchester des Apachen

wieder los. Die Kugeln sausten eine Handbreit über die
Brustwehr.

Enrico feuerte das Röhrenmagazin seines Gewehres leer,

erzielte jedoch keinen Treffer.

Haggerty lief geduckt zu der provisorischen Barriere und

spähte durch die Lücken zwischen den einzelnen Steinen. Er
wußte, wo Doppelwolf lauerte, vermochte ihn aber von hier
aus nicht zu erreichen.

»Weißt du genau, wo der Kerl liegt?« fragte Pedro. »Wenn

zwei Mann ihn niederhalten, kann der dritte ihn sich
schnappen?«

John schüttelte den Kopf.
»Unmöglich«, erwiderte er. »Seht ihr dort oben die

Felszacken, die wie Finger aufragen? Dahinter lauert der
Bursche. Wir müßten ein Dutzend geladener Gewehre haben,
um ihn am Feuern zu hindern. Aber auch dann kann er noch
zur Seite weggleiten, ohne daß wir ihn sehen. Nein, wir warten,
bis es dunkel genug ist.«

»Und was passiert dann?« fragte Enrico. »Schnallst du dir

Flügel um und greifst ihn aus der Luft an?«

Grinsend erwiderte der Scout: »Schön war's ja, aber

irgendein Kerl hat mir meine Flügel gestohlen. Nein, ich sause

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raus und sehe zu, daß ich in den Rücken des Mimbrenjo
gelange. Sobald der Morgen anbricht, feuert er wieder, und ich
schnappe mir den Kerl von hinten.«

Staunend fragte Pedro: »Bist du so gut? Einen Apachen

überlistet doch keiner von uns.«

John lachte halblaut. Bitterkeit schwang in diesem Lachen

mit und erweckte die Neugierde der beiden Mexikaner.

»Ich schon«, sagte Haggerty kalt. »Vier Jahre lebte ich bei

den Roten, ehe ich fliehen konnte. Ich kenne jeden ihrer Tricks.
Mir gelang die Flucht erst, als ich so gut wie der beste Krieger
geworden war.«

Enrico lachte laut und fragte: »Du hast die roten Halunken

also ganz besonders in dein Herz geschlossen, wie?«

»Verlaß dich drauf«, erwiderte John mit einem haßvollen

Unterton in der Stimme. »Ich knalle jeden ab, den ich
erwische.«

Eine Weile schwiegen die Männer. Haggerty gab sich Mühe,

nicht zu Myriam zu schauen. Er beachtete die blonde Frau gar
nicht. Für ihn schien es völlig normal zu sein, daß zwei
Mexikaner, die wie Halunken wirkten, mit einer Amerikanerin
durchs Apachenland trailten.

»Warum hast du denn nicht bis zur Nacht draußen

gewartet?« fragte Enrico lauernd. »Du kannst dich doch
genausogut anschleichen, ohne daß wir es wissen.«

John tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn und fragte:

»Hältst du mich für blöd? Wenn ihr einen anderen Plan habt,
geht alles schief. Nein, erst mußte ich mit euch sprechen, ist
doch klar.«

Allmählich schlief das Mißtrauen der Mexikaner ein.

Abwechselnd spähten sie ins Tal. In unregelmäßigen
Abständen peitschte Doppelwolfs Gewehr auf.

Doch nach einiger Zeit stellte der Mimbrenjo das Feuer ein.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Pedro, dem Schweiß von

der Stirn perlte.

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Er spürte bereits Fieber. Sicherlich war Schmutz in seine

Schulterwunde geraten und sie entzündete sich.

»Vielleicht greift er an«, vermutete John. »Dann wird er sich

aber wundern.«

*

Doppelwolf trug sich tatsächlich mit dem Gedanken, ein Ende
zu machen. Vorsichtig glitt er hinter seiner Deckung entlang.
Er war sicher, daß die Gelbhäutigen seinen Standort kannten.
Sie durften nicht merken, daß er sich in den nächsten Minuten
langsam zur Talsohle hinabarbeiten wollte.

Der Weg war weit, doch dafür sicher. Keine Sekunde

durchquerte der Krieger freies Gelände. Immer huschte er
hinter guten Deckungen weiter.

Nur ein Apache vermochte ihn zu erkennen. Vielleicht auch

der eine oder andere Weiße, der mit den Listen der
Wüstenkämpfer vertraut war. Aber Doppelwolf wußte, daß
kein solcher Mann in der Nähe sein konnte.

Der Krieger kauerte neben dem toten Manolo. Golden

glitzerte es im Sonnenlicht auf.

Die Uhr!
Heiße Wut flammte in Doppelwolf auf. Er riß den Dolch aus

dem Gürtel und stach auf das Gerät ein, bis er das weiche
Metall aufgebrochen hatte. Eine Feder schnellte ins Freie.
Doppelwolf zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zurück,
denn er dachte an einen Angriff des fremden Gottes.

Die Klinge fuhr nieder, preßte die Feder gegen den Boden.

Sie zitterte noch schwach, vibrierte hin und her.

»Jetzt bist du tot, fremder Geist«, sagte der Indianer

zufrieden.

Er verspürte Triumph. Nun würde ihm alles gelingen, da er

den Gott der blonden Squaw umgebracht hatte.

Dicht an der Wand des Tales lief der Krieger weiter. Er

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wußte um die Lichtverhältnisse hier unten. Nur ein besonders
aufmerksamer Beobachter vermochte ihn zu entdecken. Und
wie er die Mexikaner einschätzte, sahen die nicht mal eine
Mustangherde, wenn sie lautlos herangaloppierte.

Plötzlich peitschte eine Winchester.
Eine Handbreit vor seinem Gesicht klatschte das Blei gegen

den Felsen.

Das Gewehr hämmerte in rasender Folge. Doppelwolf

wirbelte herum und rannte geduckt davon. Wie war er entdeckt
worden? Gehörten die Mexikaner zu jenen Männern, die auf
Indianerskalps Jagd machten? Die ihre Beute in Sonora gegen
blanke Goldmünzen eintauschten? Diese Gelbhäutigen kannten
die meisten Listen der Apachen und wußten ihnen zu
begegnen.

Doppelwolf schien seine Gegner unterschätzt zu haben. Er

mußte in sichere Deckung zurück und einen neuen Plan
ausarbeiten.

Auf halbem Weg sah der Krieger eine Felsspalte und

zwängte sich hinein. Nachdem er sich umgesehen hatte,
stemmte er Rücken und Füße gegen die Wände und arbeitete
sich in die Höhe.

Es dauerte nicht lange, bis Doppelwolf eine Kanzel erreichte,

die etwas höher als die Stollenmündung lag. Von hier aus
würde er die Verteidiger mit seinen Schüssen in Atem halten.
Und brach erst die Nacht an, wollte der Mimbrenjo die alte
Mine stürmen.

Er hatte einen Teil seiner Furcht vor den Geistern der

Dunkelheit verloren. Es ging um alles, um seine Beute, um
einen großen Sieg. Kehrte er mit der blonden Squaw und drei
Mexikanerskalps zu Victorio zurück, würde ihn der Jefe wieder
in den Stamm aufnehmen.

Aufmerksam beobachtete Doppelwolf die Höhle. Drei

Menschen unterschied er, vermochte aber nicht zu erkennen,
wer Myriam war. Er ahnte nicht, daß der Scout, den Cochise

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Falke und Freund nannte, zu den mexikanischen Banditen
gestoßen war.

John grinste die anderen an und sagte: »Der Kerl ist

geschickt. Beinahe hätte er Glück gehabt.«

»Mann, wir haben überhaupt nichts gesehen, bis du gefeuert

hast«, rief Pedro. »Du bist wirklich so gut wie einer der roten
Teufel.«

»Aber jetzt hat er seinen Standort gewechselt«, sagte Enrico.

»Kommst du nun immer noch in seinen Rücken, Hombre?
Kennst du das Tal, die Umgebung?«

»Ich sagte doch schon«, erwiderte Haggerty, »wie meinen

Tabaksbeutel, und vielleicht noch ein wenig besser.«

Doppelwolf eröffnete wieder das Feuer. Eine Kugel

zertrümmerte einen kleinen Stein in der Brustwehr. Scharfe
Splitter sirrten durch den Gang. Myriam schrie auf. Blut tropfte
aus verschiedenen kleinen Schnittwunden in ihrem Gesicht.

Erst jetzt sah Haggerty die Frau an.
»Harmlos«, sagte er, »lohnt sich nicht, deswegen Geschrei zu

veranstalten.«

»Ich glaube, ich erwische ihn mit dem Colt«, sagte Pedro

verbissen.

Er zog seinen Revolver, zielte sorgfältig und drückte ab.

Dumpf wummerte die Waffe auf, und der Mexikaner fluchte
enttäuscht.

»Nimm lieber die Winchester«, riet John.
»Meine Schulter, du Idiot«, fuhr Pedro auf. »Ich halte den

Rückschlag nicht aus.«

Verbissen zielte und feuerte er wieder und wieder, fehlte

jedoch.

»Was habt ihr mit der Señorita vor?« fragte Haggerty.
»Jetzt sieht sie erst richtig aus für Elviras Haus«, rief Pedro

und lachte gemein.

John überlegte blitzschnell und kam zu dem Schluß, daß es

sich nur um das Haus der leichten Mädchen in Del Rio handeln

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konnte. Hoffentlich liege ich richtig, dachte der Scout.

Laut fragte er: »Wollt ihr sie zu Elvira nach Del Rio

bringen?«

»Kennst du dich da aus?« wollte Enrico wissen.
»Nicht besonders«, antwortete Haggerty, »aber wenn dieses

Vögelchen erst dort ist, werde ich sicher mal vorbeikommen.«

Pedro und Enrico lachten gemein. Der Verwundete feuerte

abermals. Die Winchester des Mimbrenjo peitschte, und Pedro
fiel auf den Rücken. Über seiner Nasenwurzel war ein kleines
Loch entstanden, das kaum blutete.

Er war tot.
Enrico fluchte minutenlang auf den verdammten roten Teufel

und Pedro abwechselnd.

»Jetzt stehen unsere Chancen verdammt schlecht«, sagte der

Mexikaner.

»Viel schlechter als du denkst«, rief Myriam gellend und

sprang auf.

Mit einem Schritt gelangte sie neben den Toten, fiel auf die

Knie und riß seinen Revolver an sich.

Sie hob die Rechte und drückte ab. Ein trockenes Klicken

ertönte. Pedro hatte seinen Colt leergefeuert.

Enrico zog durch. Das Wummern seines Revolvers dröhnte

in der Höhle nach. Myriam schrie auf. Ein blutroter Striemen
erschien an ihrem Oberarm. Sie ließ die nutzlose Waffe fallen
und versuchte, über die Brustwehr zu klettern.

»Aus für dich«, sagte der Mexikaner grimmig. »Du nutzt uns

nichts mehr. Wenn du uns in den Rücken fällst, sterben wir
alle.«

Er zielte, wollte den Finger krümmen, aber Haggerty rief:

»Nicht! Sie ist ein Faustpfand. Wenn du sie loswerden willst,
kaufen wir uns frei.«

Sekundenlang zögerte Enrico. Er blickte den Scout an und

erwiderte: »Du gefällst mir nicht, Hombre. Du hast mir von der
ersten Sekunde an nicht gefallen. Mit dir stimmt was nicht.«

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Er schwenkte die Waffe wieder herum, und in diesem

Moment feuerte John mit der Winchester. Er traf Enrico
tödlich. Haggerty hatte keine Wahl gehabt. Der Mexikaner war
entschlossen, die blonde Frau umzubringen.

Langsam rutschte Myriam zurück. Trockenes Schluchzen

drang aus ihrer Kehle. Sie schlug die Hände vors Gesicht und
sank mit dem Rücken gegen die Barrikade.

»Bald ist es vorbei«, tröstete John die junge Frau. »Cochise

ist in der Nähe. Wir holen Sie hier raus, Lady. Der Chief ist
mächtig zornig, daß Doppelwolf Sie entführte. Cochise setzt
alles daran, den Burschen zu erwischen und zu bestrafen.«

Es dauerte lange, bis sich Myriam beruhigte.
»Es ist furchtbar«, flüsterte sie. »Ich bin nicht für dieses

Land geschaffen. Vor wenigen Tagen der Überfall auf Pearce.
Wir Frauen wurden weggetrieben wie Vieh. Dann Doppelwolf,
der mich aus der Hütte zerren wollte. Tombstone, ich fühlte
mich wohl, gewann sogar viel Geld beim Pokern. Und dann
wieder der Mimbrenjo. Mr. Haggerty, ich halte nicht mehr
lange durch. Dann zerspringt etwas in mir.«

John dachte an Tombstone. Dort würde Myriam sicher sein.

Wenn sie so geschickt pokerte, vermochte sie sich ihren
Lebensunterhalt damit zu verdienen. Ging der Boom zu Ende,
konnte sie genügend Geld besitzen, um in einem anderen Ort
der Union ruhig zu leben.

»Sie halten durch«, sagte der Scout hart, »ein paar Stunden

noch. Länger dauerte es nicht mehr. Und in der Stadt fühlen
Sie sich wieder wohl. Wyatt Earp und sein Bruder Virgil sind
uns gefolgt. Sie warten auf der Farm, von der Doppelwolf
Sattel, Wasser und Essen für Sie holte. In der Nähe der Stelle,
an der Sie die Mexikaner schnappten.«

Myriam lächelte freudig. Sie hatte ihr Herz zwar nicht

vollständig an den jungen Abenteurer verloren, doch er war ein
angenehmer Gesellschafter, der sie mit seiner leichtlebigen Art
und den schnellen Entschlüssen beeindruckte.

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John Haggerty gehörte zur ruhigen, verläßlichen Sorte.

Myriam war vielleicht noch zu jung, die Vorzüge solcher
Menschen zu schätzen.

»Wyatt Earp, das ist schön«, sagte sie halblaut.

*

Der Scout schleppte die beiden Toten in den Hintergrund des
Stollens. Auf dem Rückweg klopfte er dem Pferd, das vor dem
Blutgeruch scheute, den Hals und beruhigte das Tier. Von
draußen drang Gestank herein. Der Kadaver des toten Pferdes
auf der Plattform blähte sich bereits auf. In wenigen Stunden
würde er derart stinken, daß Myriam und Haggerty kaum noch
Luft bekamen.

»Wir müssen hier raus«, sagte John leise und starrte in das

Dunkel des Ganges.

»Schaffen wir es wirklich nicht auf dem Weg, den Sie

nahmen?« fragte die blonde Frau.

John schüttelte den Kopf. Er selbst vermochte die Steigung

vielleicht zu bezwingen, aber Myriam war erschöpft und
ausgelaugt. Sie schaffte es niemals.

Der Scout spähte zur Felskanzel hinüber, auf der Doppelwolf

lauerte. Seit der Schießerei im Stollen hatte der Indianer nicht
mehr gefeuert. Lag er überhaupt noch dort oben?

Es gab nur eine Möglichkeit, dies festzustellen. Haggerty zog

das Gewehr an die Schulter und jagte eine Serie von sechs
Kugeln aus dem Lauf. Deutlich erkannte er, daß die Geschosse
eine Handbreit über der Barriere des Gesteinsvorsprunges
gegen die Felsen schlugen.

Nichts rührte sich drüben.
»Er ist weg«, sagte John halblaut. »Er hat was vor, dieser

Beutemimbrenjo. Er ist ein verdammt guter Krieger. Eigentlich
schade um ihn.«

Myram starrte den Scout an und fragte: »Was heißt das? Ist

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er tot?«

»Noch nicht, Lady«, erwiderte John mit ausdruckslosem

Gesicht, »aber Cochise wird ihn umbringen. Das ist
Apachengesetz. Denn durch Doppelwolf kann das Lodern im
Südwesten zu einem wüsten Feuerbrand werden, der uns alle
verschlingt. Sie ahnen ja nicht, wie gefährlich die Lage hier ist.
Und dann morden sich Apachen und Weiße in einem
grausamen Krieg.«

Myriam schwieg beeindruckt. Sie wußte nicht viel über die

Situation in Arizona, hatte nur vor wenigen Tagen erfahren,
daß es auch unter den Apachen gute und schlechte Menschen
gab.

Irgendwie fand sie es richtig, daß Cochise den abtrünnigen

Doppelwolf bestrafte. Denn der war Häuptling aller Stämme.

John Haggerty verspürte einen harten Klumpen in seiner

Magengegend, als er sich alles genau überlegt hatte. Es gab
keinen anderen Weg. Er mußte ins Tal hinunter. Doppelwolf
von der Höhle weglocken, aus der Deckung herausreizen.

»Können Sie mit einer Winchester umgehen?« fragte er

hoffnungsvoll die blonde Frau.

Myriam schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein, ich habe

noch nie mit einem Gewehr geschossen, nur ein paarmal mit
dem Colt.«

John unterdrückte einen Fluch. Mit einem halbwegs guten

Schützen im Rücken wäre seine Aufgabe leichter geworden.

Egal, dachte er, ich muß es riskieren. Wir können nicht in

dem Stollen bleiben. In zwei Stunden wird der Gestank
übermächtig. Vielleicht wartet der Krieger nur darauf und
rechnet dann mit unserem Ausbruch. Was mag er über die
Schießerei hier denken?

Langsam ging Haggerty zu dem Banditenpferd und

überprüfte alle Riemen und Gurte.

»Was haben Sie vor?« fragte Myriam verwundert. »Wollen

Sie einfach davonreiten?«

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105

John lachte freudlos und erwiderte: »Nicht ganz, Lady. Ich

will Doppelwolf aus seiner Deckung locken und stellen. Wir
ersticken, wenn der tote Gaul draußen erst mal richtig stinkt.«

Ungläubig starrte Myriam den hochgewachsenen Scout an.
»Sie reiten ins Tal?« fragte sie mit Angst in der Stimme.

»Was wird aus mir, wenn der Apache Sie verwundet oder
tötet?«

»Cochise ist in der Nähe«, erwiderte Haggerty. »Er hilft

Ihnen, sobald er kann. Hat er Doppelwolf erst in die ewigen
Jagdgründe geschickt, bringt Sie der Jefe zu Wyatt Earp und
seinem Bruder.«

»Nein, Sie dürfen nicht reiten«, flüsterte Myriam. »Sie

bringen sich unnötig in Gefahr. Wenn wir dorthin gehen, wo
Sie in die Mine gekrochen sind, bekommen wir doch frische
Luft. Wir warten ab, Mr. Haggerty.«

Auch das hatte John bereits erwogen und wieder verworfen.

Doppelwolf war nicht dumm. Er würde eindringen, denn ihn
störte der Geruch des verwesenden Pferdes kaum. Kam es in
den hinteren Gängen zu einer Schießerei, konnten die Stollen
einstürzen und sie alle lebendig begraben. Dieses Risiko durfte
der Scout nicht eingehen. Da war es besser, auszubrechen, das
Leben aufs Spiel zu setzen und auf die eigene Schnelligkeit
und Kraft zu vertrauen.

»Gehen Sie zur Seite«, verlangte John. »Ich reiße jetzt die

Barrikade nieder.«

»Nein, das erledige ich«, erwiderte Myriam entschlossen.

»Vergessen Sie nicht, daß Sie nach kaum einem halben
Dutzend Schritten über das tote Pferd müssen.«

Haggerty blickte Myriam an und nickte, bevor er aufsaß. Die

Winchester hielt er schußbereit über den Oberschenkeln.

Myriam hantierte mit den Steinen, zog einen Brocken heraus,

und bis auf einen Fuß Höhe brach die provisorische Mauer
zusammen.

»Los jetzt«, sagte John hart und preßte dem Pferd die

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Absätze in die Flanken.

Das Tier lief ein paar Schritte, sprang leicht über den

Mauerrest und wollte stehenbleiben, als es die Witterung des
Todes in die Nüstern bekam. John hieb ihm die Faust zwischen
die Ohren. Erschreckt wieherte der Wallach auf und vollführte
einen mächtigen Satz.

»Weiter, los!« schrie Haggerty und hackte erbarmungslos die

Absätze in die Flanken.

Mit einem schwerfälligen Sprung überwand der Braune das

Hindernis seines toten Artgenossen. Schnaubend rutschte das
Banditentier auf dem Felsenweg aus, geriet gefährlich nahe an
den Abgrund und fing sich im letzten Moment. Mehr rutschend
als trabend brachte der Wallach den Pfad hinter sich.

Wo war Doppelwolf?
Unaufhörlich suchte der Scout die Felswände mit seinen

Blicken ab, erwartete jede Sekunde das Aufblitzen eines
Mündungsfeuers, das Krachen einer Winchester zu hören.
Nichts rührte sich. Der Mimbrenjo hatte doch nicht
aufgegeben?

Plötzlich sprang John das untrügliche Gefühl drohender,

unmittelbarer Gefahr an. Er riß mit der Linken am Zügel, hob
mit der anderen das Gewehr und sah gleichzeitig die
Feuerblume aufblühen.

Der Mimbrenjo leitete sein Pony nur mit den Knien. In

weiten Sprüngen galoppierte der Pinto durch den Taleingang.
Unaufhörlich feuerte Doppelwolf. Durch das Peitschen seiner
Winchester gellten die haßvollen Schreie des Apachen.

Haggerty wußte, wie schwierig es war, von einem

galoppierenden Pferd aus etwas zu treffen, doch er
beantwortete das Feuer mit einem eigenen Kugelhagel.

Keines der Geschosse traf.
Immer näher hetzten die Pferde aufeinander zu. Haggerty

hatte nicht mitgezählt, wunderte sich jedoch nicht, als die
Waffe in seinen Händen nicht mehr ruckte.

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Doppelwolf stieß einen gellenden Schrei aus, der alte Ruf der

Apachen, wenn sie kämpften: »Zastee! Töte!«

John riß den Wallach nach links, wechselte das Gewehr in

die andere Hand und wollte den Colt ziehen, als ein harter
Schlag gegen seine Hüfte prallte. Die Hand tastete ins Leere.
Ein Zufallstreffer des Mimbrenjos hatte das Halfter vom Gurt
gerissen!

In fieberhafter Eile zerrte der Scout Patronen aus dem Gürtel,

verlor die erste, vermochte auch die zweite nicht in die
Ladeklappe zu pressen. Aber Doppelwolf hatte sich ebenfalls
verschossen.

Der Krieger warf das nutzlose Gewehr einfach weg. Eine

Sekunde danach blinkte die Schneide des Kriegsbeiles im Licht
der Sonne auf.

John riß am Zügel. Der Wallach änderte die Richtung,

galoppierte nach rechts und gehorchte willig den Zeichen des
fremden Reiters.

Haggerty ließ die Winchester durch die Hand rutschen,

packte das nutzlose Gewehr am Lauf, um es als Keule zu
verwenden und besaß nur wenig Hoffnung. Er wußte zu genau,
daß die Apachen Meister mit dem Kampfbeil waren.

Selbst vom galoppierenden Pferd aus trafen sie bewegliche

Ziele mit tödlicher Genauigkeit.

Beide Pferde rasten aufeinander zu. Die Hufe hämmerten in

wildem Stakkato über den Boden. John wünschte sich
inbrünstig, daß Myriam wenigstens ein paar Schüsse zur
Ablenkung abfeuern würde, doch die Rettung erfolgte durch
einen anderen Menschen.

Eine Winchester peitschte. Doppelwolf duckte sich

unwillkürlich, als das heiße Blei dicht über seinen Kopf pfiff.
Er sah auf und erkannte Cochise.

*

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Haggerty zügelte den fremden Wallach und brachte das Tier
am Talrand zum Stehen.

Doppelwolf hielt seinen Mustang ebenfalls an. Deutlich

erkannte John den Haß im Gesicht des ehemaligen
Mimbrenjosklaven, als er zu dem großen Häuptling
hinaufstarrte.

Cochise stand auf einer Felsklippe, umflossen vom Licht.

Der Lauf seiner Winchester blinkte in der Sonne.

»Genug, Falke«, rief der Häuptling, »dies ist mein Land, und

hier gilt das Gesetz der Apachen. Doppelwolf, du kennst dieses
Gesetz.«

Ruhig kletterte der Chief abwärts.
Haggerty legte die leergefeuerte Winchester quer über seine

Oberschenkel. Unauffällig schob er eine Patrone nach der
anderen in die Ladeklappe. John verspürte eine Warnung, ein
Gefühl, als müßte er kampfbereit bleiben.

Cochise erreichte ein schwierig zu bewältigendes Felsstück.

Er nahm beide Hände zu Hilfe, stützte sich ab, und diesen
Moment nutzte Doppelwolf. Er beugte sich weit im Sattel
zurück. Grell brach sich das Sonnenlicht auf der Schneide des
Tomahawks, als der Krieger ausholte.

Haggerty riß die Winchester an die Schulter und feuerte. Wie

vom Blitz getroffen brach der Mustang des Mimbrenjos
zusammen. Der Apache stieß einen Wutschrei aus, als er über
den Hals seines sterbenden Tieres geschleudert wurde.

Er rollte sich zusammen, kugelte über den harten Boden und

schnellte federnd wieder auf die Füße.

»Ich töte dich, weißer Hund!« brüllte Doppelwolf. »Dein

Skalp wird über dem Feuer meines Jacales hängen.«

Cochise sah sich um und kletterte ruhig weiter. Falke hatte

ihn vor einer Verwundung gerettet, vielleicht verdankte der
Häuptling seinem weißen Freund sogar das Leben.

Endlich erreichte der Chief die Talsohle und ging ruhig auf

den abtrünnigen Krieger zu.

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»Du kennst das Gesetz, Doppelwolf«, sagte Cochise laut.

»Du bist ein Mimbrenjo und weißt, daß du dich außerhalb des
Stammes gestellt hast.«

Der Apache, der nur zwei Inches kleiner als der Jefe war,

pendelte mit dem Oberkörper hin und her.

»Ich bin kein Mimbrenjo, roter Hund«, erwiderte er kehlig in

der Sprache der Weißen. »Ich bin Juan Antonio Lopez de
Garcia. Dein Gesetz gilt nicht für mich, Apache.«

Cochises Gesicht blieb ausdruckslos.
»Das ist alles, was du von dir weißt, Krieger«, sagte der

Häuptling. »Die Mimbrenjos gaben dir Nahrung, lehrten dich
das Jagen, Rauben und Töten. Du bliebst bei ihnen. Du bist ein
Indianer.«

»Nein! Sie knechteten mich«, brüllte Doppelwolf. »Ich war

ein Sklave, weniger als ein Mustang. Jetzt bin ich frei und
wähle meinen Weg selbst.«

»Du hast Unfrieden in mein Land gebracht«, sagte Cochise

schwer. »Du hast mein Wort gebrochen, zweimal, Mimbrenjo.
Einmal gestattete dir das Gesetz den Todessprung. Du wirst
nicht noch einmal springen können.«

Doppelwolfs Pendeln verstärkte sich. Er trat einen Schritt zur

Seite, noch einen, versuchte, die Sonne in den Rücken zu
bekommen, damit sie den Häuptling blendete. Cochise lächelte
nur über diesen Versuch.

Ohne sich durch eine Bewegung zu verraten, warf der

Mimbrenjo seinen Tomahawk. Cochise neigte nur den Kopf
zur Seite. Das Kriegsbeil klirrte hinter ihm gegen die
Felswand.

Doppelwolf riß das Messer aus dem Gürtel und sprang mit

weiten Sätzen auf den Häuptling zu. Cochise machte keine
Anstalten, die Winchester zu heben, dachte offensichtlich gar
nicht daran, zu feuern.

Haggerty riß sein Gewehr hoch.
»Nein, Falke«, sagte der Jefe scharf.

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Seine ganze Autorität lag in diesen beiden Worten, und John

ließ die Winchester wieder sinken.

Doppelwolf raste heran wie eine Maschine aus Muskeln. Er

würde seinen Stoß von schräg unten nach oben führen, denn
die Spitze des Messers wies aufwärts.

Er kam nicht dazu, seinen Angriff zu vollenden. Cochise

warf ihm das Gewehr zwischen die Beine. Der Mimbrenjo
vergaß in seinem Haß einen Teil der Lehren, die doch jedem
Krieger in Fleisch und Blut übergehen. Er stolperte, prellte sich
das Schienbein, landete hart auf dem Boden und verlor das
Messer.

Er sah hoch, sah den Chief ohne Waffen vor sich stehen und

grinste breit.

»Jetzt töte ich dich, Cochise«, brüllte Doppelwolf

triumphierend.

Er stieß sich ab, rollte zur Seite und packte das Messer

erneut. Wie ein flirrender Blitz wirbelte es auf den Chief zu.
Der Häuptling sprang zur Seite. Auch die letzte Waffe des
Mimbrenjos vermochte Cochise nicht zu töten.

»Du mußt sterben«, sagte er hart. »Doch du wirst wie ein

Mann sterben, wie ein Krieger im Kampf, wenn du das
verlangst. Du kennst das Gesetz.«

Doppelwolf stand auf, starrte den Chief an und sagte mit

widerwilliger Bewunderung in der Stimme: »Ich fordere den
Kampf, Häuptling.«

Cochise deutete auf das Kriegsbeil und löste seinen eigenen

Tomahawk vom Hosenbund.

John schien es, als wären sich die Gegner ebenbürtig. Sie

waren fast gleich groß, besaßen mächtige Muskeln und mehr
Kraft als die meisten anderen Apachen.

»Bis zum Tod, Cochise?« fragte der Mimbrenjo.
»Du kennst das Gesetz«, erwiderte der Jefe.
»Ja, ich kenne es«, erwiderte Doppelwolf beinahe heiter.

»Töte ich dich, bin ich frei.«

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Der Häuptling lächelte und antwortete: »Wenn du mich

tötest, wirst du auch sterben. Victorio reißt danach die Führung
der Stämme an sich. Er will Krieg, jeden Weißen vernichten.
Mein Sohn Naiche ist noch nicht stark genug, deinem Chief
Widerstand zu leisten. Und der Krieg, Doppelwolf, bringt auch
dir den Tod.«

Statt einer Antwort griff der hünenhafte Mimbrenjo an. Er

rannte auf seinen Widersacher zu, brach blitzschnell zur Seite
aus und flog zwei Handbreit über den Boden, als Cochise
zuschlug. Die Schneide seines Tomahawks riß Doppelwolfs
Haut auf seinem Rücken auf.

Der Mimbrenjo vollführte einen halbkreisförmigen Hieb

gegen die Füße des Häuptlings, der hochfederte und auf der
anderen Seite einen Schritt neben dem Todgeweihten wieder
landete.

Doppelwolf krümmte sich wie ein Puma, stieß sich ab und

jagte mit gesenktem Kopf auf Cochises Magen zu. Im letzten
Moment warf er sich nach links, hatte sich jedoch getäuscht.
Denn als er zuschlug, stand der Häuptling bereits an einer
anderen Stelle. Cochise vermochte die Manöver des
Mimbrenjo zu durchschauen, wußte jedoch auch, wie
gefährlich und stark der Krieger war.

Doppelwolf wirbelte herum, täuschte einen Angriff vor und

warf sein Kampfbeil. Cochise holte aus und schlug mit seiner
Waffe den heranwirbelnden Tomahawk aus der Luft herab. Der
Stiel zerbrach. Doppelwolf stand drei Sekunden reglos, starrte
den großen Jefe an und schien seinen Tod zu erwarten.

Langsam schritt Cochise heran.
»Du hast gekämpft wie ein Krieger«, sagte er. »Du wirst im

Totenreich so leben, wie ein Krieger lebt.«

Der Mimbrenjo dachte nicht daran, sich zu ergeben. Er

schnellte vor, packte die breiten Schultern des anderen und glitt
mit der Linken an Cochises Kampfarm herab, bis er das
Handgelenk umfaßte. Mit schier übermenschlicher Kraft bog

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Doppelwolf den Arm seines Gegners zur Seite, während er mit
der anderen Hand auf die entgegengesetzte Schulter Druck
ausübte.

Der Chief lächelte. Er spannte seine mächtigen Muskeln an,

leistete Widerstand und schob Stück um Stück seinen rechten
Arm wieder in die alte Position.

Doppelwolf keuchte vor Anstrengung und Überraschung. Er

spürte das verzweifelte Gefühl, dem Führer der Chiricahuas
nicht gewachsen zu sein. Und doch trieb ihn etwas an, sein
Leben nicht einfach aufzugeben.

Sein Fußtritt folgte überraschend, trat den Jefe schmerzhaft,

aber er handelte, riß den Mimbrenjo zu sich heran. Doppelwolf
verlor das Gleichgewicht, stolperte, streckte beide Arme aus,
wollte sich an Cochise festklammern, doch der Abstand war zu
groß.

Und als Doppelwolf fiel, schlug der Häuptling zu.
Der Mexikaner, der als kleines Kind von den Mimbrenjos

geraubt worden war, lebte nicht mehr. Er war ein Apache, trotz
des mexikanischen Blutes, das in den letzten Tagen so mächtig
in ihm aufgewallt war.

Und das Gesetz der Apachen hatte ihn ereilt.
»Geh, Falke«, sagte Cochise. »Einer meiner Söhne ist tot. Ich

warte hier auf Bu, die Eule, die seine Seele in das andere Land
bringt. Ich singe einem tapferen Krieger das Totenlied, wie es
die Sitte verlangt. Bring die Squaw mit dem Goldhaar weg. Sie
soll nicht sehen, was hier geschah.«

Haggerty nickte und sagte leise: »Du hast für den Frieden

gekämpft, Bruder. Ich möchte, daß du dieses nicht vergißt.«

»Ich weiß«, erwiderte der große Häuptling. »Es ist ein

merkwürdiger Friede, wenn ein Mann für ihn töten muß.«

Haggerty ritt zur alten Silbermine und winkte Myriam zu. Sie

lief die Steigung hinab. Gefaßt ließ sich die Frau vor John aufs
Pferd heben. Er ritt aus dem Tal zu seinem eigenen Tier. In
wenigen Stunden würde Myriam wieder unter weißen

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113

Menschen sein.

ENDE


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