IMMUNOLOGISCHE WIRKUNG VON AMINOSÄUREN

background image

1

1

IMMUNOLOGISCHE WIRKUNG VON AMINOSÄUREN

Erich Roth

Chirurgische Forschungslaboratorien, Universitätsklinik für Chirurgie/AKH Wien


Korrespondenz:
Prof. Dr.E.Roth
Chirurgische Universitätsklinik/AKH
Forschungslaboratorien
Währinger Gürtel 18-20
1090 WIEN
Tel: 40400-6949
FAX: 40400-6782

e-Mail:

E.Roth@akh-Wien.ac.at

background image

2

2

Neue Forschungsergebnisse lassen erkennen, daß viele Nahrungsbestandteile neben ihrer

Aufgabe, die Energie- und Stickstoff(Protein)homöostase des Körpers sicherzustellen, eine

Rolle als Zellmediatoren haben. In dieser Funktion wirken Nahrungsbestandteile

immunregulierend, haben einen Einfluß auf das Kreislaufsystem und beeinflussen

Zellproliferation und Zelltod über eine Änderung der Signaltransduktion. Diese Erkenntnisse

lassen die Substratzufuhr im Bereich der klinischen Ernährung in einem neuen Licht

erscheinen, machen aber auch den Weg für neue Produkte am Lebensmittelsektor frei, wo

Nahrungsbestandteilen neue physiologische Funktionen (functional food) zugeschrieben

werden. Eine zellmodulierende Wirkung wurde bis jetzt für die Aminosäuren Glutamin,

Arginin, Glyzin, Cystein, Taurin, Tryptophan sowie für die verzweigtkettigen Aminosäuren

(Valin, Leuzin, Isoleuzin) postuliert. Im amerikanischen Sprachgebrauch werden diese

Aminosäuren auch als „key- nutrients“ bezeichnet. Im folgenden sollen zellregulative

Eigenschaften dieser Aminosäuren dargestellt werden.

Arginin

Die erste Aminosäure, die als immunregulierend beschrieben wurde, ist die Aminosäure

Arginin. Arginin ist ein wichtiges Zwischenprodukt des Harnstoffzyklus, es ist an der

Synthese der Polyamine beteiligt, die wiederum bei der Zellteilung, der DNA Synthese, der

Regulation des Zellzyklus und somit auch bei der Lymphozyt enproliferation eine Rolle

spielen. Die Gabe von Arginin erhöht das Thymusgewicht, die Lymphozytenzahl und -

proliferation, die zytolytische Kapazität von Makrophagen und NK-Zellen und die Bildung

von Interleukin-1 in Lymphozyten. Da Arginin außerdem der wichtigste endogene

Ausgangsmetabolit für das Stickoxid (NO) ist und dieses eine Reihe von regulatorischen

Fähigkeiten hat, ist verständlich, daß eine Arginingabe sowohl immunmodulierende

Eigenschaft als auch hämodynamische Wirkungen entfaltet

Glutamin

Glutamin ist die am häufigsten vorkommende freie Aminosäure des Körpers. Im

Postaggressionszustand ist der Glutamintransport vom Skelettmuskel zum Splanchnikus und

zu den Blutzellen vermehrt, wobei gleichzeitig die intrazellulären Glutaminkonzentrationen

im Skelettmuskel drastisch absinken. Glutamin hat eine Reihe von Mediatorfunktionen. Es ist

ein essentielles Substrat für die Proliferation aller Zellen in Zellkultur und eine wichtige

Vorstufe für die Bildung von Purinen, Pyrimidinen und Phospholipiden. Ein Glutaminmangel

verringert die Proliferation von Lymphozyten nach Mitogenstimulation durch eine

Blockierung des Zellzyklus in der G

o

-G

1

Phase. Außerdem verhindert ein Glutaminmangel

background image

3

3

die späte Lymphozytenaktivierung. Bei Monozyten bewirkt ein Glutaminmangel eine

Minderexpression verschiedener Oberflächenmarker und beeinträchtigt die

Antigenpräsentation sowie die Phagozytosekapazität. Darüber hinaus ist Glutamin eine

wichtige Vorstufe für die Synthese von Glutathion und stimuliert die Bildung von heat-shock

Proteinen, möglicherweise über eine Regulation des Zellvolumens.

Glyzin

Glyzin ist eine nicht-essentielle Aminosäure und Bestandteil vieler parenteraler

Ernährungslösungen. Die in letzter Zeit durchgeführten experimentellen Untersuchungen

ergaben, daß Glyzin zellprotektive sowie antiinflammatorische und antineoplastische

Eigenschaften hat. Glyzin hält während einer Hypoxie die Integrität der Zellmembranen

aufrecht und verringert dadurch die Freisetzung von intrazellulären Enzymen. Es bewirkt die

Hemmung vo n Kalzium-abhängigen, nichtlysosomalen Proteasen und schützt über einen

Glyzin abhängigen Chlorid-Kanal vor Leber- und Lungenschädigungen. Nach LPS-Gabe in

einem Rattenmodell konnte durch Glyzin die Mortalität gesenkt werden. Glyzin reduzierte

durch Absenken des zytosolischen Kalziumspiegel die Synthese und Freisetzung

inflammatorischer Zytokine und Eicosanoide in den Kupfferzellen der Leber.

Cystein

Cystein wird in der Leber aus Methionin gebildet und kann durch Kondensation zweier

Moleküle zu Cystin oxidiert werden. Eine Cysteinzufuhr beeinflußt die Glutathionsynthese.

Eine Bedeutung für die Cysteinaufnahme der Makrophagen scheint im extrazellulären

Verhältnis von Glutamin zu Cystein zu liegen, da beide Aminosäuren dasselbe

Transportsystem verwenden.

Taurin

Die Aminosäure Taurin wirkt immunstimulierend. Der wichtigste Wirkungsmechanismus

scheint hier ein Schutz gegen Sauerstoffradikale zu sein, wobei durch Taurin eine

Stabilisierung der Zellmembran erreicht wird.

AMINOSÄUREN – EINFLUSS AUF DEN RADIKALMETABOLISMUS UND DAS

ZELLULÄRE REDOXPOTENTIAL

background image

4

4

Wenn man das Wirkungsspektrum der Aminosäuren in Bezug auf nicht nutritive Effekte

vergleicht, so fällt auf, daß viele der zellmodulierenden Effekte auf eine Interaktion mit dem

Sauerstoffradikalmetabolismus abzielen. Aus diesem Grund sei im folgenden dieser Aspekt

näher beleuchtet. Die erhöhte Produktion von Sauerstoffradikalen und deren Metaboliten

(H

2

O

2

, O

2

.-

,

.

OH, ROO

.

) wirkt aufgrund von deren aggressiven Oxidationsverhalten

zelltoxisch. Durch erhöhte Lipidperoxidation an Membranen oder durch gesteigerte Oxidation

an Membranproteinen und Enzymen kommt es zu einer gestörten Membranpermeabilität, die

vom Funktionsverlust der Zelle bis hin zum Zelltod führen kann. Antioxidantien schützen vor

oxidativen Eingriffen und verhindern somit Sauerstoffradikal- induzierte Zellschäden. Unter

physiologischen Bedingungen stehen Oxidantien und Antioxidantien in einem

homöostatischen Gleichgewicht. Ist die Balance aufgrund der gesteigerten

Sauerstoffradikalbildung zugunsten der Oxidantien hin verschoben, spricht man von

oxidativem Stress.

Seit geraumer Zeit wird den reaktiven Sauerstoffmetaboliten als ”second messengers” in der

Signaltransduktion wachsende Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei scheinen diese Metaboliten

einen modulierenden Einfluss auf die Transkription von Genen zu haben, deren Produkte bei

der Immunantwort, Proliferation und Differenzierung von Zellen als Reaktion pathologischer

Veränderungen eine wichtige Rolle spielen.

Der nukleäre Transkriptionsfaktor kappa B (NF-

κB) ist ein Heterodimer, bestehend aus den

Proteinuntereinheiten p50 und p65. Im inaktiven Zustand liegt NF-

κB gebunden an seinem

inhibierenden Proteinkomplex I-

κB im Cytosol vor. Zur Aktivierung von NF-κB wird I-κB

vom p50/p65 Komplex proteolytisch durch das 26-S Proteasom abgebaut und NF-

κB

freigesetzt. Anschließend gelangt NF-

κB in den Zellkern, wo es an die DNA bindet und die

Transkription aktiviert. Auf diese Weise werden Gene exprimiert, welche für die Bildung von

proinflammatorischen Zytokinen (TNF-

α

, Interleukine), induzierbare

Stickstoffmonoxidsynthase (iNOS) und Adhäsionsmoleküle kodieren.

Versuche an Zellinien haben gezeigt, daß Wasserstoffperoxid (H

2

O

2

) und Lipidperoxide

(LOOH) NF-

κB aktivierten. Im Gegensatz dazu blockierten Substanzen, welche die Bildung

bzw. Reaktion dieser prooxidativen Substanzen verhindern (Antioxidantien wie Katalase,

Vitamin E, N-Acetylcystein, Glutathion ), die NF-

κB Aktivierung. Da während der

Inflammation eine erhöhte Sauerstoffradikalproduktion auftritt (NADPH-oxidase,

Myeloperoxidase), könnte der gezielte Einsatz von Substanzen (Drug Targeting), welche die

Zelle vor oxidativen Prozessen schützen, einen inhibierenden Effekt auf die Produktion von

proinflammatorischen Substanzen haben.

background image

5

5

In diesem Zusammenhang kommt den Antioxidantien eine antiinflammatorische Eigenschaft

zu. Der Mechanismus, der dahinter steckt, ist noch nicht erforscht. Versuchsmodelle weisen

eher darauf hin, daß es unter oxidativem Stress zur Aktivierung von redox-sensitiven

Proteinkinasen kommt, die I-

κB phosphorylieren und Signalinduktion auf das 26S-Proteasom

haben. Ob die Antioxidantien direkten Einfluss auf die I-

κB Phosporylierung haben, oder ob

sie durch das Abfangen von reaktiven Sauerstoffmetaboliten den oxidativen Stress verhindern

und damit die redox-sensitven Proteinkinasen blockieren, ist derzeit Gegenstand intensiver

Forschung. Auf jeden Fall eröffnet die Steuerung der Signaltransduktion hinsichtlich NF-

κB-

Aktivierung durch gezielten Einsatz von Antioxidantien (Vitamin E, C, N-Acetylcystein,

Glutathion) und Aminosäuren (z.B.: Glutamin, Glyzin und Cystein, als Bausteine für

Glutathionbiosynthese) neue Perspektiven in deren Anwendungspektrum.

Aminosäuren, Fettsäuremetabolite, aber auch Zwischenprodukte des Glucosestoffwechsels

sind im Radikalmetabolismus wesentlich involviert. Arginin fungiert nicht nur als Substrat für

Stickstoffmonoxid (NO), es verhindert auch die Generierung von Superoxidradikalen (O

2

.-

)

mittels konstitutiver NO-Synthase. Für Taurin ist eine Radikalscavengerfunktion beschrieben,

und Pyruvat, ein Metabolit des Glucosestoffwechsels, reagiert mit H

2

O

2

und schützt so vor

oxidativen Schädigungen. Als Bausteine für die Glutathionbiosynthese (GSH) spielen die

Aminosäuren Glutamin, Glyzin und Cystein eine wichtige Rolle. GSH ist seit langem in

seiner Funktion als Antioxidans (Eliminierung von H

2

O

2

und Lipidperoxiden) bekannt. Mit

dem zellulären Glutathionmetabolismus werden aber noch eine Reihe von anderen

Zellaktivitäten in Verbindung gebracht: Stimulierung der Zellproliferation; Einfluss auf die

Aktivität des Ubiquitin-Proteasomen

-Stoffwechselweges und Veränderung des

Apoptoseverhaltens der Zellen. Ausserdem beeinflusst das intrazelluläre Verhältnis von

reduziertem zu oxidiertem Glutathion (GSH/GSSG) den Redoxzustand der Zelle, welcher bei

der Redox-Regulation von NF-

κB eine wesentliche Rolle spielt. Ein erniedrigter

intrazellulärer GSH-Spiegel führt zur Aktivierung von NF-

κB während ein hoher Glutathion-

Spiegel die NF-

κB-Aktivierung blockiert.

Tierexperimentelle Studien haben ergeben, daß die Zufuhr von Glutamin

(Glutamindipeptiden) die Lebertoxizität des 5-FU über eine Anhebung des hepatischen

Glutathionspiegels verringert. Eigene Untersuchungen zeigten, daß eine enterale

Glutaminzufuhr den GSH-Spiegel der Darmmucosa und der Milz signifikant anhebt. GSH

scheint auch ganz wesentlich das Apoptoseverhalten der Zellen zu beeinflussen. Ein erhöhter

GSH-Spiegel korreliert mit einer erhöhten Konzentration an intrazellulärem bcl-2, einem

antiapoptotisch wirksamen Protein. Ausserdem spielt der GSH -Gehalt bei der Karzinogenese,

background image

6

6

der Angiogenese von Tumorzellen und als Mutationsschutz des Repairenzyms p53 eine

wichtige Rolle.

background image

7

7

REFERENZEN

1. Frayn, KN. Metabolic regulation and human perspective. Portland Press.

London;1996

2. Bilzer M, Lauterburg BH. Glutathione metabolism in activated human neutrophils:

stimulation of glutathione synthesis and consumption of glutathione by reactive

oxygen species. Eur J Clin Invest 1991;21:316

3. Calder PC. Glutamine and the immune system. Clin Nutr 1994;13:2 - 8

4. Dröge W, Kinscherf R, Mihm S, Galter D, Roth S, Gmünder H et al. Thiols and the

immune system. Effect of N-acetylcysteine on T cell system in human subjects.

Methods Enzymol 1995;251:255-70.

5. Hall JC. Glycine. JPEN 1998;22:393 - 8.

6. Meyer M, Schreck R and Baeuerle PA. H

2

O

2

and antioxidants have opposite

effects on activation of NF-

κB and AP-1 in intact cells: AP-1 as secondary

antioxidant-responsive factor. The EMBO Journal 1993;12:2005 - 2015.

7. Razenberger M, Spittler A, Roth E. Zytoprotektive und immunomodulierende

Eigenschaften von Glyzin. Akt Ernähr Med 1998;23:269 - 74.

8. Roth E, Spittler A, Oehler R. Glutamin: Wirkungen auf das Immunsystem, auf

Eiweißhaushalt und Darmfunktionen. Wien Klin Wochenschr 1996;108/21:669 - 76.

9. Roth E, Manhart N, Punz A. Antioxidative Abwehrmechanismen während

systemischer Inflammation. Intensivmed 1998;35:95 - 105.

- 22.

11. Spittler A, Manhart N, Roth E. Immunologie und Ernährung (Immunonutrition). In:

Biesalski HK, Fürst P, Kasper H, Kluthe R, Pölert W, Puchstein C, Stähelin HB,

editors. Ernährungsmedizin. 2nd ed. Stuttgart-New York: Georg Thieme Verlag;

1999. p. 313 - 31.

12. Spittler A, Reissner CM, Oehler R, Gornikiewicz A, Grünberger T, Manhart N,

Roth E. Immunomodulatory effects of glycine on LPS-treated monocytes: reduced

TNF-

α

production and accelerated IL -10 expression. FASEB J 1999;13:563 - 71.

13. Shaw JP, Chou IN. Elevation of intracellular glutathione content associated with

mitogenic stimulation of quiescent fibroblasts. J Cell Physiol 1987; 129:193-8.

background image

8

8


Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Die Tee Wirkung von Katzenkralle Heiltee Kopie
Die Tee Wirkung von Katzenkralle Heiltee
Die Tee Wirkung von Katzenkralle Heiltee
Wirkung und Anwendung von Linde
Wirkung und Anwendung von Linde
SEMINARIUM IMMUNOLOGIA Prezentacja
Testy immunologiczne
Seminarium 6 Immunologia transplantacyjna farmacja 2
CHOROBA VON WILLEBRANDA
Cw 7 IMMUNOLOGIA TRANSPLANTACYJNA
Immunologia nowotworów
Immunoterapia1
immunologiczne ostrzerzenie przed choroba

więcej podobnych podstron