Anorexia und Bulimia im Kindesalter

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ie Essstörungen Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN) sind
typische Erkrankungen des Jugend- und frühen Erwachsenenalters. Bei
der Anorexia nervosa (AN) liegt der Erkrankungsgipfel zwischen 14

und 16 Jahren. Nach ICD-10 handelt es sich bei der AN um ein Krankheits-
bild mit fünf zentralen Kennzeichen (Kasten 1). Als kritische Gewichtsgrenze
für Kinder- und Jugendliche sollte die 10. BMI-Altersperzentile zur Diagnose
der AN herangezogen werden (7) (Grafik 2), Berechnung im Internet: www.
mybmi.de.

Das amerikanische Diagnosesystem DSM-IV unterscheidet zudem einem re-

striktiven Typus und eine bulimische Form (purging type) der AN. Restriktive
Patientinnen verringern ihr Körpergewicht durch ausschließliche Kalorienein-
sparung, wohingegen Magersüchtige des Purging-Typus auch eingreifende ge-
wichtsreduzierende Maßnahmen wie zum Beispiel Erbrechen oder Abführmit-
tel einsetzen.

Die Bulimia nervosa (BN) ist eine Essstörung jüngerer Frauen mit einem

Erkrankungsgipfel zwischen 16 und 19 Jahren. Nach ICD-10 müssen die in Ka-
sten 1
genannten Kriterien erfüllt sein. Nach DSM-IV werden ein „purging“ (ge-
wichtsreduzierende Maßnahmen) und ein „non Purging“-Typus (Fasten, körper-
liche Betätigung) unterschieden.

Zertifizierte Medizinische Fortbildung

Anorexia und Bulimia
nervosa im Kindes- und
Jugendalter

Kristian Holtkamp, Beate Herpertz-Dahlmann



Punkte cme



3

Zusammenfassung

Etwa ein bis drei Prozent der weiblichen Jugendlichen erkranken an Anorexia oder Bulimia ner-
vosa. In der letzten Dekade haben sich das Verständnis der Ätiologie und der aufrechterhal-
tenden Bedingungen sowie die Therapie der Essstörungen gewandelt. So scheinen neben sozio-
kulturellen auch genetisch geprägte Temperamentsfaktoren, sowie biologische Faktoren, wie eine
Vulnerabilität des serotoninergen Neurotransmittersystems, ätiologisch bedeutsam. Die Thera-
pie der Essstörungen erfolgt multimodal und stützt sich auf die drei Säulen somatische Rehabili-
tation und Ernährungstherapie, individuelle psychotherapeutische Behandlung sowie Einbezie-
hung der Familie.

Schlüsselwörter: Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, somatische Veränderung,
Ätiologie, Behandlung

Summary

Anorexia and Bulimia nervosa in Childhood and Adolescence
Anorexia (AN) and Bulimia nervosa (BN) are common psychiatric disorders in adolescent girls. In
the last decade the understanding of the etiology, maintaining conditions and therapy has chang-
ed. Besides the etiologic relevance of psychosocial factors there is evidence of the importance of
temperament and other biological factors, e.g. a vulnerability of the serotonergic system. The mul-
timodal treatment of eating disorders consists of weight rehabilitation and dietary counselling, in-
dividual psychotherapy as well as aspects of family therapy.

Key words: Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, somatic symptom, etiology, treatment

Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen
Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung
zertifiziert.

Eine Teilnahme an der zertifizierten medizinischen
Fortbildung im Deutschen Ärzteblatt ist nur im In-
ternet möglich, unter der Adresse:

www.aerzteblatt.de/cme

Zwei ausführliche Kasuistiken stehen im Internet
zur Verfügung, unter der Adresse:

www.aerzteblatt.de/0501

Die cme-Einheit „Auge und Kopfschmerz“ (Heft
49/2004) kann noch bis zum 13. 1. 2005 bearbei-
tet werden.

Für Heft 5/2005 ist das Thema „Die ärztliche
Schweigepflicht“ vorgesehen.

ICD-10-Kriterien für Anorexia und Bulimia
nervosa (7)



Kriterien für die Anorexia nervosa nach ICD-10

– Körpergewicht mindestens 15 Prozent unter-

halb der Norm beziehungsweise Bodymass-In-
dex*

1

 17,5

– der Gewichtsverlust ist selbst verursacht
– Körperschemastörung und „überwertige“ Idee,

zu dick zu sein

– endokrine Störung auf der Hypothalamus-

Hypophysen-Gonaden-Achse (Amenorrhoe)

– bei Erkrankungsbeginn vor der Pubertät Stö-

rung der pubertären Entwicklung einschließlich
des Wachstums, die nach Remission häufig re-
versibel ist



Kriterien für die Bulimia nervosa nach ICD-10

andauernde Beschäftigung mit Essen und
Heißhungerattacken, bei denen große Mengen
Nahrung in kurzer Zeit konsumiert werden

– Versuche, dem dick machenden Effekt des Es-

sens durch verschiedene Verhaltensweisen
entgegenzusteuern, zum Beispiel selbstindu-
ziertes Erbrechen, Laxanzienabusus, restriktive
Diät

– krankhafte Furcht, zu dick zu werden
– häufig Anorexia nervosa in der Vorgeschichte

Körpergewicht in kg

(Körpergröße in m

2

)

*

1

Bodymass-Index =

Kasten 1

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychothera-
pie (Direktorin: Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann)
des Universitätsklinikums Aachen

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Epidemiologie

Die Inzidenz der AN bei 15- bis 24-jährigen jungen Frauen hat in den letzten
Jahrzehnten zugenommen. Die Prävalenzrate in dieser Altersgruppe wird der-
zeit zwischen 0,3 und 1 Prozent geschätzt. Seit den 50er-Jahren wird zudem ein
Anstieg bei der kindlichen Magersucht (10 bis 14 Jahre) beobachtet (12). Das
Geschlechterverhältnis liegt bei etwa 1:10 (m:w). Die Prävalenz der BN beträgt
für weibliche Jugendliche ein bis zwei Prozent, für männliche etwa 0,3 Prozent
(2). Bestimmte Risikogruppen weisen eine deutlich höhere Prävalenz an Ess-
störungen auf. Hierzu gehören Mädchen, die besonders mit dem Schlankheits-
ideal konfrontiert sind (zum Beispiel Models, Tänzerinnen, Leistungssportlerin-
nen) (4).

Symptomatik und Komorbidität

Essverhalten

Die Anorexia nervosa beginnt meist schleichend. Die Mehrzahl zeigt ein zuneh-
mend restriktives Essverhalten, ist aber ausgeprägt mit dem Körpergewicht und
dem Kalorien- und Fettgehalt der Nahrung beschäftigt. Oft ist wählerisches und
ritualisiertes Essverhalten zu beobachten. Kindliche Patientinnen verweigern
gelegentlich auch die Flüssigkeitsaufnahme. Beim Übergang zur bulimischen
Form
wird die Dauerdiät durch Essattacken durchbrochen, die wahrscheinlich
durch die mit Heißhunger verbundenen hypoglykämischen Zustände begünstigt
werden.

Die Patientinnen haben die tief verwurzelte überwertige Idee, trotz ihres zum

Teil massiven Untergewichts zu dick zu sein (Gewichtsphobie). Um das Essver-
halten entstehen sowohl bei AN- als auch bei BN-Patientinnen meist ausgepräg-
te familiäre Konflikte, die mit einem hohen Leidensdruck der Familie verbunden
sein können. Viele Patientinnen sind zudem ausgeprägt körperlich aktiv, was
auch biologische Ursachen (zum Beispiel Hypoleptinämie) zu haben scheint (9)
(Grafik 1).

Typische Symptome und Verhaltenswei-
sen von Patientinnen mit Essstörungen
(Anorexie und Bulimie)

– zunehmendes Interesse für Nahrungszusam-

mensetzung und Kaloriengehalt

– extreme Unzufriedenheit mit eigenem Ausse-

hen und Figur

– Vermeidung oder Verweigerung von Mahlzei-

ten (insbesondere in der Öffentlichkeit)

– Beschränkung auf so genannte gesunde

Nahrungsmittel

– zunehmende familiäre Konflikte
– sozialer Rückzug, Verlust von Freunden
– Krankheitsverleugnung
– häufiges Wiegen



Anorexia nervosa

– zunehmendes Untergewicht
– Ausbleiben der Regelblutung
– ausgeprägte körperliche Aktivität trotz Unter-

gewicht

– zunehmende Leistungsorientierung (bessere

Schulnoten, extrem sorgfältige Hausaufgaben)

– tragen von Sommerkleidung im Winter
– zwanghaftes Verhalten (Ordnen, Schriftbild,

korrekte Hausaufgaben)



Bulimia nervosa

– meist normales Gewicht
– heimliche Essattacken (treten oft nicht in der

Schule auf)

– selbstinduziertes Erbrechen (wird oft lange

nicht bemerkt)

– Konzentrationsstörungen

Kasten 2

BMI-Perzentilen für Mädchen im Alter 0 bis 18 Jahren (modifiziert nach Krohmeyer-Hauschild
et al., 2000).

Grafik 1

Zeichnung einer 14-jährigen Patientin mit
AN im Akutstadium der Erkrankung

Grafik 2

Hoher Leidensdruck der Familie
aufgrund von Konflikten um das
Essverhalten

Bei bulimischen Formen der
Essstörungen münden Fastenperioden
in Essbrechanfälle.

Therapeutische Hilfe wird bei Bulimie
erst spät in Anspruch genommen.

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Essattacken sind pathognomonisch für die Bulimia nervosa. Bei den von der Um-

gebung häufig unbemerkten Anfällen schlingen die Patientinnen enorme Mengen
(bis zu 10 000 kcal) meist hochkalorischer, unzubereiteter und weicher Nahrung her-
unter. Nach einer Essattacke folgen gewichtsreduzierende Maßnahmen, von denen
die häufigste das Erbrechen darstellt. Andere Betroffene bewegen sich exzessiv, be-
treiben zusätzlich oder ausschließlich Abführmittelmissbrauch und/oder nehmen Di-
uretika, Schilddrüsenhormonpräparate oder Appetitzügler ein. Zwischen den Es-
sattacken zeigen viele Patientinnen ein gezügeltes Essverhalten. Das Körpergewicht
bulimischer Patientinnen ist meist normal. Obwohl bulimische Patientinnen oft den
Krankheitswert ihres Essverhaltens erkennen, schämen sie sich für ihre Symptoma-
tik und nehmen Hilfe meist spät oder gar nicht in Anspruch. Weitere typische Ver-
haltensweisen von Patientinnen mit Essstörungen sind im Kasten 2 angegeben.

Somatische Veränderungen

Bei der AN tritt definitionsgemäß eine primäre oder sekundäre Amenorrhoe auf.
Aber auch bei Patientinnen mit BN und ausgeprägten Gewichtsschwankungen sind
Zyklusstörungen nicht selten. Die meisten körperlichen Veränderungen der AN
sind direkt auf den Starvationszustand und den Gewichtsverlust zurückzuführen. Je
schneller und ausgeprägter die Gewichtsabnahme und je jünger die Patientinnen
sind, desto schwerwiegender sind die körperlichen Veränderungen. Typische soma-
tische Veränderungen und Komplikationen bei AN und BN sind im Kasten 3 aufge-
führt. Neben diesen meist reversiblen Veränderungen sind Wachstumsstörungen
und Osteoporose ernstzunehmende Langzeitfolgen bei chronischem rezidivieren-
dem Verlauf. Das Risiko ist besonders groß bei Magersucht mit präpubertärem Be-
ginn. Neben einem Verlust an Knochensubstanz ist der für die gesamte Lebensspan-
ne relevante Knochenaufbauprozess durch eine Essstörung in der Pubertät beein-
trächtigt (Kasten 3).

Komorbidität

Patientinnen mit AN und BN weisen in hohem Maße zusätzliche psychiatrische Er-
krankungen auf (1, 3) (Tabelle). Bei den meisten AN-Patientinnen verbessert sich
die komorbide Symptomatik im Rahmen der Gewichtszunahme (14). Allerdings
reicht eine alleinige Gewichtsrehabilitation oft nicht aus, um eine vollständige Re-
mission komorbider Störungen zu gewährleisten. Deshalb sollte hier eine weiter-
führende Behandlung ansetzen.

Ätiologie und Pathogenese

Die Genese der AN und BN ist multifaktoriell, das heißt, es handelt sich um ein Zu-
sammenwirken biologischer, persönlichkeitsbedingter, soziokultureller und fami-
liärer Faktoren (Grafik 3).

Körperliche Befunde bei Anorexia und
Bulimia nervosa*

1



Inspektion

Trockene, schuppige Epidermis (A), Lanugobe-

haarung, Akrozyanose, Cutis marmorata (A),
Haarausfall, Speicheldrüsenschwellung, ausge-
prägte Karies (B), Schwielen an den Fingern
oder Läsionen am Handrücken (durch wieder-
holtes manuelles Auslösen des Würgereflexes,
Minderwuchs (A) und verzögerte Pubertätsent-
wicklung (A)



Labor

Blutbildveränderungen (Leukopenie, Anämie
und Thrombozytopenie) (A), Elektrolytstörun-
gen (Hypokaliämie), Erhöhung von Transamina-
sen, Amylase und harnpflichtigen Substanzen,
Veränderungen im Lipidstoffwechsel, Erniedri-
gung von Gesamteiweiß und Albumin, Zink-
mangel



Endokrinologie

Störung des Systems der
– Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Rin-

den-Achse (Erhöhung von CRF [Corticotropin
releasing factor] und Cortisol)

– Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-

Achse (TSH und T4 normal bis erniedrigt,T3 er-
niedrigt)

– Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse

(FSH, LH und Östradiol erniedrigt),

Erhöhung des Wachstumshormons, Erniedrigung
von Leptin



Übrige

CT-, MRT-Veränderungen (Pseudoathrophia ce-
rebri), Ösophagitis, EKG-Veränderungen, Bra-
dykardie, Hypotonie, durch Laxanzienabusus in-
duzierte Komplikationen (etwa Osteomalazie,
Malabsorptionssyndrome, schwere Obstipati-
on, hypertrophe Osteoarthropathie), Osteo-
porose

*

1

Symptome, die sich ausschließlich auf eines der
beiden Krankheitsbilder beziehen, sind mit dem je-
weiligen Buchstaben (A oder B) gekennzeichnet

Kasten 3

´

Tabelle

C

C

´

Prävalenzraten komorbider psychiatrischer Störungen bei der Anorexia und Bulimia
nervosa (7)

Anorexia nervosa (Prozent)

Bulimia nervosa (Prozent)

Affektive Störung

15–80

20–70

Angststörungen

40–80

30–70

zwanghaftes Verhalten

40–70

8–33

oppositionelle Störung/ häufiger „purging“-Typus der Essstörung im
Störung des Sozialverhaltens

Vergleich zum restriktiven Typus

Häufige komorbide Störungen:

depressive Störungen,
Angst- und Zwangsstörung

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Genetische Faktoren

Systematische Familienstudien zeigen, dass die Prävalenz von Essstörungen bei
Familienmitgliedern magersüchtiger und bulimischer Patientinnen im Vergleich
zu gesunden Kontrollpersonen um das sieben bis zwölffache erhöht ist (15). Es
scheint, dass Verwandte anorektischer Patientinnen neben dem erhöhten Risiko
für eine Magersucht auch ein höheres Risiko für bulimische Essstörungen auf-
weisen (und umgekehrt) als Familien ohne essgestörte Indexprobanden. Mole-
kulargenetische Studien konzentrieren sich momentan auf Kandidatengene für
die Neurotransmission der Appetitregulation, wie zum Beispiel auf Gene für das
serotoninerge und dopaminerge System.

Temperaments- und Persönlichkeitsfaktoren

Vor allem anorektische Patientinnen mit vornehmlich restriktiver Symptomatik
zeichnen sich durch typische Persönlichkeitsmerkmale aus: Beharrlichkeit, nicht
selten Rigidität, Perfektionismus, Introvertiertheit und ein ausgeprägtes Har-
moniebedürfnis
. Bei diesen Persönlichkeitseigenschaften wird vermutet, dass
sie auch genetisch geprägt sind und mit dem serotoninergen System in Zusam-
menhang stehen. Primär bulimische Patientinnen scheinen weniger ausdauernd
und kontrolliert, frustrationsintoleranter, sexuell aktiver und extrovertierter zu
sein als anorektische Patientinnen.

Familiäre Faktoren

Neben genetischen Faktoren spielen auch familiäre (das heißt erziehungsbedingte)
Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Essstörung eine Rolle.
Wichtig erscheint hierbei die wechselseitige Interaktion zwischen den kindlichen
Eigenschaften und dem Erziehungsverhalten der Eltern. Mangelnde Autonomie,
Perfektionismus, ausgeprägtes Harmoniebedürfnis und soziale Ängstlichkeit auf-

Es besteht ein gemeinsames
genetisches Risiko für Anorexia und
Bulimia nervosa.

Patientinnen mit Anorexia nervosa
zeichnen sich durch Beharrlichkeit,
Introvertiertheit, negativen Affekt
und ein ausgeprägtes
Harmoniebedürfnis aus.

Patientinnen mit Bulimia nervosa
sind häufig frustrationsintoleranter
und extrovertierter.

Ätiologiemodell der Anorexia nervosa (7)

Grafik 3

Die Genese der Essstörungen ist
multifaktoriell.

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seiten des Kindes fördern möglicherweise einen behütenden und einengenden Er-
ziehungsstil aufseiten der Eltern und vice versa. So greifen genetische und umwelt-
bedingte Einflüsse eng ineinander.

Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen Schwere der Essstörung und

familiären Interaktionsschwierigkeiten fanden sich bisher nicht. In den einzelnen
Familien existieren erhebliche Unterschiede im Interaktionsstil. Auch wenn die
Bedeutung familiärer Faktoren für die Genese der Essstörungen in den letzten Jah-
ren zunehmend infrage gestellt wurde, haben sich familienberatende oder -thera-
peutische Maßnahmen gerade bei den adoleszenten Essstörungsformen als beson-
ders effizient erwiesen (7).

Sexueller Missbrauch

Bei essgestörten Patientinnen findet sich ein sexueller Missbrauch in der Kind-
heit, ähnlich wie bei anderen psychiatrischen Erkrankungen, mit höherer Wahr-
scheinlichkeit.

Demnach muss ein Missbrauch eher als unspezifischer denn als spezifischer

Risikofaktor einer Essstörung angesehen werden. Chronischer sexueller Miss-
brauch in der Kindheit bulimischer Patientinnen scheint allerdings die Prognose
der Essstörung zu verschlechtern und führt möglicherweise zu so genannten
„biologischen Narben“, das heißt einer Störung der Hypothalamus-Hypophy-
sen-Nebennierenrinden-Achse und des serotoninergen Systems.

Soziokulturelle Faktoren

Für den Einfluss soziokultureller Faktoren sprechen die hohe Prävalenz der Ess-
störungen in der westlichen Welt gegenüber anderen Kulturkreisen, die Zunah-
me in den letzten Jahrzehnten und die immer noch vorhandene höhere Prävalenz
in Mittel- und Oberschichten sowie bei Risikogruppen (Sportler, Models). Junge
Frauen unterliegen dem Druck des Schlankheitsideals mehr als ihre männlichen
Altersgenossen, sodass unter anderem auch kulturelle Einflüsse eine Erklärung
für die Häufung von Essstörungen beim weiblichen Geschlecht liefern.

Zwischen der Durchführung von Diätprogrammen und der Inzidenz von

Essstörungen besteht ein signifikanter Zusammenhang. Allerdings sollte darauf
hingewiesen werden, dass zwar ein Drittel bis zwei Drittel aller Teenager eine
Diät durchführt (13), jedoch nur bis zu ein Prozent von ihnen an einer Mager-
sucht und weitere zehn Prozent an einer partiellen oder bulimischen Essstörung
erkranken.

Biologische Faktoren

Zahlreiche Studien belegen die pathophysiologische Relevanz neuroendokri-
ner, neurochemischer und metabolischer Faktoren bei der Entwicklung und
Aufrechterhaltung der AN. Im Stadium der Starvation kommt es zu Wechsel-
wirkungen zwischen neuroendokrinen Veränderungen und Verhalten: Zum
Beispiel verstärkt sich depressives, zwanghaftes und ängstliches Verhalten bei
niedrigem Gewicht (6).

Ähnlich wie bei anderen psychiatrischen Störungen weisen auch anorektische

Patientinnen eine erhöhte Anzahl perinataler Risikofaktoren auf. Durch perina-
tale Komplikationen hervorgerufene Beeinträchtigungen zerebraler Funktio-
nen könnten einen unspezifischen Risikofaktor in der Ätiologie der AN darstel-
len.

Bei der Bulimia nervosa wird angenommen, dass ein gezügeltes Essverhalten

und Fastenperioden die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Essattacken
erhöhen und zur Aufrechterhaltung biologischer und psychischer Störungen
führen. Erbrechen und/oder die Einnahme von Abführmitteln und Appetitzüg-
lern tragen somit zu einer Destabilisierung der psychophysiologischen Regulati-
on der Nahrungsaufnahme bei.

Es wird eine hohe Prävalenz der
Essstörung in der westlichen Welt
verzeichnet.

Sportler und Models sind besonders
gefährdet.

Diät halten ist oft der Ausgangspunkt
einer Essstörung.

30 bis 60 Prozent aller Teenager
führen eine Diät durch, aber nur ein
bis zehn Prozent entwickeln eine
Essstörung.

Die pathophysiologischen Folgen
des Hungers können einen Circulus
vitiosus der Essstörung bewirken.

Differenzialdiagnose der Anorexia
nervosa bei Kindern und Jugendlichen



Somatische Erkrankungen
– Morbus Crohn
– Colitis ulcerosa
– Zöliakie
– Hyperthyreose
– Diabetes mellitus
– Morbus Addison
– Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
– Hypothalamus-Tumoren
– maligne Tumoren
– Medikamentennebenwirkungen

(zum Beispiel Amphetamine)



Psychische Erkrankungen

– Schizophrenie
– affektive Störungen
– Zwangsstörungen
– somatoforme Störungen

Kasten 4

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Multifaktorielles Ätiologiemodell

Die zuvor beschriebenen Befunde zur Ätiologie integrieren sich in ein Ätiolo-
giemodell, welches von einer Vulnerabilität des serotoninergen Neurotransmit-
tersystems
ausgeht. Diese scheint genetisch bedingt zu sein. Frühe Umweltein-
flüsse (zum Beispiel perinatale Risikofaktoren) und frühe traumatisierende Er-
fahrungen (Missbrauch, Misshandlung) können im Sinne einer biologischen
Narbe eine genetische Vulnerabilität verstärken.

Laboruntersuchungen bei erwachsenen AN-Patientinnen ergaben im Akut-

zustand der Erkrankung eine Verminderung der 5-Hydroxyindolessigsäure im
Liquor; bei BN-Patientinnen wurden hingegen normale Konzentrationen gefun-
den. Nach der Gewichtsrehabilitation (AN) beziehungsweise Normalisierung
des Essverhaltens (BN) war der 5-Hydroxyindolessigsäure-Spiegel bei beiden
Essstörungen im Vergleich zu gesunden jungen Frauen erhöht (10). Dieser Be-
fund könnte unter anderem eine Erklärung dafür sein, warum essgestörte Pati-
entinnen auch nach Überwindung der Essstörung ängstliche und zwanghafte
Verhaltensweisen zeigen und häufig depressive Symptome aufweisen.

Biologisch determinierte ängstlich angepasste und vermeidende Verhaltens-

weisen werden durch behütende und kontrollierende Erziehung gefördert,
flexibles oder exploratives Verhalten eher gehemmt, sodass Einflüsse der Um-
gebung die genetisch bedingten Temperaments- und Persönlichkeitsfaktoren
verstärken können. Im Gegensatz zur Kindheit, in der abhängig vermeidendes
Verhalten noch toleriert wird, erwartet die Gesellschaft vom Jugendlichen zuneh-
mende Autonomie und Selbstbehauptung. Es liegt nahe, dass weibliche Jugendli-
che mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und rigiden Verhaltensweisen auf diese
Anforderungen mit noch mehr Anpassungsbereitschaft reagieren und versuchen,
gesellschaftliche Normen in Sinne des Schlankheitsideals optimal zu erfüllen. Es
wird vermutet, dass Diät und Starvation zu einer „Entgleisung“ des ohnehin vulne-
rablen serotoninergen Systems führen, und somit weitere Komplikationen (Kör-
perschemastörung, depressive und zwanghafte Symptomatik, körperliche Hyper-
aktivität) nach sich ziehen (14, 6).

Diagnose und Differenzialdiagnose

Die Diagnose einer Magersucht ist im Allgemeinen leicht zu stellen, wenn Sympto-
matik, Lebensalter und Geschlecht typisch sind. Die AN muss von körperlichen Er-
krankungen mit Gewichtsverlust abgegrenzt werden (Kasten 4). Junge Mädchen
mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können zusätzlich an einer Magersucht er-
kranken. Häufiger sind anorektische oder bulimische Essstörungen beim Diabetes
mellitus
, wo Einsparen oder Weglassen von Insulin als gewichtsreduzierende Maß-
nahme genutzt wird. Die bulimischen Erkrankungen werden leichter übersehen als
die anorektischen und werden dementsprechend später behandelt. Differenzial-
diagnostisch müssen Heißhungerattacken bei somatischen Erkrankungen ausge-
schlossen werden, zum Beispiel bei Tumoren des ZNS und Schädel-Hirn-Traumen
(Kasten 4). Unerlässlich in der Routinediagnostik beider Essstörungen sind in
jedem Falle die Feststellung des Elektrolytstatus und ein Differenzialblutbild.

Therapie

Die Therapie der Essstörungen stützt sich auf drei Säulen (7):

 somatische Rehabilitation und Ernährungstherapie

 individuelle psychotherapeutische Behandlung

 Einbeziehung der Familie (insbesondere bei jugendlicher AN).
Bei den psychotherapeutischen Methoden haben sich kognitiv behaviorale The-

rapien, aber auch andere Therapieformen (zum Beispiel Familientherapie) als ef-
fektiv erwiesen. Folgende Ziele sollten dabei grundsätzlich berücksichtigt werden:

Somatische Rehabilitation und
Ernährungstherapie

Individuelle psychotherapeutische
Behandlung

Familienberatung, Familientherapie

Die Abklärung somatischer
Ursachen der Gewichtsabnahme
beziehungsweise des Erbrechens ist
erforderlich.

Der Hungerzustand beeinflusst das
serotinerge System.

In der Ätiologie der Essstörung
wird von einer möglichen
Vulnerabilität des serotoninergen
Systems ausgegangen.

Essgestörte Jugendliche versuchen,
gesellschaftliche Erwartungen im
Sinne des Schlankheitsideals optimal
zu erfüllen.

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 Behandlung körperlicher Komplikationen (insbesondere während der akuten

Krankheitsphase).

 Gewichtsrehabilitation mit Erreichen des Gewichts, bei dem die Menstruation

wieder eintritt. Berücksichtigt werden muss hierbei, dass nach dem Erreichen des
notwendigen Gewichts Wochen bis Monate vergehen können, bis die Regelblutung
wieder eintritt. Es empfiehlt sich, die 25. Altersperzentile des Bodymass-Index als
Zielgewicht festzulegen (mindestens aber die 10. Perzentile) (Grafik 2).

 Normalisierung des Essverhaltens. Hierbei bietet sich unter anderem die

Durchführung eines Ernährungstagebuchs und Erstellung eines Essensplans im
Rahmen einer Ernährungsberatung und -therapie an.

 Veränderung dysfunktionaler Gedanken, die zur Aufrechterhaltung der Ess-

störung beitragen, durch kognitive Verhaltenstherapie und gegebenenfalls Psycho-
edukation.

 Verbesserung von Defiziten in der Affektregulation, um zu vermeiden, dass in

Belastungssituationen mit Störungen des Essverhaltens und/oder einer Gewichts-
abnahme reagiert wird.

 Verbesserung von begleitenden psychischen Problemen, zum Beispiel Depres-

sionen, Ängsten und Zwängen.

 Einbeziehung der Familie zur Bewältigung intrafamiliärer Konflikte. Hierbei

haben sich familienberatende und -therapeutische Verfahren als gleich wirksam er-
wiesen.

Eine stationäre Behandlung sollte bei Vorliegen der im Kasten 5 genannten Kri-

terien eingeleitet werden.

Medikamentöse Therapie

Bei der Bulimia nervosa kann bei hoher Frequenz von Essattacken und nach-
folgendem Erbrechen eine zusätzliche medikamentöse Therapie mit einem
selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) indiziert sein (7). Die
Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung der Anorexia nervosa ist
bisher nur schlecht belegt. Bei Erwachsenen weist lediglich eine Studie darauf
hin, dass SSRI möglicherweise die Rückfallrate senken können (11). Die Wirk-
samkeit von SSRI für die adoleszente oder kindliche Magersucht ist nicht
belegt (8). In Einzelfällen kann bei chronifizierter AN und ausgeprägter Ge-
wichtsphobie die Behandlung mit Olanzapin, einem atypischen Neuroleptikum,
indiziert sein.

Eine Hormonbehandlung zur Osteoporoseprophylaxe wird zum jetzigen Zeit-

punkt nicht empfohlen (5). Sinnvoll ist eine Substitution von Vitaminen und Calci-
um (400 IU Vitamin D, 1 000 bis 1 500 mg Calcium pro Tag). Einen gewissen, aber
nicht ausreichenden Schutz gegen Osteoporose, scheint körperliche Aktivität zu
bieten. Zum jetzigen Zeitpunkt stellt die Gewichtsrehabilitation die effektivste
Maßnahme zur Minderung des Osteoporoserisikos dar. (5). Eine längerfristige Bett-
ruhe während der stationären Behandlung magersüchtiger Patientinnen ist kontra-
indiziert.

Fazit für die Praxis

Bei einem BMI zwischen der 10. und 25. Altersperzentile sind eine Ernährungs-
anamnese, ein Menstruationskalender sowie regelmäßige Gewichtskontrollen an-
gezeigt. Erhärtet sich der Verdacht einer Essstörung, sollte das Gewicht in etwa
vierwöchigen Abständen kontrolliert werden. Bei zunehmender Gewichtsabnahme
und/oder Heißhungerattackenfrequenz ist eine ambulante Psychotherapie indiziert.
Bei einem BMI < 10. Altersperzentile sollte zeitnah eine stationäre Behandlung in
einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie erfolgen. Viele
Verlaufsuntersuchungen zeigen, dass die Langzeitprognose einer essgestörten Pati-
entin umso ungünstiger ist, je niedriger das Gewicht und je länger die Krankheits-
dauer vor Beginn der Behandlung war.

Indikationen für eine stationäre Behand-

lung (7)



Anorexia nervosa

medizinische Kriterien
– kritisches Untergewicht, rapider Gewichts-

verlust

– somatische Komplikationen
– Suizidgefahr
– Komorbidität mit schwerwiegenden anderen

psychiatrischen Erkrankungen

psychosoziale Kriterien
– festgefahrene familiäre Interaktion
– soziale Isolation
– Scheitern ambulanter Behandlungsversuche



Bulimia nervosa

medizinische Kriterien
– somatische Komplikationen (zum Beispiel

Elektrolytstörungen)

– sehr häufige Heißhungerattacken
– weitere Störungen der Impulskontrolle
– Selbstverletzungsverhalten
– Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung
– Drogenmissbrauch
psychosoziale Kriterien
– wie bei Anorexia nervosa

Kasten 5

SSRI können die Frequenz von
Essattacken bei der Bulimia nervosa
verringern.

Bei der Anorexia nervosa gibt es
bisher keine Empfehlung zur
medikamentösen Behandlung.

Je früher der Behandlungszeitpunkt
desto besser ist die Langzeitprognose.

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Die Autoren versichern, dass kein Interessenkonflikt im
Sinne der Richtlinien des International Committee of
Medical Journal Editors vorliegt.

Manuskript eingereicht: 9. 8. 2004, revidierte Fassung
angenommen: 6. 9. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 50–58 [Heft 1–2]

Literatur

1. American Psychiatric Association Work Group on

Eating Disorders: Practice guideline for the treat-
ment of patients with eating disorders (revision). Am
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Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -psychotherapie der Rheinisch Westfälischen
Technischen Hochschule Aachen
Neuenhofer Weg 21
52074 Aachen
E-Mail: bherpertz-dahlmann@ukaachen.de

Weitere Informationen im Internet:
Leitlinien „Essstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für
Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psycho-
therapie e.V.

www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/ll_kjpp.htm

Frage 1:

Welche der folgenden Symptome der Anorexia
nervosa sind diagnostische Kriterien nach ICD-10 ?

1. rezidivierendes Erbrechen
2. Amenorrhoe
3. mangelhafte Krankheitseinsicht
4. „überwertige“ Idee , zu dick zu werden

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 3. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 2. und 4. treffen zu

Frage 2:

Im Vergleich zu Anorexia nervosa

1. tritt die Bulimia nervosa typischerweise bereits im

späten Kindesalter auf.

2. haben Patientinnen mit Bulimia nervosa meist ein

ähnlich niedriges Gewicht.

3. treten bei Patientinnen mit Bulimia nervosa

Heißhungerattacken auf.

4. haben auch bulimische Patientinnen die Vorstel-

lung, zu dick zu sein.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 3. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 2. und 4. treffen zu

Frage 3:

Welche der folgenden Aussagen treffen zu?

1. Die Prävalenzrate der Anorexia nervosa ist höher

als die der Bulimia nervosa.

2. Im Kindesalter ist in den letzten Jahrzehnten die

Prävalenzrate der Anorexia nervosa gesunken.

3. Bei Leistungssportlern treten Essstörungen in ge-

ringerem Maße auf, da durch den Sport eine Ver-
besserung des Körpergefühls erzielt wird.

4. Anorexia und Bulimia nervosa treten überwiegend

beim weiblichen Geschlecht auf.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 3. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 4. trifft zu

Frage 4:

Patientinnen mit Anorexia nervosa

1. vermeiden die Beschäftigung mit dem Thema Es-

sen und Ernährung.

2. weisen ein ritualisiertes Essverhalten auf.
3. geraten oft mit den Eltern beim Thema Essen in

Konflikt.

4. fühlen sich entsprechend ihres erheblichen Unter-

gewichts zu dünn.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 3. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 2. und 4. treffen zu

Frage 5:

Patientinnen mit Bulimia nervosa

1. verheimlichen Essbrechanfälle oft über einen lan-

gen Zeitraum.

2. schlingen während eines Essanfalls hochkalorische

Nahrung, die wenig gekaut werden muss, rasch
hinunter.

3. zeigen überwiegend restriktives Essverhalten,

welches durch Essanfälle unterbrochen wird.

4. haben immer deutliches Untergewicht.

a) nur 1., 2. und 3. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 3. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 2. und 4. treffen zu

Frage 6:

Welche der folgenden Aussagen treffen zu?

1. Patientinnen mit Anorexia nervosa haben ein er-

höhtes Osteoporoserisiko.

2. Die Entwicklung einer Osteoporose bei Patientin-

nen mit Anorexia nervosa kann durch eine Hor-
monsubstitution verhindert werden.

3. Patientinnen mit Anorexia nervosa sollte bei Sta-

gnation der Gewichtszunahme eine mehrwöchige
Bettruhe verordnet werden.

4. Der beste Schutz gegen die Entwicklung einer

Osteoporose bei Patientinnen mit Anorexia nervo-
sa ist die Gewichtsrehabilitation.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 3. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 1. und 4. treffen zu

Frage 7:

Welche der folgenden Aussagen treffen zu?

1. Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen wer-

den durch die Eltern verursacht.

2. Biologische Veränderungen zum Beispiel im sero-

tinergen oder Leptinsystem während des Hunger-

FFrraag

geen

n zzu

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n FFo

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g (nur eine Antwort pro Frage ist jeweils möglich)

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M E D I Z I N

A

A 58

Deutsches Ärzteblatt

⏐⏐

Jg. 102

⏐⏐

Heft 1–2

⏐⏐

10. Januar 2005

zustandes sind vermutlich an der Aufrechterhal-
tung der Anorexia nervosa beteiligt.

3. Patientinnen mit Bulimia nervosa zeichnen sich ty-

pischerweise durch Beharrlichkeit, nicht selten Ri-
gidität, Introvertiertheit und ein ausgeprägtes Har-
moniebedürfnis aus.

4. Die Genese der Essstörungen ist multifaktoriell.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 2. und 4. treffen zu

Frage 8:

Bei der Anorexia nervosa

1. sollten maligne Erkrankungen und Hirntumoren

ausgeschlossen werden.

2. schließt ein juveniler Diabetes mellitus das Vorlie-

gen einer Essstörung aus.

3. sollte eine Bestimmung des Elektrolytstatus erfolgen.
4. sind Zwangssymptome und depressive Störungen

abzuklären.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 4. treffen zu
d) nur 2. und 3. treffen zu
e) nur 3. und 4. treffen zu

Frage 9:

Bei der Therapie der Anorexia nervosa

1. sollte die Gewichtszunahme zu Beginn der Thera-

pie nicht im Vordergrund stehen, da die Patientin-
nen hierdurch zu stark belastet würden.

2. sollten ausschließlich familientherapeutische Ver-

fahren angewendet werden.

3. ist auch die Behandlung komorbider Störungen zu

gewährleisten.

4. ist eine stationäre Behandlung in jedem Fall zu

vermeiden.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 4. treffen zu

d) nur 1 trifft zu
e) nur 3 trifft zu

Frage 10:

Bei der Therapie der Essstörungen

1. sollte trotz deutlichem Gewichtsverlust und/oder

einer hohen Frequenz von Essbrechanfällen erst
der Verlauf abgewartet werden, da eine hohe Rate
an Spontanremissionen besteht.

2. sollte neben der somatischen Rehabilitation und

Ernährungstherapie eine individuelle psychothera-
peutische Behandlung sowie eine Einbeziehung
der Familie erfolgen.

3. haben sich kognitiv behaviorale Therapien als wir-

kungsvoll erwiesen.

4. hat sich eine unterstützende Behandlung mit ei-

nem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
bei Patientinnen mit Bulimia nervosa als wirksam
erwiesen.

a) nur 1., 3. und 4. treffen zu
b) nur 2., 3. und 4. treffen zu
c) nur 1. und 4. treffen zu
d) nur 1 trifft zu
e) nur 3 trifft zu

Wichtiger Hinweis

Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist
ausschließlich über das Internet möglich:
www.aerzteblatt.de/cme

Einsendeschluss ist der 24. 2. 2005

Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen,
können nicht berücksichtigt werden.

Die Lösungen zu dieser cme-Einheit werden in Heft
9/2005 an dieser Stelle veröffentlicht.

Lösungen zur cme-Einheit in Heft 45/2004

Krings T: Bildgebende Diagnostik bei der Abklärung
des Kopfschmerzes. 1/3, 2/4, 3/3, 4/1, 5/4, 6/4, 7/2,
8/5, 9/2, 10/3

Die Kataraktoperation ist der häufigste
Eingriff in der Medizin. In Deutschland
erfolgen etwa 650 000 Eingriffe pro Jahr.
14 Prozent der zu operierenden Patien-
ten bekommen eine medikamentöse Ge-
rinnungshemmung (3), wobei etwa zwei
Prozent der Patienten eine orale Antiko-
agulation erhalten (1, 4). Die Antikoagu-
lation mit Cumarinen ist hierbei zur tem-
porären oder permanenten Therapie bei
vielen Erkrankungen mit einem erhöh-
ten Risiko einer Thrombenbildung erfor-
derlich. Bei der Kataraktoperation be-
steht aber dadurch prinzipiell die Gefahr

von Blutungen im Bereich des Auges und
der Orbita. Eine Umstellung oder Unter-
brechung der Antikoagulation beinhaltet
die Gefahr thromboembolischer Kom-
plikationen (1), und das allgemeine
Komplikationsrisiko ist am geringsten,
wenn die Gerinnungswerte stabil sind
(2). Untersuchungen zeigen, dass bei 15
bis 28 Prozent der Patienten die orale
Antikoagulation vor der Operation
geändert oder sogar unterbrochen wurde
(1, 4). Obwohl zur Durchführung von
elektiven Operationen im Allgemeinen
eine INR von 1,5 bis 2,0 empfohlen wird

(1), erfolgt die moderne Kataraktopera-
tion in topischer Lokalanästhesie, das
heißt nur mit anästhesierenden Augen-
tropfen. In einer kürzlich durchgeführten
prospektiven klinischen Untersuchung
wurde die Komplikationsrate und das
Blutungsrisiko bei 128 konsekutiven Pa-
tienten unter medikamentöser oraler
Antikoagulation im Rahmen einer elek-
tiven Kataraktoperation überprüft (4).
86 Patienten (67 Prozent) hatten eine
Thromboplastinzeit unter 40 (INR > 1,0)
und 24 Patienten (18 Prozent) eine
Thromboplastinzeit von unter 25 (INR >
2,0). Der operative Zugang erfolgte in
Kleinschnitttechnik. Obwohl bei neun
Patienten (7 Prozent) eine Blutungsnei-
gung aus den oberflächlichen Gefäßen
festgestellt wurde, kam es nur bei einem
Patienten (0,8 Prozent) zu einer leichten
Einblutung der vorderen Augenkammer.
Diese war nicht visuslimitierend und re-
sorbierte sich spontan.

Schwere Blu-

tungskomplikationen mit Einschränkun-
gen des Sehvermögens unter medika-
mentöser oraler Antikoagulation traten
auch in anderen Untersuchungen nicht
auf (1). Deshalb konnte keine Gegenan-
zeige für eine Fortführung der Antikoa-
gulation bei geplanter Kataraktoperati-
on festgestellt werden (1, 4).

Die moderne Kataraktoperation in

Kleinschnitttechnik mit Implantation
von faltbaren Intraokularlinsen in topi-
scher Lokalanästhesie (Tropfanästhesie)
kann das Risiko einer schweren Blutung
unter oraler Antikoagulation reduzieren.
Eine Absenkung der INR auf Werte um
1,5 scheint nicht immer erforderlich zu
sein und birgt die Gefahr von lebensbe-
drohlichen thromboembolischen Ereig-
nissen.Eine Fortführung der oralen Anti-
koagulation ist besonders für die zuneh-
mend ambulanten Eingriffe geeignet.

wre

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Kataraktoperation: Risikominderung
einer Blutung bei oraler Antikoagulation

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