Der Glaube an den Wert des Besonderen
Ernst Jünger : Drogen & Rausch von Thomas Michael
Merkwürdig, das die Zeit meines tiefsten Eintauchens in die
Welt Jüngers mit seinem Tod zusammenfiel.
Der alte Weise ist fort und überall, wie erwartet, die fal-
schen Zitate. Der ganze plakative Kram, wiederholt von Leu-
ten, denen eine Seite des Meisters wohl immer fremd bleiben
wird. Mich langweilen die Diskurse über Jüngers politischen
Hintergrund. Fehlt doch dem weitaus größten Teil der Leute,
die Ihn und sein Schaffen beurteilen, ein wichtiger Ansatz
zum Verständnis einiger seiner schönsten Texte.
Das Miteinander von Rauschzeit und Disziplin förderte bei
IHM, dem durch seinen ausgeprägten Hang zum Träumeri-
schen “Vorbelasteten”, wahre Schätze zu Tage. Betrachtungs-
weisen, wie die folgende aus der wundervollen Erzählung “Be-
such auf Godenholm”, werden dem Adepten als die Schilde-
rung eines bekannten Einstieges vertraut sein; “Myriaden von
Molekülen beugten sich der Harmonie. Hier wirkten die Ge-
setze nicht mehr unter dem Schleier der Erscheinung; der Stoff
war so ätherisch, daß er sie offen spiegelte. Wie einfach und
zwingend das alles war.” Dem Text zu grunde lag ein gemein-
sames “Erlebnis” mit Albert Hoffmann und Heribert Konzett
im Jahre 1951 in der Schweiz und ein Winterabend auf der
keltischen Heuneburg. Bemerkenswert ist, daß Jünger seine
so gesammelten Eindrücke in die nordische Welt transferiert.
Die Einzigartigkeit dieser Verbindung macht die Novelle zu
etwas ganz besonderen. Drogen-bedingten Ursprunges bilden
Mythos, Sonne, Sein und Sinn die Komponenten für eine
Geschichte voller Bilder und herrlicher Landschaften, die den
geneigten Leser mehr als einmal in Verzückung geraten las-
sen.
Sein Rauschmittelkonsum soll hier jedoch keineswegs über-
bewertet werden; er war ein Teil seines Lebens, nicht mehr
aber auch nicht weniger. Doch es entbehrt nicht einer gewis-
sen Komik, daß Leute, die Grenzerfahrungen solcher Art ver-
dammen, Ausschnitte seines Schaffens geradezu glorifizieren.
Das zeigt um so mehr, daß seine dekadente (und äußerst frucht-
bare) Seite diesen “technischen Intelligenzen” unergründlich
war und bleiben wird, aber doch den “Sesam öffne Dich” zu
vielen seiner Werke darstellt. Peinlich, wenn gerade “linke”,
sogenannte weltoffene Kreise exakt jenen Sachverhalt ver-
kennen.
Sein “anmaßendes” Schreiben basiert auf einem Erkenntnis-
stand der fernab einer Begrenzung durch zeitlich-aktuelle Dinge
liegt. Aus diesem Grunde haben tagespolitische Dinge beson-
ders in späteren Werken nie mehr als eine Statistenrolle ge-
spielt. Seinen, in den verschiedenen Blättern des Neuen Na-
tionalismus erschienenen Schriften (“Arminius”, “Standarte”,
“Die Kommenden”, “Aufmarsch” - den er selbst herausbrachte
usw.) hat er nicht ohne Grund den
Eingang in seine gesammelten Wer-
ke verwehrt (sie werden voraussicht-
lich 2001 bei Klett-Cotta als Sammel-
band erscheinen). Er lebte damals in
der Idee” und natürlich war er Na-
tionalist, doch diese 8 Jahre (1925-
33) stellen nur einen Teil seines
Schaffens dar. Ihre Wichtigkeit steht
jedoch außer Frage. Hier wurden die
Grundsteine gelegt, flossen zuneh-
mend Rauschhaftes und metaphysi-
sche Betrachtungen in seine Werke
ein; “Wer vom Zweifel geschmeckt
hat, dem ist bestimmt, nicht diesseits,
sondern jenseits der Grenzen der
Klarheit nach dem Wunderbaren auf
Suche zu gehen”. Noack schreibt in
seiner Jünger-Biographie treffend “er
sieht die Heraufkunft einer neuen
Zeit und erkennt, zugleich hellsichtig
und verblendet, ihre Gefahren”. Wäre
er ohne sein Festhalten am Irrationalen und Magischen zum
Erklären der inneren und äußeren Welt fähig gewesen? Viel-
leicht ermöglichte erst der Rückzug nach Innen Scharfsicht
und Weitblick. Fakt ist, wenn man später erschienene Werke
liest, wird man erkennen, wie wenig von seinen national-re-
volutionären Gedanken Alter und Reifung überlebt haben. Wer
jedoch über die Schlüssel verfügt und z.B. “Das abenteuerli-
che Herz” richtig liest, dem werden seine persönlichen Be-
trachtungen so viel mehr geben als der politische Anteil an
diesem Jünger, denn Liebe zur Heimat und Wut angesichts
des liberalistischen Unvermögens einer “Republik ohne Ge-
brauchsanleitung” (Alfred Döblin), stellen keine politischen
Sachverhalte dar. Es muß betont werden, das seine Sicht der
Dinge aus “vier Jahren tödlicher Anstrengung und dem Ver-
sailler Vertrag” resultierte. Das erklärt vieles, und man sollte
nicht den Fehler begehen, heutige Ansichten in die damalige
Zeit zu projizieren. Ein Großteil der Jugend zog mit Begeiste-
rung in den Krieg. Das mag heute unzeitgemäß klingen, hatte
damals aber ohne Zweifel seine Berechtigung. Deshalb kann
man in einem musischen Menschen wie Jünger einfach kei-
nen politischen Schriftsteller sehen. Nicht aus Gründen des
>nicht-festlegen-wollens<, sondern ganz einfach aus der Tat-
sache heraus das er eben diese politischen Veränderungen aus
einer anderen Perspektive sah; als eine Periodik, die sehr wohl
Rahmenbedingungen schafft, doch letzten Endes nicht fähig
ist, wirkliche Veränderungen herbeizuführen. „Durch einen
Zeitraum von mehr als hundert Jahren hindurch spielten sich
die »Rechte« und die »Linke« die durch optische Täuschung
des Wahlrechts geblendeten Massen wie Fangbälle zu; immer
schien bei dem einen Gegner noch eine Zuflucht vor den An-
sprüchen des anderen zu sein. Heute enthüllt sich in allen
Ländern immer eindeutiger die Tatsache ihrer Identität, und
selbst der Traum der Freiheit schwindet wie unter den eiser-
nen Griffen einer Zange dahin. Es ist ein großartiges und furcht-
bares Schauspiel, die Bewegungen der immer gleichförmiger
gebildeten Massen zu sehen, denen der Weltgeist seine Fang-
netze stellt. Jede dieser Bewegungen trägt zu einer schärferen
und unbarmherzigeren Erfassung bei, und es wirken hier Ar-
ten des Zwanges, die stärker als die Folter sind: so stark, daß
der Mensch sie mit Jubel begrüßt. Hinter jedem Ausweg, der
mit den Symbolen des Glückes gezeichnet ist, lauern der
Schmerz und der Tod. Wohl dem, der diese Räume gerüstet
betritt.“
Er war gerüstet. Seine ganz eigene Symbiose aus Disziplin
und Rauschzeit ließen ihn sämtliche Umwälzungen mit ande-
ren Augen sehen. Er hat sich seine Nische, seine Rückzugs-
möglichkeit bewahrt und mit Sicherheit war der Rausch eine
der „Zisternen, aus denen er sein Leben lang schöpfte“ (Ernst
v. Salomon) und die seinem Schaffen einen zeitlosen Glanz
verleihen.
Trennen wir uns doch von der Vorstellung, das Drogen die
Totengräber eines funktionierenden Staates sind, denn erstens
gibt es keinen solchen, und zweitens sollte man Symptome
nicht für die Ursache halten. Freilich sind mir all die weißen
Pülverchen und Pillen zuwider, doch passen sie ohne Zweifel
in diese ekelhaft schnelle Zeit und helfen die Räder derselben
am Laufen zu halten, was große Pupillen allerorts (auch in
politisch und wirtschaftlich bedeutenden Kreisen) beweisen.
„Dagegen verliert sich mit der Kultur der stille Genuß an
den Rändern der Hanf- und Mohngärten. Einerseits wird die
Beschleunigung zu stark, zum anderen genügen innerhalb des
Schwundes, oder scheinen zu genügen, die mechanisch pro-
duzierten und reproduzierten Bilder, die kulissenhaft das Blick-
feld umstellen und einengen. Die kollektiven Träume verdrän-
gen die individuellen, die innere Bildwelt wird durch die äuße-
re überdeckt.
Freilich bleibt immer ein Durst, ein mahnendes Gefühl der
Leere zurück - die Ahnung, daß die Tage unfruchtbar ver-
braucht werden.“
Es mutet grotesk an, das Drogen rein pflanzlicher Natur auf
eine Stufe mit all den chemischen, bastardischen Abbildern
gestellt werden. In unserem Hochmut der Natur gegenüber
gewinnen wir immer neue und stärker konzentrierte Substan-
zen ohne zu erkennen, daß das von der Natur Gegebene so
viel einfacher erhöht werden kann.
Aber in einer so extrovertiert ausgerichteten Gesellschaft wie
der unseren werden Drogen, die aufputschend, übertünchend
und verdrängend wirken, also wirklichen Schaden geistiger
und körperlicher Natur verursachen, immer eine größere Ver-
breitung haben als solche mit denen Annäherungen möglich
sind – „Die Droge wird zum Treibstoff degradiert“.
Das erklärt sich aus der Tatsache heraus, das eben solche
Psychedelika (z.B. Meskalin, Psylocibin) nur das zu Tage för-
dern, was bereits in uns ruht. Weil sich nun aber Tag für Tag
eine so unerhört große Flut von unterhaltungstechnischem Müll
und Flachheit über uns wälzt, beschäftigt man sich nur zu oft
mit im Grunde unwichtigen Dingen und es wird allzu leicht
vergessen, tief in sich hinein zu hören. Die Menschen wirken
so leer, sie haben einfach kein Interesse zu hinterfragen und
Gesichter hinter den Masken zu sehen. Mir liegt es fern, in
jenen weltverbesserischen Ton zu verfallen, der diversen Leu-
ten vergangener Zeiten eigen war, mich ärgern nur die Blind-
heit und Ignoranz der Masse in Bezug auf den Umgang mit
Drogen.
Natürlich ist hier das Alter von großer Bedeutung. Ein
Mensch, der reich an Lebenserfahrung ist, viel gesehen, viel
erlebt und noch wichtiger, viel verarbeitet hat verfügt über
einen großen Fundus aus dem er schöpfen kann. Freilich lau-
ern hier auch Gefahren. Denn, wenn das Verdrängen größer
war als das Verarbeiten kann das plötzliche Bewußtwerden
Dämme im Inneren brechen lassen, die als sicher galten. Man
wird sich vielleicht vertaner Möglichkeiten bewußt werden.
Also doch lieber in jungen Jahren ?
Und genau hier muß den Eltern, und eben nicht dem Staat
die entscheidende Rolle zufallen. Ein verantwortungsvoller
Umgang mit Drogen muß sich nicht auf der Negation sämtli-
cher gründen, sondern vielleicht auf dem Nebeneinander der
„richtigen“. Die Mißerfolge der staatlichen Präventions-
maßnahmen bekräftigen dies. Sicherlich stellt eine drogenfreie
Gesellschaft das Optimum dar, aber das hieße eine von Sehn-
süchten und unerfüllten Hoffnungen freie Ordnung und das
klingt mir doch sehr utopisch. Solange Drogen nicht sinnvoll
in eine Ordnung integriert sind, werden immer Sucht, Elend
und Kriminalität im Fahrwasser des Rausches folgen. Hier
muß ihnen ein Platz zukommen, der auf Verehrung und damit
einhergehend, auf Respekt basiert. Denn genau diese, mit ra-
tionellen Sichtweisen nicht begründbare Verehrung wäre ein
wirksamerer Schutz vor Mißbrauch als alle repressiven Maß-
nahmen zusammen, sie käme von Innen. Im übrigen sind all
diese Probleme hausgemacht, und wenn man sich hier auf die
Ursprünge besinnen würde, gäbe es bedeutend weniger aus
dem Gebrauch resultierende Fatalitäten. Es würde wohl kaum
zu einem massenhaften Verzehr diverser Pilze oder Kakteen
kommen. So aber erscheinen ständig neue Drogen auf dem
Markt, deren Risiken überhaupt nicht abschätzbar sind. Pflanz-
liche Traumfänger spielen im heutigen Drogenkonsum nur eine
untergeordnete Rolle; „der Rausch als Siegeszug der Pflanze
durch die Psyche“ wirkt heute anachronistisch, da der Rausch
in den seltensten Fällen noch auf Pflanzen im originären Sin-
ne zurückzuführen ist.
- ein Koka-schnupfender Yuppie, ein siechender Fixer, ein
betrunkener Proll - Jünger schrieb richtig, daß (hier) Kräfte
und Stoffe auf(treten), „die zwar aus der Natur gewonnen,
doch zu stark, zu vehement für das natürliche Fassungsver-
mögen sind.“ Also wozu die Chemie. Wenn man
Grenzerfahrungen in der Richtung machen will, dann mit der
Frucht, welche die Erde hervorbringt, denn jede Pflanze hat
ihre Bedeutung, keine existiert umsonst.
Es ist widerlich zu sehen, wie die Menschen auf Kokain
ihrem (einzigen) Gott, der Eitelkeit tausende kleine Opfer brin-
gen oder wie in Bars und Clubs die kollektive Oberflächlich-
keit zum Maß aller Dinge wird, wie Unterhaltung und Mode-
ration gleich welcher Art den Menschen auf so wunderbare
Weise in einem Netz von selbstgeschaffenen Zwängen zu fan-
gen helfen.
Jünger soll 1937 zu Ernst von Salomon vor einem Kino ste-
hend gesagt haben „Ich habe mir einen erhöhten Standort
ausgesucht, von dem ich beobachte, wie sich die Wanzen ge-
genseitig auffressen.“ Was kann man dem noch hinzufügen?
Anmaßung und Ehrlichkeit, Jünger eben. Ich bin oft versucht,
in ihm das Abbild einer geistigen Elite zu sehen, die diesen
Status nur erreichte, weil sie auch mit der „anderen Seite“
vertraut war. Jüngers Ansichten änderten sich aber nicht durch
den bloßen Gebrauch von Drogen. Vielmehr fügten sich sei-
ne, auf diese Weise gesammelten Erfahr-ung-en als ein Teil in
das Puzzle Ernst Jünger ein, dessen Texte, nicht zuletzt auf-
grund dieser Tatsache, auch noch in hundert Jahren ihre Le-
ser finden werden.
Bleibt mir anzumerken, das Jünger bei der Wahl seiner
„Schlüssel“ nicht gerade wählerisch war. Hier sollte man doch
heutzutage mit mehr Respekt und Vorsicht zu Werke gehen
und lediglich die Drogen, die rein pflanzlichen Ursprunges
sind, in Betracht ziehen (natürlich unter Berücksichtigung der
zweifelsohne vorhandenen Risiken physischer und psychischer
Natur). Ich verschließe meine Augen jedoch nicht vor der
Realität mit all ihren gesetzlichen Beschränkungen und gesell-
schaftlichen Konventionen auf der einen Seite und bedenken-
los Genußsüchtigen auf der anderen. Die Verbreitung und
Mehrung der Akzeptanz in kleinen Kreisen, nach Jünger´schem
Vorbild, erschien mir immer ein wenig elitär, hat aber viel-
leicht ihre Richtigkeit!
„Das Beste an unseren Genüssen ist nicht Entdeckung; es
ist Wiederkehr. Das ist der Teil, an dem sich die Götter mit-
freuen. Und selbst in der Entdeckung liegt Wiederkehr. Wir
können nichts entdecken als unser Inneres. Wir können nur
befahren, was unsichtbar bereits erfahren war. Wir reifen zu
unseren Entdeckungen heran.”
Zitate, soweit nicht anders kenntlich gemacht, Ernst Jünger
Literaturempfehlungen :
·
„Besuch auf Godenholm“ (enthalten in Band 15 der
ges. Werke)
·
„Annäherungen“
·
„Das abenteuerliche Herz“ erste Fassung
·
„Strahlungen“
·
„Heliopolis“
(alle erschienen bei Klett-Cotta)