Schwaighofer Osterreichisches Strafrecht Falle und Losungen 9783211744185

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V

!USÏDEMÏ6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE

Unsere Studenten

1

wünschen seit Langem ein Buch mit Fällen und Lö-

sungen auch von den Innsbrucker Professoren. Früher habe ich dafür
nicht viel Verständnis gehabt: Professoren sollen nicht Klausurenkunde,
sondern Strafrecht unterrichten; und das Auswendiglernen von Falllö-
sungen bringt Studenten nicht weiter. Aber in Übungen taucht, nachdem
ein Fall besprochen wurde und die Lösung feststeht, immer wieder die
Frage auf, „wie man das schreiben soll“. Ich sage immer, man müsse
bloß zwei Regeln beachten:

a) Von den Merkmalen des gesetzlichen Tatbildes soll man zuerst die

Merkmale der äußeren und dann jene der inneren Tatseite prüfen; und
die Merkmale des gesetzlichen Tatbildes soll man vor allfälligen Recht-
fertigungs- und Entschuldigungsgründen prüfen.

b) Den Merkmalen des Tatbildes, eines Rechtfertigungs- oder Ent-

schuldigungsgrundes muss man in der Lösung die Umstände aus dem
Sachverhalt gegenüber stellen, in denen sie verwirklicht sind.

Alles andere ist Geschmacksache. Wir lassen bei einer Prüfung alle

Rechtsauffassungen gelten, die in der Rechtsprechung oder im Schrifttum
vertreten werden; und wir lassen nicht nur unsere, sondern jede Lösung
gelten, die nach der Rechtsauffassung, von welcher der Student ausgeht,
eben noch vertretbar ist. Dennoch sind die Ergebnisse bescheiden. Wie
man gesetzlichen Merkmalen Tatumstände gegenüber stellt, bleibt vielen
ein Geheimnis. Und seit in Innsbruck das Strafrecht ein Fach des ersten
Studienabschnitts geworden ist, ist an konfusen und absurden Fragen
kein Mangel. Natürlich sind wir froh, dass Studenten sich getrauen, auch
solche Fragen zu stellen!

Christian Bertel

1

Für alle, denen das nicht ohnehin selbstverständlich ist: „Student“ ist hier natürlich

geschlechtsneutral zu verstehen.

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VII

6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE

3EITÏDERÏERSTENÏ!UmAGEÏDESÏ&ALLBUCHESÏHATÏSICHÏVIELÏGETANÏ$URCHÏDASÏ

StRÄG 2004 wurden zum Schutz der unbaren Zahlungsmittel mehrere
neue Tatbestände (§§ 241a – 241f) in das StGB eingefügt, die in der Praxis
SEHRÏHÇUlGÏ!NWENDUNGÏlNDENÏABERÏGLEICHZEITIGÏDIEÏ,–SUNGÏEINFACHSTERÏ
Fälle erheblich verkomplizieren. Die neuen Deliktstypen bringen auch
schwierige Abgrenzungs- und Konkurrenzfragen mit sich. Wir haben ei-
NIGEÏ&ÇLLEÏAUSÏDERÏ6ORAUmAGEÏNEUÏNACHÏDERÏGEÇNDERTENÏ2ECHTSLAGEÏGE-
löst, aber auch manche neue Fälle aufgenommen, die interessante und
typische Fallkonstellationen beinhalten.

Die zweite – noch wesentlich einschneidendere – Änderung betrifft

die Neugestaltung des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens durch das
Strafprozessreformgesetz (StPRefG), das am 1. 1. 2008 in Kraft tritt. Be-
reits seit dem Wintersemester 2005/2006 lehren und prüfen wir die neue
StPO, weil unsere Studierenden nach dem Abschluss ihres Studiums mit
der neuen Rechtslage konfrontiert sein werden. So war es selbstver-
ständlich, auch im vorliegenden Fallbuch der neuen StPO Rechnung zu
tragen. Inzwischen liegt auch der Entwurf des Strafprozessreformbegleit-
gesetzes I vom Juli 2007

(

BMJ-L590.004/0001-II 3/2007) vor. Bei der

Lösung der Prozessfälle haben wir uns an diesem Entwurf orientiert.
Allerdings könnte es bis zur Gesetzanwendung noch die eine oder an-
dere kleine Änderung geben, die sich auch auf die Lösung eines Falles
auswirkt. Für diesen Fall bitten wir den Leser, dies zu berücksichtigen.
Aber wir wollen nicht bis zum Herbst warten.

7IRÏ HABENÏ EINIGEÏ &ÇLLEÏ AUSÏ DERÏ 6ORAUmAGEÏ ¿BERNOMMENÏ UNDÏ NEUÏ

nach dem StPRefG gelöst. Wir haben aber auch zahlreiche neue Fälle
eingefügt und uns dabei bemüht, die wichtigsten Neuerungen abzude-
cken: Sie betreffen insbesondere die neue Aufgabenverteilung im Er-
mittlungsverfahren zwischen Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Ge-
richt, neue Zwangsmittel, die wesentlich verbesserte Stellung des Opfers
und den Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren.

Im Jahr 2006 gab es am Innsbrucker Strafrechtsinstitut erfreulicher-

weise zwei Habilitationen: Frau ao. Univ.-Prof. Dr. Verena Murschetz,
LL.M., und Frau ao. Univ.-Prof. Dr. Margarethe Flora. Da beide auch als

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VIII

6ORWORTÏZURÏÏ!UmAGE

NEUEÏ0R¿FERINNENÏFUNGIERENÏLAGÏESÏNAHEÏSIEÏBEIÏDERÏ.EUAUmAGEÏDIESESÏ
Fallbuches einzubeziehen. Andererseits ist Herr o. Univ.-Prof. Dr. Chris-
tian Bertel

ÏDERÏ(ERAUSGEBERÏDERÏERSTENÏ!UmAGEÏIMÏ(INBLICKÏAUFÏSEINEÏ

Emeritierung am 30. 9. 2007 als Autor ausgeschieden. Die bisher von
den Fällen von Prof. Bertel abgedeckten Deliktsbereiche werden nun
hauptsächlich von den neuen Fällen von Frau Murschetz und Frau Flora
abgedeckt.

)MÏ ÍBRIGENÏ HABENÏ WIRÏ DASÏ +ONZEPTÏ DERÏ 6ORAUmAGEÏ BEIBEHALTENÏ %SÏ

handelt sich fast ausschließlich um tatsächlich vorgekommene und be-
wusst eher einfache Fallkonstellationen. Bei den Lösungen haben wir
uns bemüht, nicht viel mehr zu schreiben als man von den Studierenden
bei einer 3-stündigen Klausurarbeit noch erwarten kann.

Die Lösungen der Fälle zum materiellen Recht entsprechen der im

Lehrbuch von Bertel/Schwaighofer vertretenen Rechtsauffassung; wenn
B/S

von der Rechtsprechung abweichen, weisen wir in kursiver Schrift

auf die Rechtsprechung hin. Die Lösungen zum Prozessrecht beziehen
sich auf das neue Lehrbuch „Strafprozessrecht“ von Bertel/Venier, das
2007 erschienen ist. Andere Lehrmeinungen zitieren wir nur ausnahms-
weise, weil wir das Buch nicht mit einem umfangreichen Anmerkungs-
apparat belasten wollten.

Wir hoffen, dass dieses Buch den Studierenden hilft, die Strafrechts-

prüfung erfolgreich zu absolvieren.

Frau Mag. Tanja Schermer, Herrn Mag. Hannes Schmid, Frau Mag.

Eva-Maria Schmiderer

und Frau Mag. Julia Wendt haben uns bei der

Durchsicht des Manuskripts, beim Lesen der Fahnen und bei der Anfer-
tigung des Sachregisters sehr geholfen. Frau Manuela Seidner hat die
Schreib- und Korrekturarbeiten erledigt. Wir danken ihnen allen herz-
lich.

Innsbruck, im Juli 2007

Klaus Schwaighofer

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IX

)NHALTSVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... XIII
Mitarbeiterverzeichnis .........................................................................................................

XV

!Ï&ÇLLEÏZUMÏMATERIELLENÏ2ECHT

)Ï&,/2!

Fall 1: „Der schwere Gegner“ .............................................................................................

3

Fall 2: „Die Zaunlatte“ .........................................................................................................

5

Fall 3: „Valentinstag“............................................................................................................

8

Fall 4: „Der Brieföffner“ ...................................................................................................... 12
Fall 5: „Der Urlaub in der Karibik“..................................................................................... 14
Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“.................................................................................... 17
Fall 7: „Der falsche Klosterbruder“ .....................................................................................

20

Fall 8: „Die Polizeikontrolle“...............................................................................................

22

))Ï-523#(%4:

Fall 1: „Das leere Bierglas“..................................................................................................

27

Fall 2: „Eine unangenehme Auseinandersetzung“ .............................................................

29

Fall 3: „Tabledance mit Folgen“..........................................................................................

31

Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“ ..............................................................................

34

Fall 5: „Der unterbrochene Fernsehabend“ .......................................................................

38

Fall 6: „Der soziale Bürgermeister“.....................................................................................

41

Fall 7: „Der Hase und der Hund“ .......................................................................................

43

)))Ï3#(%),

Fall 1: „When Lights Are Low“............................................................................................

47

Fall 2: „Round Midnight“.....................................................................................................

50

Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“ ...........................................................................

53

Fall 4: „Straight No Chaser“.................................................................................................

57

Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”...............................................................................

62

Fall 6: „Stomping At The Savoy“.........................................................................................

67

Fall 7: „Misterioso“...............................................................................................................

71

Fall 8: „More Than You Know“...........................................................................................

77

)6Ï3#(7!)'(/&%2

Fall 1: „Panik durch schwere Ehekrise“ .............................................................................

83

Fall 2: „Leichtsinnige Buben“..............................................................................................

85

Fall 3: „Taxifahrt“ .................................................................................................................

87

Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“ ...........................................................................................

89

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X

Inhaltsverzeichnis

Fall 5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“..............................................................................

94

Fall 6: „Mantelverwechslung“..............................................................................................

97

Fall 7: „Die Leihschier“........................................................................................................ 100
Fall 8: „Überforderter Briefträger“....................................................................................... 103
Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“.............................................................. 107
Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“ ..................................................................................... 111
Fall 11: „Unseriöser Hausverwalter“ ................................................................................... 114
Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“ .............................................................................................. 117

6Ï6%.)%2

Fall 1: „Denkzettel“.............................................................................................................. 121
Fall 2: „Der Schaltfehler“ ..................................................................................................... 123
Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“............................................................................... 125
Fall 4: „Der obszöne Anruf“................................................................................................ 128
Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“ ................................................................ 129
Fall 6: „Besuch in der Spedition“........................................................................................ 132
Fall 7: „Das Kuvert“ ............................................................................................................. 135
Fall 8: „Tankstellenüberfall“ ................................................................................................ 138
Fall 9: „Die reuige Rentnerin“ ............................................................................................. 140
Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“ ........................................................................ 143
Fall 11: „Sommerschlussverkauf“........................................................................................ 146
&ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh ............................................................................................... 148
Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“....................................................................................... 150

"Ï&ÇLLEÏZUMÏ0ROZESSRECHT

)Ï&,/2!

Fall 1..................................................................................................................................... 155
Fall 2..................................................................................................................................... 156
Fall 3..................................................................................................................................... 158
Fall 4..................................................................................................................................... 160
Fall 5..................................................................................................................................... 161
Fall 6..................................................................................................................................... 162

))Ï-523#(%4:

Fall 1..................................................................................................................................... 165
Fall 2..................................................................................................................................... 168
Fall 3..................................................................................................................................... 169
Fall 4..................................................................................................................................... 171
Fall 5..................................................................................................................................... 172
Fall 6..................................................................................................................................... 174
Fall 7..................................................................................................................................... 175

)))Ï3#(%),

Fall 1..................................................................................................................................... 177
Fall 2..................................................................................................................................... 180
Fall 3..................................................................................................................................... 181
Fall 4..................................................................................................................................... 183
Fall 5..................................................................................................................................... 185
Fall 6..................................................................................................................................... 186
Fall 7..................................................................................................................................... 188

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XI

Inhaltsverzeichnis

)6Ï3#(7!)'(/&%2

Fall 1..................................................................................................................................... 193
Fall 2..................................................................................................................................... 194
Fall 3..................................................................................................................................... 196
Fall 4..................................................................................................................................... 198
Fall 5..................................................................................................................................... 199
Fall 6..................................................................................................................................... 200
Fall 7..................................................................................................................................... 201
Fall 8..................................................................................................................................... 202
Fall 9..................................................................................................................................... 203
Fall 10................................................................................................................................... 204
Fall 11................................................................................................................................... 205

6Ï6%.)%2

Fall 1..................................................................................................................................... 209
Fall 2..................................................................................................................................... 210
Fall 3..................................................................................................................................... 211
Fall 4..................................................................................................................................... 212
Fall 5..................................................................................................................................... 214
Fall 6..................................................................................................................................... 215
Fall 7..................................................................................................................................... 217
Fall 8..................................................................................................................................... 219
Fall 9..................................................................................................................................... 220
Fall 10................................................................................................................................... 220
Fall 11................................................................................................................................... 222
Fall 12................................................................................................................................... 223
Fall 13................................................................................................................................... 224

3TICHWORTVERZEICHNIS ....................................................................................................... 227

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XIII

!BK¿RZUNGSVERZEICHNIS

Abs

Absatz

aM

anderer Meinung

AnwBl

Österreichisches Anwaltsblatt

Art

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

!UmÏ

!UmAGE

Bd

Band

B/S

BT I

Bertel/Schwaighofer

, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil I 10.

!UmÏ

B/S

BT II

Bertel/Schwaighofer

, Österreichisches Strafrecht Besonderer Teil II 7.

!UmÏ

B/V

Bertel/Venier

, Strafprozessrecht (2007)

BGBl

Bundesgesetzblatt

BT

Besonderer Teil

B-VG

Bundes-Verfassungsgesetz 1920 idF von 1929

bzw

beziehungsweise

ca

circa

dh

das heißt

DV-StAG

Verordnung zur Durchführung des Staatsanwaltschaftsgesetzes BGBl
1986/338 idgF

E

Entscheidung

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grund-
freiheiten BGBl 1958/210

EvBl

Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (in der ÖJZ)

f

folgende

ff

fortfolgende

Fabrizy

StPO

Fabrizy

Ï3T0/ÏUNDÏAUSGEWÇHLTEÏ.EBENGESETZEÏ+URZKOMMENTARÏÏ!UmÏ

(2004)

FinStrG

Finanzstrafgesetz BGBl 1958/129 idgF

FN

Fußnote

Fuchs

AT I

Fuchs

ϕSTERREICHISCHESÏ3TRAFRECHTÏ!LLGEMEINERÏ4EILÏ)ÏÏ!UmÏ

hA

herrschende Auffassung

Hinterhofer

BT II

Hinterhofer

Ï3TRAFRECHTÏ"ESONDERERÏ4EILÏ))ÏÏ!UmÏ

hL

herrschende Lehre

idgF

in der geltenden Fassung

iSd

im Sinne des/der

iVm

in Verbindung mit

JBl

Juristische Blätter

JGG

Jugendgerichtsgesetz 1988 BGBl 599 idgF

KH

Plenarbeschlüsse und Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichts- als
Kassationshofes

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XIV

Abkürzungsverzeichnis

K/H

AT

Kienapfel/Höpfel

, Grundriss des österreichischen Strafrechts Allgemei-

NERÏ4EILÏÏ!UmÏÏ

K/Schm

Stud BT II Kienapfel/Schmoller, Strafrecht Besonderer Teil II Studienbuch (2003)

K/Schm

Stud BT III Kienapfel/Schmoller, Strafrecht Besonderer Teil III Studienbuch (2005)

K/Schr

BT I

Kienapfel/Schroll,

Grundriss des österreichischen Strafrechts, Besonde-

rer Teil, Bd I (2003)

Lewisch

BT I

Lewisch

Ï3TRAFRECHTÏ"ESONDERERÏ4EILÏ)ÏÏ!UmÏ

lit

litera (Buchstabe)

L/St

Leukauf/Steininger

Ï+OMMENTARÏZUMÏ3TRAFGESETZBUCHÏÏ!UmÏ

mwN

mit weiteren Nachweisen

OGH

Oberster Gerichtshof

OGHG

Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof BGBl 1968/328 idgF

ÖJZ

Österreichische Juristen-Zeitung

ÖJZ-MRK

MRK-Entscheidung in der ÖJZ

OLG

Oberlandesgericht

RAO

Rechtsanwaltsordnung RGBl 1868/96 idgF

RZ

Österreichische Richterzeitung

Rz

Randziffer

s

siehe

SbgK

Salzburger Kommentar zum StGB, hrsg von Triffterer, Rosbaud und
Hinterhofer

Seiler

AT II

Seiler

Ï3TRAFRECHTÏ!LLGEMEINERÏ4EILÏ))ÏÏ!UmÏ

SMG

Suchtmittelgesetz BGBl I 1997/112 idgF

sog

so genannt(e)

SPG

Sicherheitspolizeigesetz BGBl 1991/566 idgF

SSt

Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsa-
chen und Disziplinarangelegenheiten

StGB

Strafgesetzbuch 1974 BGBl 60 idgF

StGG

Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867
RGBl 142

StPRefBeglG

Strafprozessreformbegleitgesetz (Entwurf)

StPRefG

Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19

StPRefBeglG I-Entw Entwurf des Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975,

das Strafgesetzbuch und das Jugendgerichtsgesetz 1988 geändert werden
(Strafprozessreformbegleitgesetz I), GZ BMJ-L590.004/0001-II 3/2007

StPO

Strafprozessordnung 1975 BGBl 631 (Wv) idgF

StVO

Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 159 idgF

usw

und so weiter

VfGH

Verfassungsgerichtshof

VfSlg

Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des VfGH

vgl

vergleiche

Vorbem

Vorbemerkungen

VStG

Verwaltungsstrafgesetz 1991 BGBl 52 (Wv) idgF

VwGH

Verwaltungsgerichtshof

WaffGebrG

Waffengebrauchsgesetz 1969 BGBl 149 idgF

WK

2

Ï

7IENERÏ+OMMENTARÏZUMÏ3TRAFGESETZBUCHÏÏ!UmÏHRSGÏVONÏHöpfel und
Ratz

WK-StPO

Wiener Kommentar zur StPO, hrsg von Fuchs und Ratz

Wv

Wiederverlautbarung

Z

Ziffer

zB

zum Beispiel

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XV

-ITARBEITERVERZEICHNIS

Dr. Margarethe Flora,

ao. Universitätsprofessorin in Innsbruck

Dr. Verena Murschetz,

ao. Universitätsprofessorin in Innsbruck

Dr. Andreas Scheil,

Universitätsprofessor in Innsbruck

Dr. Klaus Schwaighofer, o. Universitätsprofessor in Innsbruck

(Herausgeber)

Dr. Andreas Venier,

ao. Universitätsprofessor in Innsbruck

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A. Fälle zum materiellen Recht

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3

I. FLORA

Fall 1: „Der schwere Gegner“

In einem Grazer Lokal kommt es in den frühen Morgenstunden zu
einer Prügelei zwischen K und X. Die Prügelei endet für K böse. Ein
Zeuge gibt an, dass der 130 Kilogramm schwere X auf K’s Brust ge-
kniet sei und mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen habe. K verlässt
daraufhin das Lokal mit blutenden Wunden im Gesicht.
Am nächsten Tag will K wieder in sein Stammlokal gehen. Diesmal
nimmt er ein Messer mit. Als K dort auftaucht, kommt es wieder zu
einer Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten: Die anderen
Gäste können den X nicht aufhalten: Er stürzt sich erneut auf K. Nun
sticht K zu und durchtrennt dem X dabei eine Arterie im Oberschen-
kel. X verblutet.

Hat sich K strafbar gemacht?

Lösung

1. a) K könnte eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83,
86 StGB)
begangen haben:

Der Stich in den Oberschenkel verursacht bei X eine stark blutende

Wunde. Die Wunde ist eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung
der körperlichen Unversehrtheit, weil eine medizinische Behandlung
notwendig ist.

1

X handelt jedenfalls mit Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs 1

StGB), es kommt ihm geradezu darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), den K zu
verletzen, damit er ihn abwehren kann.

Die Körperverletzung hat den Tod des X zur Folge. K handelt diesbe-

züglich fahrlässig: Die objektive Sorgfaltswidrigkeit steht auf Grund der
vorsätzlichen Verletzung fest. An der objektiven Zurechnung der Todes-
folge ist nicht zu zweifeln: Der Tod ist keine ungewöhnliche Folge der

1

B/S

BT I § 83 Rz 1.

background image

4

Tathandlung. Messerstiche in den Oberschenkel sind auch deshalb ver-
boten, weil sie eine lebensgefährliche Folge nach sich ziehen können.

b) Zu prüfen ist weiters eine nach

ÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTEÏ

Körperverletzung: Das Messer ist zwar ein „lebensgefährliches Mittel“,
aber ein Stich mit einem Messer in den Oberschenkel ist keine lebens-
gefährliche Misshandlung.

2

Bei einem Stich in den Oberschenkel muss

man nicht um das Leben des Opfers fürchten.

3

Auch müsste sich K der

Lebensgefährlichkeit seines Stiches bewusst sein und sich zumindest da-
MITÏABlNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"Ï$ASÏISTÏNICHTÏDERÏ&ALL

2. K könnte auch eine absichtliche schwere Körperverletzung mit töd-
lichem Ausgang (§ 87 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB) begangen haben:

In diesem Fall müsste es K darauf angekommen sein (§ 5 Abs 2 StGB),

dem X mit seinem Stich in den Oberschenkel eine an sich schwere, also
lebensgefährliche

4

Verletzung zuzufügen oder zumindest eine Verletzung,

die diesen über 24 Tage an der Gesundheit schädigt. Um den Gegner
kampfunfähig zu machen, hat K eine solche schwere Verletzung zwar
möglicherweise in Kauf genommen, darauf angekommen ist es ihm aber
nicht.

3. a) K könnte in Notwehr (§ 3 StGB) gehandelt haben, weil sich der
X auf den K stürzt. Dies ist ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf
sein Leben, jedenfalls auf seine körperliche Unversehrtheit. Zur Abwehr
dieses Angriffs wählt K den Stich in den Oberschenkel. Auf Grund der
körperlichen Überlegenheit des X (130 Kilogramm schwer) hat K nicht
viele Möglichkeiten, sich gegen den Angreifer wirkungsvoll zur Wehr
zu setzen. Der Stich in den Oberschenkel ist wohl das einzige verfüg-
bare Verteidigungsmittel, das den Angriff sofort und endgültig abwehren
kann.

5

K bedient sich daher nur der notwendigen Verteidigung; es liegt

kein Notwehrexzess vor. K weiß auch um das Vorliegen der Notwehrsi-
tuation.

b) Da K mit dem Messer das Lokal aufgesucht hat, in dem er am Tag
zuvor verletzt wurde, ist zu prüfen, ob vielleicht eine Notwehrprovo-
kation
vorliegt. Das wäre dann der Fall, wenn angenommen werden
müsste, dass K den Angriff des X mutwillig herausgefordert hat, um

2

B/S

BT I § 84 Rz 9.

3

B/S

BT I § 84 Rz 8.

4

B/S

BT I § 84 Rz 4. Die Rsp verlangt keine lebensgefährliche Verletzung, sondern eine

Verletzung oder Gesundheitsschädigung, durch die wichtige Organe oder Körperteile beein-
trächtigt werden oder bei der der Heilungsverlauf ungewiss ist bzw weitere gesundheitliche
Folgen zu erwarten sind

: s K/Schr BT I § 84 Rz 12.

5

Seiler

AT I Rz 352.

I. Flora

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5

Gelegenheit zur Abwehr und damit zur Straffreiheit zu erhalten. Davon
kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht ausgegangen werden; K muss
einem Angriff auch nicht dadurch ausweichen, dass er sein Stammlokal
nicht mehr besucht.

6

Ergebnis: K hat eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83,

86 StGB) begangen. Er ist jedoch durch Notwehr (§ 3 StGB) gerechtfertigt
und daher nicht strafbar.

Fall 2: „Die Zaunlatte“

X fährt mit seinem Freund Y als Beifahrer nach einem Discobesuch
in Zell am Ziller nach Hause. Auf der Zillertaler Bundesstraße kommt
X auf Grund seiner unaufmerksamen Fahrweise mit seinem Wagen
von der Straße ab und fährt einen Zaun nieder. Dabei durchbohrt
eine der Zaunlatten die Schulter des Beifahrers Y. Y will selbst mit
dem Handy die Rettung rufen, doch X reißt ihm das Handy aus der
Hand. X will verhindern, dass die Polizei von dem Unfall erfährt, da
er vor der Fahrt Alkohol konsumiert hat.
Nach einiger Zeit lässt X es doch zu, dass Y die Rettung ruft, die dann
mit der Polizei gemeinsam an den Unfallort kommt. Bei X werden
1,2 ‰ Alkohol im Blut festgestellt. Im Strafverfahren stellt der Sach-
verständige fest, dass Y hätte verbluten können, wenn die Rettung
eine Stunde später gekommen wäre.

Hat sich X strafbar gemacht?

Lösung

1. a) X könnte eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1
StGB
begangen haben:

Die durchbohrte Schulter des X ist eine Körperverletzung, weil zwei-

fellos medizinische Hilfe nötig ist.

7

X hat objektiv sorgfaltswidrig gehan-

delt, weil er gegen § 5 Abs 1 StVO verstößt. X ist alkoholisiert. Er fährt
auch nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit, mit der ein einsichtiger
und besonnener Autofahrer auf der Bundesstraße fahren würde. Die
Körperverletzung ist auf die Alkoholisierung und die damit verbundene
fehlende Aufmerksamkeit des X zurückzuführen. Gründe, die den Risi-

6

Fuchs

AT I 17. Kap Rz 39, K/H AT Z 11 Rz 18.

7

B/S

BT I § 83 Rz 1.

Fall 2: „Die Zaunlatte“

background image

6

kozusammenhang ausschließen, sind nicht ersichtlich. § 5 Abs 1 StVO
UNDÏDIEÏ0mICHTÏDIEÏN–TIGEÏ!UFMERKSAMKEITÏWALTENÏZUÏLASSENÏSOLLENÏ,EIBÏ
und Leben der Verkehrsteilnehmer schützen und Unfälle wie den einge-
tretenen verhindern.

8

Der Erfolg ist X auch subjektiv zurechenbar. X hätte die Gefahr trotz

seiner Alkoholisierung erkennen und einsehen können. Alkoholbedingte
Beeinträchtigungen haben nach der Rsp bei der Beurteilung der subjek-
tiven Zurechenbarkeit außer Betracht zu bleiben.

9

X wäre aber auch

dann, wenn man auf Grund der Alkoholisierung die subjektive Zurech-
NUNGÏ VERNEINTEÏ NICHTÏ STRAmOSÏ $AÏ ERÏ ALKOHOLISIERTÏ GEFAHRENÏ ISTÏ K–NNTEÏ
ihm Übernahme- oder Einlassungsfahrlässigkeit angelastet werden.

10

b) X könnte bei Y fahrlässig eine schwere Körperverletzung (§ 88
Abs 4 1. Fall StGB)
verursacht haben:

Da der Sachverständige feststellt, dass Y an dieser Verletzung hätte

verbluten können, ist sie lebensgefährlich und damit „an sich schwer“
iSd § 84 Abs 1 StGB.

11

Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Schulter

des Y länger als 24 Tage schmerzen wird.

c) Weiters könnte die Tat nach § 88 Abs 4 2. Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB
QUALIlZIERTÏSEINÏ

Mit 1,2 ‰ Alkohol im Blut ist X absolut fahruntauglich. Als Autofahrer

muss X über die für ihn noch erlaubte Alkoholmenge Bescheid wissen,
und X hat auch schon während des Trinkens in der Disco vorhergesehen,
dass er noch nach Hause fahren wird.

12

Dass sich X und Y eine andere

Art nach Hause zu kommen, zB mit dem Taxi zu fahren, vorgenommen
hätten, geht aus dem Sachverhalt nicht hervor.

d) X könnte durch Einwilligung (§ 90 StGB) des Y gerechtfertigt sein:

Y könnte in die gefährliche Autofahrt und die damit verbundenen

Folgen eingewilligt haben, wenn er nicht selbst zu alkoholisiert ist, um
die Gefahr, in die er sich begibt, zu überblicken. Von einer starken Alko-
holisierung des Y steht nichts im Sachverhalt. Daher kann seine Einwil-
ligungsfähigkeit angenommen werden.

13

Steigt Y in voller Kenntnis der

Alkoholisierung des X zu ihm ins Auto, dann hat er in die gefährliche
Handlung des X und damit auch in die daraus resultierende schwere Ver-

8

B/S

BT I § 80 Rz 9.

9

S K/Schr BT I § 80 Rz 119f.

10

B/S

BT I § 80 Rz 25.

11

B/S

BT I § 84 Rz 4.

12

B/S

BT I § 81 Rz 13, 15.

13

B/S

BT I § 90 Rz 3.

I. Flora

background image

7

letzung eingewilligt.

14

Die Fahrt des X ist dann gegenüber dem Y nicht

sittenwidrig. Wenn X daher nur aus alkoholbedingter Unaufmerksamkeit
von der Straße abgekommen ist, dann rechtfertigt ihn die Einwilligung
des Y.

15

Nach der Rsp liegt keine Einwilligung vor, weil Y nicht in die Verlet-

zung, sondern höchstens in eine Gefährdung eingewilligt hat.

16

2. a) X könnte wegen Imstichlassen eines Verletzen (§ 94 Abs 1
StGB)
strafbar sein:

X hat die Verletzung des Y in objektiv sorgfaltswidriger Weise verur-

sacht und er weiß auch, dass medizinische Hilfe erforderlich ist. Jeder
vernünftige Mensch mit einer solchen Verletzung nimmt ärztliche Hilfe
in Anspruch. X holt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) keine Hilfe, damit ihm
nicht der Führerschein entzogen wird. Die Hilfeleistung wäre ihm auch
zumutbar, weil der Verlust des Führerscheins das Unterlassen der Hilfe-
leistung höchstens dann unzumutbar machen kann, wenn dem Opfer
nur ein geringer Schaden droht.

17

!BERÏDAÏ8ÏF¿RÏDIEÏQUALIlZIERTEÏSCHWEREÏ+–RPERVERLETZUNGÏNACHÏeÏÏ

Abs 4 2. Fall StGB eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erwarten hat,
kommt § 94 Abs 1 StGB nicht zur Anwendung (§ 94 Abs 4 StGB).

b) Auszuschließen ist, dass X eine Aussetzung (§ 82 StGB) begangen
hat. Der Täter hat Y zwar in Lebensgefahr gebracht und er unterlässt
es, die Lebensgefahr sofort abzuwenden, aber es ist davon auszugehen,
dass X die lebensgefährliche Lage des Opfers gar nicht erkennt. Damit
fehlt ihm der für § 82 StGB erforderliche Vorsatz.

3. X könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) begangen haben:

Durch das Entreißen des Handys könnte X den Y mit Gewalt am

Telefonieren gehindert haben. Fraglich ist ob, X gegenüber dem Opfer
Gewalt anwendet. Gewalt liegt vor, wenn das Opfer durch das Entreißen
einer Sache zu Boden stürzt oder Schmerzen leidet.

18

Da das Opfer an der Schulter schwer verletzt ist, kann angenommen

werden, dass für Y das ruckartige Entreißen des Handys sehr schmerz-
haft ist. X hat den Y daher mit Gewalt am Telefonieren gehindert und
dies auch in seinen Vorsatz aufgenommen. Es kam ihm geradezu darauf

14

B/S

BT I § 90 Rz 2.

15

B/S

BT I § 90 Rz 7.

16

S K/H AT E 1 Rz 79.

17

B/S

BT I § 94 Rz 17.

18

B/S

BT I § 105 Rz 5, § 142 Rz 4: Für den OGH liegt schon dann Gewalt vor, wenn

der Täter dem Opfer einen Gegenstand entreißt und dabei einen „Selbstbehauptungswillen“
überwindet.

Fall 2: „Die Zaunlatte“

background image

8

an (§ 5 Abs 2 StGB) zu verhindern, dass X die Rettung oder die Polizei
ruft.

4. Für den niedergefahrenen Zaun ist X nicht strafbar. Diese Sachbeschä-
digung hat X nur fahrlässig begangen.

Ergebnis: Wenn X für die fahrlässige schwere Körperverletzung un-

ter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 88 Abs 4 2. Fall StGB) durch
Einwilligung des Y gerechtfertigt ist, dann ist er wegen Imstichlassens
eines Verletzten (§ 94 Abs 1 StGB) und Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) zu
bestrafen. Nimmt man keine Einwilligung des Y an, dann hat X für die
QUALIlZIERTEÏSCHWEREÏ+–RPERVERLETZUNGÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏEINEÏ
Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu erwarten, weshalb § 94 Abs 1 StGB
nicht zur Anwendung kommt (§ 94 Abs 4 StGB).

Fall 3: „Valentinstag“

Der Valentinstag steht vor der Tür. Da X seine neue Freundin in ein
gutes Restaurant einladen will, leiht er sich von seinem Kollegen (K)
ÏãÏ8ÏVERSPRICHTÏDASÏ'ELDÏSPÇTESTENSÏINÏEINEMÏ-ONATÏZUR¿CKZU-
zahlen.
Als K nach zwei Monaten immer noch kein Geld bekommen hat,
stellt er den X zur Rede. X behauptet nun aber, nie Geld bekommen
zu haben.
Da wird K wütend und versetzt dem X einen Faustschlag ins Gesicht.
X stürzt mit dem Hinterkopf auf die Gehsteigkante, und zieht sich
dabei eine stark blutende Platzwunde zu. Beim Sturz fällt dem X die
Geldtasche aus der Hosentasche.
K sieht die Geldtasche, nimmt sie und geht davon. Während er weg-
GEHTÏ ENTNIMMTÏ ERÏ AUSÏ DERÏ 'ELDTASCHEÏ Ï ãÏ $ABEIÏ DENKTÏ ERÏ SICHÏ
uÏãÏSCHULDETÏERÏMIRÏUNDÏÏãÏBEHALTEÏICHÏALSÏ:INSENhÏ$ASÏ'ELDÏ
steckt er ein, die Geldtasche wirft er dann weg.

Haben sich X und K strafbar gemacht?

Lösung

1. a) X könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben:

8ÏBITTETÏDENÏ+ÏUMÏEINÏ$ARLEHENÏVONÏÏãÏ%RÏSAGTÏAUCHÏAUSDR¿CKLICHÏ

dass er ihm das Geld zurückzahlen werde. Konkludent gibt er damit
auch zu verstehen, dass er in der Lage sein wird, das Geld zurückzu-

I. Flora

background image

9

zahlen.

19

Wenn A nicht vor hat das Geld zurückzuzahlen, oder er davon

ausgeht, dass es seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zulassen wer-
den, dann täuscht er über seine Bereitschaft bzw Fähigkeit, das Geld
ZUR¿CKZUGEBENÏUNDÏVERLEITETÏDAMITÏDENÏ+ÏIHMÏDIEÏÏãÏZUÏGEBENÏ$AÏ
K das Geld nicht mehr zurückbekommen wird, schädigt er sich durch
seine Handlung selbst am Vermögen.

20

Fraglich ist die innere Tatseite des X. X ist nur dann wegen Betruges

zu bestrafen, wenn er schon im Zeitpunkt der Darlehensannahme vor
hatte, dem K das Geld nicht wieder zu geben, oder wenn er es zumin-
dest für möglich gehalten und sich damit abgefunden (§ 5 Abs 1 StGB)
HATÏ DASSÏ ERÏ lNANZIELLÏ NICHTÏ INÏ DERÏ ,AGEÏ SEINÏ WERDEÏ DEMÏ +Ï DIEÏ Ï ãÏ
zurückzuzahlen.

b) Eine Veruntreuung (§ 133 StGB) kommt nicht in Frage, weil Darlehen
kein anvertrautes Gut sind.

21

Ï$IEÏÏãÏGEHENÏINÏDIEÏFREIEÏ6ERF¿GUNGS-

macht des Empfängers (X) über.

2.a) K könnte eine Körperverletzung (§ 83 StGB) begangen haben:

Eine stark blutende Platzwunde ist eine Beeinträchtigung der körper-

lichen Unversehrtheit, weil das Opfer medizinische Versorgung braucht.
$IEÏ7UNDEÏMUSSÏMITÏEINEMÏ0mASTERÏVERSORGTÏM–GLICHERWEISEÏAUCHÏGE-
näht werden. Der Faustschlag war kausal für den Sturz des X und damit
auch für die daraus resultierende Platzwunde.

Auf der inneren Tatseite muss der Täter zumindest mit Misshand-

lungsvorsatz nach § 83 Abs 2 StGB gehandelt haben. K, der dem X den
Faustschlag aus Wut darüber versetzt, dass er sein Geld nicht zurückbe-
kommt, kam es vermutlich darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), dem X Schmerzen
zu bereiten, ihm ernsthaft weh zu tun. Da K dem X offensichtlich einen
sehr heftigen Schlag versetzt, hat er möglicherweise auch an eine Verlet-
zung gedacht und sich mit einer solchen abgefunden (§ 5 Abs 1 StGB).
Dann wäre X nach § 83 Abs 1 StGB strafbar.

22

b) K könnte wegen Imstichlassen eines Verletzen (§ 94 Abs 1 StGB)
strafbar sein: K hat die Platzwunde des X verursacht. X ist auch hilfsbe-
dürftig, weil jeder vernünftige Mensch mit einer stark blutenden Wunde
ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen würde.

23

Fraglich ist, ob K die Ver-

letzung des K erkennt und daher die Erforderlichkeit der Hilfeleistungs-
PmICHTÏINÏSEINENÏ6ORSATZÏAUFGENOMMENÏHATÏ

19

B/S

BT I § 146 Rz 5.

20

B/S

BT I § 146 Rz 17.

21

B/S

BT I § 133 Rz 8.

22

B/S

BT I § 83 Rz 9.

23

B/S

BT I § 94 Rz 5.

Fall 3: „Valentinstag“

background image

10

.ACHÏDERÏ2SPÏBESTEHTÏEINEÏ.ACHSCHAUPmICHTÏUNDÏDERÏ4ÇTERÏISTÏSCHONÏ

dann strafbar, wenn er sich vorsätzlich nicht davon überzeugt hat, ob
das Opfer hilfsbedürftig ist

.

24

Aber da die vorsätzliche Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder 2

StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht ist, kommt § 94
Abs 1 nicht zu Anwendung (§ 94 Abs 4 StGB).

3.a)

Ï+ÏK–NNTEÏANÏDENÏÏãÏEINENÏDiebstahl (§ 127 StGB) begangen

haben:

Die Geldscheine sind fremde, bewegliche Sachen, die offensichtlich

einen Wert haben und im Eigentum des X stehen. Auch wenn dem X die
Geldtasche aus der Hosentasche gefallen ist, steht sie und damit auch das
Geld noch im Gewahrsam des X. X hat an der Geldtasche samt Inhalt so
LANGEÏ'EWAHRSAMÏALSÏERÏSICHÏNOCHÏINÏ3ICHTWEITEÏDERÏ3ACHENÏBElNDET

25

)NDEMÏ+ÏDIEÏ'ELDTASCHEÏSAMTÏDENÏÏãÏAUFHEBTÏUNDÏSICHÏDAMITÏENTFERNTÏ
bricht er den Gewahrsam des X und begründet Alleingewahrsam.

Auf der inneren Tatseite muss K zum Zeitpunkt der Wegnahme

den Vorsatz haben, sich die Sache zuzueignen und sich daran unrecht-
mäßig zu bereichern. Da K die Geldtasche wegwirft, ist dieser Vorsatz
IMÏ(INBLICKÏAUFÏDIEÏ'ELDTASCHEÏZUÏVERNEINENÏ$IEÏÏãÏWILLÏ+ÏBEHALTENÏ
bzw für sich verwenden. Fraglich ist aber der Vorsatz auf unrechtmäßige
"EREICHERUNGÏBEZ¿GLICHÏDERÏGESAMTENÏÏãÏ$AÏ+ÏDEMÏ8ÏÏãÏGELIEHENÏ
HATÏHATÏERÏEINÏ2ECHTÏAUFÏDIEÏÏãÏUNDÏDAHERÏKEINENÏ6ORSATZÏAUFÏUNRECHT-
mäßige Bereicherung.

26

Ï%INÏ2ECHTÏAUFÏÏãÏ:INSENÏHATÏ+ÏNICHTÏUNDÏDASÏ

weiß er auch.

b) Wenn K zum Zeitpunkt der Wegnahme der Geldtasche nur an die ge-
LIEHENENÏÏãÏGEDACHTÏHATÏDANN KANNÏERÏAUCHÏWEGENÏDERÏÏãÏ:INSENÏ
nicht wegen Diebstahls bestraft werden, weil ihm zum Zeitpunkt der
Wegnahme der erforderliche Vorsatz fehlt. In diesem Fall wäre K we-
GENÏDERÏÏãÏNACHϧ 134 Abs 2 StGB (Anschlussunterschlagung) zu
BESTRAFENÏ%RÏHATÏDIEÏÏãÏDEMÏ/PFERÏOHNEÏ:UEIGNUNGSVORSATZÏWEGGE-
nommen

27

und später den Vorsatz gefasst, sich durch die Zueignung der

ÏãÏUNRECHTMǒIGÏZUÏBEREICHERNÏ7IEÏOBENÏAUSGEF¿HRTÏWEI’Ï+ÏDASSÏERÏ
KEINÏ2ECHTÏAUFÏÏãÏ:INSENÏHAT

c) Wenn

+ÏSCHONÏZUMÏ:EITPUNKTÏDERÏ7EGNAHMEÏÏãÏALSÏ:INSENÏBEHAL-

ten wollte, könnte er einen Bedrängnisdiebstahl (§ 127, 128 Abs 1 Z 1
StGB)
begangen haben:

24

B/S

BT I § 94 Rz 10, K/Schr BT I § 94 Rz 28.

25

B/S

BT I § 127 Rz 13.

26

B/S

BT I § 127 Rz 26.

27

B/S

BT I § 134 Rz 9.

I. Flora

background image

11

X hat vom Sturz auf die Gehsteigkante eine stark blutende Platz-

wunde. Die Frage ist, ob es ihm dadurch wesentlich erschwert ist, sein
%IGENTUMÏZUÏSCH¿TZENÏ$IEÏBLUTENDEÏ0LATZWUNDEÏMACHTÏ8ÏNICHTÏHILmOSÏ
!LSÏHILmOSÏWÇREÏ8ÏNURÏANZUSEHENÏWENNÏERÏVOMÏ3TURZÏBEWUSSTLOSÏODERÏ
zumindest benommen und desorientiert wäre.

d) Da X durch den Faustschlag zu Boden stürzt, hat K gegen das Op-
fer Gewalt angewendet. Ein Raub (§ 142 StGB)

ÏHINSICHTLICHÏDERÏÏãÏ

Zinsen ist jedoch auszuschließen, da K dafür schon im Zeitpunkt der
Gewaltanwendung den Vorsatz gehabt haben müsste, dem X das Geld
wegzunehmen und sich daran unrechtmäßig zu bereichern. Es ist aber
davon auszugehen, dass K nur aus Wut auf den X einschlägt. Die Idee,
das Geld zu nehmen, kommt ihm erst, als er die Geldtasche am Boden
liegen sieht.

4. An der Geldtasche könnte K eine dauernde Sachentziehung (§ 135
StGB)
begangen haben:

Wie oben ausgeführt hat K die Geldtasche dem Opfer weggenom-

men. Wenn K zum Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz hatte, die Geld-
tasche wegzuwerfen, also dem Opfer für immer zu entziehen, dann ist
er wegen dauernder Sachentziehung zu bestrafen.

28

Davon kann ausge-

gangen werden, da es K offensichtlich von Anfang an nur darauf ankam,
sein Geld wiederzubekommen.

Nach aM käme es nicht drauf an, dass der Täter dem Opfer die Geld-

tasche weggenommen hat. Eine dauernde Sachentziehung könnte auch
an einer Sache begangen werden, die der Täter schon selbst innehat.

29

Ergebnis:

7ENNÏ8ÏZUMÏ:EITPUNKTÏDERÏÍBERGABEÏDERÏÏãÏDENÏ6OR-

satz hatte, das Geld nicht zurückzugeben, ist er nach § 146 StGB zu be-
STRAFENÏ3ONSTÏISTÏ8ÏSTRAmOS

Je nach dem, ob K mit Verletzungs- oder Misshandlungsvorsatz zu-

geschlagen hat, ist er nach § 83 Abs 1 oder 2 StGB zu bestrafen. Wegen
DERÏÏãÏ:INSENÏISTÏERÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏZUÏBESTRAFENÏFALLSÏERÏSCHONÏIMÏ
:EITPUNKTÏDERÏ7EGNAHMEÏANÏDIESEÏÏãÏGEDACHTÏHATÏUNDÏ:UEIGNUNGSÏ
und unrechtmäßigen Bereicherungsvorsatz hatte. Sonst ist er nach § 134
Abs 2 StGB zu bestrafen.

28

B/S

BT I § 135 Rz 3.

29

B/S

BT I § 135 Rz 4 mwN.

Fall 3: „Valentinstag“

background image

12

Fall 4: „Der Brieföffner“

X bricht die Türe zu einem Schreibwarengeschäft auf. Sein Freund Y
begleitet ihn dabei. Im Geschäft packt X gezielt Kugelschreiber der
Marken Montblanc, Porsche und Parker in eine mitgebrachte Reiseta-
sche, das Einbruchswerkzeug verstaut er in einer Aktentasche. Als X
und Y das Geschäft verlassen wollen, werden sie noch im Geschäft
von einem Wachmann überrascht. Dieser packt Y, der die Aktenta-
sche trägt, am Arm. X stellt die Reisetasche mit der Beute ab, nimmt
einen spitzen Brieföffner in die Hand und geht damit drei Schritte auf
DENÏ7ACHMANNÏZUÏ$ERÏ7ACHMANNÏLÇSSTÏ9ÏLOSÏ8ÏUNDÏ9Ïm¿CHTENÏSAMTÏ
"EUTEÏAUSÏDEMÏ'ESCHÇFTÏ$IEÏ"EUTEÏHATÏEINENÏ7ERTÏVONÏÏã

Haben sich X und Y strafbar gemacht?

Lösung

1.a) X könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben:

X packt die Kugelschreiber, die im Eigentum und Gewahrsam des Ge-

schäftsinhabers stehen, in seine Reisetasche. Der Diebstahl ist vollendet,
wenn X die Sachen in seinen Alleingewahrsam gebracht hat. Fraglich ist,
ob X an den Sachen mit dem Hineingeben in die mitgebrachte Reiseta-
sche schon Alleingewahrsam erlangt hat. Grundsätzlich ist der Diebstahl
kleinerer Sachen mit dem Einstecken vollendet. Da X die Menge an Ku-
gelschreibern aber offensichtlich nicht in einer kleinen Tasche oder in
seinen Manteltaschen verbergen kann, ist davon auszugehen, dass der
Diebstahl erst vollendet ist, wenn X mit der Reisetasche das Geschäft ver-
lässt und sich damit aus den Räumen des Geschäftsinhabers entfernt.

30

X hat zum Zeitpunkt der Wegnahme auch die Absicht (§ 5 Abs 2

StGB), sich die Sachen zuzueignen und sich daran unrechtmäßig zu be-
reichern.

b)

Ï$AÏDERÏ7ERTÏDERÏ+UGELSCHREIBERÏÏãÏ¿BERSTEIGTÏISTÏ8ÏAUCHÏWEGENÏ

schweren Diebstahls (§§ 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB) zu bestrafen. X hat
offensichtlich nur die teuersten Kugelschreiber-Marken eingesteckt, und
daher war ihm zum Zeitpunkt der Tat zumindest mitbewusst, dass der
7ERTÏSEINERÏ"EUTEÏÏãÏ¿BERSTEIGT

31

c) X könnte einen Einbruchsdiebstahl (§§ 127, 129 Z 1 StGB) began-
gen haben:

30

B/S

BT I § 127 Rz 17f.

31

B/S

BT I § 127 Rz 11.

I. Flora

background image

13

$ASÏ 3CHREIBWARENGESCHÇFTÏ BElNDETÏ SICHÏ INÏ EINEMÏ 'EBÇUDEÏ UNDÏ 8Ï

dringt in das Gebäude ein, indem er die Türe zu dem Geschäft aufbricht.
Auch hat X die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), nach dem Eindringen in das
Gebäude einen Diebstahl zu begehen.

d) X könnte einen räuberischen Diebstahl (§ 131 StGB) begangen
haben:

X geht mit dem spitzen Brieföffner auf den Wachmann zu. Damit be-

droht er den Wachmann mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben.
X stellt dem Wachmann in Aussicht, ihn sofort erheblich zu verletzen.

32

X

wird auf frischer Tat betreten, weil er die Kugelschreiber schon in seiner
Tasche hat. So hat er schon Mitgewahrsam an der Beute.

33

Nach aM kommt ein räuberischer Diebstahl nur dann in Frage, wenn

der Diebstahl schon vollendet ist. Hat der Täter erst Mitgewahrsam an der
Beute und wendet räuberische Mittel an, um Alleingewahrsam an der
Beute zu erlangen, dann begeht er einen Raub (§ 142 StGB).

34

Auf der inneren Tatseite muss X die Absicht haben, sich die Beute

zu erhalten. Wenn man annimmt, dass A den Wachmann nur deshalb
mit dem Brieföffner bedroht, damit er den Y loslässt, dann wäre X nicht
wegen räuberischen Diebstahls zu bestrafen. Dann hätte er nur eine Nö-
tigung (§ 105 StGB)
begangen.

2.a) Y könnte einen sonstigen Beitrag zum Einbruchsdiebstahl
(§§ 12 3. Fall, 127, 129 Z 1 StGB)
geleistet haben:

Da Y keine Ausführungshandlung des Diebstahls setzt, ist Y nicht

als Mittäter des Diebstahls anzusehen. Zu prüfen ist aber, ob sich Y als
Beitragstäter strafbar gemacht hat. Bloße Anwesenheit am Tatort wäre
noch nicht als Beteiligung an der Tat zu werten.

35

Da Y aber für den

Transport des Tatwerkzeugs verantwortlich ist, leistet er einen Beitrag
zum Diebstahl.

Auf der inneren Tatseite hat auch Y die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB),

durch seinen Beitrag am Einbruchsdiebstahl des X mitzuwirken.

b) Fraglich ist, ob auch Y über der Wert der Kugelschreiber informiert
ist. Kugelschreiber sind ja üblicherweise nicht so wertvoll. Wenn Y der
Wert der Kugelschreiber, die X einpackt, nicht einmal mitbewusst ist, ist
er nicht nach §§ 12 3. Fall, 128 Abs 1 Z 4 StGB zu bestrafen.

32

B/S

BT I § 142 Rz 5.

33

B/S

BT I § 131 Rz 4.

34

S B/S BT I § 131 Rz 5, K/Schm StudB BT II § 131 Rz 7ff.

35

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 54, K/H AT E 5 Z 18.

Fall 4: „Der Brieföffner“

background image

14

c) Y ist auch nicht wegen Beitragstäterschaft zum räuberischen
Diebstahl (§§ 12 3. Fall, 131 StGB)
zu bestrafen. Y könnte nur dann
nach § 131 StGB bestraft werden, wenn er mit der Absicht, sich oder
einem Dritten die Beute zu erhalten, zur Drohung beigetragen hätte.

36

Da

diesbezüglich mit X nichts abgesprochen war und X nur auf Grund der
bestehenden Gelegenheit nach dem Brieföffner greift, kann kein Beitrag
zu § 131 StGB angenommen werden.

Ergebnis: X ist wegen schweren räuberischen Einbruchsdiebstahls

(§§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 131 StGB) zu bestrafen, wenn er durch
die Bedrohung des Wachmannes die Beute erhalten wollte. Sonst wäre X
neben dem schweren Einbruchsdiebstahl wegen Nötigung zu bestrafen.

Y ist Täter durch sonstigen Beitrag zum Einbruchsdiebstahl des X

(§§ 12, 127, 129 Z 1 StGB). Ob Y auch nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB zu
bestrafen ist, hängt davon ab, ob ihm der Wert der Beute zumindest
mitbewusst war.

Fall 5: „Der Urlaub in der Karibik“

Der X und die Y sind miteinander befreundet, schlafen immer wie-
der miteinander, aber sie haben keine gemeinsame Wohnung. Eines
Tages schlägt der X seiner Freundin vor, sie solle aus dem Kasten
ihrer Großmutter das Sparbuch, von dem Y das Losungswort kennt,
NEHMENÏVONÏDEMÏ'UTHABENÏÏãÏABHEBENÏUNDÏDANNÏDASÏ3PAR-
buch zurücklegen. Mit dem Geld würde X dann für sie beide einen
gemeinsamen Urlaub in der Karibik buchen.
Y hebt das Geld ab, dann hat sie aber doch Bedenken, dem X das
Geld zu geben. Jetzt droht X der Y, dass er sie verlassen werde, wenn
sie ihm das Geld für den gemeinsamen Urlaub nicht gebe. Y ist sehr
bestürzt und gibt X das Geld. X hat nun aber keine Lust mehr, mit der
Y auf Urlaub zu fahren, und erzählt der Y, er wäre auf dem Weg in
das Reisebüro von zwei Männern mit einem Messer bedroht worden
und hätte ihnen das Geld aushändigen müssen. Daraufhin hat die Y
genug und verlässt den X.
X hat bald eine neue Freundin, die Z. Diese gewinnt er vor allem
mit Einkäufen aus teuren Luxusboutiquen für sich. Die Schuhe und
4ASCHENÏBEZAHLTÏ8ÏVONÏDENÏÏãÏ:ÏLÇSSTÏSICHÏGERNEÏVONÏ8ÏMITÏDENÏ
schönen Geschenken überraschen und trägt stolz die neueste Mode.

Haben sich X, Y und Z strafbar gemacht?

36

B/S

BT I § 131 Rz 8.

I. Flora

background image

15

Lösung

1.a) Y könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben:

Y täuscht den Bankangestellten darüber, dass sie ein Recht auf die

Auszahlung des Geldes hätte, obwohl sie dazu nicht berechtigt ist.

37

Auf

'RUNDÏDERÏ4ÇUSCHUNGÏZAHLTÏDERÏ"ANKANGESTELLTEÏDERÏ9ÏDIEÏÏãÏAUSÏ
Da Y das Losungswort kennt und anzunehmen ist, dass es sich bei dem
Sparbuch um ein Kleinbetragssparbuch handelt, bei dem sich die abhe-
bende Person nicht ausweisen muss, darf der Bankangestellte das Geld
an die Y auszahlen. Daher wird durch die Auszahlung zwar nicht die
Bank, wohl aber die Großmutter geschädigt. Y hat auch die Absicht (§ 5
Abs 2 StGB), durch die Täuschung sich und den X unrechtmäßig zu be-
REICHERNÏ-ITÏDEMÏ3CHADENÏF¿RÏDIEÏ'RO’MUTTERÏlNDETÏSIEÏSICHÏZUMINDESTÏ
ab (§ 5 Abs 1 StGB).

$AÏDERÏ3CHADENÏAUSÏDEMÏ"ETRUGÏÏãÏAUSMACHTÏUNDÏSICHÏAUCHÏ9SÏ

Vorsatz auf diese Summe erstreckt, ist der Betrug nach §§ 146, 147 Abs 2
StGB

ÏQUALIlZIERTÏ

b) Y hat den Betrug zum Nachteil der Großmutter und damit zum Nach-
teil einer Angehörigen in gerader Linie (§ 72 Abs 1 StGB) begangen. Da-
her ist ihre Tat nach § 166 Abs 1 StGB (Begehung im Familienkreis)
privilegiert.

c) Ein Diebstahl (§ 127 StGB) am Sparbuch kommt nicht in Frage. Das
Sparbuch ist kein Wertträger und daher nicht diebstahlsfähig.

38

d) Y könnte an dem Sparbuch eine Urkundenunterdrückung (§ 229
StGB)
begangen haben. Ein Sparbuch ist eine Urkunde (§ 74 Abs 1 Z 7
StGB), weil es eine schriftliche Gedankenerklärung enthält, der Ausstel-
ler – die Bank – ersichtlich ist und es im Rechtsverkehr dazu dient, die
Forderung des Inhabers des Sparbuches gegenüber der Bank zu bewei-
sen. Da Y das Sparbuch wieder zurück in den Kasten legt, unterdrückt
sie die Urkunde nicht. Sie verhindert nicht, dass die Großmutter die
Urkunde verwenden kann.

39

Auch mangelt es an der inneren Tatseite. Da Y von Anfang an

vorhat, das Sparbuch nach der Abhebung wieder in den Kasten zurück-
zulegen, hat sie nicht den Vorsatz, die Großmutter am Gebrauch dieser
Urkunde zu hindern.

40

37

B/S

BT I § 146 Rz 7.

38

B/S

BT I § 127 Rz 7.

39

B/S

BT II § 229 Rz 2.

40

B/S

BT II § 229 Rz 4.

Fall 5: „Der Urlaub in der Karibik“

background image

16

2.a) X könnte sich wegen Bestimmung zum schweren Betrug (§§ 12
2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB)
strafbar gemacht haben:

Ohne X wäre Y gar nicht auf die Idee gekommen, das Geld der

Großmutter für einen gemeinsamen Urlaub abzuheben. So weckt X in
Y den Tatentschluss für den Betrug.

41

Auf der inneren Tatseite hat X die

!BSICHTÏDASSÏ9ÏDIEÏ4ATÏAUSF¿HRTÏUNDÏÏãÏABHEBTÏ3OÏISTÏ8ÏALSÏ"ESTIM-
mungstäter zum schweren Betrug strafbar.

b) Eine Privilegierung nach § 166 StGB kommt bei X nicht zum Tragen. X
wäre nach § 166 Abs 2 StGB nur dann privilegiert, wenn Y die Tat nur
zum eigenen Vorteil
begangen hätte. Da mit dem Geld der gemein-
same Urlaub bezahlt werden sollte, sollte die Beute geteilt werden. Die
Privilegierung ist für X daher ausgeschlossen.

3. X könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) oder eine Erpressung (§ 144
StGB)
begangen haben:

X droht der Y, sie zu verlassen, wenn sie ihm das Geld nicht gibt. Die

Drohung ist aber keine Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB, weil das Ver-
lassen keine Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leib oder Leben, Freiheit,
Ehre oder Vermögen darstellt.

4.a) X könnte ein Veruntreuung (§ 133 StGB) begangen haben:

9ÏHATÏDEMÏ8ÏDIEÏÏãÏANVERTRAUTÏ3IEÏHATÏIHMÏDASÏ'ELDÏINÏSEINENÏ!L-

leingewahrsam übergeben mit dem Auftrag, damit den gemeinsamen Ka-
RIBIKURLAUBÏZUÏBEZAHLENÏ8ÏEIGNETÏSICHÏDIEÏÏãÏZUÏINDEMÏERÏSIEÏBEHÇLTÏ
und der Y vortäuscht, er wäre beraubt worden.

42

Da X weiß, dass er mit

dem Geld den Urlaub bezahlen sollte, handelt er mit dem notwendigen
Zueignungsvorsatz und er hat auch den entsprechenden Vorsatz auf un-
rechtmäßige Bereicherung. Er handelt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB).

$AÏ8ÏÏãÏVERUNTREUTÏUNDÏDIESENÏ3CHADENÏINÏSEINENÏ6ORSATZÏAUFGE-

nommen hat, haftet er nach § 133 Abs 2 1. Fall StGB.

b) Obwohl X und Y Lebensgefährten sind, kommt für ihn eine Privilegie-
rung nach § 166 Abs 1 StGB nicht in Frage, weil sie dafür miteinander in
Hausgemeinschaft leben müssten. Sie haben aber laut Sachverhalt keine
gemeinsame Wohnung.

5. Die Delikte nach §§ 12 2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB und § 133 Abs 2
StGB konkurrieren echt miteinander.

41

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 25f.

42

B/S

BT I § 133 Rz 11.

I. Flora

background image

17

6. Z könnte eine Geldwäscherei (§ 165 Abs 2 StGB) begangen haben:

Die Schuhe und Taschen sind Vermögensbestandteile, in denen sich

der Wert des ursprünglich durch die Veruntreuung erlangten Geldes ver-
körpert, und Z bringt diese auch an sich, indem sie sich beschenken
lässt.

43

Doch diese Vermögensbestandteile stammen nicht aus einem

Verbrechen, weil § 133 Abs 2 StGB nicht mit mehr als dreijähriger Frei-
heitsstrafe bedroht ist (§ 17 StGB). Im Übrigen müsste Z, um eine Geld-
wäscherei nach § 165 Abs 2 StGB zu begehen, auch wissen, dass die
Geschenke mit dem Ertrag aus der Veruntreuung bezahlt wurden. Auch
das ist nicht der Fall.

Ergebnis: Y ist nach § 166 Abs 1 StGB iVm §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu

bestrafen. X ist nach §§ 12 2. Fall, 146, 147 Abs 2 StGB und § 133 Abs 2
Ï&ALLÏ3T'"ÏZUÏBESTRAFENÏ:ÏISTÏSTRAmOS

Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“

Die B sucht an der Bushaltestelle nach ihrer Fahrkarte. Dabei fällt ihr
die Kreditkarte aus der Geldtasche. X, der neben ihr steht, behält die
Kreditkarte im Auge, bis B in den Bus steigt und wegfährt. Nachdem
B weggefahren ist, nimmt X die Kreditkarte an sich.
Daraufhin will X mit der Kreditkarte einkaufen. Im Kaufhaus hat er
kein Glück. Die Kassiererin glaubt ihm nicht, dass die Karte von sei-
ner Mutter stammt und er diese Karte verwenden darf.
Als X sein Auto aus der Parkgarage holt, kann er zumindest die Park-
GEB¿HRÏÏãÏMITÏDERÏ+ARTEÏBEZAHLENÏ%RÏSCHIEBTÏDIEÏ+REDITKARTEÏ
in den Automaten und ohne weiteres – es kommt zu einem elektro-
nischen Ablesen der Daten vom Magnetstreifen, eine Code-Eingabe
ist nicht erforderlich – wird sein Parkticket eingelöst. Dann wirft er
die Kreditkarte in einen Müllcontainer.

Hat sich X strafbar gemacht?

Lösung

1.a) X könnte eine Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e
Abs 1 1. Fall StGB)
begangen haben:

Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB).

3IEÏ ISTÏ PERSONENBEZOGENÏ LÇSSTÏ ALSÏ !USSTELLERÏ DIEÏ +REDITKARTENlRMAÏ ER-

43

B/S

BT I § 165, 165a Rz 4, 11.

Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“

background image

18

kennen, ist durch Unterschrift vor Missbrauch geschützt und hat im
Rechtsverkehr bargeldvertretende Funktion bzw dient der Ausgabe von
Bargeld. Fraglich ist, ob sich X die Kreditkarte verschafft. Das „Sich-Ver-
schaffen“ muss auf rechtswidrige Weise durch Wegnehmen, Abnötigen
oder Herauslocken erfolgen.

44

X wartet, bis B mit dem Bus davonfährt.

Damit hat sie den Gewahrsam über die Kreditkarte verloren und X hat
die Karte nicht weggenommen, sondern gefunden. Daher hat X durch
das Einstecken der Karte keine Entfremdung unbarer Zahlungsmittel
(§ 241e Abs 1 1. Fall StGB) begangen.

Nach aM ist jedes faktische „An-sich-Nehmen“ der Kreditkarte als ein

„Sich-Verschaffen“ zu verstehen. Damit wäre auch das Einstecken der ge-
fundenen Karte tatbildlich und strafbar. Da X offensichtlich auch vorhat,
sich durch die Verwendung der Karte im Rechtsverkehr unrechtmäßig
zu bereichern, haftet X nach dieser Auffassung nach § 241e Abs 1 1. Fall
StGB.

45

b) Eine Fundunterschlagung (§ 134 Abs 1 1. Fall StGB) kommt nicht
in Frage, weil die Kreditkarte kein Wertträger ist und daher nicht unter-
schlagen werden kann.

46

2.a) X könnte einen versuchten Betrug (§§ 15, 146 StGB) begangen
haben:

X behauptet vor der Verkäuferin im Geschäft, dass die Karte von

seiner Mutter sei und dass er die Karte benützen dürfe. Da sich die
Kassiererin von dieser Behauptung nicht täuschen lässt, setzt sie keine
schädigende Handlung und der Erfolg tritt nicht ein. Daher ist ein Ver-
such zu prüfen.

X handelt mit vollem Tatentschluss, ihm kommt es darauf an (§ 5

Abs 2 StGB), die Kassiererin durch die falsche Behauptung zur Ausgabe
von Waren zu verleiten und damit einen Dritten (die Kreditkarteninha-
BERINÏODERÏDIEÏ+REDITKARTENlRMAÏAMÏ6ERM–GENÏZUÏSCHÇDIGENÏ$URCHÏDIEÏ
Täuschung tätigt X eine Ausführungshandlung.

Fraglich ist, ob dieser Versuch ein absolut untauglicher Versuch (§ 15

Abs 3 StGB) ist: Es muss geprüft werden, ob es für einen die Tat be-
gleitenden Beobachter, der den Tatplan des X kennt, denkunmöglich
erscheint, dass X auf Grund der Behauptung, die Karte gehöre seiner
Mutter und er dürfe sie verwenden, mit dieser Karte bezahlen könnte.

47

Auch wenn üblicherweise eine Kreditkarte nicht weitergegeben werden
darf, damit ein anderer sie verwendet, ist es nicht denkunmöglich, dass

44

B/S

BT II § 241e Rz 3.

45

K/Schm

StudB III § 241e Rz 11 mwN.

46

B/S

BT I § 134 Rz 1.

47

K/H

AT Z 24 Rz 12f, 17a.

I. Flora

background image

19

X mit dieser Kreditkarte einkaufen kann. Der Versuch ist damit als taug-
lich zu beurteilen.

48

Der Versuch des X ist fehlgeschlagen. Mit der Weigerung der Kas-

siererin, die Kreditkarte zu akzeptieren, erkennt X, dass er sein Ziel,
nämlich mit dieser Karte die Waren zu bezahlen, nicht mehr erreichen
kann.

49

Dazu müsste er einen neuen Versuch in einem anderen Geschäft

starten.

b) Die Kreditkarte wurde nicht iSd § 241e Abs 1 StGB entfremdet; daher
liegt kein schwerer Betrug (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB) vor. Zur Unterdrü-
ckung der Kreditkarte s unten 4.

Nach aM hätte X die Kreditkarte entfremdet und dann diese entfrem-

dete Kreditkarte zur Täuschung verwendet. Damit wäre der Täter nach
§§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB strafbar. § 241e Abs 1 StGB tritt dann hin-
ter dem schweren Betrug zurück.

50

3. X könnte einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch
(§ 148a Abs 1 StGB)
begangen haben:

Durch das Einschieben der Karte in den Parkautomaten werden Da-

TENÏ EINGELESENÏ DIEÏ SICHÏ AMÏ -AGNETSTREIFENÏ DERÏ +ARTEÏ BElNDENÏ $AMITÏ
wird ein Datenverarbeitungsvorgang ausgelöst, der zur Abbuchung von
ÏãÏVOMÏ+REDITKARTENKONTOÏDERÏ"ÏUNDÏSOMITÏZUÏEINEMÏ3CHADENÏBEIÏ
einem Dritten führt. Den Schaden führt X auch absichtlich (§ 5 Abs 2
StGB) herbei, um sich durch die ersparten Parkgebühren unrechtmäßig
zu bereichern.

4. X könnte eine Unterdrückung eines unbaren Zahlungsmittels
(§ 241e Abs 3 StGB)
begangen haben:

Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel, über das X nicht ver-

fügen darf. Unterdrücken heißt, den Berechtigten an der (weiteren) Ver-
wendung der Karte zu hindern.

51

Mit der (versuchten) Verwendung zeigt

der Täter zwar, dass er die Karte nicht an den Berechtigten zurückgelan-
gen lassen will. Die Verwendung der Kreditkarte durch X verschlechtert
aber die Position des Berechtigten nicht.

So könnte X die Kreditkarte allenfalls durch das Wegwerfen unter-

drücken (§ 241e Abs 3 StGB), weil die Rückerlangung an den Berech-
tigten dadurch sehr unwahrscheinlich wird.

52

48

Auch nach Fuchs’ Lehre von der objektiven Untauglichkeit käme man zu einem taug-

lichen Versuch: Fuchs AT 30. Kap Rz 28f.

49

Fuchs

AT I 31. Kap Rz 22, K/H AT Z 23 Rz 20.

50

K/Schm

StudB III § 241e Rz 42.

51

B/S

BT II § 229 Rz 2

52

B/S

BT II § 229 Rz 2.

Fall 6: „Pech an der Bushaltestelle“

background image

20

Man könnte aber auch die Meinung vertreten, dass Tatobjekte, an

denen der Berechtigte keinen Gewahrsam mehr hat, überhaupt nicht un-
terdrückt werden können, weil sie der Berechtigte ohnehin nicht mehr
gebrauchen kann. Dann könnte man das Wegwerfen jedoch als Beschä-
digung
oder Zerstörung werten, und X beginge dadurch eine Unter-
drückung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB.

Auf der inneren Tatseite muss X den Vorsatz haben, dass das un-

bare Zahlungsmittel unterdrückt (beschädigt oder zerstört) wird. Das ist
anzunehmen, weil der Müll üblicherweise verbrannt, zerkleinert oder
deponiert wird.

Ergebnis: X ist nach §§ 15, 146 StGB, § 148a StGB und § 241e Abs 3

StGB strafbar.

Fall 7: „Der falsche Klosterbruder“

X, nach dem in Deutschland wegen diverser Delikte gefahndet wird,
bewirbt sich in einem Kloster in Tirol als Ordensanwärter und wird
dort aufgenommen. Als Pförtner des Klosters nimmt er Spenden an
das Kloster und Geld für Messen entgegen und wirtschaftet davon
ÏãÏINÏDIEÏEIGENEÏ4ASCHEÏ
Einmal pro Woche muss er zum Metzger Fleisch fürs Kloster einkau-
fen gehen. Dabei kauft er für sich, ohne dass es ihm die Klosterlei-
tung erlaubt hätte, immer auch eine Leberkässemmel auf Rechnung
des Klosters. Bei der Jahresabrechnung – das Kloster schreibt beim
Metzger an – wird dies von der Klosterleitung entdeckt (Schaden
ÏãÏ8ÏWIRDÏDESÏ+LOSTERSÏVERWIESEN

Hat sich X strafbar gemacht?

Lösung

1.a) X könnte sich wegen Veruntreuung (§ 133 StGB) strafbar gemacht
haben: Die Spenden- und Messgelder werden dem X von den Spendern
ins Alleingewahrsam übergeben, damit er sie an die im Kloster zuständi-
GEÏ3TELLEÏWEITERLEITETÏ$IEÏÍBERGABEÏERFOLGTÏMITÏDERÏ6ERPmICHTUNGÏGENAUÏ
diese Gelder an das Kloster weiterzugeben. Damit sind sie ihm anver-
traut.

53

53

B/S

BT I § 133 Rz 7.

I. Flora

background image

21

X leitet das Geld nicht weiter, sondern „wirtschaftet in die eigene

4ASCHEhÏ%SÏISTÏANZUNEHMENÏDASSÏ8ÏDIEÏÏãÏF¿RÏSICHÏVERWENDETÏSIEÏ
ausgegeben hat; damit hat er sich das Geld auch zugeeignet.

54

Auf der inneren Tatseite muss X den Vorsatz haben, durch Zueig-

nung des Geldes sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern.
Da X weiß, dass er das Geld an das Kloster weiterleiten müsste, es aber
trotzdem nicht tut und es für sich selbst verwendet, kann angenommen
werden, dass X absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) handelt.

Die Schäden aus den Veruntreuungen, die X im Laufe der Zeit begeht,

werden nach § 29 StGB zusammengerechnet. Da der Gesamtschaden
ÏãÏ¿BERSTEIGTÏHAFTETÏERÏNACHϧ 133 Abs 2 1. Fall StGB. Ob X die
Höhe des Gesamtschadens kennt oder sich darüber gar keine Gedanken
gemacht hat, ist unerheblich.

b) Ein Betrug (§ 146 StGB) am Kloster oder an den Spendern kommt
nicht in Frage:

X hat sich zwar die Anstellung als Pförtner im Kloster unter Vorspie-

gelung falscher Behauptungen erschlichen, aber er hat damit die Kloster-
gemeinschaft nicht zu einer selbstschädigenden Handlung verleitet. Zum
Schaden kommt es nicht durch die Anstellung im Kloster, sondern erst
durch seine Zueignungshandlungen.

55

Ein Betrug an den Spendern scheitert an der fehlenden Täuschung.

X hat die Spender nicht durch eine Täuschung verleitet, diese Spenden-
oder Messgelder zu geben, und er war auch dazu berechtigt, die Gelder
anzunehmen.

2. X könnte eine Untreue (§ 153 StGB) begangen haben:

X hat die Befugnis, rechtsgeschäftlich über fremdes Vermögen zu

verfügen. Er hat die rechtgeschäftliche Vollmacht, im Namen des Klosters
beim Metzger Fleisch einzukaufen und damit das Kloster gegenüber dem
-ETZGERÏZURÏ:AHLUNGÏDESÏ+AUFPREISESÏZUÏVERPmICHTENÏ%RÏMISSBRAUCHTÏSEI-
ne Vollmacht, indem er auf Kosten des Klosters auch Leberkässemmeln
kauft, die er nicht hätte kaufen dürfen. Damit nimmt X als Vollmachts-
inhaber eine Handlung vor, die er im Innenverhältnis nicht vornehmen
dürfte.

56

Mit diesen Käufen führt er einen Schaden im Vermögen des

+LOSTERSÏHERBEIÏDAÏDASÏ+LOSTERÏDEMÏ-ETZGERÏDIEÏÏãÏBEZAHLENÏMUSS

Auf der inneren Tatseite muss X wissentlich handeln. X weiß, dass

es ihm nicht erlaubt ist, für sich persönlich Leberkässemmeln zu kaufen.
-ITÏDEMÏ3CHADENÏF¿RÏDASÏ+LOSTERÏlNDETÏERÏSICHÏZUMINDESTÏABÏeÏÏ!BSÏÏ
StGB).

54

B/S

BT I § 133 Rz 13.

55

B/S

BT I § 146 Rz 18.

56

B/S

BT I § 153 Rz 4.

Fall 7: „Der falsche Klosterbruder“

background image

22

Ergebnis: X hat sich wegen Veruntreuung (§ 133 Abs 2 1. Fall StGB)

und Untreue (§ 153 StGB) strafbar gemacht.

Fall 8: „Die Polizeikontrolle“

X fährt auf der Ennstaler Bundesstraße. Schon aus einiger Entfernung
sieht er den Polizisten P mit der Haltekelle winken. P geht mit der
Haltekelle in die Fahrbahnmitte und gibt dem X das Zeichen anzu-
halten. X verlangsamt das Tempo und blinkt nach rechts. Plötzlich
fällt X ein, dass er vor der Fahrt einige große Bier getrunken hat. Aus
Angst vor einem Alkotest reißt er sein Fahrzeug nach links, um an
P vorbeizufahren, und fährt mit voller Geschwindigkeit weiter. Aus
Schreck macht P einen Satz nach rückwärts und verstaucht sich dabei
den Knöchel.
Die Kollegen von P nehmen die Verfolgung des X auf und können
ihn bei der nächsten Ampel stellen. Der durchgeführte Alkotest er-
gibt, dass X betrunken ist. Als die Polizisten seine Daten aufnehmen,
fragt X die Polizisten grantig, „ob das denn wirklich sein müsse?“. Die
"EAMTENÏNEHMENÏIHMÏDENÏ&¿HRERSCHEINÏVORLÇUlGÏABÏUNDÏERSTATTENÏ
Anzeige.

Hat sich X strafbar gemacht?

Lösung

1. X könnte sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269
StGB)
strafbar gemacht haben:

Die Polizisten wollen bei X eine Fahrzeugkontrolle durchführen. Die

Polizisten sind Beamte und die Fahrzeugkontrolle ist eine Amthandlung.

57

Die Polizisten üben als Hoheitsorgane Befehls- und Zwangsgewalt aus
(§ 269 Abs 3 StGB). X könnte gegenüber dem P versuchte Gewalt ange-
wendet haben, wenn er den Vorsatz hat, auf den Körper des Beamten
einzuwirken.

58

X will an dem Polizisten aber mit Vollgas vorbeifahren.

Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er gegen den Polizisten
Gewalt anwenden wollte. Das wäre nur dann der Fall, wenn es nur mehr
von der Geistesgegenwart des P abhängig gewesen wäre, dass er vom
Auto des X nicht erwischt wird.

59

57

B/S

BT II § 302 Rz 1.

58

B/S

BT II § 269 Rz 5. Das Zufahren auf eine Person kann auch als gefährliche Drohung

gewertet werden: B/S BT I § 105 Rz 7.

59

B/S

BT II § 269 Rz 5, 9.

I. Flora

background image

23

2.a) X könnte eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 StGB) began-
gen haben:

Der verstauchte Knöchel des P ist schmerzhaft und daher mehr als

eine nur unerhebliche Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit.
Das Verhalten des X ist auch objektiv sorgfaltswidrig, weil der maßge-
rechte Autofahrer natürlich nicht so an einem anderen Menschen vor-
beifährt, dass dieser glaubt, sich vor dem Auto retten zu müssen. Das
Verhalten des X war kausal für die Körperverletzung des P. Gründe, die
den Risikozusammenhang ausschließen würden, sind nicht ersichtlich.
$IEÏ 0mICHTÏ VONÏ ANDERENÏ 6ERKEHRSTEILNEHMERNÏ !BSTANDÏ ZUÏ HALTENÏ SOLLÏ
auch Unfälle wie den eingetretenen verhindern.

60

Auch an der subjek-

tiven Zurechnung ist nicht zu zweifeln.

61

c) X könnte die fahrlässige Körperverletzung unter besonders gefähr-
lichen Verhältnissen (§ 88 Abs 1, Abs 3 StGB)
begangen haben:

Besonders gefährliche Verhältnisse nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB liegen

vor, wenn das knappe Vorbeifahren an dem P einen Unfall mit schweren
Folgen außerordentlich wahrscheinlich machte. Würde X auf den P mit
Vollgas zufahren, könnte dies besonders gefährliche Verhältnisse begrün-
den.

62

Da X aber auf den Beamten nicht zufährt, sondern anscheinend

mit ausreichendem Abstand an ihm vorbeifährt will, ist ein Unfall mit
schweren Folgen nicht außerordentlich wahrscheinlich.

3. X könnte versucht haben, die Beamten zu einem Amtsmissbrauch
durch Unterlassen (§§ 2, 302 StGB) zu bestimmen (§ 12 2. Fall)
:
a) Hätten die Beamten von der Führerscheinabnahme und der Anzeige
abgesehen, dann könnten sie einen Amtsmissbrauch durch Unterlas-
sen (§§ 2, 302 StGB)
begangen haben:

Die Polizisten, die bei X die Alkoholkontrolle durchführen, sind Be-

AMTEÏ DIEÏ AUFÏ 'RUNDÏ DESÏ POSITIVENÏ !LKOTESTSÏ VERPmICHTETÏ SINDÏ DEMÏ 8Ï
NACHÏ eÏ Ï &3'Ï DENÏ &¿HRERSCHEINÏ VORLÇUlGÏ ABZUNEHMENÏ UNDÏ IHNÏ NACHÏ
§ 99 Abs 1 lit a StVO anzuzeigen.

63

Beamte, die von der Abnahme des

Führerscheins und der Anzeige absehen, missbrauchen ihre Befugnis.
3IEÏW¿RDENÏESÏPmICHTWIDRIGÏUNTERLASSENÏEINEÏ:WANGSMA’NAHMEÏIMÏ.A-
men des Bundes und in Vollziehung der Gesetze vorzunehmen. Und sie
würden den Hoheitsakt des Beamten verhindern, der für den Entscheid
im Verwaltungsstrafverfahren zuständig ist.

64

60

B/S

BT I § 80 Rz 9.

61

Zur subjektiven Zurechnung bei betrunkenen Autofahrern vgl Fall 2 1.a).

62

K/Schr

BT I § 81 Rz 20.

63

B/S

BT II § 302 Rz 5.

64

B/S

BT II § 302 Rz 10.

Fall 8: „Die Polizeikontrolle“

background image

24

Damit hätten die Beamten einen Amtsmissbrauch durch Unterlas-

sen (§§ 2, 302 StGB) zu verantworten. Polizisten sind Garanten für die
6ERFOLGUNGÏVONÏ3TRAFTÇTERNÏUNDÏDAMITÏF¿RÏEINEÏVORLÇUlGEÏ!BNAHMEÏDESÏ
Führerscheins und die Anzeige nach der StVO.

65

Wenn sie die Abnahme

und die Anzeige in der Absicht unterlassen, dem X die Verwaltungsstrafe
zu ersparen, dann wäre ihr Unterlassen einem Tun auch gleichwertig.

66

Auf der inneren Tatseite müssten die Beamten wissentlich hinsichtlich
des Befugnismissbrauchs handeln. An diesem Wissen ist laut Sachverhalt
nicht zu zweifeln. X hat den Alkotest nicht „bestanden“ und damit die
Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs 1 lit a StVO wirklich begangen.
Daher hätten die Beamten auch den entsprechenden Schädigungsvorsatz
gehabt.

67

b) Die Beamten haben sich jedoch durch die Frage des X nicht beirren
lassen. Daher ist für X die versuchte Bestimmung zum Amtsmiss-
brauch (§§ 15, 12 2. Fall, 302 StGB)
zu prüfen:

Eine Bestimmungshandlung liegt vor, wenn der Bestimmungstäter den

unmittelbaren Täter vorsätzlich zur Ausführung einer strafbaren Hand-
lung – hier den Amtsmissbrauch durch Unterlassen – veranlasst.

68

Da

sich die Beamten aber nicht anstiften lassen (missglückte Bestimmung)

69

,

ist zu überlegen, ob eine versuchte Bestimmung vorliegt.

Bei der versuchten Bestimmung setzt der Bestimmungstäter die Aus-

führungshandlung, indem er die Bestimmungshandlung vornimmt.

70

Eine

Bestimmungshandlung zu einem Amtsmissbrauch durch Unterlassen
wäre zB anzunehmen, wenn der Täter die Beamten bittet oder auffor-
dert, ihn nicht anzuzeigen.

71

Aus der Frage des X, „ob das denn wirklich

alles sein müsse?“ lässt sich eine solche Bitte oder eine Aufforderung, die
Amtshandlungen zu unterlassen, aber nicht ableiten. X hat daher keine
versuchte Bestimmung unternommen.

Anders beurteilt die Rsp diese Frage. In der E 12 Os 170/98 wurde eine

Bestimmungshandlung angenommen, obwohl die Beschwerdeführerin
die Beamten gar nicht explizit gebeten hatte, die Anzeige zu unterlassen.
Der OGH ging davon aus, dass die Annahme, das Gespräch mit den Be-
amten habe nur als Intervention verstanden werden können, auf einer
„denkgesetzmäßigen Basis“ beruhe.

65

B/S

BT II § 302 Rz 13.

66

B/S

BT II § 302 Rz 16.

67

B/S

BT II § 302 Rz 25.

68

Seiler

AT I Rz 765.

69

Fuchs

AT I 34. Kap Rz 31.

70

Fuchs

AT I 34. Kap Rz 34.

71

K/H

AT E 4 Rz 10.

I. Flora

background image

25

Wenn man eine Bestimmungshandlung annimmt, dann müsste der

Bestimmungstäter auf der inneren Tatseite den Vorsatz haben, die Be-
amten von der Führerscheinabnahme und der Anzeige abzuhalten. Dar-
über hinaus muss er wissen, dass das Unterlassen der Beamten rechtlich
nicht vertretbar ist, und er muss es zumindest ernsthaft für möglich hal-
TENÏUNDÏSICHÏDAMITÏABlNDENÏDASSÏAUCHÏDIEÏ0OLIZISTENÏDASÏWISSEN

72

Fraglich ist aber bei einem solchen Sachverhalt, ob der Täter den

Vorsatz hat, den Staat an seinen Hoheitsrechten zu schädigen. X
weiß zwar, dass er gegen die StVO verstoßen hat, aber der Versuch, die
eigene Bestrafung zu verhindern, gehört zu seinen Verteidigungsrechten.
Die Verhinderung der eigenen Bestrafung ist kein Schaden für den Staat.
Strafbar kann er sich aber machen, wenn er einen Beamten zB besticht
(§ 307 Abs 1 Z 1 StGB) oder jemanden verleumdet (§ 297 StGB).

73

Nach der Rsp ist ein betrunkener Autofahrer, der den Polizisten bittet

oder auffordert, ihn laufen zu lassen und nicht anzuzeigen, ebenso we-
gen Bestimmung zum Amtsmissbrauch strafbar wie der Autofahrer, der
den Beamten dafür Geld anbietet.

74

Ergebnis: X hat nur eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1

StGB) begangen.

72

B/S

BT II § 302 Rz 29.

73

B/S

BT II § 302 Rz 27.

74

B/S

BT II § 302 Rz 27.

Fall 8: „Die Polizeikontrolle“

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27

II. MURSCHETZ

Fall 1: „Das leere Bierglas“

In einem Lokal kommt es zu einem Streit zwischen dem 17-jährigen
X und dem 14-jährigen Y. Im Zuge eines heftigen Wortgefechts ver-
setzt Y dem X einen Stoß gegen die Brust, sodass dieser auf eine
Sitzbank zurückfällt. Damit Y gar nicht erst auf die Idee kommt,
nochmals zuzustoßen, nimmt X ein leeres Bierglas und schlägt es sei-
nem Angreifer gegen den Oberkörper. Durch die Wucht des Schlages
zerbricht aber das Glas und eine Scherbe dringt dem Y genau in die
Halsschlagader, was zur Folge hat, dass Y innerhalb weniger Minuten
verblutet. (Kurier vom 21.9.98)

Hat sich X strafbar gemacht?

Lösung

1. X könnte eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83,
86 StGB)
begangen haben:

Der Schnitt mit der Glasscherbe verursacht bei Y eine stark blutende

Wunde. Die Wunde ist eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung
der körperlichen Unversehrtheit, weil sie Schmerzen bereitet und eine
medizinische Behandlung notwendig ist.

1

Zu prüfen ist, ob X mit Miss-

handlungs- oder Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB) gehan-
delt hat. Dass er das Zerspringen des Glases und damit eine Verletzung
des Y für möglich gehalten und sich damit auch abgefunden hat, ist
mehr als zweifelhaft. Einen Denkzettel wollte er Y aber jedenfalls verpas-
sen und ihm weh tun, weshalb Misshandlungsvorsatz gegeben ist.

Die Körperverletzung hat den Tod des Y zur Folge. X handelt dies-

bezüglich fahrlässig: Der Verstoß gegen § 83 Abs 2 StGB indiziert die
objektive Sorgfaltswidrigkeit. Der Schlag des X war für den Tod kausal

1

B/S

BT I § 83 Rz 1.

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28

und an der objektiven Zurechnung der Todesfolge besteht kein Zweifel:
Die Folge liegt nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung und
auch der Risikozusammenhang besteht. Man soll Gläser nicht mit Wucht
auf den Körper anderer schlagen, weil sie brechen und in der Folge den
Tod des Opfers verursachen können.

2. X könnte auch eine absichtliche schwere Körperverletzung mit töd-
lichem Ausgang (§ 87 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB) begangen haben:

In diesem Fall müsste es X darauf angekommen sein (§ 5 Abs 2 StGB),

dem Y mit dem Bierglas eine an sich schwere, also lebensgefährliche

2

Verletzung zuzufügen oder zumindest eine Verletzung, die diesen über
24 Tage an der Gesundheit schädigt. Da er nicht einmal einen Verlet-
zungsvorsatz hatte, kann ihm eine solche Absicht nicht unterstellt wer-
den.

3. X könnte in Notwehr (§ 3 StGB) gehandelt haben, da Y ihm einen
Stoß versetzt hatte.

Hier ist zunächst fraglich, ob dieser Stoß einen Angriff auf ein not-

wehrfähiges Rechtsgut darstellt, denn der Stoß ist eine Misshandlung.
Misshandlungen ohne Verletzungsfolgen zählen gem § 115 StGB zu den
Ehrverletzungen.

3

Durch eine bloße Misshandlung wird daher kein not-

wehrfähiges Rechtsgut verletzt. Hier kann auch nicht argumentiert wer-
den, dass bei einer ex-ante-Beurteilung des Sachverhaltes eine Körper-
verletzung und damit ein rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges
Rechtsgut drohte. Offensichtlich war der Stoß gegen die Brust als solcher
geplant und ausgeführt worden. Sollte X geglaubt haben, dass der Stoß
eine Körperverletzung befürchten ließ, so kommt Putativnotwehr den-
noch nicht in Betracht, da der Angriff des Y bereits abgeschlossen war.

In Frage käme daher höchstens ein indirekter Verbotsirrtum gem § 9

StGB, wenn X glaubte, er dürfe sich auch vorbeugend wehren. Dieser
wird dem 17-Jährigen aber vorwerfbar sein, da das Unrecht für den Täter
wie für jedermann leicht erkennbar war.

Ergebnis: X hat eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83

Abs 2, 86 StGB) begangen.

2

B/S

BT I § 84 Rz 4. Die Rsp verlangt keine lebensgefährliche Verletzung, sondern eine

Verletzung oder Gesundheitsschädigung, durch die wichtige Organe oder Körperteile be-
einträchtigt werden oder bei der der Heilungsverlauf ungewiss ist bzw weitere gesundheitli-
che Folgen zu erwarten sind

: s K/Schr BT I § 84 Rz 12.

3

Fuchs

AT I 17. Kap Rz 23.

II. Murschetz

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29

Fall 2: „Eine unangenehme Auseinandersetzung“

A gerät in eine Auseinandersetzung mit C, er schlägt auf ihn ein. C
fällt zu Boden, seine Brieftasche liegt auf der Straße. A bückt sich,
HEBTÏSIEÏAUFÏUNDÏLÇUFTÏWEGÏ%RÏlNDETÏINÏDERÏ"RIEFTASCHEÏÏãÏUNDÏ
EINEÏ"ANKOMATKARTEÏ$IEÏÏãÏSTECKTÏERÏINÏSEINEÏEIGENEÏ'ELDTASCHEÏ
mit der Bankomatkarte geht er zu B und fragt ihn, ob er es riskieren
solle, damit abzuheben. „Wirf sie weg“, rät B, „wenn du damit ab-
hebst, wirst du Schwierigkeiten bekommen“. So wirft A die Banko-
matkarte in den Müllkübel.

Haben A und B sich strafbar gemacht?

Lösung

1.a) A könnte eine Körperverletzung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2
StGB
begangen haben.

Der Sachverhalt nennt die Folgen der Tat jedoch nicht. Daher ist da-

von auszugehen, dass keine Verletzungsfolgen eingetreten sind. Damit
käme nur mehr eine versuchte Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB
in Betracht, wenn A mit Verletzungsvorsatz auf C eingeschlagen hat.
Eine versuchte Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB gibt es nicht.
Es könnte höchstens eine Bewusstlosigkeit des C angenommen werden
(eine Verletzung iSd § 83 StGB), da A die auf der Straße liegende Geldta-
sche – offensichtlich ohne Probleme – wegnehmen kann.

4

b) Ein Raub gem § 142 StGB ist nicht anzunehmen, da der Sachverhalt
nicht erkennen lässt, dass A den C schlug, um ihm die Geldtasche weg-
nehmen zu können. Vielmehr ist anzunehmen, dass eine Auseinander-
setzung stattfand und A erst später, als sich ihm die Gelegenheit bot, die
Geldtasche aufhob.

2. Zu prüfen ist ein Diebstahl nach § 127 StGB

ÏANÏÏã

Das Geld stellt eine fremde – da im Eigentum des C stehende – be-

wegliche Sache dar. Da sie neben C am Boden liegt, steht sie zumindest
in dessen Mitgewahrsam. A hat mit dem Weglaufen Alleingewahrsam am
Geld erlangt, der Diebstahl ist damit vollendet. Es kam ihm geradezu
darauf an, durch die Wegnahme an das Geld zu kommen sowie dieses
zu verwenden und dessen Wert in sein Vermögen überzuführen (Zueig-
nungs- und unrechtmäßiger Bereicherungsvorsatz).

4

B/S

BT I § 83 Rz 2.

Fall 2: „Eine unangenehme Auseinandersetzung“

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30

Der Diebstahl ist nach § 128 Abs 1 Z 1 StGB als Bedrängnisdiebstahl

QUALIlZIERTÏWENNÏSICHÏ#ÏINÏEINERÏHILmOSENÏ,AGEÏBEFANDÏUNDÏ!ÏDIESEÏVOR-
SÇTZLICHÏ AUSNUTZTEÏ 6ONÏ EINERÏ HILmOSENÏ ,AGEÏ ISTÏ AUSZUGEHENÏ WENNÏ DERÏ
Betroffene sich gegen den Angriff nicht oder nur schwer zur Wehr setzen
kann. Dies wäre der Fall, wenn C bewusstlos oder zumindest benommen
und desorientiert war.

3. Wenn A bereits zum Zeitpunkt der Wegnahme entschlossen war, das
Brauchbare aus der Geldtasche zu entnehmen und die Geldtasche weg-
zuwerfen, so begeht er an der Geldtasche eine dauernde Sachentzie-
hung gem § 135 StGB
, die aber als typische Begleittat zum Diebstahl
straffrei bleibt.

5

Abweichend davon nimmt die herrschende Lehre und

Rsp hier eine echte Konkurrenz an

. Hatte er jedoch zum Zeitpunkt der

Wegnahme den Vorsatz diese zu behalten, so begeht A auch an der
'ELDTASCHEÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ$IEBSTAHL

4.a) In Bezug auf die Bankomatkarte ist § 241e Abs 1 StGB zu prüfen.

Die Bankomatkarte stellt ein unbares Zahlungsmittel nach § 74 Abs 1

Z 10 StGB dar, da sie personenbezogen ist, die Bank als Aussteller erken-
nen lässt und durch einen Code vor Missbrauch geschützt ist. Sie hat bar-
geldvertretende Funktion und dient der Ausgabe von Bargeld. Fraglich
ist zunächst, ob A zum Zeitpunkt der Wegnahme bewusst war, dass sich
in der Geldtasche eine Bankomatkarte befand. Dies wird man ihm in der
heutigen Zeit wohl unterstellen können. Hatte er aber auch den Vorsatz,
diese Bankomatkarte zu verwenden? Wenn er sich bloß noch Tipps für
die beste Verwendung der Karte von B holen wollte, wäre der Verwen-
dungsvorsatz gegeben. Aber die Tatsache, dass er erst den B fragen
muss, ob er es riskieren solle, damit abzuheben, spricht eher dafür, dass
er die Verwendung zwar für möglich hielt, sich aber nicht damit abfand,
sondern ihren Einsatz von weiteren Erkundigungen abhängig machen
wollte. Diesfalls scheidet eine Strafbarkeit nach § 241e Abs 1 StGB aus.

b) Dann kommt eine Strafbarkeit nach § 241e Abs 3 StGB in Betracht.

Mit der Wegnahme der Geldtasche hat A dem C auch die Bankomat-

karte entzogen; in weiterer Folge wirft er sie in einen Müllkübel.

Bereits mit der Entziehung hat A das unbare Zahlungsmittel unter-

drückt, weil er damit den C an der Verwendung hindert.

6

Darauf richtet

sich auch A’s Vorsatz: Er wollte die Karte gewiss nicht an den Berech-
tigten zurückgelangen lassen.

5

B/S

BT I § 127 Rz 23.

6

B/S

BT II § 241e Rz 11, § 229 Rz 2.

II. Murschetz

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31

5. Die Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB kann
ausgeschlossen werden, da die Bankomatkarte noch nicht zur Verwen-
dung in einem Verfahren bestimmt ist. Die Beseitigung von Beweismit-
teln, bevor die Polizei Anhaltspunkte für die Tat oder das Vorhandensein
des Beweismittels hat, ist nicht strafbar.

7

Ergebnis: A ist wegen Diebstahls gem § 127 StGB, eventuell qua-

LIlZIERTÏ NACHÏ eÏ Ï !BSÏ Ï :Ï Ï 3T'"Ï UNDÏ WEGENÏ 5NTERDR¿CKUNGÏ EINESÏ
unbaren Zahlungsmittels gem § 241e Abs 3 StGB zu bestrafen. Die dau-
ernde Sachentziehung an der Geldtasche bleibt als typische Begleittat
ZUMÏ$IEBSTAHLÏSTRAmOS

Fall 3: „Tabledance mit Folgen“

Die beiden Frauen A und B arbeiten als Tabledancer in einem Nacht-
lokal in Innsbruck. Der Kunde X steckt ihnen viel Geld zu. Im spä-
teren Gespräch prahlt er mit seiner vollen Geldtasche. Daraufhin be-
schließen die beiden, dem X das Geld abzuknöpfen. Wie, wird nicht
näher besprochen. Beide gehen mit dem erfreuten Herrn X in dessen
Wohnung.
Zu Hause angekommen erleichtert sich X seines Sakkos und wirft es
aufs Bett. In einem unbeobachteten Moment entnimmt A der Innen-
tasche des Sakkos die Geldtasche und lässt sie in ihrer Handtasche
verschwinden. Weder B noch X haben diesen Vorgang bemerkt.
B verfolgt ganz andere Pläne. Sie schüttet dem X eine ordentliche
Portion Schlafmittel in dessen Sektglas. Als X 10 Minuten später in
Tiefschlaf verfällt, durchsucht die B seine Taschen und sein Sakko,
KANNÏABERÏKEINÏ'ELDÏlNDENÏ"ÏWEI’ÏDASSÏNURÏ!ÏALSÏ4ÇTERINÏINÏ&RAGEÏ
kommt. Sie stellt diese zur Rede. A leugnet. Daraufhin zieht B ein
Klappmesser und fordert A zur Herausgabe des Geldes auf. A über-
GIBTÏDERÏ"ÏDASÏGESAMTEÏ"ARGELDÏINÏDERÏ(–HEÏVONÏÏãÏDIEÏ'ELD-
tasche wirft sie auf den Boden.
8Ï WACHTÏ ERSTÏ Ï 3TUNDENÏ SPÇTERÏ AUFÏ UNDÏ lNDETÏ SEINEÏ LEEREÏ 'ELDTA-
sche.

Haben A und B sich strafbar gemacht?

7

B/S

BT II § 295 Rz 2.

Fall 3: „Tabledance mit Folgen“

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32

Lösung

1.a) A könnte am Geld einen Diebstahl gem § 127 StGB begangen
haben.

Das Geld ist eine fremde Sache, da es im Eigentum des X steht. Da

ESÏSICHÏINÏSEINEMÏ3AKKOÏBElNDETÏISTÏESÏINÏSEINEMÏ!LLEINGEWAHRSAMÏ-ITÏ
dem Einstecken in ihre Handtasche bricht A den fremden Gewahrsam
und erlangt Alleingewahrsam.

8

Mit dieser Wegnahme ist der Diebstahl

vollendet. A handelt absichtlich, es kommt ihr geradezu darauf an, das
Geld wegzunehmen, um es dann zu verwenden und den Wert in ihr
Vermögen zu überführen. Die spätere Herausgabe des Geldes an B ist
strafrechtlich nicht relevant.

b) An der Geldtasche hat A einen Diebstahl begangen, wenn sie zum
Zeitpunkt der Wegnahme den Vorsatz hatte, diese zu behalten bzw zu
verwenden. Mit der Wegnahme wäre der Diebstahl vollendet. Das spä-
tere Liegenlassen der Geldtasche ändert daran nichts. Hatte sie jedoch
den Vorsatz, in einer ruhigen Minute das Geld herauszunehmen und die
'ELDTASCHEÏWEGZUWERFENÏDANNÏLIEGTÏEINEÏnÏALSÏSTRAmOSEÏ"EGLEITTATÏNICHTÏ
gesondert strafbare – dauernde Sachentziehung gem § 135 StGB vor.

9

2.a) Hinsichtlich B ist zunächst versuchter Raub gem §§ 15, 142 Abs 1
StGB
zu prüfen.

Das Verabreichen eines Schlafmittels, welches zum Tiefschlaf des Tä-

ters führt, ist als Gewalt zu bewerten.

10

Es handelt sich um eine Einwir-

kung auf den Körper, die widerstandsunfähig macht.

11

Das Wegnehmen

oder Abnötigen des Geldes unterbleibt aber, da die Sakkotasche leer
ist.

Es ist daher Versuch zu prüfen. B handelt mit vollem Tatentschluss,

sie will das Geld unter Einsatz von Gewalt erlangen, es sich zueignen
und sich daran unrechtmäßig bereichern. Durch die Verabreichung des
Schlafmittels hat sie bereits eine Ausführungshandlung gesetzt. Der Ver-
such ist fehlgeschlagen, da sie erkennt, dass sie keine Möglichkeit mehr
hat, die Tat weiterzuführen.

Zudem ist die Tauglichkeit des Versuchs zu prüfen. Es handelt sich

hier um die Frage der Tauglichkeit des Objekts, da sich das Tatobjekt
'ELDTASCHEÏ NICHTÏ MEHRÏ IMÏ 3AKKOÏ DESÏ 8Ï BElNDETÏ :IEHTÏ MANÏ HIERÏ DIEÏ
objektive Theorie heran, so ist nach der vorzunehmenden ex-post-Beur-
teilung festzustellen, ob es sich um ein nicht existentes oder ein zufällig

8

B/S

BT I § 83 Rz 2.

9

B/S

BT I § 127 Rz 23, § 135 Rz 12.

10

EvBl 1997/15, 1978/117; B/S BT I § 105 Rz 5, K/Schr BT I § 105 Rz 16, L/St § 105 Rz 5.

11

B/S

BT I § 105 Rz 5 und 5.

II. Murschetz

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33

abwesendes Tatobjekt handelt.

12

Hier ist von letzterem auszugehen: Die

Tat scheiterte zufällig, da sich in dem leeren Sakko kurz zuvor Geld be-
fand. Der Versuch ist daher nur relativ untauglich und somit strafbar.

b) Die Betäubung des X stellt eine Freiheitsentziehung gem § 99
Abs 1 StGB
dar.

Dem Opfer wurde dadurch „auf andere Weise“ die persönliche Frei-

heit entzogen.

13

Da die Betäubung 10 Stunden andauerte, wurde die

Mindestdauer von 10 Minuten klar überschritten.

14

B handelte absicht-

lich, es kam ihr geradezu darauf an, den X außer Gefecht zu setzen. Da
die Freiheitsentziehung länger andauert als dies für die Begehung des
Raubes notwendig ist, steht sie zu § 142 StGB in echter Konkurrenz.

c) Nun zieht B ein Klappmesser und fordert das Geld von A. Wiederum
ist Raub gem § 142 Abs 1 StGB zu prüfen.

Das Vorhalten des Klappmessers ist als konkludente Drohung mit ge-

genwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu werten. Durch diese unmiss-
verständliche Geste droht sie, die A unverzüglich schwer zu verletzen.
$IEÏ$ROHUNGÏISTÏGEEIGNETÏDEMÏ/PFERÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISSEÏEINZUm–-
ßen. Die Herausgabe des Geldes stellt ein Abnötigen dar, mit Einstecken
des Geldes erlangt B Alleingewahrsam. B handelt absichtlich. Es kommt
ihr geradezu darauf an, durch die Drohung das Geld zu erlangen. Zueig-
nungs- und Bereicherungsvorsatz sind gegeben. Es handelt sich – trotz
des gleichen Tatvorsatzes (Geld des X) – um eine selbständig strafbare
Tat, weil sich das Raubopfer unterscheidet.

"ÏK–NNTEÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏUNTERÏ6ERWEN-

dung einer Waffe begangen haben. Fraglich ist, ob das Klappmesser
eine Waffe iSd § 1 WaffenG darstellt, dh ob es dazu bestimmt ist, andere
anzugreifen oder sich zu verteidigen. Da ein Klappmesser nicht alleine
zum Angriff bzw zur Verteidigung bestimmt ist, sondern auch andere
Funktionen hat, es also ein Messer ist, das sich aus praktischen Gründen
auseinanderklappen lässt, stellt es keine Waffe iSd § 143 StGB dar. Nach
der Rsp und einem Teil der Lehre hingegen fallen auch Gegenstände, die
keine Waffen nach dem WaffenG, aber diesen zumindest gleichwertig
sind, unter die Waffen des § 143 StGB.

15

Nach dieser Auffassung würde

auch die Verwendung des Klappmessers § 143 StGB erfüllen.

12

SSt 57/38; K/H AT Z 24 Rz 16; vgl auch Fuchs AT I 30. Kap Rz 37.

13

B/S

BT I § 99 Rz 3.

14

B/S

BT I § 99 Rz 6. Die hL und Rsp lässt hier auch kürzere Zeitspannen gelten (JBl

1982, 269; K/Schr BT I § 99 Rz 10 und 15ff).

15

S die Nachweise bei B/S BT I § 143 Rz 4.

Fall 3: „Tabledance mit Folgen“

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34

3. Da A und B, als sie mit X nach Hause gehen, um ihm sein Geld ab-
zuknöpfen, noch keinen genauen Tatplan gefasst hatten, liegt zu diesem
Zeitpunkt noch kein Versuch eines Delikts vor. Auch ein Raubkomplott
nach § 277 StGB wurde aus diesem Grund nicht verwirklicht. Dafür hät-
ten sie sich über die Art der Tatbegehung und ihres Zusammenwirkens
einig sein müssen. Der spätere Ablauf zeigt, dass dies gerade nicht der
Fall war.

Ergebnis: A hat am Geld einen Diebstahl nach § 127 StGB begangen.

Hinsichtlich der Geldtasche ist sie je nach Vorsatz zum Zeitpunkt der
Wegnahme wegen des Diebstahls oder der als typische Begleittat straf-
freien dauernden Sachentziehung gem § 135 StGB zu bestrafen.

B ist wegen des versuchten Raubes gem §§ 15, 142 Abs 1 StGB und

der Freiheitsentziehung gem § 99 StGB, beides begangen an C, zu be-
strafen. Zudem hat sie einen vollendeten Raub nach § 142 StGB an A
begangen.

Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“

A arbeitet als Mechanikerin für eine Autowerkstatt in Kufstein. Eines
Morgens wird ein fast neuer Audi Q7 zur Reparatur gebracht. A soll
die Arbeit erledigen. Nachdem sie das Auto repariert hat, unternimmt
sie damit die übliche Probefahrt.

Variante 1: A beschließt, den Nachmittag blau zu machen und mit
dem Auto auf Deutschlands Autobahnen zu fegen. Auf der Rückfahrt
kommt sie auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern und prallt rück-
wärts gegen die Leitplanken. Der Audi ist schwer beschädigt. Die
Kreditkarte, die sie in der Mittelkonsole entdeckt, nimmt sie mit. Das
Auto lässt sie stehen.

Variante 2: Während der Probefahrt trifft sie ihren Kollegen B, der sie
dazu überredet, ihm das Auto zu verkaufen. Dies macht sie auch.

Variante 3: Nach der üblichen Probefahrt stellt A das reparierte Auto
ZUR¿CKÏINÏDIEÏ7ERKSTÇTTEÏ$AÏ!ÏINÏlNANZIELLENÏ3CHWIERIGKEITENÏSTECKTÏ
beschließt sie später, den Wagen ihrem Kollegen C in Rosenheim zu
verkaufen, mit dem sie schon ein paar krumme Dinge gedreht hat.
Am Sonntag holt sie den Audi unbemerkt aus der Werkstatt und fährt
nach Rosenheim. Doch C ist für 3 Wochen verreist. Sie fährt zurück
und stellt das Auto wieder in die Werkstätte.

Haben sich A und B strafbar gemacht?

II. Murschetz

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35

Lösung

Variante 1:
a)
A könnte einen unbefugten Fahrzeuggebrauch gem § 136 StGB
begangen haben.

Sie nimmt das Fahrzeug in Gebrauch, indem sie es mit der Kraft des

Motors fährt. Zur üblichen Probefahrt ist sie als beauftragte Mechani-
kerin ermächtigt. Jedoch sind mehr als geringfügige Überschreitungen
nicht mehr von dieser Einwilligung gedeckt, worunter die mehrstündige
Spritztour auf deutschen Autobahnen zu subsumieren ist.

16

A handelt

vorsätzlich. Wenn sie es nicht sogar weiß, dann wird sie es zumindest für
M–GLICHÏHALTENÏUNDÏSICHÏDAMITÏABlNDENÏDASSÏDIEÏ3PRITZTOURÏNICHTÏERLAUBTÏ
ist und daher keine Einwilligung vorliegt.

!UFÏ'RUNDÏDESÏ3CHADENSÏAMÏ!UTOÏKOMMTÏEINEÏ1UALIlKATIONÏJEÏNACHÏ

Schadenssumme nach § 136 Abs 3 1. oder 2. Fall StGB zum Tragen.
$IESEÏ1UALIlKATIONÏWURDEÏFAHRLÇSSIGÏHERBEIGEF¿HRT

b) Eine dauernde Sachentziehung gem § 135 StGB hat A durch das
Abstellen am Straßenrand nicht verwirklicht, da sie den Audi nicht aus
dem Gewahrsam entzogen hat (er wurde ihr anvertraut).

17

Nach einem Teil der Lehre und der Rsp kann eine dauernde Sachent-

ziehung auch an Sachen begangen werden, die der Täter bereits inne
hat

.

18

Aber auch diesfalls ist die Strafbarkeit abzulehnen, da es am dau-

ernden Entzug fehlt: Auf Grund des Kennzeichens ist eine erfolgreiche
Fahndung in Deutschland und damit auch die Rückerlangung durch das
Opfer anzunehmen.

19

c) Die Kreditkarte stellt ein unbares Zahlungsmittel dar und ist als sol-
ches nicht Gegenstand der Veruntreuung. Vielmehr ist hier § 241e Abs 1
StGB
zu prüfen. Von einem widerrechtlichen Sich-Verschaffen ist hier
nicht auszugehen, da A das Auto samt Karte zur Probefahrt anvertraut
wird. Sie hat die Karte daher weder weggenommen noch abgenötigt
oder herausgelockt. Als sie die Karte später, wahrscheinlich mit Verwen-
dungsvorsatz, aus dem Auto nimmt, hat sie bereits Gewahrsam daran
und kann sie sich daher nicht mehr verschaffen, weshalb eine Strafbar-
keit nach § 241e Abs 1 StGB ausscheidet.

20

Nach den Gesetzesmaterialien

und einem Teil der Lehre hingegen ist bereits das bloße Behalten einer

16

K/Schm

StudB BT II § 136 Rz 24.

17

B/S

BT I § 135 Rz 3f und 10.

18

S die Nachweise bei Bertel WK

2

§ 135 Rz 3.

19

K/Schm

StudB BT II § 135 Rz 37 mit weiteren Judikaturnachweisen.

20

B/S

BT II § 241e Rz 3.

Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“

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36

anvertrauten Sache tatbestandsmäßig.

21

Andere verlangen eine Intensi-

vierung des Naheverhältnisses durch ein aktives Verhalten.

22

Die Mitnah-

me aus dem Auto könnte als ein solches, das Naheverhältnis zur und die
Verfügungsmöglichkeit über die Sache verstärkendes, aktives Tun beur-
teilt werden.

Das Entfernen aus dem Auto kann als Unterdrücken gem § 241e

Abs 3 StGB gewertet werden, weil sie dadurch verhindert, dass die Karte
an den Fahrzeugbesitzer zurückgelangt.

23

Variante 2:
a)
A könnte eine Veruntreuung nach § 133 StGB begangen haben.

Das Auto wurde ihr zur Probefahrt in den Alleingewahrsam überge-

BENÏ MITÏ DERÏ 6ERPmICHTUNGÏ ESÏ DANACHÏ ZUR¿CKZUGEBENÏ %SÏ ISTÏ DAHERÏ EINÏ
anvertrautes Gut. Der Verkauf an den B stellt die Zueignungshandlung
dar. Auf diese Tatbestandsmerkmale erstreckt sich der Vorsatz der A. Zu-
dem kommet es ihr darauf an, sich durch die Zueignung unrechtmäßig
zu bereichern.

$IEÏ4ATÏISTÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏDAÏDASÏ!UTOÏMEHRÏ

ALSÏÏãÏWERTÏISTÏ$IESENÏ7ERTÏKENNTÏ!

b) B hat A dazu überredet, ihm das Auto zu verkaufen. Im Sachverhalt
ist nicht angeführt, ob B wusste, dass sie bloß eine Probefahrt macht. Da
er aber ein Kollege ist, kann davon ausgegangen werden. B hat daher
den Vorsatz, A zum Verkauf des anvertrauten Autos zu bewegen. Dabei
hat er auch den Vorsatz sie und sich selbst unrechtmäßig zu bereichern.
Er ist daher als Bestimmungstäter nach §§ 12 2. Fall, 133 Abs 1, Abs 2
2. Fall StGB zu bestrafen. Da § 133 StGB ein Sonderdelikt darstellt, kann
nur A, der das Auto anvertraut wurde, unmittelbare Täterin sein.

Variante 3:
a)
A geht sonntags in die Werkstatt und holt den Wagen. Zu prüfen ist
Diebstahl gem § 127 StGB.

Der Wagen stellt eine fremde, bewegliche Sache dar, die sich nun

NICHTÏMEHRÏINÏIHREMÏ!LLEINGEWAHRSAMÏBElNDETÏ$ERÏ!UDIÏSTEHTÏIMÏ'E-
wahrsam des Werkstättenleiters. A bricht dessen Gewahrsam und be-
gründet mit dem Verlassen des Werkstättengeländes Alleingewahrsam
am Auto. Damit ist der Diebstahl vollendet. Sie hat den Vorsatz, den
Wagen wegzunehmen, um ihn sich zuzueignen und den Wert in ihr Ver-
mögen überzuführen.

21

S die Nachweise bei B/S BT II § 241e Rz 3 sowie bei K/Schm StudB BT III § 241e Rz 10.

22

K/Schm

StudB BT III § 241e Rz 10 und 16f.

23

B/S

BT II § 241e Rz 3, § 229 Rz 2.

II. Murschetz

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37

$AÏDERÏ7ERTÏDESÏ!UTOSÏÏãÏ¿BERSTEIGTÏISTÏDERÏDiebstahl nach

§ 128 Abs 2 StGB

Ï QUALIlZIERTÏ !LSÏ !UTOMECHANIKERINÏ WEI’Ï !Ï UMÏ DENÏ

Wert des Autos Bescheid.

b) A bringt den Wagen unverrichteter Dinge zurück. Sie könnte durch
tätige Reue gem § 167 StGB straffrei geworden sein.

Der Diebstahl ist ein reuefähiges Delikt. Sie hat den Wagen rechtzei-

tig, bevor die Behörde von ihrem Verschulden erfahren hat, zurückge-
bracht. Sie hat den ganzen Schaden gutgemacht. Der Benzinverbrauch
spielt dafür keine Rolle. Zudem muss A freiwillig gehandelt haben. Frei-
willigkeit liegt vor, wenn kein Zwang zur Schadensgutmachung bestand.
Dies ist gem § 167 StGB ausdrücklich auch dann noch gegeben, wenn
das Opfer den Täter dazu drängt. Ein äußerer Zwang, das Auto zurück-
zustellen, lag nicht vor.

24

A hatte die Möglichkeit, das Auto jemand ande-

rem zu verkaufen oder es irgendwo unterzustellen, und den Verkauf in
drei Wochen nochmals zu versuchen. Es ist daher von einer Rückgabe
ohne Zwang auszugehen. A wird durch tätige Reue straffrei.

c) Durch das Fahren des Autos nach Rosenheim nimmt sie das Auto
unbefugt in Gebrauch. Darauf erstreckt sich auch ihr Vorsatz. Dieser
unbefugte Gebrauch wird vom Diebstahl des Autos als typische Begleit-
tat konsumiert. Denn eine Wegnahme des Autos ist ohne unbefugten
Gebrauch kaum möglich. Da A hinsichtlich des Diebstahls tätige Reue
geübt hat, lebt die Strafbarkeit nach § 136 StGB wieder auf. Doch auch
diesfalls ist tätige Reue möglich:

25

Um straffrei zurückzutreten, müsste

sie auch den Verbrauch der Betriebsmittel ersetzen. Ein Teil der Lehre
geht hingegen davon aus, dass die Tätige Reue bei § 136 StGB nicht mög-
lich ist, da dieses Delikt nicht in § 167 StGB aufgezählt ist.

26

Ergebnis: A hat in Variante 1 einen unbefugten Gebrauch von Fahr-

zeugen je nach Schadenssumme gem § 136 Abs 1 und 3 1. oder 2. Fall
StGB begangen. Wegen der Mitnahme der Kreditkarte ist sie nach § 241e
Abs 3 StGB zu bestrafen.

In Variante 2 macht sich A wegen Veruntreuung des Autos gem § 133

Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB strafbar. B ist Bestimmungstäter zu diesem Delikt.

)NÏ6ARIANTEÏÏBEGEHTÏ!ÏEINENÏQUALIlZIERTENÏ$IEBSTAHLÏNACHÏeeÏÏÏ

Abs 2 StGB. Sie übt diesbezüglich aber tätige Reue nach § 167 StGB und
ist daher straffrei. Hinsichtlich des unbefugten Fahrzeuggebrauchs nach
eÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏDERÏDIESFALLSÏWIEDERÏAUmEBTÏWIRDÏSIEÏEBENFALLSÏDURCHÏ
tätige Reue straffrei, wenn sie die verbrauchten Betriebsmittel ersetzt.

24

Fuchs/Reindl

BT I 196.

25

B/S

BT I § 167 Rz 3.

26

S die Nachweise bei B/S BT I § 167 Rz 3.

Fall 4: „Troubles in der Autowerkstatt“

background image

38

Fall 5: „Der unterbrochene Fernsehabend“

A hat es sich für den Abend zu Hause vor dem Fernseher gemütlich
gemacht und bereits ein paar Flaschen Bier getrunken. Nun ruft ihn
seine Tochter an, die den letzten Bus versäumt hat, und bittet ihn,
sie aus dem 5 km entfernten Nachbarort abzuholen. A tut dies. Auf
der Rückfahrt sorgen Müdigkeit und Alkoholisierung dafür, dass er
unaufmerksam wird und an einer Kreuzung mit geringer Geschwin-
digkeit in das Auto des B kracht. Die Tochter bricht sich den kleinen
Zeh. B, der zunächst unverletzt geblieben ist, versucht nun die Un-
fallstelle zu sichern. Dabei wird er von einem nachfolgenden Fahr-
zeug gerammt. Er erleidet einen Oberschenkelhalsbruch. Die Polizei
stellt bei A einen Blutalkoholwert von 0,9 ‰ fest.

Hat A sich strafbar gemacht?

Lösung

1. Die Verletzung der Tochter:
a)
A könnte eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB
begangen haben. Der Bruch der Zehe ist eine Körperverletzung, da
er eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt, die
Schmerzen bereitet und eine Behandlung erforderlich macht. A handelte
sozial inadäquat, da er alkoholisiert fuhr und damit gegen die Rechts-
norm des § 5 Abs 1 StVO verstieß. Er fuhr auch ohne die notwendige
Aufmerksamkeit, die die StVO vorschreibt. Die Alkoholisierung und die
dadurch verminderte Aufmerksamkeit sind für die Körperverletzung der
Tochter ursächlich. Beides kann nicht weggedacht werden, ohne dass
DERÏ%RFOLGÏENTlELEÏ$IEÏOBJEKTIVEÏ:URECHNUNGÏISTÏGEGEBENÏESÏSINDÏKEINEÏ
Gründe ersichtlich, die den Adäquanz- oder Risikozusammenhang aus-
schließen könnten.

Fraglich ist, ob A auch subjektiv sorgfaltswidrig handelte.

27

Dazu ist

festzustellen, ob A nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten in
der Lage war, sorgfaltsgemäß zu handeln. Wahrscheinlich konnte A auf
Grund seiner Alkoholisierung und Müdigkeit nicht aufmerksamer fah-
ren und schneller reagieren. Laut Sachverhalt ergibt sich seine mangeln-
de Aufmerksamkeit gerade aus diesen Komponenten. Ist dies der Fall,
so muss die subjektive Sorgfaltswidrigkeit ausgeschlossen werden. Eine
3TRAmOSIGKEITÏDESÏ!ÏISTÏDIESFALLSÏABERÏAUFÏ'RUNDÏDERÏÜbernahmefahrläs-
sigkeit
zu verneinen.

28

Er hätte die gefährliche Tätigkeit des Autofahrens

27

B/S

BT I § 80 Rz 18ff.

28

Fuchs

AT I 26. Kap Rz 7.

II. Murschetz

background image

39

nach einigen Flaschen Bier objektiv nicht mehr übernehmen dürfen. Dies
ist ihm auch subjektiv vorzuwerfen, da er zum Zeitpunkt des Losfahrens
in der Lage war zu erkennen, wie viele Flaschen Bier er getrunken hatte
und dass er in diesem Zustand nicht mehr fahren dürfe. Nach der Rsp
hingegen hat eine allfällige Beeinträchtigung durch Alkohol bei Beurtei-
lung der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit außer Betracht zu bleiben.

29

b) Der Bruch der kleinen Zehe stellt keine schwere Körperverletzung
iSd § 88 Abs 4 iVm 84 Abs 1 StGB
dar. Sie ist nicht an sich schwer, da zu
keinem Zeitpunkt Lebensgefahr bestand. Zu diesem Ergebnis dürfte auch
die Rsp gelangen, die eine an sich schwere Verletzung annimmt, wenn
ein „wichtiger“ Knochen betroffen ist

.

30

Die Tochter wird auch nicht mehr

als 24 Tage lang Schmerzen haben, in ihrer Bewegungsfreiheit wesent-
lich eingeschränkt (Gesundheitsschädigung) oder an der Ausübung ihrer
sozialen Funktionen gehindert sein (Berufsunfähigkeit).

c) Die Tat des A könnte nach § 88 Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB

ÏQUALIl-

ziert sein.

A hatte im Unfallzeitpunkt zumindest 0,9 ‰ Alkohol im Blut. Ab

0,8 ‰ liegt absolute Fahruntauglichkeit vor. Er konnte aber nicht vor-
hersehen
, dass ihm noch eine gefährliche Tätigkeit bevorsteht. Er hat-
te sich auf einen gemütlichen Abend zu Hause eingestellt und wusste
daher nicht, dass er noch Auto fahren müsse. Der Sachverhalt enthält
auch keine Hinweise darauf, dass die Tochter ihren Bus immer wieder
versäumt und er sie immer wieder abholen muss, er also möglicherweise
hätte vorhersehen können, nochmals fahren zu müssen.

d) Da der Täter seine eigene Tochter verletzte, ist an den Strafaus-
schließungsgrund des § 88 Abs 2 Z 1 StGB
zu denken.

Sie ist mit ihm in absteigender Linie verwandt. Zudem darf den Täter

kein schweres Verschulden treffen. Dieses läge vor, wenn der Tä-
ter auffallend sorglos handelte und der Eintritt eines Unfalls sehr wahr-
scheinlich war. Sein Sorgfaltsverstoß besteht in der mangelnden Auf-
merksamkeit auf Grund seiner Alkoholisierung. Diese ist mit 0,9 ‰ zwar
für den Straßenverkehr zu viel, aber nicht ausnehmend hoch. Bis auf die
Unaufmerksamkeit fuhr er den Regeln entsprechend, insbesondere nicht
zu schnell. Eine auffallende Sorglosigkeit, die einen Unfall sehr wahr-
scheinlich macht, kann ihm daher nicht unterstellt werden. Er bleibt gem
§ 88 Abs 2 StGB straffrei.

29

S die Nachweise bei K/Schr BT I § 80 Rz 120.

30

S die Nachweise bei B/S BT I § 84 Rz 5.

Fall 5: „Der unterbrochene Fernsehabend“

background image

40

2. Die Verletzung des B:

Wiederum ist eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1

StGB zu prüfen. Der Oberschenkelhalsbruch stellt eine Körperverletzung
dar, weil er Schmerzen bereitet und eine Behandlung erforderlich macht.
Die soziale Inadäquanz ergibt sich aus dem zur Tochter Gesagten. Auch
für diese Verletzung war A kausal. Es liegt nicht außerhalb der Lebens-
erfahrung, dass es bei alkoholbedingten Unaufmerksamkeiten zu einem
Auffahrunfall kommt und jemand bei der Absicherung der Unfallstelle
verletzt wird.

Der Risikozusammenhang ist ebenfalls gegeben: Es wirkt sich hier

gerade die Gefahrenquelle aus, die der Täter geschaffen hat. Erst das
Absichern der Unfallstelle entschärft diese bestehende Gefahrenquelle.
Wäre der Unfall erst danach erfolgt, so stünde die Verletzung nicht mehr
im Risikozusammenhang, da diesfalls der Erfolg bloß eine Verwirkli-
chung des allgemeinen Lebensrisikos darstellte.

31

Aus dem Sachverhalt

ergeben sich auch keine Hinweise darauf, dass der konkrete Unfall auf
Grund eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens des Dritten erfolgte und
der Risikozusammenhang aus diesem Grund zu verneinen wäre.

Die Körperverletzung könnte gem § 88 Abs 4 iVm § 84 Abs 1 StGB

QUALIlZIERT sein, wenn der Bruch eine länger als 24 Tage dauernde
Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge hatte. Bei ei-
ner solchen Verletzung ist davon auszugehen, dass B mehrere Wochen
in seiner Bewegungsfreiheit wesentlich eingeschränkt ist (Gesundheits-
SCHÇDIGUNGÏWESHALBÏDIEÏ1UALIlKATIONÏERF¿LLTÏISTÏÍBERÏDIEÏ"ERUFSUNFÇ-
higkeit lässt sich keine Aussage treffen, da der Sachverhalt keinen Hin-
weis darauf enthält, welche soziale Funktionen B erfüllt.

Eine an sich schwere Körperverletzung ist auszuschließen, da zu kei-

nem Augenblick Lebensgefahr bestand. Die Rsp sieht den Oberschenkel-
hals als wichtigen Knochen an und bejaht deshalb die an sich schwere
Körperverletzung.

32

$IEÏ1UALIlKATIONÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏSCHEI-

det wegen der fehlenden Vorhersehbarkeit der gefährlichen Tätigkeit
aus.

Ergebnis: A ist wegen der Verletzung der Tochter auf Grund des

Strafausschließungsgrundes des § 88 Abs 2 StGB nicht zu bestrafen.

Die Verletzung des B ist ihm zuzurechnen und er ist dafür gem § 88

Abs 1, Abs 4 1. Fall StGB zu bestrafen.

31

Fuchs

AT I 13. Kap Rz 39.

32

S die Nachweise bei B/S BT I § 84 Rz 5.

II. Murschetz

background image

41

Fall 6: „Der soziale Bürgermeister“

A hat in einer Tiroler Gemeinde ein Haus ohne Baubewilligung er-
richtet. Bürgermeister B wird darauf aufmerksam gemacht. Er erklärt
dem A, dass er das Haus wieder abreißen müsse, eine Baubewilli-
GUNGÏK–NNEÏERÏDAF¿RÏNICHTÏERHALTENÏGEGENÏEINEÏu3PENDEhÏVONÏÏãÏ
an die Gemeinde würde er, der Bürgermeister, die Sache jedoch ver-
gessen. A zahlt und der Bürgermeister bleibt untätig.

Haben sich A und B strafbar gemacht?

Lösung

1. Die Strafbarkeit des B:
a) B könnte einen Amtsmissbrauch durch Unterlassen gem § 2 iVm
§ 302 StGB
begangen haben. Der Bürgermeister ist ein Beamter, der
im Namen der Gemeinde Hoheitsakte vornimmt. In Bausachen wird er
als Baubehörde erster Instanz tätig. Erlangt er von einem bewilligungs-
PmICHTIGENÏ"AUÏ+ENNTNISÏDERÏOHNEÏ"AUBEWILLIGUNGÏERRICHTETÏWURDEÏSOÏ
hat er die Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes anzuordnen. Er hat
eine Frist zur Einbringung eines nachträglichen Bauansuchens zu stellen.
Wird dieses nicht gestellt oder kann die Bewilligung nicht erteilt werden,
so ist der Abbruch des Hauses mit Bescheid anzuordnen.

33

Bleibt der

Bürgermeister untätig, so verstößt dieses Unterlassen des Hoheitsaktes
gegen das materielle Recht; er missbraucht seine Befugnis. Der Bür-
germeister ist als Baubehörde erster Instanz Garant für die rechtmäßige
Bautätigkeit in seiner Gemeinde.

34

Das Unterlassen ist im vorliegenden

&ALLÏDERÏPmICHTWIDRIGENÏ6ORNAHMEÏEINESÏ(OHEITSAKTESÏgleichwertig, da
der Bürgermeister gezielt untätig bleibt. Er handelt in der Absicht, dem A
einen großen Nachteil zu ersparen.

35

Auf der subjektiven Tatseite muss der Beamte seine Befugnis wis-

sentlich missbrauchen. B kennt die Tiroler Bauordnung und weiß laut
Sachverhalt, dass A für das Haus keine Bewilligung erhalten würde,
weshalb ihm Wissentlichkeit vorzuwerfen ist. Zudem muss B einen zu-
mindest bedingten Schädigungsvorsatz haben. Da er weiß, dass sein
Unterlassen dem materiellen Recht widerspricht, weiß er auch, dass das
Land in seinem Recht auf Einhaltung der Bauordnung geschädigt und ihr
Zweck vereitelt wurde.

36

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er

der Gemeinde eine Spende zukommen lassen will.

33

§ 37 Abs 1 TBO 2001 (Tiroler Bauordnung, LGBl Nr 94/2001 idgF).

34

§ 51 Abs 1 TBO 2001.

35

B/S

BT II § 302 Rz 16.

36

OGH JBl 1992, 56; B/S BT II § 302 Rz 24.

Fall 6: „Der soziale Bürgermeister“

background image

42

b) Durch die Forderung des Geldes könnte sich B der Geschenkannah-
me durch Beamte nach § 304 Abs 1 StGB
strafbar gemacht haben.

"ÏISTÏEINÏ"EAMTERÏDERÏF¿RÏDIEÏPmICHTWIDRIGEÏ5NTERLASSUNGÏEINESÏ!MTS-

geschäftes von A einen Vermögensvorteil für die Gemeinde fordert und
auch annimmt. Er tut dies vorsätzlich.

$AÏ SICHÏ "Ï ABERÏ AUFÏ 'RUNDÏ DERÏ PmICHTWIDRIGENÏ 5NTERLASSUNGÏ BEREITSÏ

nach § 302 StGB strafbar gemacht hat, tritt die Geschenkannahme als
subsidiäres Delikt zurück.

37

c) Fraglich ist, ob der Bürgermeister auf Grund der Forderung des Ver-
mögensvorteils Erpressung gem § 144 StGB zu verantworten hat.

B droht dem A mit dem Abbruch des Hauses. Dies ist eine gefährliche

Drohung gegen das Rechtsgut Vermögen des A. Zudem nötigt er den A
zur Zahlung einer Spende an die Gemeinde, dh er nötigt ihn zu einer
Handlung, die diesen am Vermögen schädigt. B kommt es geradezu dar-
auf an, den A durch die Drohung zur Zahlung zu bewegen. Er handelt,
um die Gemeinde unrechtmäßig zu bereichern.

Die Drohung mit dem Abbruch des Hauses steht dem Bürgermeister

zwar zu, sie widerspricht daher als solche nicht den guten Sitten, doch
ist sie zur Erlangung eines unrechtmäßigen Vermögensvorteils unzuläs-
sig.

38

2. Die Strafbarkeit des A:
a) A könnte einen Beitrag zum Amtsmissbrauch durch Unterlassen
gem § 12. 3. Fall, §§ 2, 302 StGB
begangen haben.

Da der Bürgermeister selbst auf die Idee kommt, die Sache gegen

Geld auf sich beruhen zu lassen, kommt die Bestimmungstäterschaft für
A nicht in Frage. Aber durch seine Spende könnte er dazu beigetragen
haben. Der Beitrag wurde kausal, da B die Spende einsteckt und darauf-
hin untätig bleibt.

Auf der subjektiven Tatseite muss A wissen, dass B’s Vorgehen dem

materiellen Recht widerspricht. Dies ist anzunehmen. Der Sachverhalt
enthält keinen Hinweis, dass A es für möglich gehalten hat, dass das
Untätigbleiben des B in dessen Ermessen stand. A muss zudem einen
zumindest bedingten Schädigungsvorsatz haben. Aber der Täter, der sich
nur der eigenen Bestrafung entziehen möchte, handelt nicht mit Schä-
digungsvorsatz.

39

Gerade dies tut A, denn er will durch seinen Beitrag

den Abbruch des Hauses vermeiden. Er ist daher nicht strafbar. Da der
Täter weiß, dass das Untätigbleiben des Bürgermeisters nicht in dessen

37

Hinterhofer

BT II § 302 Rz 56; Teile der Lehre gehen von echter Konkurrenz aus, s die

Nachweise bei B/S BT II § 304 Rz 8.

38

B/S

BT I § 144 Rz 5.

39

B/S

BT II § 302 Rz 27.

II. Murschetz

background image

43

Ermessen steht, läge nach der Rsp ein Schädigungsvorsatz und damit
Strafbarkeit vor.

40

b) A könnte sich wegen Bestechung gem § 307 Abs 1 Z 1 StGB strafbar
gemacht haben.

%RÏ GEWÇHRTÏ DEMÏ "¿RGERMEISTERÏ F¿RÏ DIEÏ PmICHTWIDRIGEÏ 5NTERLASSUNGÏ

eines Amtsgeschäftes einen Vermögensvorteil und tut dies vorsätzlich.
Es kommt ihm geradezu darauf an, dadurch die Untätigkeit des Bürger-
meisters zu erwirken.

Entschuldigender Notstand kann A schon deshalb nicht für sich in

Anspruch nehmen, da er den drohenden Eingriff durch sein eigenes
rechtswidriges Verhalten (Verstoß gegen die Bauordnung) zu verantwor-
ten hat.

Ergebnis: B ist gem § 302 StGB strafbar, die Geschenkannahme gem

§ 304 Abs 1 StGB tritt als subsidiäres Delikt zurück. In echter Konkurrenz
begeht B zudem eine Erpressung gem § 144 StGB.

A hat sich wegen Bestechung gem § 307 Abs 1 Z 1 StGB strafbar ge-

macht.

Fall 7: „Der Hase und der Hund“

A, ein begeisterter Hobbyjäger ohne Jagdschein, geht am späten
Nachmittag nach der Dämmerung auf die Pirsch. Er hat seiner Frau
B versprochen, diesmal einen schönen Hasenbraten nach Hause zu
bringen. Tatsächlich entdeckt er zwei Wildhasen. Er zielt auf den ei-
nen und trifft ihn. Dem Rascheln des anderen Hasen folgt er schnell.
In der Nähe eines Hauses hört er wieder Geräusche. A zielt auf das
Tier, doch statt des Hasen trifft er den Hund der Frau X. Der Schuss
durchbohrt jedoch nur ein Ohr des Hundes und schlägt nach Zer-
störung der Fensterscheibe in ein Bild in der Küche des Hauses ein.
Frau X, die beim Kochen ist, wird von der Kugel nicht getroffen. Sie
hat kurz zuvor die Küche verlassen, um Gemüse aus dem Keller zu
holen.

Haben sich A und B strafbar gemacht?

40

S die Nachweise bei B/S BT II § 302 Rz 27.

Fall 7: „Der Hase und der Hund“

background image

44

Lösung

1. a) A könnte einen Eingriff in fremdes Jagdrecht nach § 137 StGB
begangen haben.

Der Wildhase ist keine fremde Sache, weil er nicht im Eigentum eines

anderen steht, und kann daher auch nicht Gegenstand eines Vermö-
gensdelikts sein. Er zählt vielmehr zum Wild iSd § 137 StGB. Da A keine
Jagdberechtigung hat, verletzt er fremdes Jagdrecht. Die Ausführungs-
handlung besteht im Nachstellen, Töten sowie Zueignen. A handelt vor-
sätzlich.

b) Auch der zweite Schuss gilt einem Wildhasen, trifft aber einen Hund.
Wegen des Erfolges ist die Sachbeschädigung gem § 125 StGB zu prü-
fen. Der Hund ist eine bewegliche und auch fremde Sache, da er im
Eigentum der X steht. Die „Sache“ wird beschädigt. A hatte aber den
Vorsatz, einen Wildhasen und nicht einen Hund zu treffen. Er unterliegt
daher einem Tatbildirrtum. Er irrt über ein ungleichartiges Tatob-
jekt
: Der Hase ist keine fremde bewegliche Sache, sondern wird nur im
Rahmen des Jagdrechts als Wild geschützt. Der Hund hingegen ist eine
fremde bewegliche Sache und damit ein Tatobjekt, das den allgemeinen
Vermögensdelikten unterstellt ist. Die beiden Tatobjekte sind daher nicht
gleichartig. Da der Tatbildirrtum den Vorsatz des A ausschließt, ist er
nicht wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung zu bestrafen. Die fahrläs-
sige Sachbeschädigung hingegen ist strafrechtlich nicht relevant.

A hat versucht, einen Wildhasen zu töten, das ist nach §§ 15, 137

StGB strafbar. Da aber bereits das Nachstellen, das ist unter anderem
das Durchstreifen des Reviers mit schussbereitem Gewehr, eine Aus-
führungshandlung des § 137 StGB darstellt, ist A wegen des vollendeten
Delikts zu betrafen.

41

c) A könnte ein Tierquälerei gem § 222 StGB begangen haben.

Es ist zu prüfen, ob der Durchschuss eines Ohrs als rohe Misshand-

lung oder Zufügung unnötiger Qualen gewertet werden kann. Ersteres
verlangt eine intensive, mit starken Schmerzen verbundene Einwirkung
auf das Tier, das einer gefühllosen Gesinnung des Täters entspringt. A
wollte das Tier sofort töten und handelte daher nicht aus gefühllosen
Beweggründen. Unnötige Qualen sind erhebliche Schmerzen, die eine
gewisse Zeit andauern. Auch dies ist nicht der Fall. Der Durchschuss des
Ohres ist zwar schmerzlich, überschreitet diese Erheblichkeitsschwelle
aber wohl nicht.

41

Bertel

WK

2

§ 137 Rz 3.

II. Murschetz

background image

45

Eine Strafbarkeit ist aber ohnehin auf keinen Fall gegeben, da A nicht

den Vorsatz hat, den Hasen roh zu misshandeln oder ihm unnötige
Qualen zuzufügen. Er wollte das Tier sofort töten.

c) Die Zerstörung des Fensters und die Beschädigung des Bildes sind
mangels Vorsatzes nicht nach § 125 StGB strafbar.

d) Hinsichtlich der Bewohnerin des Hauses, X, ist die Gefährdung der
körperlichen Sicherheit
gem § 89 StGB zu prüfen.

Zunächst ist zu überlegen, ob X durch den Schuss konkret und nicht

nur abstrakt gefährdet wurde. Konkret gefährdet ist sie, wenn sie sich
IMÏ7IRKUNGSBEREICHÏDERÏGEFÇHRLICHENÏ(ANDLUNGÏBElNDETÏUNDÏDERÏ6ERLET-
zung nur mehr oder weniger knapp und durch Zufall entronnen ist.

42

X

befand sich zunächst, als sie sich in der Küche aufhielt, im Wirkungsbe-
reich der gefährlichen Handlung; als die Kugel einschlug, hatte sie den
Raum aber bereits verlassen. Sie befand sich in einem anderen Raum
und daher nicht mehr im konkreten Wirkungsbereich der gefährlichen
Handlung. Mangels konkreter Gefährdung ist § 89 StGB auszuschließen.

2. a) B könnte sich an dem Eingriff in fremdes Jagdrecht nach § 137
StGB beteiligt
haben.

Sie ist in den Plan des A eingeweiht, da er ihr laut Sachverhalt dies-

mal einen schönen Hasenbraten verspricht. Weitere Unterstützungshand-
lungen, die die Tatausführung ermöglichen, erleichtern oder sonst för-
dern, sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Allein die Kenntnis des
Tatplanes fördert die Tatausführung des A nicht. Das In-Aussicht-Stellen
des späteren Kochens des Hasen könnte als psychische Unterstützung
GEWERTETÏWERDENÏABERÏNURÏWENNÏDIESÏAUFÏ!ÏEINENÏ%INmUSSÏHATTEÏ7ARÏESÏ
für ihn unerheblich, ob er selbst oder seine Frau den Braten kocht oder
ob der Hase überhaupt gekocht wird – ihm ging es um den Reiz des
Jagens – so liegt kein Beitrag zu Tatausführung vor.

b) Das Unterlassen der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten
Handlung gem § 286 StGB
ist auszuschließen, da die strafbare Hand-
lung des A (§ 137 StGB) nur mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist.
$ERÏ 3ACHVERHALTÏ ENTHÇLTÏ KEINEÏ (INWEISEÏ AUFÏ ALLFÇLLIGEÏ 1UALIlKATIONENÏ
nach § 138 StGB, zB wegen des Jagens in der Schonzeit.

Ergebnis: A hat einen Eingriff in fremdes Jagdrecht gem § 137 StGB

BEGANGENÏ"ÏISTÏSTRAmOS

42

B/S

BT I § 89 Rz 1, Fuchs/Reindl BT I 43.

Fall 7: „Der Hase und der Hund“

background image
background image

47

III. SCHEIL

Fall 1: „When Lights Are Low“

)NÏ lNSTERERÏ .ACHTÏ WIRDÏ INÏ EINEÏ "ANKÏ EINGEBROCHENÏ $IEÏ %INBRECH-
er entkommen unerkannt. In der Bank wohnt im ersten Stock der
Förster F. Von den Einbrechern bei ihrem Abgang geweckt, zieht
sich F an, nimmt seinen Revolver und schleicht in das Parterre, um
nach dem Rechten zu sehen. Dort ist es ruhig. F tritt vorsichtig ins
Freie, schaut sich um und erspäht tatsächlich hinter einer Hecke eine
Gestalt, die eine Pistole auf ihn richtet. F zielt auf den, wie er meint,
„Gangster“ und drückt, ohne lange zu fackeln, ab.
Die Einbrecher wecken nicht nur F, sie lösen auch auf der nächst
gelegenen Polizeiinspektion Alarm aus. Der 40-jährige, uniformierte
Polizist G rast mit einem Kollegen zur Bank, legt sich hinter einer
Hecke auf die Lauer, weil er einen, wie er meint, „Einbrecher“ im
Hausgang herumschleichen sieht. Er zieht seine Dienstpistole und
richtet sie auf den vermeintlichen „Einbrecher“, tatsächlich auf F. Als
F mit seinem Revolver in der Hand vorsichtig ins Freie tritt, sich
umschaut und plötzlich mit dem Revolver auf ihn zielt, will G noch
„Polizei! Waffe weg! Stehen bleiben!“ schreien, da trifft ihn auch schon
die von F abgefeuerte Kugel in den Bauch – er kann nach mehreren
Operationen erst drei Jahre später wieder seinen Dienst als Polizist
verrichten. F wird daraufhin vom Kollegen des G niedergeschossen,
überlebt aber auch.
Beurteilen Sie die Strafbarkeit des F!

Lösung

1. F könnte eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) begangen haben.
Ein Schuss in den Bauch ist eine nicht ganz geringfügige Beeinträchti-
gung der körperlichen Unversehrtheit und darum eine Verletzung.

1

F

1

B/S

BT I § 83 Rz 1.

background image

48

handelt absichtlich, es kommt ihm gerade darauf an, G zu verletzen (§ 5
Abs 2 StGB).

2.

Ï&¿RÏDIEÏ4ATÏKOMMENÏMEHREREÏ1UALIlKATIONENÏINÏ"ETRACHT

Es handelt sich allein wegen der Öffnung der Bauchhöhle, unter Um-

ständen auch wegen der Perforation des Darms oder des Magens, we-
gen der Schädigung der Leber oder einer Niere usw um eine schwere
Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB)
. Jede dieser Verletzungen ist „an sich
schwer“, weil sie alle lebensgefährlich sind bzw weil wichtige Organe in
einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit wesentliche Funktionsein-
bußen verbunden sind, weil der Heilungsverlauf ungewiss ist und über-
dies die Gefahr von Komplikationen besteht.

2

G ist auch länger als 24

4AGEÏUNDÏZWARÏDREIÏ*AHREÏBERUFSUNFÇHIGÏ&¿RÏDIESESÏERFOLGSQUALIlZIERTEÏ
Delikt genügt es, dass F die Folgen zumindest fahrlässig herbeiführt (§ 7
Abs 2 StGB).

3

Schon die Verwirklichung des Grunddelikts § 83 Abs 1

StGB stellt einen Sorgfaltsverstoß dar, der die Fahrlässigkeit bezüglich
der besonderen Folge der Tat indiziert.

4

Ein einsichtiger und besonnener

Mensch schießt nicht mit einem Revolver auf einen Menschen.

Für § 84 Abs 2 Z 1 StGB kommt es darauf an, ob ein Mittel (der Re-

volver des F) konkret lebensgefährlich eingesetzt wird – F schießt G mit
dem Revolver aus nicht allzu großer Distanz in den Bauch und bringt
IHNÏDAMITÏTATSÇCHLICHÏINÏ,EBENSGEFAHRÏ$IESÏMUSSÏBEIÏDIESERÏ1UALIlKATI-
on vom Vorsatz umfasst sein. F weiß um die Lebensgefährlichkeit des
Bauchschusses.

5

§ 84 Abs 2 Z 4 StGB kommt in Frage, weil es sich bei G um einen

"EAMTENÏ HANDELTÏ DERÏ GERADEÏ DABEIÏ ISTÏ EINEÏ $IENSTPmICHTÏ ZUÏ ERF¿LLENÏ
und zwar einen gefährlichen Angriff zu beenden (§ 21 Abs 2 SPG). Diese
1UALIlKATIONÏWIRDÏABERÏNICHTÏVERWIRKLICHTÏWEILÏ&ÏDERÏGEFORDERTEÏ6ORSATZÏ
fehlt. Er erkennt trotz Uniform nicht einmal, dass es sich bei G um ei-
nen Polizisten handelt, er hält ihn ja für einen „Gangster“. F unterliegt
wegen eines Tatsachenirrtums einem Tatbildirrtum, der den Vorsatz aus-
schließt.

6

G ist für drei Jahre berufsunfähig, drei Jahre sind für einen erst 40-jäh-

rigen Polizisten, der bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahrs arbeitet,
keine lange Berufsunfähigkeit iSd § 85 Z 3 StGB.

7

2

B/S

BT I § 84 Rz 4f; K/Schr BT I § 84 Rz 12.

3

Fuchs

AT I 9. Kap Rz 9; K/H AT Z 9 Rz 10, Z 27 Rz 26ff.

4

K/H

AT Z 27 Rz 28.

5

B/S

BT I § 84 Rz 13. Die Rsp und manche Autoren zB K/Schr BT I § 84 Rz 58 verlangen

überdies, dass das Mittel “abstrakt lebensgefährlich” ist; dies wäre für den Revolver auch
zu bejahen.

6

Fuchs

AT I 14. Kap Rz 47f; K/H AT Z 16 Rz 11.

7

B/S

BT I § 85 Rz 3f.

III. Scheil

background image

49

§ 87 StGB ist zu verneinen, da es wohl nicht gerade Ziel des F ist (§ 5

Abs 2 StGB), G eine schwere Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB zu-
zufügen. Er schießt zwar auf G, aber wohl nicht gezielt in den Bauch.

3. Es scheint, dass F in Notwehr (§ 3 StGB) handelt, weil G seine Pis-
tole auf ihn richtet. Dieser unmittelbar drohende Angriff auf sein Leben,
seine körperliche Unversehrtheit, jedenfalls aber auf seine Freiheit für
den Fall der Festnahme ist aber nicht rechtswidrig. G hat als Organ des
öffentlichen Sicherheitsdienstes nach § 2 Z 1 und Z 3 WaffGebrG das
Recht, seine Dienstwaffe zur Erzwingung einer Festnahme (Z 3) und im
Falle der Notwehr (Z 1) zu gebrauchen oder, wenn das ausreicht, ihren
Gebrauch anzudrohen (§ 4 WaffGebrG). G hat hinreichenden Grund, F
des Einbruchsdiebstahls zu verdächtigen, und darf ihn wegen Betretung
auf frischer Tat festnehmen (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO). Und F richtet sei-
nen Revolver rechtswidrig auf G und begründet damit für G auch noch
eine Notwehrsituation, weil G kein „Gangster“ ist, der eben in die Bank
eingebrochen hat und dem die Beute durch Drohung mit, unter Um-
ständen sogar durch Gebrauch einer Schusswaffe abgenommen werden
dürfte.

F hält G irrtümlich für einen „Gangster“, der in der Absicht, auf ihn

zu schießen, seine Pistole auf ihn richtet, deshalb ist die irrtümliche
Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB)
zu prüfen.
Würde das der Realität entsprechen, so würde es sich um einen unmit-
telbar drohenden – der Schuss steht knapp bevor – und rechtswidrigen
– ein „Gangster“ hat kein Recht, auf F zu schießen – Angriff auf sein
Leben, zumindest auf seine körperliche Unversehrtheit handeln, also um
eine Notwehrsituation. F bedient sich auch nur der notwendigen Vertei-
digung, ihm stünde im Augenblick kein gelinderes Mittel zur Verfügung,
um den Angriff sofort und endgültig

8

bzw verlässlich

9

abzuwehren.

F irrt fahrlässig über die Notwehrsituation. Einem einsichtigen und

besonnenen Menschen in seiner Situation wäre aufgefallen, dass die
„Gestalt“, von der sich F angegriffen wähnt, eine Uniform trägt, an der
sie unschwer als Polizist zu erkennen gewesen wäre. Weil F fahrlässig irrt
und weil es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt,

10

ist F ist we-

gen fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs 1, Abs 4 2. Fall StGB)
ZUÏBESTRAFENÏ$IEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏISTÏDESHALBÏ
erfüllt, weil es sich um eine schwere Körperverletzung handelt und weil
INÏ lNSTERERÏ .ACHTÏ BEIÏ EINEMÏ DERARTIGENÏ 3CHNELLSCHUSSÏ AUFÏ EINENÏ -EN-
schen hinter einer Hecke eine gefährliche Verletzung außerordentlich

8

K/H

AT Z 11 Rz 13.

9

Fuchs

AT I 17. Kap Rz 29ff.

10

„Doppelt bedingte Fahrlässigkeitshaftung“, Fuchs AT I 20. Kap Rz 6ff; K/H Z 19 Rz 8f.

Fall 1: „When Lights Are Low“

background image

50

wahrscheinlich ist, weil also besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 81
Abs 1 Z 1 StGB vorliegen.

11

Ergebnis: F ist wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1,

Abs 4 2. Fall StGB zu bestrafen.

Fall 2: „Round Midnight“

:WEIÏ!NGESTELLTEÏEINERÏPRIVATENÏ"EWACHUNGSlRMAÏSEHENÏUMÏ-ITTER-
nacht auf ihrer Streife durch den Innsbrucker Rapoldipark den ar-
beitslosen Ägypter X mit einem Küchenmesser in der Hand auf den
See zugehen und Ausschau nach Federvieh halten. „X hatte eine
Stockente am Kragen gepackt und wollte ihr gerade den Hals durch-
schneiden, als er uns sah, hat er den Vogel sofort fallen lassen und
ist mit dem Messer auf uns losgegangen“, sagt einer von ihnen in der
Hauptverhandlung.
Zurück in den Rapoldipark. Die Sicherheitsleute nehmen X das Kü-
chenmesser ab und halten ihn fest, bis zwei Polizisten eintreffen. „Er
HATÏMICHÏINÏDIEÏ2IPPENÏGESCHLAGENÏUNDÏISTÏGEm¿CHTEThÏSOÏDERÏ0OLIZISTÏ
P in der Hauptverhandlung, der danach rund vierzehn Tage Schmer-
zen hat, „vor allem beim Lachen.“ Weit kommt X auf seiner Flucht
nicht. Schon nach einem Fünfzig-Meter-Sprint kann er von den Poli-
zisten wieder gefasst werden.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit des X!

Lösung

1. Die Jagd auf die Stockente:
a)
X könnte einen Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischereirecht
(§ 137 StGB)
begangen haben. Die Stockente ist ein wild lebendes Tier,
das in Tirol dem Jagdrecht unterliegt.

12

X ist dabei, die bereits gefangene

Ente zu töten, er stellt ihr also nach. Dabei verletzt er fremdes Jagdrecht,
weil nicht er der in Innsbruck zur Jagd Berechtigte und auch nicht des-
sen Jagdgast ist.

13

Die Strafbarkeit scheitert aber daran, dass der Ägyp-

ter X wohl nicht einmal laienhaft die Wertungen des Tiroler Jagdrechts
nachvollzieht und deshalb den sozialen Bedeutungsgehalt der Tatbild-

11

B/S

BT I § 88 Rz 10, § 81 Rz 2ff.

12

§ 1 Abs 2 iVm Anlage 1 Z 2 lit f Tiroler Jagdgesetz 2004.

13

B/S

BT I § 137 Rz 3.

III. Scheil

background image

51

elemente des § 137 StGB verkennt. Oder hätten Sie gewusst, dass es sich
bei der Stockente im Rapoldipark – im Gegensatz zu den anderen Enten
dort – um ein in Tirol jagdbares Tier handelt und dass Sie, wenn Sie das
Tier töten und sich zueignen, in das ausschließliche Aneignungsrecht
des Jagdberechtigten eingreifen? X unterliegt einem Irrtum über norma-
tive Tatbestandsmerkmale, der den von § 137 StGB geforderten Vorsatz
ausschließt.

14

b) Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) ist zu
verneinen, weil die Stockente als Wildtier in niemandes Eigentum steht
und deshalb keine fremde Sache ist und weil sie auch gewahrsamsfrei
ist und deshalb nicht unter Bruch fremder Gewahrsame weggenommen
werden kann. Mangels Tauglichkeit des Objekts liegt absolut untaug-
LICHERÏUNDÏDESHALBÏSTRAmOSERÏ6ERSUCHÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏVORÏnÏDIEÏ3TOCK-
ente besitzt die Eigenschaft nicht, derentwegen die Strafbestimmung
Diebstahl besteht.

15

2. Das Losgehen auf die zwei Wachmänner:
a)
X könnte sich wegen versuchter Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1 StGB)
strafbar gemacht haben. Sein Ziel, die zwei Wachmänner zur Unterlas-
sung der Anhaltung zu bewegen, erreicht er nicht. Der Erfolg der Nöti-
gung tritt nicht ein. Deshalb ist Versuch zu prüfen. Seinen Tatentschluss,
die Tatbildmerkmale des § 105 Abs 1 StGB mit Absicht zu verwirklichen,
betätigt X durch eine Ausführungshandlung, er droht bereits gefährlich
(§ 74 Abs 1 Z 5 StGB), indem er den Wachmännern mit dem Küchenmes-
ser in der Hand eine Körperverletzung in Aussicht stellt, so sie ihn nicht
ziehen lassen. Diese Drohung ist geeignet, begründete Besorgnis einzu-
m–’ENÏ8ÏVERMITTELTÏIHNENÏDENÏ%INDRUCKÏERÏSEIÏINÏDERÏ,AGEÏUNDÏWILLENSÏ
das angedrohte Übel auch auszuführen.

16

Schwere Nötigung (§ 106 Abs 1 Z 1 StGB) liegt nicht vor, weil X

nicht einmal konkludent eine Morddrohung ausstößt.

b) X ist nicht durch Notwehr (§ 3 StGB) gerechtfertigt, er liefert den bei-
den Wachmännern hinreichende Gründe für den Verdacht, gerade einen
Eingriff in fremdes Jagd- und Fischereirecht zu begehen, und begründet
damit das Anhalterecht Privater (§ 80 Abs 2 StPO). Mangels Rechtswid-
rigkeit des Angriffs der zwei Wachmänner auf seine Freiheit liegt für X
keine Notwehrsituation vor.

14

Fuchs

AT I 14. Kap Rz 21ff und 45ff; K/H AT Z 16 Rz 4.

15

Fuchs

AT I 30. Kap Rz 26.

16

B/S

BT I § 105 Rz 10.

Fall 2: „Round Midnight“

background image

52

3. Die Misshandlung des Polizisten:
a)
X könnte eine Körperverletzung (§ 83 Abs 2 StGB) begangen haben.
X misshandelt P durch Schläge gegen die Rippen, weil er ihm Schmerzen
zufügt,

17

er behandelt P derart unangemessen, dass dessen körperliches

7OHLBElNDENÏ NICHTÏ UNERHEBLICHÏ BEINTRÇCHTIGTÏ IST,

18

und verursacht da-

durch eine Körperverletzung, die Rippenprellung, eine Beeinträchtigung
der körperlichen Unversehrtheit, die nicht ganz geringfügig ist, weil sie
bei vielen Bewegungen, insbesondere beim „Lachen“, starke Schmerzen
verursacht.

19

Die Misshandlung, das Zufügen von Schmerzen, ist von

Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) getragen, hinsichtlich der Verletzung genügt
Fahrlässigkeit (§ 7 Abs 2 StGB), mit der X handelt, ist es doch sozialinad-
äquat, auf einen Menschen einzuprügeln.

b) Die Tat ist als schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 2 Z 4 StGB)
QUALIlZIERTÏWEILÏSIEÏANÏEINEMÏ0OLIZISTENÏEINEMÏ"EAMTENÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ
StGB), während der Amtshandlung, der Festnahme wegen des Verdachts
des Eingriffs in ein fremdes Jagd- und Fischereirecht und der versuchten
Nötigung (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO), begangen wird. Hinsichtlich der Ver-
wirklichung dieser Umstände handelt X mit Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3
StGB).

4. Die kurze Flucht vor den Polizisten:

X macht sich wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsge-

walt (§§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB) strafbar. Die Festnahme des un-
mittelbar nach der Tat glaubwürdig der Verwirklichung des Eingriffs in
fremdes Jagd- und Fischereirecht und der versuchten Nötigung beschul-
digten und des auf frischer Tat der schweren Körperverletzung betrete-
nen X (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO) ist eine Amtshandlung, die Polizisten üben
als Hoheitsorgane Befehls- und Zwangsgewalt aus (§ 269 Abs 3 StGB).
Polizisten sind Beamte.

20

U gelingt es jedoch nicht, seine Festnahme zu

vereiteln, durch die kurze Flucht verzögert er die Amtshandlung nur.
Deshalb ist Versuch (§ 15 StGB) zu prüfen. U hat vollen Tatentschluss.
Er hat die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), die Beamten an seiner Festnahme
zu hindern. Diesen Tatentschluss betätigt er durch eine Ausführungs-
handlung, er wendet Gewalt gegen P an, indem er mit Schlägen gegen
die Rippen erheblich auf dessen Körper einwirkt und ihm Schmerzen
zufügt.

21

17

B/S

BT I § 83 Rz 9.

18

K/Schr

BT I § 83 Rz 65.

19

B/S

BT I § 83 Rz 1f; K/Schr BT I § 83 Rz 6.

20

B/S

BT II § 302 Rz 1.

21

B/S

BT II § 269 Rz 3.

III. Scheil

background image

53

Ergebnis: X ist wegen versuchter Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1

StGB, wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 2, 84 Abs 2
Z 4 StGB und wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach
den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB zu bestrafen – §§ 83 Abs 2, 84 Abs 2 Z 4
StGB und § 269 Abs 1 1. Fall StGB konkurrieren echt miteinander.

22

Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“

Nach Mitternacht in einem „Beisl“ in Wien. Die „wilde W“ (Zuhäl-
terin) will mit ihrer Lebensgefährtin L schmusen. L will nicht. W dazu:
„Ihr war es peinlich vor den Leuten. Da hab ich ihr gesagt: ‚Geniere
Dich nicht, da hast eine Watschen, dann wissen es alle, und jetzt
schmusen wir! “, was dann auch geschieht.
Der Streit wird im Auto fortgesetzt, L fährt mit Vollgas bei Rot über
die Kreuzung. W dazu: „Sie kann sich alleine umbringen, aber nicht
mich und meine französische Bulldogge!“ Dafür gibt es, nachdem
L mit dem Auto stehen bleibt, „zwei oder drei Verkehrte“ (Variante
DERÏ7ATSCHEÏMITÏDERÏ2¿CKSEITEÏDERÏmACHENÏ(ANDÏAUSGEF¿HRTÏ,ÏTRÇGTÏ
einen Bluterguss um das Auge davon.
Und W wirft L’s Autoschlüssel samt Schlüsselbund in den frisch gefall-
enen Schnee. W dazu: „Eine halbe Stunde habe ich ihr suchen geholfen,
dann bin ich nach Hause gegangen, weil mein Hund gefroren hat.“
L muss die Nacht bei minus 15 Grad in ihrem Auto verbringen, in
ihre alte Wohnung kann sie nicht gehen, weil auch der Wohnungs-
schlüssel im Schnee liegt, und in die gemeinsame Wohnung zu W
traut sie sich nicht.
Am nächsten Tag erstattet L bei der Polizei Anzeige gegen W. „Wenn
du eine Anzeige machst, werde ich dir in der Verhandlung den
Schädel abschneiden!“, hatte W L noch vor dem Heimgehen gesagt.
Nichts dergleichen passiert. Schon am nächsten Tag versöhnen sie
sich wieder. L verzeiht W. Und W verzeiht L.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit von W und L!

Lösung

1. Erzwungenes Schmusen im Beisl:

W könnte eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) begangen haben. Die

Watsche ist eine Einwirkung auf den Körper, die Schmerzen bereitet, also

22

B/S

BT II § 269 Rz 19.

Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“

background image

54

Gewalt.

23

L muss sich dadurch wie von W gewollt verhalten, sie wird zu

einer Handlung, zum Schmusen, oder zum Dulden, zum Geschehen-
Lassen von Zärtlichkeiten, genötigt. Damit ist die Nötigung vollendet. W
handelt absichtlich.

2. Das Überfahren der Ampel:

L könnte eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89

StGB) verwirklicht haben. Das Überfahren einer roten Ampel macht
einen Unfall außerordentlich wahrscheinlich und L handelt mit auffall-
ender Sorglosigkeit.

24

Besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 81

Abs 1 Z 1 StGB liegen vor. Freilich verlangt § 89 StGB auch noch die
„konkrete“ Gefährdung der W (oder eines Dritten). Sie läge dann vor,
wenn ein verständiger Beobachter sagte: „Ein Wunder, wenn W (oder
der Dritte) unverletzt bleibt.“

25

Dies wäre etwa der Fall, wenn andere

Fahrzeuge die Kreuzung gerade queren und wenn L sie nur knapp ver-
fehlt. Im Sachverhalt gibt es keinen Hinweis auf einen Beinahe-Zusam-
menstoß, es ist nach Mitternacht, wahrscheinlich sind kaum noch Autos
unterwegs.

3. Die zwei, drei Verkehrten:

W begeht eine Körperverletzung (§ 83 Abs 2 StGB). Die Schläge

ins Gesicht sind Misshandlungen, da sie der L Schmerzen bereiten.

26

Bezüglich der Misshandlung handelt W absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB),
Verletzungen hat sie wohl nicht in ihren Vorsatz aufgenommen, deshalb
trifft § 83 Abs 1 StGB nicht zu.

Durch die Schläge verursacht W eine Körperverletzung. Der Bluter-

guss stellt eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperli-
chen Integrität dar.

27

Schläge ins Gesicht eines anderen sind sozial in-

adäquat, weil sie weh tun und leicht Verletzungen verursachen können.
Dass es zu einem Bluterguss ums Auge als Folge von Schlägen ins Ge-
sicht kommt, liegt nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung und
ist für W vorhersehbar. Deshalb verursacht sie die Körperverletzung als
Folge der Tat (§ 7 Abs 2 StGB) fahrlässig.

4. Das Werfen des Schlüsselbunds in den frisch gefallenen Schnee:
a) Durch das Hinauswerfen des Schlüsselbunds könnte W eine dauernde
Sachentziehung (§ 135 Abs 1 StGB)
begangen haben. Die Schlüssel
sind fremd, sie stehen im Eigentum der L. Da die Wiederbeschaffung

23

B/S

BT I § 105 Rz 2, 5.

24

B/S

BT I § 81 Rz 2, 10.

25

B/S

BT I § 89 Rz 1.

26

B/S

BT I § 83 Rz 7f.

27

B/S

BT I § 83 Rz 1.

III. Scheil

background image

55

mit Kosten verbunden ist, sind sie auch nicht wertlos.

28

Sie haben einen

nicht völlig unerheblichen Tauschwert

.

29

L hat die Schlüssel unmittelbar

inne – sie stecken im Zündschloss ihres Autos, das sie fährt. W bricht
die Gewahrsame, indem sie den Schlüsselbund aus dem Fenster wirft.
Dadurch wird L am Vermögen geschädigt, da die Wiederbeschaffung der
Schlüssel nicht kostenlos ist.

W handelt hinsichtlich des Gewahrsamsbruchs absichtlich, dass die

Schlüssel fremde Sachen sind, weiß sie. Überdies muss sich ihr erwei-
terter Vorsatz auf die dauernde Entziehung richten.

30

Hält W es für

M–GLICHÏUNDÏlNDETÏSICHÏDAMITÏABÏ%VENTUALVORSATZÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏDASSÏ
die Schlüssel im frisch gefallenen Schnee nicht mehr gefunden werden?
Bei, was anzunehmen ist, weil eine halbstündige Suche erfolglos geblie-
ben ist, hohem Schnee ist der Verlust recht wahrscheinlich. Da sie im
Zeitpunkt der Tathandlung nicht auf das Finden des Schlüssels vertraut,
HÇLTÏSIEÏDIEÏDAUERNDEÏ%NTZIEHUNGÏERNSTLICHÏF¿RÏM–GLICHÏUNDÏlNDETÏSICHÏ
damit auch ab.

Die Rsp und hL betrachten das Merkmal „dauernd“ als Tatbildmerk-

mal. Sie fragen danach, ob das Wiedererlangen des Schlüsselbundes
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ernstlich in Frage gestellt ist.

31

Auch das ist wegen des tiefen Schnees zu bejahen.

b) Tätige Reue (§ 167 StGB) kommt W nicht zugute. Dazu müsste sie
DENÏDELIKTSSPEZIlSCHENÏ3CHADENÏGUTMACHENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"

32

Bei der

3UCHEÏZUÏHELFENÏGEN¿GTÏNICHTÏ7ÏM¿SSTEÏDENÏ3CHL¿SSELÏTATSÇCHLICHÏlNDENÏ
ODERÏ3CHADENERSATZÏLEISTENÏODERÏSICHÏDAZUÏVERPmICHTEN

c) W hat das Delikt jedoch zum Nachteil der L begangen. Da L und W in
(gleichgeschlechtlicher) Lebensgemeinschaft leben, sind sie wie Ange-
hörige zu behandeln
(§ 72 Abs 2 StGB). Die dauernde Sachentziehung
ist wegen Begehung im Familienkreis (§ 166 StGB) privilegiert und
W darf nur auf Verlangen der L (Privatanklage) verfolgt werden (§ 166
Abs 3 StGB).

Durch das Verzeihen der Tat am nächsten Tag erlischt L’s Recht auf

Privatanklage (§ 71 Abs 2 StPO).

33

5. Die Unbenutzbarkeit des Autos:

W könnte auch eine Sachbeschädigung (§ 125 StGB) verwirklicht

haben. Das Auto ist unbrauchbar, weil es ohne Zündschlüssel nicht ge-

28

B/S

BT I § 127 Rz 3.

29

K/Schm

StudB BT II § 127 Rz 19f.

30

B/S

BT I § 135 Rz 7.

31

K/Schm

StudB BT II § 135 Rz 30.

32

B/S BT I § 167 Rz 6, 10.

33

B/V

Rz 166.

Fall 3: „Gee Baby, Ain’t I Good to You?“

background image

56

fahren werden kann. Es ist jedoch auch beim Unbrauchbar-Machen die
Einwirkung auf die Sache selbst notwendig, weshalb § 125 StGB nicht
verwirklicht ist.

34

6. Die Drohung mit dem „Schädel-Abschneiden“ für den Fall der
Strafanzeige:

W könnte versuchte Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1 StGB) zu ver-

antworten haben. Trotz der Drohung, ihr im Falle einer Anzeige „den
Schädel abzuschneiden“, zeigt L W an. Der Nötigungserfolg – die Un-
terlassung der Strafanzeige – ist nicht eingetreten, das Tatbild also nicht
erfüllt. Deshalb ist Versuch zu prüfen. W hat vollen Tatentschluss, es
kommt ihr darauf an, L von der Strafanzeige abzuhalten.

35

Die Drohung

ist nicht wörtlich zu verstehen. W wird L nicht den „Schädel abschnei-
den“ wollen, aber man darf annehmen, dass eine Misshandlung oder
eine Körperverletzung gemeint ist. In Anbetracht ihres gewalttätigen We-
sens ist diese Drohung auch geeignet, begründete Besorgnis zu erregen
und ernst genommen zu werden. Es handelt sich um eine gefährliche
Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB.

36

Durch das Aussprechen der Drohung

betätigt W ihren Tatentschluss, damit setzt sie die tatbestandsmäßige
Handlung des § 105 Abs 1 StGB, die Ausführungshandlung (§ 15 Abs 2
StGB) zum Versuch.

37

Versuchte schwere Nötigung (§§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB)

wegen Drohung mit dem Tod ist auszuschließen, weil das „Schädel-Ab-
schneiden“ nicht wörtlich zu nehmen ist.

7. Das Übernachten im Auto bei minus 15 Grad Celsius:

W begeht keine Aussetzung (§ 82 Abs 1 StGB). L schwebt weder in

Lebensgefahr (in ihrem Auto ist sie trotz der niedrigen Außentemperatur
RELATIVÏGUTÏGESCH¿TZTÏNOCHÏISTÏSIEÏINÏEINERÏHILmOSENÏ,AGEÏSIEÏK–NNTEÏSICHÏ
aus ihrer zugegeben misslichen Situation selbst befreien. In Wien einen
WARMENÏ0LATZÏZUÏlNDENÏISTÏNICHTÏSCHWER

38

Ergebnis: W ist wegen Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB und

wegen teils versuchter, teils vollendeter Nötigung nach den §§ 15, 105
Abs 1 StGB zu bestrafen.

L ist straffrei.

34

B/S

BT I § 125 Rz 3.

35

K/H

AT Z 22 Rz 7.

36

Vgl B/S BT I § 105 Rz 9ff.

37

Fuchs

AT I 29. Kap Rz 22.

38

Vgl B/S BT I § 82 Rz 1.

III. Scheil

background image

57

Fall 4: „Straight No Chaser“

5Ï5NTERNEHMERÏINÏlNANZIELLENÏ3CHWIERIGKEITENÏZ¿CKTÏINÏEINERÏ"ANKÏ
ein Feuerzeug, das einer Pistole zum Verwechseln ähnelt, deutet da-
mit auf das Geld hinter dem Schalter, lässt sich einen Plastiksack mit
RUNDÏÏãÏANF¿LLENÏUNDÏSUCHTÏDASÏ7EITE
Die Polizisten P1 und P2 entdecken ihn und sprechen seine Festnah-
me aus. U zückt wieder sein „Pistolenfeuerzeug“. P1 und P2 schießen
ihn nieder. U kann trotz Treffer aufstehen, richtet sein „Pistolenfeu-
erzeug“ neuerlich auf P1 und P2 und wird von ihnen wieder nie-
dergeschossen. U steht ein zweites Mal auf, zielt mit seinem „Pisto-
lenfeuerzeug“ wieder auf P1 und P2 und auf den Polizisten P3, der
als Verstärkung gerade dazugekommen ist, und wird ein drittes und
letztes Mal niedergeschossen.
Am Abend stirbt U. Von den mehr als 20 Schüssen auf U gehen die
meisten fehl, die zwei Schüsse in den Brustkorb und in den Bauch
aber, von denen laut Obduktionsbericht jeder tödlich gewesen ist,
werden bei der letzten Schießerei abgegeben und stammen aus den
Pistolen des P1 und P3. Es kann nicht festgestellt werden, welcher
der beiden Schüsse den Tod zuerst verursacht hat.

1. Beurteilen Sie die Strafbarkeit des U (als er noch lebte)!
2. Und beurteilen Sie die Strafbarkeit der Polizisten P1 und P3 hin-
sichtlich der letzten Schießerei!

Lösung

1. Der Banküberfall:
a)
U könnte einen Raub (§ 142 Abs 1 StGB) begangen haben. Gegen-
stand des Raubes ist eine fremde bewegliche Sache in der Allein- oder
Mitgewahrsame eines anderen, hier das Geld, das im Eigentum der Bank
und in der Alleingewahrsame des Kassiers am Bankschalter steht. U nö-
tigt dem Kassier das Geld ab, indem er ihn durch Drohung mit gegen-
wärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Herausgabe zwingt. Er vermittelt
ihm durch Gesten mit seinem „Pistolenfeuerzeug“ den Eindruck, er sei
in der Lage und willens, auf der Stelle auf ihn zu schießen und ihn so
am Körper zu verletzen, ja zu töten, wenn er nicht unverzüglich das tut,
was er von ihm will. Seine Gesten sind durchaus geeignet, dem Kassier
im Hinblick auf die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Be-
SORGNISÏEINZUm–’ENÏDAÏERÏNICHTÏERKENNTÏDASSÏESÏSICHÏBEIÏDEMÏu0ISTOLEN-
feuerzeug“ um einen harmlosen Gegenstand handelt.

39

U handelt dies-

39

B/S

BT I § 142 Rz 6.

Fall 4: „Straight No Chaser“

background image

58

bezüglich mit Absicht (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt ihm auch darauf an,
sich das Geld zuzueignen, er will es zum Tilgen von Schulden ausgeben
(Zueignungsvorsatz) und sich dadurch unrechtmäßig bereichern, er will
sein Vermögen durch Abbau von Passiva vermehren (Bereicherungsvor-
satz), ohne ein Recht dazu zu haben.

b) Schwerer Raub (§ 143 Satz 1 2. Fall StGB; bewaffneter Raub) liegt
nicht vor, weil U nicht mit einer Waffe, sondern mit einer Waffenattrappe
droht.

40

Minderschwerer Raub (§ 142 Abs 2 StGB) scheidet allein des-

HALBÏAUSÏWEILÏ5ÏKEINEÏ3ACHEÏMITÏGERINGEREMÏ7ERTÏALSÏÏã

41

bzw nach

2SPÏUNDÏH,ÏGERINGEREMÏ7ERTÏALSÏÏãÏraubt.

42

2. Der Widerstand gegen die Festnahme:

Dabei könnte U einen versuchten Widerstand gegen die Staatsge-

walt (§§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB) begangen haben. Die Festnahme
des unmittelbar nach der Tat glaubwürdig des Raubs beschuldigten U (§
171 Abs 2 StPO) ist eine Amtshandlung, die Polizisten üben als Hoheits-
organe Befehls- und Zwangsgewalt aus (§ 269 Abs 3 StGB). Polizisten
sind auch Beamte (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB), die in der Verwaltung tätig
sind.

43

U gelingt es jedoch nicht, die Beamten an seiner Festnahme zu

hindern, das Delikt ist nur versucht.

U hat vollen Tatentschluss. Er hat die Absicht, die Beamten an sei-

ner Festnahme zu hindern. Diesen Tatentschluss betätigt er durch eine
Ausführungshandlung, durch eine gefährliche Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5
StGB). Er zieht das „Pistolenfeuerzeug“, richtet es auf die Polizisten und
droht ihnen zumindest mit einer Körperverletzung. Auch diese Drohung
ISTÏGEEIGNETÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISÏEINZUm–’ENÏDIEÏ"EAMTENÏK–NNENÏAUSÏ
der Ferne das „Pistolenfeuerzeug“ nicht von einer echten Waffe unter-
scheiden und gewinnen so den Eindruck, U sei in der Lage und willens,
das angedrohte Übel auszuführen.

44

Auch hier handelt U absichtlich.

U macht sich nach den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall StGB strafbar, wenn

man annimmt, er drohe gar mit dem Tod, dann würde es sich um eine
schwere Nötigung iSd § 106 Abs 1 Z 1 StGB handeln, U wäre dann nach
den §§ 15, 269 Abs 1 2. Fall StGB zu bestrafen.

3. Die Strafbarkeit der Polizisten P1 und P3 hinsichtlich der letzten
Schießerei:
a)
P1 und P3 könnten eine Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) und
DIVERSEÏ1UALIlKATIONENÏeeÏÏ!BSÏÏ!BSÏÏ:ÏÏÏ3T'"ÏODERÏAUCHÏEINEÏ

40

B/S

BT I § 143 Rz 2; K/Schm StudB BT II § 143 Rz 18.

41

B/S

BT I § 142 Rz 14.

42

K/Schm

StudB BT II § 142 Rz 101.

43

B/S

BT II § 302 Rz 1.

44

B/S

BT I § 105 Rz 10.

III. Scheil

background image

59

absichtliche schwere Körperverletzung (§ 87 Abs 1, Abs 2 StGB) be-
gangen haben. P1 und P3 treffen U in den Brustkorb und in den Bauch.
Jeder verursacht, weil er die körperliche Integrität des U nicht unerheb-
lich beeinträchtigt, eine Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB. Beide
handeln absichtlich, weil es ihnen gerade darauf ankommt, U zu treffen
und am Körper zu verletzen.

b) Bei den Brustkorb- und Bauchverletzungen handelt es sich um „an
sich schwere“ Körperverletzungen (§ 84 Abs 1 StGB), weil sie lebens-
gefährlich sind,

45

weil wichtige Organe in einer Weise beeinträchtigt wer-

den, dass damit wesentliche Funktionseinbußen verbunden sind, weil
der Heilungsverlauf ungewiss ist und überdies die Gefahr von Kompli-
kationen besteht

.

46

Diese besondere Folge der Tat führen sie fahrlässig

herbei (§ 7 Abs 2 StGB), es ist sozial inadäquat und daher fahrlässig, auf
Menschen zu schießen. Vielleicht handeln sie sogar mit Eventualvorsatz
(§ 5 Abs 1 Satz 2 StGB). Bei dem Kugelhagel, mit dem P1 und P3 U ein-
decken, halten sie es ernstlich für möglich, dass sie U schwer verletzen,
weil sie nicht darauf vertrauen, dass eine schwere Verletzung ausbleibt,
UNDÏlNDENÏSICHÏDAMITÏAUCHÏAB

47

Außerdem geschieht die Tat mit einem Mittel und auf eine Weise,

womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist (§ 84 Abs 2 Z 1 StGB),
P1 und P3 setzen ihre Dienstpistolen, weil sie U mit einem relativ un-
gezielten Kugelhagel eindecken und nicht einzelne Schüsse gezielt auf
die Extremitäten abgeben, konkret lebensgefährlich ein.

48

Polizisten wis-

sen um die Lebensgefährlichkeit von Schüssen, die auf den Körper und
nicht gezielt auf die Extremitäten eines Menschen abgefeuert werden
(§ 5 Abs 3 StGB).

Die Körperverletzungen führen zum Tod des U, P1 und P3 verwirk-

lichen so auch eine Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§ 86
StGB)
. P1 und P3 handeln auch diesbezüglich fahrlässig, auf einen Men-
schen zu schießen ist objektiv sorgfaltswidrig. Jeder der Schüsse führt für
sich zur tödlichen Verletzung und ist als hinreichende, aber nicht not-
wendige Bedingung kausal für den Tod des U. Die Eliminationsmethode
nach der Formel von der „conditio sine qua non“ führt hier zur Vernei-
nung der Kausalität beider Handlungen: Wenn man den Schuss des P1
in den Brustkorb des U wegdenkt, würde der Erfolg in seiner konkreten
Gestalt, der Tod des U zu einem bestimmten Zeitpunkt, nicht entfallen,
deshalb wäre sein Tun nicht kausal für den Erfolg. Dasselbe gälte für P3
hinsichtlich des Schusses in den Bauch. Um dieses absurde Ergebnis zu

45

B/S

BT I § 84 Rz 4f.

46

K/Schr

BT I § 84 Rz 12.

47

Fuchs

AT I 14. Kap Rz 53ff; K/H AT Z 15 Rz 11f, Z 27 Rz 22ff.

48

B/S

BT I § 84 Rz 8; K/Schr BT I § 84 Rz 58ff.

Fall 4: „Straight No Chaser“

background image

60

vermeiden, wendet man die Eliminationsmethode im Fall der „Doppel-
kausalität“ (alternative Kausalität) – jede von mehreren für sich hinrei-
chenden, aber jeweils nicht notwendigen Bedingungen ist kausal – nicht
an, sondern die Formel von der „gesetzmäßigen Bedingung“,

49

nach der

sowohl der Schuss des P1 als auch der Schuss des P3 ursächlich für den
Tod des U ist.

P 1 und P 3 könnten sogar eine absichtliche schwere Körper-

verletzung (§ 87 Abs 1 StGB) begangen haben. Dazu muss es ihr Ziel
sein, U lebensgefährlich zu verletzen oder eine Verletzung zuzufügen,
die zu einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung führt
(§ 84 Abs 1 StGB). Wenn sie aber, wie es Polizisten lernen, gezielt auf
Beine und Arme feuern, um U außer Gefecht zu setzen, aber auch nicht
gezielt auf seine Brust bzw seinen Bauch, dann fehlt es ihnen an der
Absicht auf eine schwere Körperverletzung. Beide handeln hinsicht-
lich der schweren Körperverletzung nur mit Eventualvorsatz, jeder wird
sich denken: „Wenn ich ihn in der Brust bzw im Bauch treffe, na wenn
schon!“ Gerade auf eine schwere Verletzung ankommen wird es ihnen
aber nicht.

50

c) Für die Tat von P1 und P3 kommen mehrere Rechtfertigungsgründe
in Frage:

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 5 SPG) dürfen

in Ausübung ihres Dienstes, hier zur Erzwingung der Festnahme
des U (§ 171 Abs 2 StPO), ihre Dienstwaffen gebrauchen (§ 2 Z 3
WaffGebrG). Der „lebensgefährdende“ Gebrauch einer Waffe, zB durch
Schießen auf einen Menschen, ist zur Erzwingung der Festnahme we-
gen des Verbrechens Raub zulässig nur, wenn er unmittelbar vorher
ausdrücklich und deutlich angedroht wird, zB durch einen Warnschuss
(§ 8 Abs 1 WaffGebrG). P1 und P3 warnen U nicht, sie schießen so-
fort auf U und die Schüsse vor der dritten Schießerei sind auch keine
Warnschüsse, weil U durch sie nicht in Aussicht gestellt wird, dass
weitere folgen werden. Allein deshalb ist dieser Rechtfertigungsgrund
nicht verwirklicht.

Im Zeitpunkt der dritten Schießerei ist U schon zweimal niederge-

schossen worden, der Angriff auf das Vermögen der Bank ist abgewehrt,
WEILÏ5ÏWOHLÏNICHTÏMEHRÏINÏDERÏ,AGEÏISTÏMITÏDERÏ"EUTEÏZUÏmIEHENÏDESHALBÏ
liegt kein rechtswidriger Angriff auf Vermögen mehr vor, weshalb P1
und P 3 auch nicht mehr zur Nothilfe berechtigt sind. Der „lebensgefähr-
dende“ Waffengebrauch „im Falle gerechter Notwehr“, wozu Nothilfe
zählt (§ 3 Abs 1 Satz 1 StGB), wäre Organen des öffentlichen Sicherheits-

49

Fuchs

AT I 13. Kap Rz 10, 14; K/H AT Z 10 Rz 12.

50

K/H

AT Z 15 Rz 11ff, Z 27 Rz 24.

III. Scheil

background image

61

dienstes überdies nicht zur Verteidigung von Vermögenswerten erlaubt
(argumentum e contrario aus § 7 Z 1 WaffGebrG).

51

Und ein rechtswidriger Angriff auf das Leben oder die körperliche

Unversehrtheit des P1 und des P3, der den „lebensgefährdenden“ Waf-
fengebrauch durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes rechtfer-
tigte (§ 7 Z 1 WaffGebrG iVm § 3 Abs 1 StGB), liegt auch nicht vor, weil
U nur mit seinem harmlosen „Pistolenfeuerzeug“ auf sie zielt.

d) P1 und P3 irren jedoch darüber, dass eine Notwehrsituation vorliegt,
dass U mit einer Pistole auf sie schießen wird. Die irrtümliche An-
nahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB)
hat Strafbar-
keit wegen Fahrlässigkeit zur Folge, wenn der Irrtum auf Fahrlässigkeit
beruht und wenn es ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt (§ 8
Satz 2 StGB).

52

Zumindest P1 handelt objektiv sorgfaltswidrig. Er ist schon in die ers-

ten zwei Schießereien verwickelt, einem einsichtigen und besonnenen
Menschen aus seinem Verkehrskreis, einem maßgerechten Polizisten
also, würde auffallen, dass U aus seinem „Pistolenfeuerzeug“ keinen ein-
zigen Schuss abgibt – es ist kein Knall zu hören, kein Mündungsfeuer
und kein Rückstoß zu sehen. Anders hinsichtlich P3: Auch der maßge-
rechte Polizist, der wie P3 erst unmittelbar vor der dritten Schießerei
am Tatort auftaucht und der die Vorgeschichte nicht kennt, würde an
seiner Stelle eine Notwehrsituation annehmen, sein Irrtum beruht nicht
auf Fahrlässigkeit, P3 macht sich nicht strafbar.

P1 ist wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen

Verhältnissen (§§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB) zu bestrafen, da er den Tod
des U verursacht und da sein Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. Besonders
gefährliche Verhältnisse iSd § 81 Abs 1 Z 1 StGB liegen deshalb vor, weil
Schießen auf einen Menschen den Eintritt des Todes außerordentlich wahr-
scheinlich macht und weil P1 mit auffallender Sorglosigkeit handelt, er
weiß sogar, dass auf einen Menschen zu schießen lebensgefährlich ist.

53

e) P1 und P3 könnten sogar einen Mord (§ 75 StGB) begangen haben.
Beide Schüsse sind kausal für den Tod des U, beide handeln aber nicht
einmal mit Eventualvorsatz hinsichtlich seines Todes, sondern vertrauen
auf sein Überleben. Die Hemmschwelle, jemanden zu töten, liegt idR
sehr hoch. Konkrete Hinweise, dass sie auch dann geschossen hätten,
wenn sie den Tod des U für gewiss gehalten hätten („erste Frank’sche
Formel“),

54

gibt es im Sachverhalt nicht.

51

Fuchs

AT I 17. Kap Rz 48.

52

Fuchs

AT I 20. Kap Rz 6ff; K/H Z 19 Rz 8f.

53

B/S

BT I § 81 Rz 2ff, 10.

54

B/S

BT I § 75 Rz 6.

Fall 4: „Straight No Chaser“

background image

62

Ergebnis: U wäre, so er noch lebte, wegen Raubes nach § 142 Abs 1

StGB und wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach
den §§ 15, 269 Abs 1 1. Fall (bei Drohung mit dem Tod 2. Fall) StGB
zu bestrafen – die auch verwirklichte (schwere) Nötigung wird wegen
Spezialität des Widerstands gegen die Staatsgewalt ihr gegenüber ver-
drängt.

P1 ist wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Ver-

hältnissen nach den §§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB zu bestrafen

0ÏISTÏSTRAmOS

Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”

Der „liebesbedürftige“ L ist wegen eines Rauschs nicht mehr dazu
in der Lage, Geld vom Bankomaten abzuheben. Er gibt der Prosti-
tuierten P seine Bankomatkarte und nennt ihr den PIN-Code. P hebt
NICHTÏWIEÏVEREINBARTÏDENÏu,IEBESLOHNhÏVONÏÏãÏSONDERNÏÏãÏABÏ
und behält das Geld für sich.
In der anschließenden „Liebesnacht“ nimmt P auch noch heimlich die
Bankomatkarte aus der Geldtasche von L. Sie will damit eine Woche
VONÏ3ONNTAGÏBISÏ3ONNTAGÏLANGÏJEDENÏ4AGÏÏãÏVOMÏ"ANKOMATENÏ
abheben, mehr erlaubt diese Karte pro Tag nicht. Um die Sperre der
Karte so lange zu verhindern, wird L am nächsten Tag von einem
„Herrn Huber“ angerufen, in Wahrheit von Z, dem Zuhälter der P. Er
habe die Bankomatkarte gefunden, sie sei schon mit der Post unter-
wegs zu ihm. Dafür bedankt sich L beim „Herrn Huber“, also bei Z,
und verschweigt ihm, dass er die Karte bereits sperren hat lassen.
!LSÏ0ÏNOCHÏANÏDIESEMÏ4AGÏDIEÏERSTENÏÏãÏABHEBENÏWILLÏWIRDÏDIEÏ
Karte vom Bankomaten eingezogen und P mit Hilfe des dabei an-
GEFERTIGTENÏÍBERWACHUNGSVIDEOSÏIDENTIlZIERT

Beurteilen Sie die Strafbarkeit der P und des Z!

Lösung

1. Das

!BHEBENÏDERÏÏãÏVORÏDERÏu,IEBESNACHTh

a) P könnte einen betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauch
(§ 148a Abs 1 StGB)
begangen haben. P veranlasst elektronisch durch
das Eingeben von Daten, und zwar des PIN-Codes und des Geldbetrags,
und durch Bestätigung des Betrags über die als Liebeslohn vereinbarten
ÏãÏHINAUSÏDURCHÏZWEIMALIGESÏ$R¿CKENÏDERÏ"ESTÇTIGUNGSTASTEÏWIDER-
rechtlich eine Abbuchung vom Konto des L und schädigt ihn dadurch

III. Scheil

background image

63

INÏSEINEMÏ6ERM–GENÏUMÏÏãÏWEILÏERÏF¿RÏDIESENÏ'ELDBETRAGÏKEINEÏ'E-
genleistung erhält. Auf der inneren Tatseite handelt sie hinsichtlich aller
Tatbildmerkmale absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt ihr auch darauf
ANÏIHRÏ6ERM–GENÏUMÏÏãÏZUÏVERMEHRENÏAUFÏDIEÏSIEÏKEINÏ2ECHTÏHATÏSIEÏ
will sich um diesen Betrag unrechtmäßig bereichern.

55

Nach Meinung der Rsp begeht P einen Diebstahl an den Geldscheinen

der Bank.

56

Die Gewahrsame der Bank wird aber nicht gegen einen ent-

gegenstehenden Willen gebrochen, die Geldscheine werden dem bisheri-
gen Gewahrsamsträger also nicht „weggenommen“, sondern mit ihrem
Einverständnis „herausgegeben“.

b) P begeht keine Veruntreuun

g

(§ 133 Abs 1 StGB), ihr ist nur die

Bankomatkarte, nicht aber das Bankguthaben (zB durch Überweisung
im Rahmen eines Auftragsverhältnisses) anvertraut.

57

c) Sie begeht auch keine Untreue (§ 153 Abs 1 StGB), weil sie keine
Vollmacht hat, als Vertreter des L über sein Konto zu verfügen, sondern
nur den Auftrag, für ihn Geld abzuheben.

58

2. Das Entfernen der Bankomatkarte aus der Geldtasche:
a) Zunächst ist die Entfremdung unbarer Zahlungsmittel (§ 241e
Abs 1 Satz 1 StGB)
zu prüfen.
'EMǒÏDERÏ$ElNITIONÏINÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏHANDELTÏESÏSICHÏBEIÏDERÏ
Bankomatkarte um ein unbares Zahlungsmittel.

59

Als Tathandlung ver-

langt § 241e Abs 1 StGB, dass sich der Täter das unbare Zahlungsmittel
verschafft. Durch den heimlichen Griff in die Geldtasche bricht die P die
Gewahrsame des L an der Karte, begründet eigene durch Einstecken der
Karte und verschafft sich durch diese Wegnahme das Zahlungsmittel.

60

Der Täter muss zum Zeitpunkt der Tathandlung Bereicherungsvorsatz
haben.

61

Diesen Vorsatz hat P, da sie plant, mit der Karte am Bankomaten

Geld abzuheben und dadurch ihr Vermögen zu vermehren. P handelt
absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB).

b) Die „bloße“ Entfremdung nach § 241e Abs 3 StGB ist ebenfalls zu
prüfen. Bei einer Entfremdung mit dem erweiterten Vorsatz nach § 241e
Abs 1 Satz 1 StGB geht die Unterdrückung nach § 241e Abs 3 StGB regel-

55

B/S

BT I § 148a Rz 3.

56

RZ 1997/50; JBl 1992, 605.

57

B/S

BT I § 133 Rz 10.

58

B/S

BT I § 153 Rz 1ff.

59

B/S

BT II § 241a Rz 2f.

60

K/Schm

StudB BT III § 241e Rz 11f.

61

B/S

BT II § 241e Rz 4.

Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”

background image

64

mäßig einher. Dies schließt P auch in ihren Vorsatz ein. Sie hat zumindest
das Begleitwissen, dass L die Karte nicht mehr im Rechtsverkehr benut-
zen kann.

62

Die Anwendung des § 241e Abs 1 Satz 1 StGB konsumiert

aber die typische Begleittat nach § 241e Abs 3 StGB.

c) Diebstahl (§ 127 StGB) scheidet aus, weil P die Karte nur vorüber-
gehend gebrauchen und dann wegwerfen (oder L wieder zukommen
lassen) will, sie will die Karte zB nicht für immer behalten (Zueignungs-
vorsatz) und ihr Vermögen dadurch unrechtmäßig vermehren (Bereiche-
rungsvorsatz),

63

sie will das eigene Vermögen nicht um den wirtschaft-

lichen Wert der Karte unrechtmäßig vermehren

.

64

Ihr fehlen der Zueig-

nungs- und der Bereicherungsvorsatz.

Die Rsp verneint mangels Tauschwerts der Bankomatkarte auch Dieb-

stahl.

65

d) Die Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB kommt nicht zur
Anwendung. Die Unterdrückung eines unbaren Zahlungsmittels ist ex-
klusiv nach § 241e Abs 3 StGB strafbar.

66

Dieses Delikt tritt aber hinter

§ 241e Abs 1 Satz 1 StGB zurück (s oben).

e) Dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) ist ebenfalls auszuschlie-
ßen. Diese Bestimmung kommt zur Anwendung, wenn etwa ein Wertträ-
ger („quick-chip“) ohne Bereicherungsvorsatz weggenommen wird. Für
unbare Zahlungsmittel, die keine Wertträger sind, kommt exklusiv § 241e
Abs 3 StGB zur Anwendung. Dies gilt auch, wenn die Karte mit einem
„quick-chip“ versehen ist.

67

3. Das

ÏMISSGL¿CKTEÏ!BHEBENÏDERÏERSTENÏÏãÏnach der „Liebesnacht“

– Strafbarkeit der P:
a) P könnte sich wegen versuchten betrügerischen Datenverarbei-
tungsmissbrauchs (§§ 15, 148a Abs 1 StGB)
strafbar gemacht haben.
Bezüglich der äußeren Tatseite des § 148a Abs 1 StGB gilt das oben unter
1.a) Gesagte, allerdings tritt hier der Erfolg nicht ein, der Vermögensscha-
DENÏINÏ(–HEÏVONÏÏãÏ0ÏHANDELTÏMITÏVOLLEMÏ4ATENTSCHLUSSÏIHRÏKOMMTÏ
es darauf an (§ 5 Abs 2 StGB), alle Tatbildmerkmale zu verwirklichen,
und durch das Eingeben der Daten (PIN-Code, Geldbetrag, Bestätigung)
betätigt sie ihren Tatentschluss durch eine Ausführungshandlung.

62

B/S

BT II § 241e Rz 12.

63

B/S

BT I § 127 Rz 18ff.

64

K/Schm

StudB BT II § 127 Rz 143ff.

65

RZ 1997/50; K/Schm StudB BT II § 127 Rz 19f.

66

B/S

BT II § 241e Rz 13, § 229 Rz 6.

67

B/S

BT II § 241e Rz 13.

III. Scheil

background image

65

Der Versuch ist untauglich, weil die Karte gesperrt ist, es ist nicht

mehr möglich, mit ihr Geld abzuheben. Der Versuch ist nur relativ, aber
nicht absolut untauglich (§ 15 Abs 3 StGB) und deshalb strafbar, weil
§ 148a Abs 1 StGB beliebige Mittel und beliebige Handlungen zulässt
und weil das verwendete Mittel, die Bankomatkarte, und die Handlung,
die Eingabe der Daten in den Bankomaten, dann auf ihre Gefährlichkeit
ex ante zu beurteilen sind.

68

Für einen mit Durchschnittswissen ausge-

statteten begleitenden Beobachter, der den Tatplan der P kennt und der
die Erfolgsaussichten ex ante aus Sicht der P beurteilt, kann die Einga-
be der Daten unter Verwendung dieser Karte zum Erfolg führen, zur
(ERAUSGABEÏDERÏÏãÏDIEÏ+ARTENSPERREÏISTÏNICHTÏERKENNBARÏUNDÏBEREITSÏ
einen Tag nach dem Verlust auch nicht zwingend anzunehmen.

69

Strafaufhebender Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) liegt

nicht vor. Als ersten Schritt verlangt der Rücktritt die endgültige Aufgabe
der Ausführung der Tat. „Aufgeben“ kann man nach dem Wortsinn ein
Verhalten nur dann, wenn man es noch fortführen kann oder fortführen
zu können glaubt. In dem Zeitpunkt, in dem der Bankomat die Karte
einzieht und auf dem Bildschirm den Abbruch der Aktion ankündigt,
nimmt P zur Kenntnis, dass sie ihr Ziel, nämlich Geld abzuheben, nicht
mehr erreichen kann. Beim „fehlgeschlagenen Versuch“ ist der strafauf-
HEBENDEÏ2¿CKTRITTÏMANGELSÏ!UFGABEÏDERÏ4ATAUSF¿HRUNGÏBEGRIFmICHÏAUSGE-
schlossen,

70

die Freiwilligkeit als weiteres Merkmal des Rücktritts braucht

gar nicht mehr geprüft zu werden.

b)

Ï 0Ï WILLÏ DURCHÏ ACHTÏ :UGRIFFEÏ INSGESAMTÏ Ï ãÏ ERBEUTENÏ IHRÏ 6ORSATZÏ

erstreckt sich auf die Verwirklichung des § 148a Abs 2 1. Fall StGB, auf
DIEÏ(ERBEIF¿HRUNGÏEINESÏÏãÏ¿BERSTEIGENDENÏ3CHADENSÏ$IEÏACHTÏ4A-
thandlungen richten sich gegen dasselbe Rechtsgut, liegen zeitlich eng
beieinander – eine Woche lang jeden Tag ein Zugriff – die Begehungs-
weise ist gleichartig – jedes Mal will sie auf dieselbe Weise Geld abheben
–, und die Tathandlungen sind von einem einheitlichen Vorsatz, einem
Gesamtvorsatz, getragen, der sich von vornherein auf eine ziffernmäßig
bestimmte Summe bezieht. Es handelt sich dabei um ein fortgesetztes
Delikt,

71

mit dem ersten Teilakt (§ 15 Abs 2 StGB) ist bereits das gesamte

fortgesetzte Delikt versucht (strittig).

72

P macht sich nach den §§ 15, 148a

!BSÏÏÏÏ3TRAFSATZÏ3T'"ÏSTRAFBARÏDAÏEINEÏECHTEÏ$ELIKTSQUALIlKATIONÏWIEÏ
diese im Versuch begangen werden kann.

73

68

Fuchs

AT I 30. Kap Rz 18f, 28ff.

69

K/H

AT Z 24 Rz 10ff.

70

Fuchs

AT I 31. Kap Rz22 ff; K/H AT Z 23 Rz 20f.

71

K/H

AT E 8 Rz 58ff.

72

Schmoller,

Bedeutung und Grenzen des fortgesetzten Delikts 56f; aM Venier, Der

Fortsetzungszusammenhang im österreichischen Strafrecht 9f.

73

Fuchs

AT I 28. Kap Rz 20.

Fall 5: „Ev’rybody’s Somebody’s Fool”

background image

66

Nach der Rsp handelt es sich um einen versuchten schweren Diebstahl

an den Geldscheinen der Bank (§§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB).

c) Konkurrenz:

P hat durch die Wegnahme der Karte (mit Bereicherungsvorsatz) den

Tatbestand des § 241e Abs 1 Satz 1 StGB verwirklicht. Ebenfalls hat sie
sich nach den §§ 15, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB strafbar gemacht. Es
stellt sich die Frage, ob diese Delikte zum Schein oder echt konkurrie-
ren.

74

P hat die Bankomatkarte an sich genommen, um sich durch deren

missbräuchliche Verwendung zu bereichern und L an seinem Vermögen
zu schädigen. Dieser Bereicherungsvorsatz muss gegeben sein, um sich
nach § 241e Abs 1 Satz 1 StGB strafbar zu machen. Der später begangene
betrügerische Datenverarbeitungsmissbrauch oder zumindest der Ver-
such ist regelmäßige Folge einer Entfremdung unbarer Zahlungsmittel
und wird daher von § 241e Abs 1 Satz 1 StGB umfasst.

75

Hier handelt P

ALLERDINGSÏQUALIlZIERTÏNACHÏeÏAÏ!BSÏÏÏ3TRAFSATZÏ3T'"ÏDAÏSIEÏBEAB-
SICHTIGTÏEINENÏÏãÏ¿BERSTEIGENDENÏ"ETRAGÏZUÏERLANGENÏ)NÏDIESEMÏ&ALLÏ
kann nicht mehr von einer typischen Folge der Entfremdung gesprochen
WERDENÏ6IELMEHRÏISTÏDASÏ3ICH6ERSCHAFFENÏEINEÏSTRAmOSEÏ6ORTATÏUNDÏTRITTÏ
hinter die Anwendung des Strafsatzes nach § 148a Abs 2 StGB zurück.

76

4. Der Beitrag des Z:
a) Ein Beitrag des Z zur Entfremdung unbarer Zahlungsmittel ist nicht
möglich, da dieser bereits mit der vollendeten Wegnahme der Bankomat-
karte abgeschlossen ist. Zu diesem Zeitpunkt war Z noch nicht in das
Geschehen eingebunden.

b) Z könnte sich wegen sonstigen Tatbeitrags zum betrügerischen
Datenverarbeitungsmissbrauch
strafbar gemacht haben. Durch sei-
nen Anruf bei L will er die acht Zugriffe auf dessen Konto durch P
ermöglichen, L soll die Sperre der Bankomatkarte eine Woche lang un-
terlassen. Dieser physische Beitrag wird aber nicht wirksam, weil L die
Karte schon vor dem Anruf hat sperren lassen. Anders als der Versuch
der Bestimmung und der Versuch der unmittelbaren Täterschaft ist der
Versuch des sonstigen Tatbeitrags nicht strafbar (§ 15 Abs 2 StGB).

77

Wenn Z sich mit P berät und sie in ihrem bereits gefassten Tatent-

schluss bestärkt, das Konto des L zu plündern, insbesondere wenn er
sie darin bestärkt, die Bankomatkarte eine Woche lang zu verwenden,
weil er durch seinen Anruf bei L die Sperre der Karte hinauszögern wird,

74

K/H E 8 Rz 11ff.

75

B/S

BT II § 241e Rz 8.

76

B/S

BT I § 148a Rz 7.

77

Fuchs

AT I 34. Kap Rz 38f; K/H AT E 6 Rz 35f.

III. Scheil

background image

67

dann ist er kausal geworden dafür, dass P die Tat ausführt, dann fördert
er ihre Tatausführung (psychischer Tatbeitrag).

78

Z handelt auch mit dem

6ORSATZÏÏãÏZUÏERBEUTENÏ%RÏISTÏFREILICHÏNURÏWEGENÏsonstigen Tatbei-
trags zum Versuch des betrügerischen Datenverarbeitungsmiss-
brauchs (§§ 15, 12 3. Fall, 148a Abs 1, 2 1. Strafsatz StGB)
zu bestra-
fen, weil P als unmittelbare Täterin im Versuchsstadium stecken bleibt.

79

Nach der Rsp handelt es sich hier um sonstigen Tatbeitrag zum Ver-

such des schweren Diebstahls an den Geldscheinen der Bank (§§ 15, 12
3. Fall, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB).

Ergebnis: P ist wegen teils versuchten, teils vollendeten betrüge-

rischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach den §§ 15, 148a Abs 1, 2 1.
Strafsatz StGB zu bestrafen. § 241e Abs 1 Satz 1 StGB tritt zurück (Rsp:
wegen teils versuchten und teils vollendeten Diebstahls nach den §§ 15,
127, 128 Abs 1 Z 4 StGB und wegen Entfremdung unbarer Zahlungsmit-
tel nach § 241e Abs 1 Satz 1 StGB).

80

Z ist wegen sonstigen Tatbeitrags zum Versuch des betrügerischen

Datenverarbeitungsmissbrauchs nach den §§ 15, 12 3. Fall, 148a Abs 1, 2
1. Strafsatz StGB (Rsp: wegen sonstigen Tatbeitrags zum Versuch des Dieb-
stahls nach den §§ 15, 12. 3.Fall, 127, 128 Abs 1 Z 4 StGB)

zu bestrafen.

Fall 6: „Stomping At The Savoy“

A, der in einer Bank arbeitet, die „Clubbings“ (Tanzfeste) zu veran-
STALTENÏPmEGTÏNIMMTÏVONÏDORTÏEINENÏ3TO’Ï"LANKOFORMULAREÏMITÏNACHÏ
Hause und macht aus ihnen mit Hilfe seines Computers und Druk-
kers Eintrittskarten für das inzwischen legendäre „Stomping At The
3AVOYhÏÏ+ARTENÏSETZTÏERÏABÏÏãÏW¿RDEÏEINEÏECHTEÏ%INTRITTSKARTEÏ
F¿RÏDIESESÏu#LUBBINGhÏKOSTENÏVONÏ!ÏBEKOMMTÏMANÏSIEÏUMÏÏãÏ.ICHTÏ
allen Käufern gelingt der Eintritt, weil der Veranstalter Wind davon
bekommt und einige Fälschungen beim Eintritt entdeckt.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A!

78

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 54; K/H AT E 5 Rz 11.

79

Fuchs

AT I 34. Kap Rz 27; K/H AT E 6 Rz 37f.

80

K/Schm

StudB BT III § 241e Rz 42f.

Fall 6: „Stomping At The Savoy“

background image

68

Lösung

1. Das Nach-Hause-Nehmen der Blankoformulare:
a)
A könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) an den Blankoformularen
begangen haben. Eintrittskarten für ein von einer Bank veranstaltetes
„Clubbing“ müssen etwas „hermachen“, das sind keine Billigdrucke auf
schäbigem Papier wie für ein „Festl“ der alternativen Szene, vielleicht
sind sie sogar mit einem „Hologramm“ versehen, um Fälschungen zu-
mindest zu erschweren. Solche Blankoformulare sind nicht so wertlos,
dass sich die Bank ohne nennenswerten Aufwand Ersatz verschaffen
kann (Wiederbeschaffungswert).

81

Die Formulare sind auch fremd, weil

sie im Eigentum der Bank stehen, und A nimmt sie weg, sobald er sie
aus der Gewahrsame desjenigen in der Bank entzieht, der sie verwahrt,
und eigene Gewahrsame daran begründet, zB durch Verstauen in seiner
Aktentasche, spätestens aber mit Verlassen des Bankgebäudes.

82

Diesbe-

züglich handelt A absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB). Es kommt A auch darauf
an, sich durch Zueignung der Formulare – er will sie verbrauchen zum
$RUCKÏDERÏ&ALSIlKATEÏnÏUNRECHTMǒIGÏZUÏBEREICHERNÏnÏERÏWILLÏSEINÏ6ER-
mögen, ohne eine Recht darauf zu haben, vermehren, indem er sich
Ausgaben für solche Formulare spart.

83

Nach Rsp und hL sind solche Blankoformulare

84

dann keine taugli-

chen Objekte eines Diebstahls, wenn sie schon mit dem Namen der Bank
etc bedruckt sind, weil sie dann nicht mehr verkauft werden können und
deshalb gar keinen Tauschwert haben.

b) A könnte auch eine Veruntreuung (§ 133 Abs 1 StGB) verwirkli-
cht haben. Dazu müssten ihm die Blankoformulare anvertraut sein.
Er müsste sie in seine Alleingewahrsame übernehmen und sich dem
ÍBERGEBERÏSEINEMÏ6ORGESETZTENÏZ"ÏVERPmICHTENÏSIEÏZURÏ%RF¿LLUNGÏEINESÏ
Auftrags zu verwenden, zB selbst Eintrittskarten für ein „Clubbing“ in der
Bank zu drucken oder sie auf Anforderung einem anderen zum Druck
herauszugeben.

85

Die Formulare sind körperliche Gegenstände und sie

haben auch, wie zum Diebstahl ausgeführt, einen Wiederbeschaffungs-
wert.

86

Tathandlung der Veruntreuung ist die Zueignung des Tatobjekts,

A verbraucht die Formulare, indem er sie bedruckt, dadurch eignet er sie
sich zu und vollendet das Delikt.

87

Hinsichtlich der Verwirklichung des

Tatbilds handelt A absichtlich. Auch der erweiterte Vorsatz liegt in Form

81

B/S

BT I § 127 Rz 3.

82

B/S

BT I § 127 Rz 13ff.

83

B/S

BT I § 127 Rz 20ff.

84

Für Scheckformulare OGH SSt 56/32, LSK 1977/98; K/Schr BT I § 127 Rz 27.

85

B/S

BT I § 133 Rz 3ff.

86

B/S

BT I § 133 Rz 1f.

87

B/S

BT I § 133 Rz 11.

III. Scheil

background image

69

der Absicht vor, die Vermehrung seines Vermögens durch Sparen der
Auslagen für solche Formulare ist sein Ziel.

Nach Rsp und hL sind solche Blankoformulare mangels Tauschwerts

auch keine tauglichen Objekte für eine Veruntreuung

,

88

s oben a).

Ich gehe davon aus, dass die Formulare A nicht anvertraut waren,

dass er sie also gestohlen hat.

2. Der Druck der Eintrittskarten:
a)
A könnte eine Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 1. Fall StGB) began-
gen haben. Die Eintrittskarte für das „Clubbing“ enthält eine schriftliche,
mit dem menschlichen Auge lesbare Gedankenerklärung des Inhalts,
dass der Inhaber der Karte zum Eintritt zum „Clubbing“ berechtigt ist.
Die Eintrittskarte wird auch errichtet, um die Berechtigung zum Eintritt
zu beweisen, sie ist eine Absichtsurkunde. Auch der „geistige Urheber“
der Eintrittskarte, der Aussteller, scheint auf, hier die Bank (§ 74 Abs 1 Z 7
StGB).

89

A stellt eine falsche

90

(unechte)

91

Urkunde her, weil er ein Blan-

kett mit einer Erklärung versieht, die vom Willen des Ausstellers nicht
gedeckt ist – die Organe der Bank wissen von seinem „Nebengeschäft“
nichts und sind damit auch nicht einverstanden. Durch das Ausfüllen des
Blankoformulars, auf das der Namen des Ausstellers schon gedruckt ist,
durch Beschriften des Formulars mit dem Namen des Fests und des Orts,
WOÏ UNDÏ DEMÏ $ATUMÏ WANNÏ DASÏ u#LUBBINGhÏ STATTlNDETÏ VIELLEICHTÏ AUCHÏ
durch Bedrucken mit dem Eintrittspreis für dieses „Clubbing“ entsteht
die Urkunde erst (Blankettfälschung). A handelt absichtlich, insbesonde-
re hinsichtlich der Täuschung über den Aussteller. Er handelt auch mit
dem erweiterten Vorsatz, dass all die falschen Eintrittskarten im Rechts-
verkehr zum Beweis des Eintrittsrechts gebraucht werden.

b) A bewirkt auch, dass die falschen Eintrittskarten von den Käufern
beim Eintritt zum „Clubbing“ vorgewiesen werden, dass sie der zu täu-
schenden Person,

92

dem Beweisadressaten,

93

zugänglich gemacht, also

gebraucht werden (§ 223 Abs 2 StGB). A ist nicht unmittelbarer Täter,
weil nicht er die dem Wortlaut des Tatbestands entsprechende Ausfüh-
rungshandlung vornimmt. Aber er erweckt vorsätzlich durch den Verkauf
der falschen Eintrittskarten in den ahnungs-, deshalb vorsatz- und straf-
losen Käufern den Handlungsentschluss, die falschen Eintrittskarten zum
Eintritt zum „Clubbing“ zu gebrauchen und so die Tat auszuführen, und

88

K/Schr

BT I § 133 Rz 14.

89

B/S

BT II § 223 Rz 2ff.

90

B/S

BT II § 223 Rz 10.

91

K/Schm

StudB BT III § 223 Rz 29.

92

B/S

BT II § 223 Rz 20.

93

K/Schm

StudB BT III § 223 Rz 46.

Fall 6: „Stomping At The Savoy“

background image

70

verwirklicht so, weil er auch vorsätzlich, und zwar mit Absicht handelt,
als Bestimmungstäter den Tatbestand der Urkundenfälschung (§§ 12
2. Fall, 223 Abs 2 StGB)
.

94

3. Der Verkauf der Eintrittskarten:
a)
A könnte einen Betrug (§ 146 StGB) an den Käufern begangen haben.
Er erregt in ihnen durch Fordern des Kaufpreises, also durch schlüssiges
Verhalten einen Irrtum darüber, dass die Karten falsch sind und deshalb
nicht zum Eintritt berechtigen, veranlasst sie dadurch zum Kauf der Fal-
SIlKATEÏUNDÏSCHÇDIGTÏSIEÏJEWEILSÏUMÏÏãÏANÏIHREMÏ6ERM–GENÏWEILÏIH-
ren Aufwendungen eine unverwertbare Gegenleistung gegenübersteht.

95

Dass einem Teil der Käufer der Eintritt gelingen wird, ändert an der Wert-
losigkeit der Karten und damit am Vermögensschaden nichts. A handelt
auch mit dem erforderlichen Tatvorsatz, er täuscht absichtlich (§ 5 Abs 2
StGB) und weiß (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Käufer einen Schaden von
JEWEILSÏÏãÏERLEIDENÏ5NDÏESÏKOMMTÏIHMÏDARAUFÏANÏSEINÏ6ERM–GENÏUMÏ
JEWEILSÏÏãÏZUÏVERMEHRENÏOHNEÏEINÏ2ECHTÏDARAUFÏZUÏHABEN

b) A hat auch einen schweren Betrug (§ 147 Abs 2 StGB) verwirklicht.
Da die Höhe seiner Strafdrohung von einem „ziffernmäßig“ bestimmten
Betrag abhängt, den die Handlung verursacht hat – der Schaden muss
ÏãÏ¿BERSTEIGENÏnÏISTÏDIEÏ3UMMEÏDERÏ3CHADENSBETRÇGEÏÏãÏMA’-
gebend, weil A mehrere Betrügereien begeht, das sind mehrere Taten
derselben Art (Zusammenrechnungsprinzip, § 29 StGB).

c) A verwirklicht nicht einen schweren Betrug unter Verwendung einer
Urkunde (§ 147 Abs 1 Z 1 StGB), weil er zwar eine unwahre Behaup-
tung über die Echtheit der Urkunde Eintrittskarte aufstellt, die falsche
Urkunde aber nicht zum Beweis seiner Behauptung verwendet.

96

d) A erweckt in den ahnungslosen Käufern durch den Verkauf der Kar-
ten auch den Entschluss, das „Clubbing“ zu besuchen. Sie sollen sie
beim Eintritt vorweisen und so durch Täuschung über die Tatsache, kein
Recht auf den Eintritt zu haben, den Zutritt zu der Veranstaltung erschlei-
chen, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten. Das Entgelt, das sich
DIEÏ"ESUCHERÏERSPARENÏISTÏMITÏÏãÏPROÏ%INTRITTÏGERINGÏWEILÏESÏDENÏ7ERTÏ
VONÏÏãÏNICHTÏ¿BERSTEIGTÏUNDÏWEILÏDERÏ6ERLUSTÏDENÏ6ERANSTALTERÏ"ANKÏ
nicht schwer trifft.

97

Eine Zusammenrechnung der Entgelte – A hat 450

falsche Eintrittskarten abgesetzt, damit könnten Eintrittsgelder in Höhe

94

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 5, 27; K/H AT E 4 Rz 22ff.

95

K/Schm

StudB BT II § 146 Rz 146f; Lewisch BT I 235.

96

K/Schm

StudB BT II § 147 Rz 23.

97

K/Schm

StudB BT II § 141 Rz 17f.

III. Scheil

background image

71

VONÏÏãÏGESPARTÏWERDENÏEINÏ"ETRAGÏDERÏNICHTÏMEHRÏuGERINGhÏWÇREÏ
nÏlNDETÏHIERÏNICHTÏSTATTÏWEILÏeÏÏ3T'"ÏDIEÏ:USAMMENRECHNUNGÏNURÏAN-
ordnet, wenn der deliktsrelevante Betrag „ziffernmäßig“ bestimmt ist,
was auf den Begriff „geringes Entgelt“ nicht zutrifft. A macht sich wegen
Bestimmung zur (zum Versuch der) Erschleichung einer Leistung
nach den §§ (15 Abs 1), 12 2. Fall, 149 Abs 1 StGB
strafbar – wegen
Bestimmung zum Versuch in den Fällen, in denen den Käufern seiner
&ALSIlKATEÏ DERÏ %INTRITTÏ ZUMÏ u#LUBBINGhÏ VERWEHRTÏ WIRDÏ INÏ DENENÏ SIEÏ IMÏ
Versuch stecken bleiben.

98

Ergebnis: A macht sich strafbar wegen Diebstahls nach § 127 StGB,

wegen schweren Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 2 StGB und wegen
Bestimmung zur (zum Versuch der) Erschleichung einer Leistung nach
den §§ (15 Abs 1), 12 2. Fall, 149 Abs 1 StGB.

Nicht bestraft werden darf er wegen der Urkundenfälschung, sie kon-

kurriert nur zum Schein. Die Herstellung der falschen Urkunde (§ 223
Abs 1 1. Fall StGB) tritt wegen stillschweigender (materieller) Subsidia-
rität

99

hinter den Gebrauch der falschen Urkunde (§ 223 Abs 2 StGB)

zurück. Die lex specialis schwerer Betrug unter Verwendung einer Ur-
kunde (§§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB) würde den Gebrauch der falschen
Urkunde (§ 223 Abs 2 StGB) verdrängen (Spezialität) – würde deshalb,
weil sie tatsächlich nicht verwirklicht worden ist. Da aber die lex spe-
cialis Erschleichung einer Leistung (§ 149 Abs 1 StGB) das Grunddelikt
"ETRUGÏeÏÏ3T'"ÏSAMTÏALLÏSEINENÏ1UALIlKATIONENÏVERDRÇNGTÏWIEDERÏ
Spezialität), den schweren Betrug unter Verwendung einer Urkunde in-
begriffen, kommt die Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 1. Fall und Abs 2
StGB) nicht zur Anwendung.

100

Fall 7: „Misterioso“

Der Tiroler T kauft in Holland fünf Kilogramm Haschisch, bringt es
nach Österreich und wird wegen Einfuhr von Suchtgift in einer groß-
en Menge (§ 28 Abs 2 SMG) verurteilt. Von wem er das Haschisch in
Holland gekauft hat, sagt T nicht.
Der Verdacht fällt auf den Holländer L, der die Haschischlieferung
an T bestreitet und zum Beweis dafür in der Hauptverhandlung in
Innsbruck eine vor einem Notar in Holland abgegebene schriftliche

98

Fuchs

AT I 34. Kap Rz 8, 23; K/H AT E 6 Rz 18ff.

99

K/Schm

StudB BT III § 223 Rz 70.

100

K/Schm

StudB BT II § 149.

Fall 7: „Misterioso“

background image

72

Erklärung des Holländers X vorlegt, laut der X der Verkäufer des Ha-
schischs ist. L wird freigesprochen.
X bestreitet, als ihm in Innsbruck der Prozess gemacht wird, die Rich-
tigkeit seiner Erklärung vor dem Notar in Holland: „Der Vater von L
lag damals im Sterben. L wollte ihn noch einmal sehen und hat mich
gebeten, diese Erklärung abzugeben.“ X legt eine schriftliche Erklä-
rung von seinem, wie sich erst jetzt herausstellt, Cousin L vor, in der
L zugibt, doch der Lieferant des Haschischs gewesen zu sein.

Prüfen Sie die Strafbarkeit von L und X!

Lösung

1. Der Verkauf des Haschischs in Holland an T:

L ermöglicht durch den Verkauf der fünf Kilogramm Haschisch an T

die Einfuhr dieser großen Menge Suchtgifts nach Österreich. L weiß (§ 5
Abs 3 StGB), dass das Haschisch für Österreich bestimmt ist, und macht
sich wegen sonstigen Tatbeitrags zur Einfuhr von Suchtgift in einer
großen Menge (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG)
strafbar.

Auf diese in Holland begangene Straftat nach dem SMG ist österrei-

chisches Strafrecht anzuwenden, weil wegen des Imports des Rauschgifts
nach Österreich österreichische Interessen verletzt werden (§ 64 Abs 1
Z 4 StGB)
; und weil L sich im Ausland an einer Tat beteiligt, die der
unmittelbare Täter T bei der Einfuhr des Haschischs mit Überschreiten
der Staatsgrenze nach Österreich (auch) im Inland begeht (§ 64 Abs 1
Z 8 StGB)
.

2. Die Erklärung des X vor dem Notar in Holland:
a) X könnte sich wegen Bestimmung zur Fälschung eines Beweis-
mittels (§§ 12 2. Fall, 293 Abs 1 StGB)
strafbar gemacht haben. Er gibt
dem ahnungslosen Notar in Holland eine Erklärung zu Protokoll und
erweckt so vorsätzlich in ihm den Handlungsentschluss,

101

ein falsches

Beweismittel herzustellen, ein Schriftstück, das etwas Falsches zu bewei-
sen scheint, und zwar die Lieferung des Haschischs an T durch X. Die
schriftliche Lüge, die Ausstellung einer Urkunde mit unwahrem Inhalt,
ist strafbar nur dann, wenn die Urkunde nach dem Vorsatz des Täters
in einem – wegen des geschützten Rechtsguts „österreichische Rechts-
PmEGEhÏ nÏ –STERREICHISCHENÏ BEH–RDLICHENÏ 6ERFAHRENÏ VERWENDETÏ WERDENÏ
soll. Auch das trifft hier zu, weil das Schriftstück nach Absicht des X im
Strafverfahren gegen L in der Hauptverhandlung in Innsbruck präsentiert

101

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 5, 27; K/H AT E 4 Rz 22ff.

III. Scheil

background image

73

werden soll.

102

Auch hinsichtlich der Verwirklichung der anderen Tatbild-

merkmale handelt X absichtlich.

Österreichisches Strafrecht ist allerdings auf diese Auslandstat eines

!USLÇNDERSÏNACHÏDENÏeeÏÏFFÏ3T'"ÏNICHTÏANWENDBARÏSIEÏISTÏSTRAmOS

b) L erweckt vorsätzlich durch seine Bitte in X den Tatentschluss, im
Notar in Holland den Tatentschluss zur Herstellung des falschen Be-
weismittels zu wecken („Kettenbestimmung“), und macht sich nach der
Rsp und hL

103

wegen Bestimmung zur, nach anderer Ansicht

104

wegen

sonstigen Tatbeitrags an der Fälschung eines Beweismittels (§§ 12
2.
bzw 3. Fall, 293 Abs 1 StGB) strafbar.

Hier ist österreichische Strafbarkeit gegeben, weil L die Bitte in In-

nsbruck äußert, die Bestimmungshandlung also im Inland setzt (§ 62
StGB)
.

c) Der Tatbestand der Urkundenfälschung (§ 223 Abs 1 StGB) wird
nicht verwirklicht, weil keine falsche Urkunde hergestellt wird, keine
Urkunde, die nicht von dem Aussteller stammt, von dem sie zu stam-
men scheint: Über die Person des Ausstellers wird nicht getäuscht. Die
Herstellung einer bloß inhaltlich unrichtigen Urkunde („Lugurkunde“) ist
nicht tatbildlich.

105

3. Die Präsentation der schriftlichen Erklärung des X in der Haupt-
verhandlung:
a)
L könnte sich auch wegen Fälschung eines Beweismittels durch
Gebrauch eines falschen Beweismittels (§ 293 Abs 2 StGB) strafbar ge-
macht haben. L verwirklicht das Tatbild, indem er in der Hauptverhand-
lung den Beweisantrag stellt, die schriftliche Erklärung des X zu verlesen
eÏÏ!BSÏÏ3T0/ÏnÏDIESEÏ%RKLÇRUNGÏDESÏ8ÏISTÏKEINEÏSTRAmOSEÏ!USSAGEÏ
des Beschuldigten L.

106

L gebraucht das falsche Beweismittel absichtlich

(§ 5 Abs 2 StGB).

X trägt in Holland absichtlich zum Gebrauch des Beweismittels in In-

nsbruck bei, er ermöglicht diese Tat erst, indem er seine Erklärung vom
Notar protokollieren lässt und das Schriftstück L schickt (§§ 12 3. Fall,
293 Abs 2 StGB)
.

Anders als bei der Herstellung ist hier sehr wohl österreichisches

Strafrecht anwendbar, weil L als unmittelbarer Täter im Inland handelt

102

B/S

BT II §§ 293, 294 Rz 1f.

103

K/H

AT E 4 Rz 13.

104

Fuchs

AT I 36. Kap Rz 13ff, Rz 18.

105

B/S

BT II §§ 223 Rz 12; K/Schm StudB BT III § 223 Rz 16ff.

106

B/S

BT II §§ 293, 294 Rz 4f.

Fall 7: „Misterioso“

background image

74

und X sich an der Inlandstat des unmittelbaren Täters L beteiligt (§ 64
Abs 1 Z 8 StGB)
.

b) Die Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung (§ 298
Abs 1 StGB)
verwirklicht L nicht, weil er dem Vertreter der Staatsanwalt-
schaft, einer Behörde nach § 151 Abs 3 StGB, in der Hauptverhandlung
keine Informationen über eine zur Gänze erfundene Straftat zukommen
lässt.

107

c) Die Begünstigung (§ 299 Abs 1 StGB) wird auch nicht verwirklicht,
weil die Fälschung von Beweismitteln, durch die jemand begünstigt wird
und derer sich X durch Beteiligung am Gebrauch strafbar macht, aus-
schließlich nach § 293 StGB strafbar ist (Exklusivität).

108

Nach der Rsp und hL

109

verwirklicht X aber auch diesen Tatbestand. Er

entzieht durch seine Erklärung vor dem holländischen Notar L, der sich
wegen der von ihm wirklich begangenen und nach § 12 3. Fall StGB, § 28
Abs 2 SMG auch strafbaren Tat, ganz der Verfolgung, weil L von der An-
klage freigesprochen wird, und darauf kommt es X an (§ 5 Abs 2 StGB),
damit L aus der Untersuchungshaft entlassen wird und seinen sterbenden
Vater besuchen kann. X kommt aber der Strafausschließungsgrund gem
§ 299 Abs 3 StGB

zugute, weil er einen Angehörigen begünstigt, seinen

VONÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏSOÏGENANNTENÏu6ETTERhÏDASÏISTÏSEINÏ#OUSINÏ,Ï3TRAmO-
sigkeit der Angehörigenbegünstigung).

Nach der Rsp und hL verwirklicht dann auch L als Bestimmungstäter

den Tatbestand der Begünstigung (§§ 12 2. Fall, 299 Abs 1 StGB), er
erweckt vorsätzlich durch seine Bitte in X den Tatentschluss, ihn durch
die Erklärung vor dem holländischen Notar der Strafverfolgung zu ent-
ziehen, aber auch L kommt ein Strafausschließungsgrund zugute, und
zwar § 299 Abs 2 StGB

3TRAmOSIGKEITÏDERÏ3ELBSTBEG¿NSTIGUNG

d) Auch nicht verwirklicht wird die falsche Beweisaussage vor Gericht
(§ 288 Abs 1 StGB)
. X wird weder als Zeuge noch als Auskunftsperson
und schon gar nicht förmlich, das heißt nach Belehrung über die Wahr-
HEITSPmICHT

110

von einem ausländischen Gericht im Rahmen der Rechts-

hilfe in einem österreichischen Gerichtsverfahren (§ 64 Abs 1 Z 3 StGB)

107

B/S

BT II § 298 Rz 2 – Die ausdrückliche Subsidiaritätsklausel des § 298 Abs 1 StGB

zugunsten § 297 Abs 1 StGB braucht deshalb gar nicht bemüht zu werden, mangels (voll-
deliktischer) Verwirklichung beider Tatbestände liegt hier gar keine (Schein-)Konkurrenzsi
tuation vor.

108

B/S

BT II § 299 Rz 3.

109

B/S

BT II § 299 Rz 3.

110

B/S

BT II §§ 288–291 Rz 5.

III. Scheil

background image

75

vernommen und die schriftliche Auskunft, die in der Hauptverhandlung
in Innsbruck vorgelegt wird, ist keine tatbildliche „Aussage“.

111

4. Die Beschuldigung des X in der Hauptverhandlung:
a)
L könnte eine Verleumdung (§ 297 Abs 1 1. Halbsatz StGB) began-
gen haben. Er verdächtigt X, zur Tat des T durch Verkauf des Haschischs
VORSÇTZLICHÏBEIGETRAGENÏALSOÏEINÏ/FlZIALDELIKTÏeÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏeÏÏ!BSÏ
2 SMG) begangen zu haben. Geschütztes Rechtsgut der Verleumdung
ISTÏNURÏDIEÏu–STERREICHISCHEhÏ2ECHTSPmEGEÏWEILÏAUFÏDIESEÏ4ATÏEINESÏ(OL-
länders in Holland aber österreichisches Strafrecht angewendet werden
muss, ist auch dieses Kriterium erfüllt. Die Verdächtigung ist falsch, die
strafbarkeitsbegründenden Umstände sind unwahr, weil nicht X, sondern
L der Lieferant des Haschischs ist. Die während der Hauptverhandlung
durch den Beweisantrag und durch Vorlage der schriftlichen Erklärung
des X ausgesprochene unwahre Verdächtigung erreicht eine zur Strafver-
folgung berufene Stelle, und zwar den Vertreter der Staatsanwaltschaft,
und gibt triftigen Anlass für Ermittlungen gegen X wegen Begehung
EINESÏ/FlZIALDELIKTSÏAUFÏDASϖSTERREICHISCHESÏ3TRAFRECHTÏANZUWENDENÏISTÏ
Dadurch setzt L den X auch der Gefahr behördlicher Verfolgung aus und
vollendet damit das Delikt. L ist subjektiv davon überzeugt, dass seine
Verdächtigung falsch ist, er weiß, dass er und nicht sein Cousin X der
Lieferant des Haschischs ist, deshalb handelt er mit der von § 297 Abs 1
StGB diesbezüglich geforderten Wissentlichkeit (§ 5 Abs 3 StGB). Auch
hinsichtlich der Verwirklichung der anderen Tatbildmerkmale handelt L
wissentlich, es wird nicht gerade sein Ziel (Absicht) gewesen sein, X der
Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.

112

b) Da die strafbare Handlung (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2 SMG), de-
rer X wider besseres Wissen verdächtigt wird, mit Freiheitsstrafe bis zu
F¿NFÏ*AHRENÏBEDROHTÏISTÏVERWIRKLICHTÏ,ÏAUCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏGEMϧ 297
Abs 1 2. Halbsatz StGB
. Als objektive Bedingung (erhöhter) Strafbarkeit
braucht dieser Umstand nicht vom Vorsatz des L umfasst zu sein.

113

c) L könnte durch die Einwilligung des verleumdeten X gerechtfertigt
sein. Die Einwilligungssituation liegt vor, L übt auf seinen Cousin X zwar
einen gewissen Druck aus durch die Bitte, die Tat auf sich zu nehmen,
um ihm den Besuch seines in Holland im Sterben liegenden Vaters zu
ermöglichen, dieser Druck ist aber nicht so stark, dass er die Freiwil-
ligkeit der Erklärung des X ausschließt. Die Einwilligung scheint auch
sonst frei von Willensmängeln zu sein, sie ist ernst gemeint und vor der

111

B/S

BT II §§ 288–291 Rz 3.

112

B/S

BT II § 297 Rz 2ff.

113

B/S

BT II § 297 Rz 15.

Fall 7: „Misterioso“

background image

76

Tat erteilt. Aus dem Sachverhalt ergeben sich auch keine Zweifel daran,
dass X die Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung im Hinblick auf
die zu erwartende Strafverfolgung verkennt, dass X also nicht dispositi-
onsfähig wäre.

114

Problematisch freilich ist, dass X durch die Einwilligung

in die Strafverfolgung gegen ihn über Eingriffe in seine Freiheit (Unter-
suchungshaft, Strafhaft), in sein Vermögen (Geldstrafe) und seine Ehre
disponiert, alles Individualrechtsgüter, über die er als Rechtsgutsträger
VERF¿GENÏDARFÏDASSÏABERÏAUCHÏDASÏ2ECHTSGUTÏu2ECHTSPmEGEhÏBETROFFENÏISTÏ
das durch § 297 Abs 1 StGB ebenfalls geschützt ist und das als Rechts-
gut der Allgemeinheit seiner Dispositionsbefugnis entzogen ist. Nach der
neueren Rsp und nach einem Teil der Lehre

115

„dominiert“ bei diesem De-

LIKTÏDIEÏNICHTÏDISPONIBLEÏ2ECHTSPmEGEÏdann rechtfertigt die Einwilligung
die Verleumdung nicht

–, nach einem anderen Teil der Lehre sind die

Schutzgüter „im Wesentlichen gleichwertig“

116

bzw beseitigt die Einwilli-

gung des Verleumdeten das für § 297 StGB „typische Unrecht“

117

– dann

ist die Tat gerechtfertigt. L hält sich auch an den Rahmen dessen, was der
Rechtsgutsträger X gewollt und erklärt hat – L legt nur dessen schriftliche
Erklärung vor und bezichtigt ihn nicht auch noch anderer Straftaten –,
und L hat Kenntnis von der Einwilligungssituation. Deshalb ist L durch
Einwilligung gerechtfertigt.

d) Wer mit der neueren Rsp und hL den Rechtfertigungsgrund Einwilli-
gung verneint

, muss noch Tätige Reue (§ 297 Abs 2 StGB) prüfen. Sie

kommt L nicht zugute, weil er die Verdächtigung erst widerruft, nachdem
die Hauptverhandlung gegen X schon begonnen hat, er beseitigt die Ge-
fahr der Verfolgung nicht rechtzeitig.

e) X macht sich nicht durch Beteiligung durch sonstigen Tatbeitrag an
der Verleumdung (§§ 12 3. Fall, 297 Abs 1 StGB) strafbar, ihm fehlt der
Vorsatz, einen „anderen“ der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen, soll
er doch selbst mit seiner Einwilligung dieser Gefahr ausgesetzt werden.

Ergebnis: L macht sich strafbar wegen sonstigen Tatbeitrags zur Ein-

fuhr von Suchtgift in einer großen Menge (§ 12 3. Fall StGB, § 28 Abs 2
SMG), wegen Fälschung eines Beweismittels durch Gebrauch eines fal-
schen Beweismittels (§ 293 Abs 2 StGB) – nach der Rsp und hL auch
wegen Verleumdung (§ 297 Abs 1 1. und 2. Halbsatz StGB). Die Bestim-
mung (bzw der sonstige Tatbeitrag) zur Fälschung eines Beweismittels
durch Herstellung eines falschen Beweismittels nach den §§ 12 2. bzw

114

Fuchs

AT I 16. Kap Rz 1ff; K/H AT E 1 Rz 62ff.

115

K/H

AT E 1 Rz 81.

116

Fuchs

AT I 16. Kap Rz 26.

117

B/S

BT II § 297 Rz 12.

III. Scheil

background image

77

3. Fall, 293 Abs 1 StGB ist als vorbereitende Handlung stillschweigend
(materiell) subsidiär gegenüber der Fälschung eines Beweismittels durch
seinen Gebrauch (§ 293 Abs 2 StGB), deswegen kann L nicht bestraft
werden.

X macht sich strafbar nur wegen sonstigen Tatbeitrags zur Fälschung

eines Beweismittels durch seinen Gebrauch (§§ 12 3. Fall, 293 Abs 2
StGB).

Fall 8: „More Than You Know“

Aufenthaltsgenehmigungen sind rar geworden in Österreich, Ge-
SCHÇFTEMACHERÏVERSUCHENÏDAVONÏZUÏPROlTIERENÏ3OÏAUCHÏDERÏ7ACH-
kommandant der Wiener Polizei W.
Er bietet sich Ausländern, die wegen der immer restriktiveren Frem-
denpolitik stark verunsichert sind, als „Vermittler“ für Aufenthaltsge-
nehmigungen an. Für ein paar hundert Euro würde er für sie bei der
zuständigen Magistratsabteilung intervenieren und die Papiere be-
sorgen. Tatsächlich handelt es sich um Aufenthaltsgenehmigungen,
die ohnedies erteilt würden, die Antragsteller werden aber glauben
GEMACHTÏSIEÏM¿SSTENÏÏãÏu3CHMIERGELDhÏBEZAHLENÏ)NSGESAMTÏBLÇT-
tern vom Sommer bis zum nächsten April 15 Opfer – O1 bis O15
nÏINSGESAMTÏÏãÏHINÏ7ÏBEHÇLTÏDASÏ'ELDÏF¿RÏSICHÏINTERVENIERTÏUNDÏ
geschmiert wird gar nicht.
Angebahnt werden die Geschäfte von Gastwirten im Polizeibezirk
des W. Sie preisen – nichts ahnend – seine Dienste an und arrangie-
ren in ihren Gasthäusern Treffen zwischen ihm und den Aufenthalts-
werbern. W revanchiert sich bei den Wirten, indem er sie vor Razzien
gegen ausländische Schwarzarbeiter und Geheimprostituierte warnt.
Das Treiben des Wachkommandanten W bleibt seinem Kollegen,
dem Bezirksinspektor B, nicht verborgen. Er behält sein Wissen für
sich und unternimmt nichts.

Beurteilen sie die Strafbarkeit des W, des Opfers O1 und des Bezirks-
inspektors B!

Lösung

1. Die angebliche Vermittlung der Aufenthaltsgenehmigungen:
a)
W könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen haben. Er ruft bei den
Aufenthaltswerbern durch die falsche Behauptung, er werde Beamte der
Magistratsabteilung bestechen, also durch Täuschung über seine Absicht

Fall 8: „More Than You Know“

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78

– auch das ist eine Tatsache

118

–, einen themagleichen Irrtum hervor, der

SIEÏDAZUÏVERANLASSTÏ7ÏJEWEILSÏÏãÏu3CHMIERGELDhÏANZUVERTRAUENÏ$URCHÏ
dieses Tun schädigen sie sich selbst an ihrem Vermögen, weil sie keine
Gegenleistung für das „Schmiergeld“ erhalten, die Aufenthaltsgenehmi-
gungen werden ohne es erteilt. Dass die in Aussicht gestellte Gegen-
leistung in einer unerlaubten Handlung bestehen soll, in der Erteilung
einer gesetzwidrigen Aufenthaltsgenehmigung, schadet nicht.

119

W han-

delt absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale.
Überdies handelt er mit Bereicherungsvorsatz, er will sein Vermögen um
JEWEILSÏÏãÏVERMEHREN

b) Die Tat ist als schwerer Betrug (§ 147 Abs 2 StGB)

QUALIlZIERTÏ$IEÏ

einzelnen Beträge sind gemäß § 29 StGB zusammenzurechnen, da es
sich um Taten derselben Art handelt. Der Gesamtschaden in Höhe von
ÏãÏ¿BERSTEIGTÏDIEÏ7ERTGRENZEÏVONÏÏãÏ7ÏWEI’ÏUMÏDIEÏ(–HEÏDESÏ
Gesamtschadens, sie ist von seinem Vorsatz umfasst (§ 5 Abs 2 StGB).

Weiters könnte es sich um einen gewerbsmäßigen Betrug (§ 148

StGB) handeln. W kommt es darauf an, sich durch wiederholte Begehung
eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB). Seine Absicht ist
auf die regelmäßige Begehung von gleichartigen Betrügereien gegenüber
Aufenthaltswerbern gerichtet, und zwar über einen längeren Zeitraum
hinweg, rund 10 Monate lang.

120

Auf ihn kommt jedoch nur § 148 1. Fall

StGB zur Anwendung, da die einzelnen Betrügereien nicht nach § 147
!BSÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏSINDÏDIEÏEINZELNENÏ4ATENÏSINDÏKEINÏSCHWERERÏ"E-
TRUGÏDIEÏ7ERTQUALIlKATIONÏWIRDÏERSTÏDURCHÏDIEÏ:USAMMENRECHNUNGÏDERÏ
Schadensbeträge begründet

121

ÏnÏDESHALBÏSINDÏIMÏ5RTEILÏBEIDEÏ1UALIlKATIO-

nen, § 147 Abs 2 und § 148 1. Fall StGB, nebeneinander zu zitieren.

c) Die Taten werden nicht unter Ausnützung der Amtsstellung (§ 313
StGB)
begangen. W benützt nicht seine Funktion als Wachkommandant,
um die Betrügereien zu begehen.

122

Er tritt als Vermittler auf, das könnte

er genauso gut als Privatmann.

d) W verwirklicht auch nicht Geschenkannahme durch Beamte (§ 304
Abs 1 StGB)
, da er keine Amtsgeschäfte vornimmt.

e) W macht sich auch nicht wegen Bestechung (§ 307 Abs 1 Z 1 StGB)
STRAFBARÏ %RÏ GIBTÏ ZWARÏ VORÏ u3CHMIERGELDERhÏ ANÏ "EAMTEÏ F¿RÏ DIEÏ PmICHT-

118

B/S

BT I § 146 Rz 1; K/Schm StudB BT II § 146 Rz 38.

119

B/S

BT I § 146 Rz 20.

120

K/Schm

StudB BT II § 130 Rz 12f.

121

B/S

BT I § 148 Rz 2; K/Schm StudB BT II § 148 Rz 9.

122

B/S

BT II § 313 Rz 3.

III. Scheil

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79

widrige Vornahme von Amtsgeschäften zahlen, tatsächlich zahlt er aber
keinen Cent Bestechungsgeld und hat auch zu keinem Zeitpunkt den
Vorsatz, das zu tun.

2. Die Warnung der Wirte vor den Razzien:
a) W könnte einen Amtsmissbrauch (§ 302 Abs 1 StGB) begehen. Als
Wachkommandant ist W Beamter, da er in der Verwaltung tätig ist.

123

Voraussetzung für Amtsmissbrauch ist, dass er selbst für die Razzien zu-
ständig ist, die unter anderem der Feststellung der Identität von Schlep-
pern (§ 35 Abs 1 Z 1 SPG) oder von Wirten dienen, wenn der dringende
Verdacht besteht, dass sie in ihren Gasthäusern Fremde beherbergen,
die nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind (§ 35 Abs 1 Z 4
SPG) usw. Es ist anzunehmen, dass er wenigstens an der Durchführung
dieser Hoheitsakte beteiligt ist, wenn er sie nicht sogar selbst anordnet.
W missbraucht seine Befugnis, am Zustandekommen eines Hoheitsaktes
MITZUWIRKENÏPmICHTWIDRIGÏWEILÏERÏDIEÏ$URCHF¿HRUNGÏDERÏ)DENTITÇTSFEST-
stellungen usw durch seine Warnungen vereitelt.

124

W weiß (§ 5 Abs 3

StGB) auch, dass er seine Befugnis missbraucht. Außerdem hat er den
Vorsatz, den österreichischen Staat an seinen Hoheitsrechten, nämlich
am Recht zu schädigen, Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung abzu-
schieben usw.

125

b) W könnte sich auch wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses
(§ 310 Abs 1 StGB)
strafbar gemacht haben. W ist als Polizist Beamter.
Die nicht allgemein bekannten Informationen über geplante Razzien,
das Geheimnis, erfährt W, gleichgültig, ob er sie selbst anordnet oder ein
anderer, bei Erfüllung seiner amtlichen Aufgaben, es ist ihm ausschließ-
lich kraft Amtes anvertraut.

126

Wäre er nicht Wachkommandant, hätte er

keine Ahnung, wann und wo eine Razzia vorgenommen wird. Dieses
Geheimnis offenbart er durch Bekanntgabe an die Wirte, weil sie von
den Razzien vorher nichts wissen. Die Offenbarung durch Information
der Wirte ist auch geeignet, das öffentliche Interesse an der Exekution
fremdenpolizeilicher Maßnahmen zu beeinträchtigen. All diese Umstän-
de nimmt W in seinen Vorsatz auf, er handelt absichtlich.

3. Das

Ï:AHLENÏVONÏÏãÏANÏ7ÏDURCHÏ/

a) Das Opfer O1 könnte wegen versuchter Bestimmung zum Amts-
missbrauch (§§ 15, 12 2. Fall, 14 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 2. Fall, 302
Abs 1 StGB)
strafbar sein. O1 versucht vorsätzlich, in W den Tatent-

123

B/S

BT II § 302 Rz 1.

124

Vgl B/S BT II § 302 Rz 5.

125

B/S

BT II § 302 Rz 23f.

126

B/S

BT II § 310 Rz 2.

Fall 8: „More Than You Know“

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80

schluss zu wecken (§ 12 2. Fall StGB), in dem für die Erteilung der Auf-
enthaltsbewilligung zuständigen Beamten der Magistratsabteilung den
Tatentschluss zu erwecken, die Aufenthaltsbewilligung zu Unrecht zu
ERTEILENÏALSOÏEINENÏ(OHEITSAKTÏPmICHTWIDRIGÏZUÏSETZENÏWEILÏ/ÏJAÏGLAUBTÏ
kein Anrecht auf die Aufenthaltsbewilligung zu haben.

Es bleibt beim Versuch (§ 15 StGB), weil es O1 nicht gelingt, in W

den Tatentschluss zu erwecken, einen Beamten zum Amtsmissbrauch zu
bestimmen.

/ÏHATÏVOLLENÏ4ATENTSCHLUSSÏ&¿RÏEINÏUNRECHTSGEPRÇGTESÏ3ONDERPmICHT-

delikt wie den Amtsmissbrauch ist es erforderlich, dass der unmittel-
bare Täter (intraneus) „in bestimmter Weise“ an der Tat mitwirkt (§ 14
Abs 1 Satz 2 2. Fall StGB). Für den Amtsmissbrauch bedeutet das, dass
der Beamte sein Amt „wissentlich“ missbraucht

127

nach der neueren

Rsp genügt für die Strafbarkeit des Beteiligten bedingt vorsätzlicher Miss-
brauch

.

128

Auf der subjektiven Tatseite des am Amtsmissbrauch Beteilig-

ten (extraneus) genügt Eventualvorsatz hinsichtlich der „Wissentlichkeit“
des Beamten beim Missbrauch

129

die Rsp verlangt Wissentlichkeit.

130

!BERÏ ESÏ ISTÏ 7ISSENTLICHKEITÏ HINSICHTLICHÏ DERÏ 0mICHTWIDRIGKEITÏ DESÏ -ISS-
brauchs erforderlich.

131

O1 erfüllt all diese Erfordernisse, er ist subjektiv

DAVONÏ ¿BERZEUGTÏ DASSÏ DERÏ "EAMTEÏ PmICHTWIDRIGÏ HANDELTÏ UNDÏ DASSÏ DERÏ
"EAMTEÏDASÏAUCHÏWEI’ÏF¿RÏEINENÏPmICHTGEMǒENÏ(OHEITSAKTÏW¿RDEÏERÏ
NICHTÏGLEICHÏÏãÏFORDERNÏ$AMITÏGEN¿GTÏ/ÏAUCHÏDENÏ!NFORDERUNGENÏ
der Rsp.

O1 betätigt seinen Tatentschluss durch eine Ausführungshandlung,

INDEMÏ ERÏ 7Ï DIEÏ Ï ãÏ GIBTÏ UNDÏ BITTETÏ DENÏ "EAMTENÏ ZURÏ %RTEILUNGÏ DERÏ
Aufenthaltsbewilligung zu „überreden“.

132

Nach der Rsp und Kienapfel

ist der Versuch der Bestimmung zur Bestimmung als Bestimmungsver-
such strafbar.

133

Für Fuchs ist Bestimmung zur Bestimmung sonstiger Tat-

beitrag (§ 12 3. Fall StGB)

134

und als solcher nur strafbar, wenn W ver-

sucht, den unmittelbaren Täter, den Beamten, zum Amtsmissbrauch zu
bestimmen.

135

Da es dazu nicht kommt, ist der Beitrag nur versucht und

der ist nach § 15 Abs 2 StGB nicht strafbar.

b) W könnte sich wegen versuchter Bestimmung zur Bestechung
(§§ 15, 12 2. Fall, 307 Abs 1 Z 1 StGB)
strafbar gemacht haben. Obwohl

127

B/S

BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25 ff; K/H AT E 7 Rz 32.

128

SSt 58/74.

129

B/S

BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25; K/H AT E 7 Rz 36.

130

SSt 58/74.

131

B/S

BT II § 302 Rz 29; Fuchs AT I 35. Kap Rz 25 ff; K/H AT E 7 Rz 36.

132

K/H

AT E 6 Rz 24.

133

K/H

AT E 6 Rz 13.

134

Fuchs

AT I 36. Kap Rz 13, 18.

135

Fuchs

AT I 36. Kap Rz 17f.

III. Scheil

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81

das „Vermittlungsgeschäft“ von W angebahnt wird, handelt O1 dennoch
als Bestimmungstäter (§ 12 2. Fall StGB). W ist in Wahrheit gar nicht zur
Bestechung entschlossen, er gibt es nur vor und kann deshalb noch
dazu bestimmt werden.

136

Die Tat wird auch erst durch O1 konkretisiert.

Auch hier bleibt es beim Versuch, weil es O1 nicht gelingt, in W den
Entschluss zur Bestechung zu wecken. Die Absicht des O1 ist darauf
GERICHTETÏDASSÏ7ÏEINEMÏ"EAMTENÏZUMÏ:WECKEÏDERÏPmICHTWIDRIGENÏ%R-
TEILUNGÏEINERÏ!UFENTHALTSBEWILLIGUNGÏÏãÏZAHLTÏALSOÏEINENÏ6ORTEILÏGE-
WÇHRTÏ$IESENÏ(ANDLUNGSENTSCHLUSSÏBETÇTIGTÏERÏDURCHÏÍBERGABEÏDERÏÏãÏ
verbunden mit dem Auftrag, diesen Vorteil dem Beamten zukommen zu
lassen.

Dieser Bestimmungsversuch ist untauglich, da W nicht im Traum dar-

ANÏDENKTÏDIEÏÏãÏZURÏ%RLANGUNGÏDERÏ!UFENTHALTSBEWILLIGUNGÏDEMÏ"E-
amten zu geben. Der Versuch ist aber nur relativ untauglich, da es aus
Sicht eines begleitenden Beobachters, also ex ante aus Sicht des Han-
delnden nach dem Urteil eines vernünftigen Durchschnittsmenschen,

137

auch, eine böse Zunge würde sagen, gerade in Österreich nicht unwahr-
scheinlich ist, dass solche Bestechungsversuche vorgenommen werden
und auch zum Ziel führen.

Der Unwertgehalt der versuchten Bestimmung zur Bestechung wird

durch Bestrafung wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmissbrauch
mit abgegolten (Konsumtion).

138

4. Die Unterlassung der Strafanzeige gegen W:

!LSÏ0OLIZEIBEAMTERÏISTÏ"ÏVERPmICHTETÏIHMÏZURÏ+ENNTNISÏGELANGTEÏ3TRAF-

taten anzuzeigen (§ 78 StPO). Da er dies unterlässt, ist er wegen Amts-
missbrauchs durch Unterlassung (§§ 2, 302 StGB)
strafbar. Seine
Hauptaufgabe besteht darin, Straftäter zu verfolgen, er ist kraft Gesetzes
Garant iSd § 2 StGB und kann deshalb den Amtsmissbrauch durch Un-
terlassen der Anzeige begehen.

139

Sein Unterlassen ist auch kausal für

den Erfolg, für das Nicht-Zustandekommen von Hoheitsakten wie die
Einleitung eines Strafverfahrens gegen W: Denkt man sich das gebote-
ne Tun, die Strafanzeige gegen W, hinzu, würde der Erfolg, die Nicht-
Einleitung des Strafverfahrens gegen W, mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit entfallen (hypothetische Kausalität)

140

bzw wenn die

PmICHTWIDRIGEÏ5NTERLASSUNGÏDERÏ3TRAFANZEIGEÏGEGENÏ7ÏDIEÏDEMÏ2ECHTSGUTÏ
drohende Gefahr, die sie verwirklicht hat, die Nicht-Einleitung des Straf-

136

Vgl K/H AT E 4 Rz 16f.

137

Fuchs

AT I 30. Kap Rz 33.

138

B/S

BT II § 307 Rz 4.

139

B/S

BT II § 302 Rz 13.

140

K/H

AT Z 29 Rz 10f.

Fall 8: „More Than You Know“

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82

verfahrens, wesentlich verhindert hätte.

141

Diese Unterlassung ist einem

Tun gleichwertig, weil seine Absicht gezielt darauf gerichtet ist, dem W
zu nützen.

142

B weiß, dass er W anzeigen müsste, und er weiß auch, dass er den

Staat dadurch in seinem Hoheitsrecht schädigt, Straftäter zu verfolgen
und abzuurteilen, er verwirklicht also auch den subjektiven Tatbestand.

Ergebnis: W macht sich strafbar wegen schweren und gewerbsmä-

ßigen Betrugs nach den §§ 146, 147 Abs 2, 148 1. Fall StGB und wegen
Amtsmissbrauchs nach § 302 Abs 1 StGB; die Verletzung des Amtsge-
heimnisses nach § 310 Abs 1 StGB ist laut ihrer ausdrücklichen Subsidia-
ritätsklausel formell subsidiär gegenüber dem Amtsmissbrauch, weil er
mit strengerer Strafe bedroht ist.

O1 macht sich strafbar wegen versuchter Bestimmung zum Amtsmiss-

brauch gem §§ 15, 12 2. Fall, 14 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 2. Fall, 302 Abs
1 StGB (nach Fuchs

ÏSTRAmOSÏDIEÏVERSUCHTEÏ"ESTIMMUNGÏZURÏ"ESTECHUNGÏ

nach den §§ 15, 12 2. Fall, 307 Abs 1 Z 1 StGB wird durch die Bestrafung
wegen Amtsmissbrauchs konsumiert (Fuchs würde Strafbarkeit mangels
Konkurrenzsituation bejahen).

B ist strafbar nach §§ 2, 302 StGB.

141

Fuchs

AT I 37. Kap Rz 32ff.

142

B/S

BT II § 302 Rz 16.

III. Scheil

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83

IV. SCHWAIGHOFER

Fall 1: „Panik durch schwere Ehekrise“

In der Ehe zwischen A und B (sie haben eine gemeinsame zweijäh-
rige Tochter) kriselt es schon seit längerer Zeit. Herr A kommt immer
unregelmäßiger abends nach Hause, die Streitereien darüber und
¿BERÏANDEREÏ$INGEÏWERDENÏIMMERÏHÇUlGERÏ%INESÏ!BENDSÏER–FFNETÏ!Ï
seiner Frau B, dass er nächste Woche ausziehen werde: Die ständige
Nörgelei gehe ihm auf die Nerven, er habe eine jüngere, attraktivere
Frau gefunden, die ihn besser verstehe; und wohlhabend sei sie au-
ßerdem noch!
B ist verzweifelt: Wenn A sie verlässt, steht sie mit ihrem Kind vor
dem Nichts. Sie sieht keinen anderen Ausweg, als ihrem Leben ein
Ende zu setzen und das Kind dabei mitzunehmen: B nimmt das Kind,
geht auf den Balkon der im 3. Stock gelegenen Wohnung, klettert
über das Geländer und springt mit dem Kind im Arm in die Tiefe. Mit
viel Glück überleben beide – freilich mit schweren Verletzungen.
A sieht dem ganzen Geschehen ungerührt zu und denkt sich bloß,
dass sich damit so manches bevorstehende Problem von alleine
löse.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit von A und B!
Würde sich etwas an der rechtlichen Beurteilung ändern, wenn A
und B nicht verheiratet wären?

Lösung

1. B, die mit ihrem Kind vom Balkon in die Tiefe springt, könnte da-
durch einen (versuchten) Mord bzw Totschlag (§§ 15, 75 bzw §§ 15,
76 StGB)
begangen haben:

Da das Kind überlebt, kommt nur ein versuchter Mord (oder Tot-

schlag) in Betracht. Mit dem Hinunterspringen setzt B eine Ausführungs-
handlung zur Tötung des Kindes. Laut Sachverhalt will B Selbstmord

background image

84

begehen und das Kind dabei „mitnehmen“, hat also auch den Vorsatz,
das Kind zu töten. Der Versuch ist fehlgeschlagen, sodass ein Rücktritt
nicht in Betracht kommt.

1

An der Tauglichkeit des Versuchs ist nicht zu

zweifeln.

Fraglich ist, ob ein versuchter Totschlag angenommen werden

KANNÏ 6ORAUSSETZUNGÏ ISTÏ DASSÏ SICHÏ "Ï INÏ EINERÏ ALLGEMEINÏ BEGREImICHENÏ
heftigen Gemütsbewegung zur Tötungshandlung hat hinreißen lassen.
B, die plötzlich mit der Beendigung der Beziehung konfrontiert wird
UNDÏMITÏIHREMÏKLEINENÏ+INDÏVORÏDEMÏ.ICHTSÏSTEHTÏBElNDETÏSICHÏGEWISSÏ
in einer heftigen Gemütsbewegung; und diese ist wohl allgemein be-
GREImICHÏWEILÏAUCHÏEINÏ$URCHSCHNITTSMENSCHÏINÏDIESERÏ3ITUATIONÏINÏEINEÏ
heftige Gemütsbewegung geraten wäre.

2

Die Frau ist also nur nach §§ 15,

76 StGB zu bestrafen.

Der OGH würde bei der Mutter vermutlich einen Mordversuch an-

nehmen: Er wendet § 76 StGB nur an, wenn sich die Tötungshandlung
gegen denjenigen richtet, der den Anlass für die Gemütsbewegung gege-
ben hat.

Da das Kind schwer verletzt ist, wäre auch der Tatbestand der

schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) erfüllt; die
Verletzungsdelikte werden jedoch von den versuchten Tötungsdelikten
konsumiert.

2. a) A, der gegen den erweiterten Selbstmord der B nichts unternimmt,
könnte durch sein Untätigbleiben in Bezug auf das Kind einen Beitrag
zum Mordversuch durch Unterlassen (§§ 12 3. Fall, 15, 75 iVm § 2
StGB)

3

begangen haben:

Als Vater des Kindes ist A Garant

Ï DURCHÏ GESETZLICHEÏ 6ERPmICHTUNGÏ

hinsichtlich des Wohles des Kindes und kommt somit als Täter des un-
echten Unterlassungsdelikts nach §§ 2, 75 StGB (iVm § 15 StGB) in Be-
tracht.

4

Sein Unterlassen kann nur ein Beitrag zum Mordversuch durch B

sein, weil die eigentliche Tötungshandlung ja von B gesetzt wird, indem
sie mit dem Kind vom Balkon in die Tiefe springt.

A hat die Möglichkeit die Tat zu verhindern; er ist zur Verhinderung

AUFÏ'RUNDÏSEINERÏ'ARANTENSTELLUNGÏVERPmICHTETÏUNDÏSEINÏ5NTERLASSENÏISTÏ
einem positiven Tun gleichwertig.

5

Da der Erfolg nicht eintritt, kann A

nur wegen Beitrags zum versuchten Mord haften.

Auf der inneren Tatseite hat A erkennbar den Vorsatz, dass B und

das Kind ums Leben kommen, sodass der notwendige Vorsatz gegeben

1

Fuchs

AT I 31. Kap Rz 22ff, K/H AT Z 23 Rz 20f.

2

B/S

BT I § 76 Rz 3.

3

Fuchs

AT I 37. Kap Rz 90.

4

Fuchs

AT I 37. Kap Rz 47, K/H AT Z 30 Rz 10.

5

Die Gleichwertigkeit spielt nur bei verhaltensgebundenen Delikten eine Rolle.

IV. Schwaighofer

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85

ist. Die Privilegierung nach § 76 StGB kommt für ihn natürlich nicht zum
4RAGENÏWEILÏERÏSICHÏINÏKEINERÏ!FFEKTSITUATIONÏBElNDET

6

Das echte Unterlassungsdelikt nach § 286 StGB tritt gegenüber dem

unechten Unterlassungsdelikt zurück.

b) In Bezug auf die Frau könnte sich A der Mitwirkung am (ver-
suchten) Selbstmord durch Unterlassen (§§ 15, 78 iVm § 2 StGB)
schuldig gemacht haben:

A ist auf Grund des ABGB auch Garant für das leibliche Wohl seiner

Frau, weshalb er wiederum die Voraussetzungen des § 2 StGB erfüllt. Be-
züglich der Frau kann aber kein Beitrag zum Mord durch Unterlassen an-
genommen werden, weil die Frau ja einen freiwilligen Selbsttötungs-
entschluss
fasst (daher wäre der Adäquanz- und Risikozusammenhang
zu verneinen). A trägt freilich durch sein Unterlassen zum (versuchten)
Selbstmord der Frau bei, was in § 78 StGB besonders vertypt ist.

Auf der inneren Tatseite liegt bei A zweifellos der Vorsatz vor, dass B

sich selbst tötet. Da der Tod nicht eintritt, haftet A (nur) wegen Mitwir-
kung am versuchten Selbstmord durch Unterlassen.

3. Wenn A und B nicht verheiratet wären, so würde sich bezüglich des
Kindes nichts ändern; die Garantenstellung besteht gegenüber unehe-
lichen Kindern natürlich gleichermaßen.

Bezüglich der B ist die Garantenstellung fraglich. Da die beiden in

Lebensgemeinschaft gelebt haben, ist eine Garantenstellung auf Grund
enger natürlicher Verbundenheit zu bejahen.

7

Der OGH verneint die Garantenstellung für Lebensgefährten.

8

Da-

nach wäre A wegen Nichtverhinderung des Selbstmords seiner Lebensge-
fährtin nach § 95 StGB (Unterlassung der Hilfeleistung) zu bestrafen. Ein
drohender Selbstmord ist als Unglücksfall iSd § 95 StGB anzusehen; dass
Hilfeleistung erforderlich ist, ist klar, und darauf erstreckt sich auch der
Vorsatz des A.

Fall 2: „Leichtsinnige Buben“

Der Autofahrer A biegt von einer Bundesstraße in einen schmalen
Gemeindeweg ein, der zu seinem Haus führt. Nach Durchfahren ei-
ner unübersichtlichen Kurve sieht der langsam fahrende A, dass drei
Buben mit ihren Fahrrädern mit hoher Geschwindigkeit diesen ab-

6

B/S

BT I § 76 Rz 4, Fuchs AT I 25. Kap Rz 3, 5.

7

So K/H AT Z 30 Rz 13; aM Fuchs AT I 37. Kap Rz 48.

8

Vgl K/H AT Z 30 Rz 13 mwN.

Fall 2: „Leichtsinnige Buben“

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86

schüssigen Weg heruntersausen. Der Weg ist nass und glitschig. Aus
diesem Grund hält A sein Auto sofort am rechten Rand des Weges an.
Neben seinem Fahrzeug bleibt noch etwa 1 Meter Platz. Die beiden
vorderen Buben kommen problemlos vorbei; der dritte macht eine
Vollbremsung, kommt mit dem Fahrrad zu Sturz und schlittert gegen
das Fahrzeug des A. Der Bub steht auf, humpelt einige Meter an den
Wegrand und setzt sich auf einen Holzstapel. A fragt den Buben, ob
er verletzt sei; der Bub antwortet: „Danke, es geht schon.“ Daraufhin
fährt A weiter. Im Krankenhaus stellt sich heraus, dass der Bub einen
Wadenbeinbruch erlitten hat.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A!

Lösung

1. A könnte eine fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB)
begangen haben:

Voraussetzung ist zunächst eine objektiv sorgfaltswidrige, sozial inad-

äquate Handlung des A.

9

Eine solche ist aber nicht zu erkennen: A fährt

langsam und bleibt sogar ganz stehen, als er die Kinder entgegenkom-
men sieht. Anders hätte ein vorbildlicher Autofahrer auch nicht gehan-
DELTÏ3CHONÏMANGELSÏ6ERLETZUNGÏEINERÏ3ORGFALTSPmICHTÏscheidet § 88 StGB
aus. Die weitere Prüfung in Richtung Zurechnung der (eindeutig vorlie-
genden) Verletzung usw entfällt. Die Körperverletzung des Buben wäre
wohl schwer iSd § 84 Abs 1 StGB, weil sie vermutlich eine mehr als 24
Tage dauernde Gesundheitsschädigung (Gipsverband) zur Folge hatte.

10

2. Da A weiterfährt, obwohl der Bub verletzt ist, könnte er das Vergehen
nach § 94 StGB (Imstichlassen eines Verletzten) begangen haben:

§ 94 ist aber ein Sonderdelikt, das nur von demjenigen begangen wer-

den kann, der die Verletzung eines anderen durch eine sozial inadäquate
Handlung in objektiv zurechenbarer Art und Weise verursacht hat.

11

Da

dies oben verneint wurde, scheidet § 94 Abs 1 StGB aus.

Der OGH ist allerdings anderer Meinung: Er lässt jede Verursachung ei-

ner Körperverletzung im Sinne der naturgesetzlichen Kausalität genügen;
unter dieser Voraussetzung könnte A Täter des § 94 Abs 1 StGB sein.

3. Wenn § 94 StGB mangels „Verursachung“ der Verletzung ausgeschlos-
sen wird, ist noch die Strafbarkeit des A nach § 95 StGB (Unterlassen
der Hilfeleistung)
zu prüfen:

9

Vgl B/S BT I § 80 Rz 2ff.

10

B/S

BT I § 84 Rz 1, 3.

11

B/S

BT I § 94 Rz 2, Kienapfel BT I § 94 Rz 16, 18.

IV. Schwaighofer

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87

Der Sturz mit der dabei erlittenen Verletzung des Buben ist gewiss ein

5NGL¿CKSFALLÏI3DÏeÏÏ3T'"ÏWOMITÏDIEÏALLGEMEINEÏ6ERPmICHTUNGÏZURÏ(IL-
feleistung besteht. B hat es auch objektiv unterlassen, die erforderliche
Hilfe zu leisten: B hätte dafür sorgen müssen, dass der Bub in ärztliche
Behandlung kommt. Das wäre ihm auch möglich gewesen.

Die Erforderlichkeit der Hilfeleistung muss für den Hilfeleistungs-

PmICHTIGENÏABERÏoffensichtlich sein, dh der Betreffende muss geradezu
wissen, dass Hilfe erforderlich ist.

12

Da der Bub sagt, dass ihm nichts

fehle, und abgesehen vom Humpeln auch äußerlich keine Zeichen einer
Verletzung gegeben waren, war diese Offensichtlichkeit nicht gegeben.
B hat es vielleicht ernstlich für möglich gehalten, dass der Bub verletzt
ist, sich aber wohl nicht damit abgefunden, dass er die erforderliche Hil-
fe unterlässt. Daher scheidet auch die Strafbarkeit nach § 95 StGB aus.

Fall 3: „Taxifahrt“

Ein reichlich alkoholisierter Mann (M) lässt sich mit einem Taxi von
A nach B bringen. In B angekommen verlangt der Taxler (T) den
DERÏ3TRECKEÏENTSPRECHENDENÏ&AHRPREISÏVONÏÏãÏ-ÏMEINTÏuÏãÏF¿RÏ
die paar Kilometer? Du bist wohl verrückt!“ und will ohne zu zahlen
aussteigen. Kurz entschlossen schlägt T dem M mit der Faust ins
Gesicht, um ihn daran zu hindern. M stürzt benommen aus der Bei-
fahrertür, rappelt sich auf und läuft davon. Beim Sturz rutscht dem
M die Geldbörse aus der Sakkotasche und fällt neben dem Fahrzeug
auf die Straße. T hebt die Geldtasche auf, stellt mit Wohlgefallen fest,
DASSÏSIEÏÏãÏENTHÇLTÏUNDÏBEHÇLTÏBEIDES

Beurteilen Sie die Strafbarkeit von M und T!

Lösung

1. M, der sich vom Taxifahrer von A nach B bringen lässt, ohne am
Ende bezahlen zu wollen, könnte einen Betrug (§ 146 StGB) begangen
haben:

Der Betrug verlangt jedoch eine Täuschung. M hat den Taxifahrer

nur dann getäuscht, wenn er beim Einsteigen den Eindruck erweckte,
zahlungsfähig und zahlungswillig zu sein, ohne dass dies in Wahrheit
zutraf.

13

Ï !USÏ DEMÏ 5MSTANDÏ DASSÏ -Ï Ï ãÏ INÏ SEINERÏ 'ELDTASCHEÏ HATTEÏ

12

B/S

BT I § 95 Rz 6.

13

B/S

BT I § 146 Rz 6.

Fall 3: „Taxifahrt“

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88

und aus dem Verhalten des M am Ende der Fahrt (Erregung über den
hohen Fuhrlohn) ist jedoch zu schließen, dass M den T nicht täusch-
te, sondern vielmehr beim Einsteigen zahlungsfähig und zahlungswillig
war. Erst am Ende wollte er die Bezahlung der Fahrt verweigern, weil
ihm die Fahrt einfach zu teuer war. Betrug scheidet also aus, weil es
an der Täuschung und demzufolge auch an dem in diesem Zeitpunkt
erforderlichen Vorsatz fehlt, durch das Verhalten des Getäuschten einen
Schaden herbeizuführen und sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.
Die Nichtbezahlung einer Schuld ist keine strafbare Handlung!

2. a) T, der dem M mit der Faust ins Gesicht schlägt, um ihn am Ausstei-
gen zu hindern, könnte eine Körperverletzung (§ 83 StGB) begangen
haben:

Aus dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass M durch den Faust-

schlag mehr als bloß unerheblich in seiner körperlichen Unversehrtheit
beeinträchtigt wurde, was für eine Körperverletzung iSd § 83 StGB not-
wendig wäre.

Denkbar wäre eine versuchte Körperverletzung; diese erforderte

aber einen Verletzungsvorsatz (eine versuchte Körperverletzung kommt
nur nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB in Betracht). Da T den M jedoch nur mög-
lichst schnell am Weglaufen hindern will, ist eher bloß ein Misshand-
lungsvorsatz
anzunehmen. An einem solchen Vorsatz, einem anderen
ernsthaft weh zu tun, ist bei der Versetzung eines Faustschlags kaum zu
zweifeln. Da § 83 Abs 2 StGB aber nicht im Versuch begangen werden
KANNÏ %RFOLGSQUALIlKATIONÏ scheidet eine versuchte Körperverletzung
aus.

14

b) T könnte eine Nötigung (§ 105 StGB) begangen haben:

Durch den Faustschlag ins Gesicht wendet T Gewalt an, weil er so

erheblich auf den Körper des M einwirkt, das dieser zu Sturz kommt.
T will den M durch die Gewaltanwendung am Aussteigen hindern, ihn
somit zu einer Unterlassung nötigen. Da M aber davonlaufen kann, ist
wiederum Versuch zu prüfen:

15

Mit dem Schlag hat T bereits eine Ausführungshandlung gesetzt,

und er hat gerade die Absicht, den M am Aussteigen zu hindern und ihn
zum Bezahlen des Fuhrlohnes zu veranlassen, sodass § 105 Abs 1 StGB
zu bejahen wäre.

Zu prüfen ist jedoch § 105 Abs 2 StGB, der nach B/S

16

als Tatbestand-

seinschränkung (und nicht als Rechtfertigungsgrund) zu verstehen ist:
Nach § 105 Abs 2 StGB ist die Tat nicht rechtswidrig, wenn das eingesetzte

14

B/S

BT I § 83 Rz 11; aM Kienapfel BT I § 83 Rz 76f.

15

B/S

BT I § 105 Rz 15.

16

B/S

BT I § 105 Rz 16.

IV. Schwaighofer

background image

89

Tatmittel (hier die Gewaltanwendung) zur Erreichung des angestrebten
Zwecks nicht den guten Sitten widerstreitet. T hat zweifellos ein Recht
auf die Bezahlung des Fuhrlohnes, sodass der Zweck rechtmäßig ist. Das
eingesetzte Tatmittel zur Erreichung dieses Zwecks, der Faustschlag ins
Gesicht, kann gerade noch als vertretbar angesehen werden, wenn der
Faustschlag nicht sonderlich fest war (was anzunehmen ist; andernfalls
hätte er wohl Verletzungen zur Folge gehabt).

17

Somit bleibt T nach § 105

Abs 2 StGB

STRAmOSÏweil das angewendete Mittel zur Erreichung des

Zwecks nicht den guten Sitten widerstreitet (Grenzfall!).

Damit brauchen Rechtfertigungsgründe nicht mehr geprüft zu wer-

den.

3.

Ï&¿RÏ4ÏDERÏDIEÏ'ELDTASCHEÏMITÏÏãÏANÏSICHÏNIMMTÏUNDÏBEHÇLTÏKOMMTÏ

weiters ein Diebstahl (§ 127 StGB) oder eine Unterschlagung (§ 134
StGB)
in Betracht; das hängt davon ab, ob M an der Geldtasche noch
einen Gewahrsam hat. Die Geldtasche liegt auf der Straße, und M ist da-
vongelaufen. Damit hat er keinen Mitgewahrsam mehr an der Geldtasche
samt Inhalt, sie ist gewahrsamsfrei; es handelt sich um eine verlorene
Sache, an der nur eine Fundunterschlagung begangen werden kann
(§ 134 Abs 1 1. Fall StGB).

18

Wenn die Geldtasche hingegen im Auto des

Taxifahrers liegen geblieben wäre, dann hätte T sonst ohne sein Zutun
Gewahrsam an der Geldtasche erlangt (§ 134 Abs 1 3. Fall StGB).

Die Geldtasche ist ein fremdes Gut; laut Sachverhalt eignet sich T die

Geldbörse samt Inhalt zu, weil er sie behält. Der Vorsatz, sich durch Zueig-
NUNGÏUNRECHTMǒIGÏZUÏBEREICHERNÏERSTRECKTÏSICHÏNAT¿RLICHÏNURÏAUFÏÏãÏ
WEILÏERÏHINSICHTLICHÏDERÏÏãÏ&UHRLOHNÏJAÏEINEÏ&ORDERUNGÏGEGENÏ-ÏHAT

Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“

A hat von der Polizei eine Vorladung zu einer Vernehmung erhalten,
WEILÏ ERÏ EINÏ $ARLEHENÏ VONÏ Ï ãÏ BETR¿GERISCHÏ ERLANGTÏ HATÏ $AÏ ERÏ
die Vorladung (wieder) nicht befolgt, werden die Beamten X und Y
mit einem Funkstreifenwagen zu seiner Wohnung geschickt, um A
vorzuführen. A hat vom Fenster aus gesehen, dass ein Polizeiauto
vorgefahren ist: Er vermutet, dass der Besuch ihm gilt, und versteckt
sich in der Besenkammer hinter der Eingangstür.
Die Beamten läuten an der Wohnungstür. A’s Freundin B, mit der er
seit einer Woche zusammenlebt, öffnet die Tür und lässt die Beam-

17

B/S

BT I § 105 Rz 17, 19.

18

B/S

BT I § 134 Rz 3.

Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“

background image

90

ten ein. Auf deren Frage, ob A in der Wohnung sei, antwortet sie,
A sei am Vortag geschäftlich ins Ausland verreist; sie könnten aber
gerne in der Wohnung nachschauen.
Während die beiden Beamten im Wohn- und Schlafzimmer nach A
suchen, schleicht dieser aus der Besenkammer, verlässt mit B die
Wohnung und versperrt von außen rasch die Tür. A und B laufen
ins Freie, springen in das unversperrte Polizeiauto – günstigerweise
steckt auch der Zündschlüssel – und fahren los.
Als die Beamten bemerken, was passiert ist und dass sie eingesperrt
sind, öffnen sie das straßenseitige Fenster der im ersten Stock ge-
legenen Wohnung und rufen dem nächsten Passanten zu, er möge
sofort die Polizei und einen Schlüsseldienst verständigen. Schon drei
Minuten später trifft eine Funkstreife ein und öffnet die Tür. Der Be-
amte X konnte es aber nicht erwarten: Beim Sprung aus dem 4 Meter
über dem Straßenniveau gelegenen Fenster bricht er sich den rechten
Knöchel.
Die Fahrt von A und B dauert nicht lange: A nimmt eine Kurve zu
schnell, gerät ins Schleudern, rutscht in eine Wiese und prallt auf
einen Telegrafenmasten, der durch den Anprall schief steht. A nimmt
als „Souvenir“ noch die Dienstmütze des Beamten mit, dann suchen
SIEÏDASÏ7EITEÏ$IEÏ2EPARATURÏAMÏ0OLIZEIAUTOÏKOSTETÏÏãÏDIEÏ6ER-
ANKERUNGÏDESÏ-ASTESÏÏã

Prüfen Sie die Strafbarkeit von A und B! (auf den Kreditbetrug des A
ist nicht einzugehen!)

Lösung

1. a) A, der die beiden Beamten X und Y in der Wohnung einsperrt,
könnte dadurch eine Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB) begangen
haben:

Die beiden Beamten sind vorübergehend in der Wohnung „gefangen“.

Laut Sachverhalt wird die Türe aber schon drei Minuten nach ihrem Hil-
feruf von einer Funkstreife geöffnet. Diese Dauer der Freiheitsentziehung
ist für ein Gefangenhalten iSd § 99 Abs 1 StGB zu kurz (Mindestdauer
zehn Minuten).

19

Ein ausreichendes ernstliches Hindernis läge hingegen

vor, weil die Fenster 4 Meter über dem Straßenniveau liegen und daher
eine Befreiung nur unter Gefahr einer Körperverletzung möglich wäre.

Da die Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB nicht vollendet ist,

ist Versuch nach §§ 15, 99 Abs 1 StGB zu prüfen:

19

B/S

BT I § 99 Rz 6. Die Rechtsprechung lässt auch kürzere Zeitspannen genügen.

IV. Schwaighofer

background image

91

A hat durch das Versperren der Tür eine Ausführungshandlung ge-

setzt. Für die Strafbarkeit wegen Versuchs kommt es darauf an, ob A den
Vorsatz hatte, X und Y mehr als zehn Minuten lang gefangen zu halten.
$ASÏ ISTÏ ZUÏ BEZWEIFELNÏ )NÏ ERSTERÏ ,INIEÏ GINGÏ ESÏ DEMÏ !Ï DARUMÏ m¿CHTENÏ
zu können und einen Vorsprung gegenüber den Beamten herauszuho-
len. Dafür reichen schon einige wenige Minuten. Allerdings könnte auch
durchaus ein zumindest bedingter Vorsatz angenommen werden, dass X
und Y mehr als zehn Minuten in der Wohnung eingesperrt bleiben; dann
wäre eine versuchte Freiheitsentziehung zu bejahen.

b) Wenn ein Versuch nach § 99 Abs 1 StGB angenommen wird, könnte
NOCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 99 Abs 2 StGB geprüft werden, da einer
der beiden Beamten beim Sprung aus dem Fenster einen Knöchelbruch
erleidet:

Der Knöchelbruch ist ein schwerer Nachteil für den Beamten; ge-

sundheitliche Folgeschäden durch die Freiheitsentziehung fallen darun-
ter.

20

Aber selbst dann wäre § 99 Abs 2 StGB hier zu verneinen, weil

ESÏSICHÏBEIÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏUMÏEINEÏECHTEÏ1UALIlKATIONÏHANDELTÏDHÏDERÏ
Vorsatz des Täters muss sich auf die besonderen Umstände beziehen.

21

A hatte aber gewiss nicht den Vorsatz, dass ein Beamter eine schwere
Verletzung davonträgt.

c) Wegen des Einsperrens wäre auch ein Widerstand gegen die Staats-
gewalt (§ 269 StGB)
zu überlegen:

A wendet aber weder Gewalt noch eine gefährliche Drohung gegen

die Beamten an: Das Einsperren ist keine Gewalt, weil dafür eine nicht
unerhebliche Einwirkung auf den Körper notwendig ist.

22

Der OGH lässt auch Freiheitsentziehungen als Gewalt iSd § 269 StGB

gelten.

23

d) Auf Grund der schweren Verletzung, die ein Beamter erleidet, ist
ein Verletzungsdelikt zu prüfen: Da A keinen Verletzungsvorsatz hat,
kommt nur eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und
Abs 4 StGB
(wegen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1
StGB) in Betracht:

Das Einsperren ist zweifellos eine sozial inadäquate, objektiv sorg-

faltswidrige Handlung. Aber der Erfolg, die schwere Verletzung durch

20

B/S

BT I § 99 Rz 13; nach dem Wortlaut des § 99 Abs 2 StGB („unter solchen Um-

ständen..., dass“) ist es allerdings zweifelhaft, ob gesundheitliche Folgeschäden tatsächlich
darunter zu subsumieren sind.

21

B/S

BT I § 99 Rz 11.

22

B/S

BT II § 269 Rz 4.

23

Vgl B/S BT I § 105 Rz 5, BT II § 269 Rz 4 mwN.

Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“

background image

92

den Sprung, ist dem A objektiv nicht zuzurechnen: Dass der Beamte aus
dem Fenster springt, war wohl objektiv nicht vorhersehbar, weshalb es
am Adäquanzzusammenhang fehlt. Überdies stellt der Sprung aus dem
Fenster, obwohl bereits Hilfe herbeigerufen wurde, ein grob fahrlässiges,
ja unverständliches Fehlverhalten des Beamten dar, das den Risikozu-
sammenhang ausschließt.

24

Der Beamte war in keiner bedrängenden Si-

tuation, sodass sich absolut keine Notwendigkeit für den Sprung ergab.

e) Durch die Fahrt mit dem Polizeiauto könnte sich A nach § 136 Abs 1
StGB (unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen)
schuldig gemacht ha-
ben:

Das Polizeiauto wird eindeutig unbefugt (ohne Einwilligung) in Ge-

brauch genommen, weil A und B damit ein Stück fahren. Auf der inne-
ren Tatseite hat A gewiss nur den Vorsatz, das Auto vorübergehend für
die Flucht zu verwenden und dann irgendwo stehen zu lassen.

25

Die

Rückerlangung eines Polizeifahrzeugs ist mit Sicherheit anzunehmen,
gleichgültig wo man es stehen lässt.

Der unbefugte Fahrzeuggebrauch könnte

QUALIlZIERT sein:

$IEÏ 1UALIlKATIONÏ NACHÏ § 136 Abs 2 StGB scheidet aus, weil der

Schlüssel nicht widerrechtlich erlangt wurde: Er steckte ja im Schloss.

!UCHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 136 Abs 3 StGB trifft nicht zu, weil

DERÏDURCHÏDIEÏ4ATÏVERURSACHTEÏ3CHADENÏAMÏ&AHRZEUGÏNURÏÏãÏBETRÇGTÏ
Der Schaden am Masten ist nicht relevant und kann nicht dazugerechnet
werden.

26

Weil die Beschädigung des Telegrafenmastes nur fahrlässig erfolgt,

scheidet auch eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB aus.

f) Durch das Mitnehmen der Dienstmütze des Beamten als Souvenir
könnte A eine Anschlussunterschlagung (§ 134 Abs 2 StGB) began-
gen haben:

A hat mit dem Wegfahren das Auto weggenommen und dabei gleich-

zeitig, ohne einen Zueignungsvorsatz zu haben, alle Gegenstände im
Auto in seinen Gewahrsam gebracht.

27

Tathandlung der Unterschlagung

ist die Zueignung: Sie ist gegeben, wenn A die Mütze mit nach Hause
nimmt und dort verbirgt. Auf der inneren Tatseite muss A den Vorsatz
haben, sich durch Zueignung der Mütze unrechtmäßig zu bereichern;
das ist anzunehmen, wenn A die Mütze auf Dauer als Souvenir behalten
will.

24

Fuchs

AT I 13. Kap Rz 47f, K/H AT Z 27 Rz 9.

25

B/S

BT I § 136 Rz 18.

26

B/S

BT I § 136 Rz 24f.

27

B/S

BT I § 134 Rz 9.

IV. Schwaighofer

background image

93

2. a) Die Freundin B könnte durch ihre falschen Angaben gegenüber
den Polizisten, A sei geschäftlich ins Ausland verreist, eine Begünsti-
gung (§ 299 StGB)
begangen haben:

A hat laut Sachverhalt einen Betrug begangen. Der Täter nach § 299

StGB muss den Begünstigten der Strafverfolgung entziehen, indem er
IHNÏVERBIRGTÏODERÏIHMÏHILFTÏUNTERZUTAUCHENÏODERÏZUÏmIEHENÏ"LO’ÏFALSCHEÏ
Angaben gegenüber Polizeiorganen sind nicht tatbildlich; sie sind, wenn
überhaupt, nur nach den Aussagedelikten gemäß §§ 288ff StGB strafbar.

28

Daher scheidet eine Strafbarkeit nach § 299 StGB aus. Dass B mit A ge-
MEINSAMÏVORÏDERÏ0OLIZEIÏmIEHTÏUNDÏIMÏ0OLIZEIAUTOÏMITFÇHRTÏISTÏEBENFALLSÏ
nicht nach § 299 StGB tatbildlich.

Der OGH und die herrschende Meinung erkennen jedoch auch falsche

Auskünfte gegenüber Exekutivorganen als Begünstigungshandlungen
an.

29

Nach dieser Auffassung könnte B eine Begünstigung begangen ha-

ben: B hat offensichtlich den Vorsatz, dass die Beamten unverrichteter
Dinge wieder abziehen. Da sie aber dennoch Nachschau in der Woh-
nung halten und die Verfolgung des A somit nicht verzögert wird, könnte
NURÏ EINÏ 6ERSUCHÏ VORLIEGENÏ $IEÏ "EG¿NSTIGUNGÏ WÇREÏ ABERÏ STRAmOSÏ WENNÏ
sie einen Angehörigen vor der Strafverfolgung schützen soll (§ 299 Abs 3
StGB). B lebt zwar erst seit einer Woche mit A zusammen, aber es genügt
für eine Lebensgemeinschaft iSd § 72 Abs 2 StGB, wenn das Zusammenle-
ben mit der Absicht begonnen wurde, eine Wirtschafts- und Geschlechts-
gemeinschaft zu begründen. In diesem Fall ist B Angehörige des A und
ihre Strafbarkeit entfällt nach § 299 Abs 3 StGB.

b) Für B, die beim Einsperren der Beamten dabei ist und im Polizeiauto
mitfährt, kommt noch eine Beitragstäterschaft zu §§ 15, 99 Abs 1 so-
wie § 136 Abs 1 StGB
in Betracht:

Voraussetzung für einen Beitrag zur (versuchten) Freiheitsentziehung

ist, dass dieser Plan vorher abgesprochen wurde. Nur dann könnte ein
psychischer Beitrag durch Bestärken des Tatentschlusses angenommen
werden. Das bloße Wahrnehmen, dass A die Wohnung versperrt, reicht
dafür nicht aus.

Hinsichtlich eines möglichen Beitrags am unbefugten Fahrzeugge-

brauch ist ebenfalls das bloße Mitfahren zu wenig. Ein Beitrag käme nur
in Betracht, wenn B das Fahrtziel (mit)bestimmt.

30

Wenn diese beiden Voraussetzungen nicht vorliegen und daher die

Beitragstäterschaft entfällt, könnte noch an § 286 StGB (Unterlassung
der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung)
gedacht
werden:

28

B/S

BT II § 299 Rz 3.

29

Vgl B/S BT II § 299 Rz 3 mwN.

30

B/S

BT I § 136 Rz 8, Fuchs AT I 33. Kap Rz 53f.

Fall 4: „Flucht mit Polizeiauto“

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94

Die Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB wurde möglicherweise

bereits versucht und ist mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.
B könnte die Ausführung wohl verhindern, indem sie zB die Tür wieder
aufsperrt. Aber für B trifft der Entschuldigungsgrund nach § 286 Abs 2
Z 1 StGB zu: Die Verhinderung war in diesem Fall nicht möglich, ohne
den Angehörigen A der Strafverfolgung (das ist ein beträchtlicher Nach-
teil) auszusetzen.

Fall 5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“

A, ein 18-jähriger junger Mann, der auf Grund einer geistigen Behin-
derung entwicklungsmäßig auf dem Niveau eines 10-Jährigen geblie-
ben ist, soll in ein Heim, weil seine Mutter ihn zu Hause nicht mehr
erträgt. Das will er unter allen Umständen verhindern. Er klagt sein
Leid einem Bekannten B.
B, der dem A helfen will, sagt, er müsse eben Geld besorgen, dann
brauche er nicht ins Heim. Da erinnert sich A eines Wandtresors, der
SICHÏINÏDERÏ7OHNUNGÏDERÏ-UTTERÏBElNDETÏ)MÏ4RESORÏSOÏERZÇHLTÏ!ÏDEMÏ
B, verwahre seine Mutter immer ein paar hundert Euro und auch den
Typenschein für ihr Moped. B schlägt dem A daraufhin vor, den Tre-
sor herbeizuschaffen. Mit dem Geld könnte man eine Unterkunft für
A besorgen und mit dem Typenschein könnte man auch das Moped
verkaufen.
Gleich am nächsten Tag stemmt A den eingemauerten Tresor mit
einem Brecheisen aus der Wand und nimmt ihn mit. In der Wohnung
des B brechen sie gemeinsam den Tresor auf. Er enthält zwar nur
wenig Bargeld und den Typenschein des Mopeds, aber – überra-
schenderweise – auch einigen Schmuck. B nimmt das Geld und den
Typenschein in Verwahrung; für den Schmuck sieht er keine Verwen-
dung, weshalb sie den kaputten Tresor mitsamt dem Schmuck in die
Sill werfen.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit von A und B!

Lösung

1. a) A, der den Tresor mit Geld und Typenschein aus der Wand bricht,
könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben:

Das im Tresor enthaltene Geld ist eine fremde bewegliche Sache; mit

dem Herausbrechen und Entfernen aus der Wohnung der Mutter hat A
den Gewahrsam der Mutter gebrochen und Alleingewahrsam daran be-

IV. Schwaighofer

background image

95

gründet.

31

Er hat in diesem Zeitpunkt der Wegnahme auch den Vorsatz,

sich durch Zueignung des Geldes unrechtmäßig zu bereichern.

:UÏDENKENÏWÇREÏANÏDIEÏ1UALIlKATIONÏNACHϧ 129 StGB (Einbruchs-

diebstahl). A hat den Diebstahl aber nicht begangen, indem er in eine
Wohnstätte usw eingebrochen oder eingestiegen ist (Z 1), und er hat den
Diebstahl auch nicht begangen, indem er ein Behältnis aufgebrochen hat
:ÏÏ$IESEÏ1UALIlKATIONÏKOMMTÏNURÏZUMÏ4RAGENÏWENNÏDASÏ!UFBRECHENÏ
der Wegnahme vorangeht.

32

In unserem Fall wird das Behältnis erst zu

einem Zeitpunkt aufgebrochen, als A die Sache (den Tresor samt Inhalt)
bereits weggenommen hatte. Auch die Z 3 des § 129 StGB ist nicht erfüllt,
weil die Mauer, in der der Tresor eingebaut ist, keine Sperrvorrichtung
darstellt.

33

Ï$IEÏ1UALIlKATIONENÏNACHÏeÏÏ3T'"Ïscheiden daher aus.

Da das Geld der Mutter gehört, wird der Diebstahl zum Nachteil eines

Angehörigen begangen. Somit ist die Privilegierung nach § 166 Abs 1
StGB (Begehung im Familienkreis)
erfüllt.

b) A will auch den Typenschein erbeuten. Der Typenschein ist als
DIEBSTAHLSFÇHIGEÏ3ACHEÏANZUSEHENÏWEILÏDASÏ/PFERÏEINIGEÏlNANZIELLEÏ-IT-
tel aufwenden muss, um sich ein Duplikat zu beschaffen.

34

Mit der Weg-

nahme des Tresors wird auch der Typenschein weggenommen. Da ge-
plant ist, den Typenschein später gemeinsam mit dem Moped der Mutter
einem Käufer zu übergeben, ist in diesem Fall auch der auf der inneren
Tatseite erforderliche Vorsatz, sich oder einen Dritten durch Zueignung
unrechtmäßig zu bereichern, gegeben. Somit liegt auch hinsichtlich des
Typenscheins ein Diebstahl nach § 127 StGB (wiederum privilegiert
nach § 166 StGB) vor.

Die Rsp und Teile der Lehre würden hinsichtlich des Typenscheins al-

lerdings eine Urkundenunterdrückung nach § 229 StGB annehmen, weil
der Typenschein nicht als diebstahlsfähige Sache angesehen wird.

35

c) Am Tresor selbst begeht A keinen Diebstahl, weil er keinen Vorsatz
hat, sich durch Zueignung des Tresors unrechtmäßig zu bereichern. Ver-
mutlich hatte A bei der Wegnahme den Vorsatz, den Tresor dann später
beiseite zu schaffen (wegzuwerfen). Dann erfüllt A den Tatbestand der
dauernden Sachentziehung (§ 135 StGB); die durch das Aufbrechen
entstandene Sachbeschädigung am Tresor (§ 125 StGB) wird von § 135
StGB konsumiert.

36

31

B/S

BT I § 127 Rz 13, 15.

32

B/S

BT I § 129 Rz 14.

33

B/S

BT I § 129 Rz 11.

34

B/S

BT I § 127 Rz 3.

35

Vgl B/S BT I § 127 Rz 4, BT II § 229 Rz 8f mwN.

36

B/S

BT I § 125 Rz 11.

Fall 5: „Zweifelhafte Geldbeschaffung“

background image

96

d) Die Wand, in der sich der Tresor befunden hat und aus der der Tresor
herausgestemmt wird, wird zweifellos beschädigt. Daher verantwortet A
an der Mauer den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 125 StGB), die
ebenfalls nach § 166 StGB privilegiert ist (Wohnung der Mutter).

e) Mit dem Geld und dem Typenschein erbeutet A auch Schmuck,
von dem er allerdings nichts wusste. Da A im Zeitpunkt der Wegnahme
somit keinen Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz in Bezug auf den
Schmuck hatte, kann er diesbezüglich keinen Diebstahl (§ 127 StGB)
begehen.

37

Da eine dauernde Sachentziehung (§ 135 StGB) nach Auffassung

von B/S

38

einen Entziehungsvorsatz im Zeitpunkt der Wegnahme ver-

langt, scheidet auch dieser Deliktstypus aus. Durch das Versenken des
Schmucks in der Sill könnte A höchstens wieder eine Sachbeschädi-
gung (§ 125 StGB)
begangen haben, weil die Sachen (falls es sich um
unechten Modeschmuck handelte) allmählich kaputt werden. Darauf
müsste sich auch der Vorsatz des A beziehen.

Der OGH, der eine dauernde Sachentziehung auch an Sachen für

M–GLICHÏHÇLTÏDIEÏSICHÏBEREITSÏIMÏ'EWAHRSAMÏDESÏ4ÇTERSÏBElNDENÏW¿RDEÏ
A bezüglich des Schmucks nach § 135 StGB verurteilen.

39

Zusammenfassend hat A durch seine Handlungen einen Diebstahl

am Geld und am Typenschein, eine dauernde Sachentziehung am Tresor
sowie eine Sachbeschädigung an der Wand (und eventuell am Schmuck)
begangen, wobei all diese Delikte nach § 166 StGB privilegiert sind.

Da A nach den Angaben im Sachverhalt aber auf dem Niveau eines 10-

Jährigen stehen geblieben ist, ist von einer fehlenden Dispositions- und
Diskretionsfähigkeit und damit von einer Schuldunfähigkeit iSd § 11
StGB auszugehen (Zurechnungsunfähigkeit wegen Schwachsinns).

40

2. a) B will A bei der Geldbeschaffung helfen und macht den Vorschlag,
den Tresor mit dem darin erhofften Geld und dem Typenschein herbei-
zuschaffen. Daher kann sich B wegen Bestimmungstäterschaft zu den
von A begangenen Handlungen strafbar gemacht haben:

Er weckt in A den Tatentschluss, den Tresor samt Inhalt herauszu-

brechen und herbeizuschaffen. Auf der inneren Tatseite hat B auch den
Vorsatz, dass A diese Handlungen vornimmt. B haftet dafür nach § 12
2. Fall, § 127, § 135 und § 125 StGB.
Auch bei ihm ist ein Zueignungs-
und Bereicherungsvorsatz in Bezug auf Geld und Typenschein sowie

37

B/S

BT I § 127 Rz 25.

38

BT I § 135 Rz 10.

39

Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN.

40

Fuchs

AT I 22. Kap Rz 1ff.

IV. Schwaighofer

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97

der Vorsatz auf Beseitigung des Tresors und auf Beschädigung der Wand
anzunehmen.

41

Für den Schmuck gilt das zu A Gesagte.

Hinsichtlich der Beschädigung des Tresors, die er ja gemeinsam mit

A vornimmt, wäre A unmittelbarer Täter, doch ändert dies nichts an der
Konsumtion der Sachbeschädigung durch die dauernde Sachentziehung.
Auch bezüglich des Schmucks, den B gemeinsam mit A in die Sill wirft,
wäre B unmittelbarer Mittäter.

42

b) Zu prüfen ist noch, ob auch dem B die Privilegierung nach § 166
StGB
zugute kommt. Nach § 166 Abs 2 StGB ist dies dann der Fall, wenn
sich B nur zum Vorteil des A an der Tat beteiligt.

43

Ob dies zutrifft, ist

dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Aber den Umständen nach ist da-
von auszugehen, dass die Tat ausschließlich dem A zugute kommen soll,
sodass diese Voraussetzung erfüllt ist.

Fall 6: „Mantelverwechslung“

A geht mit seinem „Kumpel“ B nach der Arbeit in ein Lokal: Nach
einigen Gläsern Wein verlassen die beiden das Lokal; A nimmt beim
Hinausgehen einen Trenchcoat mit, obwohl er gar keinen Mantel
getragen hatte. Das fällt B nicht auf, bis A ihm auf der Straße sagt,
er habe eben in dem Mantel einen Mercedesschlüssel entdeckt. B
schlägt ihm vor, den dazugehörigen Wagen zu suchen. Sie haben ihn
bald gefunden. Niemand ist in der Nähe; so steigen sie ein und brau-
sen mit dem Mercedes davon. A steuert den Wagen trotz erheblicher
Alkoholisierung und obwohl er noch keinen Führerschein besitzt.
Bei einer Kurve kommen sie zu weit hinaus und beschädigen einen
Zaun. Der Wagen ist schwer ramponiert; daraufhin lassen sie das
Auto stehen und suchen das Weite.

Wonach haben sich A und B strafbar gemacht?

Lösung

1. A, der den falschen Trenchcoat samt Schlüssel beim Hinausgehen
mitnimmt, könnte einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen haben:

Hinsichtlich des Mantels ist am Tatobjekt des § 127 StGB (fremde be-

wegliche Sache) nicht zu zweifeln. Entscheidend ist, ob A im Zeitpunkt,

41

Fuchs

AT I 33. Kap Rz 30, K/H AT E 4 Rz 31.

42

K/H

AT E 3 Rz 5ff.

43

B/S

BT I § 166 Rz 5f. § 166 Abs 2 StGB gilt analog auch für § 125 StGB.

Fall 6: „Mantelverwechslung“

background image

98

als er den Mantel von der Garderobe nahm, den Vorsatz hatte, sich durch
Zueignung des Mantels unrechtmäßig zu bereichern. Dies lässt sich aus
dem Sachverhalt nicht verlässlich beantworten; da er aber gar keinen
Mantel mithatte, ist eine Verwechslung auszuschließen und eher von
einem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz auszugehen. A hat also
am Mantel einen Diebstahl begangen.

Mit dem Mantel wird auch der Schlüssel weggenommen; im Zeit-

punkt der Wegnahme hatte A aber gewiss keinen Zueignungs- und Be-
reicherungsvorsatz am Schlüssel, weil er von dem Schlüssel noch gar
nichts wusste.

44

Daher scheidet ein Diebstahl aus.

Hinsichtlich des Schlüssels könnte eine Anschlussunterschlagung

(§ 134 Abs 2 StGB) geprüft werden: Der Schlüssel wurde (mit dem Man-
tel) weggenommen, wobei A in diesem Zeitpunkt keinen Zueignungs-
vorsatz hatte.

45

Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 134 Abs 2 StGB ist aber,

dass sich der Täter den Schlüssel mit dem Vorsatz zueignet, sich dadurch
unrechtmäßig zu bereichern. Da A (und B) bloß den Vorsatz fassen, den
Schlüssel zum unbefugten Gebrauch eines Fahrzeugs zu verwenden, ist
ein Zueignungsvorsatz zu verneinen.

46

Was die beiden weiter mit dem Schlüssel tun wollen, geht aus dem

Sachverhalt nicht hervor. Selbst wenn A vorgehabt hätte, den Schlüssel
wegzuwerfen, könnte er keine dauernde Sachentziehung mehr begehen,
weil § 135 StGB verlangt, dass der Täter im Zeitpunkt der Wegnahme den
Vorsatz auf dauernde Entziehung der Sache fasst.

47

Nach Auffassung des OGH, der eine dauernde Sachentziehung auch

an Sachen für möglich hält, die sich bereits im Gewahrsam des Täters
BElNDENÏWÇREÏHINGEGENÏINÏDIESEMÏ&ALLÏEINEÏ3TRAFBARKEITÏNACHÏeÏÏ3T'"Ï
zu bejahen

.

48

2. B hat laut Sachverhalt nicht bemerkt, dass A einen fremden Mantel
mitgenommen hat. Es gibt keinen Hinweis im Sachverhalt, dass B in
irgendeiner Weise am Diebstahl des Mantels beteiligt sein könnte, und
es gibt auch keinen Hinweis, dass er den Mantel später an sich nimmt,
was zur Annahme einer Hehlerei führen könnte. Daher haftet B für die
Wegnahme des Mantels nicht. Hinsichtlich des Schlüssels ist B gleicher-
maßen straffrei wie A.

44

B/S

BT I § 127 Rz 25.

45

B/S

BT I § 134 Rz 9.

46

B/S

BT I § 127 Rz 19.

47

B/S

BT I § 135 Rz 3, 10.

48

Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN.

IV. Schwaighofer

background image

99

3. Hinsichtlich des Wegfahrens mit dem Mercedes ist ein unbefugter
Gebrauch von Fahrzeugen (§ 136 StGB)
zu prüfen:

A fährt das Auto selbst und ist daher unmittelbarer Täter nach § 136

Abs 1 StGB. Auf der inneren Tatseite verlangt § 136 StGB den Vorsatz,
das Kfz (nur) vorübergehend zu verwenden und es dann in einer Weise
stehen zu lassen, die die Rückerlangung durch den Berechtigten gewähr-
leistet. Das ist bei A mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Eine
dauernde Sachentziehung nach § 135 StGB ist eher auszuscheiden, weil
sie ursprünglich wohl nicht den Vorsatz hatten, das Auto so zurückzulas-
sen, dass es dem Eigentümer nicht mehr zukommen wird.

49

B hat den Vorschlag gemacht, den Mercedes zu suchen und wohl

auch in Gebrauch zu nehmen. Daher ist B wegen Bestimmungstäter-
schaft
gemäß §§ 12 2. Fall, 136 Abs 1 StGB strafbar: Er hat den Vorsatz,
A zur unmittelbaren Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs zu veranlassen,
und hat wohl ebenso den Vorsatz, dass der Mercedes nur vorübergehend
verwendet und dann wieder so zurückgelassen werde, dass er aufgefun-
den wird. Unmittelbarer Täter nach § 136 Abs 1 StGB ist nur, wer selbst
das Fahrzeug lenkt.

50

Zu prüfen sind noch allfällige

1UALIlKATIONENÏdes § 136 StGB:

§ 136 Abs 2 StGB wird verwirklicht, wenn das Auto mit Hilfe eines

widerrechtlich erlangten Schlüssels (weggenommener Schlüssel iSd
§ 129 Z 1 StGB) in Gebrauch genommen wird. A hat den Schlüssel mit
dem Mantel weggenommen, und diese Wegnahme war zweifellos wider-
rechtlich, sodass A nach § 136 Abs 2 StGB haftet.

!UCHÏ DEMÏ "Ï ISTÏ DIEÏ 1UALIlKATIONÏ NACHÏ eÏ Ï !BSÏ Ï 3T'"Ï ANZULAS-

ten, weil zur Ingebrauchnahme des Wagens der von A widerrechtlich
erlangte Schlüssel verwendet wird und B auch einen diesbezüglichen
Vorsatz hat: Er weiß ja laut Sachverhalt, dass sich der Schlüssel in dem
von A weggenommenen Mantel befand.

$AÏDASÏ!UTOÏIMÏ:UGEÏDERÏ&AHRTÏBESCHÇDIGTÏWIRDÏISTÏDIEÏ1UALIlKATI-

on nach § 136 Abs 3 StGB zu prüfen: Wenn der Schaden am Fahrzeug
(nicht am Zaun!)

51

Ï ÏãÏ ¿BERSTEIGTÏ WOVONÏ AUSZUGEHENÏ ISTÏ uSCHWERÏ

RAMPONIERThÏ VERWIRKLICHTÏ !Ï DIESEÏ 1UALIlKATIONÏ WEILÏ DIESERÏ 3CHADENÏ
von ihm fahrlässig herbeigeführt wurde.

!UCHÏ DEMÏ "Ï ISTÏ DIESEÏ 1UALIlKATIONÏ ANZULASTENÏ WEILÏ ERÏ JAÏ DENÏ 6OR-

schlag zur Fahrt mit dem Mercedes gemacht hat und ihm insofern Fahr-
lässigkeit vorzuwerfen ist, als er den alkoholisierten A, der noch dazu
keinen Führerschein besitzt, zur Fahrt animiert hat.

49

B/S

BT I § 136 Rz 17f.

50

B/S

BT I § 136 Rz 8.

51

B/S

BT I § 136 Rz 25.

Fall 6: „Mantelverwechslung“

background image

100

4. Die Beschädigung des Zaunes erfolgt nur fahrlässig und ist deshalb
nicht nach § 125 StGB strafbar.

5. Das Stehen-Lassen des Fahrzeugs nach dem Unfall ändert nichts an
der Strafbarkeit der beiden.

Fall 7: „Die Leihschier“

Ein deutscher Urlaubsgast G mietet sich ein Paar Leihschier. Am Ende
des Schitags macht er einen „Einkehrschwung“ in einer Schihütte bei
der Talstation der Gondelbahn. Als er herauskommt, bemerkt er, dass
die Leihschier weg sind. Kurz entschlossen nimmt er ein anderes,
ähnlich aussehendes Paar vom Schiständer und begibt sich damit
zum Schiverleiher. Er hofft, dass dem Verleiher der „Austausch“ der
Schier nicht auffällt. Das funktioniert aber nicht: Der Schiverleiher be-
merkt sofort, dass G die falschen Schier zurückgebracht hat. Zähne-
KNIRSCHENDÏBEZAHLTÏ'ÏÏãÏF¿RÏDIEÏVERLORENENÏ3CHIERÏDIEÏuFALSCHENhÏ
Schier lässt der frustrierte Gast einfach stehen.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit des G!

Lösung

1. a) Hinsichtlich der Wegnahme der Schier durch G ist an einen Dieb-
stahl (§ 127 StGB)
zu denken:

Die Schier sind eine fremde, bewegliche Sache iSd § 127 StGB, weil

sie im Eigentum eines anderen stehen, ohne Substanzverlust an einen
anderen Ort gebracht werden können und einen Wert haben. Die Schi-
ERÏDIEÏAMÏ3CHISTÇNDERÏNEBENÏEINERÏ3CHIH¿TTEÏSTEHENÏBElNDENÏSICHÏIMÏ
Gewahrsam des Eigentümers, weil sie so zurückgelassen wurden, wie
MANÏSIEÏ¿BLICHERWEISEÏZUR¿CKZULASSENÏPmEGT

52

Mit der Wegnahme der

Schier vom Ständer bricht G den fremden Gewahrsam und begründet
eigenen Alleingewahrsam, womit der Diebstahl vollendet wäre.

Auf der inneren Tatseite verlangt § 127 StGB den Vorsatz, sich oder

einen Dritten durch Zueignung der Sache unrechtmäßig zu bereichern.
Der Täter muss also den Vorsatz haben, die Sache in sein Vermögen oder
in das eines Dritten überzuführen, sowie den Vorsatz, sich oder den Drit-
ten gerade um den Wert der Sache selbst unrechtmäßig zu bereichern.

53

52

B/S

BT I § 127 Rz 10.

53

B/S

BT I § 127 Rz 18–24.

IV. Schwaighofer

background image

101

G hat nicht den Vorsatz, sich selbst gerade um den Wert dieser

Schier unrechtmäßig zu bereichern. Er will die Schier ja dem Verleiher
überlassen und sich selbst nur eine Ersatzzahlung für die abhanden ge-
kommenen Schier ersparen. Das ist zwar eine unrechtmäßige Bereiche-
rung, aber nicht durch Zueignung an sich selbst.

G will die Schier beim Schiverleiher als die von ihm entlehnten zu-

rückgeben und hofft, dass der Verleiher diese Schier akzeptiert und er
deswegen nichts für den Verlust der eigentlich entlehnten Schier bezah-
len muss. Was weiter geschieht, das dürfte dem G gleichgültig gewesen
sein: Ob der Verleiher die (gleichwertigen) Schier behält und weiter als
Leihschier verwendet oder ob der Verleiher die Schier wieder wird her-
ausgeben müssen, das kümmert den G nicht.

Wenn G einen derartigen alternativen Vorsatz hat, dann hat er je-

denfalls auch den Vorsatz, einen Dritten durch Zueignung unrechtmä-
ßig zu bereichern: nämlich den Verleiher, der die Schier behalten soll;
dies ist eine unrechtmäßige Bereicherung, weil der Verleiher objektiv
kein Recht auf das Behalten dieser Schier hat. Damit hat G auch auf der
inneren Tatseite die Voraussetzungen eines Diebstahls erfüllt.

b) G könnte durch die Wegnahme der Schier auch eine dauernde Sa-
chentziehung (§ 135 StGB)
begangen haben:

Voraussetzung dafür wäre, dass er bei der Wegnahme damit rechnet,

dass der Eigentümer nicht mehr zu seinen Schiern kommen wird, und
SICHÏDAMITÏABlNDETÏ!UCHÏDASÏWIRDÏMANÏDENÏ5MSTÇNDENÏNACHÏANNEHMENÏ
können. Wenn er aber (auch) den Vorsatz hat, dass der Schiverleiher
die Schier behalten wird, dann hat er einen Zueignungsvorsatz, der die
Anwendung des § 135 StGB ausschließt.

54

Wenn G hingegen nicht damit gerechnet hat, dass dem Schiverleiher

die Schier bleiben werden, sondern dass er sie wieder wird herausgeben
müssen, dann kommt anstelle eines Diebstahls die dauernde Sachentzie-
hung nach § 135 StGB in Betracht:

Die Entziehung der Sache in Form einer Wegnahme ist eindeutig ge-

geben; der Verlust der Schier ist für den Eigentümer selbstverständlich
ein Schaden. Mit der Entziehung ist die dauernde Sachentziehung nach
hA vollendet.

55

Was die innere Tatseite betrifft, so ist § 135 StGB zu bejahen, wenn G

im Zeitpunkt der Wegnahme annimmt, dass der Eigentümer seine Schi-
er nicht wieder zurückerlangen wird (Schädigungsvorsatz).

56

Rechnet G

hingegen in diesem Zeitpunkt damit, dass der Eigentümer seine Schier
wieder bekommen wird, scheidet § 135 StGB aus.

54

B/S

BT I § 135 Rz 8.

55

B/S

BT I § 135 Rz 6; aM Kienapfel BT II § 135 Rz 30f.

56

B/S

BT I § 135 Rz 7.

Fall 7: „Die Leihschier“

background image

102

2. Das Abgeben der falschen Schier ist unter dem Aspekt eines Be-
truges (§ 146 StGB)
zu untersuchen:

G möchte den Schiverleiher dazu veranlassen, die falschen Schier zu

akzeptieren und von einer Ersatzforderung wegen der dem G abhanden
gekommenen Schier abzusehen. Da dieser Plan nicht aufgeht, kommt
nur ein Versuch gemäß §§ 15, 146 StGB in Betracht:

G hat bereits eine Ausführungshandlung gesetzt, weil er mit dem

Hingeben der falschen Schier den Verleiher konkludent getäuscht hat.

57

Diese Täuschungshandlung soll den Schiverleiher dazu veranlassen,
diese Schier zu akzeptieren und keine Ersatzforderung zu stellen. Diese
Handlung bzw Unterlassung muss den Getäuschten (den Schiverleiher)
oder einen anderen am Vermögen schädigen.

Als Schaden käme in Betracht, dass der Verleiher von der ihm zuste-

HENDENÏ&ORDERUNGÏVONÏÏãÏDIEÏ'ÏLETZTLICHÏJAÏBEZAHLENÏMUSSÏABSIEHTÏ
Allerdings soll er ein anderes Paar Schi als „Ersatz“ bekommen. Da es
sich dabei um fremde Schier handelt, erlangt der Schiverleiher daran zwar
kein Eigentum; wenn es aber unwahrscheinlich ist, dass der Schiverleiher
die Sache wieder herausgeben muss, dann ist die Nichterlangung des Ei-
gentums bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise noch kein Schaden.

58

Ein

Schaden wäre dann gegeben, wenn die zurückgebrachten Schier gegen-
über den entliehenen Schiern minderwertig sind (Differenzschaden).

59

Der OGH nimmt generell einen Betrug an, wenn dem Käufer einer

deliktisch erworbenen Sache kein Eigentum verschafft wird.

60

Auf der inneren Tatseite muss G insbesondere einen Schädigungsvor-

satz haben und den Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern. Ein Schädi-
gungsvorsatz ist auszuschließen, wenn G damit rechnet, dass der Schiverlei-
her die Schier behalten kann und sie wertmäßig den tatsächlich entliehenen
Schiern entsprechen. Da G (auch) annimmt, dass der Verleiher die Schier
behalten kann (s oben), kommt ein Betrug nur mehr in Betracht, wenn G
den Vorsatz hat, dass die zurückgebrachten Schier gegenüber den entlie-
henen minderwertig sind (Differenzschaden). Ob das zutrifft oder nicht,
lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Aber da es sich um ein ähnlich
aussehendes Paar handelt, könnte man annehmen, dass sie auch den glei-
chen Wert haben, was einen Schädigungsvorsatz ausschließen würde.

Hatte G hingegen den Vorsatz, dass der Schiverleiher die Schier wie-

der herausgeben wird müssen bzw dass sie minderwertig sind, dann
ist ein Betrugsversuch anzunehmen, da diesfalls ein Schädigungsvorsatz
und auch ein Vorsatz auf unrechtmäßige Bereicherung (Ersparnis der
SONSTÏZUÏZAHLENDENÏÏãÏGEGEBENÏSINDÏ

57

Fuchs

AT I 29. Kap Rz 21ff.

58

B/S

BT I § 146 Rz 23.

59

B/S

BT I § 146 Rz 28.

60

Vgl Kienapfel BT II § 146 Rz 166 mwN.

IV. Schwaighofer

background image

103

Der Versuch ist nicht absolut untauglich, weil es bei einer ex-ante-

Beurteilung eines begleitenden Beobachters nicht völlig ausgeschlossen
erscheint, dass die Täuschung funktioniert (es geht um die Tauglichkeit
der Handlung).

61

Dass das Gelingen des Plans sehr unwahrscheinlich

ist, weil die Schier üblicherweise mit einem Strichcode ausgestattet sind,
ändert nichts an der Tauglichkeit.

Da der Schiverleiher die Schier sofort als die falschen erkennt, handelt

es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch, von dem ein Rücktritt
nicht mehr möglich ist.

62

3. Das Stehen-Lassen der Schier nach dem gescheiterten Rückgabe-
versuch ändert an der Strafbarkeit des G nichts mehr: § 135 StGB kommt
nur zur Anwendung, wenn der Täter im Zeitpunkt des Gewahrsams-
bruchs den Vorsatz auf dauernde Entziehung hat.

63

Nach Auffassung des OGH kann die dauernde Sachentziehung hin-

gegen auch dadurch begangen werden, dass der Täter eine fremde Sache
aus seinem Gewahrsam wegwirft oder preisgibt

.

64

Mit dem Wortlaut des § 135 StGB ist die Ansicht des OGH nicht mehr

vereinbar. Im Übrigen ist es im Zeitpunkt des Stehen-Lassens der Schier
ohnehin unwahrscheinlich, dass G an eine dauernde Entziehung denkt;
im Gegenteil wird er eher damit rechnen, dass auf diese Weise die Schier
an den wahren Eigentümer zurückgelangen. Aber für eine tätige Reue
reicht das auch nicht.

Fall 8: „Überforderter Briefträger“

Ein Briefträger B fühlt sich heillos überlastet. Vor Weihnachten hat
er neben der normalen Post eine gewaltige Menge von Werbesen-
dungen auszutragen. So beschließt er, sich die Arbeit etwas zu er-
leichtern, und wirft einen großen Stapel Werbesendungen sowie eini-
ge besonders schwere, auf Hochglanzpapier gedruckte Zeitschriften
in den nächsten Altpapiercontainer.
Einige Zeit später kommt A vorbei und sieht bei einem zufälligen
Blick in den Altpapiercontainer obenauf eine ganz aktuelle Zeit-
SCHRIFTÏDIEÏERÏSICHÏOHNEHINÏKAUFENÏWOLLTEÏ%RFREUTÏDASSÏERÏSICHÏÏãÏ
gespart hat, nimmt er die Zeitschrift heraus und steckt sie ein.

Prüfen Sie die Strafbarkeit von B und A!

61

K/H

AT Z 24 Rz 12f.

62

Fuchs

AT I 31. Kap Rz 22ff, K/H AT Z 23 Rz 20f.

63

B/S

BT I § 135 Rz 3f, 10.

64

Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN.

Fall 8: „Überforderter Briefträger“

background image

104

Lösung

1. a) Durch das Wegwerfen der Werbesendungen und Zeitschriften in ei-
nen Altpapiercontainer könnte sich B nach § 133 StGB (Veruntreuung)
strafbar gemacht haben:

Gegenstand der Veruntreuung ist ein Gut, das dem Täter anvertraut

wurde. Die Poststücke sind ein fremdes Gut iSd § 133 StGB, weil sie im
Eigentum eines anderen (des Absenders) stehen und einen Wert (Ver-
kaufspreis der Zeitungen, Herstellungskosten der Werbesendungen) re-
präsentieren. Der Briefträger übernimmt die auszutragende Post beim
zuständigen Postamt; die Post wird ihm dadurch in seinen Alleinge-
wahrsam
übergeben, weil sein Dienstgeber nach der Übergabe keine
faktische Zugriffsmöglichkeit mehr auf die Poststücke besitzt (die Ab-
sender haben ihren Gewahrsam bereits mit dem Einwerfen in den Post-
kasten oder mit der Abgabe der Sendungen beim Postamt aufgegeben).
$ERÏ"RIEFTRÇGERÏHATÏDIEÏ6ERPmICHTUNGÏMITÏDERÏ0OSTÏAUFÏGANZÏBESTIMMTEÏ
Art und Weise zu verfahren (sie auszutragen). Daher ist die Post dem
Briefträger anvertraut iSd § 133 StGB.

65

Ausführungshandlung der Veruntreuung ist die Zueignung (selbst oder

einem Dritten).

66

Der Briefträger eignet sich die Post eindeutig nicht selbst

zu: Er führt sie nicht in sein Vermögen über, sondern wirft sie in einen Alt-
papiercontainer. Dadurch werden die Werbesendungen und Zeitschriften
in das Vermögen des Containeraufstellers übergeführt, so dass man in-
soweit von einer Zueignung an einen Dritten sprechen könnte. Allerdings
wird mit dem Einwerfen in den Container nicht der in den Sendungen
repräsentierte Wert in das Vermögen des Containeraufstellers übergeführt,
sondern höchstens der (minimale) Wert als Altpapier (Gewicht). Daher
kann man schon die Zueignung an einen Dritten verneinen.

Auch der für eine Veruntreuung notwendige Vorsatz, sich oder einen

Dritten durch Zueignung des Gutes unrechtmäßig zu bereichern,
wäre zu verneinen: B will den in den Poststücken repräsentierten Wert
nicht einem anderen zuführen, damit dieser dadurch unrechtmäßig be-
reichert wird, sondern er hat bloß den Vorsatz, sich der Poststücke zu
entledigen.

67

B hat sich somit nicht nach § 133 StGB strafbar gemacht.

b) Zu prüfen ist, ob B sich nach § 135 StGB (Dauernde Sachentzie-
hung)
strafbar gemacht hat:

Wie bereits oben ausgeführt, sind die Poststücke fremde bewegliche

Sachen und daher geeignete Tatobjekte des § 135 StGB. Nach B/S

68

und

65

B/S

BT I § 133 Rz 3.

66

B/S

BT I § 133 Rz 11.

67

B/S

BT I § 133 Rz 21.

68

BT I § 135 Rz 2f.

IV. Schwaighofer

background image

105

einem Teil der Lehre ist die Tathandlung des § 135 StGB ein Gewahr-
samsbruch. B hat die Poststücke im Tatzeitpunkt aber bereits in seinem
Alleingewahrsam (sie wurden ihm anvertraut) und kann sie daher nicht
wegnehmen. Nach dieser Auffassung scheidet § 135 StGB somit aus.

Wenn man hingegen die Auffassung des OGH und eines anderen

Teiles der Lehre vertritt, wonach die Tathandlung lediglich die Herstel-
lung eines Zustandes ist, durch den dem Berechtigten die Sachen auf
Dauer vorenthalten werden, so ist eine dauernde Sachentziehung auch
an anvertrauten Sachen möglich.

69

Durch die Entsorgung in den Altpa-

piercontainer werden sie dem Berechtigten zweifellos dauernd entzogen.
Auf eine derartige dauernde Entziehung erstreckt sich auch der Vorsatz
des B. Nach dieser Meinung, die dem Wortlaut des § 135 StGB aber nicht
entspricht, wäre B somit nach § 135 StGB strafbar, da auch keine Recht-
fertigungs-, Entschuldigungs- oder Strafausschließungsgründe ersichtlich
sind.

c) Wenn man (iSd Lehrmeinung von B/S) wie hier die Anwendbarkeit
des § 135 StGB verneint, muss man prüfen, ob sich B nach § 125 StGB
(Sachbeschädigung)
strafbar gemacht hat:

Die Post ist ein geeignetes Tatobjekt (s oben). Die Postsendungen

werden zwar von B nicht unmittelbar zerstört oder beschädigt, aber B
bewirkt mit dem Einwerfen in den Altpapiercontainer, dass das Altpa-
pier in der Folge vom Containeraufsteller abgeholt und zwecks Herstel-
lung neuen Papiers vernichtet wird. B wird ursächlich dafür, dass ein
vorsatzlos handelndes Werkzeug (Containeraufsteller) die Post zerstört.
Man könnte auch sagen, dass die Poststücke unbrauchbar gemacht wer-
den, weil sie nicht mehr der zweckentsprechenden Verwendung dienen
können.

70

Freilich bleiben sie durch das Einwerfen in den Altpapiercon-

tainer vorerst durchaus lesbar. Dass das Papier im Container der Vernich-
tung zugeführt wird, ist jedermann klar und gewiss auch dem B. Daher
ist am notwendigen Vorsatz nicht zu zweifeln.

Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass sich B nach § 125 StGB

strafbar gemacht hat. B ist kein Beamter,

71

daher ist § 313 StGB jeden-

falls unanwendbar.

2. a)

Ï!ÏDERÏEINEÏ:EITSCHRIFTÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏAUSÏDEMÏ!LTPAPIERCONTAINERÏ

nimmt, könnte sich nach § 127 StGB (Diebstahl) strafbar gemacht haben:

Tatobjekt des § 127 StGB ist eine fremde bewegliche Sache. Fremd ist

eine Sache, wenn sie im Allein- oder Miteigentum eines anderen steht.
Die Zeitschrift bleibt, obwohl sie von B weggeworfen wird, im Eigen-

69

Vgl B/S BT I § 135 Rz 4 mwN.

70

B/S

BT I § 125 Rz 2f. Es wäre aber eine Einwirkung notwendig.

71

B/S

BT II § 302 Rz 4.

Fall 8: „Überforderter Briefträger“

background image

106

tum des Absenders, also des Verlages. Erst mit der Übergabe an den
Empfänger geht sie in dessen Eigentum über. B selbst kann fremdes
Eigentum nicht aufgeben. (Nur wenn der Eigentümer selbst Sachen in
den Müll-, Altpapier-, Glascontainer usw wirft, gibt er sein Eigentum
daran auf. Im Übrigen enthalten manche Landesgesetze die Bestimmung,
wonach mit dem Einwurf in derartige Container das Eigentum an den
Sachen auf den Aufsteller der Container übergeht).

72

Die Zeitschrift hat

auch objektiv einen Tauschwert,

ÏDAÏSIEÏAKTUELLÏISTÏUNDÏUMÏÏãÏVERKAUFTÏ

wird.

A nimmt die Zeitschrift weg, weil er den Gewahrsam des Contai-

neraufstellers an diesen Sachen bricht und eigenen neuen Gewahrsam
an der Zeitschrift begründet. Aber vermutlich hat der Containeraufsteller
gegen die Entnahme einzelner Zeitungen gar nichts einzuwenden; dann
liegt schon objektiv keine Wegnahme (= gegen den Willen des Gewahr-
samsinhabers) vor.

73

Davon abgesehen verlangt § 127 StGB auf der inneren Tatseite den

tatbestandsmäßigen Vorsatz auf alle Tatbildmerkmale und den über-
schießenden Vorsatz, sich durch die Zueignung der Sache unrechtmäßig
zu bereichern. Vermutlich denkt sich A, dass jemand die Zeitschrift bald
nach dem Kauf wieder weggeworfen hat, weil er sie bereits ausgelesen
hat oder weil sie ihm nicht gefallen hat. A glaubt demnach, dass der
Eigentümer der Zeitschrift sein Eigentum daran aufgegeben hat. Wenn A
überdies annimmt, dass sie überhaupt herrenlos ist (dass sie auch nicht
dem Containeraufsteller gehört), hat er keinen Vorsatz auf eine fremde
Sache, sodass § 127 StGB ausscheidet.

Selbst wenn A wüsste, dass die Sachen, die in den Container einge-

worfen werden, nach dem geltenden Landesgesetz mit dem Einwurf in
das Eigentum des Containeraufstellers übergehen, so kann er immer
noch davon ausgehen, dass der Containeraufsteller mit der Entnahme
einzelner Zeitschriften einverstanden ist, zumal der Schaden durch die
Reduzierung des Altpapiergewichts quasi Null ist: Dann hat er keinen
Vorsatz,
einem anderen eine Sache gegen dessen Willen wegzuneh-
men.
Somit scheidet § 127 StGB jedenfalls mangels Vorliegens der in-
neren Tatseite aus. Dies, obwohl er zweifellos den Vorsatz hat, sich die
Sache zuzueignen.

b) Eine Fundunterschlagung (§ 134 Abs 1 StGB) kommt nicht in
Betracht, weil die Sache ja nicht gewahrsamsfrei ist, sondern im Gewahr-
sam des Containeraufstellers steht, was dem A auch klar sein dürfte.

74

72

B/S

BT I § 127 Rz 2.

73

B/S

BT I § 127 Rz 13, 16.

74

B/S

BT I § 134 Rz 3.

IV. Schwaighofer

background image

107

c) Wenn man die Strafbarkeit nach § 127 StGB verneint, entfällt natür-
lich auch die Prüfung in Richtung der Privilegierung nach § 141 StGB
(Entwendung),
die hier erfüllt wäre: Die Zeitschrift hat nur einen ge-
ringen Wert, und sie wird zur Befriedigung eines Gelüstes (alsbaldiges
Lesen) weggenommen. Schließlich (im Fall der Bejahung des § 127 bzw
§ 141 StGB) würde hier eindeutig der Strafausschließungsgrund nach
§ 42 StGB greifen, weil der Schaden völlig unbedeutend ist, die Schuld
minimal und auch präventive Überlegungen nicht dagegen sprechen.

75

Im Ergebnis bleibt A daher

STRAmOS

Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“

Die Mutter A übergibt ihrem 18-jährigen Sohn B ihre Bankomatkarte,
teilt ihm den Code mit und bittet ihn, rasch zum nächsten Banko-
MATENÏ ZUÏ GEHENÏ UNDÏ F¿RÏ SIEÏ Ï ãÏ ZUÏ BEHEBENÏ $ERÏ 3OHNÏ BEHEBTÏ
JEDOCHÏ Ï ãÏ DIEÏ VONÏ DERÏ -UTTERÏ BEN–TIGTENÏ Ï ãÏ LIEFERTÏ ERÏ SAMTÏ
"ANKOMATKARTEÏBEIÏDERÏ-UTTERÏABÏDIEÏRESTLICHENÏÏãÏVERBRAUCHTÏERÏ
für private Zwecke.
Einige Tage später nimmt B die Kreditkarte seiner Mutter aus A’s
Geldtasche. Per Telefon bucht er für sich und seine Freundin eine
Bahnfahrt nach Amsterdam und retour und bezahlt die Fahrtkosten,
indem er der Dame am Telefon die Nummer und das Gültigkeitsda-
tum der Kreditkarte ansagt.

Wonach hat sich B strafbar gemacht?

Lösung

A. Die Abhebung mit der Bankomatkarte:
1.
B könnte sich nach § 241e Abs 1 StGB (Entfremdung unbarer Zah-
lungsmittel)
strafbar gemacht haben. Tatobjekt ist ein echtes unbares
Zahlungsmittel, über das der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf.

76

Die Bankomatkarte der Mutter ist ein unbares Zahlungsmittel iSd § 74
Abs 1 Z 10 StGB. Im vorliegenden Fall hat B aber auf Grund des Ersu-
chens der Mutter, mit ihrer Bankomatkarte Geld abzuheben, eine vorü-
bergehende Verfügungsbefugnis, sodass es schon am Tatobjekt iSd § 241e
Abs 1 StGB mangelt. Die geforderte Tathandlung, das „Sich-Verschaffen“
des fremden unbaren Zahlungsmittels, ist ebenfalls nicht erfüllt, weil B

75

Seiler

AT II Rz 270ff.

76

B/S

BT II § 241e Rz 2.

Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“

background image

108

die Bankomatkarte nicht rechtswidrig (zB durch Wegnehmen, Abnöti-
gen, Herauslocken)

77

erlangt hat: Die Mutter hat ihrem Sohn die Banko-

matkarte ja anvertraut. Somit scheidet § 241e Abs 1 StGB aus.

2. B könnte sich nach § 133 StGB (Veruntreuung) strafbar gemacht
haben:

Tatobjekt der Veruntreuung ist ein anvertrautes Gut. Die Mutter hat

dem B die Bankomatkarte anvertraut, weil er sie mit ihrem Willen in
SEINENÏ!LLEINGEWAHRSAMÏ¿BERNOMMENÏHATÏMITÏDERÏ6ERPmICHTUNGÏDAMITÏ
Geld zu beheben und Karte und Geld wieder zurückzubringen.

78

Anvertrautes Gut sind auch die

Ïã die B beheben sollte.

79

B hat

DENÏ!UFTRAGÏDIESEÏ3UMMEÏDERÏ-UTTERÏABZULIEFERNÏDIEÏÏãÏDIEÏERÏMITÏ
Hilfe der Bankomatkarte abhebt, entsprechen dem Erlös, den zB ein
Kommissionär aus dem Verkauf der Ware erzielt und den er dem Kom-
mittenten abführen muss. Veruntreuung scheidet aber hinsichtlich der
"ANKOMATKARTEÏUNDÏDERÏÏãÏDENNOCHÏaus, weil sich B diese beiden
3ACHENÏJAÏNICHTÏZUEIGNETÏSONDERNÏPmICHTGEMǒÏABF¿HRT

80

Die

Ïã die sich B behält, sind kein anvertrautes Gut, weil sich

der Auftrag der Mutter darauf gar nicht erstreckt. Daher hat sich B nicht
nach § 133 StGB strafbar gemacht.

3. B könnte sich nach § 127 StGB (Diebstahl) strafbar gemacht haben:

Diebstahl verlangt die Wegnahme einer fremden, beweglichen Sa-

CHEÏ$IEÏÏãÏSINDÏZWEIFELLOSÏEINÏSOLCHESÏ4ATOBJEKTÏ7EGNAHMEÏVERLANGTÏ
den Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung eigenen Allein-
gewahrsams. B erlangt dieses Geld aber nicht gegen den Willen des
Gewahrsamsinhabers
(Firma Europay, die die Bankomaten betreibt).

81

Wer im Besitz einer Bankomatkarte ist und den richtigen Code eingibt,
dem wird „willentlich“ von der Maschine die gewünschte Geldsumme
ausgezahlt. Die Maschine ist so programmiert, dass sie bei Übereinstim-
mung von Karte und Code den gewünschten Betrag „hingibt“. Somit liegt
kein Diebstahl nach § 127 StGB vor.

82

Der OGH nimmt in diesem Fall einen Diebstahl an, weil eine willent-

liche „Hingabe“ des Geldes nur an den Berechtigten erfolge. Die willent-
liche Ausgabe stehe unter der Bedingung, dass der Berechtigte das Geld
erhält. Unberechtigte erlangen es gegen den Willen des Gewahrsamsin-
habers.

83

77

B/S

BT II § 241e Rz 3; einige Autoren verstehen den Begriff „Sich-Verschaffen“ weiter.

78

B/S

BT I § 133 Rz 3.

79

B/S

BT I § 133 Rz 7.

80

B/S

BT I § 133 Rz 11, 13.

81

B/S

BT I § 127 Rz 13, 16.

82

Fuchs/Reindl

BT I 114.

83

Vgl B/S BT I § 148a Rz 2 mwN.

IV. Schwaighofer

background image

109

4. Auch eine Untreue (§ 153 StGB) kommt nicht in Betracht, weil B
keine Befugnis hat, rechtsgeschäftlich über fremdes Vermögen zu ver-
fügen; er hat nur eine faktische Verfügungsmöglichkeit mit Hilfe der
Karte.

84

5. Eine Strafbarkeit wegen Betruges (§ 146 StGB) kommt hier ebenfalls
nicht in Betracht, weil nur Menschen getäuscht werden können. B tritt
aber nur mit einer Maschine in Kontakt.

6. Zu prüfen ist die Strafbarkeit nach § 148a StGB (betrügerischer Da-
tenverarbeitungsmissbrauch):

B gibt Daten ein (die Geheimzahl der Bankomatkarte und den ge-

W¿NSCHTENÏ"ETRAGÏUNDÏBEEINmUSSTÏDADURCHÏINSOFERNÏDASÏ%RGEBNISÏEINERÏ
automationsunterstützten Datenverarbeitung, als mehr Geld ausgezahlt
und vom Konto der Mutter abgebucht wird als das sonst der Fall gewe-
sen wäre. Dadurch tritt im Vermögen der Mutter ein Schaden in Höhe
VONÏÏãÏEINÏ

Auf diese Tatbildmerkmale erstreckt sich auch der Vorsatz des B.

Außerdem hat er den Vorsatz, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern,
weil er das Geld behalten will. Da keine Rechtfertigungs-, Entschuldi-
gungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen, wäre B nach § 148a
StGB zu bestrafen.

85

7. Zu beachten ist allerdings § 166 StGB (Begehung im Familienkreis):
Die Tat wird eindeutig zum Nachteil der Mutter begangen, weil von
IHREMÏ+ONTOÏDIEÏZUSÇTZLICHENÏÏãÏABGEBUCHTÏWERDENÏ"ÏISTÏSOMITÏNURÏ
mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Ta-
gessätzen zu bestrafen und nur auf Verlangen der Mutter zu verfolgen
(Privatanklagedelikt).

86

B. Die Bezahlung der Bahnfahrt mit der Kreditkarte:
1.
Durch das Herausnehmen der Kreditkarte könnte sich B nach § 241e
Abs 1 StGB (Entfremdung unbarer Zahlungsmittel) strafbar gemacht ha-
ben. Die Kreditkarte ist ein „klassisches“ unbares Zahlungsmittel iSd § 74
Abs 1 Z 10 StGB. B hat keine Verfügungsberechtigung über die Kre-
ditkarte. Durch das Herausnehmen der Kreditkarte aus der Geldtasche
verschafft er sich das unbare Zahlungsmittel rechtswidrig. Dass er die
Karte gleich nach der Verwendung wieder in die Geldtasche zurück-
steckt, ändert am Verschaffen nichts: Dazu genügt schon eine kurzfristige
Gewahrsamserlangung.

84

B/S

BT I § 153 Rz 3.

85

Vgl B/S BT I § 148a Rz 2.

86

B/S

BT I § 166 Rz 1.

Fall 9: „Bankomat- und Kreditkartenmissbrauch“

background image

110

B hat auch im Zeitpunkt des Herausnehmens der Kreditkarte den ge-

forderten Vorsatz, sich durch die Verwendung der Karte (Bezahlung der
Bahnfahrt) unrechtmäßig zu bereichern.

2. Durch das Bezahlen der Bahnfahrt mit der Kreditkarte könnte sich B
nach § 146 StGB (Betrug) strafbar gemacht haben:

Durch die Angabe der Kreditkartennummer und des Gültigkeitsda-

tums täuscht er die Dame am Telefon konkludent über seine Berech-
tigung, diese Karte zu verwenden. Dadurch wird die Dame am Telefon
dazu verleitet, die Kreditkarte als Zahlungsmittel zu akzeptieren und
DIEÏ!BBUCHUNGÏDESÏENTSPRECHENDENÏ"ETRAGESÏBEIÏDERÏ+REDITKARTENlRMAÏ
und in weiterer Folge vom Konto der Mutter zu veranlassen. Dadurch
wird ein Vermögensschaden in Höhe des abgebuchten Betrages her-
beigeführt.

Auf der inneren Tatseite hat B genau den Vorsatz, diesen Schaden

herbeizuführen und sich unrechtmäßig zu bereichern, weil er sich da-
durch die Fahrtkosten erspart.

Der Betrug ist nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB

Ï QUALIlZIERTÏ WEILÏ ERÏ ZURÏ

Täuschung ein entfremdetes unbares Zahlungsmittel (die Kreditkar-
TEÏDERÏ-UTTERÏVERWENDETÏ$URCHÏ!NWENDUNGÏDIESERÏ1UALIlKATIONÏWIRDÏ
§ 241e Abs 1 StGB verdrängt, weil § 147 Abs 1 Z 1 StGB alle Unrechts-
elemente des § 241e Abs 1 StGB enthält (Spezialität).

87

Es handelt sich hier um eine „personenbezogene“ Verwendung der

fremden Kreditkarte. Bei nicht personenbezogener Verwendung einer
Kreditkarte (zB zur Bezahlung von Parkgebühren an Automaten, Be-
zahlung von Waren bei Internetgeschäften wie zB mit Amazon) begeht
der Täter durch die Verwendung der Kreditkarte einen betrügerischen
Datenverarbeitungsmissbrauch nach § 148a Abs 1 StGB. Da § 241e Abs 1
StGB einen Bereicherungsvorsatz verlangt und somit auch den vermö-
GENSRECHTLICHENÏ!SPEKTÏERFASSTÏISTÏeÏAÏ!BSÏÏ3T'"ÏBLO’ÏALSÏSTRAmOSEÏ
Nachtat anzusehen.

88

3. Der schwere Betrug nach § 147 Abs 1 Z 1 StGB könnte nach § 166
StGB
(Begehung im Familienkreis) privilegiert sein: Auch wenn bei der
"EZAHLUNGÏMITÏEINERÏ+REDITKARTEÏZUNÇCHSTÏDIEÏ+REDITKARTENlRMAÏDENÏENT-
sprechenden Betrag (abzüglich des vertraglich vereinbarten Abschlags)
dem Unternehmen überweist und erst in weiterer Folge die Kreditkar-
TENlRMAÏDASÏ+ONTOÏDESÏ+REDITKARTENINHABERSÏBELASTETÏTRITTÏBEIÏWIRTSCHAFT-
licher Betrachtungsweise der Schaden im Vermögen der Mutter ein. So-
mit kommt für B wiederum nur der geringere Strafsatz des § 166 StGB

87

B/S

BT II § 241e Rz 8.

88

B/S

BT II § 241e Rz 8; die hL und Rsp nimmt hier echte Konkurrenz an (Schroll WK

2

§ 241e Rz 31).

IV. Schwaighofer

background image

111

zur Anwendung und er ist nur auf Verlangen der Mutter zu verfolgen
(Privatanklagedelikt).

Daran kann in diesem Fall kaum ein Zweifel bestehen, weil § 241e Abs

1 StGB durch § 147 Abs 1 Z 1 StGB verdrängt wird. Problematischer ist
die Sache, wenn (zB beim nicht personenbezogenen Gebrauch) § 241e
Abs 1 StGB bestehen bleibt. Da es sich aber der Sache nach um ein Ver-
mögensdelikt handelt, ist § 166 StGB analog auch auf § 241e Abs 1 StGB
anzuwenden.

89

Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“

Der schwer suchtmittelabhängige A benötigt dringend Drogennach-
schub. B, A’s Drogenlieferant, gibt dem A keine Ware mehr auf Kre-
dit. So muss sich A anderweitig behelfen:
Bei einbrechender Dunkelheit verfolgt er eine gut gekleidete Dame.
Er wartet, bis keine anderen Passanten in der Nähe sind, dann setzt
er sich mit schnellen Schritten hinter die Frau, drückt ihr von hinten
die Antenne seines Handys gegen die Rippen und verlangt Geld,
SONSTÏSEIÏSIEÏGELIEFERTÏ6ERÇNGSTIGTÏKRAMTÏDIEÏ&RAUÏÏãÏAUSÏIHRERÏ'ELD-
börse. A reißt ihr das Geld aus der Hand und sucht das Weite. Die
Frau ist schwer geschockt. Weil sie gar nicht zu beruhigen ist, wird
sie ins Krankenhaus eingeliefert. Sie leidet noch monatelang unter
Angstzuständen und Schlafstörungen.
Mit dem Geld kauft A bei seinem Bekannten B Heroin. B ist völlig
klar, dass A sich das Geld illegal beschafft hat.

Prüfen Sie die Strafbarkeit von A und B! (Delikte nach dem SMG sind
außer Betracht zu lassen!)

Lösung

1. a)

!ÏDERÏDERÏ&RAUÏÏãÏABNIMMTÏK–NNTEÏEINENÏRaub (§ 142 StGB)

begangen haben:

Das Geld, auf das es A abgesehen hat, ist zweifellos eine fremde be-

wegliche Sache von Wert.

Tatmittel des Raubes ist entweder Gewalt gegen eine Person oder

Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Gewalt erfordert
eine erhebliche Einwirkung auf den Körper eines anderen. Das Drücken
der Antenne des Handys gegen die Rippen ist keine erhebliche Einwir-

89

B/S

BT II § 241e Rz 8, BT I § 166 Rz 2.

Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“

background image

112

kung auf den Körper; auch das Wegreißen des Geldes aus der Hand er-
füllt diese Voraussetzung nicht.

90

Indem A der Frau die Handyantenne gegen die Rippen drückt und

ihr ankündigt, sie sei geliefert, wenn sie kein Geld herausgebe, droht
A mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben.
Er erweckt bei der
Frau den Eindruck, als hätte er eine Pistole in der Hand und könnte sie
unverzüglich töten oder erheblich verletzen. Dass A in Wahrheit bloß ein
Handy in der Hand hält und diese Drohung mit diesem Mittel gar nicht
wahr machen könnte, ist nicht von Bedeutung. Die Drohung ist jeden-
FALLSÏGEEIGNETÏDERÏ&RAUÏBEGR¿NDETEÏ"ESORGNISSEÏEINZUm–’ENÏDASSÏ!ÏSIEÏ
womöglich niederschießt.

91

Mit dem Wegreißen des Geldes hat A Allein-

gewahrsam erlangt und damit den Raub nach § 142 StGB vollendet.

Auf der inneren Tatseite hat A zweifellos den Vorsatz, sich durch Zu-

EIGNUNGÏDERÏÏãÏUNRECHTMǒIGÏZUÏBEREICHERN

b) Zu prüfen ist weiters, ob der Raub nach

eÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERT ist:

Das Handy ist eindeutig keine Waffe iSd § 143 StGB. Selbst nach

Ansicht des OGH, der auch gleichwertige Mittel als Waffen iSd § 143 StGB
ANSIEHTÏWÇREÏDIESERÏ2AUBÏNICHTÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏWEILÏDASÏ
Handy von seiner Funktion und Wirkungsweise her einer Waffe nicht
gleichwertig ist

.

92

Ein schwerer Raub läge auch vor, wenn jemand durch die ausgeübte

Gewalt schwer verletzt wird. Die Frau erleidet zwar einen schweren
Schock und leidet noch monatelang unter Angstzuständen und Schlaf-
störungen, aber derartige psychische Störungen fallen nicht unter den
Begriff der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung iSd §§ 83, 84
StGB.

93

Ï$AHERÏISTÏSCHONÏAUSÏDIESEMÏ'RUNDÏDIEÏ1UALIlKATIONÏZUÏVERNEI-

nen. Aber selbst wenn man – wie der OGH – psychische Folgen unter
§ 84 Abs 1 StGB subsumierte, so sind diese Folgen im vorliegenden Fall
nicht durch eine Gewaltanwendung, sondern nur durch die Drohung
eingetreten, weshalb § 143 StGB nicht erfüllt ist.

94

c)

Ï7ENNÏDERÏ2AUBÏNICHTÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏISTÏK–NNTEÏDIEÏ0RIVI-

legierung nach § 142 Abs 2 StGB (minderschwerer Raub) vorliegen:

ÏãÏSINDÏ(auch nach der Judikatur des OGH) noch ein geringer Wert;

der Raub wird auch ohne Anwendung erheblicher Gewalt (es liegt gar
keine Gewalt vor) begangen. Die lang anhaltenden Angstzustände und

90

B/S

BT I § 105 Rz 2, 5, § 142 Rz 3.

91

B/S

BT I § 142 Rz 5f.

92

Vgl B/S BT I § 143 Rz 4.

93

B/S

BT I § 83 Rz 4ff, § 84 Rz 3; aM jedoch der OGH – s zu 1.d.

94

B/S

BT I § 143 Rz 5.

IV. Schwaighofer

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113

Schlafstörungen bleiben auch bei § 142 Abs 2 StGB außer Betracht, sodass
diese Privilegierung zutrifft.

95

Der OGH würde anders entscheiden.

d) Wegen der monatelangen psychischen Beeinträchtigungen der Frau
ist auch an ein Körperverletzungsdelikt zu denken:

A hat gewiss keinen Vorsatz, die Frau am Körper zu verletzen oder

an ihrer Gesundheit zu schädigen, und auch keinen Vorsatz, sie zu miss-
handeln. Daher kommt – wenn überhaupt – nur eine fahrlässige Kör-
perverletzung (§ 88 StGB)
in Betracht:

Am Vorliegen einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung ist nicht zu

zweifeln; aber seelische Beeinträchtigungen sind nicht als Gesundheits-
schädigungen anzusehen. Daher scheidet § 88 Abs 1 (und Abs 4) StGB
aus.

Der OGH und Teile der Lehre sehen freilich auch seelische Beeinträch-

tigungen als Gesundheitsschädigungen iSd §§ 83, 84 StGB an.

96

In diesem

Fall hätte A auch den Tatbestand der fahrlässigen schweren Körperver-
letzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 StGB verwirklicht. § 88 Abs 4 StGB
steht in echter Konkurrenz zum Raub nach § 142 StGB, weil nur schwe-
re Körperverletzungen, die durch eine Gewaltanwendung eintreten, von
§ 143 StGB konsumiert werden. Wenn die Gesundheitsschädigungen Fol-
ge einer Drohung sind, konkurrieren sie echt mit § 142 StGB.

2. a) B, der dem A Heroin verkauft und dafür die Geldscheine entgegen
nimmt, die A durch den Raub erlangt hat, könnte eine Hehlerei (§ 164
Abs 2 StGB)
begangen haben:

B kommt als Täter einer Hehlerei in Betracht, weil er an der Vortat des

A eindeutig nicht beteiligt ist. Gegenstand der Hehlerei ist eine körper-
liche Sache, die der Vortäter durch ein Vermögensdelikt erlangt hat. Auch
das trifft zu, weil es sich offenbar genau um jene Geldscheine handelt,
die A durch den Raub an der Frau erlangt hat.

97

Die Ausführungshand-

lung nach § 164 Abs 2 StGB ist die Annahme eben dieser Geldscheine
(eigennützige Hehlerei).

Auf der inneren Tatseite muss der Hehler den Vorsatz haben, dass

die Sache aus einem Vermögensdelikt stammt. Da laut Sachverhalt dem
B völlig klar ist, dass A sich das Geld illegal beschafft hat, ist auch diese
Voraussetzung zu bejahen. „Illegal“ heißt zwar nicht notwendig, dass das
Geld aus einem Vermögensdelikt stammt, ist hier aber wohl anzuneh-
men. Vom Raub weiß B nichts, daher ist Abs 3 unanwendbar.

95

B/S

BT I § 142 Rz 14.

96

Vgl B/S BT I § 83 Rz 4, § 84 Rz 3 mwN.

97

B/S

BT I § 164 Rz 2.

Fall 10: „Drogenkonsum ist teuer“

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114

b) Eine Geldwäscherei (§ 165 StGB) scheidet hier aus: Das Geld ist
zwar ein Vermögensbestandteil, der aus einem Verbrechen (Raub) her-
rührt; aber wenn jemand genau die erbeutete Sache annimmt, begeht er
eine Hehlerei; die Geldwäscherei ist der Hehlerei gegenüber subsidiär.

98

Im Übrigen würde es dem B wohl an dem für § 165 StGB erforderlichen
Vorsatz mangeln, dass das Geld gerade aus einem Verbrechen herrührt.
Er hat vermutlich nur den Vorsatz, dass es zB aus einem Diebstahl (Ver-
gehen) stammt.

Fall 11: „Unseriöser Hausverwalter“

H ist Verwalter einer Eigentumswohnungsanlage. Für eine notwen-
dige Dachreparatur holt er Angebote ein und vergibt den Auftrag
schließlich an einen Bekannten B, der ihm aus Dank für die Auftrags-
VERGABEÏÏãÏINÏEINEMÏ+UVERTÏ¿BERGIBTÏ

Prüfen Sie die Strafbarkeit von H und B!

Lösung

1. a) Der Verwalter H könnte sich nach § 153 StGB (Untreue) strafbar
gemacht haben:

H hat auf Grund des Bestellungsaktes der Eigentümer (sowie auf

Grund des Wohnungseigentumsgesetzes) eine Vollmacht, über das Ver-
mögen der Wohnungseigentümer zu verfügen, dh er kann Rechtsge-
schäfte für die Wohnungseigentumsgemeinschaft (WEG) und auf deren
Rechnung abschließen. Durch die Auftragsvergabe wird die WEG ver-
PmICHTET

Tathandlung des § 153 StGB ist der Missbrauch der Vollmacht, dh

die Vornahme einer Handlung (oder auch eine Unterlassung), die der
Vollmachtsinhaber im Innenverhältnis nicht vornehmen dürfte (bzw vor-
nehmen müsste). Sofern keine besonderen Vereinbarungen bestehen, ist
DERÏ6OLLMACHTSINHABERÏVERPmICHTETÏDEMÏ-ACHTGEBERÏGR–’TENÏ.UTZENÏZUÏ
verschaffen.

99

Die Annahme der Provision für sich erfolgt nicht im Namen des

Machtgebers (der WEG), sondern im eigenen Namen und scheidet da-
her als Ausführungshandlung des § 153 StGB aus. Missbräuchlich kann
aber die Auftragsvergabe sein, wenn die Firma des Bekannten B nicht

98

B/S

BT I §§ 165, 165a Rz 5; aM Kienapfel BT II § 165 Rz 54.

99

B/S

BT I § 153 Rz 4.

IV. Schwaighofer

background image

115

der Bestbieter war (im Allgemeinen ist der Billigstbieter der Bestbieter).
Selbst wenn B das billigste Angebot gelegt hat, so müsste H auf Grund
SEINERÏ6ERPmICHTUNGÏALSÏ"EVOLLMÇCHTIGTERÏZUMINDESTÏVERSUCHENÏDASÏ!N-
gebot des B (um die Provisionssumme) zu drücken. Wenn er das nicht
getan hat, liegt objektiv ein Missbrauch der Vollmacht vor.

100

.ACHÏ !NSICHTÏ DESÏ /'(Ï BEEINmUSSTÏ EINEÏ 0ROVISIONÏ GRUNDSÇTZLICHÏ

den Vertrag zum Nachteil des Machtgebers, es sei denn, die Provision
wird ohne vorhergehende Verabredung erst nach Vertragsabschluss ge-
zahlt.

101

Die Handlung muss dem Machtgeber (WEG) einen Schaden zufü-

GENÏ$ASÏISTÏOBJEKTIVÏZUÏBEJAHENÏWEILÏDIEÏ7%'ÏUMÏÏãÏWENIGERÏHÇTTEÏ
bezahlen müssen, wenn statt der Provisionszahlung das Angebot herab-
gesetzt worden wäre.

Auf der inneren Tatseite erfordert § 153 StGB Wissentlichkeit in Be-

zug auf den Vollmachtsmissbrauch: H muss wissen, dass die Firma des
B nicht der Bestbieter war, bzw wenn sie das war, dass das Angebot um
die Provisionssumme noch herunterhandelbar gewesen wäre. Unter die-
sen Voraussetzungen hätte sich H nach § 153 StGB strafbar gemacht, weil
auch ein bedingter Schädigungsvorsatz in diesem Fall wohl zu bejahen
wäre.

102

Andernfalls scheidet § 153 StGB wegen Fehlens des besonderen

Vorsatzes aus.

b) Dann kommt für H § 153a StGB in Betracht (Geschenkannahme
durch Machthaber):

Die Tatbildmerkmale entsprechen § 153 StGB, doch fehlt es an der

Missbräuchlichkeit des Handelns und an der Schädigung. Es genügt die
!NNAHMEÏEINESÏNICHTÏBLO’ÏGERINGF¿GIGENÏ6ERM–GENSVORTEILSÏBEIÏÏãÏ
ERF¿LLTÏF¿RÏDIEÏ!US¿BUNGÏDERÏ6OLLMACHTÏDERÏPmICHTWIRDRIGÏNICHTÏABGE-
führt wird.

103

Das ist auf Grund des Sachverhaltes zweifellos gegeben

(„für die Auftragsvergabe“), und auch am diesbezüglichen Vorsatz ist
nicht zu zweifeln.

2. a) Der Bekannte B könnte sich wegen Bestimmungs- bzw Beitrags-
täterschaft zu § 153 StGB
strafbar gemacht haben:

)NÏDERÏ"EZAHLUNGÏVONÏÏãÏKANNÏMANÏEINEÏ"ESTIMMUNGSHANDLUNGÏ

zu § 153 StGB (H wurde dadurch veranlasst, B den Auftrag zu erteilen)
oder eine Beitragshandlung zu § 153 StGB sehen (wenn H schon ent-
schlossen war, B den Auftrag zu geben, und H in seinem Entschluss

100

Vgl B/S BT I § 153 Rz 9.

101

Vgl B/S BT I § 153 Rz 10 mwN.

102

B/S

BT I § 153 Rz 14f.

103

B/S

BT I § 153a Rz 2.

Fall 11: „Unseriöser Hausverwalter“

background image

116

durch die Zahlung noch bestärkt wurde).

104

Nahe liegender ist eine Be-

stimmung. Objektiv kommt eine Bestimmung oder ein Beitrag zu § 153
StGB nur in Betracht, wenn der unmittelbare Täter, also H, seine Voll-
macht wissentlich missbraucht. Der OGH hält es für ausreichend, dass
der Machthaber bedingt vorsätzlich handelt.

105

Auf der inneren Tatseite ist erforderlich, dass B weiß, dass es sich

bei der Handlungsweise des H um einen Vollmachtsmissbrauch handelt
(Vergabe des Auftrags an ihn als Nicht-Bestbieter), und den (zumindest
bedingten) Vorsatz hat, dass der Machtgeber (die WEG) dadurch ge-
schädigt wird. Darüber hinaus muss B noch den (bedingten) Vorsatz
haben, dass der unmittelbare Täter H von der Missbräuchlichkeit der
Vollmachtsausübung weiß.

106

Der OGH hingegen verlangt, dass der Extraneus weiß, der unmittel-

bare Täter (Intraneus) werde seine Befugnis zumindest bedingt vorsätz-
lich missbrauchen.

107

Ergebnis: Wenn B tatsächlich nicht der Bestbieter war und H durch

die Geldzahlung zur Auftragsvergabe veranlasst wurde, dann wird man
auch die genannten Voraussetzungen auf der inneren Tatseite bejahen
können, sodass B wegen Bestimmung zur Untreue haftet. War B hin-
GEGENÏOHNEHINÏ"ESTBIETERÏUNDÏHÇTTEÏERÏAUCHÏOHNEÏ:AHLUNGÏDERÏÏãÏ
kein billigeres Angebot gelegt (mit dem Geld wollte er sich nur dankbar
erweisen und für spätere Aufträge empfehlen), kommt weder eine Be-
stimmung noch ein Beitrag zu § 153 StGB in Betracht.

b) Eine Bestimmung oder ein Beitrag zu § 153a StGB scheidet für B
aus, weil bei diesem Deliktstypus gar keine Beteiligung durch den Vor-
teilsgeber möglich ist: Das ergibt sich daraus, dass § 153a StGB dem § 305
StGB entspricht (sog passive Bestechung), der Gesetzgeber aber bewusst
auf eine dem § 307 StGB entsprechende Strafbestimmung für die aktive
Bestechung bei § 153a StGB verzichtet hat.

108

104

Vgl K/H AT E 5 Rz 10.

105

B/S

BT I § 153 Rz 17, Fuchs AT I 35. Kap Rz 24, 27, K/H AT E 7 Rz 32 mwN.

106

B/S

BT I § 153 Rz 17, Fuchs AT I 35. Kap Rz 25; nach einem Teil der Lehre ist dieser

Vorsatz nicht nötig, vgl K/H AT E 7 Rz 36.

107

Vgl Fuchs AT I 35. Kap Rz 27, K/H AT E 7 Rz 36 mwN.

108

B/S

BT I § 153a Rz 5.

IV. Schwaighofer

background image

117

Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“

Der 15-jährige A und der 17-jährige B halten das 13-jährige Mädchen
-ÏGEMEINSAMÏFESTÏENTKLEIDENÏESÏUNDÏlXIERENÏSEINENÏ/BERK–RPERÏAUFÏ
dem Bett. Dann führt A einen Finger in die Scheide des Mädchens
ein.
Ein paar Tage später greift A in einer Diskothek einem anderen 16-
jährigen Mädchen kurz auf die Brust und zwickt dem Mädchen in
das Gesäß.

Wonach haben sich A und B strafbar gemacht?

Lösung

1. a) A könnte durch das Einführen seines Fingers in die Scheide des
Mädchens eine Vergewaltigung (§ 201 Abs 1 StGB) begangen haben:

Eine Vergewaltigung begeht, wer eine Person mit Gewalt, durch

Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegen-
wärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung des
Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen
Handlung nötigt.

Von einer Drohung ist im konkreten Fall nicht die Rede; das gemein-

same Festhalten stellt aber Gewaltanwendung dar; überdies erfolgt die
Tat durch eine Entziehung der persönlichen Freiheit.

Die Vergewaltigung verlangt die Nötigung zum Beischlaf oder zu

einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Hand-
lung.
Ein Beischlaf – darunter versteht man den „klassischen“ vagina-
len Geschlechtsverkehr – liegt zweifellos nicht vor. Eine dem Beischlaf
gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist nach herrschender Auf-
fassung jede – nicht ganz unerhebliche – Penetration der Vagina mit an-
deren Körperteilen als dem Penis sowie der Anal- und Oralverkehr.

Der OGH wertet auch das Einführen von Gegenständen in den After

einer anderen Person als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlecht-
liche Handlung.

109

7ENNÏESÏSICHÏNICHTÏBLO’ÏUMÏEINÏGANZÏm¿CHTIGESÏTEILWEISESÏ%INDRINGENÏ

mit dem Finger in die Scheide handelte, liegt demnach im konkreten Fall
eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vor, die
das Opfer durch die Gewaltanwendung erdulden musste. Andernfalls
wäre der Täter nur nach § 202 Abs 1 StGB zu bestrafen.

Auch der OGH verlangt eine gewisse Erheblichkeit des Eindringens,

nimmt aber bei „digitalen Vaginalpenetrationen“ regelmäßig eine dem

109

Vgl B/S BT II § 201 Rz 2 mwN.

Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“

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118

Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an, wenn das Op-
fer noch unmündig war.

Der Vorsatz des A erstreckte sich auf die gewaltsame Nötigung der

M zur Duldung dieser Handlung. Der Täter ist daher, da keine Rechtfer-
tigungs- und Entschuldigungsgründe erkennbar sind, nach § 201 Abs 1
StGB zu bestrafen.

b) Da das Opfer erst 13 Jahre alt und somit unmündig ist, könnte sich
A durch das Einführen des Fingers auch nach § 206 StGB (schwerer
sexueller Missbrauch von Unmündigen)
strafbar gemacht haben:

§ 206 und § 207 StGB beschreiben im Wesentlichen die gleichen Tat-

handlungen wie § 201 und § 202 StGB. Der entscheidende Unterschied
liegt darin, dass das Opfer in den Fällen des § 206 und § 207 StGB un-
mündig ist und dass der Täter keine besonderen Tatmittel wie Gewalt
oder Drohung anzuwenden braucht.

Da das Einführen des Fingers in die Scheide oben als eine dem Bei-

schlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung gewertet wurde
und M noch unmündig ist, erfüllt A auch den Tatbestand des § 206
Abs 1 StGB.

Der Vorsatz des A muss sich insbesondere auf die Unmündigkeit

des Mädchens beziehen. Es wird angenommen, dass A gewusst hat, wie
alt M ist;

110

dann ist A auch nach § 206 Abs 1 StGB zu bestrafen: Dieser

Deliktstypus steht in echter Konkurrenz zu § 201 StGB, weil die Un-
mündigkeit des Opfers im Unrechtsgehalt der Vergewaltigung nicht mit
umfasst ist.

Zu beachten ist jedoch der Strafausschließungsgrund des § 206

Abs 4 StGB: Wenn das Alter des Täters das Alter der unmündigen Per-
son, die das 13. Lebensjahr bereits vollendet haben muss, nicht um mehr
als drei Jahre übersteigt und die geschlechtliche Handlung nicht in der
Penetration mit einem Gegenstand besteht, bleibt der Täter straffrei.

All diese Voraussetzungen treffen in unserem Fall zu: A ist nur zwei

Jahre älter als M, M ist bereits 13 Jahre alt, und das Eindringen erfolgt
mit dem Finger, also nicht mit einem Gegenstand. Die Anwendung die-
ser sog „Alterstoleranzklausel“ wird – überraschenderweise – nach dem
Gesetz auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Täter Gewalt ange-
wendet hat. A ist daher nur nach § 201 Abs 1 StGB zu bestrafen.

110

Wenn M zB körperlich schon sehr entwickelt war, könnte A vielleicht angenommen

haben, dass sie schon 14 Jahre alt ist. Dann unterliegt er einem Tatbildirrtum, der ihm zugute
kommt, dh er könnte nicht nach § 206 StGB bestraft werden; vgl B/S BT II § 206 Rz 7, Fuchs
AT I 14. Kap Rz 42, 47.

IV. Schwaighofer

background image

119

c) Durch den kurzen Griff auf die Brust eines anderen Mädchens in der
Diskothek könnte sich A nach § 202 StGB (geschlechtliche Nötigung)
strafbar gemacht haben:

Eine geschlechtliche Handlung iSd § 202 StGB ist eine nicht

BLO’Ïm¿CHTIGEÏSEXUALBEZOGENEÏ"ER¿HRUNGÏEINERÏZURÏUNMITTELBARENÏ'E-
schlechtssphäre gehörigen, somit dem männlichen oder weiblichen Kör-
PERÏSPEZIlSCHÏEIGENT¿MLICHENÏ+–RPERPARTIEÏ$IEÏENTWICKELTEÏ"RUSTÏEINESÏ
Mädchens (davon ist bei einem 16-jährigen Mädchen sicher auszugehen)
ISTÏ EINÏ SOLCHERÏ GESCHLECHTSSPEZIlSCHERÏ +–RPERTEILÏ .ICHTÏ BLO’Ï m¿CHTIGÏ
heißt intensiv oder doch von einiger Erheblichkeit.

111

Bei einem kurzen, leichten Griff auf die Brust fehlt es an der geforder-

ten Erheblichkeit. Somit liegt gar keine geschlechtliche Handlung iSd
§ 202 StGB
vor. Außerdem wendet der Täter in diesem Fall keine Ge-
walt
an: Er wirkt nicht erheblich auf den Körper des Mädchens ein.

112

Auch nach Auffassung des OGH, der auf eine nicht ganz unerhebli-

che physische Kraftentfaltung abstellt, läge hier keine Gewalt vor.

d) A könnte eine sexuelle Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB
begangen haben:

Die sexuelle Belästigung verlangt eine Belästigung einer anderen

Person durch eine geschlechtliche Handlung, ohne dass der Täter ir-
gendwelche Tatmittel wie Gewalt oder Drohung anwendet. Da aber der
Begriff der geschlechtlichen Handlung in § 218 StGB derselbe ist wie in
§ 202 StGB und eine solche Handlung oben (c) bereits verneint wurde,
scheidet auch die Anwendung des § 218 Abs 1 Z 1 StGB aus.

e) Auch durch das Zwicken in das Gesäß könnte A eine geschlecht-
liche Nötigung (§ 202 StGB)
begangen haben:

Beim Zwicken in das Gesäß handelt sich aber von vornherein um

keine geschlechtliche Handlung, weil das Gesäß keine dem männlichen
ODERÏWEIBLICHENÏ+–RPERÏSPEZIlSCHÏEIGENT¿MLICHEÏ+–RPERPARTIEÏISTÏ%INEÏ
geschlechtliche Nötigung scheidet daher aus.

Wenn A fest gezwickt hat, liegt eine Misshandlung iSd § 83 Abs 2

StGB vor. Es ist aber nicht anzunehmen, dass daraus eine Körperverlet-
zung iSd § 83 StGB resultierte. Denn bloß eine Rötung, die nach ein, zwei
Stunden wieder verschwindet, genügt dafür nicht. Folgenlose Misshand-
lungen sind nicht nach § 83 StGB strafbar, weil § 83 Abs 2 StGB auch
nicht im Versuch begangen werden kann.

113

111

B/S

BT II § 202 Rz 2.

112

B/S

BT II § 202 Rz 3.

113

B/S

BT I § 83 Rz 2, 11.

Fall 12: „Sexuelle Übergriffe“

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120

Zu denken wäre noch an eine Beleidigung (§ 115 StGB):
Für eine Misshandlung iSd § 115 StGB genügt schon eine Einwirkung

AUFÏDENÏ+–RPERÏDIEÏDASÏ7OHLBElNDENÏNICHTÏUNERHEBLICHÏBEEINTRÇCHTIGTÏ
Das trifft für das Zwicken zu. Auch die notwendige Publizität ist in der
Diskothek sicher gegeben: Es waren mit Sicherheit mehrere (mindestens
drei unbeteiligte) Personen anwesend. Allerdings ist zu bezweifeln, dass
das Zwicken von mehreren Personen wahrgenommen werden konnte;
und mit größter Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass sich der
Vorsatz des A nicht darauf erstreckt hat, dass das Zwicken von mehreren
wahrgenommen werden kann.

Daher ist A auch hinsichtlich des Zwickens nicht strafbar. Auch die

sexuelle Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB ist mangels einer ge-
schlechtlichen Handlung nicht anwendbar.

2. a) B, der das Mädchen M ebenfalls festhält, während A den Finger in
die Scheide einführt, könnte ebenfalls eine Vergewaltigung nach § 201
Abs 1 StGB
begangen haben:

B wendet gleichermaßen wie A Gewalt gegen M an und beschränkt

ihre persönliche Freiheit. Allerdings nimmt er selbst keine (dem Bei-
schlaf gleichzusetzende) geschlechtliche Handlung vor, sondern nur A.
Dennoch verwirklicht auch B das Delikt des § 201 Abs 1 StGB als unmit-
telbarer Täter,
weil auch B durch Gewalt das Opfer nötigt, eine dem
Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung zu dulden. Sein
Handeln entspricht ebenfalls der Ausführungshandlung des § 201 Abs 1
StGB, weil nicht vorausgesetzt wird, dass jeder Mitwirkende selbst auch
die geschlechtliche Handlung vornimmt.

114

Da wohl auch B den Vorsatz

hatte, dass das Mädchen zu einer (beischlafgleichwertigen) geschlecht-
lichen Handlung, nämlich dem Erdulden des Einführens eines Fingers,
genötigt wird, ist er ebenfalls nach § 201 Abs 1 StGB zu bestrafen.

b) Das zu § 206 StGB Gesagte gilt auch für B, sofern er den Vorsatz auf
die Unmündigkeit der M hatte. Bei B greift allerdings der persönliche
Strafausschließungsgrund des § 206 Abs 4 StGB nicht, weil er mehr als
drei Jahre älter ist als M. Daher ist B nach § 201 Abs 1 und § 206 Abs 1
StGB
zu bestrafen.

114

B/S

BT II § 201 Rz 11.

IV. Schwaighofer

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121

V. VENIER

Fall 1: „Denkzettel“

Der schwer alkoholisierte X gerät mit einem Lokalbesucher in Streit.
Zwei Faustschläge ins Gesicht genügen, um X zu Boden zu stre-
cken, er steht auf und verlässt das Lokal. Nach 10 Minuten kehrt X
mit einem Küchenmesser bewaffnet zurück. Als ihn der Lokalbesu-
cher höhnisch fragt, ob er denn nicht genug habe, versetzt ihm X
zwei Stiche in den Bauch. Die Stiche verursachen tiefe Wunden, an
denen der Mann innerlich verblutet. Er habe dem Opfer nur einen
Denkzettel verpassen wollen, meint X, nachdem er wieder halbwegs
nüchtern ist.

Gefragt ist die Strafbarkeit des X.

Lösung

1. Die Tat kann als Mord (§ 75 StGB) strafbar sein, wenn X die Stiche mit
zumindest bedingtem Tötungsvorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) geführt hat. Ein
solcher Vorsatz ist allerdings unwahrscheinlich, weil X dem Gegner nur
einen Denkzettel verpassen, ihn aber nicht abstechen will. Außerdem ist
X zum Tatzeitpunkt schwer alkoholisiert und nach dem Vorgefallenen
BEGREImICHERWEISEÏ SEHRÏ ERREGTÏ )NÏ EINERÏ SOLCHENÏ 6ERFASSUNGÏ DENKTÏ DERÏ
Täter über die möglichen Folgen des Zustechens vermutlich nicht nach.
Der Täter muss den Tod des Opfers nicht nur für sehr wahrscheinlich
halten, sondern auch entschlossen sein, ihn hinzunehmen.

1

Wenn er an

DENÏ4ODÏDESÏ/PFERSÏNICHTÏDENKTÏKANNÏERÏSICHÏAUCHÏNICHTÏMITÏIHMÏABlN-
den. Dass dem Täter die tödliche Wirkung der Stiche erst im Nachhinein
bewusst wird, genügt nicht.

1

B/S

BT I § 75 Rz 6.

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122

2. a) Für X kommt immerhin eine Körperverletzung mit tödlichem
Ausgang (§§ 83, 86 StGB)
in Frage:

Wunden sind Körperverletzungen nach § 83 StGB, erst recht, wenn

sie tief ins Fleisch gehen. Voraussetzung ist weiters ein Verletzungs- oder
wenigstens ein Misshandlungsvorsatz. Dass ein Bauchstich notwendig
verletzt, weiß jeder (§ 5 Abs 3 StGB), auch ein schwer alkoholisierter
Täter. Die Tat erfüllt daher das Grunddelikt nach § 83 Abs 1 StGB. Der
Tod wiederum ist keine ungewöhnliche Folge der Tathandlung. Stiche in
den Bauch sind nicht zuletzt deshalb sozial inadäquat, weil sie lebensge-
fährlich sind. Eine Notwehrsituation hat für X im Zeitpunkt der Tat längst
nicht mehr bestanden, ebenso wenig eine Putativnotwehrsituation, da
sich X durch die höhnische Bemerkung nicht bedroht, sondern nur in
seiner Ehre gekränkt fühlt. Eben darum will er dem Opfer einen Denk-
zettel verpassen.

b) Zu prüfen ist ferner eine nach

eÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTEÏ

Körperverletzung.

Stiche mit einer längeren Messerklinge in den Bauch sind objektiv

lebensgefährlich, weil man im Vorhinein nicht sagen kann, ob wichtige
Blutgefäße getroffen werden und das Opfer daran innerlich verbluten
wird. Wer ein Messer so einsetzt, verwendet es auf lebensgefährliche
Weise. Nebenbei ist das Messer ein „abstrakt lebensgefährliches Mittel“,
wie der OGH in manchen Entscheidungen fordert.

2

X muss sich aber

auch der Lebensgefährlichkeit von Bauchstichen bewusst sein und sich
DAMITÏABlNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"Ï$ASÏISTÏDURCHAUSÏNICHTÏSELBSTVERSTÇND-
lich, wenn man seine schwere Alkoholisierung und seine starke Erre-
gung bedenkt. Nur wenn man diesen Vorsatz bejaht, erfüllt X die Quali-
lKATIONÏ$ERÏ3CHULDSPRUCHÏM¿SSTEÏDANNÏNEBENÏeeÏÏ!BSÏÏÏAUCHÏeÏÏ
Abs 2 Z 1 StGB zitieren.

3

c) Probleme ergeben sich aus der Alkoholisierung des X. Wenn der Blut-
alkoholgehalt im Tatzeitpunkt über 3 ‰ beträgt, ist der Täter im Regel-
fall zurechnungsunfähig.

4

Eine so schwere Alkoholisierung könnte bei X

durchaus vorgelegen haben. Dann ist X nur wegen Begehung der Tat
im Vollrausch nach § 287 Abs 1 iVm §§ 83 Abs 1, 86 (eventuell auch
§ 84 Abs 2 Z 1) StGB
zu bestrafen. Mit Ausnahme der Schuldfähigkeit er-
füllt X alle Voraussetzungen der Strafbarkeit, auch den Vollrausch dürfte
X sich fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich angetrunken haben.

5

2

Vgl B/S BT I § 84 Rz 9.

3

K/Schr

BT I § 86 Rz 24.

4

B/S

BT II § 287 Rz 2.

5

Ausnahmen sind bei krankhafter Alkoholintoleranz denkbar; s Hinterhofer BT II § 287

Rz 2.

V. Venier

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123

3. Besondere Zurückhaltung ist gegenüber der Annahme einer absicht-
lichen schweren Körperverletzung (§ 87 Abs 1, 2 2. Fall StGB)
ge-
boten. Von dieser Absicht könnte man im vorliegenden Fall nur ausge-
hen, wenn X das Opfer zwar nicht töten – sonst läge Mord vor –, aber
geradezu schwer verletzen wollte. Es müsste ihm darauf angekommen
sein, das Messer so in den Bauch des Opfers zu stechen, dass es nicht
irgendeine, sondern eine lebensbedrohliche Wunde, also eine an sich
schwere Verletzung,

6

oder zumindest eine Wunde erleidet, die es über

24 Tage an der Gesundheit schädigt. Die Absicht, dem Opfer gerade eine
solche Wunde zuzufügen, wäre schon bei einem nüchternen Täter recht
ungewöhnlich, bei einem stark alkoholisierten und äußerst erregten Tä-
ter erscheint sie mir so gut wie ausgeschlossen.

Ergebnis: X hat sich nach §§ 83 Abs 1, 86 (allenfalls auch nach § 84

Abs 2 Z 1) StGB iVm § 287 Abs 1 StGB strafbar gemacht.

Fall 2: „Der Schaltfehler“

&RANZÏmIRTETÏINÏDERÏ!PRËS3KI"ARÏMITÏEINEMÏ-ÇDCHENÏUNDÏTRINKTÏNE-
benbei ausgiebig Bier. Das Mädchen lässt sich schließlich auf einen
Drink im 10 Kilometer entfernten „Dorfstadl“ überreden. Franz läuft
nach Hause, holt sein Auto und fährt mit Mary, so heißt das Mäd-
chen, in Richtung „Dorfstadl“. Einen Kilometer vor dem Ziel gerät der
Wagen wegen eines Schaltfehlers auf der schneebedeckten Fahrbahn
ins Schleudern. Das Auto landet im Straßengraben, wobei sich Mary
den rechten Unterarm bricht.

Wie ist der Unfall des Franz strafrechtlich zu beurteilen?

Lösung

1. Franz hat eine fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB
begangen:

Ein Armbruch ist zweifellos eine Körperverletzung, weil er sogar ei-

nen Gipsverband erfordert.

7

Die Körperverletzung ist auf das Schleudern

des Autos und dieses auf den Schaltfehler zurückzuführen (Kausalität).
Der Schaltfehler ist objektiv sorgfaltswidrig: Der einsichtige und be-
sonnene Autolenker
begeht keine Schaltfehler, weil es dadurch, zumal

6

B/S

BT I § 84 Rz 4.

7

B/S

BT I § 83 Rz 2.

Fall 2: „Der Schaltfehler“

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124

auf Schneefahrbahnen, leicht zu Schleuderunfällen kommen kann.

8

Und

selbst wenn ihm ein Schaltfehler unterläuft, ist er geistesgegenwärtig und
geschickt genug, Schleuderunfälle zu vermeiden. Gründe, welche die
objektive Zurechnung der Verletzung ausschlössen, sind nicht ersicht-
lich.

Problematischer ist die subjektive Zurechnung. Sicher hat es Franz in

der konkreten Situation an Geschicklichkeit und Konzentration gefehlt.
Aber das ist nur natürlich: Nach ausgiebigem Bierkonsum können auch
dem besten Lenker Fahrfehler passieren. Franz hätte die Gefahr trotz der
Alkoholisierung leicht vorhersehen können. Da er dennoch gefahren ist,
kann er wegen Übernahme- oder Einlassungsfahrlässigkeit bestraft
werden.

9

2. Der Armbruch kann eine über 24 Tage währende Gesundheitsschä-
digung zur Folge haben (§ 88 Abs 4 1. Fall iVm § 84 Abs 1 StGB).
Wahrscheinlich muss das Mädchen länger als 24 Tage einen Gipsverband
tragen (idR 4 bis 6 Wochen). Wenn er sich nicht nur auf den Unterarm,
sondern auf den Oberarm einschließlich des Ellenbogens erstreckt, ist
das Opfer erheblich in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sonst
nicht.

10

Dass man den Arm nach Abnahme des Verbandes bloß nicht

übermäßig belasten soll, ist noch keine erhebliche Beeinträchtigung. Ein
gewöhnlicher Unterarmarmbruch ist – auch mangels Lebensgefahr – kei-
ne an sich schwere Verletzung
.

11

Nach Ansicht der Judikatur käme es auf die Bedeutung des gebro-

chenen Knochens an. Unterarmknochen gelten immer als „bedeutend“.

12

Damit werden auch aus ziemlich harmlosen Brüchen automatisch „an
sich“ schwere Verletzungen.

3. Weiters könnte die Tat nach § 88 Abs 3 oder – je nach Art und Dauer
der Beeinträchtigung – nach § 88 Abs 4 2. Fall (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB
QUALIlZIERTÏSEIN

Der ausgiebige Bierkonsum deutet auf eine absolute Fahruntaug-

lichkeit des Franz hin (0,8 ‰ Blutalkoholgehalt, 0,4 mg/l Alkohol in
der Atemluft). Als Autofahrer musste er über die für ihn gerade noch
zuträgliche Biermenge Bescheid wissen.

13

So hat sich Franz fahrlässig

in einen Rauschzustand versetzt, der die Zurechnungsfähigkeit (noch)
nicht ausschloss. Mit Bier allein, habe ich mir sagen lassen, kann man

8

B/S

BT I § 80 Rz 5.

9

B/S

BT I § 80 Rz 25.

10

B/S

BT I § 84 Rz 3.

11

B/S

BT I § 84 Rz 4.

12

B/S

BT I § 84 Rz 5; K/Schr BT I § 84 Rz 12.

13

B/S

BT I § 81 Rz 15.

V. Venier

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125

sich einen Vollrausch nicht antrinken. Unklar ist freilich, ob Franz schon
beim Trinken das Fahren vorhersehen hätte müssen. Wurde die Idee,
das Lokal zu wechseln, während oder erst nach dem Genuss einer die
Fahruntauglichkeit begründenden Biermenge geboren? Man kann hier
nur Vermutungen anstellen: Einerseits scheint Franz ein Mann spontaner
Entschlüsse zu sein, weil er den Wagen erst von zu Hause holen muss.
!NDERERSEITSÏmIRTETÏ&RANZÏMITÏDEMÏ-ÇDCHENÏWÇHRENDÏERÏTRINKTÏAU’ERDEMÏ
muss er das Mädchen zum Lokalwechsel überreden. Da liegt es nahe,
dass Franz schon beim Biertrinken Überzeugungsarbeit leisten musste.
Das hat zur Folge, dass die Autofahrt zumindest vorhersehbar war.

Hat Franz neben der Z 2 auch die Z 1 des § 81 Abs 1 (§ 88 Abs 3

bzw Abs 4 2. Fall) StGB verwirklicht? Die Annahme einer zweifachen
1UALIlKATION
wäre nur zulässig, wenn Franz, von der Alkoholisierung
abgesehen, besonders riskant gefahren wäre.

14

Dafür bietet der Fall kei-

ne Anhaltspunkte.

Ergebnis: Franz ist nach § 88 Abs 1, Abs 3 StGB oder – falls das

Mädchen den Arm länger als 24 Tage nicht abbiegen konnte – nach § 88
Abs 1, 4 (2. Strafsatz) StGB zu bestrafen.

Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“

Dem 15-jährigen Armin ist fad. Von der Fußgängerbrücke, die über
die Autobahn führt, starrt er auf die Fahrbahn, der Verkehr ist schwach
um 9 Uhr abends, vielleicht jede halbe Minute kommt ein Auto. Ar-
MINÏBESORGTÏSICHÏVONÏEINERÏ"AUSTELLEÏHANDGRO’EÏ0mASTERSTEINEÏUNDÏ
wenn der Lichtkegel eines herannahenden Autos auftaucht, lässt er
einen Stein fallen. Sechs Autos verfehlt Armin, beim siebten landet er
einen Volltreffer. Der Stein durchschlägt die Windschutzscheibe, der
Lenker verreißt das Steuer, der Wagen bricht aus und prallt gegen ei-
nen Betonpfeiler. Der Fahrer ist sofort tot. Die Polizei kann Armin als
den Steinewerfer ausforschen. Bei der Vernehmung gibt Armin an,
dass ihm eine Beschädigung der Autos egal war, über andere Folgen
habe er nicht nachgedacht.

Angenommen, diese Verantwortung lässt sich nicht widerlegen, nach
welchen Bestimmungen hat sich Armin strafbar gemacht?

14

B/S

BT I § 81 Rz 20.

Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“

background image

126

Lösung

1. a) Ich beginne mit der strafrechtlichen Beurteilung des Volltreffers:

Armin (A) hat über die Folgen seines Tuns (von der Beschädigung

abgesehen) nicht nachgedacht, das bedeutet, er hat weder den Tod noch
eine Verletzung oder Misshandlung eines Menschen ernstlich für möglich
gehalten, geschweige sich damit abgefunden.

15

Immerhin könnte A eine

fahrlässige Tötung (§ 80 StGB)

ÏBEGANGENÏHABENÏ7ERÏ0mASTERSTEINEÏVONÏ

einer Autobahnbrücke fallen lässt, handelt sozial inadäquat gefährlich für
Leib oder Leben der Straßenbenützer (§ 6 StGB). Die Handlung des A ist
ursächlich für den Unfall und damit den Tod des Lenkers. Dass der Len-
ker durch einen Treffer erschrecken und den Wagen verreißen würde,
war unschwer vorauszusehen, auch der Tod des Lenkers ist keine ganz
ungewöhnliche Folge der Tat.

16

Der Tod des Fahrers ist dem A objektiv,

aber auch subjektiv zuzurechnen: Dass A an die möglichen Folgen nicht
gedacht hat, entschuldigt ihn nicht, zumal auch ein 15-Jähriger in der
Regel reif genug ist, die Gefährlichkeit der Handlung einzusehen.

17

b) Die Tat könnte nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB

ÏQUALIlZIERTÏSEINÏWENNÏDIEÏ

GEFÇHRLICHEÏ(ANDLUNGÏDASÏ&ALLENLASSENÏDESÏ0mASTERSTEINSÏEINENÏUnfall
mit schweren Folgen außerordentlich wahrscheinlich
machte.

18

Angenommen, der Stein träfe die Windschutzscheibe, dann wäre ein
schwerer Unfall schon deshalb sehr wahrscheinlich, weil das Zerbersten
der Scheibe den Fahrer völlig aus der Fassung brächte. Aber auch ein
Treffer auf die Motorhaube würde den Fahrer leicht die Beherrschung
über seinen Wagen verlieren lassen. Der Fahrer würde instinktiv das
Lenkrad verreißen, und bei der hohen Geschwindigkeit könnte das Auto
leicht von der Fahrbahn abkommen. Wie wahrscheinlich war nun ein
solcher Treffer? Im Allgemeinen sind Autobahnbrücken recht niedrig,
der Abstand zum Auto misst nur wenige Meter, andererseits erfordert es
gewisse Übung, die Frontpartie eines Pkw, der mit hoher Geschwindig-
keit unter einer Brücke durchfährt, zu treffen (Treffer auf dem Dach sind
sehr viel weniger gefährlich). A hat freilich schon sechs Versuche hinter
sich, und er lässt den Stein nicht irgendwie, sondern gezielt fallen. Des-
halb erscheint ein gefährlicher Treffer ausgesprochen wahrscheinlich. A
handelt auch auffallend sorglos,

19

weil es auch für ihn leicht erkennbar

sein muss, dass mit der Zahl der Versuche ein gefährlicher Treffer sehr
wahrscheinlich wird. So ist A auch nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB strafbar.

15

Vgl Fuchs AT I 14. Kap Rz 54.

16

Vgl B/S BT I § 80 Rz 8.

17

B/S

BT I § 80 Rz 19.

18

B/S

BT I § 81 Rz 2.

19

B/S

BT I § 81 Rz 10.

V. Venier

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127

2. Die Fehlversuche könnten den Tatbestand des § 89 StGB (Gefähr-
dung der körperlichen Sicherheit)
erfüllen. Die Insassen der nicht
getroffenen Autos sind konkret gefährdet, weil die Steine die Fahrzeuge
nur mehr oder weniger knapp verfehlen. Die konkrete Gefährdung muss
aber eine solche unter besonders gefährlichen Verhältnissen iSd § 81 Abs
1 Z 1 StGB darstellen. So kommt es wieder auf die Wahrscheinlichkeit
an, mit der die Steine Windschutzscheibe oder Motorhaube der Fahr-
zeuge treffen könnten. Diese Wahrscheinlichkeit wächst mit der Zahl der
Versuche, spätestens beim fünften oder sechsten Versuch ist sie außer-
ordentlich groß. Die Autoinsassen sind in diesen Fällen nur mit Glück
einem schweren Unfall entronnen. Dass das Risiko eines schweren Un-
falls mit der Zahl der Treffversuche steigt, kann auch ein 15-Jähriger
leicht nachvollziehen.

20

Darum hat sich A zumindest in einem Fall nach

§ 89 StGB strafbar gemacht.

3. Zu prüfen ist auch das Delikt der fahrlässigen Gemeingefährdung
nach § 177 StGB
. Eine Gemeingefahr läge vor, wenn durch die Aktion
des A mindestens zehn Personen beinahe verletzt worden wären, und
das annähernd zur gleichen Zeit.

21

Das wäre der Fall, wenn die Auto-

insassen nur um Haaresbreite einer Massenkarambolage entgangen wä-
ren.

22

Aber dafür sind die Abstände zwischen den einzelnen Fahrzeugen

(ca eine halbe Minute) viel zu groß. Nach der Rsp sind auch neun oder
weniger Personen eine „größere Zahl“ im Sinn von § 177 StGB , wie viele,
weiß man nicht.

23

So könnte unter Umständen auch der Beinahe-Unfall

eines einzelnen, vollbesetzten Pkw unter den Tatbestand fallen.

4. A hat eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB begangen, indem
er durch einen Steinwurf die Windschutzscheibe des Autos zertrümmert.
$EMÏ!ÏISTÏEINEÏ"ESCHÇDIGUNGÏuEGALhÏWASÏSOVIELÏBEDEUTETÏ%RÏlNDETÏSICHÏ
DAMITÏABÏ"EIÏEINEMÏ4REFFERÏWIRDÏDASÏ!UTOÏZWANGSLÇUlGÏBESCHÇDIGTÏZ"Ï
an der Karosserie. Das ist A beim Herunterwerfen durchaus bewusst,
und dass der Stein gerade die Windschutzscheibe treffen wird, daran
braucht er nicht zu denken.

24

Es genügt, dass er irgendeine Beschädi-

gung für sehr wahrscheinlich, dh ernstlich für möglich hält (§ 5 Abs 1
StGB). An einen Totalschaden hat A offensichtlich nicht gedacht. Er ist
DAHERÏVORLÇUlGÏNURÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏSTRAFBAR

A könnte aber auch die eine oder andere versuchte Sachbeschädi-

gung (§§ 15, 125 StGB) begangen haben, da er auf verschiedene Autos

20

Vgl B/S BT I § 81 Rz 10.

21

B/S

BT II §§ 176, 177 Rz 2, 4.

22

Vgl Hinterhofer BT II §§ 176, 177 Rz 3.

23

K/Schm

BT III Vorbem §§ 169 ff Rz 51.

24

Vgl K/H AT Z 16 Rz 5.

Fall 3: „Steinschlag auf der Autobahn“

background image

128

zielt.

25

Wenn A ernsthaft damit rechnet, das eine oder andere Auto zu

treffen, dann können die Schadensbeträge aus allen, den versuchten und
den vollendeten Taten, nach § 29 StGB zusammengerechnet werden.

26

So könnte A nach § 126 Abs 1 Z 7 StGB strafbar sein, vorausgesetzt, der
VOMÏ6ORSATZÏUMFASSTEÏ3CHADENÏ¿BERSTEIGTÏINÏ3UMMEÏÏãÏ

Ergebnis: Armin ist nach §§ 80, 81 Abs 1 Z 1 StGB, weiters nach § 89

und nach § 125 (allenfalls iVm § 15) StGB, möglicherweise auch nach
§ 126 Abs 1 Z 7 StGB strafbar.

Fall 4: „Der obszöne Anruf“

In der Wohnung von Frau X läutet das Telefon. Sie nimmt den Hörer
ab. „Zieh dich aus, du Schlampe!“, herrscht sie eine Männerstimme an.
X ist fassungslos, das ist ihr noch nie passiert. „Perverses Schwein!“,
zischt sie in den Hörer, worauf der Anrufer mit drohendem Unterton
ERWIDERTÏu)CHÏWEI’ÏWOÏDUÏWOHNSTÏICHÏKRIEGÏDICHhÏUNDÏAUmEGTÏ$ERÏ
anonyme Anrufer lässt nichts mehr von sich hören, dennoch hat X
einen Monat lang Angst, allein aus der Wohnung zu gehen.

Hat sich der Anrufer strafbar gemacht?

Lösung

1. Der Anrufer könnte eine versuchte Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1
StGB
begangen haben:

Er verlangt eine Handlung, nämlich die Frau solle sich ausziehen.

Sich ausziehen ist keine „geschlechtliche Handlung“ iSd § 202 StGB,

27

aber immerhin eine Handlung nach § 105 StGB. Der Täter müsste versu-
chen, diese Handlung durch eine gefährliche Drohung zu erzwingen.
Erforderlich wäre die Androhung eines bestimmten Übels (§ 74 Abs 1 Z 5
StGB). Der Anrufer versucht die Frau durch einen barschen Befehlston
einzuschüchtern, aber er droht kein Übel an. Erst als die Frau den Mann
ein perverses Schwein nennt, droht er ihr, aber die Drohung dient nicht
dazu, die Frau zum Ausziehen zu bewegen. Wenn dem so wäre, hätte
der Mann nicht sofort aufgelegt, sondern eine Antwort abgewartet. Kann
der Anrufer denn überhaupt erwarten, die Frau werde sich am Telefon

25

Vgl L/St StGB § 28 Rz 60.

26

K/Schm

BT II § 128 Rz 56.

27

B/S

BT II § 202 Rz 2.

V. Venier

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129

ausziehen? Doch wohl nicht, wahrscheinlich hofft er, durch die obszöne
Forderung zu schockieren, was ihm ja auch gelungen ist. Der Vorsatz,
das Opfer zu schockieren, ist jedoch kein Vorsatz, das Opfer zu einer
Handlung zu nötigen.

2. Der Anrufer könnte durch die Drohung das Delikt nach § 107 Abs 1
StGB
begangen haben:

„Ich weiß wo du wohnst, ich krieg dich!“, kann man als gefährliche

Drohung iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB auffassen. „Ich krieg dich!“, deutet
DARAUFÏHINÏDASSÏDERÏ-ANNÏDERÏ&RAUÏAUmAUERNÏUNDÏIHRÏETWASÏANTUNÏWIRDÏ
Darin steckt die Drohung, sie zu misshandeln, was eine leichte Körper-
verletzung, zB Blutergüsse, Prellungen, durchaus befürchten lässt. Die
Ankündigung ist freilich zu vage, um aus ihr ein noch schlimmeres Übel,
zB eine Vergewaltigung, abzuleiten. Ob der Mann tatsächlich gewalttätig
ist, kann die Frau nicht wissen, aber auch nicht ausschließen, darum
muss sie die Drohung den Umständen nach ernst nehmen.

28

Dem Anrufer ist sicher bewusst, dass er droht. Aber hat er auch die

Absicht, die Frau in Furcht und Unruhe zu versetzen? Es muss ihm darauf
ankommen, das Opfer so zu ängstigen, dass es einige Zeit darunter lei-
det.

29

Wenn der Mann die Drohung nur im Zorn ausspricht, ohne an die

Angst der Frau zu denken, fehlt es an dieser Absicht. Da aber der Mann
offensichtlich schockieren will, hat er auch die Wirkung der Worte auf
das Opfer bedacht, weshalb § 107 Abs 1 StGB verwirklicht ist.

Im Übrigen erfüllt der Anruf nicht die Voraussetzzungen des § 107a

StGB, weil der Täter nicht ständig („beharrlich“), sondern nur einmal
anruft.

30

Ergebnis: Der Anrufer ist nach § 107 Abs 1 StGB strafbar.

Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“

Nach dem Besuch des Bergrestaurants will der Schiurlauber Anton zu
4ALÏFAHRENÏKANNÏABERÏSEINEÏNEUENÏ3CHIERÏNICHTÏlNDENÏOFFENSICHTLICHÏ
hat sie jemand vor dem Restaurant mitgenommen. Drei Tage später
sieht Anton seine „Brettln“ auf der Schulter eines anderen Urlaubers.
Anton bezichtigt den Mann des Schidiebstahls, packt ihn am Arm
und hindert ihn am Weggehen. Der Mann bestreitet die Tat katego-

28

Vgl B/S BT I § 105 Rz 10.

29

B/S

BT I § 107 Rz 6.

30

B/S

BT I § 107a Rz 3.

Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“

background image

130

risch, als das nichts nützt, lässt er plötzlich die Schier fallen und
versetzt Anton einen Faustschlag ins Gesicht. Anton – er blutet stark
aus der Nase – lässt den Mann los und dieser kann in der Menge
der Urlauber untertauchen. Die Polizei kann den Mann schließlich
INÏ SEINEMÏ (OTELÏ AUSlNDIGÏ MACHENÏ *OHNÏ SOÏ HEI’TÏ ERÏ GIBTÏ ZUÏ DIEÏ
Schier vor dem Bergrestaurant mitgenommen zu haben, weil ihm
sein eigenes Paar gestohlen worden sei. Er habe das fremde Paar
nur ein paar Tage benützen und dann am Schiständer der Talstation
abstellen wollen.

Haben sich Anton und John (gemäß seiner Verantwortung) strafbar
gemacht, wenn ja, nach welchen Bestimmungen?

Lösung

1. a) Anton hält John am Arm fest und hindert ihn dadurch am Wegge-
hen. Zu denken ist an eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB). Voraussetzung
dafür ist eine Gewaltanwendung. Das bloße Festhalten am Arm ist keine
Gewalt, dh keine erhebliche Einwirkung auf den Körper, weil es dem
Angehaltenen nicht weh tut.

31

Die Rsp verlangt die „Anwendung nicht

unerheblicher physischer Kraft“, das könnte womöglich auch ein Festhal-
ten am Arm sein, je nachdem, wie man „nicht unerhebliche physische
+RAFThÏDElNIERT

b) Weiters ist Freiheitsentziehung (§ 99 StGB) zu prüfen:

Freiheitsentziehung kann nur angenommen werden, wenn der Täter

das Opfer so festhält, dass es sich nur mit erheblichem Kraftaufwand
befreien kann.

32

Das träfe nicht zu, wenn sich John mit einem kräftigen

Ruck losreißen könnte. Da Anton erst nach einem Faustschlag ins Ge-
sicht loslässt, war ein Losreißen wohl nicht so einfach möglich. Das Fest-
halten dauert freilich nur kurz, zu kurz für ein Gefangenhalten. Denkbar
ist, dass Anton den Urlauber für länger, nämlich für mehr als 10 Minu-
ten,

33

festhalten möchte, um ihn der Polizei zu übergeben. Darin läge

eine versuchte Freiheitsentziehung (§§ 15, 99 StGB).

Aber ist die (versuchte) Freiheitsentziehung rechtswidrig? Das Anhal-

terecht nach § 80 Abs 2 StPO kommt Anton nicht zugute, da der mut-
maßliche Diebstahl schon drei Tage zurückliegt, die Tat also nicht „un-
mittelbar zuvor“ begangen wurde.

34

Auch Notwehr (§ 3 StGB) kommt

nicht in Frage, weil der Angriff, die Wegnahme der Schier, nicht mehr

31

B/S

BT I § 105 Rz 5.

32

B/S

BT I § 99 Rz 5.

33

B/S

BT I § 99 Rz 6.

34

K/H

AT E 1 Rz 12.

V. Venier

background image

131

„gegenwärtig“ ist. Immerhin greift erlaubte Selbsthilfe:

35

Das Festhalten

des Fremden dient der Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruchs,
nämlich der Wiedererlangung der Schier. Der Unbekannte wehrt sich
gegen die Anschuldigung, er wird daher mit den Schiern verschwinden,
wenn Anton loslässt. Es bleibt Anton nichts anderes übrig, als den Frem-
den festzuhalten, um ihm die Schier abzunehmen oder, falls das schei-
tert, durch die Polizei abnehmen zu lassen. Bloßes Festhalten ist nicht
unangemessen.

36

Anton ist durch Selbsthilfe gerechtfertigt.

2. a) John hat eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB) begangen:

Er wendet Gewalt an, indem er Anton einen Schlag ins Gesicht ver-

setzt, was eine erhebliche Einwirkung auf den Körper darstellt.

37

Anton

ist gezwungen, John loszulassen. Diese Unterlassung ist ein relevanter
Nötigungserfolg, weil sie John die Flucht ermöglicht. John hat das natür-
lich beabsichtigt.

Hat John möglicherweise ein Recht darauf, dass Anton ihn sofort ge-

hen lässt? Immerhin lässt John die Schier unmittelbar vor dem Schlag
fallen. Aber John hat die neuen Schier drei Tage lang gefahren, so hat
Anton zumindest Anspruch darauf, dass ihm John das Schiservice (Kan-
tenschliff, Belag ausbessern) bezahlt. Solange Anton nicht weiß, wer der
Fremde ist und wo er wohnt, kann er diesen Anspruch nicht durchset-
zen: Die Selbsthilfesituation besteht daher fort, und John hat kein Recht
auf sofortige, bedingungslose Freilassung. Im Übrigen entspricht die Re-
aktion des John, dem Anton ins Gesicht zu schlagen, keinesfalls den
guten Sitten (§ 105 Abs 2 StGB).

b) John versetzt Anton einen Faustschlag ins Gesicht. Das ist eine Miss-
handlung, weil der Schlag schmerzt. Der Schlag wiederum bewirkt eine
leichte Körperverletzung iSd § 83 StGB, nämlich starkes Nasenblu-
ten.

38

Ob John mit Verletzungs- (§ 83 Abs 1 StGB) oder nur mit Miss-

handlungsvorsatz (§ 83 Abs 2 StGB) zugeschlagen hat, ist schwer zu
sagen. John ist wahrscheinlich sehr erregt, weil er festgehalten wird und
eine Anzeige befürchten muss. Welche Folgen der Schlag haben könnte,
bedenkt John vielleicht gar nicht;

39

immerhin ist ihm bewusst, dass der

Schlag ordentlich weh tut. So ist zumindest § 83 Abs 2 StGB erfüllt.

Eine Notwehrsituation (§ 3 StGB) liegt nicht vor: Zwar ist das Fest-

halten ein Angriff gegen die Freiheit des John, weil er am Weggehen
gehindert wird, aber der Angriff ist nicht rechtswidrig, weil Anton noch

35

Vgl K/H AT E 1 Rz 36f.

36

Vgl K/H AT E 1 Rz 41.

37

B/S

BT I § 105 Rz 5.

38

B/S

BT I § 83 Rz 1.

39

B/S

BT I § 83 Rz 9.

Fall 5: „Eine unsportliche Auseinandersetzung“

background image

132

Selbsthilfe üben darf (s oben a). Die leichte Körperverletzung wird frei-
lich als typische Begleittat der Gewaltanwendung durch die Verurteilung
nach § 105 Abs 1 StGB abgegolten. Anders die Rsp, die in solchen Fällen
auch nach § 83 StGB verurteilt.

40

c) Die Mitnahme der Schier könnte eine dauernde Sachentziehung
(§ 135 Abs 1 StGB)
sein:

Nach der Verkehrsauffassung stehen sie im (gelockerten) Gewahrsam

des Anton, weil er sie, wie es üblich ist, vor dem Bergrestaurant ablegt.

41

Indem sie John von dort wegträgt, entzieht er sie dem Gewahrsam des
Anton. John will die Schier nicht behalten, sie also nicht stehlen (§ 127
StGB), sondern nur einige Zeit benützen. Fraglich ist, ob John im Zeit-
punkt der Wegnahme eine Schädigung des Berechtigten in Kauf nimmt.
Nach der Rsp würde auch ein später gefasster Schädigungsvorsatz genü-
gen.

42

John will die Schier nach ein paar Tagen an der Talstation beim

Schiständer abstellen. Aber darf er annehmen, dass der Berechtigte sie
DORTÏUNTERÏDENÏVIELENÏANDERENÏ3CHIERNÏSUCHENÏUNDÏlNDENÏWIRDÏ!NÏ*OHNSÏ
Stelle müsste man erhebliche Zweifel haben: Nach neuwertigen Schiern
wird der Berechtigte freilich eher suchen als nach gebrauchten, nach
nicht versicherten eher als nach versicherten. Möglich, dass der Berech-
tigte auch noch Tage nachher den Schiständer absucht und sich beim
Liftpersonal nach gefundenen Schiern erkundigt, aber realistisch ist das
nicht. So ist ein Schädigungsvorsatz wahrscheinlich. Dass dem John die
eigenen Schier gestohlen wurden, entschuldigt die Wegnahme natürlich
nicht.

Das Fallenlassen der Schier ist keine tätige Reue, weil es an der Frei-

willigkeit fehlt: John muss damit rechnen, dass ihm die Schier gewaltsam
abgenommen werden.

43

Ergebnis:

!NTONÏISTÏSTRAmOSÏ*OHNÏDAGEGENÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"ÏUNDÏ

nach § 135 Abs 1 StGB strafbar.

Fall 6: „Besuch in der Spedition“

Die Eltern des 17-jährigen A besitzen ein Speditionsunternehmen.
Eines Nachts dringt A zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund B
in die Büroräume ein, indem er die Eingangstür mit einem Schlüssel

40

B/S

BT I § 105 Rz 32.

41

B/S

BT I § 127 Rz 10.

42

K/Schm

BT II § 135 Rz 25, 46.

43

B/S

BT I § 167 Rz 15.

V. Venier

background image

133

öffnet, den er sich zu Hause vom Schlüsselbrett der Eltern besorgt hat.
B weiß davon. Im Büro suchen die Jugendlichen nach Brauchbarem,
lNDENÏ EINEÏ (ANDKASSEÏ SOWIEÏ DENÏ 3CHL¿SSELÏ F¿RÏ EINENÏ -ERCEDES
Kleinlaster, beides nehmen sie mit. Vor dem Gebäude startet A mit
dem Autoschlüssel den Kleinlaster, A und B drehen abwechselnd
einige Runden auf dem Parkplatz, lassen das Fahrzeug stehen und
machen sich mit der Handkasse aus dem Staub. Später brechen sie
DIEÏ+ASSEÏAUFÏTEILENÏSICHÏDIEÏ"EUTEÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏUNDÏWERFENÏ
die leere Kassette in einen Müllcontainer. Den Türschlüssel hängt A
wie geplant wieder ans Schlüsselbrett.

Haben sich A und B strafbar gemacht, wenn ja, nach welchen Be-
stimmungen?

Lösung

1. a) A und B haben am Bargeld, einer fremden beweglichen Sache,
einen Diebstahl (§ 127 StGB) begangen:

Die Handkasse wird im Büro aufbewahrt, steht also im Gewahrsam

der Eltern des A oder einer ihrer Angestellten.

44

A und B nehmen die

Kassette weg, indem sie sie aus dem Gebäude tragen. Da im Sachverhalt
nicht unterschieden wird, wer welchen Handgriff geleistet hat, sind A
und B wohl Mittäter (§ 12 1. Fall StGB).

45

Sicher denken A und B bei

der Wegnahme an Geld, das sich ja üblicherweise in solchen Kassetten
BElNDETÏUNDÏAUCHÏDARANÏESÏENTWEDERÏSELBSTÏZUÏBEHALTENÏODERÏMITÏDEMÏ
Freund zu teilen. Darin liegt der Vorsatz begründet, sich oder einen Drit-
ten durch Zueignung der Sache unrechtmäßig zu bereichern. An einen
bestimmten Betrag brauchen sie bei der Wegnahme nicht zu denken.

46

Andererseits kommt ein versuchter schwerer Diebstahl nach § 128 Abs 1
:ÏÏ3T'"ÏNURÏINÏ&RAGEÏWENNÏSIEÏERNSTHAFTÏMITÏMEHRÏALSÏÏãÏINÏDERÏ
Kasse gerechnet haben. Dass sie eine so hohe Summe bloß nicht aus-
schließen können, ist noch kein bedingter Vorsatz, einen Betrag in dieser
Höhe zu stehlen.

47

b) Der Diebstahl könnte als Einbruchsdiebstahl nach § 129 Z 1 StGB
QUALIlZIERTÏSEIN

$IEÏ"¿RORÇUMEÏBElNDENÏSICHÏINÏEINEMÏ'EBÇUDEÏUNDÏA dringt ein,

indem er die Türe mit einem Schlüssel aufsperrt, den er sich von zu
Hause besorgt hat. Der Schlüssel stand zumindest im Mitgewahrsam der

44

B/S

BT I § 127 Rz 11, 15.

45

Vgl Fuchs AT I 33. Kap Rz 11; strenger wohl K/H AT E 3 Rz 10.

46

B/S

BT I § 127 Rz 28.

47

B/S

BT I § 128 Rz 10f.

Fall 6: „Besuch in der Spedition“

background image

134

Eltern, auch wenn er für A am Schlüsselbrett leicht erreichbar war.

48

Es

wäre immerhin denkbar, dass A bis auf weiteres die Erlaubnis besitzt,
den Schlüssel selbständig vom Brett zu nehmen, um zB in der Firma am
Computer zu arbeiten oder zu spielen. In diesem Fall wäre der Schlüssel
nicht widerrechtlich „erlangt“, sondern nur für einen widerrechtlichen
Zweck gebraucht, § 129 Z 1 StGB wäre nicht anwendbar.

Was aber, wenn A jeweils um Erlaubnis fragen muss oder eine Er-

laubnis nicht zur Diskussion steht? Dann ist der Schlüssel widerrechtlich
erlangt. Wenn auch B damit rechnet, dass A den Türschlüssel, den er so-
eben zum Aufsperren verwendet, ohne Genehmigung der Eltern ausge-
BORGTÏHATÏTRIFFTÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ:ÏÏ3T'"ÏAUCHÏAUFÏIHNÏZUÏ$ASSÏ
sich B an der Schlüsselwegnahme nicht beteiligt hat, schadet nicht.

Ferner ist anzunehmen, dass A und B schon beim Aufsperren der

Türe daran denken, „Brauchbares“ zu stehlen. Was und wie viel es sein
wird, braucht noch nicht festzustehen. Mit der Wegnahme der Kassette
ist der Einbruchsdiebstahl vollendet, auch wenn die Kassette erst spä-
ter aufgebrochen und die Beute geteilt wird. Ein Einbruchsdiebstahl
(auch) nach § 129 Z 2 StGB
kommt nach der Wegnahme der Kassette
nicht mehr in Frage.

49

Am Türschlüssel selbst haben A und B kein Delikt begangen.

2. A und B werfen die Kassette in einen öffentlichen Abfallcontainer.
Denkbar ist eine dauernde Sachentziehung (§ 135 Abs 1 StGB) für den
Fall, dass sie schon bei der Wegnahme daran gedacht haben, die Kasset-
te später wegzuwerfen. Ein solcher Vorsatz ist ziemlich wahrscheinlich,
weil die Kassette den Tätern nichts nützt. Die Tat ist auch hier mit der
Wegnahme vollendet, und auch hier sind A und B als Mittäter anzusehen
(s 1. a). Nach der Rsp genügt für § 135 StGB, dass die Täter den Vorsatz,
die Sache wegzuwerfen, erst nach der Entziehung aus dem Gewahrsam
fassen.

50

In dem Vorsatz, die Kassette wegzuwerfen, ist auch ein Schädigungs-

vorsatz enthalten. Das vorsätzliche Beschädigen der Kassette durch Auf-
BRECHENÏeÏÏ3T'"ÏISTÏDAHERÏNURÏNOCHÏSTRAmOSEÏ.ACHTAT

51

3. A begeht die Taten gemäß § 166 Abs 1 StGB „zum Nachteil“ seiner
Eltern
. Bei B muss man unterscheiden: Am Einbruchsdiebstahl beteiligt
sich B nicht „bloß zum Vorteil“ des A, weil die Beute geteilt wird. In
diesem Fall steht § 166 Abs 2 StGB einer Privilegierung entgegen. Die

48

B/S

BT I § 129 Rz 6, § 127 Rz 11.

49

B/S

BT I § 129 Rz 14.

50

K/Schm

BT II § 135 Rz 25, 46.

51

B/S

BT I § 135 Rz 11.

V. Venier

background image

135

dauernde Sachentziehung aber begeht B ausschließlich zum Nachteil
von A’s Eltern, insoweit gilt § 166 Abs 2 StGB wenigstens analog.

52

4. A und B fahren abwechselnd und ohne Einverständnis der berech-
tigten Eltern mit dem Kleinlaster. Da beide fahren, sind beide (unmittel-
bare) Täter nach § 136 Abs 1 StGB (Unbefugter Gebrauch von Fahr-
zeugen)
. A und B wissen, dass sie nicht fahren dürfen. Auch an eine
mutmaßliche Einwilligung der Eltern ist nicht zu denken, weil es keinen
vernünftigen Grund geben kann, zwei 17-Jährigen einen Kleinlaster zu
überlassen.

53

Die Tat könnte nach § 136 Abs 2 (§ 129) StGB

QUALIlZIERTÏSEINÏ$ERÏ

Autoschlüssel ist nicht etwa „gefunden“, denn an den Gegenständen im
Büro behalten die Firmeninhaber oder ihre Angestellten Gewahrsam,
auch wenn andere das Büro erlaubt oder unerlaubt betreten. Dass je-
mand den Schlüssel in die Hosentasche steckt,

54

ist nicht notwendig, um

Gewahrsam daran zu erlangen. A und B verschaffen sich „Gewalt“ über
das Fahrzeug, dh sie starten es und fahren damit. Die beiden beteiligen
sich gemeinsam an der widerrechtlichen Erlangung des Schlüssels (Weg-
nahme). Sie können allerdings wegen dieser Tat nicht bestraft werden
(§ 136 Abs 4 StGB): A, weil das Fahrzeug seinen Eltern gehört, und B,
weil er bloß mit Zustimmung des A gefahren ist.

55

Ergebnis: A ist nach § 127 StGB, eventuell auch nach § 129 Z 1 StGB,

weiters nach § 135 Abs 1 StGB strafbar, wobei die Taten nach § 166 Abs 1
StGB privilegiert sind. B haftet als Mittäter nach diesen Bestimmungen,
privilegiert ist in seinem Fall nur die dauernde Sachentziehung. Die Fahrt
MITÏDEMÏ+LEINLASTERÏISTÏF¿RÏBEIDEÏSTRAmOS

Fall 7: „Das Kuvert“

A geht am Einfamilienhaus des B vorbei und sieht auf dem Briefkas-
ten am Gartentor ein zugeklebtes Kuvert liegen. Neugierig nimmt
er es in die Hand. Es dürfte eine Kreditkarte enthalten. A öffnet das
+UVERTÏUNDÏlNDETÏTATSÇCHLICHÏEINEÏ+REDITKARTEÏERÏSTECKTÏSIEÏINÏSEINEÏ
Jackentasche; Kuvert und Begleitschreiben wirft er in den nächsten
Mülleimer. Zu Hause unterschreibt er die Kreditkarte mit dem auf

52

B/S

BT I § 166 Rz 7.

53

Vgl B/S BT I § 136 Rz 5.

54

Anders bei Gegenständen, die man vorerst nur zur Ansicht in die Hand nimmt, zB

Waren: vgl K/Schm BT II § 127 Rz 115.

55

B/S

BT I § 136 Rz 14.

Fall 7: „Das Kuvert“

background image

136

der Vorderseite angegeben Namen des B. In den darauf folgenden
Tagen bestellt A unter Eingabe der Kartennummer Waren im Wert
VONÏ Ï ãÏ IMÏ )NTERNETÏ !LSÏ ERÏ INÏ EINEMÏ 'ESCHÇFTÏ EINEÏ ,EDERJACKEÏ
ÏãÏMITÏDERÏ+ARTEÏKAUFENÏWILLÏISTÏSIEÏBEREITSÏGESPERRTÏ$ARAUFHINÏ
bricht A die Karte wütend auseinander.

Beurteilen Sie die Strafbarkeit des A.

Lösung

1. a) Das Einstecken der Kreditkarte könnte eine Entfremdung un-
barer Zahlungsmittel (§ 241e Abs 1 StGB)
sein:

Die Kreditkarte ist ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10

StGB). Sie lässt den Aussteller (Kreditkarteninstitut) erkennen, ist in be-
sonderer Weise gegen Fälschung oder missbräuchliche Verwendung ge-
sichert (Unterschriftenvergleich, bei Barbehebung Codeeingabe) und hat
bargeldvertretende Funktion oder dient der Ausgabe von Bargeld. Die
Kreditkarte selbst ist kein Wertträger und darum nicht diebstahlsfähig.

56

A darf über die Kreditkarte nicht verfügen. Der Brief auf dem Brief-

kasten am Gartentor steht im (gelockerten) Gewahrsam des B. Indem A
die Karte einsteckt, nimmt er sie weg, dh er verschafft sie sich.

57

Dem

A ist wohl schon beim Einstecken der Karte bewusst, dass sie noch nicht
unterschrieben und daher erst mit der Unterschrift voll gültig ist. Wahr-
scheinlich denkt er auch schon daran, die Kreditkarte später für Inter-
netbestellungen und Einkäufe zu verwenden (§ 241e Abs 1 erster Satz
StGB). Dann hat er bei der Wegnahme der Karte wohl auch den Vorsatz,
sie durch Nachmachen der Unterschrift zu verfälschen (§ 241e Abs 1
zweiter Satz StGB). Aber das Verschaffen mit (Ver-)Fälschungsvorsatz ist
nur eine typische Vorbereitungshandlung zum tatsächlichen (Ver-)Fäl-
schen nach § 241a StGB. So kann A nicht auch noch nach § 241e Abs 1
zweiter Satz StGB verurteilt werden.

58

b) Das Unterschreiben der Kreditkarte mit B’s Namen verwirklicht § 241a
Abs 1 StGB
. B ist nicht der Aussteller der Kreditkarte, die Unterschrift
ist nur ein beweiserheblicher Zusatz, der vor Missbrauch schützen soll.
Indem A eigenmächtig für B unterschreibt, verfälscht er die Kreditkarte.
Beim Unterschreiben denkt B sicher daran, mit der Kreditkarte einkau-
fen zu gehen, dh er will die verfälschte Kreditkarte im Rechtsverkehr
verwenden.

56

B/S

BT II § 241e Rz 1f.

57

B/S

BT II § 241e Rz 3.

58

B/S

BT II § 241e Rz 9.

V. Venier

background image

137

Zwischenergebnis:

Ï 3OÏ ISTÏ !Ï nÏ VORLÇUlGÏ WENIGSTENSÏ nÏ WEGENÏ DERÏ

Entfremdung der Kreditkarte nach § 241e Abs 1 erster Satz StGB und
wegen ihrer Verfälschung nach § 241a StGB strafbar. In der Folge muss
man aber unterscheiden, wofür er die Kreditkarte verwendet:

2. Das Bestellen von Waren im Internet könnte ein betrügerischer Da-
tenverarbeitungsmissbrauch (§ 148a Abs 1 StGB)
sein.

!ÏTÇUSCHTÏNIEMANDENÏERÏBEEINmUSSTÏEINENÏELEKTRONISCHENÏ$ATENVERAR-

beitungsvorgang, indem er Daten eingibt (Kreditkartennummer, -ablauf-
datum, Betrag) und der Bestellung – zB durch Anklicken von „Bestellen“
– zustimmt. Er veranlasst dadurch eine elektronische Abbuchung vom
Konto des B (die Daten werden automatisch, ohne Prüfung durch einen
Menschen an das Kreditkarteninstitut weitergeleitet).

59

Dadurch tritt der

Schaden ein. Dass B bei dem Vorgang geschädigt wird, ist A natürlich
bewusst. Es kommt ihm ferner darauf an, sich durch die Abbuchung von
INSGESAMTÏÏãÏUNRECHTMǒIGÏZUÏBEREICHERNÏ

Aber § 148a Abs 1 StGB ist nur eine

STRAmOSEÏ.ACHTATÏzur Entfrem-

dung nach § 241e Abs 1 erster Satz:

60

Die Entfremdung diente ja dazu, die

Internetbestellung zu ermöglichen.

3. Der Versuch, mit der Kreditkarte eine Lederjacke zu bezahlen, kann als
versuchter Betrug (§§ 15, 146 StGB) strafbar sein. A handelt mit vollem
Tatentschluss: Die Karte soll den Verkäufer über A’s Berechtigung täu-
schen und ihn dazu verleiten, die Kartendaten und den Kaufpreis dem
Kreditkarteninstitut zu übermitteln. Dann käme es zur Belastung von B’s
+ONTOÏ MITÏ Ï ãÏ UNDÏ "Ï WÇREÏ GESCHÇDIGTÏ .ICHTÏ EINMALÏ DIEÏ 4ÇUSCHUNGÏ
gelingt, weil die Karte gesperrt ist. Selbstverständlich will sich A um die
ÏãÏDIEÏVONÏDEMÏ+ONTOÏDESÏ"ÏABGEBUCHTÏWERDENÏSOLLTENÏUNRECHTMÇ-
ßig bereichern.

Der Versuch ist nur relativ untauglich, weil die Karte nur zufällig ge-

sperrt ist. Der Versuch ist ferner fehlgeschlagen, weil A den Betrug, selbst
wenn er wollte, nicht mehr vollenden könnte.

Der versuchte Betrug ist nach § 147 Abs 1 Z 1 (2. Fall) StGB

QUALIl-

ziert. Die Vorlage der entfremdeten und verfälschten Kreditkarte soll den
Verkäufer täuschen und zur elektronischen Datenübermittlung verleiten.
Die Entfremdung (§ 241e Abs 1 StGB) und die Verfälschung (§ 241a) der
Kreditkarte werden durch die Verurteilung nach § 147 Abs 1 Z 1 zweiter
Fall abgegolten.

61

Variante: Wenn erst die nachgemachte Unterschrift auf dem Rech-

nungsbeleg den Verkäufer zur Datenübermittlung verleitete, läge ein

59

B/S

BT I § 148a Rz 2.

60

B/S

BT I § 148a Rz 7.

61

B/S

BT I § 147 Rz 10.

Fall 7: „Das Kuvert“

background image

138

(versuchter) Urkundenbetrug nach § 147 Abs 1 Z 1 (1. Fall StGB) vor.
§ 241a StGB bliebe dann weiter anwendbar.

4. A zerbricht die Kreditkarte. Zu prüfen ist Unterdrückung unbarer
Zahlungsmittel (§ 241e Abs 3 StGB)
. Als A die Kreditkarte zerbricht, ist
sie bereits gesperrt, damit ist sie auch für den Berechtigten unbrauchbar
geworden. Unbrauchbare Kreditkarten werden durch § 241e Abs 3 StGB
nicht geschützt. Eigentlich sind sie gar keine unbaren Zahlungsmittel. Auch
A weiß, dass die Kreditkarte mit der Sperre nicht mehr brauchbar ist.

5. A wirft den Brief in den Mülleimer. Denkbar wäre Urkundenunterdrü-
ckung (§ 229 StGB)
. Das Begleitschreiben ist jedoch keine Urkunde (§ 74
Abs 1 Z 7 StGB), es fehlt ihm an der Rechtserheblichkeit: Es begründet kein
Recht, weil der Vertrag zwischen B und dem Institut schon vorher abge-
schlossen wurde. Es enthält auch keine rechtlich erheblichen Tatsachen,
sondern nur die Information, die Kreditkarte sei jetzt angekommen.

A verletzt das Briefgeheimnis nach § 118 StGB: Er öffnet das zu-

geklebte Kuvert (Abs 1) und unterdrückt den Brief, indem er ihn nach
dem Aufreißen wegwirft (Abs 3). Dass der Brief nicht zu seiner Kenntnis
bestimmt ist, weiß A. Die Tat ist freilich nur ein Privatanklagedelikt (§ 118
Abs 4 StGB).

Ergebnis: Für die Wegnahme der Kreditkarte und die Internetbestel-

lung ist A nach § 241e Abs 1 erster Satz StGB, für den versuchten Jacken-
kauf mit Hilfe der entfremdeten und verfälschten Kreditkarte nach §§ 15,
146, 147 Abs 1 Z 1 (2. Fall) StGB strafbar. Für das Öffnen und Wegwerfen
des Briefes haftet er nach § 118 Abs 1, 3 StGB.

Fall 8: „Tankstellenüberfall“

A und B beschließen, eine Tankstelle zu überfallen. Um 1 Uhr nachts
betritt A die Tankstelle, hält dem Tankwart wie ausgemacht einen
Gasrevolver vor die Brust und fordert die Tageslosung. B wartet in-
zwischen auf dem Motorrad vor der Eingangstür, die weit offen steht.
Der Tankwart erschrickt beim Anblick der Waffe, fasst sich aber ein
Herz und versucht, A das Vorhaben auszureden. A ist verunsichert
und macht einige Schritte zur Tür. B, der die Szene beobachtet, brüllt
durch die offene Tür: „Steig auf, es hat keinen Sinn!“ A überlegt nicht
lange, schwingt sich auf den Beifahrersitz und braust mit B davon.

Haben sich A und B strafbar gemacht?

V. Venier

background image

139

Lösung

1. a) Da A die Tageslosung nicht erhält, könnte er wegen Raubversuchs
(§§ 15, 142 Abs 1 StGB)
strafbar sein:

Die Drohung stellt bereits eine Ausführungshandlung zum Raub dar

(§ 15 Abs 2 StGB). A droht mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Le-
ben
, indem er einen Gasrevolver auf den Tankwart richtet. Mit dieser Art
von Waffe kann man zwar niemanden schwer verletzen oder töten, aber
für den Tankwart ist das nicht erkennbar. Bis zum Beweis des Gegenteils
muss er auch einen Gasrevolver für eine äußerst gefährliche Schusswaffe
halten. Die Drohung ist daher geeignet, das Opfer um sein Leben oder
wenigstens um seine Gesundheit fürchten zu lassen. A hat den vollen
Tatentschluss: Mit der Drohung möchte er die sofortige Herausgabe der
Tageslosung erzwingen, dh eine fremde bewegliche Sache abnötigen.
A handelt dabei mit Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz, weil er die
Beute anschließend mit B teilen will.

Die Drohung wird mit einer Waffe iSd § 143 2. Fall StGB verübt: Der

Gasrevolver, obwohl von geringer Gefährlichkeit, fällt unter den Waffen-
begriff des WaffenG.

62

b) A gibt auf, nachdem der Tankwart auf ihn eingeredet hat und B ihn
zur Flucht auffordert. Es ist an Rücktritt vom Versuch zu denken. Der
Versuch ist unbeendet, weil A seiner Vorstellung nach die Drohung wie-
derholen müsste, um den Tankwart vom Ernst der Lage zu überzeugen.

63

Die Ausführung der Tat wäre noch möglich, A ist nur verunsichert, aber
er hält den Versuch nicht für gescheitert. Dass die Tatausführung nach
Ansicht des B „keinen Sinn hat“, bedeutet nicht, dass der Versuch aus der
Sicht des A fehlgeschlagen ist. Wenn A nur etwas energischer reagierte,
müsste der Tankwart nachgeben und die Tageslosung aushändigen. A
fehlt es offensichtlich nur an Entschlossenheit oder Mut, die Tat zu Ende
zu bringen.

64

Ï )NDEMÏ ERÏ AUFÏ "Ï H–RTÏ UNDÏ m¿CHTETÏ GIBTÏ ERÏ SEINENÏ 4ATENT-

schluss endgültig und freiwillig auf (§ 16 Abs 1 1. Fall StGB).

2. B beteiligt sich an der Tat, indem er mit A zur Tankstelle fährt und vor
DERÏ4¿RÏWARTETÏUMÏNACHÏDEMÏÍBERFALLÏMITÏ!ÏZUÏm¿CHTENÏ%RÏLEISTETÏDA-
durch wie geplant einen Beitrag zum Raubversuch (§ 12 3. Fall, § 15
Abs 1, § 142 Abs 1 StGB)

Ï!UCHÏIMÏ&ALLÏDESÏ"ÏTRIFFTÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏ

§ 143 2. Fall StGB zu, weil das Drohen mit der Waffe abgesprochen war.
Aber die Tatausführung unterbleibt, nachdem B den unentschlossenen
A zurückruft, weil „es keinen Sinn“ habe. Damit ist B zumindest mitur-

62

B/S

BT I § 143 Rz 2.

63

Fuchs

AT I 31. Kap Rz 21, 41.

64

Vgl Fuchs AT I 31. Kap Rz 43.

Fall 8: „Tankstellenüberfall“

background image

140

sächlich dafür, dass A den Versuch endgültig abbricht (§ 16 Abs 1 2. Fall
StGB).

65

Denkbar wäre, dass B seinen Komplizen deshalb zurückpfeift,

weil er ihn für ganz unfähig hält, die Tat (noch) auszuführen. In diesem
Fall hielte B den Raubversuch für gescheitert. Wenn es ihm aber wie dem
A nur an Entschlossenheit oder Mut gebricht, ist der Versuch auch aus
seiner Sicht noch möglich und der Rücktritt freiwillig.

3. A und B (vorausgesetzt § 16 Abs 1 StGB trifft auch auf B zu) könnten
nach § 277 StGB (Verbrecherisches Komplott) strafbar sein. Sie hat-
ten die gemeinsame Ausführung eines Raubes verabredet, da ein Zu-
sammenwirken am Tatort geplant war.

66

Das Raubkomplott ist jedoch

gegenüber dem Raubversuch subsidiär, und mit dem freiwilligen Rückritt
vom Raubversuch lebt auch die Strafbarkeit des Raubkomplotts nicht
wieder auf.

67

Durch den Rücktritt vom Raubversuch sind A und B außer-

dem von der im Raub enthaltenen versuchten Nötigung zur Herausga-
be der Tageslosung zurückgetreten. Eine darüber hinausgehende (ver-
suchte) Nötigung des Tankwarts ist nicht ersichtlich. Auch § 107 StGB ist
nicht erfüllt, weil A nicht mit der Absicht droht und B ihn nicht in der
Absicht unterstützt, den Tankwart in einen länger andauernden, pein-
vollen Angstzustand zu versetzen.

68

Die Angst des Tankwarts sollte ja nur

während des Überfalls andauern.

Ergebnis: A und eventuell auch B sind wegen Rücktritts vom Ver-

SUCHÏSTRAmOS

Fall 9: „Die reuige Rentnerin“

Die Rentnerin R putzt unter der Woche im Pfarrhaus. Da der Pfarrer
die meiste Zeit außer Haus ist, besitzt R einen eigenen Haustürschlüs-
sel. Am Dachboden des Hauses steht seit vielen Jahren eine barocke
(EILIGENlGURÏ7ERTÏUNGEFÇHRÏÏãÏF¿RÏDIEÏSICHÏNIEMANDÏZUÏINTER-
essieren scheint. R nimmt das zum Anlass, die Figur in den Laden des
Antiquitätenhändlers H zu tragen und als Erbstück anzupreisen. Der
Händler zeigt sich interessiert, tut aber so, als sei die Figur nicht viel
wert. Die in Kunstsachen unerfahrene R überlässt sie ihm schließlich
UMÏÏãÏ%INIGEÏ4AGEÏDANACHÏFORDERTÏ2ÏDIEÏ&IGURÏVONÏ(ÏWIEDERÏ
zurück, weil ihr der Heilige im Traum erschienen sei. Der Händler

65

K/H

AT E 6 Rz 29, 44.

66

B/S

BT II § 277 Rz 4.

67

B/S

BT II § 277 Rz 8.

68

B/S

BT I § 107 Rz 6.

V. Venier

background image

141

erfährt dabei auch, dass die Figur der Kirche gehört und R die Figur
zurückgeben möchte. H will die Figur aber nur herausgeben, wenn
2ÏDENÏ+AUFPREISÏZUZ¿GLICHÏEINERÏ%NTSCHÇDIGUNGÏVONÏÏãÏBEZAHLTÏ
sonst müsse er sich an die Polizei wenden. R ist entrüstet und zeigt
H wegen „Erpressung“ an. Die Polizei beschlagnahmt daraufhin die
Figur bei H.

Wie ist das Verhalten der Rentnerin R und des Händlers H strafrecht-
lich zu beurteilen?

Lösung

1. a) R hat durch die Wegnahme der Figur einen Diebstahl (§ 127
StGB)
begangen:

$IEÏ(EILIGENlGURÏISTÏEINEÏFREMDEÏ3ACHEÏWEILÏSIEÏDERÏ+IRCHEÏGEH–RTÏ

Da sie auf dem Dachboden des Pfarrhauses verwahrt wird, behält der
Pfarrer wenigstens Mitgewahrsam an ihr, auch wenn er untertags fast
nie zuhause ist und R über einen eigenen Haustürschlüssel verfügt.

69

§ 133 StGB scheidet schon aus diesem Grund aus. Indem R die Figur
aus dem Pfarrhaus trägt, nimmt sie diese weg. Dabei handelt R in der
Absicht, die Figur zu verkaufen und den Erlös zu behalten, also in der
Absicht, sich den Wert der Figur zuzueignen und sich dadurch unrecht-
mäßig zu bereichern.

Die Tat könnte nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB

QUALIlZIERTÏSEINÏABERÏNURÏ

WENNÏ2ÏSCHONÏBEIÏ7EGNAHMEÏANÏEINENÏ7ERTÏDERÏ3ACHEÏVONÏ¿BERÏÏãÏ
GEDACHTÏHATÏ$AGEGENÏSPRICHTÏDASSÏ2ÏDIEÏ&IGURÏUMÏLÇCHERLICHEÏÏãÏ
hergibt, weil sie keine Ahnung von ihrem eigentlichen Wert hat. Eine
1UALIlKATIONÏNACHϧ 128 Abs 1 Z 2 StGB scheidet gleichfalls aus: Heili-
GENlGURENÏSINDÏDERÏ6EREHRUNGÏuGEWIDMEThÏWENNÏUNDÏSOLANGEÏMANÏSIEÏ
als Gnadenbildnisse verehrt.

70

Auf Dachböden ist eine solche Andacht

nicht üblich.

Der Diebstahl wird durch tätige Reue straffrei, wenn R den Schaden

in Verbindung mit einer Selbstanzeige gutmacht (§ 167 Abs 3 StGB).
Indem R den Händler der „Erpressung“ beschuldigt, muss sie auch auf
ihre Tat zu sprechen kommen, also Selbstanzeige erstatten. Und da die
Polizei die Beute ohne nennenswerte Verzögerung sicherstellen kann,

71

F¿HRTÏDIEÏ3ELBSTANZEIGEÏZURÏ3TRAmOSIGKEITÏDESÏ$IEBSTAHLS

69

B/S

BT I § 127 Rz 12.

70

B/S

BT I § 128 Rz 3.

71

Kienapfel

BT II § 167 Rz 65.

Fall 9: „Die reuige Rentnerin“

background image

142

b) R täuscht den Händler über ihre Verfügungsberechtigung, indem sie
sich als Eigentümerin ausgibt. Möglich ist ein Betrug nach § 146 StGB:

Die Täuschung

ÏVERLEITETÏDENÏ(ÇNDLERÏZURÏ"EZAHLUNGÏVONÏÏãÏALSÏ

Gegenleistung erhält er eine Figur, deren Eigentümerin die Kirche ist. H
kann nicht Eigentümer der Figur werden, weil er die Sache vom Dieb
und nicht vom „Vertrauensmann“ erworben hat (§ 367 ABGB). Die Be-
zahlung des Kaufpreises schädigt ihn wirtschaftlich gesehen aber nur,
WENNÏ DIEÏ &IGURÏ PRAKTISCHÏ UNVERKÇUmICHÏ WÇREÏ ODERÏ WENNÏ ERÏ DIEÏ 3ACHEÏ
dem Eigentümer wahrscheinlich wieder herausgeben oder Ersatz für sie
leisten müsste.

72

Dieses Risiko besteht bei sehr teuren und bekannten

Kunstgegenständen, die entsprechend dokumentiert und versichert sind,
NICHTÏABERÏBEIÏEINERÏMǒIGÏWERTVOLLENÏ(EILIGENlGURÏVONÏDERÏSCHONÏBIS-
her niemand Notiz nahm. Dass die Figur schließlich wegen einer Selbst-
anzeige der Diebin beschlagnahmt wird, damit war bei wirtschaftlicher
Betrachtung nicht zu rechnen. H ist daher nicht geschädigt.

2. a) H wiederum könnte einen Betrug (§ 146 StGB) zum Nachteil der
R begangen haben:

%RÏZAHLTÏIHRÏNURÏÏãÏF¿RÏEINEÏ&IGURÏDIEÏGUTÏUNDÏGERNEÏÏãÏWERTÏ

ist. Für Betrug ist freilich eine Täuschung nötig. Die Behauptung, etwas
sei nicht viel wert, ist noch keine Täuschung. Auf die Angemessenheit
eines Kaufanbots kann man sich nicht verlassen.

73

R wäre getäuscht,

wenn H behauptete, die Sache sei ein billiges Imitat und deshalb nicht
viel wert. Fraglich wäre jedoch die Schädigung der R, die für eine ge-
stohlene Sache objektiv gesehen keinen schlechten Preis erzielt, denn
für einen gestohlenen Kunstgegenstand bekommt der Dieb in der Regel
nur einen Bruchteil des objektiven Wertes. Auch aus diesem Grund ist
Betrug abzulehnen.

b) Denkbar wäre Geldwucher nach § 154 Abs 1 StGB:

H nützt die Unerfahrenheit der R aus, indem er sie dazu bringt, ihm

DIEÏ(EILIGENlGURÏZUÏEINEMÏnÏWIEÏERÏGLAUBTÏnÏUNANGEMESSENÏNIEDRIGENÏ
Preis zu überlassen. Objektiv gesehen ist der Preis jedoch gar nicht so
übel. Für eine gestohlene Sache muss der Dieb den Preis akzeptieren,
der ihm angeboten wird. Für eine gestohlene Sache gibt es keinen im
„anständigen, redlichen Verkehr“ noch üblichen Preis.

74

Ein „auffallendes

Missverhältnis“ zwischen dem Wert der Ware und der Gegenleistung be-
steht nur in der Phantasie des H, dagegen hätte ein informierter Betrach-
ter einen Geldwucher zu keinem Zeitpunkt für möglich gehalten.

75

So ist

72

B/S

BT I § 146 Rz 22.

73

Vgl B/S BT I § 146 Rz 8.

74

B/S

BT I §§ 154–155 Rz 3.

75

Fuchs

AT I 30. Kap Rz 34.

V. Venier

background image

143

der Versuch des H, einen Geldwucher zu begehen, absolut untauglich
(§ 15 Abs 3 StGB).

3. a) H fordert für die Rückgabe eine „Entschädigung“, sonst zeige er
die R an. Darin kann man eine versuchte Erpressung nach §§ 15, 144
StGB
erblicken:

Die „Entschädigung“ steht in keinem Verhältnis zu den möglichen

Aufwendungen des Händlers. Wenn R sich darauf einließe, wäre sie
am Vermögen geschädigt und H unrechtmäßig bereichert. H droht mit
einem Übel iSd § 74 Abs 1 Z 5 StGB, nämlich mit einer Verletzung am
Vermögen oder zumindest an der Ehre: Es droht ihr die Verurteilung zu
einer Geldstrafe, jedenfalls schadet das Strafverfahren ihrem Ansehen.
R muss die Drohung wohl ernst nehmen, auch wenn H sich mit der
Anzeige vielleicht selbst schadet, weil er die Figur entschädigungslos der
Polizei aushändigen muss. H hat den vollen Tatentschluss, dh er will die
R am Vermögen schädigen, ihr mit einem Übel drohen und sich durch
eine übermäßig hohe Entschädigung unrechtmäßig bereichern. Sein Ver-
halten entspricht nicht den guten Sitten (§ 144 Abs 2 StGB).

76

b) Der Händler wäre Hehler nach § 164 Abs 2 StGB nur, wenn er die
zunächst im guten Glauben erworbene Figur bösgläubig einem „Drit-
ten“ verschaffte. Als Vortäterin ist R jedoch keine „Dritte“ im Sinn des
Gesetzes, außerdem macht H die Rückstellung von Bedingungen abhän-
gig, die R nicht erfüllen will. Das bloße Behalten der Figur ist jedenfalls
STRAmOSÏ

Ergebnis: R

ÏISTÏWEGENÏTÇTIGERÏ2EUEÏSTRAmOSÏH dagegen wegen ver-

suchter Erpressung (§§ 15, 144 Abs 1 StGB) strafbar.

Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“

Der begabte junge Maler Tobias kopiert zum Zeitvertreib Werke eines
bekannten Landschaftsmalers und signiert sie mit dessen Namen. Der
Kunsthändler Kuno überredet Tobias, ihm ein Bild zu überlassen,
indem er verspricht, die Kopie als echt auszustellen und, wenn sie
gekauft wird, den Erlös mit Tobias zu teilen.
Der Autohändler Max wollte schon immer ein Gemälde dieses Land-
SCHAFTSMALERSÏ BESITZENÏ SOÏ ERWIRBTÏ ERÏ DASÏ "ILDÏ UMÏ Ï ãÏ +UNOÏ
ZWEIGTÏ VONÏ DEMÏ %RL–SÏ Ï ãÏ F¿RÏ SICHÏ ABÏ DENÏ 2ESTÏ TEILTÏ ERÏ MIT

76

B/S

BT I § 144 Rz 5.

Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“

background image

144

Tobias. Als Tobias das Bild zufällig im Autosalon des Max hängen
sieht, wird er neugierig. Was er denn dafür bezahlt habe, will er
VONÏ-AXÏWISSENÏÏãÏDARUNTERÏSEIÏEINÏ7ERKÏWIEÏDIESESÏNICHTÏZUÏ
haben, brüstet sich Max. Wütend wendet sich Tobias an Kuno und
fordert seinen gerechten Anteil, sonst müsse er Max empfehlen, den
Kaufpreis zurückzufordern. Schließlich gibt sich Tobias mit einer Ab-
SCHLAGSZAHLUNGÏVONÏÏãÏZUFRIEDEN

Haben sich Kuno und Tobias strafbar gemacht, wenn ja, nach wel-
chen Bestimmungen?

Lösung

1. a) Kuno hat durch den Verkauf der Fälschung zum Nachteil des Max
einen Betrug (§ 146 StGB) begangen:

Er täuscht Max, indem er die Kopie als „echt“, dh unter dem Namen

des bekannten Künstlers, anbietet und Max darauf hereinfällt. Der Irrtum
VERANLASSTÏ -AXÏ ZURÏ "EZAHLUNGÏ VONÏ Ï ãÏ %RÏ SCHÇDIGTÏ SICHÏ DADURCHÏ
selbst am Vermögen, weil die Kopie sicher um vieles weniger wert ist.
Kuno handelt mit Betrugsvorsatz: Er täuscht absichtlich, der geringere
Wert der Kopie ist ihm bewusst, so wie ihm klar ist, dass er und Tobias
durch den höheren Preis ungerechtfertigt bereichert werden.

Da Max nur am Original interessiert ist, ist er um den bezahlten Kauf-

preis abzüglich der Summe geschädigt, die bei einem Weiterverkauf der
Kopie zu erzielen wäre.

77

Ï$IEÏ$IFFERENZÏD¿RFTEÏÏãÏJEDENFALLSÏ¿BER-

steigen. Als Kunsthändler dürfte Kuno zudem eine ungefähre Vorstellung
vom Wert der Kopie haben und davon, dass dieser erheblich unter dem
des Originals liegt. So macht sich Kuno auch nach § 147 Abs 2 StGB
strafbar.

Das Bild ist mit einer nachgemachten Signatur versehen, was auf Ur-

kundenbetrug (§ 147 Abs 1 Z 1 1. Fall StGB) schließen lassen könnte.
Die Signatur besagt, dass das Bild vom Unterzeichner stammt. Das könnte
man für eine schriftliche, freilich sehr verkürzte Gedankenerklärung hal-
ten.

78

Allerdings werden Bilder nicht in der Absicht signiert, um ein Recht

oder eine rechtserhebliche Tatsache zu beweisen, sondern um sich zur
künstlerischen Urheberschaft zu bekennen. Auch Gedichte und Liebes-
briefe werden unterschrieben und sind dennoch keine Urkunden.

79

Man

könnte immerhin Beweismittelbetrug (§ 147 Abs 1 Z 1 4. Fall StGB)
erwägen, weil die Signatur den Eindruck vermitteln soll, das Bild wäre

77

B/S

BT I § 146 Rz 26.

78

Vgl B/S BT II § 223 Rz 3.

79

B/S

BT II § 223 Rz 6.

V. Venier

background image

145

das Original.

80

Aber die Signatur beweist gar nichts, insbesondere nicht

die Echtheit des Werkes, weil sich Kopien gerade dadurch auszeichnen,
dass auch die Signatur mitkopiert wird. Ein falsches Beweismittel wäre
etwa die unwahre Expertise, die jemand der Fälschung beilegt („schrift-
liche Lüge“).

81

b) Tobias trägt zum Betrug bei, indem er Kuno die Kopie überlässt.
Dieser Beitrag (§ 12 3. Fall StGB) ist ursächlich für die Täuschung und
Schädigung des Käufers. Tobias lässt sich zu diesem Beitrag überreden,
und so wie Kuno will auch Tobias den potentiellen Käufer über die
Echtheit des Werkes täuschen. Auch Tobias glaubt an einen Schaden des
Käufers, weil der Kunde statt des versprochenen Originals nur eine min-
der wertvolle Kopie erhalten soll. Desgleichen will Tobias für sich und
Kuno einen ungerechtfertigten Gewinn herausschlagen, sich und Kuno
also unrechtmäßig bereichern. Als kunstverständiger Maler wird Tobias
auch eine ungefähre Vorstellung vom Wert des Originals und dem der
Kopie haben. So denkt Tobias wohl schon beim Überlassen der Kopie
DARANÏDERÏ+UNDEÏWERDEÏMEHRÏALSÏÏãÏZUVIELÏBEZAHLENÏ!UCHÏERÏERF¿LLTÏ
DEMNACHÏDIEÏ1UALIlKATIONÏDESÏeÏÏ!BSÏÏ3T'"

2. Kuno

ENTSCHLIE’TÏSICHÏERSTÏNACHÏDEMÏ"ETRUGÏÏãÏABZUZWEIGENÏ

Das könnte eine Veruntreuung (§ 133 StGB) sein, da er diese Sum-
me an sich zur Hälfte abführen müsste. Fraglich ist, ob der Erlös ein
anvertrautes Gut darstellt. Man könnte zweifeln, ob Kuno überhaupt
VERPmICHTETÏISTÏDENÏ%RL–SÏZUÏTEILENÏ%RÏISTÏJEDENFALLSÏNICHTÏVERPmICHTETÏEI-
nen Betrug zu begehen, und wenn er ihn begeht, hat Tobias keinen im
bürgerlichen Recht begründeten Anspruch auf Beteiligung an der Beute.
Die hM lässt den zivilrechtlichen Einwand nicht gelten, sondern stellt
ausschließlich auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise ab.

82

Danach ist

Kuno der Erlös wie bei einem gültigen Kommissionsgeschäft anvertraut;
indem er ihn bei der Aufteilung verheimlicht, eignet er sich ihn zu. Kuno
ist bewusst, dass er sich dadurch unrechtmäßig bereichert. Da er gemäß
DERÏ!BMACHUNGÏÏãÏMEHRÏHERAUSGEBENÏMUSSÏISTÏDIEÏ6ERUNTREUUNGÏ
ZUDEMÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏÏ&ALLÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏ3OÏSCH¿TZTÏDASÏ3TRAF-
recht – leider – auch Gauner vor gegenseitiger Übervorteilung.

83

Kuno könnte durch tätige Reue straffrei werden, aber nur, wenn er

4OBIASÏDIEÏGESAMTENÏÏãÏWENIGSTENSÏANB–TEÏ(§ 167 Abs 2 Z 2 StGB).
$ASÏ!NBOTÏNURÏEINERÏ!BSCHLAGSZAHLUNGÏVONÏÏãÏISTÏZUÏWENIG

80

Vgl B/S BT II § 293 Rz 1.

81

B/S

BT II § 293 Rz 2.

82

K/Schm

BT II § 133 Rz 36.

83

Vgl auch Fall 9 (3. Der viel zu geringe Preis).

Fall 10: „Kunstfälscher und Kunsthändler“

background image

146

3. Tobias droht, den Käufer zu informieren, falls Kuno nicht gerecht teile.
Kuno und Tobias einigen sich daraufhin auf eine Abschlagszahlung von
ÏãÏ4OBIASÏK–NNTEÏDADURCHÏEINEÏNötigung (§ 105 Abs 1 StGB) be-
gangen haben. Tobias droht Kuno mit einem Vermögensschaden, weil der
hereingelegte Käufer den Kaufpreis aller Voraussicht nach auf Heller und
Pfennig zurückverlangen wird. Die Kopie, die Kuno im Gegenzug erhiel-
te, könnte seinen Verlust nicht wettmachen. Vielleicht wird der verärgerte
Käufer Kuno als Betrüger anzeigen, dann drohte ihm womöglich sogar eine
Freiheitsstrafe. In jedem Fall wäre es um seinen guten Ruf als Kunsthändler
geschehen (Verletzung an der Ehre). Tobias drohte zwar auch ein Strafver-
fahren, aber sein Ruf als Künstler litte darunter nicht. Viele große Künstler
haben alte Meister kopiert, um sich einen Namen zu machen. So muss Kuno
wohl annehmen, Tobias würde seine Drohung (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB) wahr
machen. Tobias zwingt Kuno zu einer Handlung, nämlich zur Zahlung von
ÏãÏDAMITÏISTÏDIEÏ.–TIGUNGÏVOLLENDETÏ!BERÏDIEÏ4ATÏISTÏnicht sittenwid-
rig (§ 105 Abs 2 StGB)
, weil Tobias nur seinen „gerechten Anteil“ verlangt.
Auch nach hM hätte Tobias bei wirtschaftlicher Betrachtung Anspruch auf
seinen Anteil.

84

Wegen des fehlenden unrechtmäßigen Bereicherungsvor-

satzes scheidet auch Erpressung (§ 144 Abs 1 StGB) aus.

Ergebnis: Kuno ist nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und – wenigstens

nach hM – auch nach § 133 Abs 2 (1. Fall) StGB zu bestrafen. Tobias
haftet wegen Beitragstäterschaft zum Betrug nach §§ 12 3. Fall, 146, 147
Abs 2 StGB.

Fall 11: „Sommerschlussverkauf“

V ist Verkäuferin in einem Modegeschäft, die Geschäftsinhaberin ist
die meiste Zeit im Hauptgeschäft. Auf Sommermode darf V einen
Nachlass von 30 % gewähren. Ihrer Freundin F verkauft V eine Bluse
zum halben Preis und gibt ihr einen Gürtel gratis dazu, zwei anderen
Kundinnen verkauft sie Hosenanzüge um je 40 % billiger als regulär.
!LSÏSIEÏDIEÏ#HElNÏBEIÏDERÏ4AGESABRECHNUNGÏDARAUFÏANSPRICHTÏRECHT-
fertigt sich V, es handle sich bei F um eine besonders treue Kundin,
und die anderen Kundschaften hätten die Hosenanzüge bei einem
.ACHLASSÏVONÏNURÏÏÏNICHTÏGEKAUFTÏ$IEÏ#HElNÏLÇSSTÏ6ÏWISSENÏDASSÏ
ihr der überhöhte Nachlass vom Lohn abgezogen wird. V hält das für
ungerecht, traut sich aber nicht zu protestieren.

Hat sich die Verkäuferin V strafbar gemacht?

84

Vgl K/Schm BT II § 133 Rz 36.

V. Venier

background image

147

Lösung

1. V könnte das Delikt der Untreue nach § 153 Abs 1 StGB verwirklicht
HABENÏ6ÏDARFÏIMÏ.AMENÏUNDÏAUFÏ2ECHNUNGÏDERÏ#HElNÏ-ODEBEKLEIDUNGÏ
verkaufen. Das ist eine Befugnis (Vollmacht), einen anderen – die Che-
lNÏnÏZUÏVERPmICHTENÏUNDÏ¿BERÏFREMDESÏ6ERM–GENÏZUÏVERF¿GEN

85

V missbraucht diese Befugnis, indem sie ihrer Freundin F die Bluse

zum halben Preis verkauft und einen Gürtel gratis dazugibt, obwohl sie
angewiesen ist, nur 30 % vom Preis nachzulassen, von „gratis“ hat die
#HElNÏGARÏNICHTSÏGESAGTÏ$ERÏ'RATISG¿RTELÏISTÏEINEÏ!RTÏ0REISNACHLASSÏ.ATU-
RALRABATTÏAUCHÏIHNÏGEWÇHRTÏ6ÏIMÏ.AMENÏDERÏ#HElNÏSONSTÏW¿RDEÏESÏSICHÏ
um eine Zueignung im eigenen Namen (Veruntreuung) oder vielleicht
um eine Wegnahme (Diebstahl) handeln.

6Ï KENNTÏ DIEÏ !NWEISUNGÏ DERÏ #HElNÏ SIEÏ HATÏ SIEÏ IGNORIERTÏ UNDÏ DAMITÏ

ihre Befugnis wissentlich missbraucht. Fraglich sind der Schaden und
der Schädigungsvorsatz. V behauptet, sie habe nur die besondere Treue
der Kundin belohnt. So stellt sich die Frage, ob eine Belohnung in die-
sem Umfang noch vertretbar ist.

86

Übliche Treuegeschenke sind bei wirt-

schaftlicher Betrachtung kein Schaden, aber ein fünfzig- statt dreißigpro-
zentiger Preisnachlass und ein Gratisgürtel sind wohl mehr als nur eine
übliche Anerkennung. Vielleicht glaubt V, bei einer besonders treuen
Kundin zahle sich ausnahmsweise auch eine höhere Treueprämie aus,
dann fehlte es ihr am Schädigungsvorsatz. Wahrscheinlicher ist aber, dass
V ihrer Freundin F nur einen Gefallen erweisen wollte. So hat V selbst
nicht an die wirtschaftliche Angemessenheit der Belohnung geglaubt. V
hat daher insoweit § 153 Abs 1 StGB verwirklicht.

Auch der um 10 % überhöhte Nachlass beim Verkauf der beiden Ho-

senanzüge ist ein Befugnismissbrauch, weil er klar gegen die Anwei-
SUNGÏDERÏ#HElNÏVERST–’TÏ)MMERHINÏISTÏ6ÏVIELÏZUR¿CKHALTENDERÏALSÏIMÏ&ALLÏ
der Freundin, und vielleicht ist ihr eigenmächtiges Vorgehen wirtschaft-
lich gerechtfertigt. Es kann ja sein, dass die Hosenanzüge bei einem nur
DREI’IGPROZENTIGENÏ.ACHLASSÏKAUMÏVERKÇUmICHÏSINDÏ"EIÏAUSÏDERÏ-ODEÏ
gekommenen Modellen oder ganz ungewöhnlichen Konfektionsgrößen
wird der Preisnachlass deutlich höher ausfallen müssen. Dann hat die
#HElNÏ DIEÏ 0REISEÏ INÏ 7AHRHEITÏ ZUÏ HOCHÏ ANGESETZTÏ UNDÏ KANNÏ DARUMÏ BEIÏ
wirtschaftlicher Betrachtung nicht geschädigt sein. Wenn V das annimmt,
fehlt es ihr am Schädigungsvorsatz. Möglicherweise hat V insgeheim mit
DEMÏ%INVERSTÇNDNISÏDERÏ#HElNÏGERECHNETÏ!BERÏWARUMÏRUFTÏSIEÏDIEÏ#HE-
lNÏNICHTÏANÏUNDÏFRAGTÏUMÏ%RLAUBNISÏ6ÏGLAUBTÏWOHLÏDOCHÏNICHTÏANÏEINÏ%IN-
VERSTÇNDNISÏDERÏ#HElNÏWASÏDIEÏ7ISSENTLICHKEITÏDESÏ"EFUGNISMISSBRAUCHSÏ
ausschlösse. Unabhängig davon kann der überhöhte Nachlass wirtschaft-

85

B/S

BT I § 153 Rz 1, 4.

86

B/S

BT I § 153 Rz 12.

Fall 11: „Sommerschlussverkauf“

background image

148

lich gerechtfertigt sein oder V das zumindest annehmen. In dem Fall hat
V § 153 Abs 1 StGB nicht verwirklicht.

2.

6ÏLÇSSTÏESÏGESCHEHENÏDASSÏDIEÏ#HElNÏDIEÏ¿BERH–HTENÏ.ACHLÇSSEÏVOMÏ

Lohn abzieht. Zu prüfen ist tätige Reue (§ 167 StGB). Untreue ist ein
reuefähiges Delikt. V macht kein Geheimnis daraus, dass sie der F und
auch den anderen einen überhöhten Nachlass gewährt hat, auch den
'¿RTELÏSCHEINTÏSIEÏNICHTÏZUÏVERSCHWEIGENÏ$IEÏ#HElNÏISTÏALSOÏIMÏ"ILDEÏ
als sie den Schaden mit dem Lohnanspruch der V aufrechnet. Durch die
Aufrechnung wird der Schaden vollständig gutgemacht.

87

V handelt frei-

willig, auch wenn sie ihr Fehlverhalten beschönigt und sich der Aufrech-
nung nur nicht zu widersprechen getraut. Vielleicht ist die Aufrechnung
ja wirklich nur zum Teil berechtigt (s oben).

Ergebnis: V ist wegen tätiger Reue straffrei.

&ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh

Eine kleine Tankstelle wurde im letzten Monat zweimal überfallen,
jedes Mal konnte der als Tankwart beschäftigte T die Täter mit Pfef-
ferspray vertreiben. Das bringt ihn auf eine Idee: Er entnimmt der
+ASSAÏ DIEÏ GESAMTENÏ 4AGESEINNAHMENÏ Ï ãÏ UNDÏ LEGTÏ SIEÏ INÏ DASÏ
Handschuhfach seines Autos. Dann wählt T den Polizeinotruf und
meldet mit erregter Stimme, von zwei Tätern überfallen und um
ÏãÏBERAUBTÏWORDENÏZUÏSEINÏ%INEÏSOFORTÏEINGELEITETEÏ'RO’FAHN-
dung nach den Tätern bleibt ergebnislos. Die Polizei beginnt sich
deshalb für T zu interessieren, sie durchsucht seinen Pkw und wird
rasch fündig.

Wie ist das Verhalten des T strafrechtlich zu beurteilen?

Lösung

1. T begeht eine Veruntreuung nach § 133 Abs 1 StGB:

Dem T sind die Einnahmen aus den Treibstoffverkäufen anvertraut,

denn wie bei kleinen Tankstellen üblich, ist er als Tankwart auf sich al-
lein gestellt, das bedeutet, das eingenommene Bargeld steht in seinem
Alleingewahrsam.

88

Ï !U’ERDEMÏ ISTÏ ERÏ VERPmICHTETÏ DIEÏ %INGÇNGEÏ INÏ DERÏ

87

B/S

BT I § 167 Rz 10.

88

Vgl B/S BT I § 127 Rz 15.

V. Venier

background image

149

Kassa aufzubewahren, um sie an den Betriebsinhaber oder dessen Beauf-
tragten abzuführen.

89

Stattdessen verbirgt T das Geld im Handschuhfach

seines Wagens, was er zweifellos nicht darf und wo man es auch nicht
vermuten würde.

90

Darin liegt eine Zueignung, auch wenn das Bargeld

wenig später durch die Polizei sichergestellt wird. Die Zueignung ist
GEWOLLTÏEBENSOÏDIEÏUNRECHTMǒIGEÏ"EREICHERUNGÏINÏ(–HEÏVONÏÏãÏ
Danach verwirklicht T § 133 Abs 1 und Abs 2 (1. Fall) StGB.

2. T zeigt der Polizei einen Raubüberfall an, die daraufhin eine Groß-
fahndung einleitet. In Frage kommt das Vortäuschen einer mit Strafe
bedrohten Handlung (§ 298 StGB)
:

T täuscht die Polizei wissentlich über das Vorliegen einer Straftat. Die

Polizei ist eine Strafverfolgungsbehörde (§ 151 Abs 3 StGB), der Raub ist
vollständig erfunden, und die Anzeige hat bereits Ermittlungen, ja sogar
eine Großfahndung nach den angeblichen Tätern ausgelöst. Dass die
Polizei nach den Tätern fahnden wird, ist so gut wie sicher; davon geht
auch T aus.

T hat den Raub in der Absicht erfunden, die Veruntreuung zu ver-

tuschen. Die Polizei soll T von Anfang an für das Opfer, nicht für den
Täter halten. Das unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von Fäl-
LENÏ INÏ DENENÏ DERÏ 4ÇTERÏ ERSTÏ ALSÏ "ESCHULDIGTERÏ EINÏ $ELIKTÏ ERlNDETÏ UMÏ
einen schon bestehenden Verdacht zu entkräften. Wenn der Täter das
$ELIKTÏZUÏSEINERÏ6ERTEIDIGUNGÏERlNDETÏHANDELTÏERÏINNERHALBÏDERÏVerteidi-
gungsrechte
.

91

Allerdings ist der Unterschied zwischen den Fällen nicht

allzu groß. Ob der Täter die Polizei von Anfang an oder erst später auf
die falsche Fährte lockt, macht keinen Unterschied. Beide Male soll die
unwahre Behauptung seine Bestrafung verhindern. Dass die Polizei da-
durch zu Ermittlungen veranlasst wird, die sie sonst nicht unternommen
hätte, hält der Rechtsstaat aus.

Die Rsp würde wohl anders entscheiden: Für sie macht es keinen Un-

TERSCHIEDÏ OBÏ DERÏ 4ÇTERÏ DASÏ $ELIKTÏ ERlNDETÏ UMÏ DERÏ EIGENENÏ 3TRAFVERFOL-
gung zu entgehen, oder nur deshalb, weil er die Polizei ärgern möchte.

92

Das leuchtet nicht ein: § 298 StGB soll der Polizei unnötige Ermittlungen
ersparen, aber nicht die Verteidigungsrechte beschneiden.

Ergebnis: T ist strafbar nach § 133 Abs 1 und 2 (1. Fall) StGB.

89

B/S

BT I § 133 Rz 7.

90

Vgl B/S BT I § 133 Rz 11.

91

Hinterhofer

BT II § 298 Rz 10.

92

Vgl L/St StGB § 298 Rz 5a.

&ALLÏÏu$ERÏlNGIERTEÏ2AUBh

background image

150

Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“

Der erheblich alkoholisierte X verschuldet mit seinem Auto einen
Verkehrsunfall, bei dem ein Radfahrer tödlich verletzt wird. X ist völ-
lig verzweifelt. Er überredet seine Beifahrerin und Lebensgefährtin
B, die Schuld auf sich zu nehmen. Als Nichtalkoholisierte werde ihr
schon nicht viel passieren. B ist einverstanden. Bei ihrer Verneh-
mung durch die Polizei gibt sie sich überzeugend als Lenkerin aus
und bekennt, den Unfall verschuldet zu haben. X bestätigt als Zeuge
bei der Vernehmung durch die Polizei die Version der B. Erst in der
Hauptverhandlung kommt die Wahrheit ans Licht.

Wie ist das Verhalten des X und seiner Lebensgefährtin B strafrecht-
lich zu werten?

Lösung

1. X hat den Unfall, wie es im Sachverhalt heißt, „verschuldet“ und da-
durch eine fahrlässige Tötung begangen. Er haftet dafür nach § 80
StGB
, möglicherweise auch nach § 81 Abs 1 Z 2 StGB, dann nämlich,
wenn er sich fahrlässig betrunken hat und dabei das spätere Autofahren
vorhersehen hätte können. Näheres ist dem Sachverhalt nicht zu entneh-
men.

a) X bezichtigt seine Lebensgefährtin B vor der Polizei wissentlich einer
Tat, die sie nicht begangen hat, nämlich einer fahrlässigen Tötung nach
§ 80 StGB. Darin könnte man eine Verleumdung nach § 297 Abs 1 (1.
Strafsatz) StGB

Ï ERBLICKENÏ $IEÏ ANGEDICHTETEÏ 4ATÏ ISTÏ EINÏ /FlZIALDELIKTÏ

die Beschuldigung begründet nicht nur die Gefahr von Ermittlungen,
sondern führt bereits zu Ermittlungen gegen B, nämlich zu ihrer Ver-
nehmung.

93

X sind diese Umstände bewusst, ja er legt es darauf an, dass

nicht er, sondern B verfolgt wird (§ 5 Abs 2 StGB). Die Verfolgung ge-
schieht allerdings mit Einwilligung der B, wodurch das deliktstypische
Unrecht der Verleumdung entfällt.

94

Nach Ansicht der Rsp bleibt die Einwilligung außer Betracht, weil es

bei einem Delikt zum Schutz der Allgemeinheit darauf nicht ankomme.
Diese Ansicht ist heute, auch auf Grund der zunehmenden Bedeutung
der Opferinteressen, nicht mehr aufrecht zu erhalten. In Wahrheit ist die
Allgemeinheit durch § 297 StGB nur zweitrangig geschützt, in erster Linie

93

Vgl B/S BT II § 297 Rz 6.

94

B/S

BT II § 297 Rz 12.

V. Venier

background image

151

geht es um den Schutz des Opfers vor ungerechter Strafverfolgung. Wenn
das Opfer auf einen Schutz verzichtet, indem es in die Verleumdung ein-
willigt, tritt das Interesse des Staates an der Bestrafung der unwahren
Beschuldigung zurück.

95

b) Die Beschuldigung der Lebensgefährtin durch X lässt die Polizei ge-
gen die falsche Person ermitteln. Der Tatbestand des § 298 StGB (Vor-
täuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung)
wäre aber nur er-
füllt, wenn auch die fahrlässige Tötung erfunden wäre.

96

Nach älterer

Rsp genügte auch eine Täuschung über die Person des Täters. Aber diese
Meinung hat die Rsp wieder aufgegeben.

97

Auch Begünstigung scheidet für X aus, weil es sich in seinem Fall nur

UMÏSTRAmOSEÏSelbstbegünstigung handeln kann (§ 299 Abs 2 StGB). Zu
B s unten.

Als Zeuge sagt X bei seiner Vernehmung durch die Polizei absichtlich

falsch aus. Polizisten (Kriminalbeamte) sind aber keine Verwaltungsbe-
hörde im Sinn des § 289 StGB.

98

Aber X macht sich ab 1.1.2008 wegen

falscher Beweisaussage nach § 288 Abs 4 StGB (idF StPRefBeglG I-Entw)
strafbar, wenn er als Zeuge bei einer förmlichen Vernehmung (§ 161
StPO) im Ermittlungsverfahren falsch aussagt.

2. Die Lebensgefährtin B kann als Beschuldigte keine falsche Beweis-
aussage (§ 289 StGB) begehen. Sie beschuldigt keinen anderen, begeht
DAHERÏKEINEÏ6ERLEUMDUNGÏeÏÏ3T'"ÏSIEÏERlNDETÏAUCHÏKEINEÏ4ATÏSÏOBENÏ
1. b), weshalb § 298 StGB ausscheidet; aber sie verzögert die strafrecht-
liche Verfolgung des wahren Täters. Für den letzteren Fall könnte man
Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB erwägen. Dafür reicht es jedoch
nicht aus, dass B jemand anderen durch eine unwahre Verantwortung
entlastet. Unwahre Angaben sind entweder nach den §§ 288, 289, 297
3T'"ÏSTRAFBARÏODERÏSTRAmOS

99

Solange B niemanden wissentlich falsch ver-

dächtigt, kann sie einer unwahren Verantwortung wegen nicht bestraft
werden. Die Rsp lässt für eine Begünstigung alle möglichen unwahren
Angaben genügen, sogar gegenüber Krankenhausärzten, die darum eine
Anzeige unterlassen.

100

Die Aussagedelikte der §§ 288, 289 StGB werden

dadurch unterlaufen.

95

Fuchs

AT I 16. Kap Rz 27.

96

B/S

BT II § 298 Rz 2.

97

L/St

StGB § 298 Rz 3.

98

B/S

BT II §§ 288–289 Rz 2.

99

B/S

BT II § 299 Rz 3.

100

Vgl L/St StGB § 299 Rz 8.

Fall 13: „Mit vertauschten Rollen“

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152

Im Fall der B greift außerdem der Strafausschließungsgrund nach

§ 299 Abs 3 StGB, weil sie in der Absicht handelt, einen Angehörigen
(§ 72 Abs 2 StGB) der Strafverfolgung zu entziehen.

Ergebnis: X ist wegen fahrlässiger Tötung und – ab 1.1.2008 – nach

§ 288 Abs 4 StGB zu bestrafen; B

ÏISTÏSTRAmOS

V. Venier

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B. Fälle zum Prozessrecht

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background image

155

I. FLORA

Fall 1

Frau X meldet am 30. Mai bei der Kriminalpolizei, dass sie ihren
Mann im gemeinsamen Haus erschossen aufgefunden habe. Darauf-
hin wird sie in den folgenden Wochen mehrmals (31. Mai; 12. Juni;
22. Juni; 27. Juni) von der Kriminalpolizei befragt. Am 27. Juni erklärt
ihr der befragende Beamte, dass sie nun auf Grund ihrer bisherigen
widersprüchlichen Angaben der Tat verdächtig sei. Noch im Ermitt-
lungsverfahren stellt sich heraus, dass am 9. Juni für das Handy der
Frau X eine Nachrichtenüberwachung nach § 135 Abs 3 Z 3 lit a StPO
idF StPRefBeglG I-Entw gerichtlich bewilligt und angeordnet wurde.

a) Hat sich die Kriminalpolizei rechtmäßig verhalten?
b) Was kann die Beschuldigte gegen das Vorgehen der Kriminalpoli-
zei tun?

Die Protokolle der Befragungen werden in der Hauptverhandlung
verlesen. Frau X wird wegen Mordes an ihrem Mann verurteilt.

c) Was kann die Beschuldigte nun tun?

Lösung

a) Die Polizei hat sich nicht rechtmäßig verhalten. Eine Nachrichtenü-
berwachung nach § 135 Abs 3 Z 3 lit a StPO idF StPRefBeglG I-Entw ist
zulässig, wenn Frau X als Inhaberin der technischen Einrichtung (Handy)
der Tat dringend verdächtig war. Das heißt, dass Frau X spätestens ab
dem 9. Juni dringend verdächtig war, ihren Mann ermordet zu haben.
Sonst hätte die Nachrichtenüberwachung nicht bewilligt und angeordnet
werden dürfen.

Daher hätte Frau X ab dem 9. Juni als Beschuldigte behandelt wer-

den müssen. Die Kriminalpolizei hätte die Verdächtige sobald als mög-

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156

lich nach § 50 StPO belehren müssen. Vor der Vernehmung muss eine
Belehrung nach § 164 Abs 1 StPO erfolgen.

1

Die Befragungen der Kriminalpolizei am 12. Juni und 22. Juni umge-

hen daher die Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten.
Diese Befragungen sind als unzulässige Erkundigungen anzusehen. Er-
kundigungen, die die Bestimmungen über die Vernehmung eines Be-
schuldigten umgehen, sind nach § 152 Abs 1 StPO nichtig.

b) Gegen das Vorgehen der Polizei kann Frau X Einspruch nach § 106
Abs 1 Z 1 StPO erheben, weil Frau X ihr subjektives Recht auf Belehrung
als Beschuldigte verwehrt wurde.

2

c)

Ï$IEÏ(AUPTVERHANDLUNGÏWEGENÏ-ORDESÏeÏÏ3T'"ÏlNDETÏVORÏDEMÏ'E-

schworenengericht statt (§ 31 Abs 2 Z 1 StPO). Daher kann Frau X durch
ihren Verteidiger Nichtigkeitsbeschwerde erheben:

Zumindest bei den Befragungen vom 12. 6. und vom 22. 6. han-

delt es sich um nichtige Ermittlungsakte (§ 152 Abs 1 StPO). Nichtige
Beweisaufnahmen
aus dem Ermittlungsverfahren sind unverwertbar
und dürfen in die Hauptverhandlung nicht eingeführt werden.

3

Der Verteidiger kann eine Nichtigkeitsbeschwerde nach § 345 Abs 1

Z 3 StPO erheben. Gegen die Verlesung der Protokolle muss er sich in
der Hauptverhandlung allerdings erfolglos ausgesprochen haben.

Fall 2

Nach der Begehung eines Raubmordes wird der Verdächtige X um
17.00 Uhr von der Kriminalpolizei festgenommen. X wird ordnungs-
gemäß über seine Rechte belehrt. Dann wird X bis 04.00 Uhr des
nächsten Tages von der Kriminalpolizei vernommen. Ein Verteidiger
ist bei der Vernehmung nicht anwesend. Um 04.00 Uhr unterschreibt
der Beschuldigte ein Geständnis. Es weist einige Widersprüche und
Unklarheiten auf: Nach dem Geständnis soll das Opfer eine dunkle
Jacke getragen haben, in Wahrheit war es eine helle Jacke. X gibt zu
Protokoll, dass er das blutige Messer in einen Müllcontainer geworfen
habe, dort kann aber kein Messer gefunden werden. In der Haupt-
verhandlung vor dem Geschworenengericht wird das Geständnis

1

B/V

Rz 257.

2

B/V

Rz 210.

3

B/V

Rz 230, 493.

I. Flora

background image

157

trotz Widerspruchs des Verteidigers verlesen und der Beschuldigte
verurteilt.

a) War die Vernehmung gesetzmäßig?
b) Durfte das Geständnis in der Hauptverhandlung verlesen werden?
c) Was kann X gegen das Urteil tun?

Lösung

a) Die Kriminalpolizei hat den Verdächtigen offensichtlich aus eigener
Macht festgenommen (§ 171 Abs 2 StPO). Wäre der Verdächtige auf
Grund einer gerichtlichen Bewilligung festgenommen worden, hätte die
Kriminalpolizei den Beschuldigten ohne unnötigen Aufschub in die Jus-
tizanstalt des zuständigen Gerichts einliefern müssen. Eine Vernehmung
durch die Kriminalpolizei sieht das Gesetz für diesen Fall gar nicht vor.

4

Die Kriminalpolizei hat den Beschuldigten sobald als möglich nach

§ 50 StPO über seine Rechte zu belehren und sie hat den Festgenom-
menen nach § 171 Abs 3 StPO zu belehren, dass er das Recht hat,
eine Vertrauensperson und einen Verteidiger zu verständigen. Wenn X
ordnungsgemäß belehrt wurde, dann muss er nach der Festnahme über
diese Rechte belehrt worden sein und vor der Vernehmung darüber, dass
er der Vernehmung einen Verteidiger beiziehen kann (§ 164 Abs 2
StPO). X hat offensichtlich auf dieses Recht verzichtet. Dann muss bei
der Vernehmung kein Verteidiger anwesend sein.

X ist von der Kriminalpolizei 11 Stunden vernommen worden. Ver-

nehmungen bis zur Erschöpfung – das ist bei einer Vernehmung von
solcher Länge anzunehmen – sind als unzulässige Vernehmungsme-
thode
iSd § 164 Abs 4 StPO anzusehen.

5

Die Vernehmung war daher

nicht gesetzmäßig.

b) Nach § 166 Z 2 StPO ist ein Vernehmungsprotokoll nichtig, wenn
die Aussage durch Vernehmungsmethoden gewonnen wurde, die funda-
mentale Verfahrensgrundsätze verletzen. Ein Verstoß gegen § 164 Abs 4
StPO ist als eine Verletzung fundamentaler Verfahrensgrundsätze zu wer-
ten.

6

Daher ist das Protokoll nichtig und die Verlesung des Geständnisses

in der Hauptverhandlung unzulässig.

c)

Ï $IEÏ (AUPTVERHANDLUNGÏ WEGENÏ -ORDESÏ eÏ Ï 3T'"Ï lNDETÏ VORÏ DEMÏ

Geschworenengericht statt (§ 31 Abs 2 Z 1 StPO). Die Verlesung eines

4

B/V

Rz 355; aM neuerdings 11 Os 127/06w.

5

B/V

Rz 262.

6

B/V

Rz 264.

Fall 2

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158

nichtigen Ermittlungsaktes kann vom Verteidiger mit einer Nichtigkeits-
beschwerde
nach § 345 Abs 1 Z 3 StPO bekämpft werden, da er sich in
der Hauptverhandlung gegen die Verlesung ausgesprochen hat.

Das Geständnis des X weist Unklarheiten und Widersprüche auf. Die

Geschworenen müssen ihren Wahrspruch nicht begründen, aber auf
Grund dieser Angaben im Geständnis hätten sie die Hauptfrage nach
Mord nicht mit „ja“ beantworten dürfen. Das Urteil kann daher nach
§ 345 Abs 1 Z 10a StPO bekämpft werden: Da die Vernehmung 11 Stun-
den gedauert hat und es im Geständnis offensichtliche Widersprüche
gibt, bestehen erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit schulder-
heblicher Feststellungen
.

Der OGH weist Nichtigkeitsbeschwerden nach § 345 Abs 1 Z 10a StPO

oftmals mit der Begründung zurück, dass die Beweiswürdigung im ge-
schworenengerichtlichen Verfahren nicht anfechtbar sei

.

7

Fall 3

Die Kriminalbeamten belehren den Verdächtigen nach der Festnah-
me, dass er eine Vertrauensperson oder einen Anwalt anrufen dürfe.
Die Beamten lassen ihn über das Telefon mit einem ihm befreun-
deten Rechtsanwalt reden, der Anwalt verspricht, er werde in einer
halben Stunde da sein. Der Verdächtige gibt das an die Beamten
weiter. „Wir können nicht so lange warten“, sagen die Beamten und
beginnen mit ihren Fragen. Der Verdächtige antwortet widerwillig.
Als der Rechtsanwalt eintrifft und mit dem Verdächtigen sprechen
will, sagen ihm die Beamten, das sei nicht möglich, das Verhör habe
schon begonnen. Der Rechtsanwalt will bei der Vernehmung dabei
sein; die Beamten lehnen ab, der Verdächtige habe so etwas nicht
verlangt.

a) Haben sich die Kriminalbeamten richtig verhalten?
b) Was kann der Rechtsanwalt tun?
c) Ist die Aussage, die der Verdächtige bei dieser Vernehmung ablegt,
in der Hauptverhandlung verwertbar?

Lösung

a) Die Kriminalpolizei hat den Verdächtigen offensichtlich aus eigener
Macht festgenommen (§ 171 Abs 2 StPO).

8

Die Kriminalbeamten haben

7

Vgl B/V Rz 564.

8

S dazu Fall 2 a).

I. Flora

background image

159

sich insofern richtig verhalten, dass sie den Verdächtigen nach der Fest-
nahme darüber belehrt haben, dass er einen Anwalt anrufen könne
(§ 171 Abs 3 Z 1 StPO).

Der Rechtsanwalt sagt zu, in einer halben Stunde bei der Vernehmung

zu sein. Die Beamten wollen aber nicht so lange warten. Wie lange die
Kriminalpolizei die Vernehmung aufschieben muss, damit der Beschul-
digte einen Verteidiger beiziehen kann, ist im Gesetz nicht ausdrücklich
geregelt. Da der Beschuldigte nach § 49 Z 4 StPO das Recht hat, sich vor
der Vernehmung mit seinem Verteidiger zu besprechen, und er dieses
Recht auch ausüben will, ist eine Wartezeit von einer halben Stunde zu-
mutbar, auch wenn die Beamten den Verdächtigen nach der Festnahme
unverzüglich (§ 172 Abs 2 StPO) vernehmen müssen.

Der Rechtsanwalt will bei der Vernehmung anwesend sein. Die Kri-

minalpolizei verweigert ihm dies zu Unrecht. Es kommt nicht darauf
an, ob der Verdächtige die Anwesenheit des Verteidigers bei der Ver-
nehmung fordert. Der Verteidiger hat nach § 57 Abs 1 StPO das Recht,
alle erforderlichen Verteidigungsmittel zu ergreifen. Auf die Zustimmung
des Beschuldigten kommt es dabei nicht an, solange er dem Verteidiger
nicht widerspricht.

9

Der Verteidiger darf von der Vernehmung des Be-

schuldigten nur ausgeschlossen werden, wenn eine Gefahr für die lau-
fenden Ermittlungen bestünde oder Beweismittel beeinträchtigt werden
könnten (§ 164 Abs 2 StPO). Dafür gibt es aber im Sachverhalt keinerlei
Hinweise.

b) Der Verteidiger kann einen Einspruch wegen Rechtsverletzung
nach § 106 Abs 1 Z 1 StPO beim Staatsanwalt einbringen. Der Beschul-
digte ist in seinem prozessualen Recht auf Beiziehung eines Verteidigers
verletzt worden.

10

c) Dass bei der Vernehmung zu Unrecht kein Verteidiger anwesend war,
macht die Aussage des Beschuldigten nicht nichtig. Ob die Aussage des
Verdächtigen in der Hauptverhandlung verlesen werden darf, hängt da-
von ab, ob der Verdächtige von den Kriminalbeamten vor der Verneh-
mung nach § 164 Abs 1 StPO über sein Recht, die Aussage zu verweigern,
belehrt worden ist. Ohne diese Belehrung war die Vernehmung eine
unerlaubte Erkundigung. Das Protokoll über eine solche Erkundigung
wäre nichtig (§ 152 Abs 1 StPO) und darf in der Hauptverhandlung nicht
verlesen werden.

9

B/V

Rz 141.

10

B/V

Rz 210.

Fall 3

background image

160

Fall 4

S ist wegen Suchtmittelhandels vorbestraft und wird seit längerer
Zeit von der Polizei beschattet. S trifft sich in einem Café mit dem
Mexikaner X. Dabei werden sie von der Kriminalpolizei beobachtet.
Daraufhin vermutet die Polizei, dass X Mitglied eines Drogenrings
ist. Als X in sein Auto steigt um wegzufahren, wird er von der Polizei
festgenommen.
Nach Einlieferung in die Justizanstalt wird X vom Richter vernommen.
Der Richter fragt dazu bei der Kriminalpolizei nach, was gegen X nun
eigentlich vorliege. Ein Polizeibeamter antwortet, X sei mit hoher Wahr-
scheinlichkeit Mitglied eines Drogenrings. Der schriftliche Bericht wer-
de gerade geschrieben und der Richter werde den Akt am folgenden
Tag erhalten. Nachdem X schon dreißig Stunden in Haft ist, will der
Richter nicht mehr so lange warten. Er verhängt die Untersuchungs-
haft: X sei nach Auskunft der Polizei des Verbrechens nach § 278a StGB
dringend verdächtig, er sei Ausländer und es sei zu befürchten, dass er
ÏWEGENÏDERÏ(–HEÏDERÏZUÏERWARTENDENÏ3TRAFEÏINSÏ!USLANDÏm¿CHTENÏWERDEÏ

a) Haben sich Kriminalpolizei und Richter rechtmäßig verhalten?
b) Was kann der Beschuldigte gegen die Verhängung der Untersu-
chungshaft tun?

Lösung

a) Die Kriminalpolizei hat X offensichtlich aus eigener Macht festgenom-
men (§ 171 Abs 2 StPO). Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob die
Kriminalpolizei den Beschuldigten belehrt oder zum Tatverdacht und
den Haftgründen vernommen hat (§ 172 Abs 2 StPO). Es geht aus dem
Sachverhalt auch nicht hervor, ob die Kriminalpolizei den Staatsanwalt
verständigt hat und dieser einen Antrag auf Verhängung der Untersu-
chungshaft
gestellt hat (§ 173 Abs 1 StPO). Ohne Antrag des Staatsan-
walts darf der Richter die Untersuchungshaft nicht verhängen.

Der Richter darf die Untersuchungshaft nur verhängen, wenn gegen den

Beschuldigten ein dringender Tatverdacht (§ 173 Abs 1 StPO) vorliegt.
X müsste sehr wahrscheinlich der Täter sein und wahrscheinlich als Täter
überführt werden können.

11

Ein dringender Tatverdacht auf Mitgliedschaft

in einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) liegt hier aber nicht vor. Der
Richter kennt den Akt gar nicht, er verlässt sich nur auf die Behauptungen
der Kriminalpolizei. Daraus kann ein dringender Tatverdacht nicht abge-
leitet werden. Tatverdacht und Haftgründe müssen sich zweifelsfrei aus

11

B/V

Rz 361.

I. Flora

background image

161

dem vorgelegten Akt ergeben (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO). Der Richter muss
bei seiner Entscheidung den ganzen Akt zur Verfügung haben.

12

Auch Fluchtgefahr kann so nicht angenommen werden. Der Rich-

ter hätte X fragen müssen, ob er einen Wohnsitz, Familie oder Arbeit
in Österreich hat. § 278a StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren
bedroht. Bei solchen Delikten ist Fluchtgefahr nicht anzunehmen, wenn
der Beschuldigte einen Wohnsitz in Österreich hat und in geordneten
Lebensverhältnissen lebt, solange er nicht Vorkehrungen zur Flucht ge-
troffen oder die Flucht versucht hat (§ 173 Abs 3 StPO).

b) Der Beschuldigte bzw sein Verteidiger kann sich gegen die Verhän-
gung der Untersuchungshaft beim OLG beschweren (§ 87 Abs 1, § 174
Abs 4 StPO). Er kann in seiner Beschwerde vorbringen, dass auf Grund
der fehlenden Beweise weder der dringende Tatverdacht noch die Flucht-
gefahr angenommen werden können. Ist die Untersuchungshaft ohne
Antrag des Staatsanwalts verhängt worden, kann die Unzulässigkeit der
Untersuchungshaft auch auf diesen Verfahrensmangel gestützt werden.

Wird die Beschwerde gegen die Verhängung der Untersuchungs-

haft vom OLG abgewiesen, kann der Verteidiger des Beschuldigten eine
Grundrechtsbeschwerde beim OGH einbringen (§ 1 GRBG). Er kann
vorbringen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Haft fehlen,
weil dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr nicht vorliegen (§ 2 Abs 1
GRBG). Ist die Untersuchungshaft ohne Antrag des Staatsanwalts ver-
hängt worden, dann hat das Gericht das Gesetz sonst unrichtig ange-
wendet (§ 2 Abs 1 GRBG), weil es gegen wesentliche Verfahrensvor-
schriften verstoßen hat.

13

Fall 5

Gegen den vorbestraften X wird ein Ermittlungsverfahren wegen
Einbruchsdiebstahls (§§ 127, 129 Z 1 StGB) geführt. X soll in ein
Computergeschäft im Wohnhaus seiner Eltern eingebrochen sein und
10 Laptops gestohlen haben. Eine Durchsuchung der Wohnung von
X und der Wohnung seiner Eltern bleibt ohne Erfolg. Verwertbare
DNA-Spuren vom Tatort gibt es nicht. Der Zeuge, der den Einbruch
BEOBACHTETÏHATÏKANNÏ8ÏBEIÏDERÏ'EGEN¿BERSTELLUNGÏNICHTÏIDENTIlZIE-
ren. Er gibt an, der Täter sei größer als X gewesen.

a) Was hat der Staatsanwalt nun zu tun?
b) Was kann X tun, wenn der Staatsanwalt untätig bleibt?

12

B/V

Rz 368.

13

B/V

Rz 385.

Fall 5

background image

162

Lösung

a) Laut Sachverhalt sind alle möglichen Beweise aufgenommen worden,
und die Aussage des Zeugen trägt zur Entlastung des Beschuldigten bei.
Daher besteht kein Grund mehr, den X weiter zu verfolgen (§ 190 Z 2
StPO). Die bisherigen Ermittlungen und die aufgenommenen Beweise
reichen offensichtlich nicht aus, den Beschuldigten X für den Täter zu
halten. Da keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist eine
Intensivierung des Tatverdachtes gegen X nicht zu erwarten.

14

Der

Staatsanwalt muss das Verfahren gegen X daher nach § 190 Z 2 StPO
einstellen.

b) Wenn der Staatsanwalt das Verfahren gegen X nicht einstellt, kann X
einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 108 Abs 1 Z 2
StPO stellen. Der Antrag ist beim Staatsanwalt einzubringen. Da X ein
Einbruchsdiebstahl – ein Verbrechen (§ 17 Abs 1 StGB) – zur Last gelegt
wird, kann der Antrag auf Einstellung frühestens sechs Monate nach Be-
ginn des Ermittlungsverfahrens eingebracht werden (§ 108 Abs 2 StPO).

Fall 6

Y wird für die Hauptverhandlung gegen X als Zeuge geladen. X wird
vorgeworfen, auf der Bundesstraße nach einem Überholmanöver so
abrupt abgebremst zu haben, dass er damit den dahinter fahrenden Y
zu einer Vollbremsung genötigt (§ 105 StGB) habe. Der Tag der Haupt-
verhandlung kommt Y ungelegen. Für diesen Zeitraum hat er einen
Urlaub in Mallorca gebucht. So ruft er den für die Hauptverhandlung
zuständigen Einzelrichter an, dass er an diesem Termin nicht kommen
KANNÏ%INÏ0ROTOKOLLÏ¿BERÏEINEÏPOLIZEILICHEÏ6ERNEHMUNGÏDESÏ8ÏBElNDETÏ
sich nicht im Akt. Daraufhin vernimmt ihn der Einzelrichter schon vor
der Hauptverhandlung und verliest das von ihm verfasste Protokoll
in der Hauptverhandlung. So braucht Y zur Hauptverhandlung nicht
zu kommen. X wird wegen Nötigung verurteilt.

a) War die Verlesung des Protokolls zulässig?
b) Was kann X gegen das Urteil tun?

Lösung

a) Die Verlesung des Vernehmungsprotokolls des Zeugen Y in der Haupt-
verhandlung war nicht zulässig. Da eine Entscheidung in der Sache ohne

14

B/V

Rz 392.

I. Flora

background image

163

Vernehmung des Zeugen nicht denkbar ist, hätte der Einzelrichter die
Verhandlung schon vor Beginn nach § 226 Abs 1 Z 4 StPO idF StPRef-
BeglG I-Entw vertagen (verlegen) müssen (vgl auch § 242 Abs 2 StPO).

Der Einzelrichter hat den Zeugen vor der Hauptverhandlung vernom-

men. In der Hauptverhandlung gilt der Grundsatz der Unmittelbar-
keit
. Zeugen sollen in der Hauptverhandlung ihre Aussage ablegen, da-
mit sich das Gericht ein Bild vom Zeugen machen kann und damit der
Beschuldigte Fragen an den Zeugen stellen kann.

15

Ausnahmen von

DIESEMÏ 'RUNDSATZÏ lNDENÏ SICHÏ INÏ eÏ Ï 3T0/Ï $IEÏ Verlesung von Ver-
nehmungsprotokollen von Zeugen oder Mitbeschuldigten, die vor der
Hauptverhandlung aufgenommen wurden, ist in der Hauptverhandlung
nur unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 StPO zulässig. Die-
se Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Nach § 252 Abs 1 Z 1
StPO könnte das Protokoll über die Zeugenvernehmung verlesen wer-
den, wenn das Gericht den Zeugen nicht in absehbarer Zeit vernehmen
könnte. Dafür genügt es aber nicht, dass der Zeuge sich im Urlaub be-
lNDET

16

Die Parteien haben der Verlesung auch nicht nach § 252 Abs 1

Z 4 StPO zugestimmt. Die Verlesung ist daher nach § 252 Abs 1 StPO
nichtig.

b) Für das Hauptverfahren wegen Nötigung ist das Landesgericht als Ein-
zelrichter zuständig (§ 31 Abs 4 Z 2 StPO). Dem X steht daher das Rechts-
mittel der „vollen Berufung“ offen.

17

Da die Verlesung des Protokolls in

der Hauptverhandlung unzulässig war, kann X Nichtigkeitsberufung
nach § 489 Abs 1, § 281 Abs 1 Z 3 StPO erheben, weil der Einzelrichter
in der Hauptverhandlung eine nichtige Beweisaufnahme (Verlesung)
durchgeführt hat.

18

X kann auch Nichtigkeitsberufung nach § 489 Abs 1, § 281 Abs 1 Z 10

StPO wegen unrichtiger Rechtsanwendung erheben. Das Urteil geht
offensichtlich davon aus, dass X durch das abrupte Abbremsen den Y
mit Gewalt zum Anhalten genötigt hat. Doch das abrupte Abbremsen ist
nicht unter den Gewaltbegriff zu subsumieren. (Versuchte) Gewalt ist nur
anzunehmen, wenn der Täter auch den Vorsatz hat, auf den Körper des
Opfers einzuwirken. Bei einem Autofahrer, der den Hintermann durch
abruptes Abbremsen zum Anhalten zwingt, ist nicht davon auszugehen,
dass er wirklich einen Auffahrunfall und damit eine Einwirkung auf den
Körper des Opfers bewirken wollte.

19

X könnte allenfalls wegen Gefähr-

15

B/V

Rz 58.

16

EvBl 1996/5; B/V Rz 449.

17

B/V

Rz 591.

18

B/V

Rz 493.

19

B/S

BT I § 105 Rz 7.

Fall 6

background image

164

dung der körperlichen Sicherheit von Y (§ 89 StGB) verurteilt werden,
wenn ein Auffahrunfall nur mit Glück vermieden werden konnte.

20

Die hM sieht eine Vollbremsung ohne Anlass, die den Hintermann

zum Abbremsen zwingt, immer als Gewalt an.

21

20

B/S

BT I § 89 Rz 1.

21

ZVR 1999/93; K/Schr BT I § 105 Rz 19.

I. Flora

background image

165

II. MURSCHETZ

Fall 1

Während einer Scheidung zeigt die Frau ihren Mann an, er habe die
gemeinsame Tochter, ein Mädchen von 13 Jahren, missbraucht. Bei
einer Vernehmung durch eine Kriminalbeamtin belastet das Mädchen
DENÏ6ATERÏ$IEÏ&RAUÏBIETETÏDEMÏ-ANNÏANÏF¿RÏÏãÏWERDEÏSIEÏVERSU-
chen, die Tochter zu bewegen, künftig die Aussage zu verweigern.
In der Hauptverhandlung bestreitet der Mann den Missbrauch. Die
Aussage des Mädchens wird verlesen, denn ein Psychiater bestätigt,
eine weitere Vernehmung werde dem Mädchen ernsthaft schaden.
Der Mann beantragt die Vernehmung der Frau als Zeugin zum Be-
weis dafür, dass sie ihm für Geld angeboten habe, das Kind zur
Verweigerung der Aussage zu bewegen. Der Vorsitzende weist den
Antrag ab, weil Kindesmissbrauch trotz solcher Angebote strafbar sei.
Der Mann wird auf Grund der Aussage der Tochter verurteilt.

Haben sich Kriminalpolizei und Gericht richtig verhalten?
Was kann der Verteidiger tun?

Lösung

a) Zunächst ist die sachliche und funktionelle Zuständigkeit zu klären.
Da die Tochter 13 Jahre alt ist, wird der Missbrauch entweder nach § 206
StGB oder nach § 207 StGB verfolgt. In beiden Fällen ist das Schöffen-
gericht zuständig. Hinsichtlich des § 206 StGB nach § 31 Abs 3 Z 1 StPO
wegen des 5 Jahre übersteigenden Strafrahmens, hinsichtlich des § 207
StGB auf Grund der ausdrücklichen Sonderzuständigkeit nach § 31 Abs
3 Z 4 StPO.

b) Kriminalpolizei und Gericht haben sich nicht richtig verhalten: Vor
der Hauptverhandlung fand nur eine Vernehmung der Tochter statt und
diese wurde von einer Kriminalbeamtin in Abwesenheit der Parteien

background image

166

durchgeführt. Da das Mädchen das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat und es durch die Tat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein
könnte, wäre eine kontradiktorische Vernehmung durch das Gericht
nach § 165 Abs 4 StPO zwingend vorgeschrieben. Die Befragung hätte
diesfalls nach § 165 Abs 3 StPO von einem Sachverständigen (Kin-
derpsychologen)
durchgeführt werden können. Da dies aber nicht ge-
schah und in der Hauptverhandlung nur die Aussage der Tochter vor der
Polizei verlesen wird, kann der Vater sein Fragerecht nicht ausüben.

Die Verlesung der Aussage der Tochter ist nicht zulässig, da keiner

der in § 252 Abs 1 StPO genannten Verlesungsgründe vorliegt. Unter
§ 252 Abs 1 Z 1 StPO ist der vorliegende Fall nicht zu subsumieren, da
das Fernbleiben der Tochter ein von den Ermittlungsbehörden selbst
geschaffenes Hindernis darstellt. Es kann also nicht argumentiert wer-
den, dass ihre Anwesenheit aus erheblichen Gründen füglich nicht be-
werkstelligt werden konnte. Hätte sich die Kriminalpolizei gesetzmäßig
verhalten und eine kontradiktorische Vernehmung veranlasst, wäre die
Tochter nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Aussage in der Hauptver-
handlung befreit und eine Verlesung gem § 252 Abs 1 Z 2a StPO zulässig
gewesen.

1

Nach der Rsp hingegen könnte das Fernbleiben der Tochter

unter § 252 Abs 1 Z 1 StPO subsumiert werden. Diesfalls wäre die Verle-
sung ihrer Aussage daher zulässig.

2

Da keiner der Verlesungsgründe des § 252 Abs 1 StPO vorliegt, stellt

die Verlesung der Aussage der Tochter vor der Kriminalpolizei eine Ver-
letzung der Verlesungsbestimmungen dar, die nach § 252 Abs 1 StPO mit
Nichtigkeit bedroht ist.

c) Der Vater beantragt die Einvernahme der Frau zum Beweis dafür, dass
sie ihm für Geld angeboten hat, die Tochter zur Aussageverweigerung
zu bewegen. Er hat damit einen Beweisantrag gem § 55 StPO gestellt,
dem die Einvernahme der Frau als Beweismittel zugrunde liegt. Gem
§ 55 Abs 1 StPO hat der Beweisantrag ein Beweisthema zu enthalten
sowie eine Begründung, außer diese ist bereits offensichtlich. Die Grün-
de, aus denen ein Beweisantrag abgelehnt werden darf, sind in § 55
Abs 2 StPO taxativ aufgezählt. Das Gericht ist der Meinung, dass der
Beweisantrag ohne Bedeutung ist, da der Kindesmissbrauch trotz dieses
Angebotes strafbar sei. Das ist richtig, doch wurde der Beweisantrag
gestellt, um etwas anderes zu beweisen. Das Beweisthema wurde zwar
nicht besonders deutlich formuliert, doch ist offensichtlich, dass damit
die Unglaubwürdigkeit der Tochter bewiesen werden soll. Da die Frau
ihre Tochter gegen Geld zur Aussageverweigerung bringen würde, ist

1

B/V

Rz 450.

2

14 Os 143/99.

II. Murschetz

background image

167

davon auszugehen, dass auch die Beschuldigungen der Tochter auf der
"EEINmUSSUNGÏ DURCHÏ DIEÏ -UTTERÏ BASIERENÏ $AHERÏ ISTÏ DERÏ "EWEISANTRAGÏ
eindeutig geeignet, erhebliche Tatsachen zu beweisen, weshalb keiner
der Ablehnungsgründe des § 55 Abs 2 StPO vorliegt.

d) Da das Verfahren vor dem Schöffengericht stattfand, wird der Vertei-
diger eine Nichtigkeitsbeschwerde erheben. Geltend zu machen ist der
Nichtigkeitsgrund gem § 281 Abs 1 Z 3 StPO, da die Verlesung der Aussa-
ge der Tochter vor der Kriminalpolizei eine mit Nichtigkeit bedrohte Ver-
letzung der Verlesungsbestimmungen gem § 252 Abs 1 StPO darstellt.

e) Außerdem wurde der Antrag auf Einvernahme der Frau in der Haupt-
verhandlung zu Unrecht abgelehnt.

3

Durch die Ablehnung dieses An-

trages wurden Grundsätze des Verfahrens verletzt, die die Verteidigung
sichern, da der Beweisantrag auf Grund seiner Erheblichkeit nicht hätte
abgelehnt werden dürfen (§ 55 StPO). Zudem wurde gegen das in Art 6
Abs 3 lit d EMRK verbriefte faire Verfahren verstoßen, da der Beschul-
digte in der Folge auf Grund einer einzigen belastenden Aussage verur-
teilt wurde, hinsichtlich derer er sein Fragerecht nicht ausüben konnte.
Der Verteidiger kann daher den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 4
StPO geltend machen. Nach der Rsp des OGH hingegen können mit die-
sem Nichtigkeitsgrund nur Zwischenerkenntnisse des Senates angefoch-
ten werden. Da nur eine Zurückweisung durch den Vorsitzenden, nicht
aber eine Ablehnung durch den Senat vorlag, hätte der Verteidiger mit
einem weiteren Antrag eine Beschlussfassung des Schöffensenates begeh-
ren müssen.

4

f) Das Urteil stützt sich ausschließlich auf die Aussage der Tochter, die der
Beschuldigte selbst zur Sache nie befragen konnte, weitere bestätigende
oder untermauernde Beweise liegen nicht vor. Darin ist ein Verstoß ge-
gen Art 6 Abs 3 lit d 1. und 2. Satz EMRK zu erblicken, der auch ohne
gesonderten Nichtigkeitsgrund bekämpfbar wäre. Diesfalls stützt sich der
Nichtigkeitsgrund auf besondere gesetzliche bzw verfassungsrechtliche
Vorschriften, die § 281 StPO in der Einleitung in Abs 1 nennt.

5

3

B/V

Rz 495.

4

ÖJZ EvBl 1997/206.

5

B/V

Rz 515.

Fall 1

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168

Fall 2

A ist verdächtig, in alkoholisiertem Zustand auf einer Landstraße ei-
nen Autounfall verursacht zu haben. 2 Personen wurden verletzt.

Variante 1: Die Polizisten verlangen einen Bluttest, doch A will sich
dies nicht gefallen lassen. So bringen die Polizisten den A zum Amts-
arzt, der dem sich heftig wehrenden A schließlich Blut abnimmt.

Variante 2: Der Sachverhalt entspricht Variante 1, doch liegt diesfalls
eine Anordnung des StA vor.

Variante 3: A ist bewusstlos und wird in ein Krankenhaus einge-
liefert. Im Zuge der ärztlichen Untersuchungen wird ihm Blut abge-
nommen.

In allen Varianten wird ein Blutalkoholwert von mehr als 0,8 Promille
festgestellt und dieses Ergebnis der Blutabnahme in die Akten aufge-
NOMMENÏUNDÏBEIÏDERÏ5RTEILSlNDUNGÏBER¿CKSICHTIGT

Haben sich Polizei und Gericht richtig verhalten?

Lösung

Variante 1: Die Blutabnahme stellt eine körperliche Untersuchung nach
§ 117 Z 4 StPO dar, deren Anordnungsvoraussetzungen in § 123 StPO ver-
ankert sind: Es ist eine Anordnung des StA auf Grund einer gerichtlichen
Bewilligung notwendig. Bei Gefahr im Verzug kann die staatsanwaltliche
Anordnung genügen; die gerichtliche Bewilligung ist diesfalls aber un-
verzüglich einzuholen (§ 123 Abs 3 StPO).

Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen: Es liegt weder eine

Anordnung des StA noch eine Bewilligung des Gerichts vor, weshalb das
eigenmächtige Handeln der Exekutive unzulässig ist. Die Verwertung
des Ergebnisses der Blutabnahme ist nach § 123 Abs 6 Z 2 StPO nicht
zulässig, da es auf einer nicht rechtmäßig angeordneten körperlichen
Untersuchung beruht.

Variante 2: Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob Gefahr im Verzug
vorliegt. Ist dies der Fall, genügt nach § 123 Abs 3 StPO die Anordnung des
StA, eine gerichtliche Bewilligung ist aber unverzüglich einzuholen. Wird
diese nicht erteilt, so ist das Ergebnis der Blutabnahme zu vernichten.

Wurde eine gerichtliche Bewilligung eingeholt, so ist zu prüfen, ob

die zwangsweise Durchsetzung der Blutabnahme erlaubt war. Eingrif-

II. Murschetz

background image

169

fe, die keine Gesundheitsschädigung von mehr als 3 Tagen bewirken
können, sind grundsätzlich zulässig, benötigen aber die ausdrückliche
Zustimmung des Betroffenen. Die Blutabnahme jedoch wird von § 123
Abs 4 dritter Satz StPO als Bagatelleingriff gewertet und kann daher laut
Gesetz in bestimmten Fällen auch ohne Einwilligung des Betroffenen
durchgeführt werden. Einer dieser Fälle, § 123 Abs 4 Z 1 StPO, ist hier
gegeben, da A verdächtig ist, einen Unfall mit Verletzungsfolgen in alko-
holisiertem Zustand begangen zu haben.

Zudem kann die Polizei nach § 93 Abs 2 StPO im Fall der Weigerung

Zwang ausüben, um ein Verhalten, zu dem der Betroffene gesetzlich
VERPmICHTETÏ ISTÏ DURCHZUSETZENÏ $ASÏ BEDEUTETÏ DASSÏ DASÏ 'ESETZÏ HIERÏ DIEÏ
zwangsweise Blutabnahme erlaubt; ein Ergebnis, das sich mit dem als
Verfahrensgrundsatz in § 7 Abs 2 StPO einfachgesetzlich sowie in Art 6
EMRK und Art 90 Abs 2 B-VG verfassungsrechtlich verankerten Selbst-
belastungsverbot kaum vereinbaren lässt. Denn demnach darf der Be-
schuldigte nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Gerade dies
bewirkt aber die zwangsweise Abnahme von Blut, das als Beweismittel
gegen den Beschuldigten dient.

6

Variante 3: A wird bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Dort er-
folgt im Zuge der ärztlichen Untersuchungen eine Blutabnahme. Diese
körperliche Untersuchung wurde nicht aus strafprozessualen Gründen
durchgeführt, sondern erfolgte nach § 123 Abs 7 StPO aus anderen Grün-
den. Diesfalls ist die Verwertung des Ergebnisses der Blutabnahme im
Strafverfahren zum Nachweis einer Straftat zulässig, derentwegen die
Blutabnahme hätte angeordnet werden dürfen. Die Anordnung wäre
zulässig gewesen, da die Alkoholisierung für die Aufklärung der Kör-
perverletzung bzw für die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit von
maßgeblicher Bedeutung ist. Auch die Voraussetzung des § 123 Abs 4 Z
1 StPO, der die Blutabnahme ohne Einwilligung des Betroffenen erlaubt,
liegt vor. Wiederum ist eine Vereinbarkeit mit dem Selbstbelastungsver-
bot zu bezweifeln.

7

Fall 3

A ist eines schweren Betruges (§§ 146, 147 Abs 3 StGB) angeklagt. In
der Hauptverhandlung werden die von Staatsanwalt und Verteidiger
beantragten Beweisaufnahmen durchgeführt. Ohne dass der gesamte
Akt verlesen wird, fragt der Vorsitzende, ob er „verlesen wird der ge

6

B/V

Rz 41 und 319, Seiler StPO Rz 354.

7

S VfSlg 11.923/1988.

Fall 3

background image

170

samte Akt“ protokollieren dürfe. Staatsanwalt und Verteidiger nicken.
Der Angeklagte wird verurteilt. – Im Hauptverhandlungsprotokoll
steht am Schluss: „Die Parteien stellen keine weiteren Beweisanträ-
ge, mit Einverständnis der Parteien wird der gesamte Akt verlesen“.
Die Gründe des Urteils berufen sich für den Schädigungsvorsatz des
A auf eine Zeugenaussage, die zwar im Akt enthalten ist, über die in
der Hauptverhandlung aber nicht gesprochen wurde.

War das Verfahren in Ordnung?
Was kann der Verteidiger tun, wenn es nicht in Ordnung war?

Lösung

a) In der Hauptverhandlung erfolgte eine unrichtige Protokollierung, da
der gesamte Akt – insb die für den Schädigungsvorsatz relevante Zeu-
genaussage des C – gerade nicht verlesen wurde. Der Verteidiger muss
innerhalb von 4 Wochen einen Protokollberichtigungsantrag nach § 271
Abs 7 StPO stellen, sodass nicht der gesamte Akt als verlesen gilt, son-
dern nur die Passagen, die tatsächlich in der Hauptverhandlung vorka-
men. Das Nicken des Verteidigers ist nicht relevant, da nach § 252 Abs
2a StPO für die Gültigkeit des Verzichtes auf die Verlesung zumindest
die wesentlichen Inhalte des Aktes mündlich hätten referiert werden
müssen.

b) Da in der Hauptverhandlung weder eine Verlesung stattfand noch die
wesentlichen Inhalte referiert wurden, verletzte der Richter den in § 12
StPO verankerten Mündlichkeitsgrundsatz.

c) Für das Hauptverfahren wegen des schweren Betruges nach § 147
Abs 3 StGB ist gem § 31 Abs 3 Z 1 StPO das Schöffengericht zustän-
dig. Der Verteidiger wird eine Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 StPO
erheben. Hier liegt der Nichtigkeitsgrund nicht in der Verletzung einer
bestimmten Ziffer des § 281 Abs 1 StPO begründet, sondern in der Verlet-
zung von in der Einleitung des § 281 Abs 1 StPO genannten besonderen
gesetzlichen Bestimmungen. Es handelt sich um einen Verstoß gegen
den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in der Hauptverhandlung (Art 6
Abs 1 EMRK, § 258 Abs 1 StPO).

8

Nach der Rsp läge hier ein Begründungsmangel nach § 281 Abs 1 Z 5

2. Fall StPO vor, da sich die Feststellungen zum Schädigungsvorsatz auf
ein in der HV nicht vorgekommenes Beweismaterial stützen.

9

8

B/V

Rz 515 u 517.

9

S die Nachweise bei B/V Rz 517.

II. Murschetz

background image

171

Fall 4

A wird anklagegemäß wegen Raubes verurteilt. Das Gericht stützt
seine Entscheidung auf einen Zeugen, der das Auto des A am Tatort
gesehen hat. Die Aussage der Zeugin F, dass A zur Tatzeit bei ihr war,
erwähnt das Urteil nicht.

a) A möchte aus diesem Grund ein Rechtsmittel erheben. Welches
Rechtsmittel wird A erheben und warum?
b) A beantragt auch einen weiteren Zeugen, der seine Unschuld be-
stätigen soll. Kann das Rechtsmittelgericht diesen Zeugen hören?

X wird anklagegemäß wegen § 127 StGB verurteilt, wobei das Ge-
richt seine Entscheidung vor allem auf die Aussage des Opfers stützt.
Der entlastenden Aussage der Gattin des X schenkt das Gericht kei-
nen Glauben.

c) X möchte aus diesem Grund ein Rechtsmittel erheben. Welches
Rechtsmittel wird X erheben und warum?
d) X beantragt auch einen weiteren Zeugen, der seine Unschuld be-
stätigen soll. Kann das Rechtsmittelgericht diesen Zeugen hören?

Lösung

a) Für das Hauptverfahren wegen Raubes ist das Landesgericht als Schöf-
fengericht zuständig (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO). Der Beschuldigte wird das
Urteil daher mit Nichtigkeitsbeschwerde gem § 281 StPO bekämpfen.

Als Nichtigkeitsgrund wird er einen Begründungsmangel gem § 281

Abs 1 Z 5 2. Fall StPO geltend machen, da das Gericht ein Beweisergeb-
nis, die Aussage der Zeugin F, die ihm ein Alibi verschafft, übergangen
hat.

b) Der OGH als Rechtsmittelgericht kann den neuen Zeugen nicht hö-
ren, da mit der Nichtigkeitsbeschwerde keine neuen Beweisanträge ge-
stellt werden dürfen; es gilt das Neuerungsverbot.

10

c) Für das Hauptverfahren wegen Diebstahls ist das Bezirksgericht gem
§ 30 Abs 1 StPO zuständig. Der Beschuldigte kann das Urteil mit der
vollen Berufung bekämpfen.

Hier wird er eine Schuldberufung nach § 464 Z 2 1. Fall StPO erheben,

da er seine Schuld bestreitet und einen neuen Zeugen beantragt.

10

B/V

Rz 495.

Fall 4

background image

172

d) Der 3-Richter-Senat des Landesgerichts als Rechtsmittelgericht (§ 31
Abs 5 Z 1 StPO) kann den neuen Zeugen hören, da das Neuerungsverbot
nicht gilt: Der Berufungswerber hat nach § 467 Abs 1 StPO das Recht,
mit der Schuldberufung neue Tatsachen vorzubringen oder wie im vor-
liegenden Fall neue Beweisanträge zu stellen.

Fall 5

Der Tischlereibetrieb des B in Salzburg brannte über Nacht vollstän-
dig nieder, das Feuer wurde gelegt. B, hoch verschuldet und gut
feuerversichert, verstrickt sich bei der Befragung durch die Krimi-
nalpolizei in Widersprüche. Die ermittelnden Beamten gehen davon
aus, dass B den Brand selbst gelegt hat. Der Vernehmungsbeamte
erklärt ihn daraufhin für verhaftet. B begehrt, mit seinem Anwalt
zu sprechen, aber der Beamte lehnt wegen „bestehender Verdunke-
lungsgefahr“ ab. Weiters meint B: „Ich kann das doch nicht gewesen
sein, ich war die letzten 4 Tage bei meiner Freundin C in Tirol, die
das auch bestätigen kann.“ Die Polizei hält C für uninteressant, da sie
die Freundin des Verdächtigen ist, und unternimmt nichts.

Hat sich die Kriminalpolizei richtig verhalten?

Lösung

a) Zunächst ist die Verhaftung des B gesetzwidrig, da sie nicht rechtmä-
ßig angeordnet wurde. Denn eine Verhaftung aus eigener Macht (ohne
gerichtliche Bewilligung) setzt voraus, dass der Täter entweder auf fri-
scher Tat betreten wurde (§ 171 Abs 2 Z 1 StPO) oder ein Haftgrund so-
wie Gefahr im Verzug vorliegt (§ 171 Abs 2 Z 2 StPO). Die Betretung auf
frischer Tat scheidet laut Sachverhalt aus. Gefahr im Verzug ist ebenso
wenig gegeben, da die Verhaftung während bzw nach der Befragung des
A stattfand und genug Zeit gewesen wäre, mit StA und Gericht Kontakt
aufzunehmen.

Zudem liegt kein Haftgrund nach § 170 Abs 2 StPO vor. Die Tatsa-

che, dass sich der Beschuldigte in Widersprüche verstrickt, stellt keine
Verdunkelung und damit keinen Haftgrund dar, sondern legt nur den
Verdacht der Tatbegehung nahe. Ein Tatverdacht alleine ist wiederum
kein Haftgrund.

b) Zudem ist aus dem Sachverhalt nicht erkennbar, ob B von der Kri-
minalpolizei vor der Vernehmung belehrt wurde. Sobald die Polizei den

II. Murschetz

background image

173

Verdacht hatte, dass B der Täter sein könnte, und ihn (weiter) befragt,
erlangt er den Status eines Beschuldigten mit den damit verbundenen
Rechten. Diese können nur ausgeübt werden, wenn sie dem Beschul-
digten zur Kenntnis gebracht werden. Er ist daher nach § 50 Abs 1 StPO
so bald wie möglich zu belehren. Die Belehrung darf nur unterbleiben,
wenn der Zweck der Ermittlungen ansonsten gefährdet würde. Dieser
Aufschub ist aber nicht unbegrenzt möglich: Die Vernehmung stellt nach
§ 151 Z 2 StPO ausdrücklich eine Befragung nach Belehrung über die
Rechte dar, weshalb die Belehrung rechtzeitig vor der Vernehmung statt-
ZUlNDENÏHATÏ$IESÏGEBIETETÏAUCHÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/ÏDERÏBESAGTÏDASSÏDIEÏ
Vernehmungsbestimmungen bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Erkun-
digungen umgangen werden dürfen. Wurde B nicht über seine Rechte
belehrt, liegt eine Umgehung der Vernehmungsbestimmungen vor und
seine Aussage wäre nichtig.

c) Die Kriminalpolizei hat sich auch insofern rechtswidrig verhalten, als
sie das Gespräch mit dem Anwalt nicht hätte verweigern dürfen. Zunächst
besteht gem § 49 Z 4 und Z 5 StPO das Recht des Beschuldigten, sich
mit dem Verteidiger zu besprechen und diesen der Vernehmung beizu-
ziehen. Dem festgenommenen Beschuldigten ist der Kontakt mit einem
Verteidiger gem § 59 StPO zu ermöglichen. Dieser Kontakt kann unter
keinen Umständen untersagt werden. Erlaubt ist nach § 59 Abs 1 StPO
vor Einlieferung in die Justizanstalt nur die Überwachung des Kontakts
sowie dessen Beschränkung auf eine allgemeine Rechtsauskunft. Auch
wenn der Beschuldigte wegen Verdunkelungsgefahr angehalten wird,
wie es die Polizei im vorliegenden Fall fälschlich anzunehmen scheint,
kann der Kontakt nicht verboten, sondern nur die Überwachung der Ge-
spräche angeordnet werden, und dies nur, wenn auf Grund besonderer,
schwer wiegender Umstände die Beeinträchtigung von Beweismitteln zu
befürchten ist. All dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.

d) Die Aussage des B, dass er bei seiner Freundin war und diese dies
bestätigen könne, ist ein Beweisantrag nach § 55 Abs 1 StPO. Beweismit-
tel ist die Freundin, Beweisthema das Alibi des A. Eine Begründung ist
nicht notwendig, da offensichtlich ist, warum die Zeugin etwas zum Be-
weisthema aussagen kann. Auf die Wortwahl des Beschuldigten bzw die
ausdrückliche Formulierung als Beweisantrag kann es nicht ankommen.
Er drückt mit seiner Aussage unmissverständlich aus, dass es eine Zeu-
gin gibt, die zu dem Beweisthema aussagen kann und dass diese gehört
werden soll.

11

Nach der Rsp hingegen hat der Beschuldigte wahrschein-

lich mangels Gebrauches bestimmter Worte keinen Beweisantrag gestellt.

11

B/V

Rz 128.

Fall 5

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174

Er hätte „…die Vernehmung der Zeugin C zum Beweis dafür, dass

beantragen müssen.

12

Über diesen Beweisantrag hätte die Kriminalpolizei gem § 55 Abs 4

StPO entscheiden müssen. Sie hätte ihn entweder aufnehmen oder ihn
mit einem Anlassbericht der StA vorlegen müssen. Diese wiederum hat
die Beweisaufnahme zu veranlassen oder den Beschuldigten darüber zu
informieren, warum sie nicht durchgeführt wird. Gegen diese abschlä-
gige Entscheidung steht dem Beschuldigten der Einspruch nach § 106
Abs 1 Z 1 StPO zu.

Fall 6

"ÏERSTATTETÏ!NZEIGEÏDASSÏSEINÏNEUESÏ3KATEBOARDÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏ
gestohlen worden sei; in Wahrheit hat er es verkauft. Von der Versi-
cherung bekommt er den angeblichen Schaden ersetzt. Das Gericht
verurteilt ihn wegen Betruges nach § 146 StGB; eine Verurteilung
nach § 298 StGB wegen Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten
Handlung erfolgt nicht.

a) Hätte B auch wegen § 298 StGB verurteilt werden können, wenn
die Anklage darauf nicht gerichtet war?
b) Wenn die Anklage nicht darauf gerichtet war: Was kann der An-
kläger gegen das Urteil unternehmen, um auch eine Verurteilung
nach § 298 StGB zu erwirken?

Lösung

a) Eine Verurteilung nach § 298 StGB wäre nur möglich gewesen, wenn
der StA die Anklage in der Hauptverhandlung nach § 263 Abs 1 StPO auf
dieses Delikt ausgedehnt hätte.

13

Ohne Ausdehnung wäre eine Verurtei-

lung wegen § 298 StGB nicht zulässig gewesen, da es sich nicht um eine
idente Tat handelt.

14

Zwar stehen die beiden Taten in einem engen Zu-

sammenhang, doch beruhen sie auf zwei selbständigen Tathandlungen.
Zudem wurden verschiedene Rechtsgüter verletzt.

15

Der Betrug dient

dem Schutz des Vermögens, während § 298 StGB der Schutz der Rechts-
PmEGEÏZUGRUNDEÏLIEGT

12

Vgl B/V Rz 128.

13

Wenn, wie diesfalls, die Tat schon vorher bekannt war, müsste einem Vertagungs-

antrag des Beschuldigten stattgegeben werden, um sein Recht auf ausreichende Vorberei-
tungszeit zu wahren.

14

Zur Anklageausdehnung s B/V Rz 464 ff.

15

B/V

Rz 460 f.

II. Murschetz

background image

175

b) War die Anklage nicht auf § 298 StGB gerichtet und hat der StA in
der Hauptverhandlung keinen Ausdehnungsantrag gestellt, so hat er sich
bezüglich dieses Faktums verschwiegen. Er kann nach der Urteilsfällung
(dh auch im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens) dagegen nichts mehr
unternehmen.

16

Der Verurteilte kann wegen dieser Tat nicht mehr ver-

folgt werden, es gilt das Doppelverfolgungsverbot (ne bis in idem).

Eine Wiederaufnahme nach § 355 StPO kommt im vorliegenden Fall

wohl nicht in Frage, da die Strafbarkeit bereits geklärt ist und neue Be-
weise daher kaum relevant wären.

Fall 7

Der StA hat vor dem Schöffengericht Anklage erhoben. In der Haupt-
verhandlung stellt das Schöffengericht fest, dass

a) es örtlich nicht zuständig ist;
b) statt des Raubes eine Nötigung vorliegt;
CÏDERÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ3T'"ÏQUALIlZIERTÏIST

1. Was kann oder muss das Gericht in den verschiedenen Varianten
unternehmen?
2. Was kann der Beschuldigte unternehmen, wenn er in Variante c)
vom Schöffengericht wegen des schweren Raubes verurteilt wird?

Lösung

1.a) Ab Rechtswirksamkeit der Anklageschrift kann die örtliche Unzu-
ständigkeit im schöffengerichtlichen Verfahren (wie auch im geschwore-
nengerichtlichen Verfahren) nicht mehr berücksichtigt werden: perpetu-
atio fori (§ 213 Abs 5 StPO).

17

1.b) Liegt statt eines Raubes eine Nötigung vor, so wäre auf Grund der
ausdrücklichen Bestimmung des § 31 Abs 1 Z 2 StPO der Einzelrichter
zuständig. Wiederum ist eine Berücksichtigung der Unzuständigkeit ab
Rechtswirksamkeit der Anklage aber nicht möglich, denn ein Unzustän-
digkeitsurteil darf nur gefällt werden, wenn für die Sache ein Gericht
höherer Ordnung zuständig wäre.

18

Dh das Schöffengericht hat diesfalls

16

B/V

Rz 467, Seiler StPO Rz 615; SSt 2003/61.

17

Seiler

StPO Rz 123.

18

B/V

Rz 473, Seiler StPO Rz 120.

Fall 7

background image

176

wegen des Delikts der Nötigung zu verhandeln und gegebenenfalls zu
verurteilen.

1.c) Liegt statt eines Raubes ein schwerer Raub nach § 143 StGB vor, so
besteht gem § 31 Abs 2 Z 1 StPO Zuständigkeit des Geschworenenge-
richts. Das Schöffengericht hat als unzuständiges Gericht niederer Ord-
nung ein Unzuständigkeitsurteil nach § 261 Abs 1 StPO zu fällen. Der
StA hat diesfalls entweder das Ermittlungsverfahren fortzuführen oder
die Anordnung der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht zu
beantragen (§ 261 Abs 2 StPO idF StPRefBeglG I-Entw).

2.c) Verurteilt das Schöffengericht den Beschuldigten wegen des
schweren Raubes, so kommt für den Beschuldigten das Rechtmittel der
Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 StPO in Frage. Es besteht je-
doch kein ausdrücklicher Nichtigkeitsgrund, wenn das Schöffengericht
irrtümlich nicht erkennt, dass das Geschworenengericht zuständig wäre.
§ 281 Abs 1 Z 6 StPO enthält einen Nichtigkeitsgrund, wenn das Ge-
richt zu Unrecht ein Unzuständigkeitsurteil gefällt hat. Die gesonderte
Geltendmachung des Urteils eines unzuständigen Gerichts fehlt jedoch.
Da der Beschuldigte diesfalls aber in seinem verfassungsgesetzlich ge-
währleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt wurde, muss
der genannte Nichtigkeitsgrund analog auch auf diese Fälle angewandt
werden können.

Denkbar wäre auch, die Entscheidung des sachlich unzuständigen

Gerichts mit dem Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO zu be-
kämpfen, da die Richterbank nicht gehörig besetzt war. Zur Geltendma-
chung dieses Nichtigkeitsgrundes muss der Fehler aber bereits in der
Hauptverhandlung gerügt worden sein.

Nach der Rsp ist ausschließlich eine Geltendmachung mit Nichtigkeits-

beschwerde nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO möglich. Dies setzt voraus, dass in
der Hauptverhandlung ein Antrag auf Fällung eines Unzuständigkeits-
urteils gestellt wurde.

19

19

EvBl 1998/201.

II. Murschetz

background image

177

III. SCHEIL

Fall 1

/ÏEHEMALIGERÏ/BMANNÏEINESÏ0ROlSPORTVEREINSÏISTÏWEGENÏWISSENT-
licher Hinterziehung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen (§ 33
!BSÏÏLITÏBÏ&IN3TR'ÏINÏ(–HEÏVONÏÏ-ILLIONENÏãÏVORÏDEMÏ3CH–FFEN-
gericht angeklagt. Von den nicht versteuerten Löhnen („Schwarzlöh-
ne“), die vom Vereinskassier auf Konten der Sportler in Liechtenstein
überwiesen worden sind, hat er nichts „gewusst“, sagt er, und fordert
einen Freispruch.
„Stimmt nicht!“, sagt der wegen sonstigen Tatbeitrags mitangeklagte
Vereinskassier, O habe sehr wohl von den „Schwarzlöhnen“ gewusst.
Das könne N bezeugen, sein Nachfolger als Vereinsobmann. Beim
Obmannwechsel habe O den N in die Praxis der „Schwarzlöhne“
eingeweiht und N habe diese Praxis dann fortgesetzt. Deswegen ist
gegen N bereits ein Finanzstrafverfahren eingeleitet, allerdings vor
dem Finanzamt als Finanzstrafbehörde (Verwaltungsbehörde): Er soll
INÏSEINERÏ:EITÏALSÏ/BMANNÏ!BGABENÏINÏ(–HEÏVONÏÏãÏVERK¿RZTÏ
HABENÏERSTÏBEIÏ(INTERZIEHUNGÏVONÏMEHRÏALSÏÏãÏWÇREÏDASÏ3TRAF-
gericht zuständig. Auch N bestreitet, von den Schwarzlöhnen „ge-
wusst“ zu haben.
Um nun zu klären, ob O von den „Schwarzlöhnen“ gewusst hat oder
nicht, ob er schuldig- oder freizusprechen ist, wird N als Zeuge zur
Hauptverhandlung gegen O geladen. Dort weigert er sich, über das
Gespräch beim Obmannwechsel aussagen. Er müsste zugeben, dass
die „Schwarzlöhne“ erörtert worden sind und dass O und auch er
davon gewusst haben. Auf Grund dieser Zeugenaussage vor Gericht,
die das Finanzamt im Finanzstrafverfahren zum Beweis der Verwirk-
lichung der subjektiven Tatseite seiner Abgabenhinterziehung ge-
gen ihn verwerten dürfte und würde, könnte N mit Geldstrafe bis
ÏãÏ DASÏ :WEIFACHEÏ DESÏ STRAFBESTIMMENDENÏ 7ERTBETRAGSÏ VONÏ
ÏãÏAUSÏSPEZIALPRÇVENTIVENÏ'R¿NDENÏZUSÇTZLICHÏSOGARÏMITÏ&REI-
heitsstrafe bis zu drei Monaten bestraft werden.

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178

a) Muss N über das Gespräch mit O anlässlich des Obmannwechsels
aussagen?
b) Wenn ja, wie dürfte N zur Aussage gezwungen werden?
CÏ)NÏWELCHESÏ'RUNDRECHTÏDESÏ.ÏWIRDÏDURCHÏDIEÏ0mICHTÏZURÏ:EUGEN-
aussage eingegriffen?

Lösung

a) Zeugen müssen richtig und vollständig aussagen (§ 154 Abs 2 StPO).
+EINEÏ0mICHTÏZURÏ!USSAGEÏBESTEHTÏNEBENÏDEMÏ6ERNEHMUNGSVERBOTÏeÏÏ
3T0/Ï WENNÏ DERÏ :EUGEÏ VONÏ DERÏ 0mICHTÏ ZURÏ !USSAGEÏ BEFREITÏ ISTÏ eÏ Ï
StPO) oder ihm ein Aussageverweigerungsrecht (§ 157 StPO) zukommt.

Das Aussageverweigerungsrecht nach § 157 Abs 1 Z 1 StPO steht N

nicht zu, weil das gegen ihn eingeleitete kein gerichtliches (2. Fall), son-
dern ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren ist.

1

N muss sich durch

seine Aussage nicht der Gefahr „strafgerichtlicher Verfolgung“ aussetzen,
WEILÏSEINEÏ!BGABENHINTERZIEHUNGÏWEGENÏDESÏUMÏÏãÏZUÏNIEDRIGENÏ
(strafbestimmenden Wert-) Betrags nicht in die Zuständigkeit des Straf-
gerichts fällt (§ 53 Abs 1 lit b FinStrG).

Die StPO sieht neben dem eben genannten Recht, die gesamte Aus-

sage zu verweigern, auch das Recht vor, einzelne Fragen nicht beant-
worten zu müssen
.

N könnte dieses Recht beanspruchen, das einer Person zusteht, die

sich durch die Aussage der Gefahr der „Schande“ aussetzt (§ 158 Abs 1
Z 1 1. Fall StPO). Diese Gefahr besteht, wenn dem Zeugen der Vorwurf
eines ins Gewicht fallenden unsittlichen oder unehrenhaften Verhaltens
gemacht, wenn seine Wertschätzung in sittlicher Hinsicht in der Öffent-
lichkeit herabgesetzt werden könnte.

2

Auf ein verwaltungsbehördlich

strafbares Finanzvergehen, wenn es nicht gerade von einem Organ der
Finanzverwaltung begangen wird, trifft das nicht zu, selbst gerichtlich
strafbare Finanzvergehen gelten in Österreich weithin als „Kavaliersde-
likte“.

Das Recht auf Verweigerung der Antwort auf einige Fragen steht auch

der Person zu, der die Aussage einen „unmittelbaren und bedeutenden
vermögensrechtlichen Nachteil“ bringt (§ 158 Abs 1 Z 1 2. Fall StPO).

Die Geldstrafe wegen einer Verwaltungsübertretung ist ein solcher

Nachteil und sie steht auch „unmittelbar“ bevor, das Finanzstrafverfahren
gegen N ist schon eingeleitet, seine Aussage vor Gericht wird verwertet
und er wird bald bestraft werden. Ob die Geldstrafe ein „bedeutender“

1

Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Bezeichnung meint die StPO nur ein gerichtliches

und nicht auch ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren.

2

SSt 48/25.

III. Scheil

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179

Vermögensnachteil ist, eine „auf längere Zeit wirksame nachhaltige Be-
einträchtigung der wirtschaftlichen Gesamtsituation“,

3

hängt nicht vom

Strafrahmen ab, sondern von der konkret drohenden Geldstrafe:

4

N hat,

WENNÏERÏ%RSTTÇTERÏISTÏMITÏEINERÏ'ELDSTRAFEÏVONÏRUNDÏÏãÏZUÏRECHNEN

5

Und das hängt von seinem Einkommen ab. Eine Geldstrafe in Höhe von
zwei Netto-Monats-Einkommen sieht der OGH noch nicht als „bedeuten-
den“ Nachteil an.

6

Da ich nicht weiß, wie hoch das Einkommen von N ist,

nehme ich eine Sachverhaltsergänzung vor und gehe davon aus

, dass N

EINÏ.ETTO-ONATS%INKOMMENÏVONÏÏãÏHATÏDANNÏWIRDÏSEINÏ%INKOM-
men sieben Monate lang durch die Geldstrafe vollständig aufgebraucht,
das ist ein „bedeutender“ Nachteil. N darf daher die Beantwortung einer
Frage nach den „Schwarzlöhnen“ grundsätzlich verweigern.

Trotz Verweigerung der Aussage muss der Zeuge zur Aussage ver-

PmICHTETÏ WERDENÏ WENNÏ SIEÏ uwegen der besonderen Bedeutung für
den Gegenstand des Verfahrens unerlässlich ist
“ (§ 158 Abs 2 StPO).
$AZUÏ MUSSÏ DASÏ 'ERICHTÏ DASÏ )NTERESSEÏ ANÏ DERÏ 7AHRHEITSlNDUNGÏ INÏ DERÏ
konkreten Strafsache gegen das Interesse des Zeugen an der Vermei-
dung der vermögensrechtlichen Nachteile abwägen. Das Gericht wird
und muss auf der Aussage des N bestehen zur Aufklärung der schwer-
WIEGENDENÏ &INANZSTRAFTATÏ !BGABENVERK¿RZUNGÏ Ï -ILLIONENÏ ãÏ WEILÏ
außer dem Angeklagten nur N über das für den Schuld- oder Freispruch
entscheidende „Wissen“ des O Auskunft geben kann.

b) Wenn sich der Zeuge (in der Hauptverhandlung) unberechtigt weigert
AUSZUSAGENÏKANNÏERÏDURCHÏ"EUGEGELDSTRAFEÏBISÏÏãÏUNDÏBEIÏWEI-
terer Weigerung, „in wichtigen Fällen“ durch Beugehaft bis sechs Wochen
zur Aussage gezwungen werden (§ 93 Abs 4 StPO). Diese Beugemittel
dürfen aber nur unter der Maßgabe des § 5 StPO angewendet werden,
sie müssen also in einem „angemessenen Verhältnis zum Gewicht der
Straftat“ und „zum angestrebten Erfolg“ stehen (§ 93 StPO).

7

Eine Beu-

gegeldstrafe, selbst in voller Höhe, würde diese Bedingungen erfüllen,
ist die Aussage doch unerlässlich zur Aufklärung der schwerwiegenden
Finanzstraftat. Beugehaft gegen N zu verhängen, wäre freilich unver-
hältnismäßig, weil O, wenn überhaupt, wie bei Finanzstraftaten üblich,
nur eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe erwartet: Den Zeugen der
Freiheit zu berauben, um den Angeklagten zu überführen, der selbst

3

SSt 48/63.

4

SSt 48/63.

5

Finanzstrafbehörden verhängen bei (vorsätzlicher) Abgabenhinterziehung erfahrungs-

gemäß über einen Ersttäter eine Geldstrafe in Höhe von rund 40 Prozent des Verkürzungs-
betrags (= strafbestimmender Wertbetrag).

6

SSt 48/63.

7

B/V

Rz 186.

Fall 1

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180

bei Verurteilung mit keinem Verlust der Freiheit zu rechnen hat, würde
das im Hinblick auf das angestrebte legitime Ziel erforderliche Ausmaß
übersteigen.

c)

Ï3CHONÏWEGENÏDERÏ!USSAGEPmICHTÏALSÏ:EUGEÏUNDÏGANZÏKRASSÏIMÏ&ALLEÏ

der Verhängung einer Beugegeldstrafe, ist N dazu gezwungen, sich selbst
zu beschuldigen. Damit wird in sein Grundrecht eingegriffen, schweigen
zu dürfen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen („nemo-tene-
tur-Grundsatz“)
. Dieses Recht ist in Art 6 EMRK

8

nicht ausdrücklich

erwähnt, der EGMR zählt es aber zum Kernbereich des Rechts auf ein
„faires Verfahren“, das auch für das verwaltungsbehördliche Finanzstraf-
verfahren uneingeschränkt gilt. Der VfGH verlangt seit 1985 Beweis-
verwertungsverbote, damit solche Grundrechte nicht „illusorisch“ und
„unwirksam“ sind.

9

Darauf wartet auch N bis heute vergeblich.

Fall 2

E steht im dringenden Verdacht, einen Einbruchsdiebstahl begangen
zu haben. Deshalb ordnet der Richter im Ermittlungsverfahren die
Überwachung seines Telefons an. Bei der Überwachung wird auch
ein Gespräch zwischen E und seiner Freundin F aufgezeichnet, bei
dem sie ihm sagt, dass sie gerade einen „Joint“ (Haschischzigarette)
rauche.
Dieses auf Tonband festgehaltene Gespräch lässt der Staatsanwalt
schriftlich aufzeichnen; die Aufzeichnung wird in der Hauptverhand-
lung gegen F verlesen und im Urteil verwertet. F wird wegen Be-
sitzes eines Suchtgifts (§ 27 Abs 1 SMG) verurteilt.

a) Darf das Gericht das Schriftstück über den Inhalt des Gesprächs als
Beweismittel gegen F verwenden?
b) Wenn nein, welches Rechtsmittel stünde F zu?
c) Was macht der Staatsanwalt falsch?
d) In welches Grundrecht der F wird eingegriffen?

Lösung

a) Zuständig für das Verfahren gegen F ist das Bezirksgericht (§ 30 Abs
1 StPO), weil § 27 Abs 1 SMG eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten
androht.

8

Der VfGH leitet dieses Grundrecht (auch) aus dem Anklageprozess (Art 90 Abs 2 B-

VG) ab.

9

VfSlg 10.291/1984.

III. Scheil

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181

Das Bezirksgericht darf die schriftliche Aufzeichnung über das

Rauchen der Haschischzigarette in der Hauptverhandlung nicht verle-
sen
und auch nicht für das Urteil verwerten. Das Ergebnis der „Über-
wachung von Nachrichten“ (§ 135 Abs 3 StPO) darf als Beweismittel in
einem anderen gerichtlichen Verfahren, hier im Verfahren gegen F, nur
verwertet werden, wenn die Ermittlungsmaßnahme auch zum Nachweis
dieses Delikts hätte bewilligt werden dürfen (§ 140 Abs 1 Z 4 StPO).
Das Abhören und Aufzeichnen des Inhalts eines Telefongesprächs, die
Nachrichtenüberwachung (§ 134 Z 3 StPO), ohne Zustimmung des An-
schlussinhabers wäre nur zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen
Straftat zulässig, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr be-
droht ist (§ 135 Abs 3 Z 3 StPO). § 27 Abs 1 SMG droht keine so schwere
Freiheitsstrafe an.

b) Das Urteil des Bezirksgerichts ist mit Berufung wegen Nichtigkeit
anzufechten, weil das Bezirksgericht eine Vorschrift verletzt, deren Be-
achtung bei sonstiger Nichtigkeit vorgeschrieben ist (§ 468 Abs 1 Z 3
StPO iVm § 140 Abs 1 Z 4 StPO).

c) Der Staatsanwalt verhält sich falsch. Er darf nur diejenigen Ergebnisse
schriftlich übertragen lassen, die auch als Beweismittel verwendet wer-
den dürfen (§ 138 Abs 4 StPO). Dies ist, wie oben unter a) dargelegt,
nicht der Fall. Er muss dieses unverwertbare Beweisergebnis von
Amts wegen vernichten (§ 139 Abs 4 StPO).

d) Eingegriffen wird in das Grundrecht auf Achtung des Fernmel-
degeheimnisses
bzw Kommunikationsgeheimnisses (Art 10a StGG,
Art 8 EMRK), das die Vertraulichkeit der nicht zur Kenntnisnahme durch
Dritte bestimmten Telekommunikation schützt.

Fall 3

E, einundzwanzigeinhalbjähriger Innsbrucker, nimmt seinen Freund
F, ebenfalls aus Innsbruck, mit dem Auto mit nach Graz. Dort wech-
selt er unvorsichtig die Fahrspur, muss abrupt bremsen, um einen
Zusammenstoß mit einem anderen Auto zu vermeiden, F stößt mit
dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und erleidet eine Platzwun-
de an der Stirn, die nach vier Tagen verheilt. In dem Auto, mit dem er
beinahe zusammengestoßen wäre, sitzen Polizisten in Zivil. Sie hal-
ten E an, entdecken dabei die frische Platzwunde seines Freundes,
nehmen E und F mit auf die Polizeiinspektion, vernehmen E, der

Fall 3

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182

nichts beschönigt, und auch F, nachdem er im Krankenhaus unter-
SUCHTÏUNDÏMEDIZINISCHÏMITÏEINEMÏ0mASTERÏVERSORGTÏWORDENÏWARÏUNDÏ
erstatten einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft, dem der
Befund des Krankenhauses angeschlossen wird.
Einige Zeit später bekommt E in Innsbruck Post von der Staatsan-
waltschaft beim LG Graz. Sie macht ihm das Angebot, von der Verfol-
GUNGÏZUR¿CKZUTRETENÏWENNÏERÏEINENÏ'ELDBETRAGÏINÏ(–HEÏVONÏÏãÏ
bezahlt (§ 200 StPO).

a) Warum kommt dieser Vorschlag von der Staatsanwaltschaft beim
LG?
b) Und warum von der Staatsanwaltschaft beim LG Graz und nicht
von der beim LG Innsbruck?
c) Bevor E das Angebot der Staatsanwaltschaft akzeptiert, hört er sich
in Innsbruck um und erfährt, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck
bei einem solchen Verkehrsunfall eigentlich immer das Ermittlungs-
verfahren wegen Geringfügigkeit einstellt (§ 191 StPO), dass er also
in Innsbruck mit großer Wahrscheinlichkeit völlig ungeschoren da-
vonkäme. Was muss E tun, um der Innsbrucker Justiz Gelegenheit zu
geben, ein weiteres Mal ihre Milde unter Beweis zu stellen?
d) An welches Gericht muss sich E mit seinem Anliegen wenden und
in welcher Zusammensetzung entscheidet dieses Gericht?

Lösung

a) Das Delikt, dessen Tatbestand E wahrscheinlich verwirklicht hat, ist
fahrlässige Körperverletzung (§ 88 Abs 1 StGB), die eine Freiheitsstrafe
bis zu drei Monaten androht. Zu ihrer Ahndung ist sachlich zuständig das
Bezirksgericht (§ 30 Abs 1 StPO). Die diversionellen Maßnahmen sol-
len in erster Linie vom öffentlichen Ankläger durchgeführt werden
(§ 198 Abs 1 StPO), um die Stigmatisierung des Beschuldigten zu vermei-
den,

10

und erst in zweiter Linie von den Gerichten (§ 199 StPO).

Die Staatsanwaltschaft beim LG vertritt auch die Anklage vor dem BG

im Sprengel des LG (§ 4 Abs 1 StAG), deshalb kommt der Vorschlag von
ihr.

b) E ist kein „junger Erwachsener“ mehr, es kommen daher auch nicht
die Bestimmungen des JGG über die örtliche Zuständigkeit zur Anwen-
dung (§ 29 JGG). Die Staatsanwaltschaft beim LG Graz ist örtlich zustän-
dig, weil die Tat in ihrem Sprengel ausgeführt wurde (§ 25 StPO).

10

K/H

E 10 Rz 3.

III. Scheil

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183

c) E muss erstens bei der Staatsanwaltschaft beim LG Graz die Fortset-
zung des Verfahrens beantragen
(§ 207 StPO) – wenn er das Angebot
nur ablehnt, kann ihm ein Neues gemacht werden, das wäre also rei-
ne Zeitverschwendung. Und E muss zweitens einen Antrag stellen, die
Strafsache an das BG Innsbruck zu delegieren. „Aus anderen wichtigen
Gründen“ kann die Strafsache einem anderen Gericht übertragen werden
(§ 39 StPO), wenn damit die Beschleunigung des Verfahrens oder die Er-
sparnis von Kosten verbunden ist, zB weil – wie hier – der Beschuldigte
und das Opfer, also der Zeuge, in dem anderen Sprengel wohnen.

11

Die

Grazer Polizisten bräuchte man als Zeugen in Innsbruck nicht, der Fall
kann auch ohne sie geklärt werden.

d) Den Delegierungsantrag muss E beim BG Graz einbringen (§ 39
Abs 2 StPO). Die Entscheidung darüber fällt der OGH, weil das BG Graz
und das BG Innsbruck nicht im selben Sprengel eines OLG liegen, das
in diesem Fall zuständig wäre (§ 39 Abs 1 StPO).

12

Der OGH entscheidet

über den Delegierungsantrag durch einen „Dreiersenat“ (§ 7 Abs 1 Z 2
OGHG).

Fall 4

Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs verfügt vor Beginn der
Hauptverhandlung, dass die Geschworenenbank nicht aus acht, son-
dern aus zehn Geschworenen bestehe. Wider Erwarten fällt während
der fast neun Monate dauernden Hauptverhandlung kein Geschwo-
rener aus. Deshalb bestimmt der Vorsitzende nach Schluss der Ver-
handlung die zwei Geschworenen, die nicht an der Beratung und
Fällung des Urteils teilnehmen dürfen, und entlässt sie.
Einige Verteidiger stellen schon zu Beginn der Hauptverhandlung
fest, dass alle zehn Geschworenen ihre Sitze in alphabetischer Rei-
henfolge einnehmen, andere bemerken es im Laufe der Hauptver-
handlung. Sie schweigen darüber bis nach Verkündung des Urteils,
mit dem ihre Mandanten zu langen Freiheitsstrafen verurteilt werden.
„Von einem gewieften Verteidiger darf nicht erwartet werden, dass er
da brav aufsteht und das Gericht auf einen möglicherweise gravie-
renden Fehler aufmerksam macht“, brüstet sich einer der Verteidiger
gegenüber einem Journalisten, der ihn in der Zeitung zitiert, würde
er sich doch „eine Trumpfkarte aus der Hand schlagen“, und zwar

11

B/V

Rz 102.

12

B/V

Rz 102.

Fall 4

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184

das Urteil, wenn es ihm nicht passt, allein wegen dieses Fehlers be-
kämpfen zu können.

a) Was macht der Vorsitzende falsch?
b) Welches Rechtsmittel können die Verurteilten mit Aussicht auf Er-
folg ergreifen?
c) In welches Grundrecht der Angeklagten greift der Vorsitzende ein?

Lösung

a) Wenn eine Hauptverhandlung „von längerer Dauer“ zu erwarten
ist, kann der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs bestimmen, dass der
Hauptverhandlung ein oder mehrere Ersatzgeschworene zugezogen
werden (§ 300 Abs 3 StPO). Wenn mehrere bestellt werden, treten sie
nach der Reihenfolge der Dienstliste an die Stelle der verhinderten Ge-
schworenen (§ 300 Abs 4 StPO).

Der Vorsitzende unterlässt es gesetzwidrig, vor Beginn der Haupt-

verhandlung zu bestimmen, wer die Ersatzgeschworenen sind. Mit der
Entlassung der zwei Geschworenen nach Schluss der Hauptverhandlung,
die seiner Meinung nach die Ersatzgeschworenen gewesen sein sollen
und die, weil keine Geschworenen ausgefallen sind, nicht an der Be-
ratung (und Fällung) des Urteils mitwirken dürfen (§ 320 Abs 2 StPO),
versucht er – vergeblich – diesen Fehler auszubessern.

b) Die nicht richtige Besetzung der Geschworenenbank – zehn statt
acht Geschworene – macht das Urteil des Geschworenengerichts nichtig
(§ 345 Abs 1 Z 1 StPO). Das ist ein absoluter Nichtigkeitsgrund, der
die Aufhebung des Wahrspruchs und des Urteils zur Folge hat (§ 349
Abs 1 StPO). Er kann von den Angeklagten aber nicht mit Aussicht auf
Erfolg mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden, weil ihre
Verteidiger die nicht richtige Zusammensetzung schon zu Beginn bzw
während der Hauptverhandlung erkannt und es unterlassen haben, die-
sen Fehler umgehend zu rügen (§ 345 Abs 2 StPO). Von einem „ge-
wieften“ Verteidiger kann also keine Rede sein, und schon gar nicht,
WENNÏERÏSEINENÏ&EHLERÏDIEÏ6ERLETZUNGÏDERÏ2¿GEPmICHTÏAUCHÏNOCHÏ¿BERÏ
die Presse hinausposaunt.

c) Der Vorsitzende greift in das Grundrecht auf ein Verfahren vor
dem gesetzlichen Richter
ein (Art 83 Abs 2 B-VG; auch in das Grund-
recht auf ein faires Verfahren vor einem auf Gesetz beruhenden Gericht
nach Art 6 Abs 1 EMRK). Nach ständiger Rsp des VfGH liegt eine Verlet-

III. Scheil

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185

zung dieses Grundrechts auch dann vor, wenn eine unrichtig zusammen-
gesetzte Kollegialbehörde

13

entscheidet.

14

Fall 5

Vierzehn Tage vor Beginn der Hauptverhandlung lässt der Vorsit-
zende des Schöffengerichts V den Angeklagten A aus der Untersu-
chungshaft vorführen und erklärt ihm, dass er in diesem Strafverfah-
ren bereits als Richter im Ermittlungsverfahren die Festnahme gegen
A bewilligt hat. Er fragt A, ob er damit einverstanden sei, dass er
trotzdem die Hauptverhandlung leite, und ob er auf Rechtsmittel da-
gegen verzichte. A ist einverstanden und verzichtet. Am nächsten
Tag informiert V A darüber, dass der beisitzende Richter B als Jour-
nalrichter die Untersuchungshaft über ihn verhängt hat. A verzichtet
auch wegen der Teilnahme des Richters B an der Hauptverhandlung
auf Rechtsmittel.
Die Protokolle über die zwei Gespräche werden von A in Abwe-
senheit seines Verteidigers unterzeichnet, der Verteidiger wird vom
Vorsitzenden V zu den Gesprächen gar nicht erst eingeladen. A gibt
auch zu Protokoll, er halte es nicht für notwendig, sich mit seinem
Verteidiger zu besprechen.
An der Hauptverhandlung nehmen V und B teil.

a) Verhalten sich die Richter V und B richtig?
b) Auf welches Rechtsmittel verzichtet A und ist der Verzicht wirk-
sam?
c) Welcher Verfahrensgrundsatz wird verletzt durch die Teilnahme
der beiden Richter an der Hauptverhandlung?
d) In welches Grundrecht des A wird eingegriffen?

Lösung

a) V hat, als Richter im Ermittlungsverfahren, den Festnahmeantrag ge-
gen A bewilligt, er ist daher vom Verfahren ausgeschlossen (§ 43 Abs 2
StPO).

15

Der Journalrichter, der ständig erreichbare Richter, der den Er-

mittlungsrichter im Urlaub, am Wochenende usw vertritt, ist von der
Hauptverhandlung ebenfalls ausgeschlossen. Mit seiner Entscheidung,

13

ZB VfSlg 13.946/1994, 14.499/1996.

14

Mangels Überprüfungsmöglichkeiten von gerichtlichen Entscheidungen liegen freilich

keine Erkenntnisse des VfGH zur unrichtigen Zusammensetzung von Gerichten vor.

15

B/V

Rz 108.

Fall 5

background image

186

über A die Untersuchungshaft zu verhängen, wird auch er im Ermitt-
lungsverfahren „tätig“.

Ab dem Zeitpunkt, ab dem V und B erkennen, dass sie von der

Hauptverhandlung ausgeschlossen sind, müssen sie ihre Ausgeschlos-
senheit unverzüglich dem Gerichtsvorsteher anzeigen
(§ 44 Abs 2
StPO), der dann für die Stellvertretung sorgt (§ 45 Abs 1, Abs 2 StPO).

16

Und sie müssen jede weitere Tätigkeit unterlassen, so nicht, weil ein
anderer Richter nicht rechtzeitig bestellt werden kann, unaufschiebbare
Handlungen anstehen (§ 44 Abs 1 StPO): Den Angeklagten A zum Ein-
verständnis mit der Teilnahme ausgeschlossener Richter an der Haupt-
verhandlung und zum Rechtsmittelverzicht zu bewegen und dann an der
Hauptverhandlung teilzunehmen, ist gar nicht nötig.

b) A verzichtet auf die Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 1
StPO. Auf die Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde kann verzichtet
werden (§ 285a Z 1 StPO), aber nicht – wie hier – im Vorhinein, sondern
erst nach Urteilsverkündung.

17

Der Verzicht, den der EGMR wegen der

Begleitumstände als „questionable, to say at least“ bezeichnet,

18

ist un-

beachtlich, weil er nicht dem Gesetz entspricht.

c) Durch die Teilnahme des Ermittlungsrichters und des Journalrichters
wird der Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt, der Richter soll unter
dem Eindruck der Hauptverhandlung entscheiden und dabei nicht von
EINEMÏu6ORURTEILhÏBEEINmUSSTÏWERDENÏDASÏERÏSICHÏDURCHÏSEINEÏVORHERGE-
hende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren gebildet hat, ja bilden musste.

19

d) Es wird in das Grundrecht auf ein faires Verfahren vor einem
unparteiischen und einem auf Gesetz beruhenden Gericht eingegriffen
(Art 6 Abs 1 EMRK).

Fall 6

Die Staatsanwaltschaft ersucht den Richter im Ermittlungsverfahren
E in einem Aufsehen erregenden Korruptionsfall, den Zeugen Z zu
vernehmen. Z erscheint E auf Grund seiner Aussagen plötzlich selbst
dringend verdächtig, sich an der Straftat beteiligt zu haben, wegen
der die Ermittlungen geführt werden.

16

B/V

Rz 109.

17

KH 334.

18

EGMR 25. 2. 1992 Pfeifer und Plankl gegen Österreich, ÖJZ 1992, 455 MRK-E 21.

19

B/V

Rz 56.

III. Scheil

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187

Deshalb und weil es sich bei Z um eine prominente Person handelt,
von der es heißt, sie werde von der Staatsanwaltschaft zu Unrecht
geschont, verhängt E über Z auf der Stelle die Untersuchungshaft
wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr, ohne mit der Staatsanwalt-
schaft deswegen vorher Kontakt aufzunehmen.

a) Warum beantragt die Staatsanwaltschaft die gerichtliche Verneh-
mung des Z?
b) Darf E über Z die Untersuchungshaft verhängen?
c) Was kann Z nach Abweisung der Haftbeschwerde durch das OLG
noch tun?
d) Gegen welchen verfassungsrechtlich garantierten Verfahrens-
grundsatz verstößt der Richter?

Lösung

a) Grundsätzlich werden Beweise nur unter den Voraussetzungen des
§ 104 StPO vom Gericht aufgenommen. Einer der genannten Gründe
ist die Beweisaufnahme auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei Bestehen
eines besonderen öffentlichen Interesses (§ 101 Abs 2 StPO). Die
Staatsanwaltschaft nimmt hier auf Grund des Aufsehens, den der Kor-
ruptionsfall erregt, des Bekanntheitsgrades des Z und der Gerüchte um
ihre Ermittlungstätigkeit öffentliches Interesse an. Das Gericht muss über
einen solchen Antrag entscheiden.

b) Die Untersuchungshaft darf nur verhängt werden, wenn ein Antrag
des Staatsanwalts
auf Verhängung der Untersuchungshaft vorliegt (§ 173
Abs 1 StPO)

20

, daran mangelt es hier, E darf die Untersuchungshaft nicht

verhängen.

c) Nach Erschöpfung des Instanzenzuges sieht das Gesetz die Mög-
lichkeit einer Grundrechtsbeschwerde vor (§ 1 GRBG). Die Grund-
rechtsbeschwerde ist hier zulässig, das Gesetz sieht nach der Entschei-
dung des OLG keine weitere Instanz für Haftbeschwerden vor.

Die Grundrechtsverletzung besteht in der unrichtigen Anwen-

dung des Gesetzes. E darf ohne Antrag der Staatsanwaltschaft nicht die
Untersuchungshaft verhängen.

21

d) E verstößt gegen den Anklagegrundsatz. Im Anklageprozess (Art 90
Abs 2 B-VG) muss das Strafverfahren durch den Antrag des Anklägers

20

B/V

Rz 359.

21

B/V

Rz 386.

Fall 6

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188

veranlasst und begrenzt sein (§ 4 Abs 1 StPO). Das gilt auch für die Ver-
hängung der Untersuchungshaft; s § 173 Abs 1 StPO.

22

Fall 7

Der Österreicher A mit Hauptwohnsitz in Berlin und Nebenwohnsitz
in Kitzbühel steht im dringenden Verdacht, im Jahr 2009 in Berlin zu
Lasten zahlreicher deutscher Staatsbürger einen Betrug begangen zu
HABENÏnÏ3CHADENÏCIRCAÏÏ-ILLIONÏãÏeÏÏ!BSÏÏ!BSÏÏ:ÏÏDEUTSCHESÏ
StGB; Strafdrohung: Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 10 Jahre). A
bestreitet den Betrugsschaden, schließlich hätten die „angeblichen
/PFERhÏ WERTHALTIGEÏ 'UTSCHEINEÏ ERHALTENÏ F¿RÏ DIEÏ JEÏ Ï ãÏ VONÏ IHRENÏ
Konten zu seinen Gunsten durch Einziehung abgebucht wurden.
A entzieht sich dem Strafverfahren in Deutschland, wo über ihn die
Untersuchungshaft verhängt worden ist, durch Rückkehr in sein Haus
in Kitzbühel, weshalb die deutsche Justiz gegen ihn einen Europä-
ischen Haftbefehl erlässt.
Auch die österreichische Justiz verfolgt ihn wegen des Betrugs. Nach
einem halben Jahr Ermittlungen durch die Kriminalpolizei wird sein
Telefon überwacht. Laut dem Überwachungsprotokoll Nummer 3742
sagt A zu seinem Verteidiger: „Dann sollen den Geschädigten, die
SICHÏMELDENÏDIEÏÏãÏEBENÏZUR¿CKGEZAHLTÏWERDENhÏ
In der Wortwahl „Geschädigten“ erblickt der Einzelrichter im Ermitt-
lungsverfahren das lange ersehnte Geständnis und verhängt über A
wegen des jetzt dringenden Tatverdachts die Untersuchungshaft. Als
Haftgründe nimmt er Fluchtgefahr an, weil A sich dem deutschen
Strafverfahren durch Flucht entzogen habe, und Verdunkelungsge-
fahr, weil das österreichische Gericht noch nicht den gesamten deut-
schen Strafakt übermittelt erhalten habe.

a) Warum ist österreichisches Strafrecht auf die Auslandstat des A
anwendbar?
b) Darf der Europäische Haftbefehl von der österreichischen Justiz im
Jahr 2009 vollstreckt werden?
c) Welches Gericht ist für die Verhängung der Untersuchungshaft im
Ermittlungsverfahren zuständig?
d) Ist die Verhängung der Untersuchungshaft mit dieser Begründung
korrekt?
e) Darf das Gericht das Protokoll der Telefonüberwachung zur Ver-
hängung der Untersuchungshaft heranziehen? Was kann A dagegen
unternehmen?

22

B/V

Rz 22.

III. Scheil

background image

189

f) In welches Grundrecht hat der Einzelrichter im Ermittlungsverfah-
ren durch Übertragung des Gesprächs zwischen A und seinem Vertei-
diger in Schriftform eingegriffen?

Lösung

a) Nach § 65 Abs 1 Z 1 StGB gelten die österreichischen Strafgesetze,
konkret §§ 146, 147 Abs 3 StGB, für diese Auslandstat des A, weil er
im Tatzeitpunkt Österreicher war und weil Betrug auch im Tatortstaat
Deutschland (§ 263 Abs 1, Abs 3 Z 2 deutsches StGB) mit gerichtlicher
Strafe bedroht ist („aktives Personalitätsprinzip“).

b) Den Europäischen Haftbefehl gegen A darf die österreichische Justiz
trotz grundsätzlicher Zulässigkeit der Vollstreckung gegen österreichische
Staatsbürger ab 1. 1. 2009 (§ 77 Abs 2 EU-JZG) nicht vollstrecken, weil
der schwere Betrug nach den §§ 146, 147 Abs 3 StGB im Zusammenhang
mit § 65 Abs 1 Z 1 StGB „dem Geltungsbereich der österreichischen Straf-
gesetze“ unterliegt (§ 5 Abs 2 EU-JZG).

c) Sachlich zuständig für das Ermittlungsverfahren ist immer das Landes-
gericht (§ 29 Abs 1 Z 2 StPO), funktional zuständig für die Verhängung
der Untersuchungshaft ist der Einzelrichter (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO). Die
örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts im Ermittlungsverfahren richtet
sich nach der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft (§ 36 Abs 1 StPO). Da
der Tatort im Ausland liegt und da im Inland auch kein Erfolg eingetre-
ten ist, ist die Staatsanwaltschaft für das Ermittlungsverfahren gegen A
zuständig, in deren Sprengel er seinen (Neben-)Wohnsitz oder Aufenthalt
hat (§ 25 Abs 2 StPO). Das ist die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht
Innsbruck, in deren Sprengel Kitzbühel liegt. Für die Verhängung der
Untersuchungshaft ist daher der Einzelrichter des Ermittlungsverfahrens
des Landesgerichts Innsbruck sachlich und örtlich zuständig.

d) Nur weil A in einem Telefongespräch mit seinem Verteidiger den Be-
griff „Geschädigte“ übernimmt, mit dem ihn die Strafverfolgungsorgane
seit Monaten konfrontieren, steigt nicht die Wahrscheinlichkeit, dass er
überführt werden kann: An seiner Verantwortung, dass er werthaltige
'UTSCHEINEÏF¿RÏDIEÏJEWEILSÏÏãÏGEGEBENÏUNDÏDASSÏERÏDESHALBÏKEINENÏ6ER-
mögensschaden verursacht hat, an seinem Leugnen also, ändert dieser
Begriff nichts, das ist kein Umstand, der den Tatverdacht jetzt dringend
erscheinen lässt.

A hat sich dem in Deutschland gegen ihn geführten Strafverfahren

durch Flucht nach Österreich entzogen. Alleine daraus kann nicht abge-

Fall 7

background image

190

leitet werden, dass er sich auch dem in Österreich gegen ihn geführten
Verfahren durch Flucht entziehen werde. Im Gegenteil: A hat sich durch
die Rückkehr nach Österreich gleichsam unter den Schutz der österrei-
chischen Justiz begeben.

Ebenso den Denkgesetzen widerspricht die Annahme der Verdunke-

lungsgefahr, weil das österreichische Gericht noch nicht den gesamten
deutschen Strafakt erhalten hat: A hat keinen Zugang zum deutschen
Strafakt, es ist ausgeschlossen, dass er dem Akt Informationen entneh-
MENÏKANNÏDIEÏERÏZURÏ"EEINmUSSUNGÏVONÏ:EUGENÏUSWÏVERWENDENÏK–NNTEÏ
oder dass er aus dem Akt belastendes Beweismaterial verschwinden las-
sen kann.

Die Verhängung der Untersuchungshaft mit dieser Begründung ist

daher gesetzwidrig.

e) Die Staatsanwaltschaft muss die Ergebnisse der Überwachung von
Nachrichten, das ist der Inhalt der übertragenen Nachrichten (§ 134 Z
5 StPO), prüfen und darf nur diejenigen Teile in Schriftform übertragen
lassen und zu den Akten nehmen, die für das Verfahren von Bedeutung
sind und die darüber hinaus als Beweismittel verwendet werden dürfen
(§ 138 Abs 4 StPO).

Ein Verteidiger hat das Recht auf Aussageverweigerung über das, was

ihm in seiner Eigenschaft als Verteidiger bekannt geworden ist (§ 157 Abs
1 Z 2 StPO): Dazu gehören insbesondere vertrauliche Telefongespräche
mit Mandanten wie dem Beschuldigten A. Das Aussageverweigerungs-
recht des Verteidigers darf bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen wer-
den (§ 157 Abs 2 StPO), auch nicht durch Überwachung der Nachrichten,
die über ein Telekommunikationsnetz ausgetauscht werden – welcher
der zwei Gesprächsteilnehmer wen angerufen hat und dass „nur“ der Te-
lefonanschluss des A und nicht der des Verteidigers überwacht worden
ist, spielt dabei keine Rolle.

Auf das Umgehungsverbot des § 157 Abs 2 StPO verweist § 138

Abs 4 StPO bezüglich der Zulässigkeit der Übertragung der Ergebnisse
der Überwachung von Nachrichten ausdrücklich und verbietet sie. Die
Übertragung des Telefongesprächs zwischen A und seinem Verteidi-
ger in Schriftform, das Zum-Akt-Nehmen des über den Inhalt des Ge-
sprächs verfassten Protokolls und die Verwendung des Gesprächsin-
halts zur Verhängung und Begründung der Untersuchungshaft waren
rechtswidrig.

A kann den Antrag auf Vernichtung des aufgezeichneten Gesprächs

mit dem Verteidiger und des darüber verfassten Protokolls wegen Un-
zulässigkeit der Verwendung dieser Beweismittel stellen (§ 139 Abs 4
StPO). Und er kann seine Haftbeschwerde an das OLG (§ 174 Abs 4
StPO) gegen die Verhängung der Untersuchungshaft auch auf Gesetz-

III. Scheil

background image

191

widrigkeit wegen Verwertung der nichtigen Überwachungsergebnisse
zur Begründung des „dringenden Tatverdachts“ stützen.

f) Der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren hat durch die rechtswid-
rige Übertragung des Gesprächs in Schriftform in das Grundrecht auf
wirksame Verteidigung eingegriffen (Art 6 Abs 3 lit c EMRK), wozu ins-
besondere gehört, dass sich der Beschuldigte unüberwacht mit seinem
Verteidiger besprechen darf und dass der Gesprächsinhalt auch vertrau-
lich bleibt.

Fall 7

background image
background image

193

IV. SCHWAIGHOFER

Fall 1

Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschuldigten B in seiner Anklage
zur Last, er sei in das Haus des Opfers O eingestiegen und habe
3CHMUCKÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏMITGENOMMENÏ"ÏBEANTRAGTÏDIEÏ"EI-
gebung eines Verfahrenshelfers, weil er die Kosten eines Verteidigers
nicht tragen könne. Der Antrag bleibt unerledigt, die Hauptverhand-
LUNGÏGEGENÏ"ÏlNDETÏOHNEÏEINENÏ6ERTEIDIGERÏSTATTÏ"ÏWIRDÏANKLAGEKON-
form verurteilt.

a) Kann B das Urteil bekämpfen, weil der Antrag nicht erledigt wurde
und er deshalb in der Hauptverhandlung keinen Verteidiger hatte?
Wenn ja, mit welchem Rechtsmittel?
b) Wie ist obige Frage zu beantworten, wenn die Staatsanwaltschaft
DEMÏ"ÏANLASTETÏERÏHÇTTEÏDEMÏ/Ï3CHMUCKÏIMÏ7ERTÏVONÏÏãÏWEG-
genommen?

Lösung

a) Für die Aburteilung eines Einbruchsdiebstahls mit einem Schaden von
ÏãÏISTÏDERÏEinzelrichter zuständig. In diesem Fall besteht keine
notwendige Verteidigung
nach § 61 Abs 1 Z 5 StPO (Ausnahme für den
Einbruchsdiebstahl nach § 129 Z 1 – 3 StGB!).

1

B kann das Urteil nur bekämpfen, wenn er den Antrag auf Beige-

bung eines Verfahrenshelfers in der Hauptverhandlung wiederholt
und dieser Antrag zu Unrecht abgelehnt wird (zB weil die Sach- oder
Rechtslage doch schwierig ist; § 61 Abs 2 Z 4 StPO).

2

1

B/V

Rz 147.

2

B/V

Rz 148.

background image

194

Im Fall der ungerechtfertigten Ablehnung des Antrags in der Haupt-

verhandlung kann B das Urteil mit Berufung wegen Nichtigkeit gemäß
§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 4 StPO bekämpfen.

3

b) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Schadenssumme
VONÏMEHRÏALSÏÏãÏANLASTETÏISTÏDASÏSchöffengericht zuständig. Dann
muss der Beschuldigte in der Hauptverhandlung durch einen Verteidi-
ger vertreten
sein (§ 61 Abs 1 Z 4 StPO); das Fehlen eines Verteidigers
im schöffengerichtlichen Verfahren kann mit Nichtigkeitsbeschwerde
gemäß § 281 Abs 1 Z 1a StPO bekämpft werden.

Fall 2

Die Staatsanwaltschaft am LG Innsbruck ordnet auf Grund einer ge-
RICHTLICHENÏ"EWILLIGUNGÏDIEÏ&ESTNAHMEÏDESÏm¿CHTIGENÏ8ÏANÏDERÏIMÏ
Verdacht eines Raubes nach § 142 Abs 1 StGB steht. X wird von der
Kriminalpolizei am 8. 12. 2007 um 7.00 Uhr früh verhaftet.

a) Wie lange darf X auf Grund dieser Anordnung in Haft gehalten
werden? Welches Rechtsmittel kann X gegen die Festnahme ergreifen,
wenn er sie für rechtswidrig hält?
b) Was ändert sich, wenn X von der Kriminalpolizei von sich aus
wegen Gefahr im Verzug festgenommen wird? Welches Rechtsmittel
kann X in diesem Fall ergreifen, wenn er die Festnahme für rechts-
widrig hält?
c) X wird in weiterer Folge in Untersuchungshaft genommen: Wann
ist die erste Haftverhandlung spätestens durchzuführen?

Lösung

a) Die Festnahme des X ist durch die Staatsanwaltschaft auf Grund ei-
ner gerichtlichen Bewilligung anzuordnen und von der Kriminalpolizei
durchzuführen. Der Beschuldigte ist ohne unnötigen Aufschub, längs-
tens aber binnen 48 Stunden nach der Festnahme (also bis zum
10. 12. 2007, 7.00 Uhr) in die Justizanstalt des zuständigen Gerichts
einzuliefern. Bei einer Verhaftung um 7.00 Uhr früh wird die Einliefe-
rung jedenfalls noch am selben Tag erfolgen müssen. Die Ausnützung
der 48 Stunden, um den Beschuldigten noch ausgiebig zu vernehmen,
ist gesetzwidrig.

4

3

B/V

Rz 495.

4

Schwaighofer

, RZ 2006, 62 (63f), B/V Rz 355; aM OGH 14 Os 150/01.

IV. Schwaighofer

background image

195

Grundsätzlich hat die Einlieferung in das zuständige Gericht (das wäre

die Justizanstalt Innsbruck) zu erfolgen. Wenn X jedoch weit entfernt
vom zuständigen Gericht (zB im Burgenland) festgenommen wurde und
deshalb eine Einlieferung in die Innsbrucker Justizanstalt innerhalb der
48 Stunden nicht zu bewerkstelligen ist, kann X nach § 172 Abs 1 StPO
in ein unzuständiges Gericht eingeliefert werden (bei Festnahme im Bur-
genland in die Justizanstalt am Landesgericht Eisenstadt).

5

Das Gericht (Einzelrichter des LG) hat ab der Einlieferung 48 Stun-

den Zeit, den Beschuldigten zu vernehmen (§ 174 Abs 1 StPO) und
über die Untersuchungshaft zu entscheiden. Innerhalb von 48 Stunden,
gerechnet ab dem Zeitpunkt der Einlieferung, muss das Gericht nach
§ 74 Abs 1 StPO entweder die Untersuchungshaft (mit Beschluss) ver-
hängen oder den Beschuldigten enthaften.

6

Wenn die Einlieferung in

das unzuständige Gericht nach § 174 Abs 1 StPO erfolgte, dann kann die
Vernehmung des Beschuldigten und die Verkündung des Beschlusses
über die Untersuchungshaft im Wege einer Videoübertragung erfolgen
(§ 172 Abs 1, 3 StPO).

Ergebnis: Die Anhaltung darf im äußersten Fall vier Tage (2 x 48

Stunden) dauern.

Da die Festnahme auf einer gerichtlichen Bewilligung beruht, kann X

eine Beschwerde nach § 87 Abs 1 StPO ergreifen.

b) Wenn die Kriminalpolizei den X von sich aus gem § 172 Abs 2 StPO
festgenommen
hat, so muss sie den Beschuldigten vor der Einlieferung
in die Justizanstalt vernehmen und hat ihn erst dann – sofern er nicht
nach § 172 Abs 1 zweiter Satz StPO sofort freizulassen ist – ohne unnöti-
gen Aufschub, spätestens aber wiederum 48 Stunden nach der Festnah-
me, in die Justizanstalt einzuliefern (§ 172 Abs 3 StPO).

Die weitere Vorgangsweise nach der Einlieferung ist gleich wie oben

bei a) beschrieben. An der zulässigen Anhaltungsdauer von maximal vier
Tagen ändert sich nichts.

Gegen die seines Erachtens rechtswidrige Festnahme kann X in die-

sem Fall (bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens) Einspruch
wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO
erheben (§ 106 Abs 1 Z 2
StPO).

c) Die erste Haftfrist beträgt 14 Tage und beginnt mit der Verhän-
gung der Untersuchungshaft
(§ 175 Abs 2 Z 1 StPO; anders noch die
alte StPO: ab Festnahme). Angenommen, die Untersuchungshaft wurde
am 11. 12. 2007 um 12.00 Uhr verhängt, so muss die erste Haftverhand-

5

B/V

Rz 355.

6

B/V

Rz 358.

Fall 2

background image

196

LUNGÏSPÇTESTENSÏAMÏÏ ÏÏSTATTlNDENÏUNDÏ ZEITLICHÏ SOÏANBERAUMTÏ
werden, dass längstens um 12.00 Uhr die Entscheidung über die Fortset-
zung der Untersuchungshaft getroffen wird.

Der OGH

7

berechnet diese Haftfristen allerdings nach § 6 StPO, dh

dass der erste Tag des Fristenlaufs, der 11. 12. 2007, nicht mitgezählt
wird. Nach dieser Fristberechnung hätte das Gericht bis zum 27. 12.
2007, 24.00 Uhr Zeit, seine Entscheidung zu treffen. Denn das Ende der
Frist fällt auf einen Feiertag (25. 12.) und dann folgt ein weiterer Feier-
tag, sodass die Frist erst am nächstfolgenden Werktag abläuft.

Fall 3

Ein Autolenker A fährt bei schlechten Straßenverhältnissen (teilweise
Schneefahrbahn) mit 45 km/h durch das Stadtgebiet. Als ein Fuß-
gänger die Fahrbahn betritt, um sie zu überqueren, bremst A sofort,
die Räder blockieren jedoch und das Fahrzeug schlittert gegen den
Fußgänger. Dieser wird niedergestoßen und erleidet zahlreiche Prel-
lungen, die ihn drei Wochen berufsunfähig machen.
A wird wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB
verurteilt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung von 15 km/h stelle
ein schweres Verschulden dar; denn laut verkehrstechnischem Sach-
verständigen wäre bei den gegebenen Verhältnissen eine Geschwin-
digkeit von höchstens 30 km/h zulässig gewesen.
Sie sind Rechtsanwalt und A kommt am Donnerstag, den 25. 10.
2007, zu Ihnen. Er will gegen das Urteil etwas unternehmen, weil
er der Meinung ist, er sei ohnehin viel langsamer gefahren als der
Sachverständige festgestellt hat, und außerdem sei der Fußgänger so
plötzlich auf die Fahrbahn getreten, dass er auch mit 30 km/h keine
Chance gehabt hätte, den Unfall zu verhindern.
A teilt Ihnen allerdings mit, dass er sofort nach der Urteilsverkün-
dung am Dienstag, den 23. 10. 2007, dummerweise auf Rechtsmittel
verzichtet hat.

a) Können Sie noch etwas für A tun?
b) Können Sie ein Rechtsmittel ergreifen? Wenn ja, aus welchen
Gründen?

Lösung

a) Die fahrlässige Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB fällt in die
Zuständigkeit des Bezirksgerichts. Ein Rechtsmittelverzicht, der un-

7

EvBl 1994/139.

IV. Schwaighofer

background image

197

mittelbar nach Urteilsverkündung in Abwesenheit eines Verteidigers ab-
gegeben wird, ist nach § 57 Abs 2 StPO unwirksam.

8

Der Beschuldigte

bzw Sie als Verteidiger haben daher noch die Möglichkeit, innerhalb
von drei Tagen nach Urteilsverkündung ein Rechtsmittel anzumelden.
Da das Ende der 3-tägigen Anmeldefrist auf Freitag, den 26. 10. 2007
(Feiertag), fällt und sich daran ein Samstag und ein Sonntag anschließen,
endet die Anmeldefrist erst am Montag, den 29. 10. 2007, um 24 Uhr. Für
die Ausführung des Rechtsmittels besteht dann gemäß § 467 Abs 1 StPO
eine Frist von vier Wochen ab Zustellung der Urteilsausfertigung (nicht
ab Anmeldung!).

9

b) Im bezirksgerichtlichen Verfahren steht das Rechtsmittel der (vollen)
Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe sowie wegen der privat-
rechtlichen Ansprüche gemäß § 464 StPO zur Verfügung.

Wenn Sie geltend machen wollen, dass A in Wahrheit gar nicht

45 km/h, sondern viel langsamer gefahren sei, dann bekämpfen Sie
die Feststellungen (und die Beweiswürdigung) des Bezirksgerichts, die
vor allem auf dem Sachverständigengutachten beruhen. In diesem Fall ist
eine Schuldberufung gemäß § 464 Z 2 StPO zu ergreifen.

10

Eine Nichtigkeitsberufung nach § 468 Abs 1 Z 3 iVm § 281 Abs 1 Z 5

StPO käme nur in Betracht, wenn die Feststellung, A sei mit 45 km/h
gefahren, offenbar unzureichend begründet wäre, also etwa nur mit dem
Sachverständigengutachten, obwohl noch andere Beweismittel zur Ver-
fügung standen (zB die Aussage des Beschuldigten oder eines Zeugen
wurde ignoriert).

11

Der Sachverhalt gibt für derartige Spekulationen aber

nichts her.

Alternativ soll geltend gemacht werden, dass – selbst wenn A schnel-

ler als 30 km/h gefahren sein sollte – auch bei Einhaltung der noch zu-
lässigen Geschwindigkeit von 30 km/h der Unfall ebenfalls nicht zu
verhindern
gewesen wäre. In diesem Fall wird geltend gemacht, dass
durch das sorgfaltswidrige Verhalten das Risiko gegenüber einem hy-
pothetischen rechtmäßigen Alternativverhalten nicht erhöht wur-
de, was die objektive Zurechnung des Erfolges ausschließen würde und
zu einem Freispruch des A führen müsste.

12

Dies ist durch eine Nich-

tigkeitsberufung gemäß § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9a StPO
geltend zu machen.

13

8

B/V

Rz 141.

9

B/V

Rz 490.

10

B/V

Rz 578.

11

B/V

Rz 502, 577.

12

Fuchs

AT I 13. Kap Rz 52ff, K/H AT Z 27 Rz 16f.

13

B/V

Rz 511f, 577.

Fall 3

background image

198

Es könnte auch die Beurteilung des Fahrens mit 45 km/h als schweres

Verschulden bekämpft werden. Bei Fahrlässigkeitsdelikten sollte nur
ein extremes Verschulden (Fälle des § 81 StGB) die Anwendung der Di-
version nach § 198 StPO ausschließen. Sie könnten also geltend machen,
dass das Bezirksgericht zu Unrecht nicht von den Bestimmungen gemäß
§§ 198ff StPO Gebrauch gemacht hat. Dies geschieht mit einer Nichtig-
keitsberufung
nach § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO.

14

Fall 4

Frau F erfährt, dass ihr Mann M ihr untreu war, und sie beschließt
sich zu rächen: Sie geht zur Polizei und gibt dort (wahrheitsgemäß)
an, ihr Mann habe sie unlängst geschlagen und ihr angedroht, sie
noch viel schlimmer zu verprügeln, falls sie die Wohnung verlasse.
M habe sie so das ganze Wochenende in der Wohnung festgehalten.
Der Beamte nimmt ein Protokoll über ihre Aussage auf.
Es kommt zur Hauptverhandlung gegen M; inzwischen hat sich das
Paar aber wieder ausgesöhnt und die Frau will ihrem Mann jetzt nicht
mehr schaden.

a) Was kann die Frau tun? Ist das Polizeiprotokoll in der Hauptver-
handlung verwertbar?
b) Was kann die Frau tun, wenn sie in der Anzeige ihren Mann be-
schuldigt hat, er habe sie zu einem Geschlechtsverkehr gezwungen?
Welches Gericht ist in diesem Fall sachlich zuständig?

Lösung

a)

Ï$IEÏ6ERHANDLUNGÏlNDETÏGEMÏeÏÏ!BSÏÏ:ÏÏ3T0/ÏVORÏDEMÏEinzel-

richter statt (Vorwurf einer Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB;
die Nötigung zur Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung wird konsu-
miert).

Wenn die Frau dem Mann gem § 31 Abs 4 Z 1 StPO nicht mehr scha-

den will, dann kann sie von ihrem Aussagebefreiungsrecht nach § 156
Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch machen.
Dann darf das Polizeiprotokoll bei
sonstiger Nichtigkeit nicht verlesen und auch im Urteil nicht verwertet
werden. Die Verlesung wäre nur zulässig, wenn Frau F im Ermittlungs-
verfahren gemäß § 165 StPO kontradiktorisch vernommen wurde (§ 252
Abs 1 Z 2a StPO).

15

14

B/V

Rz 496, 577.

15

B/V

Rz 242, 254, 452f.

IV. Schwaighofer

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199

Wenn es trotz der berechtigten Aussageverweigerung zur Verlesung

des Protokolls und zur Verwertung im Urteil kommt, verletzt das Gericht
die mit Nichtigkeit bedrohte Vorschrift des § 252 Abs 1 Z 2a StPO. Dieser
Fehler kann im einzelrichterlichen Verfahren mit einer Berufung wegen
Nichtigkeit
gemäß § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 3 StPO (§ 468 Abs 1
Z 3 StPO) bekämpft werden.

16

b) Seit dem StRÄG 2004 sind die Vergewaltigung und die geschlecht-
LICHEÏ .–TIGUNGÏ ZWISCHENÏ %HEGATTENÏ LEIDERÏ REINEÏ /FlZIALDELIKTEÏ $IEÏ
Frau kann daher, um eine Verurteilung abzuwenden, wiederum nur von
ihrem Aussagebefreiungsrecht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO Gebrauch
machen.

Nach der früheren Rechtslage handelte es sich hingegen um Antrags-

delikte. Wenn die Frau dem Mann nicht mehr schaden wollte, brauchte sie
den Verfolgungsantrag bloß wieder zurückzuziehen. Dann musste
M freigesprochen werden (Formalfreispruch gemäß § 259 Z 1 StPO).

17

In diesem Fall wird die Verhandlung vor dem Schöffengericht statt-

lNDENÏWEILÏESÏUMÏDENÏ6ORWURFÏEINERÏ6ERGEWALTIGUNGÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ
StGB geht (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO).

Fall 5

Die 12-jährige M behauptet in einer Anzeige bei der Polizei, der
Nachbar N habe sie sexuell missbraucht. Das Gericht setzt auf Antrag
der Staatsanwaltschaft eine kontradiktorische Vernehmung der M un-
ter beschränkter Beteiligung der Parteien an. Doch auf alle Fragen,
die ihr gestellt werden, antwortet sie nur, sich an nichts mehr erin-
nern zu können.

a) Welches Gericht ist für die Hauptverhandlung gegen N sachlich
zuständig?
b) Kann M, wenn sie zur Hauptverhandlung vorgeladen wird, dort
die Aussage verweigern?
c) Wenn M in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert: Darf
ihre Aussage vor der Polizei verlesen und verwertet werden?

Lösung

a) Dem N wird ein (schwerer) sexueller Missbrauch von Unmündigen
nach § 206 oder § 207 StGB vorgeworfen. Für die Hauptverhandlung we-

16

B/V

Rz 493, 577, 591.

17

B/V

Rz 471.

Fall 5

background image

200

gen dieses Delikts ist das Schöffengericht zuständig: entweder schon
auf Grund der Strafdrohung (§ 206 StGB) oder sonst gemäß § 31 Abs 3
Z 4 StPO.

b) Nach § 156 Abs 1 Z 2 StPO ist ein unmündiges Kind, das Opfer einer
Sexualstraftat geworden sein könnte, von der Aussage befreit, sofern
die Parteien bereits Gelegenheit hatten, sich an einer (gerichtlichen) kon-
tradiktorischen Vernehmung gemäß § 165 StPO zu beteiligen.

18

Da M bei

dieser Vernehmung aber bloß antwortet, sich an nichts mehr erinnern zu
können (das ist der Sache nach eine Verweigerung der Aussage), ist M
in der Hauptverhandlung nicht von der Aussage befreit. Es handelte sich
nur formal um eine Vernehmung iSd § 165 StPO; inhaltlich hatten die
Parteien aber keine Gelegenheit ihr Fragerecht auszuüben.

19

c) Die Aussage des Mädchens vor der Polizei darf verlesen und verwertet
werden, wenn das Mädchen die Aussage berechtigt verweigert und die
Parteien sich an einer kontradiktorischen Vernehmung beteiligen konn-
ten (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO).

20

Da M von der Aussage nicht befreit ist,

kommt nach dieser Bestimmung eine Verlesung und Verwertung nicht
in Betracht.

Die Verlesung könnte auf § 252 Abs 1 Z 3 StPO gestützt werden,

wenn das Mädchen in der Hauptverhandlung vorgeladen wurde und das
Zeugnis unberechtigt verweigert.

21

Das ist hier der Fall. Allerdings ver-

LETZTÏEINEÏ6ERURTEILUNGÏDIEÏAUSSCHLIE’LICHÏOHNEÏmANKIERENDEÏ"EWEISEÏ
auf der Aussage des Mädchens vor der Polizei beruht, ohne dass der
Beschuldigte bzw sein Verteidiger das Fragerecht ausüben konnten, den
Grundsatz des fairen Verfahrens gem Art 6 EMRK.

22

Der Verteidiger soll-

te der Verlesung widersprechen, um den Nichtigkeitsgrund nach § 281
Abs 1 Z 4 StPO geltend machen zu können.

Fall 6

X hat mit der Bankomatkarte seiner Mutter, deren Code er kennt,
OHNEÏDERENÏ7ISSENÏÏãÏBEHOBENÏ$ASÏ"EZIRKSGERICHTÏVERURTEILTÏIHNÏ
dem Strafantrag des Bezirksanwalts entsprechend wegen Diebstahls
nach § 127 StGB.

18

B/V

Rz 254.

19

Vgl B/S BT II §§ 288–291 Rz 7.

20

Näher B/V Rz 452f.

21

B/V

Rz 454.

22

Schwaighofer

, Moos-FS 320 FN 31.

IV. Schwaighofer

background image

201

X liest im Lehrbuch von Bertel/Schwaighofer nach und stellt fest, dass
derartige Handlungen in Wahrheit unter § 148a StGB zu subsumieren
sind.

a) Mit welchem Rechtsmittel muss X diesen Fehler geltend machen?
b) Wie wird das Rechtsmittelgericht entscheiden?

Lösung

a) X will in seinem Rechtsmittel die falsche rechtliche Subsumtion
(§ 127 StGB statt § 148a StGB) bekämpfen. Das geschieht im bezirksge-
richtlichen Verfahren mit einer Berufung wegen Nichtigkeit gemäß
§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO.

23

Da die Tat zum Nachteil der Mutter begangen wurde, handelt es sich

überdies gemäß § 166 Abs 3 StGB um ein Privatanklagedelikt, sodass
der Bezirksanwalt kein berechtigter Ankläger ist.

24

Das Urteil ist daher

nach § 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9c StPO nichtig.

25

Dieser

materielle Nichtigkeitsgrund ist von Amts wegen nach § 477 Abs 1 StPO
wahrzunehmen und X gemäß § 259 Z 1 StPO freizusprechen.

26

b) Das Rechtsmittelgericht würde sich vermutlich an der herrschenden
Judikatur des OGH orientieren, die in einem solchen Fall einen Dieb-
stahl nach § 127 StGB zum Nachteil der Bank annimmt; daher hätte X im
Rechtsmittelverfahren vermutlich keinen Erfolg.

Fall 7

Die Staatsanwaltschaft hat gegen X wegen einer strafbaren Handlung
Anklage erhoben:
a) beim Bezirksgericht
b) beim Einzelrichter
c) beim Schöffengericht.
Der Akt wird dem Bezirksrichter/Einzelrichter/Vorsitzenden des
Schöffengerichts vorgelegt; dieser stellt – noch vor der Hauptver-
handlung – fest, dass das angerufene Gericht örtlich unzuständig ist.

Was kann/muss der Richter tun bei Variante a), b) und c)?

23

B/V

Rz 511f, 577.

24

B/V

Rz 471.

25

B/V

Rz 512, 577.

26

B/V

Rz 522, 582.

Fall 7

background image

202

Lösung

a) Wenn der Bezirksrichter vor der Hauptverhandlung seine örtliche Un-
zuständigkeit entdeckt, dann stellt er mit Beschluss die Unzuständigkeit
des Bezirksgerichts fest und tritt das Verfahren dem zuständigen Bezirksge-
richt ab (sinngemäße Anwendung des § 450 StPO).

27

Das Urteil eines örtlich

unzuständigen Bezirksgerichts ist nichtig (§ 468 Abs 1 Z 1 StPO).

b) Wenn der Einzelrichter glaubt, für die Strafsache örtlich nicht zustän-
dig zu sein, so hat er in sinngemäßer Anwendung des § 450 StPO seine
Unzuständigkeit festzustellen und das Verfahren dem zuständigen Lan-
desgericht abzutreten (§ 485 Abs 1 Z 1 StPO idF StPRefBeglG I-Entw).

c) Im schöffengerichtlichen Verfahren tritt mit Rechtswirksamkeit
der Anklageschrift die sogenannte „perpetuatio fori“ ein, dh die ört-
liche Unzuständigkeit kann nach diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrge-
nommen werden (§ 212 Abs 5 StPO).

Fall 8

A ist wegen schweren Betruges gemäß §§ 146, 147 Abs 2 StGB ange-
klagt. Weil er trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung zur Haupt-
verhandlung nicht erscheint, verhandelt der Einzelrichter in Abwe-
senheit. In der Hauptverhandlung ergibt sich – entgegen der Verant-
wortung des A bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren –,
DASSÏDIEÏURSPR¿NGLICHÏMITÏÏãÏBEZIFFERTEÏ3CHADENSSUMMEÏWEITÏ
H–HERÏISTÏUNDÏRUNDÏÏãÏBETRÇGTÏ!ÏWIRDÏINÏ!BWESENHEITÏWEGENÏ
§§ 146, 147 Abs 3 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 20
Monaten verurteilt.

a) Ist das Urteil gesetzmäßig zustande gekommen?
b) Was kann A gegen dieses Urteil tun?

Lösung

a) Das Urteil ist nicht gesetzmäßig: Da die Schadenssumme mehr als
Ï ãÏ BETRÇGTÏ UNDÏ DERÏ "ETRUGÏ NACHÏ eeÏ Ï Ï !BSÏ Ï 3T'"Ï MITÏ BISÏ
zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, handelt es sich um ein Ver-
brechen,
über das nicht in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt
werden darf: Das Gericht hat daher gegen § 427 Abs 1 StPO verstoßen.

28

27

B/V

Rz 570.

28

B/V

Rz 590.

IV. Schwaighofer

background image

203

Davon abgesehen fällt die Hauptverhandlung wegen schweren Betruges
nach § 147 Abs 3 StGB in die Zuständigkeit des Schöffengerichts (§ 31
Abs 3 Z 1 StPO).

b) Der Verurteilte kann gegen dieses Urteil binnen 14 Tagen Einspruch
nach § 427 Abs 3 StPO erheben. Im Einspruch kann er geltend machen,
dass er auf Grund eines unabweisbaren Hindernisses nicht in der Lage
war, zur Hauptverhandlung zu erscheinen.

29

Mit dem Einspruch kann der Angeklagte eine Berufung wegen

Nichtigkeit erheben. Wegen der Verletzung des § 427 StPO kann der
Verurteilte den Nichtigkeitsgrund nach § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 3
StPO
geltend machen.

30

Dass anstelle des Einzelrichters das Schöffenge-

richt hätte entscheiden müssen, der Einzelrichter es also verabsäumt hat,
ein Unzuständigkeitsurteil zu fällen, kann als nicht gehörige Besetzung
des Gerichts (§ 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 1 StPO) geltend gemacht
werden, sofern der Fehler rechtzeitig gerügt wurde. Denkbar wäre auch
die analoge Anwendung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 6
StPO. Nach dem StPRefBeglG I-Entw ist die örtliche und sachliche Unzu-
ständigkeit des Einzelrichters kein eigener Nichtigkeitsgrund mehr, weil
§ 489 Abs 1 StPO nun auf § 281 StPO und nicht mehr auf § 468 Abs 1 Z 1
und 2 StPO verweist.

Fall 9

A ist wegen einer strafbaren Handlung angeklagt:
a) beim Bezirksgericht
b) beim Einzelrichter
c) beim Schöffengericht.
Der zuständige Richter (Vorsitzende) gelangt nach Studium des Ak-
tes – noch vor der Hauptverhandlung – zur Auffassung, dass die Tat
bereits verjährt sei.

Was kann/wird der Richter tun in Variante a), b) und c)?

Lösung

a) Wenn der Bezirksrichter noch vor der Hauptverhandlung feststellt,
dass die angeklagte Tat bereits verjährt ist, wird er das Verfahren nach
§ 451 Abs 2 StPO mit Beschluss einstellen. Der Staatsanwalt kann da-
gegen eine Beschwerde ergreifen (§ 87 StPO).

29

B/V

Rz 670f.

30

B/V

Rz 590f.

Fall 9

background image

204

b) Der Einzelrichter hat die Verjährung ebenfalls selbst wahrzuneh-
men: Er hat den Strafantrag mit Beschluss zurückzuweisen und das
Verfahren einzustellen (§ 485 Abs 1 Z 3 iVm § 212 Z 1 StPO).

c) Im schöffengerichtlichen Verfahren kann der Vorsitzende die
seines Erachtens eingetretene Verjährung nicht selbst wahrnehmen.
Diesen Umstand hätte der Beschuldigte in einem Einspruch gegen die
Anklageschrift nach § 212 Z 1 StPO geltend machen können und sollen.

31

Wenn das nicht geschehen und die Anklage bereits rechtswirksam ge-
worden ist, muss der Vorsitzende die Hauptverhandlung anordnen.

32

Dort wird er gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen werden.

Fall 10

Der Angeklagte A wird wegen schwerer Körperverletzung verurteilt:
Er hat seinen Kontrahenten, der ihn als „schwule Sau“ bezeichnet
hatte, mit der Faust niedergeschlagen und ihn dadurch schwer ver-
letzt. Das Gericht verhängt im Hinblick auf 15 einschlägige Vorstra-
fen eine unbedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten. Nach Urteils-
verkündung und Rechtsmittelbelehrung sagt A: „Das Urteil lass’ ich
mir nicht gefallen, ich geh’ nicht ins Gefängnis!“ und verlässt den
Sitzungssaal. Ein Schriftsatz des Angeklagten langt bei Gericht nicht
mehr ein.

a) Hat A gültig ein Rechtsmittel eingelegt?
b) Wie hat das Rechtsmittelgericht darauf zu reagieren?

Lösung

a) A wurde nach § 84 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier
Monaten verurteilt. Sachlich zuständiges Gericht war ein Einzelrichter
(§ 31 Abs 4 Z 1 StPO). A war offensichtlich nicht durch einen Verteidiger
vertreten.

Seine Äußerung, er lasse sich dieses Urteil nicht gefallen, ist dem Sinn

nach eine (volle) Berufung (§ 489 Abs 1 iVm § 464 StPO), die gleich
nach der Urteilsverkündung angemeldet
wurde. Die Äußerung lässt
erkennen, dass A mit dem Urteil nicht einverstanden ist; somit liegt eine
gültige Rechtsmittelanmeldung vor.

31

B/V

Rz 421.

32

B/V

Rz 420.

IV. Schwaighofer

background image

205

b) A hätte das Recht, die Berufung binnen vier Wochen nach Zustel-
lung einer Urteilsausfertigung auszuführen (§ 489 Abs 1 iVm § 467 Abs 1
StPO). Der Beschwerdeführer muss entweder in der Anmeldung oder
in der Ausführung deutlich erklären, durch welche Punkte er sich be-
schwert erachtet und welche Nichtigkeitsgründe er geltend macht, sonst
ist auf das Rechtsmittel keine Rücksicht zu nehmen (§ 489 Abs 1 iVm
§ 467 Abs 2 StPO).

Eine Rechtsmittelausführung langt jedoch nicht ein. A hat im vor-

liegenden Fall keinen Nichtigkeitsgrund näher bezeichnet, daher ist
auf die Nichtigkeitsberufung nicht einzugehen. Wohl aber reicht A’s
Äußerung gleich nach der Urteilsverkündung aus, dass das Rechtsmit-
telgericht auf die Schuld- und Strafberufung eingehen muss: Mit sei-
ner Äußerung, sich das Urteil nicht gefallen zu lassen, bekämpft er die
Richtigkeit (der Feststellungen) des Urteils und auch das Strafausmaß.
Im Übrigen schließt die Schuldberufung die Strafberufung mit ein (§ 467
Abs 3 StPO). Eine nähere Ausführung dieser beiden Rechtsmittel ist nicht
nötig.

33

Das OLG darf daher die Berufung nicht als unzulässig zurück-

weisen, sondern muss über die Schuld- und Strafberufung auf einem
Gerichtstag entscheiden
(§ 489 Abs 1 iVm § 471 Abs 1).

Fall 11

A war Leiter der Wertpapierabteilung einer Bank. In dieser Funktion
schloss er hoch riskante Spekulationsgeschäfte ab, die zu erheblichen
Verlusten führten. Um diese Verluste auszugleichen, vervielfachte er
den Einsatz und das Risiko, bis die Verluste für die Bank einige Mil-
LIONENÏãÏERREICHTENÏ$IEÏ"ANKÏERSTATTETEÏ!NZEIGE

Variante a: Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren ge-
gen A wegen Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB ein. Die
Bank schließt sich dem Verfahren als Privatbeteiligte an. Nach Durch-
führung mehrerer Vernehmungen stellt die Staatsanwaltschaft das
Verfahren wegen fehlenden Schädigungsvorsatzes nach § 190 StPO
ein. Der Beschuldigte und die Bank werden davon gemäß § 194 StPO
verständigt.

Variante b: Die Staatsanwaltschaft bringt eine Anklageschrift wegen
§ 153 Abs 1, Abs 2 2. Fall StGB ein, tritt aber, bevor es zur Anberau-
mung einer Hauptverhandlung kommt, gemäß § 72 Abs 1 StPO von
der Anklage zurück.

33

B/V

Rz 578, 582.

Fall 11

background image

206

Variante c: A wird vom Schöffengericht von der Anklage wegen Un-
TREUEÏFREIGESPROCHENÏDIEÏ"ANKÏWIRDÏMITÏIHRERÏ&ORDERUNGÏVONÏÏ-IOÏãÏ
auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Variante d: A wird der Anklage entsprechend verurteilt. Die Bank
wird mit ihren privatrechtlichen Ansprüchen jedoch auf den Zivil-
rechtsweg verwiesen, weil die genaue Feststellung der Schadenssum-
me zu aufwändig wäre.
Welche Möglichkeiten hat die Bank, im Strafverfahren doch Schaden-
ersatz zu erlangen?

Lösung

Variante a: Die Bank ist Opfer iSd § 65 Z 1 lit c StPO, weil sie durch
die Tat des A einen Schaden erlitten haben könnte, und hat daher die
allgemeinen Opferrechte gemäß § 66 Abs 1 StPO. Weiters ist die Bank
durch ihre Anschlusserklärung Privatbeteiligte gemäß § 67 StPO gewor-
den (s § 69 Abs 1 StPO). Dadurch hat sie zusätzlich das Recht, die Auf-
nahme von Beweisen zu beantragen, um Staatsanwaltschaft und Gericht
von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen und ihren Schadener-
satzanspruch durchzusetzen (§ 67 Abs 6 Z 1 StPO).

34

Wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellt, hat

die Bank das Recht, die Fortführung des Verfahrens zu verlangen
(§ 66 Abs 1 Z 8 StPO, § 195 Abs 1 StPO), um einen Schuldspruch und den
Zuspruch von Schadenersatz zu erreichen (§ 366 Abs 2 StPO).

35

Variante b: Wenn die Staatsanwaltschaft erst nach Einbringung der An-
klage vor ihr zurücktritt, kann die Bank als Privatbeteiligte gemäß § 72
Abs 1 StPO Subsidiaranklage erheben. Sie muss binnen 14 Tagen, nach-
dem sie vom Rücktritt von der Anklage verständigt wurde, die Erklärung
abgeben, die Anklage aufrecht zu erhalten (§ 72 Abs 3 StPO).

36

Durch diese rechtzeitige Erklärung kommt es zu einer Hauptverhand-

lung, in der die Bank wiederum durch geeignete Anträge versuchen
kann, ihre Rechte durchzusetzen und einen Schuldspruch und die Ver-
urteilung des A zum Ersatz des Schadens zu erwirken. Nach § 245 Abs
1a StPO idF StPRefBeglG I-Entw ist der Angeklagte auch über die gegen
ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Er-
klärung aufzufordern, ob und in welchem Umfang er sie anerkennt (§ 69
Abs 2 StGB).

34

B/V

Rz 161.

35

B/V

Rz 165.

36

B/V

Rz 168.

IV. Schwaighofer

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207

Variante c: Ab 1. 1. 2008 hat der Privatbeteiligte das Recht, gegen einen
Freispruch des Schöffengerichts Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 281
Abs 1 Z 4 StPO
zu ergreifen (§ 282 Abs 2 StPO idF StPRefBeglG I-Entw).
Voraussetzung dafür ist, dass die Bank einen auf die Geltendmachung
ihrer privatrechtlichen Ansprüche gerichteten Antrag in der Hauptver-
handlung gestellt hat, der zu Unrecht abgelehnt wurde.

Variante d: Wenn die Bank als Privatbeteiligte trotz Verurteilung auf
den Zivilrechtsweg verwiesen wird (§ 366 Abs 1 und 2 StPO), so steht
ihr das Rechtsmittel der Berufung zu (§ 366 Abs 3, § 283 Abs 1 und 4
StPO). In der Berufung muss die Bank geltend machen, dass über den
privatrechtlichen Anspruch ohne erheblich verzögernde Beweisaufnah-
me hätte entschieden werden können (§ 366 Abs 3 StPO).

37

37

B/V

Rz 164.

Fall 11

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209

V. VENIER

Fall 1

A hat zusammen mit B einen Einbruchsdiebstahl in Linz, später al-
lein einen räuberischen Diebstahl in Innsbruck und zuletzt einen
Einbruchsdiebstahl in Wien begangen. Die Polizei nimmt A in Wien
fest.

a) Wer hat das Ermittlungsverfahren gegen A und B zu führen?
b) Welches Gericht führt das Hauptverfahren?

Lösung

a) Das Ermittlungsverfahren führt in erster Linie der Staatsanwalt
des Tatorts
(§ 25 Abs 1 StPO). Im vorliegenden Fall gibt es jedoch drei
Tatorte, wobei die Taten nach § 26 Abs 1 StPO zusammenhängen: A
und B sind an derselben Tat beteiligt, A hat außerdem mehrere Taten
begangen. Da A und B jeweils unmittelbare Täter sind, entscheidet nach
§ 26 Abs 2 StPO das Zuvorkommen, dh derjenige Staatsanwalt ist zu-
ständig, der zuerst in einer der Strafsachen tätig geworden ist, indem
er zB die Verhängung der Untersuchungshaft beantragt hat.

1

So ist der

Staatsanwalt in Wien auch für die in Linz und Innsbruck begangenen
Taten zuständig. Der Staatsanwalt in Wien kann freilich die Strafsachen
nach § 27 StPO trennen und den in Innsbruck begangenen räube-
rischen Diebstahl nach Innsbruck, den in Linz begangenen Einbruchs-
diebstahl nach Linz abtreten.

2

Trennung und Abtretung wirken nur für

das Ermittlungsverfahren.

b) Für das Hauptverfahren richtet sich die Zuständigkeit nach fol-
genden Grundsätzen: Für Einbruchsdiebstahl ist der Einzelrichter des
LG (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO), für räuberischen Diebstahl das Schöffen-

1

B/V

Rz 85.

2

B/V

Rz 86f.

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210

gericht (§ 31 Abs 3 Z 3 StPO) sachlich zuständig. Örtlich zuständig ist
das Tatortgericht (§ 36 Abs 3 StPO). Zusammenhängende Strafsachen
sind in einem Hauptverfahren zu erledigen (§ 37 Abs 1 StPO). Dieses
6ERFAHRENÏlNDETÏNACHÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/ vor dem Gericht höherer Ordnung
statt, gemeint ist das örtlich zuständige Gericht höherer Ordnung,

3

hier

das Schöffengericht in Wien. Es entscheidet auch über die in Linz und
Innsbruck begangenen Einbruchsdiebstähle.

4

Fall 2

Der Einzelrichter des LG entdeckt bei der Vorbereitung der Haupt-
verhandlung, dass er im Ermittlungsverfahren über einen Einspruch
des Beschuldigten wegen Rechtsverletzung entschieden hat. Er ruft
daraufhin den Verteidiger an und fragt ihn, ob dieser etwas dagegen
habe, dass er die Hauptverhandlung durchführe. Der Verteidiger hat
nichts dagegen. Der Richter führt die Hauptverhandlung durch und
verurteilt den Beschuldigten.

a) War die Durchführung der Hauptverhandlung zulässig?
b) Wenn nein, kann der Verteidiger das Urteil deswegen anfechten?

Lösung

a) Der Einzelrichter war schon „im Ermittlungsverfahren tätig“, weil er
über einen Einspruch nach § 106 StPO entschieden hat. Er ist daher von
der Durchführung der Hauptverhandlung ausgeschlossen (§ 43 Abs 2
StPO).

5

Der Verzicht des Verteidigers ist rechtlich unbeachtlich, weil

die Unvoreingenommenheit des erkennenden Gerichts (auch) im öffent-
lichen Interesse liegt (§ 3 Abs 2 StPO), außerdem ist ein Verzicht auf
die Geltendmachung von Ausschließungsgründen im Gesetz nicht vor-
gesehen. Der Richter hätte seine Ausgeschlossenheit dem Gerichtsprä-
sidenten anzeigen müssen (§ 44 Abs 2 StPO). In der Hauptverhandlung
hätte er sich selbst für ausgeschlossen erklären müssen.

6

b) Die Ausgeschlossenheit ist ein Nichtigkeitsgrund nur, wenn sie der Ver-
teidiger sofort zu Beginn der Hauptverhandlung geltend macht (§ 281 Abs 1
Z 1, § 489 Abs 1 StPO). Das ist nicht geschehen. So wird der Nichtigkeits-
berufung des Verteidigers in diesem Punkt kein Erfolg beschieden sein.

3

EBRV 25 BlgNR 22. GP 57.

4

Vgl B/V Rz 99.

5

B/V

Rz 108.

6

Vgl B/V Rz 109.

V. Venier

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211

Fall 3

A wird in Innsbruck um 1.00 Uhr nachts in der Nähe des Tatorts und
im Besitz von Einbruchswerkzeug angetroffen. Die Polizei nimmt ihn
mit auf die Dienststelle und will mit der Vernehmung beginnen. A
fragt, ob er seinen Verteidiger V, der auch ein guter Freund von ihm
sei, verständigen dürfe. Die Beamten lassen A telefonieren, A erreicht
V aber nicht. Nach drei weiteren Versuchen meldet sich der schlaf-
trunkene V und sagt zu, gleich loszufahren, A solle inzwischen nichts
sagen. Als die Beamten erfahren, dass V von Salzburg anreisen muss,
drängen sie A, gleich auszusagen: Sie würden sehr ungern warten,
bis V endlich in Innsbruck eintreffe. A sei auf Grund der Indizien so
gut wie überführt, da könne auch der beste Verteidiger nichts aus-
richten, ein Geständnis würde allen die Sache erleichtern und A bei
Gericht eine erheblich mildere Strafe eintragen. A legt daraufhin ein
Geständnis ab.

a) Haben sich die Beamten gesetzmäßig verhalten?
b) Was kann V unternehmen, wenn er der Meinung ist, die Beamten
hätten sich nicht richtig verhalten?

Lösung

a) Die Mitnahme auf die Dienststelle ist eine Festnahme. Die Polizei
darf sie von sich aus durchführen, da A offenbar unmittelbar nach
der Tat mit Gegenständen
(hier Tatwerkzeug) betreten wird, die auf
seine Täterschaft hinweisen (§ 171 Abs 2 Z 1 iVm § 170 Abs 1 Z 1 StPO).
Die Polizei muss den Festgenommenen sofort, also noch auf der Straße,
nach § 171 Abs 3 StPO belehren.

7

Ob sie das getan hat, lässt der Sach-

verhalt offen. Und sie muss ihn „unverzüglich“ zu den Haftvorausset-
zungen vernehmen (§ 172 Abs 2 StPO), vorher freilich nach § 164 Abs 1
StPO belehren. Ob das geschehen ist, ist ebenfalls nicht klar.

8

Immerhin lässt die Polizei den Beschuldigten seinen Verteidiger an-

rufen (§ 171 Abs 3 Z 1 StPO), und sie ist anscheinend sogar bereit, eine
gewisse Zeit auf sein Eintreffen zu warten. Der Beschuldigte hat nach
§ 164 Abs 2 StPO zwar das Recht, seiner Vernehmung einen Verteidiger
beizuziehen, aber wie lange die Polizei die Vernehmung aufschieben
muss oder darf, sagt das Gesetz nicht. Nach § 172 Abs 2 StPO müsste die
Vernehmung sogar unverzüglich erfolgen. Dass die Polizei eine gewisse
Zeit
auf Wunsch und im Interesse des Festgenommenen mit der Verneh-

7

B/V

Rz 351, 349.

8

B/V

Rz 352.

Fall 3

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212

mung wartet, kann man freilich nicht als „Verzug“ ansehen. Zwei Stunden
Aufschub – so lange ungefähr dauert die Autofahrt von Salzburg nach
Innsbruck – dürfte allerdings nicht leicht zu rechtfertigen sein. Man kann
den Beamten schwerlich einen Vorwurf machen, wenn sie nicht so lange
warten wollen. Der Verteidiger hat in dieser Situation das einzig Richtige
getan, indem er dem Beschuldigten geraten hat, vorerst nichts zu sagen.

Bedenklicher ist das Drängen der Polizei. Der Beschuldigte braucht

nicht auszusagen, eben darüber mussten ihn die Beamten nach § 164
Abs 1 StPO informieren. Die Polizei verspricht dem Beschuldigten nichts,
das wäre nach § 164 Abs 4 StPO jedenfalls unzulässig; sie stellt seine Lage
„nur“ als völlig aussichtslos dar und macht ihm dann Hoffnung auf eine
milde Strafe, falls er ein Geständnis ablege. Diese Taktik ist hart an der
Grenze des noch Zulässigen.

9

b) Der Verteidiger kann einen Einspruch wegen Rechtsverletzung
nach § 106 StPO erheben; freilich hat er nur Erfolg, wenn der Beschul-
digte in einem prozessualen Recht verletzt worden ist.

10

Das ist nach dem

oben Gesagten aus dem Sachverhalt kaum herauszulesen.

Fall 4

Der Beschuldigte wird von der Kriminalpolizei vernommen; hinter-
her begehrt er Akteneinsicht, weil er sich ein Bild von den Ermitt-
lungen machen möchte. Die Polizei lehnt ab, weil nur der Verteidiger
Akteneinsicht erhalte. So spricht der Verteidiger bei der Polizei vor
und möchte Einsicht in den Akt nehmen. Die Polizei verweigert sie
ihm kategorisch, weil noch nicht alle Zeugen vernommen seien. Der
Verteidiger wendet sich daraufhin telefonisch an den Staatsanwalt
und bittet ihn, der Polizei anzuordnen, sie möge ihm, dem Verteidi-
ger, doch endlich Akteneinsicht gewähren. Der Staatsanwalt meint,
das könne er nicht, bevor er nicht selbst den Akt studiert habe.

a) Durfte die Polizei die Akteneinsicht verweigern?
b) Hat der Staatsanwalt richtig gehandelt?
c) Wie kann der Verteidiger sich zur Wehr setzen?

Lösung

a) Wenn der Beschuldigte schon einen Verteidiger hat, „übt“ dieser „die
Verfahrensrechte aus, die dem Beschuldigten zustehen“ (§ 57 Abs 2

9

B/V

Rz 263.

10

B/V

Rz 210.

V. Venier

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213

StPO), dh die Polizei braucht – wie übrigens im alten Recht (§ 45 Abs 2
StPO alt) – Akteneinsicht nur dem Verteidiger zu gewähren.

Die Polizei darf die Akteneinsicht nur insoweit beschränken,

als „besondere Umstände“ befürchten lassen, dass durch die „sofortige
Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermitt-
lungen gefährdet wäre“ (§ 51 Abs 2 StPO). Sie darf also nur jene Akten-
stücke von der Einsicht ausnehmen, welche Informationen enthalten, die
der Beschuldigte – der Verteidiger kommt dafür kaum in Frage – wahr-
scheinlich nützen wird, um die angeblich noch nicht vernommenen
:EUGENÏZUÏBEEINmUSSEN
.

11

Die Polizei nimmt aber den gesamten Akt,

ja sogar das Beschuldigtenprotokoll von der Einsicht aus. Das ist jeden-
falls unzulässig. Im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, warum der
Beschuldigte sich mit den Zeugen absprechen und die Zeugen sich auf
eine Absprache einlassen sollten. Wenn es aber Gründe gibt, wird die
Polizei die Zeugen ehestens vernehmen müssen, um die Verteidigung
nicht länger als nötig zu behindern. Auch die Akteneinsicht darf nur so
lange beschränkt werden, als es „zur Aufgabenerfüllung“ erforderlich
und angemessen ist (§ 5 Abs 1 StPO).

b) Der Staatsanwalt kann von der Polizei einen Anlassbericht verlan-
gen
(§ 100 Abs 2 Z 2 StPO), sie muss ihm dann auch die kriminalpolizei-
lichen Akten übermitteln (§ 100 Abs 4 StPO), und er kann, wenn er die
Voraussetzungen für gegeben hält, selbst die Akteneinsicht gewähren
(§ 103 Abs 2 StPO).

12

Der Staatsanwalt kann die Polizei auch telefonisch

kontaktieren, und, wenn die Gründe für eine Beschränkung der Ak-
teneinsicht nicht ausreichen, der Polizei noch am Telefon anordnen
(§§ 98 Abs 1, 102 Abs 1 dritter Satz StPO),

13

sie solle dem Verteidiger

Akteneinsicht gewähren. Als Ermittlungsleiter (§ 101 Abs 1 StPO) ist der
3TAATSANWALTÏ VERPmICHTETÏ 2ECHTSVERLETZUNGENÏ DERÏ 0OLIZEIÏ ABZUSTELLENÏ
Dass die Polizei dem Verteidiger die Akteneinsicht schlechthin verwei-
gert, ist jedenfalls eine Gesetzesverletzung.

c) Gegen die Verweigerung der Akteneinsicht kann der Verteidiger Ein-
spruch wegen Rechtsverletzung
(§ 106 Abs 1 Z 1 StPO) erheben. Der
Staatsanwalt muss in diesem Fall reagieren: Entweder ordnet er der Po-
lizei an, Akteneinsicht zu gewähren oder er legt den Einspruch dem
Gericht zur Entscheidung vor (§ 106 Abs 4, 5 StPO).

14

11

B/V

Rz 119.

12

B/V

Rz 123.

13

B/V

Rz 196.

14

B/V

Rz 197.

Fall 4

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214

Fall 5

Die Kriminalpolizei führt den Beschuldigten aus der Untersuchungs-
haft für eine Tatortbesichtigung aus. Der Beschuldigte steht unter
Mordverdacht und soll zeigen, wie er das Opfer erstochen hat. Ein
Polizist gibt dem Beschuldigten entsprechende Regieanweisungen
und fragt ihn dabei, ob das so stimme. Der Beschuldigte antwortet,
er könne sich nicht mehr erinnern, weil er zur angeblichen Tatzeit
ein „Blackout“ gehabt habe, im Übrigen befolgt er brav die Regiean-
weisungen. Das ganze Geschehen nimmt die Polizei auf Video auf
und legt die Aufnahme dem Staatsanwalt vor.

a) Ist das Vorgehen der Polizei rechtmäßig?
b) Was kann der Beschuldigte dagegen tun?
c) Was kann der Angeklagte unternehmen, wenn die Videoaufnahme
in der Hauptverhandlung vorgeführt und er verurteilt wird?

Lösung

a) Die „Tatortbesichtigung“ ist in Wahrheit eine Tatrekonstruktion
(§ 149 Abs 1 Z 2 StPO):

15

Der Beschuldigte soll die Tat nachstellen und

sagen, ob das Nachgestellte dem entspricht, was er angeblich getan hat.
Die Befragung müsste eine Vernehmung sein, und der Polizist müss-
te den Beschuldigten vorher nach § 164 Abs 1 StPO belehren. Das ist
offenbar nicht geschehen. So ist die Befragung eine formlose Erkundi-
gung, die eine Vernehmung umgeht, und darum nach § 152 Abs 1 StPO
nichtig.

16

Ferner sind Tatrekonstruktionen dem Gericht vorbehalten,

sie dürfen nur auf Antrag des Staatsanwalts durchgeführt werden (§ 149
Abs 3 StPO). Außerdem muss der Verteidiger (§ 61 Abs 1 Z 1 StPO)
dazu eingeladen werden, damit er Fragen stellen, ergänzende Ermitt-
lungen und Feststellungen verlangen kann (§ 150 Abs 1 StPO). Auch
das ist nicht geschehen. Die Ausführung hätte überdies nur mit Einver-
ständnis des Staatsanwalts durchgeführt werden dürfen (§ 184 Z 2 StPO):
Die Polizei soll über Untersuchungsgefangene nicht nach Belieben ver-
fügen können.

b) Der Beschuldigte kann beim Staatsanwalt Einspruch wegen Rechts-
verletzung
einbringen (§ 106 Abs 3 StPO): weil seine Ausführung aus
der Haft der Zustimmung des Staatsanwalts bedurfte; die Polizei die Tat-
rekonstruktion nicht durchführen, ihn nicht formlos befragen durfte;

15

B/V

Rz 265.

16

B/V

Rz 234.

V. Venier

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215

weil der Verteidiger nicht eingeladen wurde (§ 106 Abs 1 Z 1 StPO)

17

. Der

Staatsanwalt freilich kann den Rechtsverletzungen nicht mehr abhelfen,
er kann den Einspruch insoweit nur an das Gericht weiterleiten, das die
Rechtsverletzungen nachträglich feststellen kann (§ 106 Abs 5 StPO).
Der Beschuldigte kann aber auch verlangen, dass die Videoaufnahme
über die nichtige Erkundigung vernichtet und die Tatrekonstruktion
unter Einhaltung der gesetzlichen Regeln wiederholt wird.

18

Das kann

der Staatsanwalt sehr wohl veranlassen (§ 106 Abs 4 StPO).

c) Die Hauptverhandlung wegen Mordes (§ 75 StGB) musste vor dem
Geschworenengericht

Ï STATTlNDENÏ eÏ Ï !BSÏ Ï :Ï Ï 3T0/Ï 'EGENÏ DASÏ

Urteil kann der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde erheben (§§ 344ff
StPO). Die Videoaufnahme, soweit sie die nichtige Erkundigung wie-
dergibt, ist insoweit „ein Protokoll über eine nichtige Erkundigung im
Ermittlungsverfahren“, ihre Vorführung in der Hauptverhandlung ist
nichtig nach § 345 Abs 1 Z 3 StPO, vorausgesetzt, der Verteidiger hat
sich dagegen ausgesprochen.

Fall 6

Die Brüder N und G stehen im dringenden Verdacht, jeweils als Mit-
täter eine Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Fußtritte gegen ein
FREMDESÏ!UTOÏ3CHADENÏUNTERÏÏãÏUNDÏEINENÏ2AUBÏNACHÏeÏÏ!BSÏ
Ï3T'"Ï!BNAHMEÏVONÏÏãÏDURCHÏ&AUSTSCHLÇGEÏINSÏ'ESICHTÏUNDÏ&U’-
tritte gegen den Bauch) begangen zu haben. Das Gericht verhängt
auf Antrag des Staatsanwalts die Untersuchungshaft und begründet
dies wie folgt: „Zum angenommenen Haftgrund der Verdunkelungs-
gefahr ist auszuführen, dass beide Beschuldigte die Taten kategorisch
in Abrede stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass sie ohne Haft-
verhängung versuchen werden, ihre Verantwortung aufeinander ab-
zustimmen. Diese Gefahr besteht umso mehr, als die Beschuldigten
Brüder sind und gemeinsam eine Tankstelle betreiben. Hinsichtlich
der Tatbegehungsgefahr ist darauf zu verweisen, dass den Beschul-
digten zwei Anlasstaten zur Last liegen, die gegen fremdes Vermögen
gerichtet sind. Es handelt sich bei beiden Anlasstaten um solche mit
nicht bloß leichten Folgen. Es ist daher zu befürchten, dass beide Be-
schuldigte ohne Haftverhängung, ungeachtet des gegen sie geführ-
ten Strafverfahrens, erneut eine solche strafbare Handlung mit nicht

17

Vgl B/V Rz 211.

18

B/V

Rz 211.

Fall 6

background image

216

bloß leichten Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, be-
gehen werden.“

a) Liegen die angenommenen Haftgründe vor?
b) Welche Möglichkeiten gibt es für die Beschuldigten, die Aufhebung
der Haft zu erreichen?

Lösung

a) Verdunkelungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 2 StPO) ist die hohe Wahr-
scheinlichkeit einer unzulässigen Einwirkung auf Beweismittel. Dass die
Beschuldigten leugnen, ist ihr gutes Recht (§ 164 Abs 1 StPO), ande-
rerseits haben sie kein Recht, sich untereinander abzusprechen. Eine
Absprache zwischen Mittätern könnte die Aufklärung der Tat beträcht-
lich erschweren. Um das zu verhindern, genügt es, die Beschuldigten
getrennt zu vernehmen
(vgl § 174 Abs 1 StPO) und ihre Angaben zu
protokollieren.

19

Schließlich geht es nicht an, Mitbeschuldigte in Haft

zu belassen, nur weil eine Absprache weiterhin möglich scheint. Sonst
könnte das Gericht bei mehreren Beschuldigten die Zwei-Monats-Frist
des § 178 Abs 1 Z 1 StPO immer voll ausschöpfen.

Fraglich ist auch die Tatbegehungsgefahr: Das Gericht beruft sich

bei der Annahme des Haftgrundes auf Taten mit „nicht bloß leichten
Folgen“ (§ 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO). Für „nicht bloß leichte Folgen“
muss der Vermögensschaden nach manchen Autoren

20

„deutlich über

der Bagatellgrenze“ des § 141 StGB

21

liegen. Andererseits beginnen die

schweren Folgen (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) erst ab einem Schaden von
Ïã

22

So kann der am Auto angeblich verursachte Schaden von

uUNTERhÏÏãÏNOCHÏDURCHAUSÏALSÏLEICHTEÏ&OLGEÏGELTENÏ.ICHTÏMEHRÏBLO’Ï
leichte Folgen sind Schäden über der Wertgrenze des § 126 Abs 1 Z 7
StGB.

23

Ï$IEÏ2AUBBEUTEÏVONÏÏãÏISTÏGERADEZUÏLÇCHERLICHÏGERINGÏFREILICHÏ

haben die Beschuldigten dem Opfer Faustschläge ins Gesicht und Fuß-
tritte in den Bauch versetzt, was auf erhebliche Gewalt schließen lässt
(vgl § 142 Abs 2 StGB). Die Folgen des Raubes könnten trotzdem leicht
sein, wenn dem Opfer darüber hinaus nichts passiert ist.

24

Die Rsp will

„alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit“

19

B/V

Rz 363.

20

Fabrizy

StPO § 180 Rz 9.

21

Ï .ACHÏDERÏ2ECHTSPRECHUNGÏLIEGTÏDERÏuGERINGEÏ7ERThÏDESÏeÏÏ3T'"ÏBEIÏNURÏÏãÏNÇHERÏ

B/S

BT I § 141 Rz 4.

22

Vgl Fabrizy StPO § 180 Rz 9.

23

B/V

Rz 364.

24

Vgl B/V Rz 364.

V. Venier

background image

217

berücksichtigen, was immer man unter „gesellschaftlicher Wirklichkeit“
versteht.

25

Selbst wenn das Gericht die Folgen des Raubes und der Sachbeschä-

digung nicht mehr als bloß leicht einstuft, darf es Tatbegehungsgefahr
nur annehmen, wenn die konkrete Gefahr einer Begehung gleichar-
tiger Delikte
gegeben ist.

26

Das Gericht muss „bestimmte Tatsachen“ an-

geben können, die gerade bei den Beschuldigten eine Tatbegehung akut
befürchten lassen (§ 173 Abs 2 StPO). Im konkreten Fall begnügt sich
das Gericht bloß mit der Wiedergabe der Gesetzesworte. Begehungs-
gefahr wird im Beschluss bloß unterstellt, aber nicht begründet. Gegen
Begehungsgefahr spricht jedenfalls, dass die Beschuldigten nicht einmal
vorbestraft sind.

b) Die Beschuldigten können sich gegen die Verhängung der Untersu-
chungshaft innerhalb von 14 Tagen ab Verkündung (§ 88 Abs 1 StPO)
des Haftbeschlusses beim OLG beschweren (§ 33 Abs 1 Z 1, § 174
Abs 4 StPO). Diese Beschwerde lässt allerdings die erste Haftverhand-
lung entfallen (§ 174 Abs 4 StPO). Sie können stattdessen die erste Haft-
verhandlung
(§ 175 Abs 1, 2 Z 1 StPO) abwarten und sich dann gegen
die Fortsetzung der Untersuchungshaft beschweren (§ 176 Abs 5 StPO).

27

Wenn das OLG die Beschwerden verwirft, können die Beschuldigten
Grundrechtsbeschwerde an den OGH erheben.

28

Sie können ferner

einen Enthaftungsantrag (§ 176 Abs 1 Z 2 StPO) beim Gericht ein-
bringen, das darüber unverzüglich in einer Haftverhandlung entscheiden
muss. Über die Haft muss das Gericht freilich auch in der ersten Haft-
verhandlung, also innerhalb von 14 Tagen ab Verhängung der Untersu-
chungshaft, entscheiden. Ein Enthaftungsantrag gleich nach Verhängung
der Untersuchungshaft bringt den Beschuldigten keinerlei Vorteile.

Fall 7

Ein Informant teilt der Polizei mit, dass der beschäftigungslose X häu-
lGÏINÏEINEMÏ,OKALÏDERÏ3UCHTGIFTSZENEÏVERKEHREÏ8ÏHABEÏSICHÏDORTÏWIE-
derholt mit polizeibekannten „Giftlern“ getroffen und sich mit ihnen
leise unterhalten. Eine halbe Stunde nach der Mitteilung machen sich
zwei Kriminalbeamte zur Wohnung des X auf und begehren Einlass.
Als sich X nach dem Grund erkundigt, antworten sie: „Wir haben

25

Fabrizy

StPO § 180 Rz 8.

26

B/V

Rz 364.

27

B/V

Rz 373.

28

B/V

Rz 384ff.

Fall 7

background image

218

schon unsere Gründe.“ Doch X will einen Durchsuchungsbeschluss
sehen, die Beamten machen daraufhin „Gefahr im Verzug“ geltend
und drängen X zur Seite. Beim Durchstöbern der Wohnung stoßen
sie im Bad auf einen Haschischjoint, sonst können sie nichts Ver-
DÇCHTIGESÏlNDEN

a) Ist die Durchsuchung rechtmäßig, wenn nein, gegen welche Be-
stimmungen wird verstoßen?
b) Was kann X gegen die Durchsuchung unternehmen?

Lösung

a) Die Kriminalbeamten führen eine Durchsuchung der Wohnung
nach § 117 Z 2 lit b StPO durch. X hat sie dazu nicht eingeladen.

29

Die

Durchsuchung erfordert den begründeten Verdacht, dass sich Drogen
INÏDERÏ7OHNUNGÏDESÏ8ÏBElNDENÏeÏÏ!BSÏÏ3T0/Ï%INENÏSOLCHENÏ6ER-
dacht können die Beamten nicht haben: Dass jemand in zwielichtigen
Lokalen verkehrt und sich dort mit Menschen von zweifelhaftem Ruf
– laut oder leise – unterhält, reicht nicht aus, ihn für einen Kriminellen
zu halten. Die Beamten vermuten nur, es könnte an der Sache „etwas
dran“ sein. Die Durchsuchung der Wohnung dient lediglich dazu, „ir-
GENDÏETWASÏ"ELASTENDEShÏZUÏlNDENÏ$ASÏREICHTÏF¿RÏEINEÏ$URCHSUCHUNGÏ
keinesfalls aus.

Die Beamten müssen X außerdem die Möglichkeit einräumen, das

Gesuchte freiwillig herauszugeben (§ 121 Abs 1 StPO). Dafür ist es nö-
tig, das Gesuchte wenigstens zu bezeichnen.

30

Dass die Beamten schon

„ihre Gründe“ haben, ist kein Grund, eine fremde Wohnung zu durch-
stöbern.

Für eine Wohnungsdurchsuchung benötigen Polizisten im Regelfall

eine Anordnung des Staatsanwalts auf Grund einer richterlichen Bewil-
ligung (§ 120 Abs 1 StPO). Die Beamten machen jedoch „Gefahr im
Verzug“
geltend (§ 120 Abs 1 StPO), zu Unrecht, wie sich zeigen lässt:
Die Polizisten machen sich erst eine halbe Stunde nach dem Anruf auf
den Weg zur Wohnung des X. Sie hätten wenigstens versuchen können,
den Staatsanwalt telefonisch zu erreichen.

31

Vielleicht ist den Beamten

bewusst, dass sie eine Durchsuchungsbewilligung angesichts vager Mut-
maßungen nicht erhalten werden; darum behaupten sie „Gefahr im Ver-
zug“.

29

B/V

Rz 303.

30

B/V

Rz 307, 304.

31

B/V

Rz 306, 192.

V. Venier

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219

b) Die Durchsuchung kann X nicht ungeschehen machen, er kann nur
durch einen Einspruch nach § 106 StPO erreichen, dass das Gericht
bestimmte Rechtsverletzungen feststellt: zB dass ihm die Beamten
nicht gesagt haben, wonach sie suchen (§ 121 Abs 1 StPO); dass Gefahr
im Verzug nicht vorgelegen hat (§ 120 Abs 1 StPO).

Dass die Durchsuchung wegen des fehlenden Verdachts gar nicht

zulässig war, kann X in einem Einspruch nicht geltend machen: Darüber
muss das Gericht auf Antrag des Staatsanwalts im Verfahren nach § 122
Abs 1 StPO
entscheiden.

32

Fall 8

Am Vortag der Hauptverhandlung wegen Einbruchsdiebstahls bean-
tragt der Angeklagte, der Richter solle ihm einen Verfahrenshelfer
beigeben. Der Richter erklärt in der Hauptverhandlung, der Antrag
sei zu spät gestellt, führt die Verhandlung durch und verurteilt den
Angeklagten, der sofort auf Rechtsmittel verzichtet.

a) Hat der Richter gesetzmäßig gehandelt?
b) Kann der Angeklagte das Urteil anfechten, wenn er es sich anders
überlegt?

Lösung

a) Einbruchsdiebstahl ist trotz seiner hohen Strafdrohung – leider
kein Fall notwendiger Verteidigung (§ 61 Abs 1 Z 5 StPO). Unter
Umständen hat der Angeklagte Anspruch auf Verfahrenshilfe, zB wegen
schwieriger Sach- und Rechtslage (§ 61 Abs 2 Z 4 StPO). Der Antrag wur-
de freilich erst am Tag vor der Hauptverhandlung gestellt, also jedenfalls
zu spät, um noch rechtzeitig einen Verfahrenshelfer zu bestellen, der sich
auch noch vorbereiten sollte. Eine Vertagung der Hauptverhandlung

33

kommt aber nur in Frage, wenn der Angeklagte gehindert war, den An-
trag früher zu stellen, etwa weil ihn niemand – zB in einer Rechtsbeleh-
rung nach § 50 StPO (§ 484 StPO) – auf die Verfahrenshilfe hingewiesen
hat. Das ist schwer vorstellbar.

b) Der Rechtsmittelverzicht ohne Beisein eines Verteidigers ist un-
wirksam
(§ 57 Abs 2 letzter Satz StPO). Eine Anfechtung des Urteils
ist allerdings nur möglich, wenn der Beschuldigte das Rechtsmittel in-

32

B/V

Rz 214.

33

Vgl B/V Rz 458.

Fall 8

background image

220

nerhalb von drei Tagen nach Urteilsverkündung anmeldet (§ 489 Abs 1,
§ 466 Abs 1 StPO). In Frage kommt das Rechtsmittel der Berufung (§ 489
Abs 1 StPO), da es sich um ein Urteil des Einzelrichters (§ 31 Abs 4 Z 1
StPO) handelt.

Fall 9

In der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter wird der angeklagte
Geschäftsführer zum Vorwurf des Betrugs zum Nachteil von Firmen-
kunden befragt. Aus der Vernehmung ergibt sich, dass eine Täu-
schung eher nicht in Betracht kommt, wohl aber eine Untreue zum
Nachteil der GmbH.

Darf das Gericht wegen Untreue verurteilen?

Lösung

Es handelt sich um ein Problem der Identität der Tat: Das Gericht

darf nur wegen einer Tat schuldig sprechen, die von der Anklage umfasst
ist (§ 4 Abs 3, § 262 StPO). Zwar sind Betrug und Untreue Vermögens-
delikte, aber die Verletzung am Vermögen beruht auf ganz unterschied-
lichen Tathandlungen zu Lasten ganz verschiedener Personen, nämlich
laut Anklage Täuschung und Schädigung von Kunden, nach Meinung
des Gerichts Vollmachtsmissbrauch zum Nachteil der Firma. In Wahrheit
liegen verschiedene Rechtsgutsverletzungen vor; es fehlt daher an der
Identität der Tat.

34

So darf das Gericht wegen Untreue nur verurteilen,

wenn der Staatsanwalt die Anklage darauf ausdehnt (§ 263 StPO), sonst
muss es – wenn es Betrug nicht für gegeben hält – freisprechen.

Die Rsp neigt dazu, die unter Anklage gestellte Tat vom Sachverhalt

zu lösen und als „Gesamtverhalten“ zu umschreiben. Unter diese vage
Bezeichnung lassen sich nachträglich ganz unterschiedliche Rechtsguts-
verletzungen subsumieren.

35

Fall 10

S soll unter anderem auch an den türkischen Staatsbürger H eini-
ge Gramm Heroin verkauft haben. H wird in einem selbständigen
Verfahren wegen Drogenerwerbs verurteilt und nach Verbüßung der
Strafe von der Fremdenpolizei in die Türkei abgeschoben, wo er

34

B/V

Rz 460.

35

Vgl B/V Rz 462.

V. Venier

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221

untertaucht. An sich sollte H im Verfahren gegen S als Zeuge aus-
sagen, weil er diesen vor der Polizei massiv belastet hat. Da die
Vernehmung des H jetzt nicht mehr möglich ist, wird in der Haupt-
verhandlung vor dem Schöffengericht das Polizeiprotokoll über H’s
Vernehmung verlesen und S auf Grund dessen verurteilt. Der Vertei-
diger hat zur Verlesung geschwiegen.

a) Ist die Verlesung rechtmäßig?
b) Kann S das Urteil anfechten, wenn ja, aus welchen Gründen?

Lösung

a) Die Verlesung widerspricht § 252 Abs 1 StPO: Nach der Z 1 ist die
Verlesung von Polizeiprotokollen in der Hauptverhandlung nur zu-
lässig, wenn das Erscheinen des Zeugen „aus erheblichen Gründen füg-
lich nicht bewerkstelligt“ werden kann. Es müssen schwerwiegende
Hindernisse
sein, für welche die Strafverfolgungsbehörden nichts dafür
können, andere Gründe sind nicht „erheblich“.

36

Das Prinzip der Un-

mittelbarkeit (§ 13 Abs 3 StPO) und das Recht des Angeklagten, sein
Fragerecht auszuüben (Art 6 Abs 3 lit d EMRK),

37

dürfen nur ausnahms-

weise anderen Interessen geopfert werden. Eine Abschiebung durch
die Fremdenpolizei ist kein zwingender Grund, eine solche Ausnahme
zuzulassen. Dass die Fremdenpolizei dringend benötigte Zeugen offen-
bar ohne Rücksprache mit der Justiz abschiebt, wäre leicht zu verhin-
dern. Das Innenministerium bräuchte die Fremdenpolizei nur anzuwei-
sen, Zeugen erst abzuschieben, wenn sie unter Beiziehung der Parteien
nach § 165 StPO gerichtlich vernommen worden sind.

Das Gericht hat die kontradiktorische Vernehmung auf Antrag des

3TAATSANWALTSÏ DURCHZUF¿HRENÏ eÏ Ï !BSÏ Ï 3T0/Ï UNDÏ DIEÏ 0mICHTÏ DESÏ
Staatsanwalts zur Objektivität und Wahrheitserforschung (§ 3 StPO) ge-
bietet, die Vernehmung zu beantragen, wenn sie in der Hauptverhand-
lung „aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen“ nicht möglich sein
wird (§ 165 Abs 1 StPO). Dass der Staatsanwalt den Antrag nicht stellt
oder die Fremdenpolizei ihn über die drohende Abschiebung bloß nicht
informiert, darf nicht auf dem Rücken des Angeklagten und auf Kosten
DERÏ7AHRHEITSlNDUNGÏAUSGETRAGENÏWERDENÏ

Anders der OGH: Die Abschiebung sei kein Anlass, auf die Verlesung

von Polizeiprotokollen zu verzichten (11 Os 98/01).

Dass der Verteidiger zur Verlesung schweigt, bedeutet im Übrigen

nicht, dass er damit „einverstanden“ ist (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO).

38

36

B/V

Rz 450.

37

B/V

58.

38

B/V

Rz 455.

Fall 10

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222

b) S kann das Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde nach § 281 Abs 1 Z 3
StPO
anfechten, weil die Verlesung den Regeln des § 252 Abs 1 StPO
nicht entsprochen hat. Da sich der Fehler ersichtlich zum Nachteil des
Angeklagten ausgewirkt hat (§ 281 Abs 3 StPO), muss das Urteil aufgeho-
ben werden.

39

Nach Meinung des OGH fehlt es schon an der Verletzung

des § 252 Abs 1 StPO.

Fall 11

Der Angeklagte hat laut Strafantrag am Innsbrucker Westbahnhof ein
fremdes Fahrrad aufgebrochen und nach Hause mitgenommen, um
es zu behalten. Demgegenüber behauptet der Angeklagte, er hätte
das Fahrrad nur für die Heimfahrt gebraucht, es aber am nächsten
Tag in der Innenstadt abstellen wollen. Das Gericht schließt sich der
Anklage an und verurteilt den schon wegen Einbruchsdiebstahls vor-
bestraften Angeklagten nach §§ 127, 129 Z 3 StGB. Es stellt im Urteil
fest, der Angeklagte habe das Fahrrad behalten wollen. Die Verant-
wortung des Angeklagten widerspräche jeder Lebenserfahrung und
sei eine bloße Schutzbehauptung.

a) Welches Rechtsmittel kann der Angeklagte einlegen?
b) Welche Gründe wird er vorbringen?

Lösung

a) Möglich sind Nichtigkeits-, Schuld- und Strafberufung (Berufung nach
§§ 489 Abs 1, 464 StPO), da es sich um ein Urteil des Einzelrichters (§ 31
Abs 4 Z 1 StPO) handelt.

b) Für den Angeklagten bietet sich die Nichtigkeitsberufung an, die
auf einen Begründungsmangel gestützt werden kann (§ 281 Abs 1 Z 5
2. Fall, § 489 Abs 1 StPO):

Die Feststellung des Gerichts, der Beschuldigte habe das Fahrrad mit-

genommen, um es zu behalten, betrifft eine entscheidende, weil schuld-
erhebliche Tatsache: Aus ihr leitet sich nämlich der Diebstahlsvorsatz
ab.

40

Die Verantwortung des Angeklagten dagegen, er habe das Fahrrad

nur gebrauchen und dann abstellen wollen, läuft – abgesehen von der
3ACHBESCHÇDIGUNGÏDURCHÏ!UFBRECHENÏnÏAUFÏEINENÏSTRAmOSENÏ'EBRAUCHS-
vorsatz, allenfalls auf einen Entziehungsvorsatz nach § 135 StGB hinaus.
Das Urteil müsste sich in den Entscheidungsgründen mit dieser Verant-

39

Vgl B/V Rz 519.

40

B/V

Rz 498.

V. Venier

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223

wortung auseinandersetzen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).

41

Dass sie angeblich

jeder Lebenserfahrung widerspricht, ist eine unhaltbare Verallgemeine-
rung. Eine Lebenserfahrung, wonach Vorbestrafte fremde Fahrräder nicht
gebrauchen, sondern nur stehlen wollen, ist selbst lebensfremd.

42

Selbst-

verständlich kann der Angeklagte eine lebensfremde Beweiswürdigung
auch mit Schuldberufung anfechten (§§ 464 Z 2, 489 Abs 1 StPO).

§ 281 Abs 1 Z 5a StPO kommt im Einzelrichterverfahren nicht in Be-

tracht.

Fall 12

X hat im Polizeiverhör eine Brandstiftung gestanden. Bald darauf mel-
det sich A bei der Kriminalpolizei und behauptet, den wahren Täter zu
kennen. Die Polizei notiert im Akt seine Personalien und fügt hinzu:
„möglicher Zeuge“; dann schickt sie A weg, ohne ihn zu vernehmen.
Der Akt geht mit dem Abschlussbericht an den Staatsanwalt.
Der Staatsanwalt schenkt dem Aktenvermerk keine weitere Beach-
tung, sondern verfasst sofort eine Anklageschrift gegen X wegen
Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB.
In der Hauptverhandlung widerruft X sein Geständnis. Das erken-
nende Gericht schenkt dem Aktenvermerk ebenfalls keine Beach-
tung. Auch der Verteidiger stellt keinen Antrag, den A zu vernehmen.
X wird auf Grund des Polizeiprotokolls im Sinne der Anklage schul-
dig erkannt.

a) Haben sich Polizei, Staatsanwalt und erkennendes Gericht richtig
verhalten?
b) Was kann X gegen die seiner Ansicht nach ungerechte Verurtei-
lung tun?

a) Polizei, Staatsanwalt und Gericht haben sich nicht richtig verhal-
ten
:

Polizei, Staatsanwalt und Gericht müssen die Wahrheit erforschen

und allen Umständen nachgehen, die für die Aufklärung der Tat von
Bedeutung sein können (§ 3 Abs 1, § 2 Abs 2, § 232 Abs 2 StPO).

43

Sie

dürfen sich dabei nicht bloß mit den belastenden Umständen befassen
(§ 3 Abs 2 StPO). Die Polizei hätte den A vernehmen, der Staatsanwalt
ihr die Vernehmung wenigstens anordnen sollen (§ 101 Abs 4 StPO).

41

B/V

Rz 478.

42

Vgl auch die Beispiele in B/V Rz 504.

43

B/V

Rz 13.

Fall 12

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224

Polizei und Staatsanwalt durften die Beweisaufnahme nicht etwa nach
§ 55 Abs 3 StPO der Hauptverhandlung vorbehalten: Die Verneh-
mung des A konnte geeignet sein, den Tatverdacht zu entkräften.

Überdies durfte der Staatsanwalt Anklage nur erheben, wenn der

Sachverhalt ausreichend geklärt war (§ 210 Abs 1 StPO).

44

Ausrei-

chend geklärt ist der Sachverhalt aber erst, wenn alle in Frage kommen-
den Zeugen angehört wurden. Das erkennende Gericht schließlich durf-
te den Angeklagten nur verurteilen, wenn Tat und Schuld aufgeklärt
(§ 2 Abs 2 StPO), dh alle Zweifel ausgeräumt waren. Die Verlesung des
Polizeiprotokolls (§ 245 Abs 1 StPO) konnte Zweifel, ob A nicht viel-
leicht doch Erhebliches zur Aufklärung der Tat beitragen konnte, nicht
ausräumen.

b)

Ï$ASÏ6ERFAHRENÏlNDETÏVORÏDEMÏSchöffengericht statt (§ 31 Abs 3 Z 1

StPO). Gegen dessen Urteil steht dem Angeklagten die Nichtigkeitsbe-
schwerde zu. Als Nichtigkeitsgrund könnte § 281 Abs 1 Z 5a StPO in
Frage kommen:

Für die Z 5a ist erforderlich, dass sich „aus den Akten“ erhebliche

Bedenken gegen entscheidende, dh schulderhebliche Feststellungen er-
geben. Das trifft ua zu, wenn im Akt enthaltene Beweisergebnisse in
der Hauptverhandlung nicht vorgekommen sind.

45

Die im Akt enthaltene

Notiz „möglicher Zeuge“ ist selbst noch kein Beweisergebnis, nur ein
Hinweis, dass die Vernehmung des „möglichen Zeugen“ ein Beweiser-
gebnis erbringen könnte. Was dieses Beweisergebnis sein wird und ob
es überhaupt ins Gewicht fällt, kann im Vorhinein nicht gesagt werden.
Indem das Gericht die Beweisaufnahme unterlassen hat, hat es seine Auf-
KLÇRUNGSPmICHTÏVERLETZTÏ!BERÏDASÏALLEINÏISTÏNOCHÏKEINÏ.ICHTIGKEITSGRUND

46

Der Verteidiger hätte den Aktenvermerk zum Anlass nehmen sollen, die
Vernehmung des Zeugen zu beantragen
. Darum gibt es den Nichtig-
keitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO. So aber muss der Verurteilte die
Rechtskraft des Urteils abwarten, um die Wiederaufnahme des Verfah-
rens
zu beantragen: Der Zeuge X ist ein neu beigebrachtes Beweismittel
iSd § 353 Z 2 StPO.

Fall 13

Der holländische Feriengast J hat einen Discobesucher durch einen
Faustschlag verletzt. J gesteht bei der polizeilichen Vernehmung ein,

44

B/V

Rz 134.

45

B/V

Rz 508.

46

B/V

Rz 508.

V. Venier

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225

er habe sich über das Opfer maßlos geärgert und deshalb zugeschla-
gen. Der Staatsanwalt klagt J vor dem Bezirksgericht wegen Kör-
perverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) an. J wird zur Hauptverhandlung
geladen, aber ihm ist die Anreise zu umständlich. Das Bezirksgericht
verurteilt J in Abwesenheit im Sinne der Anklage. Das Urteil wird J
im Rechtshilfeweg am 14. 3. zugestellt. Daraufhin teilt J dem Richter
schriftlich mit, dass er sich unschuldig fühle, weil er nur eine Attacke
des Gegners abgewehrt habe. Er beantrage die „Wiederaufnahme der
Verhandlung“, um sich persönlich verteidigen zu können. Der Brief
wurde am 28. 3. zur Post gegeben.

a) Durfte das Gericht gegen J in Abwesenheit verhandeln?
b) Wie ist der Antrag des J zu verstehen und ist er berechtigt?

Lösung

a) J wurde zur Hauptverhandlung offensichtlich ordnungsgemäß gela-
den
und, wie es scheint, von der Polizei nach § 164 StPO zu allen schuld-
erheblichen Umständen vernommen. Die Verhandlung in Abwesenheit
des Angeklagten war daher rechtmäßig (§ 427 Abs 1 StPO).

b) Das Schreiben muss man als Einspruch gegen das Abwesenheits-
urteil
(§ 478 StPO) werten, zumal sich J persönlich in einer Verhandlung
rechtfertigen will. Der Einspruch ist eben noch rechtzeitig erhoben wor-
den, weil die 14-tägige Einspruchsfrist am 28. 3. um 24 Uhr abläuft.

47

Aber er ist unbegründet, weil J nicht gehindert war, an der Hauptver-
handlung teilzunehmen (§ 478 Abs 1 StPO):

48

Die Anreise war ihm nur

zu umständlich.

Wenn das BG den Einspruch verwirft, kann J dagegen Beschwerde an

das LG erheben (§ 478 Abs 2 StPO). Wenn er keine Beschwerde erhebt
und auch sonst nichts von sich hören lässt, wird man sein Schreiben
wenigstens als Anmeldung und gleichzeitige Ausführung der Schuld-
berufung
zu verstehen haben (vgl § 478 Abs 2 StPO); Schuldberufung
deshalb, weil J – abweichend von seiner früheren Verantwortung – jetzt
sinngemäß Notwehr einwendet und damit einen neuen schulderheb-
lichen Umstand vorbringt.

49

In der Schuldberufung ist zu seinen Gunsten

die Strafberufung eingeschlossen (§ 467 Abs 3 StPO).

47

Der Tag der Zustellung und der Postlauf werden nicht mitgezählt (§ 84 Abs 1 Z 2, 3

StPO).

48

B/V

Rz 670.

49

B/V

Rz 578.

Fall 13

background image
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227

Stichwortverzeichnis

A = Fälle zum materiellen Recht. B = Fälle zum Prozessrecht.

Römische Zahlen beziehen sich auf die Autoren (I = Flora, II = Murschetz, III = Scheil,

IV = Schwaighofer, V = Venier), arabische Zahlen auf die Nummer des Falles.

Absichtliche schwere Körperverletzung A I

1, A V 1

Abtretung B V 1
– an das zuständige Gericht B IV 7
Abwesenheit des Beschuldigten B IV 8
Akteneinsicht B V 4
Alkoholisierung A I 2, A II 5, A V 1, A V 2,

B II 2

ALLGEMEINÏBEGREImICHEÏ'EM¿TSBEWEGUNGÏ

A IV 1

alternativer Vorsatz A IV 8
Amtsgeheimnis A III 8
Amtsmissbrauch A I 8, A II 6, A III 8
– durch Unterlassen A I 8, A II 6
amtswegige Wahrnehmung von Nichtig-

keitsgründen B IV 6

Angehörige, Begünstigung von A III 7,

A IV 4

Anhalterecht A III 2, A V 5
Anklageausdehnung B II 6
Anklagegrundsatz B III 6
Anlassbericht B V 4
Anmeldung eines Rechtsmittels B IV 3,

B V 7, B V 8

Antragsdelikt B IV 4
anvertrautes Gut A II 4, A III 6, A IV 8,

A IV 9, A V 10, A V 12

ausdrückliche Subsidiarität A III 8
Ausführung des Rechtsmittels B IV 3
ausgeschlossener Richter B III 5, B V 2
Ausnützung einer Amtsstellung A III 8
Aussagebefreiung(-srecht) B IV 4, B IV 5
Aussageverweigerung(-srecht) B III 1,

B III 7, B IV 4

Aussetzung A I 2, A III 3

Bagatelleingriff B II 2
Bankomatkarte A II 2, A III 5, A IV 9

Bedrängnisdiebstahl A I 3, A II 2
Befugnismissbrauch A II 6, A V 11
Begehung
– einer Tat im Vollrausch A V 1
– im Familienkreis A I 5, A III 3, A IV 5,

A IV 9, A V 6

Begleittat
–, typische A II 2, A II 3, A II 4
Begründungsmangel B II 4, B IV 3, B V 11
Begünstigung A III 7, A IV 4, A V 13
Behältnis A IV 5, A V 6
Beharrliche Verfolgung A V 4
Beischlaf A IV 12
Beitrag durch Unterlassen A IV 1
Beitragstäterschaft A I 4, A II 6, A III 5, A III 7,

A III 8, A IV 4, A IV 11, A V 8, A V 10

Belehrung des Beschuldigten B I 1, B I 2,

B II 5, B V 3, B V 8

Beleidigung A II 1, A IV 12
Berufsunfähigkeit A III 1
Beschwerde B IV 2
– an das LG B V 13
– an das OLG B I 4, B III 7, B IV 9, B V 6
– an den Drei-Richter-Senat B IV 9
besonders gefährliche Verhältnisse A I 2,

A I 8, A II 5, A III 1, A III 3, A V 2,
A V 3, A V 13

Besorgniseignung A IV 10, A V 4, A V 8,

A V 9, A V 10

Bestechung A II 6, A III 8
Bestimmungstäterschaft A I 5, A I 8, A II 4,

A III 7, A III 8, A IV 5, A IV 6, A IV 11

–, versuchte A I 8
Betretung auf frischer Tat A III 1, A III 2,

B II 5

Betrug A I 3, A I 5, A I 6, A I 7, A III 6,

A III 8, A IV 3, A IV 7, A IV 9, A V 7,
A V 9, A V 10, B III 7

background image

228

–, gewerbsmäßiger A III 8
–, schwerer A I 5, A I 6, A III 6, A IV 9,

A V 7, A V 10

betrügerischer Datenverarbeitungsmiss-

brauch A I 6, A III 5, A IV 9, A V 7

Beugegeldstrafe B III 1
Beugehaft B III 1
Beweisantrag B II 1, B II 5, B III 6
Beweisaussage, falsche A III 7
Beweismittel
–, falsches A III 7, A V 10
–, Unterdrückung eines A II 2
Beweismittelbetrug A V 10
Beweisverwertungsverbote B I 1, B I 2,

B I 6, B II 1, B II 2, B III 1, B III 2,
B IV 4, B IV 5

Beweiswürdigung B IV 3, B V 11
bewusstlos B II 2
Blankettfälschung A III 6
Blutabnahme B II 2
Briefgeheimnis A V 7

Dauernde Sachentziehung A I 3, A II 2,

A II 3, A II 4, A III 3, A III 5, A IV 5,
A IV 6, A IV 7, A IV 8, A V 5, A V 6

Delegierung B III 3
Diebstahl A I 3, A I 4, A I 5, A II 2, A II 3,

A II 4, A III 2, A III 5, A III 6, A IV 3,
A IV 5, A IV 6, A IV 7, A IV 8, A IV 9,
A V 5, A V 6, A V 9

–, räuberischer A I 4
–, schwerer A I 3, A I 4, A II 2, A II 4,

A V 6, A V 9

diebstahlsfähige Sache A IV 5
Dienstliste B III 4
Differenzschaden A IV 7, A V 10
Dispositionsfähigkeit A IV 5
Diversion, unterbliebene B IV 3
Doppelkausalität A III 4
Doppelverfolgungsverbot B II 6
Drei-Richter-Senat B II 4, B III 3
Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib

oder Leben A III 2, A III 3, A IV 10, A V 8

Einbruchsdiebstahl A I 4, A III 1, A IV 5,

A V 6

Einfuhr von Suchtgift A III 7
Eingriff in fremdes Jagd- oder Fischerei-

recht A II 7, A III 2

Einlassungsfahrlässigkeit A II 5, A V 2
Einspruch
– gegen das Abwesenheitsurteil B IV 8,

B V 13

– gegen die Anklageschrift B IV 9
– wegen Rechtsverletzung B I 1, B I 3,

B II 5, B IV 2, B V 3, B V 4, B V 5, B V 7

Einstellung B I 5, B IV 9
Einwilligung A I 2, A III 7, A V 13
Entfremdung unbarer Zahlungsmittel A I 6,

A II 2, A II 4, A III 5, A IV 9, A V 7

Enthaftungsantrag B V 6
Entwendung A IV 8
Erkundigung B I 1, B I 3, B II 5
Erpressung A I 5, A II 6, A V 9, A V 10
Ersatzgeschworener B III 4
Erschleichung einer Leistung A III 6

Fahrlässige
– Gefährdung der körperlichen Sicherheit

A V 3

– Gemeingefährdung A V 3
– Körperverletzung A I 2, A I 8, A III 1, A

IV 2, A IV 4, A IV 10, A V 2

– Tötung A V 3, A V 13
– Tötung unter besonders gefährlichen

Verhältnissen A III 4, A V 3, A V 13

faires Verfahren B III 5, B IV 5
Falsche Beweisaussage
– vor Gericht A III 7
– vor einer Verwaltungsbehörde A V 13
Fälschung unbarer Zahlungsmittel A V 7
Fernmeldegeheimnis B III 2
Festnahme B I 2, B II 5, B III 5, B IV 2,

B V 3

Fluchtgefahr B I 4
Formalfreispruch B IV 4, B IV 6
Fortführungsantrag B IV 11
fortgesetztes Delikt A III 5
Fortsetzung des Verfahrens, Antrag auf

B III 3

Fragerecht der Parteien B I 6, B IV 5,

B V 10

Frank’sche Formel A III 4
Freiheitsentziehung A II 3, A IV 4, A V 5

Garantenstellung A II 6, A IV 1
Gebrauchsverhinderungsvorsatz A III 5
Gefahr im Verzug B II 2, B II 5, B V 7
Gefährdung der körperlichen Sicherheit

A II 7, A III 3, A V 3

gefährliche Drohung A III 4, A V 4, A V 8,

A V 9

Geldwäscherei A I 5, A IV 10
Geldwucher A V 9
Gerichtsvorsteher B III 5
Geschenkannahme

Stichwortverzeichnis

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229

– durch Beamte A II 6, A III 8
– durch Machthaber A IV 11
geschlechtliche
– Handlung A IV 12, A V 4
– Nötigung A IV 12
Geschworenenbank B III 4
gesetzlicher Richter B III 4
Gewahrsam A I 3, A II 2, A II 3, A II 4,

A III 3, A III 4, A III 5, A III 6, A IV 3,
A IV 4, A IV 7, A V 5, A V 6, A V 7,
A V 9, A V 12

–, gelockerter A V 5, A V 7
Gewahrsamsbruch A II 4, A IV 5, A IV 8,

A IV 9, A V 6, A V 9

Gewalt A I 2, A II 3, A III 3, A IV 3, A IV 4,

A IV 10, A IV 12, A V 5

–, schwere A IV 12
Gewerbsmäßigkeit A III 8
Gleichwertigkeit A II 6, A IV 1
Grundrechtsbeschwerde B I 4, B III 6,

B V 6

Haftantrag B III 6
Haftbefehl B III 7, B IV 2
Haftfristen B IV 2, B V 6
Haftgründe B II 5, B III 7, B V 6
Haftverhandlung B IV 2, B V 6
Hehlerei A IV 10, A V 9
Hilfeleistung A IV 2

Identität der Tat B II 6, B V 9
Imstichlassen eines Verletzten A I 2, A I 3,

A IV 2

internationaler Anwendungsbereich öster-

reichischen Strafrechts A III 7, B III 7

irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden

Sachverhalts A III 1, A III 4

Journalrichter B III 5
junger Erwachsener B III 3
Justizanstalt, Einlieferung in die B IV 2

Kausalität A II 5
–, alternative A III 4
–, hypothetische A III 8
Kettenbestimmung A III 7, A III 8
Komplott A II 3, A V 8
Konkurrenz, echte A I 5, A II 3, A III 5,

A IV 10, A IV 12

Konsumtion A III 5, A III 8, A IV 1, A IV 3,

A IV 5

kontradiktorische Vernehmung B II 1,

B IV 4, B IV 5, B V 10

Körperverletzung A I 1, A I 3, A II 1, A II 2,

A III 1, A III 2, A III 3, A III 4, A IV 3,
A IV 12, A V 1, A V 2, A V 5

– mit tödlichem Ausgang A I 1, A II 1, A III

4, A V 1

–, absichtliche schwere A I 1, A II 1, A III 4,

A V 1

–, fahrlässige A I 2, A I 8, A II 5, A III 1,

A IV 2, A IV 4, A IV 10, A V 2

–, schwere A I 1, A I 2, A II 5, A III 1,

A III 2, A IV 1, A IV 2, A V 1, A V 2

Kreditkarte A I 6, A II 4, A IV 9, A V 7

Lebensgemeinschaft A III 3, A IV 1, A IV 4,

A V 13

Lugurkunde A III 7

Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat A IV 8
Misshandlung A II 1, A III 2, A III 3,

A IV 12

Misshandlungsvorsatz A I 3, A II 1, A IV 3,

A V 5

Mittäterschaft A IV 5, A V 6
Mitwirkung am Selbstmord durch Unterlas-

sen A IV 1

Mord A III 4, A IV 1, A V 1
Mündlichkeitsgrundsatz B II 3

N

ACHTATÏSTRAmOSEÏ!Ï)))ÏÏ!Ï)6ÏÏ!Ï6Ï

A V 7

Ne bis in idem s Doppelverfolgungsverbot
nemo-tenetur-Grundsatz B II 2, B III 1
Neuerungsverbot B II 3
Nichtigkeitsberufung s Nichtigkeitsgründe
Nichtigkeitsbeschwerde s Nichtigkeitsgrün-

de

Nichtigkeitsgründe
– § 281 Abs 1 Z 1 B II 7, B III 5, B V 2
– § 281 Abs 1 Z 1a B IV 1
– § 281 Abs 1 Z 3 B I 6, B II 1, B IV 4,

B IV 8, B V 10

– § 281 Abs 1 Z 4 B II 1, B II 7, B IV 1
– § 281 Abs 1 Z 5 B II 3, B II 4, B IV 3,

B V 11

– § 281 Abs 1 Z 5a B V 12
– § 281 Abs 1 Z 6 B II 7
– § 281 Abs 1 Z 9a B IV 3
– § 281 Abs 1 Z 9c B IV 6
– § 281 Abs 1 Z 10 B IV 6
– § 281 Abs 1 Z 10a B IV 3
– § 345 Abs 1 Z 3 B I 1, B I 2, B V 5
– § 345 Abs 1 Z 10a B I 2
– § 468 Abs 1 Z 2 B IV 8

Stichwortverzeichnis

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230

– § 468 Abs 1 Z 3 B III 2, B IV 3
– § 468 Abs 1 Z 4 B IV 3, B IV 6
–, relative B V 10
Nötigung A I 2, A I 4, A I 5, A III 2, A III 3,

A IV 3, A V 4, A V 5, A V 10

Notwehr A I 1, A II 1, A III 1, A III 2, A V 5
Notwehrprovokation A I 1
notwendige Verteidigung B IV 1, B V 8

Objektive Bedingung (erhöhter) Strafbarkeit

A III 7

Objektivität B V 12
Opfer B IV 11

Perpetuatio fori B II 7, B IV 7
Privatanklage A III 3, A IV 9, A V 7, B IV 6
Privatbeteiligte B IV 11
Protokollberichtigungsantrag B II 3
Protokollierung, unrichtige B II 3
Provision A IV 11
Putativnotwehr A II 1, A III 4, A V 1

Raub A I 3, A I 4, A II 2, A II 3, A III 4,

A IV 10, A V 8

–, bewaffneter A II 3, A III 4, A V 8
–, minderschwerer A IV 10
–, schwerer A IV 10
Räuberischer Diebstahl A I 4
Raubkomplott A II 3, A V 8
Rechtsirrtum A III 2
Rechtswirksamkeit der Anklageschrift

B II 7, B IV 7

Rechtsmittel des Privatbeteiligten B IV 11
Rechtsmittelverzicht B III 5, B IV 3, B V 8
Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem

Alternativverhalten B IV 3

Risikozusammenhang A I 8, A II 1, A II 5,

A IV 4

2¿GEPmICHTÏ"Ï)))Ï

Sachbeschädigung A II 7, A III 3, A IV 4,

A IV 5, A IV 6, A IV 8, A V 3, A V 6

Schuldberufung B II 4, B IV 3, B IV 10,

B V 11, B V 13

Schuldfähigkeit A IV 5, A V 1
seelische Beeinträchtigungen A IV 10
Selbstanzeige A V 9
Selbstbegünstigung A III 7, A V 13
Selbsthilfe, erlaubte A V 5
Selbstmord A IV 1
sexuelle Belästigung A IV 12
Sexueller Missbrauch von Unmündigen

A IV 12

Sonderdelikt A II 4
Sparbuch A I 5
Sperrvorrichtung A IV 5
Spielzeugpistole A III 4
Strafausschließungsgrund A II 5, A IV 8,

A IV 12

Strafberufung B IV 10
subjektive Sorgfaltswidrigkeit A II 5
Subsidiaranklage B IV 11
Subsidiarität A IV 10
Subsidiaritätsklausel A III 7
Subsumtionsirrtum B IV 3, B IV 6

Tatbegehungsgefahr, B V 6
Tatbildirrtum A II 7, A III 1, A III 2
Tätige Reue A II 4, A III 3, A III 7, A IV 7,

A V 5, A V 9, A V 10, A V 11

Tatrekonstruktion B V 5
Tatverdacht, dringender B I 4
Täuschung A III 6, A IV 3, A IV 7, A V 9,

A V 10

Tauschwert A III 3, A III 5, A III 6, A IV 8
Telefonüberwachung B III 2, B III 7
Telekommunikation B III 2
Tierquälerei A II 7
Totschlag A IV 1
Trennung von Strafsachen B V 1

Übernahmefahrlässigkeit A II 5, A V 2
Unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen

A II 4, A IV 4, A IV 6, A V 6

unechtes Unterlassungsdelikt A IV 1
Unmittelbarkeitsgrundsatz B III 5, B V 10
unrichtige Beweiswürdigung B IV 3, B V 11
Unterlassung
– der Hilfeleistung A IV 1, A IV 2
– der Verhinderung einer mit Strafe be-

drohten Handlung A II 7, A IV 4

Unterlassungsdelikt, unechtes A III 8,

A IV 1

Unterschlagung A I 3, A I 6, A IV 3, A IV 4,

A IV 6, A IV 8

Untersuchungshaft B I 4, B III 5, B III 6,

B III 7, B IV 2, B V 6

Untreue A I 7, A III 5, A IV 9, A IV 11,

A V 11

Unzuständigkeitsurteil B II 7
Urkunde, falsche A III 6
Urkundenbetrug A V 10
Urkundenfälschung A III 6, A III 7
Urkundenunterdrückung A I 5, A III 5,

A IV 5, A V 7

Stichwortverzeichnis

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231

Verbotsirrtum A II 1
Verbrecherisches Komplott A II 3, A V 8
Verdunkelungsgefahr B II 5, B III 7, B V 6
Verfahren vor dem gesetzlichen Richter

B III 4

Verfahrenshilfe B IV 1, B V 8
Vergewaltigung A IV 12
Verjährung B IV 9
Verlesung von Polizeiprotokollen B II 1,

B IV 4, B IV 5, B V 10

Verlesungsverbote s Beweisverwertungs-

verbote

Verletzung des Amtsgeheimnisses A III 8
Verleumdung A III 7, A V 13
Vermögensschaden A IV 7, A IV 9, A IV 11,

A V 9, A V 10

Vernehmung B V 3
– des Beschuldigten B I 1
– kontradiktorische B IV 4, B IV 5, B V 10
Vernehmungsmethoden, unzulässige B V 3
Vernichtung unverwertbarer Beweisergeb-

nisse B III 2

Versuch A I 6, A I 8, A II 3, A III 2, A III 3,

A III 5, A III 8, A IV 1, A IV 3, A IV 4,
A IV 7, A V 3, A V 4, A V 6, A V 7,
A V 8, A V 9

–, beendeter/unbeendeter A V 8
–, fehlgeschlagener A I 6, A II 3, A III 5, A

IV 1, A IV 7, A V 7, A V 8

–, Rücktritt A III 5, A V 8
–, Tauglichkeit A I 6, A II 3, A III 2, A IV 7,

A V 7, A V 9

Vertagung B I 6, B V 8
Verteidiger B I 2, B II 5, B III 5, B IV 1,

B V 4

Verteidigungsrecht A V 12
Veruntreuung A I 3, A I 5, A I 7, A II 4,

A III 5, A III 6, A IV 8, A IV 9, A V 9,
A V 10, A V 12

Verweisung auf den Zivilrechtsweg B IV 11
Verzeihung A III 3
Verzicht
– auf Privatanklage A III 3
– auf die Geltendmachung von Ausschlie-

ßungsgründen B V 2

Videoübertragung B IV 2
volle Berufung B IV 3, B IV 10

Vollmachtsmissbrauch A I 7, A IV 11,

A V 11

Vollrausch A V 1
Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten

Handlung A III 7, A V 12, A V 13

Waffe A II 3, A III 1, A III 4, A IV 10, A V 8
Waffenattrappe A III 4
Waffengebrauch A III 4
–, lebensgefährdender A III 4
–, rechtfertigender A III 1, A III 4
Wahrheitserforschung B V 10
Warnschuss A III 4
widerrechtlich erlangter Schlüssel A IV 4,

A IV 6, A V 6

Widerstand gegen die Staatsgewalt A I 8,

A III 2, A III 4, A IV 4

Wiederaufnahme des Verfahrens B II 6,

B V 12

Wiederbeschaffungswert A III 6
Wissentlichkeit A II 6, A IV 11, A V 1,

A V 13

Wohnungsdurchsuchung B V 7

Zahlungsmittel, unbares A I 6, A II 2,

A II 4, A III 5, A IV 9, A V 7

Zeugenaussage, falsche A V 13
Zeugnisbefreiung s Aussagebefreiung
Zeugnisverweigerungsrecht s Aussagever-

weigerung

Zueignung A I 5, A IV 8, A V 10, A V 12
Zurückziehung des Antrags auf Verfolgung

B IV 4

Zusammenrechnung der Werte und

Schadensbeträge A III 6, A V 3

Zuständigkeit
– des Bezirksgerichts B II 4, B II 7, B III 3,

B IV 3

– des Einzelrichters B II 7, B IV 1, B IV 4,

B IV 10, B V 1

– des Geschworenengerichts B II 7
– des Schöffengerichts B II 1, B II 3, B II 4,

B II 7, B IV 1, B IV 4, B IV 5, B IV 8

– im Ermittlungsverfahren B V 1
–, örtliche B III 7, B IV 7
–, sachliche B II 1, B III 7, B IV 8

Stichwortverzeichnis


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