Charmed 18 Date mit dem Tod Elizabeth Lenhard

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C

harmed

Zauberhafte

Schwestern

Date mit dem Tod

Roman von

Elizabeth Lenhard

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Klappentext:

Piper und Leo denken über ihren Kinderwunsch nach, Phoebe

und Cole genießen ihre Verlobung – so fühlt sich Paige immer

mehr unter Druck gesetzt, ebenfalls einen Partner zu finden.
Daraus entwickelt sich ein wahrer Spleen, denn sie versucht

über das Internet an ein Date heranzukommen und wird mit

vielversprechenden Angeboten überhäuft. Nahezu jede Nacht

trifft sie sich mit einem neuen Kandidaten, was aber scheinbar

zu nichts führt – außer, dass Paige ihre Verabredungen in einem

katatonischen Trancezustand erlebt. Ihre Bekanntschaften

haben sie mit teuflischen Mächten in Verbindung gebracht.

Paige leitet die dunklen Kräfte weiter – und schon bald richten

sich ihre Energien gegen ihre Schwestern. Werden Piper und

Phoebe sie retten, wo sie nur die

Macht der Zwei nutzen können?

Dieses eBook ist nicht zum Verkauf

bestimmt.

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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Charmed – Zauberhafte Schwestern. – Köln : vgs

(ProSieben-Edition)

Date mit dem Tod : Roman von Elizabeth Lenhard.

Aus dem Amerikan. von Antje Görnig. – 1. Aufl. – 2002

ISBN 3-8025-2950-2

Erstveröffentlichung bei Pocket Books, New York 2002

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Date with Death von Elizabeth

Lenhard

Das Buch »Charmed – Zauberhafte Schwestern. Date mit dem Tod« von

Elizabeth Lenhard entstand auf der Basis der gleichnamigen Fernsehserie von

Spelling Television ausgestrahlt bei ProSieben.

© des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben

Television GmbH

™ und © 2002 Spelling Television Inc. All Rights Reserved.

1. Auflage 2002

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH

Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Anja Schwinn

Produktion: Wolfgang Arntz

Umschlaggestaltung: Sens, Köln

Titelfoto: © Spelling Television Inc. 2002

Satz: Kalle Giese, Overath

Druck: Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germany

ISBN 5-8025-2950-2

Besuchen Sie unsere Homepage im WWW: www.vgs.de

Für Allison, Cathy, Jen, Rachel und Reva

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Danksagung

Ich möchte mich bei Alice und Clare La Plante bedanken, den

Autorinnen von Dear Saint Anne, Send Me a Man: And Other Time-
Honored Prayers for Love
(Universe Publishing, New York). Die
Legende der Heiligen Katharina wird in vielfältigen Variationen
erzählt. Die Version in dem grillenhaften Buch der La Plantes
inspirierte dieses Buch.

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»Ich bin froh, dass ich dir begegnet bin, Paige«, sagte Josh.

»Warum?«, fragte Paige beklommen.

»Weil …«, setzte Josh an und beugte sich über sie. Seine Stimme

veränderte sich, wurde fast roboterartig. Sein Gesicht nahm einen
finsteren Ausdruck an. Sein heißer, übelriechender Atem wehte Paige
entgegen. »… du mein Herz hast.«

Paige blickte wie gebannt auf Joshs Hand, die sich auf ihre Brust

zu bewegte. Sein Arm zitterte, als stünde er unter elektrischer
Spannung. Und als seine Fingerspitzen den Rand des tief
ausgeschnittenen Oberteils ihres Kleides erreichten, verwandelten sich
seine Nägel in glänzende, messerscharfe Krallen.

In Sekundenschnelle war seine Hand zu einer metallischen,

klauenartigen, tödlichen Waffe geworden.

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P

HOEBE

H

ALLIWELL LIEß

sich in ihrem Lieblingscafé, dem City

Drip, auf einen Stuhl sinken.

Mann!, dachte sie, nahm einen großen Schluck von ihrem Chai

Latte und sah sich in dem schicken Lokal um, dessen besondere
Attraktion seine etwas schäbige Atmosphäre war. Ich war seit
Ewigkeiten nicht mehr hier!

Eigentlich seit ihrem Collegeabschluss nicht mehr, obwohl sie als

Studentin praktisch zur Einrichtung des City Drip gehört hatte. Mit
ihren Büchern und einem Schreibblock bewaffnet und mit
regelmäßiger Koffeinzufuhr versorgt, hatte sie ihr Lager immer an
diesem Tisch am Fenster aufgeschlagen. In ihren gelegentlichen
Pausen hatte sie dem depressiven Gesang des Songwriters mit
Dreadlocks gelauscht, der in einer Ecke auf seiner Akustikgitarre
herumzupfte, oder die neuesten, wirklich schlechten Kunstwerke
betrachtet, die zum Verkauf standen. Wenn sie sich einmal besonders
langweilte, hatte ihr San Franciscos coolste Einkaufsmeile – Haight-
Ashbury – gleich vor der Tür zur Verfügung gestanden. Nach einem
zwanzigminütigen Powershopping hatte sie dann wieder ganz
konzentriert ihrer Arbeit nachgehen können.

Wenn man bedenkt, überlegte Phoebe, dass ich meinen Abschluss

diesem Café zu verdanken habe! Sie verdrehte die Augen, als sie sich
daran erinnerte, was für ein Kampf das College für sie gewesen war.
Eigentlich merkwürdig, wenn sie ihre Geschwister so betrachtete. Ihre
ältere Schwester Piper hatte sich in der Schule immer als totale
Schlaubergerin hervorgetan – ja, als Streberin, um genau zu sein. Nun
war aus ihr eine spitzenmäßige Geschäftsfrau mit eigenem Nachtclub
geworden, dem P3. Auch Phoebes jüngere Schwester Paige hatte
reichlich Grips oder war zumindest extrem ehrgeizig. Sie versuchte,
mit ihrer Arbeit in einer Kinderfürsorge-Klinik die Welt zu
verbessern. Und dann war da noch ihre verstorbene Schwester Prue,
die eine begeisterte Kunsthistorikerin gewesen war, bevor sie sich der
Fotografie widmete.

Phoebes Ding war Lernen jedoch nie gewesen. Nach der

Highschool hatte sie in New York zwar einige Kurse belegt. Als sie
jedoch nach San Francisco zu ihren Schwestern gezogen war, hatte sie

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eine Zeit lang diverse Jobs gehabt, bis sie sich schließlich doch noch
auf den Hosenboden setzte, um ihren Magister zu machen – den sie
nach ungefähr tausend Stunden im City Drip dann auch geschafft
hatte.

Und da bin ich, wieder im Dienste der Forschung!, dachte Phoebe,

nahm einen weiteren Schluck ihres aromatischen Tees mit
Milchschaum und blickte auf die Lektüre, die sie mitgebracht hatte.
Nach einer ersten Sichtung des Materials seufzte sie.

»Mal sehen!«, murmelte sie. »Da haben wir Die moderne Braut,

Hier kommt die Braut! und hier das exklusive Ja, ich will! Womit
fange ich am besten an?«

Phoebe griff zu Hier kommt die Braut! und schlug das Magazin

auf. Eine Anzeige mit mehreren peinlich aussehenden Models in
duftigen, limonengrünen Brautjungfernkleidern war zu sehen.

»Okay, das war's wohl kaum!«, flüsterte Phoebe und nahm sich

Die moderne Braut. In dem ersten Artikel, auf den sie beim Blättern
stieß, wurde der Braut geraten, die »Nicht vergessen!«-Karten zur
Erinnerung an den Hochzeitstermin in Umschlägen zu verschicken
und gepresste Rosenblättern beizulegen.

»Nicht vergessen!«-Karten?, grübelte Phoebe beunruhigt. Davon

hatte sie noch nie etwas gehört! Sie war sich nicht einmal sicher, ob es
ihr gelingen würde, die Einladungen pünktlich rauszuschicken. Falls
sie es schaffte, fehlten ihr nun also die Erinnerungskarten und alle
würden den Termin vergessen! Es würde keine Hochzeitsgäste geben!
Der schönste Tag ihres Lebens würde zur absoluten Katastrophe
werden!

Phoebe sank auf ihrem Stuhl zusammen und starrte bedrückt aus

dem Fenster. Es fiel ihr schwer, sich ihren Hochzeitstag, der in einigen
Monaten sein würde, als den schönsten Tag ihres Lebens vorzustellen.
Das lag gewiss nicht an Cole. Ihren Verlobten vergötterte sie über alle
Maßen. Und sie hatte sogar ihre Phobie überwunden, dass sie sich in
dem Augenblick, wenn sie die Worte »Ja, ich will« aussprechen
würde, in eine nach Vanille duftende emsige Hausfrau verwandelt.

Aber das ganze Drumherum mit der Hochzeit in Weiß? Phoebe

konnte sich nicht so recht mit dieser Vorstellung anfreunden.

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Vermutlich, weil ich in einer eher … unkonventionellen Familie

aufgewachsen bin, dachte sie, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre
Lippen. Schließlich sind wir Hexen!

Phoebe erinnerte sich noch gut an jenen schicksalhaften Tag, an

dem sie herausgefunden hatte, dass sie eine Hexe war. Es hatte sich
auf dem Dachboden von Halliwell Manor zugetragen, dem großen
viktorianischen Herrenhaus, in dem Phoebe und ihre älteren
Schwestern aufgewachsen waren: Beim Herumstöbern hatte Phoebe
das magische Buch der Schatten entdeckt und unwissentlich eine
Formel daraus vorgelesen. So wurden die magischen Kräfte der
Schwestern aktiviert. Und es handelte sich nicht um irgendwelche
magischen Kräfte: Die Halliwell-Schwestern waren die Zauberhaften
– jede für sich mit einer beachtlichen übernatürlichen Begabung
versehen, aber als Trio vereint schier unbesiegbar.

»Die gute alte Macht der Drei«, sinnierte Phoebe.

Von jenem Tag an war sie von Visionen heimgesucht worden.

Diese Gabe, in die Zukunft blicken zu können, brachte es mit sich,
dass die Schwestern oft zu wilden Jagden ausziehen mussten, um
einerseits Unschuldige zu retten und andererseits Dämonen, Hexer
und alle möglichen anderen Gestalten zu vernichten, die versuchten,
die Macht der Drei zu zerstören.

Piper hatte gelernt, die Zeit anzuhalten und mit einem

Fingerschnippen Dinge in die Luft zu jagen. Dann hatte Piper Leo
geheiratet, obwohl er ein Wächter des Lichts war – ein Engel, dem der
Hohe Rat die Aufgabe übertragen hatte, die Schwestern zu
beschützen. Liebesgeschichten zwischen Hexen und Wächtern des
Lichts wurden vom Hohen Rat zwar im höchsten Maße missbilligt,
aber letztendlich hatte die Liebe gesiegt.

In der Zwischenzeit hatte Phoebe sich Hals über Kopf in Cole

verliebt, einen Bezirksstaatsanwalt. Allerdings trieb dieser noch unter
dem Namen Balthasar sein Unwesen, ein hochgradig gefährlicher
Dämon, der die Zauberhaften hatte aus dem Verkehr ziehen wollen.
Das hatte Phoebe damals natürlich noch nicht gewusst. Als Cole sich
jedoch in sie verliebte, hatte er der bösen Unterwelt Adieu gesagt und
dafür sogar Leib und Leben aufs Spiel gesetzt. Mittlerweile hatte er
seine magischen Fähigkeiten aufgegeben und sich ganz für eine
menschliche Existenz entschieden.

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Doch vor noch nicht allzu langer Zeit war es zur Katastrophe

gekommen. Der Rat des Bösen hatte einen Mörder auf die
Zauberhaften
angesetzt und nach jahrelangen Misserfolgen schließlich
einen Treffer gelandet. Prue war getötet worden, und damit war die
Macht der Drei zerstört.

Aber nur vorübergehend. Denn da war Paige auf der Bildfläche

erschienen, eine weitere Tochter ihrer Mutter – hervorgegangen aus
ihrer Beziehung zu einem Wächter des Lichts. Halliwell Manor, das
große viktorianische Haus, wurde zum Sitz eines neuen Zauberhaften-
Trios
. Paige entdeckte, dass sie wie Leo die Fähigkeit eines Wächters
des Lichts besaß zu orben – sie konnte in einem Wirbel aus
schimmerndem weißen Licht verschwinden. Auch konnte sie Objekte
in ihre Hand orben.

Selbst wenn man ihre magischen Fähigkeiten und ihre höchste

Aufgabe, die Welt zu retten, außer Acht ließ, waren die Halliwells
noch nie normal gewesen, wenn Phoebe es sich recht überlegte – zum
Beispiel, was das Heiraten anging. Immerhin hatte ihre Mutter sich,
als die Schwestern noch klein waren, wegen besagtem Wächter des
Lichts
von Dad getrennt, bevor sie später verstarb. Und während die
drei Schwestern von der Großmutter aufgezogen worden waren, hatte
diese irgendwie noch die Zeit gefunden, sechsmal zu heiraten und sich
wieder scheiden zu lassen. Nicht zu vergessen, dass die Hochzeit von
Piper und Leo beinahe ruiniert worden wäre, als Prues
Astralprojektion verrückt spielte und sie des Mordes bezichtigt wurde.

Aber letztendlich hatten Leo und Piper eine Traumhochzeit

gefeiert, erinnerte sich Phoebe mit einem zufriedenen Seufzer.

Dann wird es ja wohl auch bei mir klappen!, dachte sie. Nur weil

sie keine Haushaltsfee war wie ihre große Schwester, konnte sie doch
trotzdem eine Traumhochzeit zu Stande bringen. Oder war das etwa

»Unglaublich!«

Phoebe sah überrascht auf. Sieh mal einer an!, dachte sie. Wenn

das nicht meine Lieblingsschwestern aus der Studentinnenvereinigung
sind!

Sie kannte die beiden jungen Frauen, die in eine Wolke aus Happy-

Parfüm gehüllt auf sie zuhielten, aus einigen gemeinsamen Kursen.
Aber Lernen hatte nie besonders weit oben auf der Prioritätenliste der

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beiden gestanden. Sie hatten sich mehr für Getratsche über Jungs
interessiert. Immer wieder hatten sie versucht, Phoebe in ihre
Gespräche mit einzubeziehen. »Phoebe Halliwell!«, kreischte Missy,
die große Dünne.

»Wo hast du denn gesteckt?«, schrie die andere, eine dralle

Blondine namens Carla.

»Ähm, zu Hause«, entgegnete Phoebe bierernst. »Nachdem die

Prüfungen gelaufen waren, wollte ich die Kurse nicht länger
besuchen.«

»Typisch Phoebe! Immer einen Witz auf den Lippen«, bemerkte

Carla und plumpste auf den freien Stuhl an Phoebes Tisch. Missy zog
einen dritten Stuhl herbei und gesellte sich dazu.

Bitte, bitte, setzt euch doch!, dachte Phoebe trocken.

»Hast du Sehnsucht nach dem Drip gehabt?«, fragte Missy.

»Nun, ich habe einen Ort gesucht, an dem ich ungestört lesen

kann«, sagte Phoebe. »Ihr wisst schon, einen ruhigen Ort.«

»Oh! Mein! Gott!«, schrie Carla und zeigte auf Phoebes linke

Hand.

O-kay, dachte Phoebe, das mit dem ruhigen Ort hat sie offenbar

nicht richtig mitbekommen …

»Ist das da an deinem Finger etwa ein Verlobungsring?«, fragte

Carla aufgeregt.

»Ähm, ja, in der Tat«, antwortete Phoebe verlegen und blickte auf

den glitzernden Ring, den Cole ihr geschenkt hatte. »Ich werde in ein
paar Monaten heiraten.«

»Was für ein Glückspilz du bist!«, stieß Missy hervor. »Erzähl uns

von ihm!«

»Oh, also, sagen wir mal, Cole ist eine … wirklich alte Seele«,

entgegnete Phoebe mit einem verschwörerischen Lächeln. Das war
nicht gelogen. Cole war einige Jahrhunderte lang ein Dämon gewesen,
bevor er sich für sie davon losgesagt hatte.

»Und ich liebe ihn«, ergänzte Phoebe schlicht.

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»Ach, was gäbe ich dafür!«, rief Carla. Sie schnappte sich eins von

Phoebes Hochzeitsmagazinen und blätterte es mit ihren langen,
pinkfarbenen Fingernägeln durch. »Ich bin nun schon so lange Single.
Es ist schon der zweite Februar und ich hab immer noch kein Date für
den Valentinstag. Aber ich habe mich gerade bei Kiss.com
angemeldet. Kennst du doch bestimmt, diese Internetbörse für Dates?
Ich hoffe, dass das der Wendepunkt in meinem Liebesleben sein
wird.«

»Bestimmt!«, bemerkte Phoebe und sammelte ihre Zeitschriften

zusammen. Zum Glück hatte sie sich ihren Tee in einen Becher zum
Mitnehmen einschenken lassen. »Auf jeden Fall wünsche ich euch
viel Erfolg dabei! Aber wisst ihr, Mädels, mir ist gerade eingefallen,
dass ich in zehn Minuten eine Verabredung habe. War toll, euch
wiederzusehen!«

»Dich auch!«, trällerten Carla und Missy.

»Wir müssen uns unbedingt mal zum Lunch verabreden!«, schlug

Carla vor. »Damit wir über Gesichtsschleier und Reifröcke und all das
reden können!«

Au weia, erst die »Nicht vergessen!«-Karten und jetzt das!, dachte

Phoebe. Eine erneute Panikattacke kündigte sich an. Wozu um
Himmels Willen brauchte sie einen Gesichtsschleier?

Sie winkte den beiden noch einmal zu und verließ im Sturmschritt

das Café.

Gedankenverloren eilte sie die Haight Street hinunter. Vielleicht

habe ich einfach nicht das Zeug zur Braut, dachte sie bekümmert.

Ach, was führe ich für ein bescheidenes Hausfrauendasein!, dachte

Piper genervt. Sie stand zu Hause in der Küche. Eigentlich war ihr
dieser Raum mit der strahlend weißen Wandvertäfelung und dem
robusten Eichentisch der liebste im ganzen Haus.

Der Tisch! Sie hatten den stabilsten ausgesucht, den sie kriegen

konnte, nachdem der letzte von einem Dämon zertrümmert worden
war. Bei der Erinnerung daran verdrehte Piper die Augen. Warum
mussten die unheilvollen Eindringlinge auch immer in ihrer Küche
landen! Erst eine Woche zuvor war gerade wieder ein Dämon zu

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Besuch gekommen. Als sie ihn explodieren ließ, war dieses Mal ihre
Küchenmaschine zu Bruch gegangen.

Piper hielt inne und verzog das Gesicht.

»Okay, jetzt rege ich mich schon wegen der Küchenmaschine auf –

das ist der Beweis«, murmelte sie vor sich hin. »Ich bin so
hausmütterlich wie Harriet Nelson in dieser uralten Familienserie. Da
passt es, dass ich hier stehe und Frikadellen, grüne Bohnen und
Kartoffelbrei zum Dinner mache. Und mein Gatte hat sogar im
Zweiten Weltkrieg gedient!«

Seufzend nahm sie ein Bündel grüne Bohnen in Angriff, kappte die

Enden und schnippelte das Gemüse in eine Schüssel. Dabei dachte sie
an die Zeit zurück, als sie und Leo frisch verheiratet gewesen waren.
In ihrem Bemühen, ihm zu gefallen, hatte sie kunstvolle Festessen mit
allem Drum und Dran zubereitet – Sushi und Sake, selbst gemachte
Pasta und Tiramisu, Himbeersorbet und sogar sechslagige Torten.

Und Leo hatte, reizend wie er war, nie etwas anderes gesagt als

»Danke«. Schließlich war ihr irgendwann klar geworden, dass ihr
Göttergatte immer dann am meisten Begeisterung zeigte, wenn sie
Mahlzeiten zubereitete, die Leo aus seiner Kindheit in den 1930ern
kannte. Das bedeutete: Fleisch und Kartoffeln.

Und so kochte sie als pflichtbewusstes Weib Fleisch und

Kartoffeln fürs Dinner.

Wieder einmal.

Eigentlich machte es Piper Spaß, für die Familie zu kochen. Die

Vorbereitung eines ganzen Menüs machte sie zufrieden und glücklich.
Schließlich war sie Köchin gewesen, bevor sie das P3 eröffnet hatte.
Sogar ihre Fähigkeit, die Zeit anzuhalten, hatte sich ihr in einer
Restaurantküche offenbart. Bei einem Probekochen für einen Job hatte
sie damit ihren Beitrag, der beinahe misslungen wäre, retten können.

In letzter Zeit jedoch kam sich Piper im Vergleich zu ihren

jüngeren Schwestern ein wenig zu hausbacken vor. Phoebe mit ihrer
perfekten Bräune und dem blondgesträhnten, glänzenden Haar sah
schon morgens, wenn sie sich aus dem Bett schwang, klasse aus. Und
Paige … Nun, Piper musste sich noch immer daran gewöhnen,
Schneewittchen als Schwester zu haben – mit milchweißer Haut,
schwarzem Haar und vollen, glänzenden Lippen. Mit ihrem Aussehen

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sorgte sie dafür, dass Piper sich vorkam wie … nun, wie die Älteste
im Bunde eben.

»Hallo Ma! Was gibt's zum Dinner?«

Piper sah erschreckt auf. Paige kam grinsend in die Küche

geschlendert. Also wirklich!, dachte Piper. Das war die Bestätigung,
nicht gerade hip zu sein. Entweder bekam sie »Hallo Mama!« zu
hören oder »Schatz, ich bin wieder da!«. Und was hatte Paige gerade
erst beim Frühstück gesagt? – »Mensch Meier! Du kannst wirklich
Kaffee kochen!«

Piper seufzte. Paige wollte sie gewiss nicht aufziehen, dessen war

sie sicher. Trotzdem ließ sich nicht leugnen, dass es in ihrer
Beziehung immer noch einige Ecken und Kanten gab. Piper konnte
zum Beispiel Paiges gewöhnungsbedürftigen Einrichtungsstil nicht
ausstehen. Und wie sie ständig ihre Kleider, ihre Bücher und
überhaupt alles auf das nächstbeste Möbelstück warf – ooooh, das
machte Piper wahnsinnig!

Aber ihr war auch klar, dass Paige sich immer noch daran

gewöhnen musste, dass sie nun zwei Schwestern hatte – und eine
Hexe war! Und so versuchte Piper, nachsichtig mit ihrer kleinen
Schwester zu sein.

»Frikadellen!«, beantwortete sie fröhlich Paiges Frage und

versuchte, nicht zusammenzuzucken, als Paige ihre Aktentasche auf
den Küchentisch knallte. »Grüne Bohnen, Kartoffel …«

»Schon wieder?«, fragte Paige.

»Schon wieder«, sagte Piper trotzig. »Ich bin zur Zeit nicht

besonders erfinderisch.«

»Das sollte ein Scherz sein!«, bemerkte Paige und verdrehte ihre

großen, braunen Augen. Munter ließ sie sich auf einem Hocker an der
Theke nieder, nahm sich ein Messer und fing an, Kartoffeln zu
schälen. »Hör mal, ich war Vegetarierin, bevor ich hier eingezogen
bin. Wegen deiner Frikadellen ist aus mir wieder eine
hundertprozentige Fleischfresserin geworden.«

»Danke«, entgegnete Piper und lächelte Paige an. »Aber ich

glaube, ich muss ein wenig Bewegung in mein Leben bringen. Ich
friste jetzt schon – wow! – über ein Jahr ein ziemliches
Fußfesseldasein.«

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»Ach, ich bitte dich, du und Leo, ihr seid doch totale

Schmusebacken«, sagte Paige. »Ich sehe euch rumkuscheln, wann
immer Phoebe und ich den Raum verlassen.«

»Wenn du den Raum verlässt, wie kannst du es dann sehen,

Paige?« Piper spürte, wie sie rot wurde.

»Nun, vielleicht bin ich mal … ganz langsam rausgegangen«,

grinste Paige verlegen. »Wie auch immer. Was ich sagen will, ist: Ich
würde alles dafür geben, verheiratet zu sein und mich häuslich
niederlassen zu können.«

»Tatsächlich?«, fragte Piper überrascht. »Du, das leibhaftige

Saturday Night Fever im P3? Ich habe dich schon mit Heerscharen
von Jungs tanzen gesehen.«

»Ja, aber die wenigsten eignen sich für mehr als einen Abend«,

beschwerte sich Paige. »Das sind alles nur windige Aufschneider.
Zwar hinreißend, gut gebaut und charmant, aber würde mir auch nur
einer von ihnen Hühnerbrühe bringen, wenn ich krank bin?«

»Ich wusste gar nicht, dass Hühnerbrühe dein Fall ist«, bemerkte

Piper und unterdrückte ein Grinsen, während sie einen Topf mit
Wasser zum Kochen aufsetzte.

»Stimmt, bei Paige muss ich auch eher an Borschtsch denken!«

In der Tür stand Phoebe mit einem Stapel Hochzeitsmagazinen

unter dem Arm.

»Oder … hmmm, vielleicht Rindereintopf«, fügte sie hinzu.

»Consomme!«, ergänzte Piper nickend.

»Okay, okay!«, rief Paige und warf eine geschälte Kartoffel nach

Piper. »Ich hab schon verstanden! Vielleicht bin ich kein besonders
häuslicher Typ. Aber was wäre falsch daran, wenn ich einen Freund
hätte, der mir zum Beispiel … Rosen zum Valentinstag schenkt?«

»Aha!« Phoebe kam zur Kücheninsel und lud schwungvoll ihren

Zeitschriftenstapel ab. »Darum geht es also. Es ist der zweite Februar.
Du kriegst Panik, weil bald Valentinstag ist.«

»Warum auch nicht?«, protestierte Paige und nahm eine neue

Kartoffel. »Ich meine, ich habe noch nicht einmal einen Freund,
wohingegen Piper und Leo immerhin schon fast Eltern sind.«

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»Moooment!«, kreischte Piper. »Ich bin nicht schwanger, ganz und

gar nicht!«

Bei diesen Worten verspürte sie einen kleinen Stich im Herzen.

Denn es stimmte: Sie und Leo überlegten nun schon eine ganze Weile,
wie es wäre, ein Kind zu bekommen. Aber darüber zu reden und
tatsächlich eins zu machen, das war ein großer Schritt. Besonders,
wenn mit schönster Regelmäßigkeit einmal wöchentlich Dämonen
über die Küche herfielen. Für den Moment war das Thema auf Eis
gelegt und Piper war diejenige, die nicht zum Einlenken bereit war.
Sie hatte in letzter Zeit so viele große Veränderungen erlebt, dass es
ihr schwer fiel, sich auf eine weitere einzulassen. Und so war das
Unternehmen Baby entgegen Leos Protest erst einmal aufs Wartegleis
geschoben worden.

»Okay, aber du könntest es sein«, sagte Paige. »Ihr seid verheiratet

und verliebt. Und Phoebe ist dabei, sich einen passenden
Gesichtsschleier auszusuchen, zum Donnerwetter!«

»Hey, wozu braucht man so was überhaupt?«, stieß Phoebe hervor.

»Und woher weißt du überhaupt, dass es so etwas gibt?«

»Ich entwickle mich immer mehr zum Mauerblümchen«, jammerte

Paige. »Ich habe keinen festen Freund. Keine Perspektiven. Keine
Pläne für Samstag. Es ist die reinste Dürrekatastrophe!«

»Paige, Süße«, sagte Piper sanft. »Hattest du nicht erst vor drei

Tagen ein Date?«

»Ja, schon, aber der Typ war völlig ungeeignet«, entgegnete Paige.

»Er trug unmögliche Schuhe.«

Unmögliche Schuhe?, wunderte sich Piper. Nun, ganz offenbar

hatten sie und Paige recht unterschiedliche Kriterien, was Männer
anging.

»Die Jungs, mit denen ich in der letzten Zeit verabredet war, sind

so austauschbar«, fuhr Paige fort. »Ich meine, zum Beispiel dieser
Typ, den ich vor ein paar Wochen in der Straßenbahn kennen gelernt
habe. Ich habe eine große Gemeinsamkeit mit ihm verspürt, aber als
ich ihn besser kannte, wurde mir mit einem Schlag klar, dass uns
überhaupt nichts verbindet.«

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»Na, komm schon, Paige«, sagte Piper. »Das war aber auch

vorauszusehen. Sein Name war Lung Chow und er sprach kaum
Englisch!«

»Vermutlich hast du Recht«, kicherte Paige. »Ich wünschte, mit

den Männern wäre es genauso wie mit den Klamotten. Wenn man in
einen Laden geht, probiert man doch auch nur die Sachen an, von
denen man glaubt, dass sie passen. Aber wenn man ein Date hat, muss
man einfach so zum Dinner und ins Kino gehen, ohne genau zu
wissen, was einen erwartet. Und noch bevor man bei der Suppe
angelangt ist, wird einem klar, dass es sich um eine XXL-Strickjacke
in Orange handelt, die einem weder gefällt noch passt.«

»Okay, mit dieser Metapher hast du mich endgültig überzeugt«,

bemerkte Piper lachend. Aber aus dem Augenwinkel sah sie, wie
Phoebe aufmerkte.

»Ich sage nur: Kiss!«, verkündete sie geheimnisvoll.

»Phoebe, bitte«, sagte Paige. »Es geht mir doch gar nicht darum,

mit einem scharfen Typen rumzuknutschen. Ich bin auf der Suche
nach der wahren Liebe! Na ja, aber ein bisschen Küssen könnte
vermutlich nicht schaden …«

»Das meine ich doch gar nicht«, sagte Phoebe. »Ich habe gerade

ein Mädchen getroffen, das mir von Kiss.com erzählt hat. Das ist eine
Website, auf der du … wie soll ich sagen … Männershopping machen
kannst. Genau, wie du es gerade beschrieben hast.«

»So 'ne Art Kontaktbörse?«, fragte Paige und verzog das Gesicht.

»Ist das nicht was für die ganz Verzweifelten?«

»Lung Chow aus der Straßenbahn etwa nicht?«, gab Phoebe

zurück. »Nein, ich finde, das klingt ganz witzig. Wenn ich Single
wäre, würde ich da mitmachen.«

»Wobei?«, fragte eine tiefe Stimme von der Hintertür. Es war

Cole, der gerade von der Garage in die Küche gekommen war. Er
winkte Phoebe zu und rief: »Hallo, zukünftige Gattin! Wobei würdest
du mitmachen?«

»Bei einer … Frikadellenschlacht«, sagte Phoebe rasch. »Ich hab

einen Riesenhunger.« Sie hüpfte Cole entgegen und küsste ihn auf die
Wange. Dann drehte sie sich zu Piper um. »Also, was gibt's sonst
noch zum Dinner, Ma? Ich sterbe vor Hunger!«

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»Nicht du auch noch!«, beschwerte sich Piper und warf in

gespielter Verärgerung ein Brötchen nach ihrer Schwester. In diesem
Moment kam Leo hereingeorbt und bekam das Geschoss an den Kopf.

»Hey!«, rief er und rieb sich die schmerzende Stirn. »Ich habe

einen Tag harte Arbeit im Himmel hinter mir und dann bekomme ich
so eine Begrüßung?«

»Ganz genau, mein Schatz.« Piper gab Leo rasch einen Kuss auf

den Mund. »Und du bekommst Frikadellen zum Dinner.«

»Großartig!«, freute sich Leo sichtlich erleichtert.

Oh ja, ich bin wirklich wie Harriet Nelson, dachte Piper und

begann, den Tisch zu decken. Aber es gab Schlimmeres, fand sie – sie
könnte sich zum Beispiel genötigt fühlen, auf Kiss.com nach Dates zu
suchen …

Nicht zu fassen! Ich suche tatsächlich auf Kiss.com nach Dates!,

dachte Paige und stöhnte. Sie saß vor dem Halliwellschen Computer,
der auf Großmutters altem viktorianischen Schreibtisch in der Küche
thronte. Die Tatsache, dass sie bis zum Platzen voll mit Kartoffelpüree
war, machte es auch nicht besser. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Okay«, murmelte sie, als sie sich Foto um Foto ansah, »das ist

eine ziemlich magere Ausbeute. Hier ist ein Bild von … Nigel, der
dringend eine Green Card benötigt – von einem guten Zahnarzt mal
ganz abgesehen … Und da ist Nathan. Er hat Mundgeruch, da bin ich
mir sicher. Und – wow! – was dieser Typ hier hat, kann man schon
nicht mehr nur als Doppelkinn bezeichnen. Der Scan ist ein bisschen
verschwommen, aber das sind, glaube ich, vier …«

Paige fand das Ganze nicht im entferntesten so erfolgversprechend

wie Shoppen. »Was für ein Haufen Ver… – Oh, hallo! Wen haben wir
denn da?«

Paige weidete sich an dem Anblick eines tollen Typen mit braunen

Locken, Matt-Damon-Lächeln und breiten Schultern. In der
Namenszeile neben dem Bild stand »Just James«.

Also … vielleicht gebe ich Kiss.com doch eine Chance, überlegte

Paige mit einem kleinen Grinsen im Gesicht. Sie öffnete den Scanner
und legte ein Foto von sich hinein. Auf diesem Schnappschuss

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zwinkerte sie neckisch ins Objektiv und trug ihr Lieblingstop mit ganz
dünnen Trägern.

»Okay, es mag zwar ein wenig übertrieben sein«, murmelte Paige,

als das Foto, auf dem viel nackte Haut zu sehen war, auf dem
Computerbildschirm erschien. »Aber schließlich ist das ein Markt mit
starker Konkurrenz!«

Als Nächstes klickte Paige auf »Anzeige schalten« und tippte rasch

einen Text ein.

»Ich: Eine Koffeinabhängige mit trockenem Humor, einem

Schrank voller Pumps, einer zu lauten Stereoanlage und viel
Leidenschaft für ihren Beruf. Du: Kennst dich mit Wein aus und
kannst ein Mädchen zum Lachen bringen. Du rauchst nicht, tanzt aber.
Du behandelst deine Mutter mit Respekt. Und in Sachen Liebe bist du
auf der Suche nach ein wenig Magie.«

»Im wahrsten Sinn des Wortes, Jungs«, bemerkte Paige grinsend.

»Na, dann wollen wir mal sehen, was passiert.«

Damit bewegte sie den Cursor auf »Abschicken« und drückte

energisch auf die linke Maustaste.

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A

t laaast, my looooove is here to stay …

Paige stand mit ihrem VW-Käfer vor einer Ampel und warf einen

wütenden Blick auf das Radio.

Das war ja ganz reizend! Sie hatte einen total stressigen Tag in der

Klinik hinter sich, den sie mit der Suche nach einem geeigneten
Pflegeplatz für ein Kind zugebracht hatte. Nun steckte sie in einem
Stau fest. Und das Radio machte sich auch noch über sie lustig! Ihr
Geliebter blieb gewiss nicht bei ihr – sie hatte ja gar keinen! Sie kam
sich vor wie Bridget Jones ohne britischen Akzent.

Paige stellte ihren Lieblingssender mit Jazzmusik ein, denn da gab

es immer ein gutes Stück von Charlie Parker zu hören – dachte sie.

Someday he'll come along … gurrte eine seidige Frauenstimme.

The man I loooove …

»Ist ja grauenhaft!«, stöhnte Paige und schaltete das Radio aus.

»Der Valentinstag ist doch erst in zwei Wochen. Man kann's auch
übertreiben.«

Erleichtert seufzte sie, als sie endlich von der verstopften

Hauptstraße in die Seitenstraße abbiegen konnte, in der sie wohnte.
Sie parkte vor dem Halliwell-Haus und stapfte die Treppe zur
Eingangstür hinauf. Schon wollte sie sie mit einem lauten Krachen
zuschlagen, überlegte es sich aber im letzten Moment noch einmal
anders.

Denn sie war gar nicht darüber im Bilde, wie man in Halliwell

Manor mit dem Türenknallen umging. Hasste Piper es? Bekam
Phoebe Migräne davon? Bekam Phoebe überhaupt jemals Migräne?
Paige schüttelte den Kopf und ging schnurstracks in die Küche.

Manchmal kam ihr diese Geschichte von den Fremden, die zu

Schwestern geworden waren, immer noch wie ein Märchen vor.

Apropos Schwestern: Vor dem Computer in der Küche saß Piper.

»Hi!«, rief sie und winkte geistesabwesend, als Paige sich an die

Theke lehnte. »Ich suche nach neuen Rezepten. Sie müssen aufregend
sein und zugleich ganz traditionell. Meinst du, so etwas gibt es?«

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»Klingt nicht sehr wahrscheinlich«, entgegnete Paige und zuckte

mit den Schultern.

»Vermutlich hast du Recht«, sagte Piper und zog eine Grimasse.

»Und wie war dein Tag im Büro?«

»Ach, das Übliche – unzählige Versuche, den sozialen Wandel

herbeizuführen, sind wieder einmal gescheitert«, scherzte Paige mit
einem schiefen Lächeln. »Aber danke der Nachfrage. Ich meine,
Singles sind diesen Monat doch eigentlich unsichtbar.«

»Wie bitte?«, fragte Piper und kehrte dem Computerbildschirm den

Rücken zu, um Paige prüfend anzusehen. »Was soll das denn
heißen?«

»Es ist Februar, schon vergessen?«, beschwerte sich Paige.

Ȇberall nur rot und pink! Liebeslieder auf jedem Radiosender!
Pärchen, die im Supermarkt miteinander turteln! Igitt!«

»Oh«, machte Piper und sah wieder auf den Bildschirm. »Dann hat

es mit dem Küssen wohl noch nicht geklappt?«

»Ach, du meinst Kiss.com?«, fragte Paige. Sie spürte, wie sich ihr

Magen nervös zusammenzog. Vor zwei Tagen hatte sie ihre Anzeige
auf die Website gestellt und seitdem bereute sie diesen Schritt. »Also,
ich hab noch nicht wieder nachgesehen«, gestand sie.

»Und warum nicht?«, fragte Piper sanft.

»Weil es ganz sicher eine deprimierende Erfahrung sein wird!«,

erklärte Paige, nahm sich einen Stuhl vom Küchentisch und ließ sich
neben Piper nieder. »Ich meine, ich habe an diesen einen Typen ein
Briefchen geschrieben – Just James. Aber was, wenn er nicht
zurückgeschrieben hat? Was, wenn er mich ätzend findet?«

»Ätzend?« Piper verkniff sich ein Grinsen. »Sicher, bestimmt

findet er dich ätzend. Aber andererseits, was macht das schon?
Vielleicht hat dich ja schon ein anderer Kerl entdeckt, der viel besser
ist als Just James.«

»Okay, und da kommen wir schon zu Problem Nummer zwei«,

sagte Paige. »Nehmen wir mal an, mir schreiben ein paar Typen. Stell
dir vor, es sind allesamt Versager! Dann habe ich es schwarz auf weiß,
dass ich Versager anziehe. Oder Trottel. Oder comiclesende,

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übelriechende Megawaschlappen. Ich bin nicht sicher, ob ich für diese
Erkenntnis bereit bin.«

Als Paige mit ihrem Ausbruch fertig war, biss sie sich auf die

Unterlippe. Natürlich war das alles Blödsinn. Sie bedauerte jedes
Wort, das gerade aus ihrem Mund gepurzelt war. Aber Piper reagierte
zum Glück auf durch und durch … schwesterliche Weise.

»Glaub mir«, sagte sie und strich Paige eine zerzauste Haarlocke

glatt, »du bist nicht der Typ für Versager. Höchstens für
unzuverlässige Rock'n'Roller.«

Paige musste lachen. Piper hatte Recht.

»Aber das liegt nur daran, weil du so cool bist«, fuhr Piper fort.

»Und jetzt mache ich dir einen beruhigenden Kräutertee, und du setzt
dich in der Zwischenzeit vor den Computer und gehst auf Kiss.com.
Ich bin sicher, du schneidest gar nicht so schlecht ab.«

Paige grinste dankbar, als Piper aufstand und sie zum Schreibtisch

drängte.

»Nimm dich in Acht!«, sagte sie zu Piper. »An diese Große-

Schwester-Tour könnte ich mich glatt gewöhnen.«

»Bloß nicht!«, entgegnete Piper mit der für sie typischen

Unverblümtheit. Dann zeigte sie auf die Computermaus. »Und jetzt
klick mal los! Ich brühe dir den Nervenberuhiger auf.«

Paige lachte und ging auf die Kiss.com-Website. Dann tippte sie

ihr Passwort ein und hielt die Luft an. Auf dem Bildschirm öffnete
sich ein Fenster.

»Sie haben dreiundvierzig Nachrichten!«, stand da.

»Wow!«, rief Paige aus. »Ähm, Piper … du machst mir besser eine

extra große Tasse Tee. Ich glaube, das hier wird ein Weilchen
dauern.«

Eine Stunde später war Paige immer noch damit beschäftigt, ihren

eifrigen Verehrern zu antworten.

Die ersten Briefe hatten sie zunächst entmutigt.

»Hey, Zuckerschnute!«, schrieb ein Typ, der sich Blue-Eyed Babe

nannte. »Du bist echt süß. Verabreden wir uns doch mal!«

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»Igitt!«, hatte Paige gerufen. »Löschen, löschen, löschen!«

Dann war da noch ein Mathematiklehrer, der ihr eine ganze

Liebesode bestehend aus Zahlencodes geschickt hatte. Und ein Kerl,
der vielleicht gar nicht so schlecht ausgesehen hatte – bevor er
hundertzwanzig Kilo zugenommen hatte.

Aber dann fand Paige eine Nachricht von … Just James! Die

Message klang total nett. Er schlug vor, sich für den nächsten Tag
zum Kaffee zu verabreden.

Und nach James wurde es sogar noch besser. Piper hatte Recht

gehabt. Paige hatte bislang schon Dates mit einem Arzt von der
Notaufnahme mit sandblondem Haar und unglaublich weißen Zähnen
gehabt, mit einem Pflichtverteidiger, der ebenso sozial engagiert war
wie Paige, und einem Surfer, der Gedichte schrieb.

Momentan las sie die Selbstbeschreibung eines verrückten

Eiskrem-Händlers.

»Sicher, Rocky Road«, tippte Paige schnell ein. »Warum treffen

wir uns nicht mal. Wie wäre es …« Paige hielt inne, um in ihrem
Planer nachzusehen. Ihr Kalender war allmählich rappelvoll. Aber
Rocky Road war einfach zu süß. Sie konnte nicht widerstehen.

»… mit Lunch am Donnerstag?«, tippte sie weiter.

Als sie auf »Abschicken« klickte, fuhr sie erstaunt zusammen. Sie

hatte den Eindruck, als ob ein Blitz aus dem Computermonitor
geschossen wäre. Oder war es Einbildung gewesen?

»Huch!«, entfuhr es ihr, als sie die nächste E-Mail anklickte. Sie

war von einem Tierarzt mit roten Locken, grünen Augen und fünf
Geschwistern.

»Zu schön, um wahr zu sein«, seufzte Paige und tippte »Morgen

Abend zum Kaffee?« ein. Dann bewegte sie den Cursor, um die
Nachricht abzuschicken.

Klick. Blitz!

»Schon wieder!«, rief Paige und versuchte, die Punkte zu

vertreiben, die ihr vor den Augen tanzten. Ob etwas mit dem
Computer nicht in Ordnung war? Sie musste Piper davon erzählen.
»Oh, wer ist das denn?«, rief sie unvermittelt. »Ein Kollege aus der
Sozialarbeit! Sei still, mein Herz!«

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Klick. Blitz!

Paige schaffte es, fast alle dreiundvierzig Nachrichten

durchzusehen, bevor sie eine Pause einlegte. »Den Rest muss ich mir
später angucken«, sagte sie gähnend und klickte mit der Maus, um
ihre letzte Antwort abzuschicken.

Klick. Blitz!

Schläfrig streckte sie sich und stand auf. Dabei wurde ihr total

schwindelig.

»Wow«, flüsterte sie und hielt sich am Schreibtisch fest. Sie blieb

einen Augenblick lang stehen und versuchte, die Benommenheit
abzuschütteln.

»Ich glaube, die ganze Bewunderung ist mir zu Kopf gestiegen«,

sagte sie. Dann, als das Schwindelgefühl wieder verflogen war,
musste sie kichern. Sofort steckten Piper und Phoebe die Köpfe in die
Küche.

»Hast du gerade etwa gelacht?«, fragte Piper. »Bedeutet das, du

warst erfolgreich?«

»Also!«, sagte Paige und hielt den beiden ihren Terminplaner

entgegen. »Seht mal! Ich bin die ganze nächste Woche fest
ausgebucht. Verabredungen zum Lunch, zum Kaffee, zum Dinner, auf
einen Drink. Ich bin quasi die Abschlussball-Königin von Kiss.com.«

»Ich glaube, ich habe ein Monster erschaffen«, bemerkte Piper und

sah sich staunend die vollgeschriebenen Kalenderseiten an. »Du willst
dich wirklich mit all diesen Typen treffen?«

»Das nennt man Risikostreuung«, entgegnete Phoebe lächelnd.

»Hab ich auch immer so gemacht.«

»Daran erinnere ich mich lebhaft«, bemerkte Piper trocken. »Das

war noch vor der Erfindung des PalmPilot! Weißt du noch, wie die
zwei Jungs, die beide Jeff hießen, gleichzeitig zu einem Date
aufgetaucht sind?«

»Das waren noch Zeiten …«, sagte Phoebe verträumt.

Paige winkte ab und drehte sich grinsend zu Piper um.

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»Mach du dir mal keine Sorgen!«, sagte sie. »Ich hab die Sache

fest im Griff. Ich sehe mir diese Typen alle an und grenze die nächste
Runde dann auf die drei oder vier ein, die wirklich Potenzial haben.«

»Drei oder vier?«, sagte eine Stimme hinter ihr. Paige wirbelte

herum und sah Leo im Türrahmen stehen. »Du willst dich mit drei
oder vier Männern gleichzeitig verabreden? Ist das nicht ein wenig …
anrüchig?«

»Leo!«, kreischte Phoebe. »Das ist vollkommen in Ordnung. Wenn

ich dich erinnern darf, schreiben wir das einundzwanzigste
Jahrhundert. Frauen arbeiten heutzutage, dürfen wählen gehen und
sich sogar verabreden mit wem sie wollen.«

»Dessen bin ich mir bewusst«, entgegnete Leo trocken. »Ich bin ja

schließlich mit einer geschäftsführenden Dame verheiratet, nicht
wahr?«

»Geschäftsführende Dame?«, protestierte Piper. »Wer bin ich?

Mary Kay mit ihrer Kosmetikkette?«

»Schon gut!«, rief Paige und stellte sich zwischen ihre Schwester

und ihren Schwager. »Ich würde gerne noch länger diesem
Schlagabtausch zuhören, aber ich muss mich jetzt hübsch machen.
Mein erstes Dinner-Date ist schon … oh, in fast zwei Stunden!«

»Soll das ein Witz sein?«, meinte Piper. »Paige, ich glaube, Leo

hat Recht. Das ist wirklich ein bisschen anrüchig!«

»Hör nicht auf sie!«, schaltete sich Phoebe ein und legte Paige

einen Arm um die Schultern. »Ich finde das gut! Ich werde dir sogar
bei den Vorbereitungen helfen und dir einen der großen Vorzüge, eine
Halliwell zu sein, zukommen lassen. Vor einem großen Date fallen
wir nämlich über die Schränke der Schwestern her!«

»Du kannst wohl Gedanken lesen«, grinste Paige und folgte

Phoebe bereitwillig aus der Küche. Auf der Treppe zu Phoebes
Zimmer erwischte sie sich dabei, wie sie fröhlich eine Melodie
summte.

»At laaast«, sang sie leise, »my loooove is here to stay«.

Piper sah den beiden hinterher. Dann umarmte sie ihren Ehemann.

»Ich glaube, hier liegt Liebe in der Luft«, sagte sie und gab ihm einen
Kuss auf die Nasenspitze.

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»Vermisst du eigentlich die Zeit, als du Single warst?« Leo sah

Piper in die Augen und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. »An
der Tür abgeholt zu werden? Von einem Mann ausgeführt zu werden,
der nicht … ähm … tot ist und die Dinner-Rechnung bezahlen kann?«

Lachend gab Piper Leo noch einen Kuss.

»Keine Sekunde!«, entgegnete sie verliebt. »Was brauche ich

Dates, wo ich doch mit einem Engel verheiratet bin? Und abgesehen
davon habe ich dir doch erzählt, dass ich die Jungs noch nie mit dem
Stock vertreiben musste.«

»Aber nur, weil diese Typen zu blöd waren, das Besondere an dir

zu erkennen«, sagte Leo. Lachfältchen erschienen um seine grünen
Augen, als er seine Frau anlächelte. »Zum Glück für mich.«

Piper wurde ganz warm ums Herz. Seit langem hatte er ihr nicht

mehr solche verliebten Komplimente gemacht.

»Nein, ich bin hier die Glückliche«, sagte sie und schmiegte sich

an Leos starke Brust.

»Und was gibt's zum Dinner?«, fragte Leo und strich ihr mit der

Hand über den Rücken.

Weg war die romantische Stimmung!

Na gut, dachte Piper. Schluss mit dem Geturtel! Ozzie Nelson ist

zurück! Sie rückte von Leo ab und zuckte mit den Schultern.

»Genau«, fiel ihr dazu ein. »Ich habe gerade nach neuen Rezepten

gesucht. Ich bin gleich soweit.«

»Piper«, sagte Leo und fasste sie am Ellbogen. »Habe ich etwas

Falsches gesagt?«

»Nein, nein«, wiegelte Piper ab. »Du warst einfach nur … wie ein

richtiger Ehemann, das ist alles.«

Leos besorgte Miene entspannte sich wieder.

»Stimmt«, sagte er zärtlich. »Und du bist meine Frau. Genau, wie

es mir gefällt.«

Piper lächelte dünn und widmete sich dem Computer, als Leo die

Küche verließ. Seufzend tippte sie die Adresse der Website mit den
Rezepten ein.

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Da fiel ihr etwas ins Auge. Auf dem Bildschirm war immer noch

die Kiss.com-Website. In einem Fenster unter einem blinkenden
Werbebanner stand »Paige Matthews, Sie haben acht ungeöffnete
Nachrichten«.

Auf dem Werbebanner stand: »Bewegt sich Ihre Beziehung auf

eingefahrenen Gleisen?«

»Haben Sie und Ihr Partner das Zeug für eine lange, glückliche

Beziehung? Möchten Sie mehr darüber erfahren?«

»Klingt zum Glück gar nicht manipulativ.« Piper verdrehte die

Augen. Eigentlich wollte sie auf ihre Rezepteseite gehen, aber
irgendetwas trieb sie dazu, den Cursor doch auf das Werbebanner zu
bewegen.

»Nur mal so aus Neugier«, flüsterte sie, als sie darauf klickte.

Sofort baute sich eine bunte Website mit hüpfenden Riesenherzen und
blinkenden Hotlinks auf. Der Name der Website erschien oben auf
dem Bildschirm. »Frauen sind wie Katzen, Männer wie Hunde«, las
Piper laut vor. »Na ja, das macht irgendwie Sinn …« Dann fiel ihr
Blick auf einen Link.

»Langeweile in der Beziehung?«, stand da. »Unsere

Beziehungskur bringt ihre Ehe wieder in Form!«

Hmmmm, machte Piper und klickte den Link an. Der Bildschirm

füllte sich mit Fragebögen, Tests und Spielen, mit denen man sich
beschäftigen konnte, um die Beziehung zu testen oder frischen Wind
in die Ehe zu bringen.

»Also wirklich!«, sagte Piper zu sich. »Das ist so Oprahmäßig.

Aber andererseits ist Oprah wirklich beliebt!« Kurzerhand druckte sie
sich einen ganzen Stapel Tests und Fragebögen aus.

»Warum auch nicht?«, murmelte sie munter. »Leo und ich, wir

müssen das ja nicht so ernst nehmen. Ist doch nur zum Spaß!«

Phoebe hörte zwar, dass Paige etwas sagte, verstand aber kein

Wort.

»Warte mal!«, rief sie und kam mühsam aus den Tiefen ihres

vollgestopften begehbaren Kleiderschranks zurück. In der einen Hand
hielt sie einen sehr kurzen, grünen Lederrock, in der anderen einen

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schwarzen Netzpullover. Sie warf Paige, die mit vielen anderen sexy
Klamotten auf dem Bett saß, die Kleidungsstücke zu. »Ich hab dich
nicht verstanden.«

»Ich sagte, du bist ja aufgeregter wegen dieses Dates als ich!«,

wiederholte Paige. Grinsend sah sie sich Phoebes dünne Fummel an.

»Oh«, machte Phoebe und schwieg einen Augenblick. War da ein

Fünkchen Wahrheit dran? Warum begeisterte sie sich nur so für
Paiges Single-Aktivitäten?

Rasch verbannte sie die Frage aus ihrem Kopf und lächelte Page

strahlend an. »Ich will dich nur unterstützen. Du weißt doch, für mich
ist diese Rolle als große Schwester noch neu. Es macht mir irgendwie
Spaß!«

»Das macht es wirklich«, entgegnete Paige und betrachtete mit

hochgezogenen Augenbrauen ein durchsichtiges Tank-Top. »Ich hoffe
nur, mit Josh Skilling wird es genauso lustig.«

Phoebe erstarrte. »Hast du gerade … Josh Skilling gesagt?«, fragte

sie langsam.

»Ja, warum?«, gab Paige zurück. Sie sah Phoebe an und blickte

bestürzt drein. »Du kennst ihn! Es steht dir ins Gesicht geschrieben.
Oh nein, sag schnell! Ist er ein Idiot? Ein Freak? Steht mir der
schlimmste Abend meines Lebens bevor? – Sagen Sie es mir ohne
Umschweife, Doktor!«

»Nein, nein, er ist kein Freak …«, entgegnete Phoebe, deren

Heiterkeit schlagartig verflogen war. »Und er war auch kein Idiot.
Jedenfalls nicht, bevor wir uns trennten.«

»Was?«, fuhr Paige auf. Ihr weißes Gesicht wurde noch blasser.

»Soll das heißen, mein Date von Kiss.com ist dein Ex?«

»Ähm, ja«, antwortete Phoebe leise und ließ sich neben Paige aufs

Bett fallen. »Das trifft es so ungefähr.«

»Ich sage ab!«, rief Paige, sprang vom Bett und ging zum Telefon.

»Ein Date mit dem Ex der Schwester ist ein absolutes Tabu.«

»Nein, warte doch!«, hörte Phoebe sich sagen. Sie versuchte,

forsch zu klingen. »Ich bitte dich, Paige. Ich bin mit Cole verlobt.
Warum sollte es mir etwas ausmachen? Und abgesehen davon habe
ich mit Josh Schluss gemacht.«

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»Und warum bist du dann so nervös?«, gab Paige zurück. Sie

stemmte die Hände in die Hüften und sah Phoebe abwartend an.

»Bin ich doch gar nicht – ich schwöre«, entgegnete Phoebe mit

einem kleinen Lachen. Mit einem nervösen kleinen Lachen. Paige
starrte sie weiter an. »Also gut, ich erzähle dir die ganze Geschichte«,
gab Phoebe nach. »Josh und ich waren vor fünf Jahren ein paar
Monate lang zusammen und zuerst sah es so aus, als wären wir das
neue Traumpaar.«

»Und was war dann?«, wollte Paige wissen und ließ sich auf den

Boden sinken. Im Schneidersitz blickte sie zu Phoebe auf. »Hat er
dich betrogen? Dich hintergangen? Nicht mehr angerufen?«

»Nein …«, entgegnete Phoebe. »Er hat sich nur verändert. Es war,

als hätte er mich auf einmal satt. Irgendwie wurde er immer
distanzierter und mürrischer. Ich habe versucht, mit ihm darüber zu
reden, um herauszufinden, ob ihn etwas bedrückt, von dem ich nichts
weiß. Aber er hat sich total von mir zurückgezogen. Und er machte
keine Anstalten, sich wieder zu ändern. Schließlich hatte ich das
Gefühl, dass es so nicht weiter gehen kann und hab Schluss gemacht.«

»Ach je!«, rief Paige. »Männer sind so seltsam!«

»In der Tat«, pflichtete Phoebe ihr bei und versuchte, die

Anspannung zu ignorieren, die sich in ihrem Magen auszubreiten
begann. Sie beschloss, sich wieder ganz auf Paiges Outfit für den
Abend zu konzentrieren, aber dann hielt sie inne. Sie sah ihre
Schwester an.

»Wahrscheinlich erlebt jeder irgendwann mal eine Beziehung, aus

der er nicht schlau wird. Man begreift nicht, was falsch gelaufen ist.
Woran es gelegen hat«, sagte sie. »Nun … bei mir war es diese
Geschichte mit Josh.«

»Josh?«, ertönte eine Stimme hinter ihnen.

Phoebe erstarrte.

»Cole!«, rief sie und drehte sich zu ihrem Verlobten, der in der Tür

stand, um. Er trug Jogginghosen und hatte ein Handtuch um den Hals.
»Wann bist du …«

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»Ich habe nicht gelauscht, ich schwöre«, sagte Cole und lächelte

Phoebe an. »Ich bin unterwegs zum Training und wollte nur Tschüss
sagen. Und … was ist mit Josh?«

»Ach, Josh …«, sagte Phoebe und grinste Cole an. »Nicht von

Bedeutung …«

»Ein Freund?«, fragte Cole zögernd.

»Ein Ex-Freund«, schaltete sich Paige ein.

Super!, dachte Phoebe. Danke für deine Hilfe, Schwesterchen! Sie

wollte Cole nun wirklich nichts verheimlichen, denn eigentlich konnte
sie mit ihm über alles reden. Aber es erschien ihr nicht sehr sinnvoll,
verflossene Beziehungen auszudiskutieren.

»Wir versuchen jedenfalls gerade, das perfekte Outfit für Paiges

Date heute Abend zu finden«, sagte sie, ging ans Bett und hielt eine
glänzende rote Hose hoch. »Was hältst du davon, Cole? Würde die
dein Interesse an einer Frau wecken?«

»Jedenfalls hat sie mein Interesse an einer Frau geweckt«,

erwiderte Cole. »Du hast sie bei unserem zweiten Date getragen,
erinnerst du dich nicht mehr daran?«

Phoebe sah Cole mit einem ungläubigen Lächeln an. So etwas

wusste er noch? Es gelang ihm immer wieder, sie zu überraschen.

»Und mit wem hast du dein großes Date, Paige?«, fragte Cole und

zwinkerte Phoebe zu.

»Ach, … mit Josh.« Verlegen zuckte Paige mit den Schultern.

»Josh«, wiederholte Cole. »Dieser Freund von Phoebe?«

»Ex-Freund«, riefen Phoebe und Paige gleichzeitig.

»Ach«, sagte Cole und sah Phoebe scharf an. »Das wird ja immer

spannender. Ich weiß zwar nicht, worauf das hinausläuft …«

»Auf gar nichts, Süßer«, sagte Phoebe, verdrehte die Augen und

hoffte inständig, dass Cole sich nun nicht wie der letzte Macho
benahm. »Das ist eine alte Geschichte.«

Dann warf sie Paige ein verschmitztes Grinsen zu.

»Und«, fügte sie hinzu, »möglicherweise der Beginn einer neuen

Romanze.«

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3

P

AIGE BEFAND SICH BEREITS

in der zweiten Etappe ihres Dates

mit Josh Skilling – gerade nahmen sie einen Cocktail nach dem
Dinner zu sich – und sie war alles andere als zufrieden. Seufzend
nippte sie an ihrem Preiselbeersaft mit Tonic und schaute zur Bühne
des P3, auf der eine Band tobte, die sie kannte. Chubby Hubby. Es
war eine schillernde, poppige, leicht thrashige Band ganz nach ihrem
Geschmack. Aber aus irgendeinem Grund kam die Musik an diesem
Abend nicht richtig bei ihr an. Weder in ihrem Kopf, noch in den
Beinen. Sie hatte das Gefühl, ihre Füße seien auf dem Boden
festgeklebt.

Unauffällig schaute sie auf ihre Uhr.

Sechs nach halb zehn. Als sie das letzte Mal nachgesehen hatte,

war es halb zehn gewesen. Das war kein gutes Zeichen.

Prüfend sah sie Josh Skilling von der Seite an. Dann seufzte sie

noch einmal.

Das ist wohl der Beweis dafür, dass der Geschmack, was Männer

angeht, nichts mit den Genen zu tun hat, dachte sie. Was war nur an
Josh dran, dass die Erinnerung an ihn Phoebe immer noch verfolgte?
Er war doch nichts Besonderes: lockiges braunes Haar, leuchtende
blaue Augen, kantiges Kinn, breite Schultern … Moment mal! Das
klang alles eigentlich nach einem richtigen Volltreffer. Aber aus
irgendeinem Grund summierten sich für Paige all diese fabelhaften
Attribute zu einem großen Nichts.

Vielleicht war es Joshs Persönlichkeit und nicht sein Aussehen,

was sie abtörnte. Obwohl … das Gespräch beim Dinner war ziemlich
interessant gewesen, wenn sie genauer darüber nachdachte. Josh hatte
ihr urkomische Geschichten von seiner Kindheit in Ohio erzählt. Er
war auf einer Farm aufgewachsen. Und als sie ihm sagte, dass sie
keinen Alkohol trank, hatte er sofort den Wein abbestellt, den er zuvor
für sich geordert hatte. Er war also auch noch außerordentlich sensibel
für einen Mann.

Warum also gähnte Paige und sehnte das Ende des Abends herbei?

Und warum fühlte sie sich so leer und unzufrieden, obwohl sie doch

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gerade erst eine große Portion Thai-Nudeln verputzt hatte? Wo kam
nur dieses merkwürdige Gefühl her, total benebelt zu sein?

»Glaubst du, in unserem Essen war Natrium-Glutamat?«, fragte

Paige Josh. Es kam ihr vor, als würde er sich in Zeitlupe zu ihr
umdrehen.

Du liebe Güte!, dachte Paige. Was ist nur mit diesem Kerl los?

Wieso ist er so langsam?

»Was?«, rief Josh über die Musik hinweg.

»Ob Natrium-Glutamat im Essen war???«, schrie Paige zurück.

»Wie bitte? Du findest Automatik besser?«, antwortete Josh. »Wie

meinst du das? Sag bloß nicht, du verabredest dich nur mit Typen, die
Angeberautos fahren! Denn ich liebe meinen alten Saab. Ich würde
ihn niemals für eine Frau aufgeben!«

Er war witzig. Und charmant. Paige war dies vollkommen bewusst.

Aber irgendetwas hielt sie davon ab zu lachen oder überhaupt auf Josh
anzusprechen. Er sah sie jedoch hoffnungsvoll an.

Er wartet darauf, dass ich den nächsten Programmpunkt

vorschlage, dachte Paige panisch. Und dazu hatte sie eigentlich gar
keine Lust. Wenn sich jemand an diesem Abend wie ein Versager
benahm, dann sie selbst. Und sie hatte keine Ahnung warum. Josh war
… wirklich nett. Er war ernsthaft bemüht, ihr einen angenehmen
Abend zu bescheren. Warum konnte sie das nicht genießen? Was
stimmte nicht mit ihr?

Zerstreut nahm Paige erneut einen Schluck von ihrem Saft und

betrachtete Josh von der Seite. Sie versuchte, sich dazu zu
überwinden, ihre Reize spielen zu lassen, zum Beispiel seine Schulter
zu berühren oder irgendetwas in der Art zu tun.

Aber sie stand einfach nur da. Regungslos.

Josh musste ihren Blick gespürt haben, denn er schaute sie an.

Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen. Paige zuckte
zusammen. Joshs Augen blitzten plötzlich auf, so wie man es in
Kitschfilmen bewundern konnte. Paige spürte, wie es zwischen ihnen
knisterte.

Endlich!, dachte sie. Eine Verbindung!

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Aber der Funke erlosch sofort wieder, als Josh den Blick von ihr

abwandte. In diesem Moment erklangen die letzten Trommelschläge
von Chubby Hubby im Club und der Sänger rief: »Klasse Laden, das
P3! Ist echt geil hier. Wir legen jetzt 'ne kurze Pause ein, Leute, und in
zwanzig Minuten geht's weiter!«

Im ganzen Club erhoben sich lebhafte Gespräche, nur Paige und

Josh standen verlegen voreinander. Paige öffnete den Mund, aber
irgendwie war unvermittelt ihr gesamtes Repertoire geistreicher
Bemerkungen dahin. »Wow, was für eine tolle Band! Aber leider
muss ich morgen sehr früh aufstehen«, brachte sie lahm hervor.

»Oh, ich auch«, erwiderte Josh schnell. Paige sah die Erleichterung

in seinem Gesicht. »Aber … ähm, das hat Spaß gemacht heute
Abend.«

»Oh ja, sehr«, sagte Paige monoton.

Wozu sich Mühe geben!, dachte sie dabei. Dieses Date hatte sich

als komplette Pleite erwiesen. Und es standen noch viele weitere
Verabredungen zum Lunch, Kaffee oder Dinner auf dem Programm

Am darauffolgenden Nachmittag hatte Paige bereits eine Theorie

entwickelt. Die Offenbarung kam ihr nach dem unanregendsten
Cappuccino, den sie je getrunken hatte. Die Schuld trug der Mann, der
sie zu diesem Cappuccino eingeladen hatte: Just James war fader
gewesen als der dünnste Blümchenkaffee.

Aber im Vergleich zu dem albernen Sozialarbeiter, den sie vorher

zum Lunch getroffen hatte, war er ein absoluter Rockstar. Paige war
James schließlich mit einem schlaffen Händedruck und ihrem
Standardsatz »Ruf mich nicht an, ich rufe dich an!« entronnen.

Im Sturmschritt eilte sie zu ihrem VW und ließ sich hinters Steuer

fallen. Sie holte das Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahl
für Zuhause, während sie den Wagen anließ und losfuhr.

»Ich habe eine Theorie!«, verkündete sie ohne lange Vorrede, als

am anderen Ende der Hörer abgenommen wurde.

»Wer ist denn da?«, fragte Phoebe.

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»Phoebe, ich bin's! Paige!«, rief Paige und verdrehte die Augen.

»Mein Gott, du musst doch meine Stimme erkennen! Ich bin deine
Schwester! Gehört das nicht zu dem ganzen Paket mit Schränke
durchwühlen, Freunde tauschen …?«

»Theorien vom Stapel lassen«, warf Phoebe ein.

»Sag ich doch, das ganze Paket«, gab Paige zurück.

»Eigentlich ja«, entgegnete Phoebe. »Aber der Fernseher ist an und

ich konnte dich schlecht hören. Also, dann lass mal vom Stapel! Was
hast du für eine Theorie?«

»Dates per Internet sind Scheiße!«, verkündete Paige.

»Aha, … und deine Theorie?«

»Das ist meine Theorie.«

»Ach, Süße«, sagte Phoebe. »Sei nicht so ungeduldig. Du hattest

doch erst ein Date …«

»Drei«, korrigierte Paige.

»Drei?«, staunte Phoebe. »Paige! Wie ungemein anrüchig!«

»Danke«, schmollte Paige. »Ich habe keine Ahnung, was da nicht

stimmt, aber alle meine Dates schienen so leer und nichtssagend. Alles
nur halbe Sachen, hatte ich den Eindruck. Ihre Witze sind nicht
wirklich witzig. Sie sehen nicht so gut aus wie auf den Fotos. Sogar
das Essen ist langweilig.«

»Das ist merkwürdig«, meinte Phoebe.

»Erklär mir das doch bitte mal!«, bat Paige. »Ich meine, eigentlich

bin ich eine Expertin, was das erste Date angeht. Ich kann aus dem
Nichts eine Konversation hervorzaubern. Aber bei diesen Typen fiel
mir einfach nichts ein. Das liegt bestimmt an Kiss.com. Da werden
ungerechtfertigte Hoffnungen geweckt oder so.«

»Möglicherweise …«, sagte Phoebe zögernd. »Was willst du also

tun?«

»Was schon! Ich werde wohl heute Abend zu meinem Dinner-Date

gehen«, antwortete Paige. Sie war vor der Klinik angekommen und
lenkte den Wagen auf den Parkplatz. »Ich bin mit Max Wolf

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verabredet, einem Anwalt. Ich bin sicher, er ist genauso langweilig
wie der Rest, aber einen letzten Versuch mache ich noch.«

»Das ist die richtige Einstellung!«, lobte Phoebe. »Was hast du

an?«

»Spielt zwar keine Rolle, aber ich trage deine blaue Caprihose und

diesen knappen grünen Pulli, den du immer anhast«, sagte Paige und
betrachtete ihr schickes Outfit mit Wohlwollen.

»Oh!«, entfuhr es Phoebe. »Ähm, sag mal, habe ich dir meinen

Lieblingspulli angeboten?«

»N-nicht wirklich«, stotterte Paige und schluckte. »Aber du hast

mir doch gesagt, für so einen Anlass werden die Schränke der
Schwestern geplündert …«

»Ja, aber mein Lieblingspulli ist davon ausgenommen, Paige«, fiel

ihr Phoebe aufgebracht ins Wort. Aber gleich darauf hatte sie sich
schon wieder beruhigt: »Tu mir nur den Gefallen und bekleckere ihn
nicht mit Sojasoße!«

»Natürlich nicht!«, sagte Paige. »Mea culpa, Phoebe.«

»Und versuch doch bitte, dich zu amüsieren«, riet Phoebe. »Man

kann nie wissen – vielleicht ist der Nächste schon der Richtige!«

»Mit Kiss.com den Richtigen finden?«, murmelte Paige, als sie ihr

Handy abstellte und aus dem Wagen stieg. »Die Wahrscheinlichkeit
ist anscheinend nicht sehr groß …«

Dieser Typ ist wirklich goldrichtig!, dachte Paige einige Stunden

später. Sie saß an einem kleinen Tisch in einem italienischen
Restaurant und starrte in das sagenhafte Gesicht von Max Wolf.
Bereits beim Vorspeisensalat war sie mächtig beeindruckt von ihm.

Max war nicht der Größte. Trotz seiner markigen Züge sah er sehr

gut aus. Alles in allem machte er den Eindruck, vom Leben schon
einiges erfahren zu haben.

Sein glänzendes schwarzes Haar war nach Anwaltsmanier mit Gel

zurückgekämmt, was Paige noch nie besonders gefallen hatte – die
bösen Jungs ihrer Wahl trugen vorzugsweise eine Igelfrisur …

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Objektiv betrachtet war Max nicht annähernd so süß wie der

Großteil der anderen Anwärter, mit denen sie sich schon getroffen
hatte. Aber irgendetwas an ihm nahm sie gefangen.

Vielleicht waren es seine braunen Augen. Sie leuchteten fast gelb,

was eine hypnotisierende Wirkung bei ihr auslöste. Paige konnte
kaum den Blick von ihnen lösen, während Max beim Essen erzählte.

»Äh!«, sagte er und zupfte ein Blatt von seiner Artischocke ab.

»Mit dieser Art Essen bin ich groß geworden. Authentische,
unverfälschte italienische Küche!«

»Aber Max Wolf klingt nicht sonderlich italienisch«, bemerkte

Paige kichernd.

»Ja, das stimmt, ich bin Jude und komme aus New York«, sagte

Max und zuckte mit den Schultern. »Aber Paige, hast du schon mal
eine Matzo-Ball-Suppe gegessen? Igitt! Meine Mutter hat uns allen
den großen Gefallen getan, das alte Kochbuch auf den Speicher
auszurangieren. Dann wurde sie eine erstklassige italienische Köchin.
Bei uns gab es fast jeden Tag frische, selbst gemachte Pasta.«

»Das ist ja verrückt!«, staunte Paige und registrierte überrascht,

wie sie amüsiert lachte. »Und was gab es bei euch zu Hause zum
Nachtisch?«

»Genau das, was es heute Abend gibt«, entgegnete Max. »Die

beste Creme brulee, die du je probiert hast. Kellner!«

Und so ging es den ganzen Abend weiter. Max sagte und tat immer

genau das Richtige. Und nachdem er Paige nach Hause gefahren hatte,
brachte er sie zur Tür und gab ihr einen richtigen Gute-Nacht-Kuss.

»Wow!«, sagte er und sah Paige an. Im Schein der

Verandabeleuchtung funkelten seine Augen. »Jemanden wie dich über
Kiss.com zu finden habe ich wirklich nicht erwartet!«

»Wollte ich auch gerade sagen«, entgegnete Paige verträumt. Sie

schloss die Augen, um einen weiteren Kuss in Empfang zu nehmen.

»Wollen wir das nicht bei unserem nächsten Date fortsetzen?«,

schlug Max sanft vor und hauchte Paige einen Kuss auf die Wange.
»Falls du dich noch einmal mit mir verabreden willst, Paige.«

»Nach so einer Kostprobe bleibt mir ja gar nichts anderes übrig«,

scherzte Paige, obwohl ihr Magen verrückt spielte. »Wann denn?«

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»Sonntag?«, schlug Max vor.

»Einverstanden«, entgegnete Paige. »Ruf mich an!«

Als sie leise ins Haus schlüpfte, wurde ihr schwindelig.

Haltsuchend taumelte sie rückwärts gegen die Tür. Nach einem
Augenblick verflog das Gefühl jedoch wieder. Mannomann!, dachte
sie und ging durch die Eingangshalle zur Treppe. Sie konnte gar nicht
aufhören, blöd zu grinsen. Was für ein Mann!

»Okay, Leo«, sagte Piper am nächsten Morgen. »Hier ist eine gute

Frage: Würden Sie Ihre Frau eher mit einem Ahorn vergleichen oder
mit einer Eiche?«

Phoebe verschluckte sich fast an ihrem Toast. Sie saß mit Piper

und Leo im Esszimmer, versorgte sich eilig mit Koffein und wartete
ungeduldig darauf, dass Paige zum Frühstück herunterkam. Sie war
furchtbar neugierig darauf, wie das Date mit dem Anwalt gelaufen
war. Was sie mindestens genauso interessierte, war, ob ihr
Lieblingspulli den Abend ohne Flecken oder gezogene Fäden
überstanden hatte. Außerdem benötigte sie dringend ein wenig
Ablenkung von den Altverheirateten und ihren Spielchen am anderen
Ende des Tisches.

»Das ist aber reichlich unromantisch und witzig ist es auch nicht«,

bemerkte sie, nagte an ihrem Toast und sah Piper und Leo genervt an.

»Hab ich ja auch gesagt«, beschwerte sich Leo. Er schob sein

Rührei auf dem Teller hin und her und wirkte gehetzt. »Piper, diese
Tests sind doch Blödsinn! Ich würde dich niemals mit einem Baum
vergleichen. Ich meine, das ist nicht besonders poetisch, oder?«

»Du aber auch nicht«, bemerkte Phoebe.

»Stimmt«, sagte Leo, ohne nachzudenken. Dann plötzlich sagte er:

»Hey, Phoebe! Auf wessen Seite stehst du eigentlich?«

»Du musst mal den Tatsachen ins Auge sehen, Leo!«, entgegnete

Phoebe. »Du bist ein ziemlich altmodischer Mann. Ein richtiger
Mann. Männer wie du schreiben keine Gedichte.«

»Männer wie ich wissen, was sie an ihren Frauen haben, ohne sie

mit Bäumen vergleichen zu müssen«, konterte Leo und sah Piper an.

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Aber Piper ignorierte seine Erläuterungen und ging stattdessen zur

nächsten Frage über.

»Na gut«, sagte sie. »Aber dann beantworte mir doch mal das hier:

›Ihre Frau hat eine Erkältung, sagt aber, es gehe ihr gut und Sie sollen
ruhig mit den Jungs ausgehen und sich amüsieren. Was tun Sie? A)
Fröhlich zum Abschied winken und verduften. B) Kommt gar nicht in
Frage, sagen Sie, lassen ihr ein Bad ein und kochen ihr eine Suppe. C)
Als Kompromiss laden sie die Jungs zu Pizza und Bier zu sich nach
Hause ein.‹«

»Das … ist … eine Fangfrage«, stellte Leo fest und sah Piper an.

»Ich wollte … eigentlich … in Ruhe … frühstücken.«

Oh je!, dachte Phoebe. Wenn Leo anfängt, so gedehnt zu sprechen,

wird es Zeit, sich zu verziehen! Und waren da nicht gerade Paiges
Pantoffeln auf der Treppe zu hören?

Schlapp-schlapp, schlapp-schlapp.

Schon kam Paige ins Esszimmer und ließ sich vergnügt auf einen

Stuhl fallen.

»Zwei Worte, mehr muss ich nicht sagen!«, erklärte sie Phoebe.

»Hoffentlich lauten sie nicht ›Pulli verdorben‹«, gab Phoebe

zurück.

»Nein. Max Wolf.«

»Ein gutes Date?«, fragte Phoebe aufgeregt. »Erzähl mir alles!«

»Er ist ein Traum!«, schwärmte Paige. »Es war ganz seltsam. Die

Dates mit den anderen Kiss-Typen waren so langweilig und zäh wie
Kaugummi. Mit Max hingegen war es wie ein Höhenrausch. Alles
ganz frisch und klar und spritzig. Als wären alle meine Sinne plötzlich
um das Hundertfache geschärft!«

»Das klingt eher nach einem Marathon als nach einem Date«,

scherzte Phoebe. »Aber bitte – wie es dir gefällt!«

»Ach, es ist schwer zu erklären«, sagte Paige. »Ich weiß nur, Max

ist der Richtige. Ich werde nicht weitersuchen.« Damit erhob sie sich
von ihrem Stuhl und ging in den Flur, um ihre Tasche zu holen. Mit
dem PalmPilot in der Hand kehrte sie an den Tisch zurück.

»Was hast du denn vor?«, wollte Phoebe wissen.

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»Na ja, ich muss jede Menge Dates absagen, also fange ich am

besten gleich damit an«, erklärte Paige und blickte zum
gegenüberliegenden Tischende, wo sich Leo und Piper zornig
anfunkelten. »Leo, würdest du mir bitte den Toast reichen?«

Als Leo nicht reagierte, zog Paige die Augenbrauen hoch und sah

Phoebe fragend an.

»Verheiratet«, flüsterte Phoebe kichernd. »Ein ewiges Rätsel!«

»Nicht mehr lange, nicht wahr?«, bemerkte Cole, der gerade ins

Esszimmer kam. Er gab Phoebe einen Kuss auf den Nacken.

»Oh, hallo Schatz!«, sagte Phoebe mit einem nervösen Lachen.

»Paige wollte gerade etwas Verrücktes tun.«

Paige sah genervt von ihrem PalmPilot auf.

»Verrückt? Was ist denn nun schon wieder los?«, protestierte sie.

»Gestern haben alle gemeckert, weil es angeblich anrüchig ist, wenn
ich mich mit mehreren Jungs verabrede. Nun bin ich bereit, mich auf
einen zu beschränken, und dann bin ich auf einmal verrückt?«

»Süße, findest du es nicht ein wenig vorschnell, dich schon jetzt

auf Max festzulegen?«, schaltete sich Piper ein und bedachte Leo mit
einem schrägen Seitenblick. »Schließlich ist es doch ganz erstaunlich,
wie lange man braucht, bis man jemanden wirklich kennt!«

»Hey!«, fuhr Leo auf. »Was soll das denn heißen, Piper? Weißt du,

ich glaube es ist Zeit, dass wir den Spieß umdrehen und ich dir mal
eine kleine Frage stelle. Dann werden wir sehen, ob du genauso gut
einstecken wie austeilen kannst.«

Er schnappte sich ein Bündel Fragebogen von dem Stapel neben

Piper. Phoebe verdrehte die Augen und beschloss, sich wieder um ihre
kleine Schwester zu kümmern.

»Die Sache ist die«, sagte sie zu Paige. »Wenn du wirklich

interessiert bist, Max als festen Freund zu gewinnen, dann verabredest
du dich am besten weiterhin mit anderen Männern.«

»Und wozu soll das gut sein?«, fragte Paige.

»Regel Nummer eins in Sachen Beziehung«, erklärte Phoebe.

»Man verliebt sich nur, wenn man offen bleibt. Der Typ, der dir
gefällt, will dich nicht haben und andere wiederum gefallen dir nicht.

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Mit anderen Worten: In der Regel bekommt man genau das Gegenteil
des Gewünschten.«

»Oh je!«, stöhnte Paige und blickte verwirrt drein. Cole blinzelte

Phoebe amüsiert zu.

»Du willst Max also für dich gewinnen?«, dozierte Phoebe weiter.

»Dann zeig ihm, wie beliebt du bist! Mach dich ein bisschen rar bei
ihm. Und schon wird er sich wie verrückt nach dir sehnen.«

»Phoebe!«, rief Cole und nahm sich eine Scheibe Toast von ihrem

Teller. »Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel du von Taktik verstehst.
Was hast du denn für Tricks angewendet, als wir uns kennen gelernt
haben?«

»Bei dir waren es keine Tricks, Cole«, erklärte Phoebe. »Nur das

Übliche: Sich verlieben, das Herz gebrochen kriegen, sich wieder
verlieben und hoffentlich glücklich bis ans Lebensende sein.«

»Das Übliche, so so …«, sagte Cole mit einem warmen Blick. »Bei

dir doch nicht! Bevor wir uns kennen lernten, warst du ein ganz
extremer Single.«

Phoebe sah rasch auf ihren Teller. Vor ihrem geistigen Auge

tauchten Bilder aus ihrem früheren Leben auf – Jungs, Tanzen bis zum
Morgengrauen; jede Nacht in der Stadt auf erneuter Suche nach einem
Seelengefährten. Und die Wahrheit war, sie hatte nie wirklich erwartet
oder gewollt, ihn zu finden, diesen sagenumwobenen Seelengefährten.
Cole hatte ihr Herz fast gegen ihren Willen erobert.

Und nun bewegte sie sich im Eiltempo auf ihre Hochzeit zu.

Phoebe wurde fast schwindelig bei dem Gedanken.

Cole sah sie an, als versuchte er, ihre Gedanken zu lesen.

»Ich bin nicht Josh Skilling«, sagte er mit tiefer, rauer Stimme.

»Aber vielleicht ist so einer ja genau der Richtige für dich.«

»Nein …!«, protestierte Phoebe. »Ganz bestimmt nicht.«

»Bist du dir da sicher?«, fragte Cole. »Denn es muss offenbar sehr

reizvoll sein, sich von einem Typen mit Eis in den Adern zum Narren
halten zu lassen.«

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»Cole!« Verletzt sprang Phoebe von ihrem Stuhl auf. Sie warf Leo

einen Blick zu, der mit geschürzten Lippen Pipers Fragebogen
durchblätterte.

Jetzt weiß ich, wie Leo unter der Beziehungslupe zumute ist!,

dachte Phoebe. Nichts wie weg hier!

»Ich mache den Abwasch!«, verkündete sie, ohne Cole eines

Blickes zu würdigen. Als sie die Teller vom Tisch nahm, streifte sie
mit den Fingerspitzen Paiges türkisfarbenenen PalmPilot.

In diesem Augenblick spürte sie es auch schon: Eine Vision

kündigte sich an.

Sie keuchte und ihr Bewusstsein erreichte eine neue Sphäre. Dann

wurde sie mit Bildern überflutet. Phoebe befand sich im vollen
Visionsmodus.

Sie sah ein junges Paar, das eng umschlungen an einer Mauer

stand. Die Frau war blond und gut gebaut. Den linken Arm hatte sie
lässig um den Hals ihres Partners geschlungen, der sie küsste. Dann
sah Phoebe im Nebel der Vision, wie die Hand des Mädchens sich
verkrampfte. Es fing an, seinen Verehrer zu kratzen, und versuchte,
sich von ihm loszumachen. Phoebe sah den Körper des Mädchens vor
sich. Die Brust war blutüberströmt. In der folgenden Szene
wiederholte sich exakt dasselbe. Es handelte sich zwar um andere
Menschen, aber der Ablauf der Handlung blieb gleich.

Kuss – Mord.

Kuss – Mord.

Die Vision fing endlich an zu verblassen, nachdem das dritte

Mädchen getötet worden war. Es stürzte zu Boden und seine blasse
Hand schlug in einer öligen Pfütze auf.

Phoebe atmete schwer und merkte, wie ihr der Teller, den sie

festhielt, aus der Hand glitt. Als er auf dem Boden zersplitterte, fasste
sie sich an die Schläfen und sank stöhnend in sich zusammen.

»Phoebe!«, rief Cole, sprang herbei und fing sie auf. »Was ist los?

Hattest du eine Vision?«

Phoebe sah Cole in die Augen und bemühte sich, den Streit zu

vergessen, den sie noch vor einer Minute hatten.

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Denn den jungen Frauen aus ihrer Vision ging es wesentlich

schlechter als ihr.

Sie waren von ihren Geliebten getötet worden.

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4

E

INE HALBE STUNDE SPÄTER stand Darryl Morris vor der

Haustür. Piper hatte ihn angerufen, während Phoebe sich noch von
ihrer Vision erholte.

»Hallo, Leute!«, sagte Darryl, als er in die Eingangshalle trat und

Piper und ihre Schwestern mit einem freundlichen Lächeln begrüßte.
Piper reichte ihm eine Tasse Kaffee und klopfte ihm auf die Schulter.

Was täten wir nur ohne Darryl!, dachte sie und seufzte. Manchmal

konnte sie gar nicht fassen, wie viel Glück sie gehabt hatten, sich mit
einem Detective anzufreunden, mit dem sie zusammenarbeiten
konnten und dem ihre übernatürlichen Fähigkeiten keine Angst
machen. Bei ihm war das Geheimnis der drei Schwestern sicher
aufgehoben.

»Hast du schon etwas herausgefunden?«, fragte Piper und führte

Darryl in den Wintergarten. Die anderen hatten bereits in dem
sonnendurchfluteten Raum auf den hübschen weißen Korbmöbeln
Platz genommen.

Phoebe sah immer noch ein wenig blass und geschwächt aus. Die

Visionen schienen sie völlig auszulaugen. Ihr war die schwerste Gabe
zuteil geworden und manchmal hatte Piper deswegen ein schlechtes
Gewissen. Sie setzte sich neben Phoebe auf die Sessellehne und legte
ihr schützend einen Arm um die Schultern, als Darryl zu sprechen
begann.

»Ich wollte wirklich gerade zum Telefon greifen, um mich bei

euch zu melden, als du mich anriefst, Piper«, sagte der große Mann
mit der bärigen Statur und ließ sich auf das S-förmige Sofa sinken.
»Letzte Nacht gab es drei Morde – alle sehr ähnlich. Und definitiv
übernatürlich.«

»Woher weißt du das?«, fragte Paige alarmiert. »Was ist

geschehen?«

»Nun, die Leichen sind noch in der Pathologie, aber die ersten

Untersuchungen haben ergeben, dass keine Waffen im Spiel waren«,
erklärte Darryl.

»Aber ich sah so viel Blut in meiner Vision«, bemerkte Phoebe.

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»Ja, und das ist auch richtig«, sagte Darryl grimmig. »Diesen

Mädchen wurde das Herz aus dem Leibe gerissen. Und ich kenne
keinen Menschen, der nicht wenigstens ein Taschenmesser bräuchte,
um ein Herz aus einem Rippenkasten zu holen.«

Piper zuckte bei der Vorstellung zusammen.

In solchen Momenten hasste sie ihr Hexendasein. Niemand sonst

hatte mindestens einmal pro Woche mit Toten und Dämonen zu tun!

Sie erhob sich müde und fragte: »Also, Mädels, das Übliche? Buch

der Schatten? Dämonen lokalisieren?«

»Ganz genau«, antwortete Phoebe.

»Dann sage ich wohl besser mein Brunch-Date ab«, meinte Paige.

»Vielleicht ist das gar nicht so sinnvoll«, ließ sich Leo vernehmen.

Er stand hinter Paige und auf seinem Gesicht lag dieser nachdenkliche
Ausdruck, der sich immer dann zeigte, wenn er im Wächter-des-
Lichts-Modus war. »Phoebe, du hast doch die Vision gehabt, nachdem
du Paiges PalmPilot berührt hast, nicht wahr?«

»Na ja«, sagte Phoebe. »Zumindest glaube ich, dass sie dadurch

verursacht wurde.«

»Dann … führt uns vielleicht etwas, das in dem PalmPilot steht, zu

dem Dämon«, sagte Leo.

»Was?«, fuhr Paige entsetzt auf. »Aber da steht mein ganzes Leben

drin! Die Adressen von allen Leuten, die ich kenne. Ein Kalender des
vergangenen Jahres. Ich weiß nicht, wie wir das alles durcharbeiten
wollen.«

»Okay, der PalmPilot ist nicht der beste Ausgangspunkt«, meinte

Piper. »Aber die Opfer sind es vielleicht. Darryl, weiß man schon
irgendetwas über die Mädchen?«

»Nun, sie haben alle dasselbe Profil: Mitte zwanzig, attraktiv,

Single. Die Namen sind …« Darryl blätterte in seinen Unterlagen,
dann las er vor: »Christy Farthington, Betsy Pollack, Carla Janowski.«

»Oh nein!«, rief Phoebe. »Carla Janowski? Die kenne ich! Ich habe

sie erst vor ein paar Tagen getroffen!«

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»Ist das wahr?«, fragte Piper bestürzt. »Ach, Süße, das tut mir

Leid. War sie eine gute Freundin von dir? Du hast sie nie erwähnt,
oder?«

Phoebe ließ sich mit Tränen in den Augen zurück in ihren

Korbsessel sinken.

»Nein, wir hatten nur ein paar Kurse zusammen in der Schule«,

sagte sie und ihre Stimme zitterte vor Schuldgefühlen. »Eigentlich
habe ich sie nie besonders gemocht. Aber sie hat nie jemandem etwas
getan. Ich kann es nicht fassen! Warum wurde ausgerechnet sie
ermordet?«

Darryl setzte sich auf die Kante des Kaffeetischs und beugte sich

zu Phoebe vor.

»Phoebe, hat Carla irgendetwas zu dir gesagt, das uns weiterhelfen

könnte?«, fragte er.

Phoebe schüttelte den Kopf und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Sie war ganz aus dem Häuschen

wegen meiner Verlobung, daran erinnere ich mich noch. Und sie
beschwerte sich über ihr Single-Dasein.«

Plötzlich schnappte sie nach Luft und starrte Paige an.

»Carla war diejenige, die mir von Kiss.com erzählt hat!«, flüsterte

sie. »Sie hatte sich gerade dort angemeldet.«

»Nun, das ist ein erster Hinweis«, sagte Leo. Dann wandte er sich

an Paige. »Deshalb solltest du besser nicht zu spät zu deinem Date
kommen.«

»Machst du Witze?«, kreischte Paige und sprang von der Couch.

»Was, wenn dieser Serienkiller mein Brunch-Date ist? Was dann?«

»Dann orbe ich dich da raus«, erklärte Leo gelassen. »Hattest du

etwa gedacht, ich lasse dich allein gehen?«

Piper merkte, wie Paige sich ein wenig entspannte. Aber nur ein

wenig.

»Sieh mal, Paige«, sagte sie. »Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich

bei deinem Verehrer um unseren Dämon handelt, ist verschwindend
gering. Ich meine, keiner von den anderen Jungs hat versucht, dir das
Herz zu rauben, oder?«

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»Nicht im tödlichen Sinne jedenfalls«, bemerkte Cole mit einem

schmalen Lächeln.

»Vermutlich habt ihr Recht«, sagte Paige zögerlich. »Und wenn

Leo dabei ist, wird schon nichts passieren.«

»Gar nichts«, bekräftigte Phoebe und sprang auf. Sie hatte sich von

ihrem Schock erholt und befand sich in dem für sie typischen
Aktionsmodus.

Und wenn Phoebe loslegt, dachte Piper lächelnd, dann geht's rund!

»Okay, wir haben also schon mal einen Plan«, verkündete Phoebe.

»Paige und Leo überprüfen das Kaffee-Date auf Hörner und
Schuppen. Und während ihr unterwegs seid, schlagen Piper und ich im
Buch der Schatten nach.«

»Wie du das sagst, klingt es fast nach viel Spaß«, bemerkte Paige

und erhob sich. Sie ging in die Eingangshalle und holte ihre Tasche.

»Ich will dir eins sagen, Paige«, beruhigte Phoebe sie. »Nach ein

paar Jahren Hexenleben gewöhnst du dich dran.«

»Traurig, aber wahr«, bemerkte Piper. »Also, Leute! An die

Arbeit!«

Anderthalb Stunden später hatte sich der Enthusiasmus aller

Beteiligten erheblich abgekühlt.

»Sag mal, ist unser Kristall kaputt oder was?«, beschwerte sich

Phoebe. Sie befand sich mit Piper auf dem Dachboden des Hauses, um
einen magischen Kristall über dem Stadtplan von San Francisco
pendeln zu lassen. Normalerweise fiel der Kristall an der Stelle
herunter, wo ein Dämon lauerte.

Aber an diesem Tag wollte das Pendel nicht kooperieren. Sie

hatten alles überprüft, sogar die ganz entfernten Vororte, aber der
gesuchte Dämon schien abgetaucht zu sein.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Piper. Sie stand hinter dem Pult, auf

dem das Buch der Schatten lag. »Dieser Dämon hat schon drei
Menschenherzen. Und da hatte er noch Zeit übrig, sich in Luft
aufzulösen?« Sie blätterte erneut in dem Buch. Piper war wohl
diejenige von den drei Schwestern, die gegenüber der Hexerei am

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zynischsten eingestellt war, aber wenn sie das Buch der Schatten
studierte, verspürte sie trotz allem Ehrfurcht. Schließlich hatten
Generationen von Halliwell-Frauen dieses Buch mit seinem weichen
Ledereinband und den vergilbten Pergamentseiten entstehen lassen.
Über die Jahrhunderte hatten sie darin alle Dämonen, Hexer und
andere böse Gestalten zusammengetragen, die ihnen begegnet waren.

Aber im Laufe der Jahre hatten Piper und ihre Schwestern manches

Mal auch auf bittere Weise erfahren müssen, dass das Buch der
Schatten
nicht für jedes Problem eine Lösung bereithielt.

Und das war offenbar auch diesmal der Fall. Piper hatte das Buch

schon mehrfach durchgesehen, war aber auf keinen Dämon gestoßen,
der Herzen raubte.

»Zumindest über eins können wir uns freuen«, sagte Phoebe, als

sie den Kristall über einer Straßenkreuzung auf der Karte pendeln ließ.
»Hier ist das Restaurant, in dem Paige verabredet ist, und da ist kein
Dämon.«

»Paige ist da aber auch nicht!«, sagte Paige, die in diesem Moment

auf dem Dachboden erschien. Sie hatte Ringe unter den Augen und
wirkte völlig erschöpft. Leo kam hinter ihr die Treppe hoch.

»Was ist denn passiert?«, rief Phoebe, ließ den Kristall auf die

Karte fallen und lief den beiden entgegen. »Ihr seht beide aus wie
durch die Mangel gedreht!«

»Nur das langweiligste Date aller Zeiten«, erklärte Paige gähnend.

»Der Tierarzt war kein Dämon. Ich hätte die Zerstreuung durch einen
Dämon regelrecht willkommen geheißen. Das Positive ist, ich habe
Gutscheine mitgebracht. Gratis Sterilisation oder Kastration für alle
unsere Haustiere!«

»Hör einfach nicht zu, Sweetie!«, sagte Phoebe und hielt der

Siamkatze ihrer Schwester, die ihr schon eine Weile um die Beine
strich, die Ohren zu. Jede richtige Hexe hatte einen Hausgeist, und
Sweetie war der von Halliwell Manor. »Du wirst uns noch kleine
Kätzchen bescheren.«

Mit gequälter Miene schlich sich Leo zu Piper.

»Und du meinst, ich brauche einen Beziehungstest?«, zischte er.

»Du hättest die beiden sehen sollen! Ich konnte die Seufzer der

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Langeweile bis zu meinem Tisch ein paar Meter weiter hören. Es war,
als hätten sie sich überhaupt nichts zu sagen.«

Piper sah ihn nur an und legte den Zeigefinger an die Lippen. Dann

ging sie zu Paige.

»Du hast es für die Mannschaft getan, Kleine«, sagte sie tröstend.

»Wenigstens haben wir so herausgefunden, dass er kein Dämon ist.«

»Grrrrr«, machte Paige und gähnte geräuschvoll, während sie Piper

träge zunickte. »Ich habe Hunger. Gibt's unten irgendwas zum
Essen?«

»Hoppla!«, merkte Leo überrascht auf. »Habe ich nicht gerade

beobachtet, wie du eine Riesenportion Spinatauflauf verputzt hast?«

»Doch, stimmt«, gab Paige zu und zuckte mit den Schultern. »Aber

ich fühle mich irgendwie so leer. Als hätte mich dieses Date
vollkommen ausgelaugt.«

Als sie zur Treppe ging, folgten ihr Piper, Phoebe und Leo auf dem

Fuße.

»Ich tue es nur ungern, aber ich muss wohl darauf hinweisen, dass

wir immer noch keinen Dämon gefunden haben«, bemerkte Piper auf
dem Weg zur Küche. »Es dauert zu lange, wenn wir Paiges Verehrer
einen nach dem anderen durchchecken. In der Zwischenzeit verlieren
wir bestimmt noch mehr Unschuldige.«

»Sie hat Recht«, sagte Phoebe und biss sich auf die Unterlippe. Sie

setzte sich auf den Schreibtischstuhl und spielte mit der
Computermaus. »Wir müssen in einem größeren Rahmen suchen. Wir
brauchen einen Ort, an dem es von sexhungrigen Männern nur so
wimmelt.«

»Zufällig muss ich heute Abend arbeiten«, sagte Piper und

zwinkerte ihrer Schwester zu. »In einem Nachtclub, in dem es nur so
wimmelt von sexhungrigen Männern.«

»Das P3!«, sagte Leo. »Natürlich! Das ist perfekt. Und Paige

macht den Köder.«

Paige, die gerade im Kühlschrank nach etwas Essbarem stöberte,

entfuhr ein Stöhnen. Mit einem Apfel in der Hand und Wut im
Gesicht drehte sie sich um.

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»Schon wieder ich?«, rief sie empört. »Warum nicht Piper oder

Phoebe?«

»Paige, uns gehört das P3«, sagte Piper. »Alle wissen, dass Phoebe

und ich keine Singles mehr sind.«

»Wie praktisch für euch!«, brummelte Paige. Dann holte sie sich

ein Glas Erdnussbutter aus der Speisekammer, schmierte verärgert
einen viel zu großen Klecks davon auf ihren Apfel und biss kräftig
hinein.

»Au Mann, warum habt ihr mich heute Nachmittag nur so viel

essen lassen!«, stöhnte Paige. Es war elf Uhr abends, die Abschlepp-
Primetime im P3. Und im Gegensatz zu den meisten Samstagabenden
in ihrem Leben hätte Paige nicht weniger in Stimmung sein können.
Erschöpft und übellaunig von ihrem Fressanfall kauerte sie an der
Theke.

»Keine Sorge, du siehst super aus. Mir gefällt dieses knallblaue

Elasthankleid ganz besonders gut an dir, Paige«, sagte Piper, die
hinter der Theke Gläser auswischte. Sie spähte über die Bar und
grinste. »Und zehn Zentimeter hohe Absätze! Das rundet das ganze
Erscheinungsbild ab.«

»Hör mal, ich mache nur ein Mal den Köder«, erklärte Paige und

schlürfte geräuschvoll an ihrem Diätsoda. »Und ich werde einen
Treffer landen und uns den Dämon besorgen.«

»Das ist die richtige Einstellung!«, bemerkte Cole, als er mit

Phoebe an der Theke erschien. »Paige, du siehst wirklich …
bezaubernd aus.«

»Danke für das Kompliment«, antwortete Paige. Ihr war bewusst,

wie aufreizend sie aussah, sogar für ihre Verhältnisse. Sie öffnete ihre
kleine blaue Tasche und holte ihren Lipgloss heraus, um eine neue
pinkfarbene, glänzende Schicht aufzutragen. »Dann gehe ich jetzt mal
Fangen spielen!« Sie winkte ihren Schwestern zaghaft zu und sah
noch einmal zu Leo hinüber, der in der Nähe des Eingangs Position
bezogen hatte. Dann stürzte sie sich in die Menge.

Es ist schon merkwürdig, wie Flirten, Tanzen und Abschleppen

einem zur Last wird, wenn man es tun muss, sagte Paige sich und
zwinkerte einem Typen auf der Tanzfläche übertrieben zu, während

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sie sich ihm näherte. Igitt, was für ein scheußliches Rasierwasser!,
dachte sie, begann aber dennoch, tapfer die Hüften zu schwenken und
den Männern zuzulächeln, die sich rasch um sie zu sammeln
begannen.

»Hallo, wie heißt du?«, flötete sie einem Kerl mit einer besonders

vorstehenden – möglicherweise dämonischen? – Stirn zu.

»Über mich musst du nur eines wissen, Baby!«, antwortete der

Typ. Dann griff er in seine Tasche. Paiges Herzschlag setzte einen
Moment lang aus.

Holt er jetzt 'ne Waffe raus?, fragte sie sich. Panik befiel sie.

Schnell drehte sie sich um, um zu sehen, wo Leo und ihre Schwestern
positioniert waren. Aber außer einem Haufen lüsterner, tanzender
Männer sah sie gar nichts.

Klimperklimper.

Beklommen drehte sich Paige wieder zu dem Mann mit der

vorstehenden Stirn um. Er hielt ihr etwas entgegen – einen
Schlüsselbund.

»Jawoll, ich fahre einen Lexus, meine Süße!«, prahlte er. »Willst

du ihn sehen?«

Er will also mit mir nach draußen, dachte Paige. Vielleicht ist er

unser Kandidat. Obwohl, so fies wie der kann nicht mal ein Dämon
sein …

Widerstrebend setzte Paige ein verführerisches Lächeln auf und

griff beherzt nach seiner verschwitzten Hand.

»Warum nicht?«, antwortete sie und ließ sich von ihm zum

Ausgang führen. Während sie hinter ihm her ging, hüpfte sie immer
wieder hoch und winkte, um ihre Schwestern auf sich aufmerksam zu
machen. Piper entdeckte sie als erste und dirigierte Phoebe und Cole
Richtung Tür.

Als sie die Treppe zum Ausgang hinaufstiegen, schauderte es

Paige. Patschnasse Hände hatte der Kerl! Lag es daran, dass er ein
Dämon war, oder war er einfach nur ein Loser?, fragte sie sich und
spürte, wie ihr Herz laut unter ihrem hautengen Kleid pochte.

Der Kerl mit der vorstehenden Stirn zog Paige nach draußen und

sie warf rasch einen Blick über ihre Schulter. Leo und die anderen

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waren unterwegs. Die Tür schlug zu, und sofort riss der Typ seine
Hand weg. Paige wirbelte herum und Panik stieg in ihr auf. Aber statt
eines Dämons, der sich ihres Herzens bemächtigen wollte, sah sie –
Josh Skilling? Tatsächlich! Josh Skilling, ihr erstes und langweiligstes
Kiss.com-Date und außerdem Phoebes Ex.

Und das Merkwürdige war: Josh hatte offenbar ihren Begleiter von

ihr weggerissen und das Kommando übernommen. Nun trieb er den
glücklosen Verehrer über den Parkplatz des P3 – mit viel mehr Kraft,
als sie ihm zugetraut hätte.

»Josh?«, stieß Paige entgeistert hervor. »Was machst du denn

hier?«

»Dich retten natürlich«, antwortete Josh und bedachte Paige mit

einem feurigen Blick. Bevor sie etwas sagen konnte, packte er sie am
Arm und zog sie zur nächsten Ecke. Paige versuchte, sich von ihm
loszureißen, aber seine Finger gruben sich wie Krallen in ihr Fleisch.
Paige konnte noch kurz einen Blick über ihre Schulter werfen, bevor
sie von Josh um die Ecke gezogen wurde. Die Clubtür öffnete sich
gerade erst wieder. Ihre Schwestern hatten also nichts mitbekommen.
Und wenn sie herauskamen, würden sie Paige nicht mehr sehen
können.

Paige öffnete den Mund, um nach Leibeskräften loszuschreien,

aber Josh legte ihr die Hand auf den Mund.

»Was ist los, Paige?«, fragte er und auf seinem Gesicht erschien

ein ungläubiges Lächeln.

»Warte mal!«, sagte er dann. »Hast du etwa Angst vor mir? Sid …

der Typ da hinten ist derjenige, vor dem du Angst haben solltest!«

Paige schob Joshs Hand von ihrem Mund weg. Zum Glück ließ er

auch ihren Arm los, den nun bestimmt ein blauer Fleck zierte, wie
Paige befürchtete.

»Sid?«, fragte sie verwirrt und sah Josh an. Woher wusste er seinen

Namen? »Du kennst ihn?«

»Dieser Kerl ist die reinste Pest«, sagte Josh. »Überhaupt kein

Gentleman, kann ich dir sagen. Ich bin überrascht, dass du noch nicht
von ihm gehört hast.«

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»War wahrscheinlich zu beschäftigt … mit dem Internet«,

entgegnete Paige zaghaft.

»Und darüber bin ich sehr froh«, sagte Josh. »Weißt du, Paige,

unser Date neulich hat mir wirklich gut gefallen.«

»Wirklich?«, fragte Paige. Josh verhielt sich nun fast normal. Sie

fand ihn sogar ein bisschen nett. Aber als sie ihm in die Augen sah,
wurde ihr klar, dass es zwischen ihnen nicht funken würde. Sein Blick
war zu intensiv. Zu konzentriert. Trotz seiner warmen Worte klang
seine Stimme distanziert. Er wirkte kalt und gar nicht mehr so
sympathisch wie bei der ersten Verabredung.

»Wirklich, Paige«, entgegnete Josh. »Ich bin froh, dass ich dir

begegnet bin. Und das hat gar nichts mit diesem Widerling zu tun.«

»Womit denn dann?«, fragte Paige beklommen. Sie drückte sich

gegen die feuchte Mauer und blickte rasch die Straße hinunter.
Inständig hoffte sie Phoebe, Piper oder die Jungs in der Dunkelheit
auftauchen zu sehen. Aber von ihnen fehlte weit und breit jede Spur.

»Weil …«, setzte Josh an und beugte sich über sie. Seine Stimme

wurde tiefer und stakkatoartig. Sein Gesicht begann ebenfalls, sich zu
verändern, und nahm einen finsteren Ausdruck an. Sein heißer,
übelriechender Atem wehte Paige entgegen. »… du mein Herz hast.«

Paige blickte an sich herunter. Joshs Hand bewegte sich auf ihre

Brust zu. Sein Arm zitterte, als stünde er unter elektrischer Spannung.
Und als seine Fingerspitzen am Rand des tief ausgeschnittenen
Oberteils ihres Kleides entlangfuhren, verwandelten sich seine Nägel
in glänzende, messerscharfe Krallen. Seine Hand wurde in
Sekundenschnelle zu einer metallischen, klauenartigen, tödlichen
Waffe.

Paige wich vor ihm zurück und drängte sich an die Mauer.

Verzweifelt versuchte sie zu schreien. Aber kein Laut kam über ihre
Lippen. Da war weder Luft zum Atmen, geschweige denn zum
Schreien in ihrer Lunge.

Paige spürte, wie ihr ein silbriger Nagel in die Haut stach. Eine

sengende Hitzewelle schoss in ihre Brust und ein Schwall Blut ergoss
sich über ihr Dekollete.

Endlich brach der Schmerz Paiges Schweigen.

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»Auaaaa!«, schrie sie und versuchte, sich Joshs bedrohlichem Griff

zu entwinden. Sie packte ihn bei den Handgelenken und versuchte, ihn
wegzuschieben, aber er stand da wie eine Steinsäule. Keinen
Zentimeter ließ er sich bewegen. Stattdessen bedrängte er sie weiter
und bohrte noch einmal eine der messerscharfen Krallen in ihre Brust.
Paige schrie erneut und brach dann in ein ersticktes Schluchzen aus.

»Pipeeeeeer!«, rief sie. »Phoebeeeeee!«

»Wir sind hiiiier!«

Paige hatte Phoebe gar nicht kommen sehen. Schon verpasste diese

Josh einen kräftigen Tritt gegen den Kopf. Er ging zu Boden und
hinterließ dabei einen langen Kratzer auf Paiges Arm.

Durch den Schwung ihres Roundhouse-Kicks wurden Phoebe die

Beine unter dem Körper weggerissen. Mit einem schmerzhaften
Aufprall landete sie direkt auf Josh.

»Er ist der Dämon!«, schrie Paige. »Vorsicht!«

Phoebe rollte rasch von Josh herunter und stemmte die Hände fest

auf den Boden, um mit einem Handstandüberschlag auf die Füße zu
springen. Als sie in Kung-Fu-Kampfhaltung wieder zum Stehen kam,
rappelte sich auch Josh auf. Mit seinen bedrohlichen Klauen griff er
Phoebe an, aber es gelang ihr, seinen Angriffen leichtfüßig
auszuweichen.

Dann sah Paige, wie Phoebes Blick über Joshs Gesicht wanderte.

Phoebe erbleichte und ließ die Fäuste sinken.

»Josh?!«, quiekte sie überrascht.

»Josh?«, bellte Cole. »Josh, der Ex-Freund? Dieser Typ taucht ja

plötzlich überall auf!«

»Und er ist ein Dämon!«, sagte Piper mit zusammengebissenen

Zähnen und streckte die Hände aus. Paige wusste, was nun kam. Ein
Fingerschnippen von Piper genügte und Josh würde in tausend Stücke
explodieren. Als sie Piper zum ersten Mal dabei beobachtet hatte, war
sie völlig durchgedreht. Wer hatte schon eine große Schwester, die
einen mit Tee und Keksen verwöhnte und im nächsten Augenblick
Bösewichte zum Explodieren brachte! In Erwartung des
Unvermeidlichen schloss sie fest die Augen und machte sich auf den
Knall gefasst.

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Aber stattdessen hörte sie, wie Phoebe aufgeregt rief: »Nein!

Warte!«

Paige schlug die Augen wieder auf. Piper hielt inne und starrte

Phoebe erstaunt an.

»Was zum …«, sagte Piper.

Diese Gelegenheit ließ Josh sich nicht entgehen. Er machte auf

dem Absatz kehrt und floh. Innerhalb von Sekunden war er in der
Dunkelheit verschwunden. Piper lief ihm hinterher, wobei sie auf
beeindruckende Weise mit ihren hohen Absätzen über den Asphalt
donnerte. Aber als sie das Ende der Gasse erreichte und sich nach
rechts wandte, musste sie es einsehen:

Josh war entkommen.

Piper kam mit energischen Schritten wieder zurück. Wütend blieb

sie vor Phoebe stehen.

»Warum sollte ich warten?«, zischte sie aufgebracht. »Jetzt ist er

uns durch die Lappen gegangen, Phoebe. Und du hast vielleicht das
Leben einer weiteren Unschuldigen auf dem Gewissen!«

54

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5

P

HOEBE SAH IHRE

S

CHWESTER

ängstlich an. So zornig hatte sie

diese nicht mehr erlebt, seit sie sich mit Hilfe von Pipers
Lieblingsrührbesen Strähnchen ins Haar gefärbt hatte.

»Was hast du dir dabei gedacht?«, ging Piper auch schon auf sie

los.

»Okay, er ist uns durch die Lappen gegangen«, räumte Paige ein.

»Und ich habe sogar blutige Striemen davongetragen. Ähm, Leo,
könnte ich vielleicht ein bisschen heilende Hilfe bekommen?«

Phoebe stiegen die Tränen in die Augen, als sie sich die

geschundene Haut ihrer kleinen Schwester ansah. Aus zwei
furchtbaren Stichwunden in der Brust lief Blut und auf ihrem Arm war
ein hässlicher, tiefer Kratzer zu sehen. Leo eilte an Paiges Seite und
legte seine Hände auf die Verletzungen. Gleißend weißes Licht trat
aus seinen Handflächen. Einen Augenblick später versiegte das Blut
und Paiges Haut war wieder ganz makellos und heil.

Das Verhältnis von Phoebe und Cole war allerdings nicht so leicht

zu kitten – nicht, nachdem Phoebe gerade ihrem jämmerlichen Ex das
Leben gerettet hatte. Wenn Cole nun wütend auf Phoebe losgegangen
wäre, hätte sie damit umgehen können. Aber seine angespannte
Miene, die sich zunehmend verfinsterte, verriet ihr, dass er viel mehr
als nur wütend war. Er war verletzt. Und irritiert.

»Phoebe«, sagte er leise und seine Stimme hatte einen schalen

Unterton. »Kannst du mir vielleicht erklären, was hier gerade passiert
ist?«

»Ja, das kann ich«, entgegnete Phoebe. Dann versagte ihr die

Stimme. Sie biss sich auf die Lippe und holte Luft, hielt jedoch noch
einmal inne und legte unsicher den Zeigefinger ans Kinn.

»Okay, es ist so«, brachte sie endlich heraus. »Ich habe Piper

gestoppt, weil …« Hilflos brach sie ab und sah die anderen an. Warum
hatte sie denn eigentlich Josh Skilling – anderweitig bekannt als
herzraubender Dämon aus der Hölle – vor der Vernichtung bewahrt?
Sie hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Und, das musste sie
sich eingestehen, sie hatte in der Vergangenheit schon Freunde

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gehabt, die sich in Dämonen verwandelt hatten. Bei denen hatte es ihr
keine Probleme bereitet, sie in kleine Rauchwolken aufgehen zu
sehen.

Warum war es bei Josh anders?

»Ich glaube, ich habe … Weißt du, die Vergangenheit hat mich

eingeholt«, jammerte Phoebe. »Ich war einfach nicht darauf
vorbereitet.«

»So, so«, sagte Cole nur. »Okay, Phoebe, eine tolle Erklärung.«

»Cole …«, setzte Phoebe an, sprach jedoch nicht weiter. Was sollte

sie sagen? Der Schaden war bereits angerichtet. Und sie wusste nicht,
was das Ganze zu bedeuten hatte, außer dass sie … vielleicht wirklich
nicht das Zeug zum Heiraten hatte. Sie sah Cole hinterher, der ohne
ein weiteres Wort davonstolzierte. Aber sie wusste, was in ihm
vorging. Mit seiner aufrechten Haltung und den breiten Schultern
versuchte er nur, seinen verletzten Stolz zu verbergen.

Seufzend drehte sich Phoebe zu ihren Schwestern um. Paige strich

sich über ihre Phantomwunden. Dann schüttelte sie verwundert den
Kopf.

»Hört mal«, sprudelte sie hervor, »ich kann nur schwer glauben,

dass Josh Skilling, ein dreißigjähriger Softwaredesigner und Kunde
von Kiss.com ein Dämon sein soll!«

»Das ist immer schwer zu glauben, Süße«, sagte Piper und warf

Cole rasch einen Blick hinterher. Aber der war zum Glück schon zu
weit weg und hörte sie nicht. »Wir haben alle schon mal
Körperflüssigkeiten mit Dämonen ausgetauscht.«

»Entschuldige mal bitte, aber ich habe keine Körperflüssigkeiten

mit Josh Skilling ausgetauscht!«, protestierte Paige.

Diesmal war es Phoebe, die Paige böse anfunkelte. Dann verdrehte

sie die Augen und sagte: »Okay, beenden wir die Diskussion um Josh
Skillings Körperflüssigkeiten! Reden wir lieber über seine Maniküre.
Das waren ganz schöne Killerklauen!«

»Ja, definitiv dämonisch, würde ich sagen«, meinte Piper.

»Nun, es gibt nur einen Weg, wie wir Klarheit bekommen«,

bemerkte Phoebe. »Wir müssen Josh finden.«

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»Natürlich«, warf Cole sarkastisch ein. Phoebe sah überrascht auf.

Ihr Freund war zur Gruppe zurückgekehrt, obwohl er innerlich vor
Wut kochte.

»Cole«, sagte Phoebe, »es tut mir Leid, einen so dummen Fehler

gemacht zu haben. Und wir müssen definitiv über diese Sache reden.
Aber im Moment steht das Leben von Unschuldigen auf dem Spiel.«

»Ich weiß«, sagte Cole und Phoebe bemerkte, wie sein Blick

weicher wurde – allerdings nur ein wenig. »Geh schon! Ich bin zu
Hause, wenn du mich brauchst.«

»Ich brauche dich immer, das weißt du«, entgegnete Phoebe

zaghaft.

Cole sah rasch auf seine Schuhe. Dann nickte er schroff und ging

davon.

»Warum gehst du nicht mit ihm?«, schlug Piper Leo vor. »Macht

doch eine kleine Männerrunde. Ab hier kommt die Macht der Drei
schon alleine klar.«

»In Ordnung«, entgegnete Leo, gab Piper einen raschen Kuss und

sah zu Phoebe hinüber. »Vielleicht gehe ich den Partnerschaftstest ja
mal mit Cole durch.«

»Hey!«, rief Phoebe. »Das habe ich gehört! Es war nur ein blöder

Fehler. Das bedeutet noch lange nicht, dass Cole und ich Probleme
haben.«

»Wir müssen jetzt los«, mahnte Piper und sah Leo eindringlich an.

»Halte dich bereit zum Orben, falls wir dich brauchen, okay?«

»Mache ich«, versprach Leo, bevor er hinter Cole hertrottete.

Phoebe ging mit ihren Schwestern zu dem SUV.

»Nun, wo sollen wir nach dem dämonischen Josh suchen?«, fragte

Paige. »Gibt es hier in der Ecke vielleicht einen Nachtclub für
Zombies?«

»Paige, wir sind hier in San Francisco!«, bemerkte Piper. »Hier

gibt es keine Dämonenbars. Vermutlich hat sich Josh von der Straße
zurückgezogen.«

Daraufhin warf sie Phoebe einen bedeutungsvollen Blick zu.

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»Okay, okay, ich weiß, wo sein Apartment ist«, sagte Phoebe und

verdrehte die Augen.

Paige unterdrückte grunzend ein Lachen, als sie auf den Rücksitz

kletterte.

»Na, na, na«, sagte Phoebe und drehte sich zu ihr um. »Muss ich

dir deinen letzten Volltreffer, den tollen Lung Chow in Erinnerung
rufen? In Sachen Jungs haben wir alle schon mal kräftig
danebengegriffen, nicht wahr?«

»Touché«, antwortete Paige, aber ihre Lippen zuckten dennoch

verräterisch.

»Piper«, sagte Phoebe und drehte sich wieder nach vorn. »Fahr

einfach los! Ich übernehme die Navigation!«

Eine Viertelstunde später hielten die Halliwells vor einem

sehenswerten alten Wohnblock. Phoebe spähte aus dem Fenster und
entdeckte Licht in Joshs Apartment im zweiten Stock.

»Wenn er tatsächlich noch hier wohnt«, sagte Phoebe, »dann

scheint er zu Hause zu sein.«

»Und da hinten gibt's auch eine Feuertreppe«, bemerkte Piper, die

das Gebäude genau unter die Lupe genommen hatte. »Perfekt! Gehen
wir!«

Die drei Schwestern schlichen über den Gehweg am Gebäude

entlang und kletterten dann vorsichtig die baufällige Feuertreppe zu
Joshs Hintertür hinauf. Als sie oben ankamen, spähte Phoebe durchs
Fenster.

»Ich kann ihn sehen«, flüsterte sie. Sie blickte in die hell

erleuchtete Küche. Direkt dahinter lagen ein großer, offener Flur und
das Wohnzimmer. Dort war kein Licht eingeschaltet, aber Phoebe
konnte Josh in der Dunkelheit ausmachen. Was er tat, war nicht zu
sehen, denn er stand mit dem Rücken zu ihr.

Doch plötzlich …! Phoebe hielt die Luft an. Im Lichtschein der

Küche sah sie etwas aufblitzen. Dann hörte man einen erstickten
Schrei.

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»Anscheinend hat Josh eine neue Begleitung für den Abend

gefunden!«, rief Piper.

»Zurück!«, herrschte Phoebe ihre Schwestern an. Sie ballte die

Fäuste unter dem Kinn, holte Schwung und trat Joshs Küchentür ein.
Das Holz zersplitterte mit einem ordentlichen Krachen unter ihrem
Absatz.

Piper streckte die Hände durch das entstandene Loch und schnippte

mit den Fingern.

Augenblicklich erstarrten Josh und sein verängstigtes Opfer. Alle

Geräusche, die vorher zu hören gewesen waren, erstarben: das
Summen des Kühlschranks, das Tropfen des Wasserhahns, das
Zischen eines Heizkörpers. Die Hexen begaben sich in die
unheimliche Stille des Apartments.

Paige hielt in der kargen Wohnung verzweifelt nach etwas

Ausschau, das sich als Waffe gegen den Dämon verwenden ließ. Aber
in dieser totalen Junggesellenbude gab es lediglich eine billige
Küchenzeile, eine Schaumstoffcouch und Jalousien an den Fenstern.
Nicht mal ein Geschirrtuch hing an der Kühlschranktür.

Dann sah sie an ihrem ledernen Trenchcoat herunter, den sie sich

im Auto über ihr aufreizendes Kleid geworfen hatte. Rasch zog sie
den Gürtel heraus und warf ihn Phoebe triumphierend zu. Phoebe und
Piper stellten sich links und rechts von Josh auf, um ihn an den Armen
zu packen. Und Paige umklammerte Joshs Begleiterin, eine hübsche
junge Frau von höchstens einundzwanzig Jahren. In ihren blauen
Augen lag die nackte Angst.

Sie waren bereit.

Paige nickte Piper zu, die mit den Fingern schnippte, um Josh und

das Mädchen aus der Erstarrung zu befreien. Sobald Josh sich in
Bewegung setzte, stürzten sich Phoebe und Piper auf ihn. Phoebe
packte eine seiner Klauenhände und verdrehte ihm den Arm auf dem
Rücken, wobei sie ihm fast das Schultergelenk auskugelte.

Im gleichen Moment riss Paige die junge Frau ruckartig von Josh

weg und stürzte mit ihr zu Boden. Als das Mädchen langsam aus
seiner Benommenheit erwachte, brach es in Tränen aus und fing laut
an zu schreien.

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»Alles in Ordnung«, beruhigte Paige sie. »Du musst jetzt nur ganz

schnell von hier verschwinden! Sofort!«

Das ließ sich die junge Frau nicht zweimal sagen. Sie rappelte sich

auf und verschwand mit einem Satz durch die zersplitterte Tür.
Während ihre Schritte auf der Treppe verklangen, zerrten Piper und
Phoebe Josh in die Küche, zwangen ihn auf einen Stuhl mit hoher
Rückenlehne und schlangen Paiges Gürtel um seine Brust. Innerhalb
von zwei Sekunden war er gefesselt – aber leider nicht geknebelt.

»Bindet mich los!«, zischte Josh und funkelte Phoebe an. »Sonst

wirst du es noch bereuen. Mehr als die anderen von eurer Truppe.«

»Wovon redest du, Josh?«, fuhr Phoebe auf und beugte sich zu ihm

vor. »Ich will eine Erklärung. Das war meine Schwester, die du
versucht hast umzubringen.«

»Deine Schwester?«, gab Josh unbeeindruckt zurück. »Und wer

bist du?«

Phoebe wich entgeistert zurück. Erkannte Josh sie etwa nicht?

Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte sie. Vielleicht versuchte

Josh, der Dämon, aber auch nur, sie mental fertigzumachen. Aber das
würde nicht funktionieren. Nicht noch einmal!

»Vielleicht erinnerst du dich jetzt an mich!«, sagte sie und holte zu

einem kraftvollen Schlag aus, mit dem sie Josh sauber am
Wangenknochen erwischte. Die vielen Trainingsstunden mit Cole
machten sich langsam wirklich bezahlt! Josh flog der Kopf in den
Nacken.

»Oh je!«, rief Paige, als Josh noch einmal versuchte, den Kopf

aufzurichten, bevor er schlaff nach vorn kippte. »Ich glaube, jetzt
bekommen wir keine Erklärung mehr von ihm. Du hast ihn
ausgeknockt, Phoebe!«

»Das erleichtert es uns, ihn in die Hölle zu jagen«, bemerkte Piper.

Sie trat einen Schritt zurück und setzte ihren Explosionsmodus in
Gang. Aber als sie die todbringende Bewegung ausführen wollte,
begann eine klebrige Flüssigkeit aus Joshs Ohr zu tropfen.

»Was ist das denn?«, wunderte sich Piper und verharrte mit den

Händen in der Luft.

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Phoebe starrte auf die silbrige, gallertartige Flüssigkeit, die über

Joshs Wange lief. Es waren keine grauen Zellen – obwohl ihr Schlag
auch gut und gerne einen Hirnschaden hätte nach sich ziehen können.
Blut war es allerdings auch nicht.

Die Schwestern beobachteten, wie aus dem silbrigen Rinnsal ein

richtiger Strahl wurde. Das Zeug flutete über Joshs Schulter, aber
bevor es auf den Küchenboden strömte, richtete sich der Strahl auf
und bewegte sich in die Mitte des Raums. Dort begann er sich
auszudehnen.

»So was hab ich ja noch nie gesehen!«, rief Paige und beobachtete

fasziniert, wie das Ding größer und innen hohl wurde. Es wuchs zu
einer riesigen Röhre an. Am Ende der Röhre begann ein großer Mund
mit gummiartigen, dicken Lippen Gestalt anzunehmen.

Und dann, als hätte die Röhre ein gigantisches Niesen ausgestoßen,

wurden die Schwestern von einem heißen Luftstrom erfasst.

»Das ist bestimmt eine dämonische Waffe!«, rief Phoebe über das

laute Brausen hinweg. Der Luftstrom versiegte nicht – im Gegenteil,
er wurde immer stärker und schneller, bis er anfing zu wirbeln wie ein
kleiner Tornado. Und die ganze Zeit über war ein entsetzliches,
kreischendes Heulen zu hören.

»Worauf wartest du noch?«, rief Paige Piper zu. Das lange Haar

peitschte ihr ins Gesicht. »Zapp ihn weg, bevor das … Ding da noch
größer wird!«

»Aber wir wissen doch gar nicht, was das für ein Ding ist!«, rief

Piper zurück. »Wir haben nur gesehen, wie es aus diesem Dämon
kam. Wenn wir ihn töten, bekommen wir es vielleicht noch mit etwas
viel Schrecklicherem zu tun.«

»Seit wann denkst du denn so rational?«, wunderte Phoebe sich.

»Seit ich die Älteste der drei Zauberhaften bin«, brüllte Piper

zurück und sah Phoebe einen kurzen Moment mit traurigen,
angsterfüllten Augen an. Dann wandten sie sich wieder dem silbrigen
Ding im Raum zu, das aussah wie ein langer Tunnel. Seine Öffnung,
die pulsierend über dem Boden schwebte, hatte mittlerweile einen
Durchmesser von zwei Metern. Das Innere der Röhre, die sich weit
über Joshs kleine Küche hinaus auszudehnen schien, war silbrig
glänzend ausgekleidet.

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»Ist das tierisch oder mineralisch?«, fragte Piper.

»Sieht viel zu fleischfressend für eine Pflanze aus«, kreischte

Paige. Sie packte Piper am Arm und klammerte sich entgeistert daran
fest.

Und in diesem Augenblick erwachte Josh.

Er schüttelte benommen den Kopf und sah sich langsam um.

Nachdem er eine Sekunde verblüfft auf das speiseröhrenähnliche Ding
mitten in seinem kleinen Apartment gestarrt hatte, blinzelte er
verwundert und sah die Schwestern an.

»Paige?«, rief er. »Was machst du denn … – Phoebe? Oh, mein

Gott! Phoebe … Was … was ist denn hier los?«

»Das weißt du nicht?«, schrie Phoebe und stemmte die Beine

wütend in den Boden, um gegen den Wind, der immer heftiger pfiff,
anzukämpfen. Ihr Haar flatterte ihr in die Augen und raubte ihr die
Sicht. Um den Lärm zu übertönen, musste sie laut schreien.

»Das hast du doch alles verursacht!«, rief sie erbost. »Mit deinen

großen, blöden Klauenhänden und dem tropfenden Ohr!«

»Was?«, brüllte Josh. »Wovon redest du überhaupt? Und wie seid

ihr hierher gekommen? Und … und was ist das da?! Phoebe, mach
mich los! Bitte!«

Phoebe sah zu ihren Schwestern, die sich mit Leibeskräften gegen

den wirbelnden Wind stemmten. Josh wirkte auf einmal ganz anders.
Oder vielmehr: wie der Alte. Dies war der Josh, den sie gekannt hatte.
Die Stimme, das Gesicht – nun war er ihr wieder vertraut.

Vielleicht hielt er sie aber auch nur zum Narren.

Es war ihre Entscheidung. Und weil sie sich noch sehr gut an

Pipers Wut draußen in der Gasse und Coles Betroffenheit erinnerte,
schüttelte sie den Kopf. Diesmal würde sie das Richtige tun!

»Nein!«, rief sie Josh zu. Sie versuchte, ihre Augen, die von dem

scharfen Wind brannten, mit den Händen abzuschirmen. »Du bist ein
Dämon! Du täuschst mich nicht mehr!«

»Ein Dämon?«, schrie Josh. »Phoebe, ich weiß, unsere Beziehung

hat kein gutes Ende genommen, aber das ist jetzt ein bisschen
übertrieben!«

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»Ich … ich weiß nicht …«, begann Phoebe. Dann wurde sie von

einem lauten, kratzenden Geräusch unterbrochen.

»Aaaaahhh!«, schrie Josh. Er war mit dem Stuhl gerade einen

Meter über den Dielenboden gerutscht – auf den Tunnel zu. Es sah
aus, als würde er hineingezogen!

»Phoebe, geh da weg!«, rief Piper.

Phoebe nickte zerstreut und trat einen Schritt zurück. Joshs Stuhl

kam nun der Röhrenöffnung bedrohlich nahe. Phoebe schlug die
Hände vor den Mund. Der Stuhl kippte um und Josh krachte zu
Boden. Er versuchte mit aller Kraft, sich von dem Ledergürtel zu
befreien, aber Pipers Knoten saßen zu fest. Er war gefangen.

»Das ist doch Sch … Phoebe! Paige? Irgendjemand! Bitte!«, schrie

Josh. »Helft mir!«

Ohne zu überlegen sprang Phoebe an seine Seite.

»Phoebe, was tust du da?«, brüllte Piper.

»Er ist es!«, rief Phoebe zurück. »Der alte Josh.«

Joshs Stuhl wurde immer dichter an die Öffnung der Röhre

gesaugt. Daher wehrte er sich so heftig, dass sein Kopf mehrfach auf
dem Boden aufschlug.

Phoebe stürzte sich auf ihn und schlang die Arme von hinten um

seine Brust. Die Rückenlehne des Stuhls bohrte sich schmerzhaft in
ihre Rippen, aber sie biss die Zähne zusammen und hielt aus.

»Neiiiin!«, hörte sie Paige rufen, dann wurde ihre Stimme von dem

Tornado übertönt. Phoebes Füße scharrten über den Boden, während
sie versuchte, Josh festzuhalten.

Aber er bewegte sich unaufhaltsam auf die gierige Röhrenöffnung

zu.

Und da Phoebe nicht losließ, zog er sie mit sich.

Sie zwängte einen Arm durch die Stäbe der Stuhllehne und drehte

sich zu Piper und Paige um. Die beiden standen schwankend am
Rande von etwas, das wie ein Whirlpool aus Wind aussah. Nun
begriff Phoebe, was sie getan hatte: Sie war gewissermaßen über den
Graben gesprungen. Was sich außerhalb des Tornados befand – der
gerade Joshs Sachen durch die Luft wirbelte; Bücher, Lampen und ein

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kleines Sofa –, war in Sicherheit. Was aber in seinen Sog geriet,
wurde in diese merkwürdige Röhre gezogen.

Und dazu gehörten Phoebe und Josh.

Piper wedelte panisch mit den Händen, aber offenbar konnte ihre

Magie gegen diesen dämonischen Superstaubsauger nicht das
Geringste ausrichten. Also griff sie verzweifelt in den Strudel, damit
sie Phoebe zu fassen bekam und zurückziehen konnte.

Doch Phoebe scheuchte sie zurück.

»Bleib da!«, schrie sie. »Lass dich nicht reinziehen!«

Aber da verschwand Piper bereits aus ihrem Blickfeld. Ebenso

Paige und das gesamte Apartment.

Die Röhre hatte sie verschlungen.

Phoebe und Josh stürzten in einem irren Tempo durch die Röhre.

Kalte Luft schlug Phoebe ins Gesicht und sie schrie auf, während sie
in einen silbrigen, matschigen, scheinbar endlosen Abgrund fielen.
Als sich Phoebe verzweifelt an Josh klammerte, der sogar noch lauter
schrie als sie, erinnerte sie sich an die letzten Worte, die sie ihrer
Schwester zugerufen hatte.

»Lass dich nicht reinziehen!«, hatte sie ihr befohlen.

Genau das ist mein Problem, dachte sie, während ihr dicke Tränen

über die Wangen kullerten: Ich halte mich nie an meine eigenen
Ratschläge!

Phoebe hatte keine Ahnung, wie lange sie und Josh sich im freien

Fall befunden hatten. Eigentlich nicht ganz frei. Die Tunnelwände
schienen allmählich immer enger zu werden und deshalb wurden sie
mit einem glibberigen, weichen, ekeligen Zeug eingekleistert. Sie
hatte wirklich das Gefühl, als seien sie verschluckt worden und
würden nun durch eine ellenlange Speiseröhre gequetscht.

»Bitte lass uns kein Nachmittagssnack für eine riesige

fleischfressende Kreatur sein!«, flüsterte Phoebe. Sie sah zu Josh, der
sich ungefähr fünf Meter über ihr befand. Endlich hatte er sich von
dem Stuhl befreien können. Die Wucht des Sturzes musste die Knoten
des Gürtels gelöst haben. Auch er hatte aufgehört zu schreien und

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schien unter Schock zu stehen. Sein Körper wirkte schlaff, er zeigte
keinerlei Gegenwehr.

Da sie nichts anderes tun konnte, während sie in den Abgrund

stürzte, wiederholte Phoebe ihr kleines Gebet.

Bitte lass mich nicht in den säuregefüllten Magen einer

unheimlichen Weltraumkreatur stürzen!, dachte sie. Oder in so einen
Feuerpool der Unterwelt. Oder in eine andere Dimension, wo alle
spitze Ohren oder zwei Köpfe haben. Wenn es schon nötig war, dann
lass es einen Tunnel nach China sein! Oder einen übernatürlichen
Vergnügungspark. Oder zur Not ein Portal in eine …

»Autsch!«, rief sie, als sie mit dem Hinterteil auf etwas Hartem

landete.

Dann schrie sie noch einmal, als sie Joshs Allerwertesten direkt auf

ihren Kopf zukommen sah. Sie rollte aus dem Weg, bevor er zu seiner
Crashlandung ansetzte.

Mit der Nase im Dreck blieb sie einen Augenblick liegen, um zu

verschnaufen. Josh lag ausgestreckt neben ihr auf dem harten Boden,
der mit Steinen gepflastert war.

Steine!, stellte Phoebe etwas beruhigt fest. Eine irdische Materie.

Das ist schon mal ein guter Anfang!

Unter Schmerzen hob sie den Kopf und kroch auf allen vieren. Sie

hustete keuchend, als sie sich silbrigen Glibber von den Kleidern
wischte.

Für den Besuch im P3 hatte sie sich natürlich herausgeputzt und

ihre Lieblingshose aus Wildleder und ein Trägertop angezogen – das
war nicht unbedingt das praktischste Reiseoutfit.

Sie stand zögernd auf. Josh erhob sich ebenfalls.

»Wo sind wir?«, fragte er und sah sich ängstlich um. Sie waren in

einem kleinen Raum gelandet, dessen Mauern aus demselben
sandfarbenen Stein bestanden, mit dem auch der Boden gepflastert
war.

Phoebe zeigte auf die gegenüberliegende Wand. Links und rechts

waren zwei Durchgänge, an denen Vorhänge statt Türen befestigt
waren. Dazwischen prangte ein Wandgemälde, das gut aus der
Ausstellung über das alte Ägypten im Naturkundemuseum hätte

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stammen können. Die Figuren auf dem Gemälde, die sich vor einem
König verbeugten, trugen lange gebundene Bärte und gestreiften
Kopfschmuck.

Es gab nur eine Sache, die Phoebe irritierte.

Dies war keine alte, verstaubte Reliquie.

Dieses Gemälde sah neu und kein bisschen altertümlich aus.

Nachdem sich Phoebe in dem Sandsteingemäuer mit den

handgewebten Vorhängen und Steinbänken umgesehen hatte, ließ sie
den Kopf hängen.

»Nicht schon wieder!«, seufzte sie.

»Nicht schon wieder was?«, fragte Josh. »Was, Phoebe? Wo zum

Teufel sind wir? Warst du etwa schon mal hier?«

»Hier nicht«, antwortete sie. »Aber ich war schon im siebzehnten

Jahrhundert in Massachusetts und im San Francisco der zwanziger
Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Damals war ich von einer
antiken Gangsterbraut besessen. Und ich muss sagen, die Zeichen
sprechen eindeutig für sich!«

»Was für Zeichen?«, fragte Josh. »Phoebe, was soll das alles

bedeuten?«

»Die Zeichen für eine Zeitreise«, antwortete sie ganz sachlich.

»Aber wenn man es positiv sieht, sind wir wenigstens nicht in dem
Verdauungsapparat einer übernatürlichen Kreatur gelandet.«

Das schien Josh nur wenig zu trösten. Er starrte Phoebe hilflos und

verloren an.

Instinktiv schauten sie beide zur Decke.

Der silbrige Schlund, der sie an diesen Ort gebracht hatte, war

verschwunden. Stattdessen war über ihnen nur eine niedrige, primitive
Steindecke zu sehen.

»Das ist nicht gut«, sagte Josh mit bebender Stimme.

»Endlich«, flüsterte Phoebe und versuchte, ihre zitternden Hände

vor ihm zu verbergen, »sind wir uns mal einig, Josh.«

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6

»

N

EIIIN

!«,

SCHRIE

P

AIGE

. Tränen standen in ihren Augen, durch

die sie verschwommen wahrnahm, wie Phoebe und Josh an die
Öffnung der bizarren, schlundähnlichen Röhre herangezogen wurden,
die irgendwie aus Joshs linkem Ohr entsprungen war.

Paige hatte beobachtet, wie Phoebe über ihre Schulter sah und sich

ihr Blick mit Pipers kreuzte. Wie sie wusste, lebten Phoebe und Piper
in der ständigen Angst, noch einmal eine Schwester zu verlieren. Und
in diesem einen stummen Blick, den sie in diesem Augenblick
austauschten, lag eine ganze Fülle an Empfindungen: Geh nicht! Es
tut mir Leid! Lebe wohl!

Piper stolperte vorwärts, aber Paige packte sie bei den Schultern

und riss sie von dem Wirbelsturm weg, der um die Röhrenöffnung
heulte.

»Gib Acht! Du wirst noch hineingezogen!«, schrie sie.

Auch Phoebe schien Piper wegscheuchen zu wollen. Sie rief ihr

etwas zu, aber ihre Worte gingen in dem tosenden Wind unter.

Der Stuhl, an den Josh gefesselt war, schrammte über den Boden

und hinterließ splittrige Kratzer auf den Dielen. Dennoch klammerte
sich Phoebe aus irgendeinem Grund daran fest.

Und als Josh mitsamt dem Stuhl in den pulsierenden Schlund

gesaugt wurde, verschwand Phoebe mit ihm. Innerhalb eines
Sekundenbruchteils waren beide außer Sicht. Im gleichen Augenblick
begann die pulsierende Öffnung des Tunnels in sich
zusammenzufallen. Das Maul wurde immer kleiner, bis es sich
gänzlich schloss. Und mit einem letzten lauten Windstoß zog sich
auch die Röhre zusammen, bis sie auf einmal gar nicht mehr da war.

Piper fiel auf die Knie, während Paige sich verzweifelt umsah.

Joshs gesamtes Apartment war verwüstet. Zerbrochene Teller und
zerfetzte Bücher lagen überall auf dem Boden verstreut. Mehrere
Fenster waren zerbrochen. Eine Lampe war umgekippt, und sämtliche
Kissen von der Wohnzimmercouch lagen auf dem Boden verstreut.

Das Schlimmste aber war die Stille. Eine kalte, unheimliche,

vollkommen geräuschlose Stille hatte sich des Raumes bemächtigt.

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Paige befürchtete schon, es käme kein Laut aus ihrem Mund, wenn sie
ihn aufmachte.

»Was … ist … da gerade passiert?«, krächzte sie.

»Das Übliche«, antwortete Piper und unterdrückte einen

Schluchzer. »Irgendeine furchtbare übernatürliche Macht hat eine der
drei Zauberhaften
entführt. Und wir müssen sie zurückholen.«

Piper rappelte sich auf und stakste steifbeinig durch die Küche auf

die zersplitterte Hintertür zu. Frustriert schlug sie dabei einen Stuhl
aus dem Weg, der durch den ganzen Raum schlitterte. Mit Paige im
Schlepptau stürmte sie die Treppe hinunter zu ihrem SUV. Die beiden
sprangen in den Wagen, wobei Paige kaum genug Zeit blieb, die
Beifahrertür zu schließen, denn Piper raste bereits mit quietschenden
Reifen los.

Der schnellste Weg nach Hause führte über eine der beliebtesten

Vergnügungsmeilen der Stadt. Piper hatte nicht bedacht, dass es
Samstagabend war. Es herrschte reger Verkehr, denn unzählige
Studenten fuhren langsam mit ihren Sportwagen und Jeeps die Straße
auf und ab. Binnen kürzester Zeit standen Piper und Paige mitten im
Stau.

»Verdammt!«, fluchte Piper und starrte auf den Wagen vor ihnen.

Er hüpfte im Rhythmus eines basslastigen Hip-Hops auf und ab. »Für
so was haben wir keine Zeit!«

Paige biss sich auf die Unterlippe. Sie merkte, wie ihr langsam eine

neue Welle der Panik den Hals zuschnürte. Tränen stiegen ihr in die
Augen. Hilflos sah sie aus dem Fenster und ließ den Blick
teilnahmslos über die Trauben von spärlich bekleideten
Vergnügungssüchtigen schweifen, die über den Gehsteig flanierten
oder vor einem angesagten neuen Lokal Schlange standen.

Dann erstarrte sie.

»Den Typen kenne ich!«, sagte sie und zeigte auf einen schlanken

jungen Mann mit rotbraunem Haar. »Das ist Stuart. Mit ihm bin ich
gestern ausgegangen. Ich habe ihn über Kiss.com kennen gelernt.«

»Und?«, fragte Piper. Sie starrte immer noch auf die Autoschlange

vor ihnen.

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»Er hat ein Mädchen bei sich«, sagte Paige. Sie beobachtete, wie

Stuart Arm in Arm mit einer jungen hübschen Frau die Straße
hinuntereilte.

»Paige, ist Eifersucht hier nicht ein bisschen fehl am Platz?«,

ermahnte sie Piper. »Du hattest doch erst ein Date mit ihm.«

»Ich bin absolut nicht eifersüchtig«, entgegnete Paige und schaute

Stuart und der Frau hinterher. »Ich meine, Stuart ist nicht wirklich ein
Prachtstück – falls man nicht auf magere, kleine, bebrillte Typen wie
Woody Allen steht. Ich bin lediglich … misstrauisch. Was meinst du?
Ob dieses Mädchen wirklich derart die Straße hinuntergezerrt werden
will?«

»Was?« Piper horchte auf und lehnte sich auf Paiges Seite, um aus

dem Beifahrerfenster zu spähen. Sie beobachteten beide, wie Stuarts
Griff um den Oberarm des Mädchens, das ihn verärgert und ängstlich
zugleich von der Seite ansah, von Sekunde zu Sekunde fester wurde.

Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, bog Stuart abrupt in

eine Seitenstraße ab und zerrte die Frau mit sich um die Ecke.

»Ich denke, wir sollten der Sache mal nachgehen«, meinte Paige

und nagte an ihrer Unterlippe.

»Dafür haben wir keine Zeit!«, protestierte Piper. »Wir müssen

Phoebe so schnell wie möglich finden!«

»Wir stecken hier doch sowieso fest«, erwiderte Paige. »Und,

Piper, in der Vision gab es mehr als nur eine getötete Frau. Vielleicht
gibt es ja auch mehrere Herzausreißer! Vielleicht war Josh nicht der
Einzige!«

Piper starrte zweifelnd in Richtung der dunklen Straßenecke. Aber

dann sprang sie ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen und schnippte
mit den Fingern. Augenblicklich erstarrte alles Leben auf der Straße.
Paige staunte nicht schlecht: Ein Raver, der sich zuvor hüpfend
fortbewegt hatte, schwebte nun mitten über dem Gehsteig; ein Pärchen
verharrte eng umschlungen; ein Stück Pizza, das gerade einem Jungen
aufs Hemd zu fallen drohte, blieb in der Luft hängen.

Paige riss sich von der Szene los und eilte hinter Piper her, die auf

die Seitenstraße zusprintete. Schließlich war die Zeit knapp! Man
konnte niemals genau abschätzen, wann die Magie ihren Geist aufgab

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und die Zeit weiterlief, was die Hexen, wenn es sie unvorbereitet traf,
in eine ungünstige Lage bringen konnte.

Als Piper und Paige in die Gasse bogen, verschlug es ihnen den

Atem.

»Du hattest Recht!«, keuchte Piper. Ihnen bot sich ein

schreckliches Bild. Das Mädchen stand gegen die schmutzige
Gassenmauer gedrängt, ganz ähnlich wie Paige zuvor. Und genau wie
Josh hatte sich Stuart bedrohlich mit erhobener Hand vor der jungen
Frau aufgebaut. Die gleichen blitzenden silbrigen Nägel wie bei Josh
waren an seinen beiden Händen gewachsen, und er wirkte auch
ebenso bösartig.

»Okay, das reicht!«, sagte Piper. »Höchste Zeit für eine

Explosion!«

Aber Paige fasste sie am Arm.

»Warte«, sagte sie. »Überleg doch mal! Josh schien doch

verändert, nachdem dieses komische Röhrending aus seinem Kopf
gekommen war.«

»Verändert?«, stieß Piper hervor. »Nun, wenn du mit ›verändert‹

meinst, dass er seine Gewalttätigkeit statt auf dich nun auf Phoebe
gerichtet hat, dann hast du Recht.«

»Nein«, sagte Paige und blickte in Stuarts Gesicht, das zu einer

seelenlosen Grimasse erstarrt war. Es bestand fast keine Ähnlichkeit
mehr zu dem engagierten Sozialarbeiter, mit dem Paige am Vortag
zum Lunch verabredet gewesen war. »Ich meine, Josh war total auf
diesem Herzausreißer-Trip. Aber dann, als dieses Zeug aus ihm
herauskam, war er plötzlich wieder der alte Josh. Er schien
vollkommen ahnungslos, was Dämonen angeht. Er hat Phoebe
wiedererkannt. Und auch Phoebe hat in diesem Moment offenbar die
Veränderung in ihm bemerkt.«

»Paige, was willst du damit sagen?«, fragte Piper und sah ihre

Schwester müde und verwirrt an.

»Ich will damit sagen, … dass Josh vielleicht gar kein Dämon ist«,

antwortete Paige langsam. »Möglicherweise war er nur von einem
besessen.«

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»Ich muss zugeben, alle Anzeichen deuten darauf hin, aber …«

Piper zögerte. Sie rieb die Fingerspitzen aneinander und sah Stuart an.
Paige ahnte, wie gern Piper ihn auf der Stelle vernichtet hätte.

»Hör mal, vielleicht ist Stuart ja genauso besessen von irgendetwas

Bösem«, fuhr Paige fort. »Wenn das der Fall ist, dann ist auch er
unschuldig. Dann dürfen wir ihn nicht vernichten.«

»Aber wir können Nutzen aus ihm ziehen«, sagte Piper und ihre

Augen leuchteten auf. »Vielleicht hilft es uns bei der Suche nach
Phoebe und Josh, wenn wir Stuart diesen Dämon austreiben.«

»Großartig!«, rief Paige und schnippte mit den Fingern. Dann sah

sie bestürzt auf ihre Uhr. »Aber in knapp sechzig Sekunden läuft die
Zeit weiter. Gleich wird er aus der Erstarrung befreit, nicht wahr?«

»Halten wir ihn fest!«, sagte Piper.

»Und lass uns Hilfe holen«, schlug Paige nervös vor. Sie blickte in

den Himmel und rief: »Leo!«

Sofort erschien ein Wirbel aus weißem Licht, der sich nach und

nach zu einer menschlichen Gestalt formte. Innerhalb von Sekunden
materialisierte sich Leo vor ihnen. Sein Hemd war zerknittert und hing
ihm aus der Hose, außerdem hielt er einen halb aufgegessenen Burger
in der Hand. Paige sah Piper an, die wiederum ihren Gatten entsetzt
anblickte. Paige ahnte, was Piper dachte: Was war nur aus ihrem
Helden in glänzender Rüstung geworden? – Ein ganz gewöhnlicher
Ehemann!

»Kleiner Mitternachtssnack«, erklärte Leo verlegen, aber er warf

den Burgerrest sofort in einen Mülleimer, als er die sorgenvollen
Mienen der beiden Schwestern wahrnahm. »Wo ist Phoebe?«

»Das erklären wir dir später. Aber jetzt brauchen wir Hilfe«, sagte

Paige und deutete auf Stuart. »Wir müssen diesen Kerl hier mit zu uns
nach Hause nehmen, ohne dass er Gelegenheit hat, uns das Herz zu
brechen – wenn du verstehst, was ich meine.«

»Was?«, fuhr Leo auf. »Er ist jetzt der Dämon? Und was ist mit

Josh?«

»Das fällt auch in die Später-Erklären-Kategorie, Süßer«, bemerkte

Piper mit zusammengebissenen Zähnen. »Könntest du jetzt bitte
einfach nur diesen Kerl nach Hause orben und fesseln? Ich weiß,

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Geiselnahme ist normalerweise nicht unser Stil, aber wenn wir Phoebe
auf diese Weise zurückbekommen, bin ich zu allem bereit.«

Ich muss hier raus!, dachte Phoebe. Egal wie, ich bin zu allem

bereit! Sie und Josh waren zehn Minuten zuvor von dem silbrigen
Portal ausgespuckt worden. Als sie den Schock verdaut hatten,
verließen sie den Raum, in dem sie gelandet waren, um auf
Entdeckungstour zu gehen.

Was sie vorfanden war so furchtbar, wie Phoebe befürchtet hatte.

Zunächst waren sie durch einen Korridor geschlichen, der sie an

einer Reihe Schlafzimmer vorbeiführte. Die Einrichtung – niedrige
Steinbänke mit unbequemen Kopfstützen aus Holz, Nachttöpfe und
grobe Glasmosaike – waren definitiv altertümlich. In einem weiteren
Korridor um die Ecke fanden sie ein offenes Fenster, vor dem eine
einfache Papyrusjalousie hing. Als Phoebe hindurchspähte, erblickte
sie eine belebte Straße voller Menschen in einfachen Tuniken und
Sandalen. Ziegen und Schweine wurden von schwarzhaarigen Jungen
mit langen Stöcken die Straße hinuntergetrieben. Die Gebäude mit
römischen Säulen davor waren aus Sandstein.

Da das Gemäuer, in dem Phoebe und Josh gelandet waren, auf

einem Berg lag, konnten sie einen Großteil der Stadt überblicken. Von
modernem Leben weit und breit keine Spur! Nirgends.

Die Wahrzeichen des Altertums waren noch nicht einmal

vollendet. Während sie die Szene betrachteten, entfuhr Josh plötzlich
ein Keuchen und er fasste Phoebe am Arm.

»Sieh nur!«, flüsterte er und zeigte über die Dächer der Stadt. In

der Ferne erspähte Phoebe eine Wüste. Und mittendrin stand eine
Pyramide – oder zumindest die Anfänge davon. Der gigantische Bau
war erst zur Hälfte fertig, es fehlte noch die Spitze. Phoebe konnte
sogar die Arbeiter ausmachen, die mit Seilen und Rollen einen
riesigen Steinblock über die schräge Pyramidenmauer nach oben
hievten.

»Wir sind im alten Ägypten«, sagte Phoebe und sah Josh ängstlich

an.

»Was hast du mir nur angetan!«, fuhr Josh sie aufgebracht an.

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»Entschuldige mal bitte!«, zischte Phoebe. »Was ich dir angetan

habe? Du bist doch derjenige, aus dessen Kopf dieses Zeitportal
entsprungen ist.«

»Wovon redest du überhaupt?«, wunderte sich Josh. »Zuerst bin

ich bei diesem langweiligen Date mit dieser Paige. Im nächsten
Augenblick stehe ich mit ihr in meinem Apartment und sie hat ganz
andere Klamotten an. Dann bist du plötzlich da und prügelst mir die
Birne weich, woraufhin ich in eine Art Strudel gerate und tausend
Jahre früher wieder rauskomme!«

»Warte mal!«, fuhr Phoebe auf. »Willst du mir erzählen, du

erinnerst dich an nichts mehr, was nach deinem Date mit Paige
passiert ist? Das war doch schon vor zwei Tagen!«

»Oder tausend Jahre in der Zukunft, je nachdem, wie man es

sieht«, bemerkte Josh. »Okay, das ist zu abgefahren, um es zu
begreifen. Lass uns also einfach herausfinden, wo wir sind und wie
wir wieder zurück nach San Francisco kommen.«

»Gerne«, entgegnete Phoebe knapp und drehte sich verärgert um.

Nach ein paar Schritten stoppte sie jedoch wieder, als sie ein Rascheln
und dann ganz unverkennbar schlurfende Schritte am anderen Ende
des Korridors hörte.

»Probleme im Anmarsch!«, zischte sie Josh über die Schulter zu.

Sie warf einen Blick auf ihr klebriges Top und dann auf Joshs
schleimverschmierte Sneakers. »Da kommt jemand. Und wir passen
definitiv nicht hierher.«

»Wo können wir uns denn nur verstecken?«, fragte Josh

verzweifelt. Phoebe sah sich um. Er hatte Recht. Da war nichts in
diesem langen, engen Korridor außer Sandsteinmauern und dem
Fenster, durch das sie gerade nach draußen geschaut hatten. Phoebe
drehte sich ruckartig wieder um, dann zuckte sie mit den Schultern
und ging in Kampfstellung.

»Wenn es keine Fluchtmöglichkeit gibt«, flüsterte sie Josh zu,

»dann muss man kämpfen!«

»Was?«, fuhr Josh auf. »Phoebe Halliwell und Boxen? Was ist aus

dem Party-Girl geworden, das ich einmal kannte?«

Erinnerungen an die Prügeleien der vergangenen drei Jahre ihres

Hexendaseins schossen Phoebe durch den Kopf.

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»Es ist viel geschehen, seit wir uns getrennt haben«, bemerkte sie

trocken. Dann machte sie sich bereit. Eine schattenhafte Gestalt kam
in Sicht. Als Sonnenlicht, das durch das Fenster hereinfiel, auf die
Person traf, staunte Phoebe nicht schlecht.

Hätte sie einen Beweis dafür gebraucht, dass sie und Josh Fremde

in einer fremden Welt waren, dann hatte sie ihn jetzt: Der Mann,
offensichtlich ein Diener, trug eine einfache vanillefarbene Tunika,
die in der Taille mit einem Seil zusammengeschnürt war, das aussah
wie geflochtenes braunes Haar. Das Haar auf seinem Kopf hingegen
war schwarz und lockig und fiel ihm bis über die Schultern. In seinen
groben Händen hielt er einen Schilfkorb mit blauem Stoff. Als er
lächelte, wurden mehrere Zahnlücken sichtbar. Und dann traf Phoebe
mit voller Wucht ein Geruch – der Geruch eines Mannes, der in einer
Welt ohne Deodorant lebte.

In diesem Augenblick erstarrte sie. Er lächelt!, stellte sie

verwundert fest. Der Diener sah sie tatsächlich direkt an und lächelte,
als wäre er mitten in einem Tagtraum. Aber vielleicht versuchte er
auch, sie mental auszutricksen. Vielleicht war dies eine alte
ägyptische Kampftaktik. So was wie Zen. Oder noch älter.

In diesem Fall war es besser, den ersten Schritt zu machen.

Phoebe ballte die Hände zu Fäusten, ging ein paar Schritte zurück

und verpasste dem Kerl einen derben rechten Haken ans Kinn.

»Boah!«, stöhnte sie und verlor das Gleichgewicht. Mit einem

lauten Platsch landete sie auf dem Boden. Ungläubig sah sie dem
Diener hinterher, der weiter den Korridor hinunterging, als wäre
nichts geschehen. Dann sah sie zu Josh auf, der sich auf die Lippen
biss, um nicht laut loszulachen.

»Netter Versuch, Phoebe!«, bemerkte er. »Wie ich schon sagte:

Hab dich nie für einen Boxchampion gehalten!«

»Moment mal!«, entgegnete Phoebe und sprang auf. »Ich habe

getroffen! Das heißt, ich hätte getroffen, wenn meine Hand nicht
einfach durch sein Kinn durchgegangen wäre.«

»Wie bitte? Was soll das denn heißen?«

»Das soll heißen, dass wir im Moment keine festen Körper haben.

Überleg doch mal, Josh! Wir sind Hunderte von Jahren in der
Vergangenheit. Wir sind eigentlich noch gar nicht geboren.«

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»Willst du damit sagen, wir sind Geister?«, sagte Josh, dem die

Augen aus dem Kopf traten.

»Vielleicht eher … Prä-Geister«, sagte Phoebe schulterzuckend.

»Schließlich sind Geister normalerweise tot, nicht wahr? Wir können
nicht tot sein, denn wir haben noch gar nicht gelebt.«

Josh warf die Hände in die Luft und ließ sich gegen die Mauer

fallen.

»Vielleicht hältst du mich ja nur zum Narren, Phoebe«, sagte er.

»Ich meine, ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie du mich vor ein
paar Jahren abgeschoben hast.«

»Was für eine gute Gelegenheit, dieses Thema anzuschneiden!«,

ereiferte sich Phoebe und ging auf den Durchgang zu, in dem der
Diener verschwunden war. »Josh, ich habe nur mit dir Schluss
gemacht, weil du dich mir gegenüber auf einmal total kalt und
abweisend verhalten hast. Ohne jede Erklärung, wenn ich das
hinzufügen darf.«

Josh beeilte sich, hinter ihr her zu kommen. Phoebe raste um die

Ecke und befand sich in einem großen Saal. Er sah aus wie ein
Bankettsaal oder so etwas. An den Wänden waren italienisch
aussehende Säulen aufgereiht und der Boden war mit Einlegearbeiten
aus Gold und Lapislazuli geschmückt. Wunderschön!

»Das muss irgendein Palast sein«, hauchte Phoebe und blieb

ruckartig stehen.

»Wow!«, stieß Josh hervor, der fast von hinten in Phoebe

hineingerannt wäre.

Einen herrlichen Augenblick lang hatte Phoebe vor Staunen ganz

vergessen, dass Josh da war. Nun warf sie ihm einen bösen Blick zu
und stürmte weiter in den Raum.

»Da hinten ist eine Treppe«, sagte sie und zeigte auf die

majestätische Treppe am anderen Ende des Saales. »Vielleicht führt
die uns nach draußen!«

Josh eilte hinter ihr her, als sie die Stufen hinabstieg und sich nach

weiteren Hinweisen umsah, die ihnen helfen konnten, in ihre
Gegenwart zurückzukehren. Aber da war nichts.

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Beim nächsten Etagenabsatz teilte sich die Treppe. Phoebe zuckte

mit den Schultern und ging den linken Treppenabschnitt hinunter.
Dieser war weniger elegant, eher funktional – die Stufen waren in
einen engen, feuchten steinernen Schacht eingelassen.

»Schon wieder so 'ne Röhre«, murmelte Phoebe. »Was für ein

Glück ich immer habe!«

Immer weiter hinab stiegen sie und Josh. Und es wurde immer

dunkler und muffiger. Die Ölfackeln, die an den Wänden flackerten,
schwärzten die Decke und füllten das Treppenhaus mit brennendem,
torfigem Rauch.

»Okay, das kann nicht der richtige Weg sein«, sagte Phoebe und

biss sich auf die Unterlippe. Sie drehte sich zu Josh um. Es war ihr
mehr als unangenehm, auf ihn angewiesen zu sein, aber sonst war ja
niemand da.

»Meinst du, wir sollen umdrehen?«, fragte sie.

»Wir können aber auch auf das Licht da unten zugehen«, sagte

Josh und zeigte über Phoebes Schulter nach unten. Sie drehte sich um
und stellte überrascht fest, dass der Tunnel in einen hell erleuchteten,
offenen Raum mündete. Von dort war Stimmengewirr zu hören und
dann ein greller Schrei.

Phoebe fuhr erschreckt auf und schlich zögernd auf den Raum zu.

Hoffentlich sind wir für alle hier unsichtbar!, dachte sie und

schlich vorsichtig um die Ecke.

Unvermittelt entfuhr ihr ein lautes Keuchen. Aber keiner der

Anwesenden im Raum drehte sich zu ihr um. Sie und Josh waren
wahrhaftig Geister!

Und es sah aus, als wäre die Frau in der Mitte des Raumes drauf

und dran, auch einer zu werden.

»Wer sind diese Leute?«, platzte Josh heraus.

»Folterknechte«, entgegnete Phoebe grimmig.

Der Raum, ganz offensichtlich ein unterirdisches Verlies, war

voller Folterinstrumente. Phoebe entdeckte einen tiefen Zuber mit
Wasser, über dem ein Seil mit einer Schlinge baumelte. Daneben
waren zwei Ständer mit quer daran befestigten Brettern. In diesen

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Brettern waren drei Löcher, in die Kopf und Hände des Gefolterten
eingeklemmt wurden.

Und in der Mitte des Verlieses stand ein riesiges, mit Nägeln

gespicktes Rad, auf das man, mit Hilfe von Lederriemen an Hand- und
Fußgelenken, eine schöne Frau mit schwarzem Haar, der
Schweißperlen auf der blassen Stirn standen, gebunden hatte. Zwei
kräftige Männer mit nackten Oberkörpern, die römische Röcke trugen,
spannten die Riemen langsam immer fester. Dadurch gruben sich die
Nägel tiefer in das Fleisch der Frau. Ihr langes, einfaches Kleid war
mit Bluttropfen übersät. Es standen noch andere Männer dabei. Einer
hatte eine Peitsche, ein anderer einen kleinen Holzhammer in der
Hand.

Ich will gar nicht wissen, wofür der ist!, dachte Phoebe und

erschauderte angesichts der Schmerzen der Frau. Sie litt Todesqualen,
das war eindeutig. Trotzdem machte sie einen sehr tapferen,
ungebrochenen Eindruck. Sie war in der Tat ein ziemlich wehrhaftes
Folteropfer.

Sie schrie ein einziges Wort heraus – in einer Sprache, die Phoebe

nicht verstand. Dann schüttelte sie trotzig den Kopf.

»Was verweigert sie ihm wohl?«, fragte Phoebe Josh im

Flüsterton.

Dann begann jemand mit einer tiefen Stimme in derselben

unverständlichen Sprache zu sprechen. Phoebe blickte von der sich
windenden armen Frau zu dem Mann, der hinter einem Galgenpfosten
hervortrat: ein dickbäuchiger Brutalo mit eingedrückter Nase und
langem Haar, das ihm in fettigen Strähnen auf den Rücken hing. Aber
er war eindeutig der ranghöchste Mann im Raum. Die Säume seiner
Tunika aus weißer Seide waren golden eingefasst, seine Sandalen bis
über die dicken Waden geschnürt und auf dem Kopf trug er einen
dünnen Goldkranz.

»Er ist bestimmt ein König oder so«, meinte Josh.

»Was will er von ihr?«, wunderte sich Phoebe.

»Katharina«, sagte der Mann.

»Sie heißt Katharina!«, flüsterte Phoebe. »Hast du das gehört?«

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Dann schlug sich der Mann mit der Faust aufs Herz und trug erneut

seine Forderung vor. Er nahm einen goldenen Ring aus der Tasche
seiner Tunika und steckte ihn der Frau an den linken Ringfinger.

»Oh«, bemerkte Phoebe trocken, als sie begriff, was der König da

vorhatte. »Das ist ja eine nette Art, jemandem einen Heiratsantrag zu
machen!«

Die Frau – Katharina – biss die Zähne zusammen und starrte den

Mann rebellisch an.

Ihr Schweigen war eine klare Weigerung. Der König starrte sie mit

zusammengekniffenen Augen an und spuckte auf den Boden. Dann
nickte er den Dienern schroff zu.

Diese zogen die Lederriemen daraufhin noch einmal fester.

Die Frau schrie vor Schmerz so laut, dass Phoebe sich schaudernd

die Ohren zuhalten musste. Als Katharinas Schmerzensschreie
schließlich zu Schluchzern verebbten, sah Phoebe Josh an. »Und ich
dachte, ich hätte Angst vor dem Eheversprechen!«, scherzte sie
halbherzig. »Wo sind wir da nur hineingeraten, Josh? Und wie
kommen wir wieder weg von diesem grauenhaften Ort?«

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7

P

AIGE UND

P

IPER KAMEN ERST

in den frühen Morgenstunden

nach Hause zurück. Auf dem Dachboden hatten Leo und Cole den
sich heftig zur Wehr setzenden Stuart an einen Stuhl gefesselt. Und
damit waren sie vollauf beschäftigt gewesen.

»Gott sei Dank seid ihr da!«, rief Leo, als die beiden Schwestern

auf den Speicher gestürmt kamen. »Der Kerl hat ständig aufs Neue
seine Krallen ausgefahren und das Seil durchtrennt, mit dem wir ihn
gefesselt haben. Letzten Endes mussten wir Metallstangen zu Hilfe
nehmen.«

»Du bist wirklich gut zu gebrauchen, Leo«, lobte ihn Piper und zog

die Augenbrauen hoch, als sie die Metallstangen sah, die um Stuarts
Torso gebogen waren. »Ich frage mich, ob es einen Test gibt, bei dem
du dafür Extrapunkte bekommst!« Leo verdrehte die Augen. In
diesem Moment schreckte Stuart aus seiner Benommenheit auf und
entdeckte Paige und Piper. Sein Blick wurde glasig.

»Paige!«, rief er. »Ich bin so froh, dich zu sehen! Gott, du bist noch

hinreißender als an dem Abend …«

»Das kannst du dir sparen!«, fiel ihm Paige ins Wort und verzog

höhnisch das Gesicht. »Ich weiß, worauf du aus bist. Und ich
schwöre, du wirst es niemals bekommen!«

Zur Bekräftigung legte sie sich die Hand aufs Herz.

Laut brüllend warf Stuart sich in seinen Fesseln hin und her, bis er

von den Metallstangen blutige Striemen an den Armen bekam. »Lasst
mich frei! Sonst wird es euch Leid tun! Ihr habt ja keine Ahnung, mit
wem ihr es zu tun habt!«

»Also bitte«, sagte Paige und drehte sich kopfschüttelnd zu Piper

um. »Diese Typen sind ja wie kaputte Schallplatten, bei denen immer
wieder die gleiche Stelle läuft.«

»Wobei ›kaputt‹ das entscheidende Schlagwort ist«, fauchte Piper.

Sie baute sich vor Stuart auf und beugte sich zu ihm vor. »Das wirst
du nämlich gleich sein, wenn du nicht den Mund aufmachst!« Um
ihrer Aussage mehr Gewicht zu verleihen, verpasste sie ihm noch
zusätzlich eine Kopfnuss.

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»Wenn du uns nicht sagst, was hier los ist und was unserer

Schwester passiert ist«, drohte Piper, »dann wirst du derjenige sein,
dem es Leid tut!«

»Dir wird es Leid tun«, intonierte Stuart. »Mehr als den anderen

sogar. Dir … wird es Leid tun.« Piper sah ihm tief in die Augen und
wich zurück. Dieser Typ war allem Anschein nach nicht ganz bei sich.
Seine Pupillen waren so groß wie Stecknadelköpfe, die Stimme
monoton. Er diente offenbar irgendeiner bösen Kreatur als
Wirtskörper. Damit war er für sie nicht von großem Nutzen.

»Wir brauchen das Buch der Schatten!«, rief sie, richtete sich auf

und drehte sich zu den anderen um. »Ich glaube, der Kerl bringt uns
nicht weiter. Wir müssen selbst herausfinden, wie wir Phoebe
wiederkriegen.«

»Aber zuerst musst du uns erklären, was passiert ist!«, forderte

Cole aufgebracht. »Wo ist Phoebe überhaupt?«

Also erklärte Paige den beiden Jungs erst einmal, was in Joshs

Apartment geschehen war. Piper ging inzwischen zu dem antiken
viktorianischen Pult, auf dem das dicke Buch der Schatten lag. Erst als
sie in den alten Seiten blätterte, bemerkte sie, dass ihr Atem nur
stoßweise ging. Sie hörte auch, wie ihr das Blut im Kopf rauschte. Es
übertönte Paiges Erklärungen und Coles wütende, frustrierte Antwort.
Es war eine Panikattacke, dessen war sich Piper bewusst. Aber sie
konnte nichts dagegen tun. Denn es war genau das geschehen, wovor
sie sich seit Prues Tod am meisten fürchtete: Phoebe befand sich an
irgendeinem unbekannten, möglicherweise gefährlichen Ort. Piper
fuhr zusammen, als sie eine warme, starke Hand auf der Schulter
spürte. Sie drehte sich um, sah ihrem Mann in die Augen und ließ sich
von ihm in die Arme nehmen.

»Piper«, flüsterte Leo ihr zu. »Alles kommt wieder in Ordnung.

Wir holen sie zurück.«

Piper biss sich auf die Unterlippe und nickte. Einen Moment lang

gab sie sich Leos tröstender Umarmung hin, dann wandte sie sich
jedoch wieder dem Buch zu und richtete den Blick zur Decke – oder
eher zu den himmlischen Wesen, die von oben auf sie
hinunterschauten.

»Okay, Mädels«, sagte sie und stellte sich vor, wie ihre Mutter,

Grams und vielleicht sogar Prue von diesem mysteriösen Ort auf sie

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hinunterblickten, an dem die verstorbenen Hexen residierten. »Ich
brauche jetzt ein bisschen Hilfe von euch. Phoebe ist irgendwo in
einer anderen Dimension und wir müssen sie schnell …«

Bevor Piper den Satz beenden konnte, schlug sich das Buch von

selbst auf. Die Seiten wurden in einem rasenden Tempo raschelnd
umgeblättert, als fege ein Wind über sie hinweg. Dann stoppte der
Vorgang abrupt und Piper sah sich die Zauberformel auf der
aufgeschlagenen Seite an.

»Rettung einer Hexe von einem unbekannten Ort«, stand über der

alten Anweisung. »Dazu braucht man ein Portal von einer Dimension
in die andere. Portale öffnen sich exakt im Augenblick des
Sonnenaufgangs oder -untergangs, bei Vollmond um Mitternacht und
zum Zeitpunkt der ersten Ernte von Hirse oder Gerste«, las sie vor.

»Hirsefelder gibt's hier ja eher selten«, bemerkte Paige und spähte

Piper über die Schulter. »Und den Sonnenaufgang haben wir gerade
verpasst. Der nächste Vollmond ist übrigens erst in neun Tagen.«

Piper spürte, wie die Verzweiflung in ihr aufstieg. Aber sie

schüttelte das unangenehme Gefühl ab und drehte sich zu den anderen
um. »Okay, Leo, du suchst am besten den Hohen Rat auf und hörst
nach, ob die nicht ein Hintertürchen für uns haben«, sagte sie. Sofort
schloss Leo die Augen und verschwand in einem Wirbel aus weißem
Licht.

»Paige«, sagte Piper dann und sah in das Buch der Schatten, »hier

steht, wir müssen einige Kräuter und Zutaten verbrennen, während wir
die Formel sprechen, mit der wir Phoebe und Josh zurückbringen.
Kannst du in die Küche gehen und sie holen? Wir brauchen Pfeilwurz,
Salbei, Nierenfett, Senfkörner und … oh, Hirse. Und noch ein paar
andere Sachen. Hier, sieh es dir mal an!«

Paige notierte sich rasch die benötigten Zutaten und eilte die

Treppe hinunter.

Cole stand regungslos mit geballten Fäusten mitten im Raum. Piper

sah ihn mitfühlend an. Zwar fühlte sie sich selbst auch sehr hilflos,
aber Cole musste noch viel schlimmer zumute sein. Seitdem Phoebe
in einer lebensbedrohlichen Aktion mit Hilfe eines Zaubertranks seine
dämonischen Kräfte vernichtet hatte, litt Cole so manches Mal
Höllenqualen. Es war schrecklich für ihn, keine Magie mehr einsetzen

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zu können, um den Hexen in ihrem Kampf gegen das Böse
beizustehen.

»Was kann ich tun?«, fragte er Piper mit zusammengebissenen

Zähnen.

Piper überlegte fieberhaft. Gab es nicht irgendeinen Knochen, den

sie Cole zuwerfen konnte? Aber die Wahrheit war nun mal, dass er
wirklich nicht helfen konnte. Sie zuckte mit den Schultern.

»Willst du mir vielleicht die Formel aus dem Buch der Schatten

abschreiben?«, schlug sie leise vor. Cole ließ die Schultern hängen.

»Danke für den Auftrag, Schwester«, sagte er. »Ich weiß, was du

sagen willst. Ich kann gar nichts machen!«

»Es tut mir Leid«, entgegnete Piper mit erstickter Stimme.

»Ich weiß«, sagte Cole und sah ihr fest in die Augen. »Mir auch.«

Piper wich seinem Blick aus und biss sich auf die Unterlippe. Sie

und Cole waren in derselben Lage: Sie hatten beide schreckliche
Angst, Phoebe zu verlieren. Und sollte es ihnen nicht gelingen, sie zu
retten, war die Katastrophe für beide gleichermaßen verheerend.

»Es wird dir Leid tun«, sagte eine tiefe Stimme. »Mehr noch als

dem Rest von euch. Es wird dir Leid tun …«

Piper kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu, um

Stuarts irres Gebrabbel nicht anhören zu müssen. Als sie einen
Augenblick später wieder die Augen öffnete, hatte sich Cole vor
Stuart aufgebaut. Drohend beugte er sich über ihn und starrte ihn an.

»Wer bist du?«, fragte er. »Wenn du weiterleben willst, spuckst

du's am besten sofort aus!«

»Leid tun …«, sagte Stuart und sein Kopf ruckte vor und zurück.

»Mehr noch …«

»Schnauze!«, brüllte Cole. Wütend verpasste er Stuart einen

kräftigen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht. Stuarts Kopf flog
zur Seite und auf seiner Wange zeigte sich eine kleine Platzwunde.
Was ihm aber nichts auszumachen schien. Er sah Cole weiter aus
glänzenden, irren Augen an und zischte: »Leid … Leid … Leid.«

»Cole!«, rief Piper. »Lass ihn in Ruhe! Er ist verrückt. Er hat keine

Ahnung. Und er ist ein Unschuldiger.«

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»Ein Unschuldiger!«, platzte Cole heraus. »Das glaube ich nicht.

Irgendwo in ihm drin lauert ein Dämon. Und dieser Dämon hat meine
Verlobte entführt. Er wird reden, dafür werde ich schon sorgen!«

Mit diesen Worten verpasste er Stuart eine weitere schallende

Ohrfeige.

»Ah!«, schrie Stuart und ein Klumpen aus Speichel und Blut flog

ihm aus dem Mund. »Ihr lasst mich besser laufen. Sonst werdet ihr
…«

»Was denn?«, begehrte Cole auf. »Also, das Risiko will ich gerne

eingehen.«

Er verpasste Stuart einen weiteren Schlag und dann noch einen.

»Cole! Nein!«, rief Piper.

In diesem Augenblick kehrte Paige auf den Dachboden zurück. Sie

brachte eine mit grünen Kräutern und übelriechenden Pülverchen
gefüllte Blechschüssel mit.

»Ich hab alles gefunden«, sagte sie. »Und jetzt … Oh nein!«

Entgeistert starrte sie Cole an, der immer wütender auf Stuart

eindrosch. Piper folgte Paiges Blick und es verschlug ihr den Atem.

Ein silbriges Rinnsal begann aus Stuarts Ohr zu tropfen.

»Cole!«, schrie Piper. »Hör auf!«

Aber Cole war nicht zu bremsen. Im Gegenteil, sein Zorn wuchs

mit jedem Schlag.

»Wem … wird … es … Leid … tun?«, knurrte er und schlug bei

jedem Wort einmal zu.

»Nein!«, schrie Paige. »Das Portal!«

Als das silbrige Rinnsal aus Stuarts Kopf sich in einen Strahl

verwandelte und die wohlbekannte Röhre sich mitten auf dem
Dachboden zu formen begann, sahen sich Paige und Piper plötzlich
an.

»Es ist ein Portal!«, kreischten sie beide gleichzeitig.

Piper riss Paige die Schüssel mit den Kräutern aus den zitternden

Händen und rannte zum Buch der Schatten. Paige flitzte an den Tisch

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und suchte mit fliegenden Fingern nach Streichhölzern. Schon begann
der Wind aus dem Portal über den Dachboden zu heulen und riss
ihnen an den Haaren. Cole war erschreckt zurückgewichen und starrte
Stuart verblüfft an.

»Schnell!«, rief Piper und klammerte sich an das Pult, auf dem das

Buch der Schatten lag. »Wir müssen die Formel sprechen, bevor das
Portal wieder zugeht!«

Phoebe konnte es nicht mehr aushalten. Während sie und Josh im

Eingang des Verlieses kauerten, hatte der König seinen Dienern
befohlen, Katharinas Fesseln um zwei weitere Drehungen fester zu
schrauben. Sie hatte in Todesqualen geschrien, bis alle Kraft sie
verließ. Aber als der König erneut um ihre Hand anhielt, hatte sie die
Zähne zusammengebissen und den Kopf geschüttelt.

»Wir müssen etwas tun!«, zischte Phoebe und drehte sich

verzweifelt zu Josh um. »Wir müssen sie retten!«

»Wie denn, Phoebe?«, fragte er und in seinen Augen konnte sie

große Angst entdecken. »Wir existieren hier doch gar nicht. Was
können wir schon tun!«

»Ach, das sieht dir ähnlich, einfach aufzugeben«, entgegnete

Phoebe böse und verschränkte die Arme vor der Brust. Endlich
machten die Diener Katharina los und holten sie von dem Rad
herunter. Ihr Kleid war über und über mit Blut verschmiert und ihr
Gesicht totenbleich.

Plötzlich hatte Phoebe für einen Augenblick den Eindruck,

Katharina habe sie angesehen.

Aber konnte das möglich sein? War sie dem Tod so nah, dass sie

Geister sehen konnte? Phoebe streckte eine Hand aus und lächelte der
Frau unsicher zu.

Aber Katharina sah direkt durch sie hindurch. Ihre Augen waren

glasig und ihre Lippen bewegten sich, als bete sie. Die Diener legten
sie auf ein steinernes Podest. Katharina murmelte weiter vor sich hin
und unterbrach nur einmal, um den Männern nochmals einen trotzigen
Blick zuzuwerfen.

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Der Anführer gab den Dienern einen weiteren schroffen Befehl.

Sie nickten und verbeugten sich.

»Du hast wohl Recht«, flüsterte Phoebe. »Er ist eine Art König

oder Kaiser.«

»Wie hast du das vorhin gemeint?«, fragte Josh und starrte Phoebe

an. »Das mit dem Aufgeben, meine ich.«

»Nun, in unserer Beziehung hast du doch auch aufgegeben, oder?«,

entgegnete Phoebe schnippisch.

»Phoebe, ich habe unsere Beziehung nicht beendet«, sagte Josh.

»Oh, doch, das hast du!«, erwiderte Phoebe. »Du hast mich aus

deinen Gedanken ausgeschlossen. Du hast aufgehört, mit mir zu
reden. Du bist kalt und seltsam geworden und hast mir nie erklärt,
woran das lag.«

Josh wollte etwas erwidern, aber dann schweifte sein Blick

versonnen in die Ferne und er schloss den Mund wieder.

»Du hast Recht«, sagte er resignierend.

»Habe ich?«, staunte Phoebe. »Ich meine … natürlich habe ich

Recht. Aber weißt du, was ich mich immer gefragt habe, Josh?
Warum hat es eigentlich nicht geklappt? Es schien doch gut zu laufen
mit uns. Ich war richtig in dich verliebt. Und dann hast du dich
urplötzlich verändert.«

»Ich weiß«, sagte Josh. »Ich war auch sehr in dich verliebt. Und als

mir das klar wurde, habe ich angefangen, auf das dicke Ende zu
warten.«

»Wie meinst du das?«, fragte Phoebe.

»Ach, komm schon, Phoebe«, sagte Josh. »Sieh dich doch an! Du

bist eine starke Persönlichkeit. Dazu hast du eine wahnsinnige
Ausstrahlung.«

»Danke«, entgegnete Phoebe und spürte, wie sie errötete. »Aber …

warum war das ein Problem für dich?«

»Ich befürchtete, du könntest über mich hinauswachsen«, erklärte

Josh. »Vermutlich war ich eingeschüchtert. Jetzt ist mir klar, dass ich
ein Idiot war.«

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Phoebe war über die Maßen verblüfft. Josh hatte also den Eindruck

gehabt, sie sei eine Nummer zu groß für ihn. Deshalb hatte er ihre
Beziehung sabotiert! Phoebe schüttelte ungläubig den Kopf und fühlte
sich unglaublich erleichtert. Wenigstens wusste sie nun, wo Josh
damals der Schuh gedrückt hatte.

In diesem Augenblick musste sie an Cole denken. An den coolen,

selbstsicheren Cole, den nie etwas aus der Bahn warf, ob sie nun drei
Meter in der Luft schwebte oder Visionen hatte. Warum war ihr die
ganze Zeit über gar nicht bewusst gewesen, wie glücklich sie sich
eigentlich schätzen konnte, ihn gefunden zu haben?

Plötzlich begriff sie erst, warum sie mit Josh hinterhergestürzt war.

Die ganze Zeit hatte sie gedacht, sie wäre in dieses Zeitportal
gesprungen, um ihn zu retten. Ja, okay, natürlich hatte sie einen
Unschuldigen retten wollen. Aber der eigentliche Grund dafür war
gewesen, dass sie die Geschichte mit ihrem Ex für sich noch nicht
abgeschlossen hatte.

Und deshalb hatte sie sich vielleicht für immer und ewig von Cole

entfernt.

Wer ist also hier der Saboteur?, dachte sie und wischte sich eine

Träne aus dem Augenwinkel. Dann atmete sie zitternd durch und
straffte die Schultern.

»Nein!«, murmelte sie entschlossen. »Das kann nicht das Ende

sein!«

Sie drehte sich zu Josh um und packte ihn am Arm.

»Wir müssen einen Ausweg finden«, sagte sie. »Ich muss wieder

nach Hause!«

Aber bevor Josh reagieren konnte, erklang Katharinas krächzende

Stimme. Als Phoebe sich zu der gequälten Frau umdrehte, stockte ihr
der Atem.

Der Herrscher stand vor ihr und hielt eine riesige, geschwungene

Axt in den Händen.

Aber Katharina zeigte keine Angst. Vielmehr beschimpfte sie ihren

Folterer. Sie leistete ihm weiterhin Widerstand, vielleicht provozierte
sie ihn sogar dazu, ihr den Kopf abzuschlagen.

»Nein!«, schrie Phoebe und lief auf den mordrünstigen König zu.

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Auf dem Dachboden blätterte Paige panisch im Buch der Schatten.

Der heulende Tornado, der aus der Röhrenöffnung kam, hatte das
Buch zugeschlagen und sie fand in der Aufregung die Seite mit der
Formel nicht wieder.

Piper beugte sich schützend über die Schüssel mit den Kräutern,

damit die Zutaten nicht in den Luftwirbel gesaugt wurden.

»Beeil dich, Paige!«, rief sie. »Vielleicht ist das unsere einzige

Chance!«

»Ich such ja schon, ich such ja schon!«, erwiderte Paige und schlug

mit fliegenden Fingern eine Seite nach der anderen um. Ȇberleg du
dir inzwischen, wie wir bei diesem Wind die Kräuter verbrennen
können.«

»Gute Frage!«, schrie Piper. Tränen liefen ihr über die Wangen.

Dann hatte sie plötzlich eine Idee.

»Paige«, rief sie, »schnapp dir das Buch und orb uns hier raus!«

»Was?«, brüllte Paige. »Meine Technik ist noch gar nicht

ausgereift, das weißt du doch! Wir könnten weiß der Himmel wo
landen!«

»Mach es!«, befahl Piper. »Sonst bleibt Phoebe am Ende für immer

da, wo sie gerade ist!«

Paige klemmte sich das Buch unter den Arm und Piper hielt sich an

Paige fest. Dann schloss Paige fest die Augen und konzentrierte sich
auf die Treppe. Sie musste es ja nur schaffen, vom Dachboden
wegzukommen. Nur ein paar Meter und dann war alles in Ordnung.

Konzentration!, befahl sie sich.

»Projizieren!«, flüsterte sie.

Und dann verspürte sie das vertraute Gefühl der Körperlosigkeit,

als der Wirbel aus weißem Licht sie warm umfing.

Schließlich versiegte der weiße Lichtwirbel wieder und Paige

öffnete die Augen.

Oh je!, dachte sie.

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Sie war draußen. Allerdings mehr als draußen. Sie befand sich in

großer Höhe, umklammerte ein Regenrohr und stemmte ihre hohen
Absätze auf die Schindel eines Daches. Tief unten sah sie Pipers SUV
an der Straße stehen. Piper war gleich in ihrer Nähe. Diese
umklammerte nämlich den Schornstein.

»Paige!«, stieß Piper mit zusammengebissenen Zähnen hervor,

»wir sind auf dem Dach gelandet!«

»Okay, ich habe uns eben statt die Treppe runter die Treppe rauf

transportiert«, sagte Paige und zuckte mit den Schultern.

»Wie auch immer«, entgegnete Piper. Sie klemmte sich die

Schüssel unter den Arm und setzte sich unbeholfen auf die Dachrinne.
Dann rutschte sie langsam auf Paige zu. »Wenigstens sind wir dicht
dran am Geschehen. Such jetzt diese Formel! Und hast du die
Streichhölzer dabei?«

Paige riss die Schachtel aus der Tasche ihres Trenchcoats. Bisher

hatte sie noch keine Gelegenheit gehabt, ihn auszuziehen. In
Windeseile blätterte sie das Buch durch, als sei dies zu einer
olympischen Disziplin ernannt worden. Nach fünf Sekunden hatte sie
die Formel gefunden.

»Ich hab's!«, schrie sie.

»Ich auch«, sagte Piper und ließ ein brennendes Streichholz in die

Schüssel fallen. Sofort ging der Inhalt in duftenden Flammen auf. »Ich
spreche die Formel, während du uns reinorbst. Wir müssen einfach
hoffen, dass es klappt!«

»Du machst mir ja Mut!«, beschwerte sich Paige und schnappte

sich die Schüssel mit den brennenden Kräutern. Piper legte sich das
Buch der Schatten auf den Schoß und begann zu lesen:

»Bringt unsere Schwester zurück nach Haus',
holt sie aus den unbekannten Gefilden heraus!
Gebt sie uns wieder, heil und unverletzt;
ihrer ziellosen Reise sei ein Ende gesetzt!«

Bei den letzten Worten orbten Piper und Paige auf den Dachboden.

Sie starrten in den pulsierenden, gierigen Schlund, der in der Mitte des
Speichers wirbelte. Er war nun so groß geworden, dass Cole und
Stuart auf der anderen Seite des Raumes nicht mehr zu sehen waren.

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Piper spähte tief in die Röhre. Aber da war rein gar nichts von

Phoebe zu sehen.

»Es hat nicht funktioniert!«, schrie Paige verzweifelt auf.

»Lesen wir die Formel noch einmal«, entgegnete Piper. »Sagen wir

sie gemeinsam auf! Paige, bist du bereit?«

»Ja!«, rief Paige und sah ihrer Schwester in die Augen.

»Konzentrier dich bitte«, sagte Piper. »Das ist vielleicht unsere

letzte Chance!«

Paige schluckte und linste in das Buch der Schatten, das Piper in

den Händen hielt. Dann begannen sie laut vorzulesen.

Phoebe überlegte nicht lange.

Sie holte nicht einmal Luft.

Und sie dachte gewiss nicht daran, dass sie in ihrem geisterhaften

Zustand so ineffektiv war wie ein Lufthauch. Mit ausgestreckten
Armen sprintete sie auf den Tyrannen zu.

»Lass sie in Ruhe!«, schrie sie den Mann an, der Katharina

bedrohte. Er schwang die Axt mit dem langen Griff hoch über seinem
Kopf.

»Phoebe! Nein!«, brüllte Josh.

Katharina stieß einen letzten, zornigen Fluch aus und sah dem

bösen König mit fiebrigem Blick in die Augen.

Genau in dem Moment, als Phoebe sich mit einem Satz auf den

Herrscher stürzte, ließ er die Axt niederfahren und schlug Katharina
den Kopf ab.

In diesem Augenblick segelte Phoebe durch den Körper des

Königs, als wäre er nur eine holografische Figur, und strauchelte dann
durch den Raum.

»Neiiiin!«, schrie sie.

»Phoebe«, rief Josh, sprintete zu ihr und breitete die Arme aus, um

sie abzufangen. Er warf noch einen letzten entgeisterten Blick auf

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Katharinas kopflosen Körper, dann schleppte er Phoebe aus dem
Verlies.

»Ich habe sie nicht retten können«, stellte Phoebe ungläubig fest,

als Josh sie durch den Korridor trug. »Sie war eine Unschuldige. Und
ich habe es nicht geschafft, sie zu retten. Sie ist … tot!«

»Du konntest nichts dagegen tun«, sagte Josh und blieb stehen, um

Phoebe in das verweinte Gesicht zu sehen. »Du … Warte mal!
Phoebe? Merkst du was?«

Phoebe sah auf und hielt die Luft an. Sie schluckte ihre Tränen

herunter und entgegnete: »Natürlich, da kündigt sich der nächste
Tornado an.«

»Oh nein! Nicht schon wieder!«, rief Josh, als sich die Decke über

ihren Köpfen öffnete. Dort oben erschien erneut der große, silbrige,
matschige Schlund, der sie vor ein paar Stunden ins alte Ägypten
gespuckt hatte.

»Hey, das ist eine gute Sache!«, sagte Phoebe und klatschte

fröhlich in die Hände. »Und ich glaube, meine Schwestern sind daran
beteiligt.«

»Wovon redest … Aaaaaahhh!«, schrie Josh, als das Portal

plötzlich hernieder fuhr und ihn heulend mit einem einzigen Schluck
aufsaugte.

»Vergesst mich bitte nicht!«, rief Phoebe und sprang in die Luft.

Sie spürte, wie das Portal sie in seinen klebrigen Schlund zog, und war
froh, den Sandsteinboden des ägyptischen Palastes schon in einiger
Entfernung verschwinden zu sehen.

Dann begannen Phoebe und Josh wieder zu schreien, als sie erneut

diese Achterbahnfahrt erlebten, bis …

Bautz!

»Aua!«, jammerte Phoebe, als sie mit der Nase voran auf etwas

Hartem, Buntem landete. Unter Schmerzen setzte sie sich auf und
stellte fest, dass sie auf einem Orientteppich zu liegen gekommen war.
Auf dem alten Orientteppich ihrer Großmutter, um genau zu sein.

Staunend sah sich Phoebe um und entdeckte ihre Schwestern, die

sie mit angehaltenem Atem halb erfreut, halb entsetzt anstarrten. Sie

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musste furchterregend aussehen mit all dem klebrigen Zeug an den
Kleidern!

Mit Freudengeschrei stürzten sich die beiden auf sie, bevor Cole

herbeistürmte, um seine Verlobte in die Arme zu schließen. »Ich
dachte schon, ich hätte dich verloren«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Es hat funktioniert!«, schrie Paige.

»Wir haben es geschafft!«, rief Piper.

Phoebe sah über Coles Schulter hinweg ihre Schwestern an. Dann

strich sie über ihr schleimverklebtes Haar und betrachtete die vom
Wind zerzausten Frisuren von Paige und Piper.

»Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht behaupten«, sagte sie

verschmitzt, »dass ich an einem Tag, an dem die Frisur nicht sitzt,
noch nie so glücklich war!«

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8

»

Ä

HM

,

WAS WAR DAS DENN

Phoebe schreckte auf, als sie eine unbekannte Stimme inmitten

ihrer fröhlichen Familienwiedervereinigung vernahm. Sie löste sich
aus der Umarmung ihres Verlobten und ihrer Schwestern und drehte
sich zu zwei sehr verwirrt dreinblickenden Jungen um. Der eine war
Josh; er sah genauso verklebt und ramponiert aus wie sie selbst. Den
anderen – der gesprochen hatte – kannte sie nicht. Eine
quecksilberähnliche Flüssigkeit klebte ihm an Gesicht und Hals. Und
er war mit rostigen Metallstangen an einen Stuhl gefesselt.

»Lasst mich raten!«, sagte Phoebe und zeigte auf den benommenen

jungen Mann. »Josh Junior?«

»Fast, auf jeden Fall dieselbe Schublade«, bestätigte Paige. »Das

ist Stuart. Er ist auch von Kiss.com.«

»Hi!«, sagte Stuart. Wie er da saß, mit seiner schiefen Brille und

der nasalen Stimme, hätte er undämonischer nicht sein können.

»Okay, sieht so aus, als hätten wir es hier mit einer ganzen Reihe

eindeutig Besessener zu tun«, sagte Phoebe. »Josh war übrigens,
sobald das Portal aus seinem Kopf raus war, wieder ganz normal.«

Dann lächelte sie ihn an.

»Vielleicht sogar besser als normal«, fügte sie mit einem

Augenzwinkern hinzu.

Stuart für seinen Teil war vollkommen verwirrt.

»Okay, jetzt verstehe ich«, sagte er nervös. »Wir waren zusammen

zum Lunch, nicht wahr, Paige? Da musst du mir etwas in meinen O-
Saft geschüttet haben und ich wurde ohnmächtig oder so ähnlich. Und
jetzt werde ich als Geisel für irgendein dämonisches Ritual
gefangengehalten. Ihr praktiziert irgendwelche heidnischen Bräuche,
ja? Oder seid ihr Hexen? Oder irgendwelche Kulties? Bitte sagt mir,
dass ihr keine Scientologen seid!«

»Also bitte!«, rief Paige empört. »Nicht im Entferntesten! Hör mal,

wir machen dich erst mal los und dann erklären wir dir alles – okay,
Mädels?«

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Sie drehte sich um und zwinkerte ihren Schwestern übertrieben zu.

»Wir löschen den beiden besser die Erinnerung«, murmelte Phoebe

Piper zu.

»Sie werden nie erfahren, was los war«, gab Piper zustimmend

zurück.

Zwanzig Minuten später hatten die drei Hexen Josh und Stuart

wieder ordentlich hergerichtet und sie die Treppe hinunter geführt.
»Paige, ich frage dich jetzt zum letzten Mal, sonst rufe ich einen
Anwalt!«, quengelte Stuart. »Was ist hier passiert?«

»Ach, Stuart«, entgegnete Paige und klimperte mit den Wimpern.

»Es gibt keinen Grund, einen Anwalt zu rufen. Wir haben doch einen
hier. Allerdings ist er ein dämonischer Anwalt, wie ich gestehen
muss!«

»Aaaaah! Aaaah! Aaaah!«, schrie Stuart verzweifelt.

»Paige!«, sagte Piper und sah ihre Schwester missbilligend an. »Es

ist nicht fair, mit den Gefühlen der Unschuldigen zu spielen, nur weil
ihre Erinnerung in ein paar Sekunden gelöscht sein wird.«

»Was? Gehirnwäsche?«, kreischte Stuart. » Aaaaah! Aaaah!

Aaaah!«

»Oh, mein Gott!«, sagte Phoebe und hielt sich die Ohren zu. »Lasst

uns bitte ganz schnell die Formel aufsagen. Ich kann das Geschrei
nicht mehr aushalten.«

»Alle zusammen!«, kommandierte Piper und hielt einen Zettel

hoch. Paige und Phoebe stellten sich neben ihr auf. Gemeinsam lasen
sie:

»Was geschehn ist, soll vergessen sein,
der Geist sei wieder klar und rein.
Erinnerungen sind nicht mehr –
ausgelöscht, ohne Wiederkehr.«

Ein süßlich duftender Windstoß fegte über Josh und Stuart hinweg.

Wenn sie mit ihren Schwestern solche »netten« Beschwörungsformeln
sprach, stellte sich Phoebe immer vor, wie eine ihrer Hexenvorfahren
durch den Raum schwebte und ihnen eine Kusshand zuwarf.

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Augenblicklich entspannten und erheiterten sich die besorgten
Gesichter von Stuart und Josh. Trotzdem hielten manche Leute, wie
zum Beispiel Stuart, die Hexenkunst für etwas Böses.

»Wie bin ich hierher gekommen?«, fragte Stuart und grinste Paige

verschmitzt an, während er seine Brille auf der Nase zurechtrückte.
»Paige, du kleines Biest! Hast du mich nach dem Lunch zu dir nach
Hause eingeladen?«

Phoebe schlug sich eine Hand vor den Mund, um nicht in

schallendes Lachen auszubrechen. Paige warf ihr einen vernichtenden
Blick zu, hakte sich bei Stuart unter und hatte ihn gerade zur Haustür
hinauslassen wollen, als sie bemerkte, dass ein kalter Februarregen
eingesetzt hatte.

»Stuart, ich vermute, meine Offenbarung hat dich ein wenig

schockiert«, sagte Paige und sah auf ihren – überraschend kleinen –
Verehrer herab.

»Offenbarung?«

»Nun, ich habe dir ja schon gesagt, wie gern ich wieder mit dir

ausgehen würde«, erklärte Paige, »aber ich muss meiner Berufung
folgen, ich kann nicht anders.«

»Berufung?«

»Oh ja«, sagte Paige, faltete die Hände und setzte einen entrückten

Gesichtsausdruck auf. »Die Missionsarbeit ist bestimmt eine dankbare
Aufgabe, meinst du nicht? Auch wenn es in Kolumbien heutzutage ein
wenig gefährlich ist.«

»Ach so … na dann … alles Gute!«, stotterte Stuart und legte die

Hand auf den Türknauf. »Hat Spaß gemacht, Paige. Schön, dass wir
uns kennen gelernt haben.«

»Bye!«, rief Phoebe und zog die Nase kraus, als Stuart

davonmarschierte.

»Phoebe!«, rief Josh in diesem Augenblick. »Du bist es wirklich!

Ha … Seid ihr irgendwie verwandt, du und Paige?«

»Jetzt kommt das schon wieder!«, bemerkte Piper und verdrehte

die Augen.

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»Wir sind Schwestern«, erklärte Phoebe ihrem Ex. Paige und Piper

verschwanden derweil von der Bildfläche. Phoebe musste über Joshs
niedliches, verwirrtes Gesicht lachen. »Das ist eine lange Geschichte.«

»Hmhm!«

Erschreckt drehte Phoebe sich um. Da stand Cole auf der untersten

Treppenstufe. Er funkelte Josh wütend an. So wütend, wie sie es seit
seiner Balthasar-Ära nicht mehr gesehen hatte. Eigentlich hatte
Phoebe für Eifersucht nicht viel übrig, aber nach ihrer Ägyptenreise
mit Josh verspürte sie eine große Dankbarkeit, weil ihr dort bewusst
geworden war, was sie an Cole hatte. Einem spontanen Impuls
folgend, lief sie zur Treppe und schlang stürmisch die Arme um Coles
Taille. Er sah sie überrascht an.

»Und zusätzlich zu einer Schwester habe ich in der Zwischenzeit

auch einen Verlobten bekommen«, erklärte sie Josh, nahm Cole bei
der Hand und stellte die beiden einander vor. »Josh, Cole. Cole, Josh.
Ein alter … Freund.«

»Echt?«, fragten Cole und Josh gleichzeitig.

»Ja«, sagte Phoebe und lächelte Josh an. »Wenigstens glaube ich,

dass wir Freunde sind.«

»Ja«, bestätigte Josh und ein Grinsen zeigte sich langsam auf

seinem Gesicht. »Ich weiß zwar nicht genau, was hier passiert ist,
Phoebe, aber da ich dich kenne, frage ich lieber erst gar nicht nach.«

Josh streckte Cole, der sichtlich überrascht war, die Hand

entgegen. »Aber dir möchte ich noch gratulieren. Du kannst dich
glücklich schätzen.«

Dann ging er zur Haustür und winkte Phoebe zu. »Ruf mich an,

wenn du Lust hast, mir das Ganze zu erklären«, sagte er. »Oder lass
einfach so mal von dir hören. Würde mich freuen, Phoebe!«

Als er zur Haustür hinausging, lächelte Phoebe in sich hinein.

»Ob ich überhaupt wissen will, was dir auf der anderen Seite dieses

Zeitportals widerfahren ist?«, überlegte Cole laut und seine Miene
trübte sich.

»Das Ende einer langen Geschichte«, entgegnete Phoebe und gab

ihm einen Kuss. »Und das ist gut so, kann ich nur sagen.«

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»Nun …«, knurrte Cole.

Bevor er und Phoebe sich jedoch weiter in eine Diskussion über

ihre Beziehung vertiefen konnten, kam Leo plötzlich in die
Eingangshalle georbt. »Phoebe!«, rief er, nachdem er sich
materialisiert hatte. »Du bist zurück!«

Ungestüm nahm er sie in die Arme und schüttelte erleichtert den

Kopf.

»Paige und Piper! Zu Hilfe!«, rief Phoebe, als ihre Schwestern

zurück in die Eingangshalle kamen.

»Alles in Ordnung … mit Josh?«, fragte Paige vorsichtig.

»Absolut«, entgegnete Phoebe. »Und die Jungs sind jetzt definitiv

dämonenfrei.«

»Ja, aber ich befürchte, das waren noch nicht alle«, sagte Piper.

»Immerhin wissen wir jetzt, dass dieser Dämon mehrere Menschen
gleichzeitig befallen kann.«

»Ja«, meinte Paige besorgt. »Und das bedeutet, wir sollten ihn

möglichst schnell finden.«

»Phoebe, hast du keine neuen Hinweise erhalten?«, fragte Leo.

»Schließlich bist du ja durch sein Zeitportal gegangen.«

Schaudernd erinnerte sich Phoebe wieder an die grausige

Enthauptungsszene, die sie mitangesehen hatte, bevor sie der anderen
Dimension entrissen wurde. Sie schluckte, dann nickte sie.

»Ich habe einen Namen und eine Adresse«, sagte sie. »Katharina.

Altes Ägypten.«

»Das ist alles?«, entgegnete Piper enttäuscht. »Phoebe, was hast du

da unten denn bloß gemacht?«

»Schon mal von dem Film Zeuge der Hinrichtung gehört?«, wehrte

sich Phoebe forsch, aber ihre Stimme zitterte ein wenig.

»Oh«, betroffen legte Piper ihr eine Hand auf die Schulter. »Tut

mir Leid, Süße.«

»Ist schon okay«, sagte Phoebe. »Gehen wir lieber wieder auf den

Dachboden und sehen wir nach, ob wir im Buch der Schatten etwas
über Katharina finden.«

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Eine halbe Stunde später fand Phoebe, wonach sie gesucht hatten.

Es stand in dem dünnen Teil des Buchs der Schatten, der nicht
heidnisch war.

»Aha!«, rief sie. »Es war die Heilige Katharina.«

»Jetzt haben wir auch schon mit Heiligen zu tun?«, wunderte sich

Paige. Sie sah von ihrem Laptop auf, wo sie auf Kiss.com nach
verdächtig aussehenden Gestalten gesucht hatte. Piper hatte mit dem
Pendel gearbeitet, während Leo und Cole in der Halliwellschen
Bibliothek in diversen Büchern über Dämonologie nachgelesen hatten.

»Sieht so aus«, antwortete Phoebe. »Denn was hier steht, deckt

sich exakt mit dem, was ich gesehen habe.«

Als sich die anderen um sie versammelten, räusperte Phoebe sich

und las vor:

»Katharina von Alexandrien war eine Prinzessin im römisch

besetzten Ägypten des vierten Jahrhunderts.« Phoebe hielt inne und
sah Piper und Paige an. »Genau da muss ich gewesen sein! Wir waren
in einem Palast in einer sehr belebten Stadt. Ich sah römisch
aussehende Gebäude. Aber da waren auch in Bau befindliche
Pyramiden direkt vor dem Fenster.«

»Was für ein Urlaub!«, bemerkte Paige trocken. »Lies weiter!«

»Der römische Kaiser Maxentius hielt um Katharinas Hand an«,

fuhr Phoebe fort. »Als die gottgläubige Prinzessin ablehnte, folterte er
sie. Sie wurde auf ein mit Nägeln gespicktes Rad gebunden, weshalb
sie auf Bildern oft mit einem Rad dargestellt wird. Schließlich köpfte
Maxentius die Prinzessin jedoch, wobei aus ihrem Hals statt Blut
Milch floss. Sofort kam ein Engelschor herbei, der Katharinas Leiche
mit sich nahm, um sie auf dem Berg Sinai zu beerdigen.«

»Krass!«, bemerkte Paige. »Und das hast du alles gesehen,

Phoebe?«

»Die Sache mit der Milch nicht«, antwortete Phoebe. »Aber ihr

könnt mir glauben, ich habe genug gesehen, um zwei und zwei
zusammenzählen zu können. Aber jetzt kommt's, ich lese weiter: Weil
er eine Heilige hingerichtet hatte, zog sich Maxentius ewige
Verdammnis zu. Als er einige Jahre später starb, wurde aus ihm der
ephemere Dämon Lupercalus.«

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»Lupercalus?« Leo horchte auf. »Das ist aber komisch.

›Lupercalia‹ ist eine alte Bezeichnung für den vierzehnten Februar –
den Valentinstag!«

»Eine merkwürdige Auffassung von Liebe«, bemerkte Phoebe und

schüttelte den Kopf.

Paige stand auf und trat an Phoebes Seite, um ihr über die Schulter

zu blicken. Dann strich sie behutsam mit dem Finger über die
Abbildung einer wunderschönen Frau mit schwarzem Haar. Etwas
weiter unten auf der Seite befand sich das Bild eines stämmigen
Mannes in römischer Tunika. »Maxentius, Kaiser von Rom«, stand
darunter in verschnörkelter Handschrift. Und dann war da noch die
Zeichnung eines geisterhaften Wolfes mit der Bildunterschrift
»Lupercalus«.

»Warum ist da ein Wolf?«, fragte Paige.

»Kommt aus dem Lateinischen«, erklärte Cole. »Lupercalus

kommt von ›Lupo‹ und das bedeutet ›Wolf‹.«

»Okay, du Cleverle«, gab Paige lächelnd zurück. »Dann erklär mir

doch bitte auch, was ein ephemerer Dämon ist.«

»Ein ephemerer Dämon lebt in der Luft und besteht auch daraus –

ob er nun tatsächlich existiert oder nicht, ist also Ansichtssache«,
sagte Cole. »Mit Hilfe bestimmter Katalysatoren kann er
vorübergehend körperliche Gestalt annehmen. Das ist nämlich die
Bedeutung des Wortes ›ephemer‹. Und dann bleibt er in diesem
Zustand, bis er seine Mission erfüllt hat.«

»Und die wäre?«, fragte Phoebe.

»Rache an Katharina«, schlug Piper spontan vor. »Natürlich! Er

tobt seine Wut an Single-Frauen aus – mit Hilfe der Männer, von
denen er Besitz ergreift.«

»Mit Hilfe der Männer, mit denen Paige verabredet war«, fügte

Phoebe hinzu.

»Was?«, fuhr Paige auf. »Glaubst du, die ganze Sache hat etwas

mit mir zu tun?«

»Paige, überleg doch mal! Josh und Stuart hatten beide als letzte

vordämonische Erinnerung die Verabredung mit dir abgespeichert«,
sagte Piper. »Hältst du das etwa für einen Zufall?«

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»Aber was soll das bedeuten?«, fragte Paige beunruhigt. »Bin ich

besessen?«

In Panik drehte sie sich um und lief zu dem alten, teilweise blinden

Spiegel, der an der Wand lehnte. Sie sah ihrem Spiegelbild in die
Augen und prüfte, ob sie irgendwie anders als sonst aussah. Aber sie
entdeckte nichts Auffälliges. Das konnte daran liegen, weil sich in
ihrem Kopf kein Dämon eingenistet hatte, oder weil ihr Tränen in die
Augen stiegen und ihr die Sicht raubten.

»Paige«, sagte Leo, kam zu ihr und klopfte ihr auf die Schulter.

»Mach dir keine Sorgen. Die Jungs waren besessen, aber du eindeutig
nicht!«

»Nein«, sagte Cole schroff und baute sich mit vor der Brust

verschränkten Armen vor ihr auf. »Sie ist wahrscheinlich so 'ne Art
Verbindungskanal.«

»Ein was bitte?«, fragte Paige, schniefte ein wenig und lehnte den

Kopf an Leos Schulter.

»Ein Kanal«, sagte Cole. »Ich kannte früher ein paar Dämonen, die

sind auf diese Weise herumgekommen. Gerissene Teufel!«

»Allerdings«, bemerkte Piper. »Also, wie soll ich das verstehen?

Unser Dämon kommt zwar aus Paige heraus, treibt sich aber nicht in
ihr herum?«

»So kann man das ungefähr sagen«, antwortete Cole.

»Igitt!«, kreischte Paige. »Aber wie kommt er in mich rein? Und

wieder raus? Ich kann erst unter die Dusche, wenn wir das geklärt
haben!«

Dingdong.

»Ist euch schon mal aufgefallen, dass es in diesem Haus immer im

unpassendsten Moment an der Tür klingelt?«, fragte Phoebe.

»Oh Gott!«, stöhnte Paige unvermittelt. »Wie spät ist es

überhaupt?«

»Halb zehn«, antwortete Piper mit einem Blick auf die Uhr.

»Mensch, wir haben uns tatsächlich die ganze Nacht um die Ohren
geschlagen.«

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»Das muss Max sein!«, fuhr Paige auf. »Wir sind zum

Sonntagsbrunch verabredet. Und heute ist Sonntag! Hab ich total
vergessen. Ach, ich sage ihm aber höchst ungern ab.«

»Warum um Himmels Willen solltest du ihm denn absagen?«,

meinte Cole. »Das ist doch die Gelegenheit! Könnte jemand vielleicht
die Tür öffnen und Max bitten, im Wintergarten zu warten?«

»Ich gehe schon«, sagte Piper.

»Nein, warte mal!«, hielt Cole sie zurück. In seinen Augen blitzte

eine Idee auf. »Leo, du gehst zur Tür! Max soll Piper und Phoebe
nicht sehen. Sie werden Paige und Max später bespitzeln.«

»Okay, Cole«, sagte Paige, als Leo die Treppe hinunterlief. »Klär

uns doch bitte mal auf. Was hast du da für einen Plan ausgeheckt?«

»Ganz einfach«, entgegnete Cole. »Du gehst mit diesem Max aus.

Das ist eure zweite Verabredung, nicht wahr? Entweder ist er schon
bei eurem ersten Date von dem Dämon befallen worden und trifft sich
jetzt mit dir, um dir das Herz rauszureißen. Oder der Dämon wird erst
bei eurem heutigen Date von Max Besitz ergreifen. Was auch immer
geschieht, Phoebe und Piper werden zur Stelle sein. So könnten wir
endlich an die Informationen gelangen, die wir brauchen.«

»Piper und Phoebe sollen uns also beschatten?«, fragte Paige.

»Cole, ich mag diesen Typen zufällig. Ich möchte nicht das Risiko
eingehen, ihn mit dem Dämon zu infizieren. Igitt! Das ist ja, als hätte
ich eine ansteckende Krankheit oder so!«

»Ach, weißt du noch, wie naiv wir früher mal waren?«, murmelte

Piper Phoebe in gespielter Verklärung zu. »Damals, bevor sich die
Hälfte unserer Verehrer als grüne Monster mit Schuppen erwiesen?«

»Oder bevor wir uns selbst in Monster verwandelt haben«,

entgegnete Phoebe warmherzig. »Und all das hat Paige erst noch vor
sich …«

»Das ist überhaupt nicht witzig!«, rief Paige.

»Nein, nein, du hast Recht«, sagte Phoebe und unterdrückte ein

Kichern. »Ach, es tut mir Leid, Süße. Ich weiß, es ist ein
schreckliches Gefühl. Aber sieh es mal so: Wenn du nicht mit Max
ausgehst, können wir vielleicht nie herausfinden, wie man diesen
Dämon austreibt, und dann würdest du in Einsamkeit ergrauen, weil

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du dich nie wieder verabreden darfst. Wir finden besser so schnell wie
möglich einen Ausweg.«

»Die Unschuldigen nicht zu vergessen, deren Leben auf dem Spiel

steht!«, bemerkte Piper und zog eine Grimasse. »Ich meine,
selbstverständlich ist Paiges gesellschaftliches Leben auch sehr
wichtig, aber existenziell bedrohlich ist Einsamkeit ja nun nicht.«

Paige wurde noch einen Hauch blasser, als sie es sonst schon war,

dann nickte sie zaghaft.

»Okay, okay, ich mach's«, seufzte sie. »Aber seht mich an! Ich bin

in einem fürchterlichen Zustand! Wäre hier nicht ein bisschen
Zaubern für eine Verschönerung angebracht? Wenn man es für die
Rettung Unschuldiger tut, ist das doch kein purer Egoismus, nicht
wahr?«

Phoebe sah Piper mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Damit ist es eindeutig bewiesen«, sagte sie. »Dieses Mädchen ist

definitiv eine Halliwell! Und ich kenne zufällig eine Formel, mit der
wir in null Komma nichts wieder hübsch und strahlend aussehen.«

»Warum überrascht mich das so gar nicht?«, bemerkte Piper

trocken. »Also gut, Frau Nullkommanichts, dann zauber mal los!«

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9

M

AX FÜHRTE

P

AIGE IN EIN

kleines ruhiges Restaurant an einer

der steilsten Straßen von San Francisco. Das romantische Lokal hieß
schlicht »Maison« und befand sich im Keller eines leicht
angegammelten Reihenhauses. Als sie hereinkamen, sah sich Paige in
dem kleinen Speisesaal um und seufzte vor Entzücken. Dieses
Restaurant war ein Traum! Es war mit alten Flohmarktfunden
eingerichtet, das Geschirr aus unterschiedlichen Services
zusammengetragen und auf jedem Tisch standen angelaufene silberne
Kerzenständer.

Und sie selbst war, dank Phoebes kleiner Zauberei, perfekt für

diesen Ort gekleidet. Sie trug einen langen, halb durchsichtigen Rock
und ein bronzefarbenes Twin-Set aus Seide – ganz wie es sich für
sonntagmorgens in der Stadt gehörte. Max flüsterte dem Kellner etwas
zu, als sie eintrafen. Und als sie sich an einem gemütlichen Ecktisch
niederließen, warteten bereits Begrüßungsgetränke ohne Alkohol auf
sie.

Max hielt seinen Kelch mit Orangensaft hoch und prostete Paige

zu. »Ich weiß, es ist erst ein paar Tage her, aber … «, fing er an und
blickte unsicher auf seinen Teller. »Nun, ich will es so ausdrücken:
Seit unserem letzten Date habe ich nur noch an dich gedacht.«

»Ging mir genauso«, erwiderte Paige errötend. Sie blickte auf

ihren Teller, der einen kleinen Sprung hatte, und fragte sich, woher
auf einmal dieses schwindelerregende Gefühl kam. Ist schon
merkwürdig, dachte sie, dass alle anderen Jungs solche Nieten waren
und dieser Typ hier so … perfekt ist. Es ist schon ein bizarres
Spielchen, zu wem man sich hingezogen fühlt und zu wem nicht!

Bei diesen Gedanken bekam sie sofort ein schlechtes Gewissen.

Und was tue ich da gerade?, fragte sie sich. Ich bin dabei, meinen

neuen Verehrer mit einem dämonischen Virus zu infizieren! – Genau
das macht man üblicherweise beim zweiten Date …

Oder vielleicht, dachte sie betrübt, werde ich ja auch selbst

infiziert. Vielleicht ist Max ja tatsächlich Lupercalus.

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Paige sah ihren Gegenüber aufmerksam an. Er bestrich eine

Scheibe von dem Toast, den der Kellner ihnen gebracht hatte, mit
Butter. Allein bei Max' Anblick wurde Paige schwach. Sein Teint war
wunderbar gebräunt und er hatte genau die richtige Anzahl
Lachfältchen. Eine Strähne seines glänzenden Haars fiel ihm in die
Stirn – die perfekte Mischung aus durchgestyltem Schick und der
jungenhaften Art eines Hugh Grant. Mit seinem coolen Leinenhemd
und den herrlich ausgewaschenen Jeans hatte Max ebenfalls das
passende Outfit für ihre Verabredung gewählt. Aber ein Dämon hatte
natürlich Möglichkeiten, sich so hinreißend herzurichten, wie er
wollte, dachte Paige nervös. Sie seufzte und nahm sich eine Scheibe
Toast. Als angehende Hexe wurde sie noch von vielen Unsicherheiten
gequält. Sie wünschte, sie hätte die Erfahrung ihrer Schwestern. Die
beiden konnten wahrscheinlich innerhalb von fünf Minuten
herausbekommen, ob ihr Date ein Dämon war.

Na ja, dachte Paige und warf einen raschen Blick durch den Saal,

vielleicht auch nicht.

Piper und Phoebe hatten gerade an einem Tisch fünf Meter von

ihnen entfernt Platz genommen. Sie sahen wunderbar spritzig und
fröhlich aus: Piper trug Caprihosen und eine Bauernbluse und Phoebe
eine eng sitzende Hüftjeans. Paige sah deutlich, wie die beiden über
ihre Speisekarten zu ihr herüberspähten. Dann kicherten sie.

Ganz toll!, dachte Paige und biss betrübt in eine Stange Spargel.

Das Problem muss ich wohl ganz allein lösen. Ich frage mich nur, was
die beiden da zu lachen haben …

»Okay, okay«, sagte Phoebe, als der Kellner ihr den Kaffee in einer

filigranen alten Tasse servierte. »Jetzt bin ich dran. Mein peinlichstes
Date aller Zeiten war … dieser Typ, der mich zu einem Bon Jovi-
Konzert mitgenommen und dort die ganze Zeit Luft-Gitarre gespielt
hat. Ich bin echt unter meinen Sitz gekrochen.«

»Stimmt«, bemerkte Piper. »Ich weiß noch, wie du mit Kaugummi

in den Haaren nach Hause kamst.«

»Igitt! Aber das war einem Gute-Nacht-Kuss von diesem Kerl

vorzuziehen«, sagte Phoebe.

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»Und dann waren da noch die vielen Freunde, die sich später als

Dämonen offenbarten«, ergänzte Piper und nippte nachdenklich an
ihrem Tee. »Damit erscheint sozusagen die gute alte ›Vertraue
niemandem!‹-Regel in ganz neuem Licht, nicht wahr?«

»Für mich haben sich die Dämonen-Dates ja letztendlich bezahlt

gemacht«, bemerkte Phoebe mit einem verschmitzten Grinsen. »Aber
so etwas wünsche ich Paige wirklich nicht. Die Arme! Was ist da
hinten los?«

Piper sah unauffällig über den Rand der Speisekarte, dann verzog

sie das Gesicht.

»Alles im Lot auf der Westseite des Lokals«, sagte sie. »Ich muss

zugeben … Max strahlt nichts Dämonisches aus. Aber wenigstens
bekommen wir auf diese Weise alle einen schönen Brunch.«

Piper angelte sich ein frisches, warmes Schokocroissant aus dem

Frühstückskorb, den sie und Phoebe bestellt hatten. Dann schüttelte
sie den Kopf.

»Mensch, kannst du dich noch erinnern, wie es beim ersten Date

ist?«, fragte sie und nahm einen großen Bissen von ihrem Croissant.

»Die Aufregung, die Ohnmachtsanfälle …«, schwärmte Phoebe.

»Und während des gesamten Gesprächs die Sorge, ob man vielleicht
Spinat zwischen den Zähnen hat.«

Dann verdrehte sie die Augen.

»Oh ja«, erklärte sie trocken. »Das alles fehlt mir wirklich sehr!«

Ob ich Spinat zwischen den Zähnen habe?, überlegte Paige und

nahm den letzten Bissen von ihrem Omelette. Gott, hoffentlich nicht!

Zwischen Frühstücksbeginn und -ende war Paige zu der Ansicht

gelangt, dass sie Max Wolf anbetete. Und sie war felsenfest davon
überzeugt, dass dieser Typ auf gar keinen Fall ein Dämon sein konnte.

»Wahrscheinlich hältst du mich für einen Egomanen«, hatte er

wenige Minuten zuvor gesagt. »Das sind doch alle politisch Aktiven,
nicht wahr?«

»Nun …«, hatte Paige geantwortet. »Am Anfang nicht, aber

irgendetwas im System macht sie kaputt, findest du nicht?«

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»Ich weiß«, sagte Max und seufzte. »Aber gewisse Dinge, die ich

gesehen habe, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, Paige. Ich bin
Pflichtverteidiger. Jeden Tag habe ich mit diesem Teufelskreis der
Armut zu tun, den man anscheinend nicht durchbrechen kann.«

»Aber man muss es versuchen«, sagten sie beide gleichzeitig.

Paige lachte ungläubig. Dann sah sie Max tief in seine wunderbaren
braunen Augen.

»Mit dir treffe ich zum ersten Mal jemanden, dem diese Themen

genauso am Herzen liegen wie mir«, hauchte sie.

Max sah sie derart intensiv an, dass ihr ganz schwindelig wurde.

Ist das die große Liebe?, fragte sie sich. Sie hätte nie vermutet, wie

sehr einem dieses Gefühl zu Kopf steigen konnte.

Schließlich musste Paige ihren Blick von Max losreißen und fasste

sich an die Stirn.

»Wow«, flüsterte sie. »Das war ein bisschen heftig.«

»Ich habe es auch gespürt«, raunte ihr Max zu. »Etwas in mir

möchte dich am liebsten auf der Stelle entführen. Oder dich zumindest
zwingen, allen anderen Männern zu entsagen.«

Paige kicherte über seine altmodische Sprache und Max verdrehte

verlegen die Augen.

»Ich weiß, das kann ich nicht verlangen«, sagte er. »Du bist die

Königin von Kiss.com.«

»Ach … nein, nein«, sagte Paige und dachte mit einem schlechten

Gewissen an ihren übervollen Terminkalender. Dann sah sie in
Phoebes Richtung. Was hatte Phoebe ihr geraten? Sie solle sich ein
wenig rar machen und unnahbar geben?

»Ich könnte die anderen Dates absagen, Max«, platzte sie heraus.

Hoppla!, dachte sie, als die Worte draußen waren. Das war nicht

wirklich unnahbar. Aber was machte das schon! Zwischen ihr und
Max hatte es eindeutig geknistert. Musste sie da wirklich noch zu
Tricks greifen?

»Paige, das ist sehr schmeichelhaft für mich«, sagte Max. »Aber …

tu es nicht.«

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»Oh …«, machte Paige. Die Demütigung ließ die Sauce

Hollandaise in ihrem Magen gerinnen.

»Noch nicht«, fügte Max zaghaft hinzu. »Ich will dich nicht

drängen. Du sollst ganz frei wählen. Damit du dir ganz sicher sein
kannst. Und wenn du bereit bist, erwarte ich dich mit offenen Armen.«

Paige nickte langsam und dachte darüber nach, ob Max der

galanteste Mann auf Erden war oder ob er ihr eben auf subtile Weise
eine Abfuhr erteilt hatte.

Aber bevor sie etwas sagen konnte, brachte der Kellner Max die

Rechnung und seine Kreditkarte zurück. Max überflog den Ausdruck
und unterschrieb dann mit einem Füllfederhalter, den er aus der
Brusttasche gezogen hatte, auf der gepunkteten Linie. Paige warf
einen neugierigen Blick auf die Unterschrift von Max. Sie fühlte sich
an irgendetwas erinnert. Die Buchstaben waren auf altmodische Art
miteinander verschnörkelt. Es war eine wunderschöne Schrift …

Plötzlich schreckte Paige auf.

Sie starrte den Füller in Max' Hand an. Und dann dachte sie an den

Morgen zurück. Die Seite des Buchs der Schatten, auf der sie
nachgelesen hatten, tauchte vor ihrem geistigen Auge auf wie eine
Vision. Und sie sah die Namen Maxentius und Lupercalus vor sich.

Dann fiel Paige ein, was Cole gesagt hatte. »Lupercalus kommt

von ›Lupo‹«, hatte er erklärt. »Das bedeutet ›Wolf‹.«

Paige spürte, wie ihr Herz laut zu trommeln begann. Ihre Gedanken

rasten.

Sie riss ihren Blick von dem Füllfederhalter los und blickte in das

glatte, friedliche Gesicht von Max, mit den leuchtenden,
amberfarbenen Augen – den hypnotisierenden Augen!

Maxentius … Lupercalus …, dachte Paige und spürte, wie sich

kleine Schweißtröpfchen auf ihrer Oberlippe bildeten.

Max.

Wolf.

Paige bekam feuchte Hände. Instinktiv sah sie sich nach einem

Fluchtweg um. Aber sie saß eingezwängt in der Ecke. Wollte sie das
Restaurant verlassen, musste sie an Max vorbei.

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Abgesehen davon würde der Dämon misstrauisch werden, wenn

sie so unvermittelt das Lokal verließ.

Paige schüttelte den Kopf. So klar und eindeutig sie den Beweis

auch vor Augen hatte – in Tinte auf der Brunchrechnung –, war es
schwer für sie zu akzeptieren, dass sie nur benutzt worden war. Auf
ziemlich üble Weise.

Und wenn sie jetzt nicht sehr geschickt vorging, war sie verloren.

Also setzte Paige ihr Pokerface auf. Darin hatte sie Übung, denn

das tat sie auch immer vor dem Familiengericht, um gewalttätige
Ehemänner oder verärgerte Richter zu beschwichtigen. Sie fügte noch
eine Prise Charme hinzu und schlug die Augenlider nieder.

»Ach, was dich angeht, Max, bin ich mir schon ziemlich sicher«,

sagte sie.

Genau, er ist der größte Blödmann, mit dem ich je ausgegangen

bin!, dachte sie ernüchtert.

»Aber du hast wahrscheinlich Recht«, fuhr sie fort. »Wir sollten es

langsam angehen. Schließlich passiert das, was zwischen uns ist, ja
nicht alle Tage.«

»Vielleicht nur einmal alle paar Jahrhunderte«, bemerkte Max mit

einem verschmitzten Lächeln.

Das hab ich wohl verstanden, dachte Paige. Ich hab dich

durchschaut!

»Ja, und deshalb«, sagte sie freundlich und erhob sich von ihrem

Stuhl, »brauche ich jetzt ein bisschen Zeit … Ich muss nachdenken,
wenn du verstehst. Ich glaube, ich gehe zu Fuß nach Hause.«

»Aber es regnet doch!«, protestierte Max und zog skeptisch die

Augenbrauen hoch.

»Ich liebe es, im Regen spazieren zu gehen«, erwiderte Paige.

»Nicht umsonst handeln viele Lieder davon. Aber danke für den
Brunch! Es war … eine Offenbarung.«

»Für mich auch«, erklärte Max, erhob sich und nahm Paiges rechte

Hand. Langsam hob er sie an seine Lippen und gab ihr einen
zärtlichen Kuss auf den Zeigefinger.

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Paige schlug der Kopf in den Nacken, als ihr ein Stromstoß den

Arm hinaufjagte. Der Strahl schien ihr bis ins Herz zu gehen und sie
krümmte sich vor … nein, nicht vor Schmerz. Eher vor Überraschung.
Rasch zog sie ihre Hand weg und stemmte sie in die Seite, damit Max
nicht bemerkte, wie sehr sie zitterte. Dann lächelte sie zaghaft und
schob sich an ihm vorbei. Ein Stoßseufzer der Erleichterung entfuhr
ihr, als ihre Schwestern nach einem kurzen Blickwechsel etwas Geld
auf den Tisch warfen und aufstanden. Paige verließ das Restaurant,
ohne sich umzudrehen und machte ein paar wackelige Schritte auf
dem Gehsteig. Ein feiner Sprühregen lag in der Luft. Paige kniff die
Augen zusammen, um besser sehen zu können. Sie war so vertieft in
ihre Gedanken, dass sie nicht bemerkte, wie Phoebe hinter ihr herkam.
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Verschreckt fing sie an zu
schreien.

Als sie Phoebe erkannte, fiel sie dieser erleichtert um den Hals.

»Ich bin so froh, dich zu sehen!«, rief sie. Dann trat sie zurück und sah
ihrer Schwester ins Gesicht.

»Er ist es«, erklärte sie leise. »Max ist Lupercalus.«

»Das haben wir uns gedacht, als du so plötzlich da raus bist«, sagte

Phoebe. »Piper holt gerade das Auto.«

Kaum hatte sie es ausgesprochen, kam Piper schon mit dem

schwarzen SUV herangefahren.

»Nach Hause, Mädels?«, rief sie durch das Beifahrerfenster.

Paige und Phoebe kletterten in den Wagen. Auf der

fünfzehnminütigen Fahrt erzählte Paige den Schwestern von ihrer
Frühstücksverabredung.

»Dr. Laura hätte dazu sicherlich etwas zu sagen«, bemerkte sie

bedrückt, als sie zur Haustür hineingingen. Sie sah in den Spiegel und
schüttelte ihr regennasses Haar. »Ich meine, ist doch pervers, dass
mich alle meine nichtdämonischen Verehrer zu Tode gelangweilt
haben. Und ausgerechnet derjenige, den ich mag, erweist sich als
römischer Kaiser mit Mega-Rachegelüsten. Habe ich, was Männer
angeht, so einen schlechten Geschmack, oder was?«

»Oder was!«, rief Piper. »Paige, überleg doch mal! Wenn

Lupercalus dich irgendwie manipuliert, damit du all deine Verehrer in

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Killermaschinen verwandelst, dann kann er ja wohl auch Einfluss auf
die Verabredungen nehmen. Er hat dich regelrecht verhext!«

»Warum sollte er das tun?«, entgegnete Paige und lehnte sich

gegen die Wand. »Ich meine, sobald ich Augenkontakt zu den Jungs
hatte, war der Schaden doch schon angerichtet, nicht wahr?«

»Ja, aber wenn dir einer von ihnen gefallen hätte, hättest du

vielleicht deine anrüchigen Raubzüge eingestellt«, erklärte Phoebe.

»Entschuldige mal bitte!«, sagte Paige. »Raubzüge ist ein bisschen

krass ausgedrückt. Und das mit dem ›anrüchig‹ haben wir ja auch
schon geklärt!«

»Hast du nicht gesagt, Max habe dich gebeten, die anderen Dates

nicht abzusagen?«, fragte Piper.

»Ähm, ja, jetzt wo du es sagst«, erwiderte Paige.

»Natürlich hat er dir das geraten«, sagte Phoebe und kniff Paige in

den Arm. »Solange du ein langweiliges Date nach dem anderen
absolvierst, kann er eine ganze Armee Blutsauger für Lupercalus
rekrutieren. Der Plan war einfach perfekt.«

»Ja, er war perfekt«, sagte Piper und biss sich auf die Unterlippe.

»Nun müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir ihn durchkreuzen.«

Dingdong.

»Du hattest Recht, was das schlechte Timing der Türklingel

angeht«, bemerkte Paige zu Phoebe.

Und als Paige die Tür aufriss, stand Max vor ihr mit einem steifen,

unechten Lächeln im Gesicht.

»Hallo!«, rief Paige fröhlich und pflanzte sich im Türrahmen auf.

»Max! Ähm … hattest du schon Sehnsucht nach mir?«

»Ja, das auch, Paige«, sagte Max und schlüpfte an ihr vorbei in den

Flur. »Aber deshalb bin ich nicht gekommen.«

»Oh?«

Max drehte sich zu Piper um, die in der Wohnzimmertür stand. Ihr

gegenüber hatte sich Phoebe vor der Esszimmertür aufgebaut.

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»Warum bist du denn dann gekommen?«, fragte Phoebe.

»Interessiert mich nur mal so aus schwesterlicher Neugier. Ich bin
übrigens Paiges große Schwester Phoebe. Und das ist Piper.«

»Schön, euch kennen zu lernen«, entgegnete Max zerstreut. Dann

sah er Paige von der Seite an. »Ich, ähm, ich habe meinen Schirm hier
stehen lassen. Ich schwöre, ich habe schon halb San Francisco mit
Regenschirmen ausgestattet, die ich irgendwo vergessen habe. Aber
diesmal wollte ich ihn mir wiederholen, denn es ist ein guter
Vorwand, dich sehen zu können.«

»Oh«, sagte Paige gepresst. Dann sah sie sich in der Eingangshalle

um. »Ich sehe ihn nirgends. Hast du ihn im Wintergarten stehen
lassen?«

Max sah Paige noch einmal durchdringend an.

»Ach ja, das kann sein«, sagte er. »Ich erinnere mich, ich gehe mal

nachschauen.«

Max lächelte Phoebe höflich an, die zur Seite trat, um ihn

vorbeizulassen. Als er durch das Esszimmer in dem üppig begrünten
Wintergarten verschwand, drehte sich Phoebe zu ihren Schwestern
um.

»Okay, wo wir ihn schon mal hier haben«, raunte sie ihnen zu.

»Was machen wir jetzt mit ihm?«

»Keine Ahnung!«, antwortete Piper. »Wir haben noch keine

Gelegenheit zum Recherchieren gehabt. Keine Formel, kein
Zaubertrank, gar nichts.«

»Bleiben uns nur deine explosiven Finger«, sagte Paige. »Die

solltest du wohl besser zum Einsatz bringen.«

»Besser nicht!«

Paige erstarrte. Sie konnte Max' Anwesenheit fast körperlich

spüren. Seine Stimme, die tiefer und finsterer klang als gewöhnlich,
ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Sie wirbelte herum. Max stand an
der Esszimmertür. Natürlich ohne Schirm. In seinen Händen jedoch
knisterte Energie und er holte gerade aus, um diese auf Paige zu
feuern. Sie schrie entgeistert auf und duckte sich, als der blauweiße
Energieball durch die Luft zischte. Dann spürte sie das vertraute
Gefühl der Schwerelosigkeit, als ihr Körper ins Nichts orbte. So

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reagierte ihr Unterbewusstsein inzwischen auf eine Bedrohung; eine
bewusste Willensanstrengung war in solchen Situationen gar nicht
nötig.

Als Paige wieder zurückorbte, war der Energieball mit einer

knisternden Explosion hinter ihr in die Wand eingeschlagen.

»Ha!«, machte Piper und streckte die Hände in Max' Richtung aus.

Er war nicht mehr derselbe. Seine nun säuregelben Augen traten

aus seinem Kopf und funkelten bösartig. Ein fast unsichtbares
Kraftfeld – eisblau und knisternd wie eine Hochspannungsleitung –
hatte sich in Sekundenschnelle um Max aufgebaut. An diesem
Schutzschild prallte Pipers explosive Magie wirkungslos ab und
kehrte direkt in ihre Richtung zurück.

»Vorsicht!«, schrie Phoebe und hechtete durch die Eingangshalle,

ergriff Pipers Taille und riss sie mit sich zu Boden. Die Energie traf
den Spiegel an der Wand – vor dem Piper gerade noch gestanden
hatte.

»Na gut, dann hat er also Wolfsaugen, elektrische Munition und

ein Kraftfeld«, rief Phoebe. »Aber wir haben die Macht der Drei

»Tatsächlich?«, entgegnete Max. »Denkt dran, ich habe Zugriff auf

den Kopf eurer liebeshungrigen Schwester! Wenn ihr mich
herausfordert, werde ich euch zeigen, was ich mit meinem kleinen
Verbindungskanal alles anstellen kann.«

Max starrte Paige an. Seine wässrigen, animalischen Augen

leuchteten. Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz Paiges
Kopf. Es waren jedoch nicht ihre eigenen körperlichen Schmerzen, die
sie spürte, sondern vielmehr die Qualen der Opfer von Lupercalus.

Paiges eigenes Leben trat in den Hintergrund, als Max ihren Kopf

mit den Gefühlen von Carla Janowski füllte. Die letzten Stunden im
Leben der jungen Frau rasten Paige in Zeitraffer-Geschwindigkeit
durch den Kopf. In rascher Folge empfand Paige alle Gefühle von
Carla nach. Sie sehnte sich nach Zuneigung. Plötzlich war sie voller
Hoffnung. Kurz darauf fröhlich, weil frisch verliebt.

Und dann erlebte sie Carlas letzte Minuten. Sie krümmte sich auf

dem Boden der Eingangshalle, schlang die Arme um ihren Oberkörper
und wiegte sich leise weinend hin und her. Nun spürte Paige

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leidenschaftliche Hände. Und einen Kuss. Das musste das Ende von
Carlas Date gewesen sein.

Am Schluss erlebte sie den nackten Horror: schier unaushaltbare

Schmerzen. Paige griff sich an die Brust, als sie die
Phantomschmerzen spürte, die von den silbernen Krallen des Dämons
verursacht worden waren.

»Hör auf!«, schrie Phoebe. Ihre Worte rissen Paige zwar aus ihrem

Albtraum, aber Max' mentaler Angriff hatte sie unglaublich
geschwächt. Sie bekam nur verschwommen mit, wie Phoebe sich
aufrappelte und mit geballten Fäusten auf Max zurannte.

Max heulte auf und kehrte Paige den Rücken zu, um eine Hand in

Phoebes Richtung auszustrecken. Diesmal schoss er seine elektrische
Munition in Form einer langen, schlängelnden Spirale ab. Sie traf
Phoebe am Hals. Keuchend stürzte sie zu Boden. Nun spürte Paige,
wie Lupercalus' emotionaler Schraubstock von ihrem schmerzenden
Schädel abließ. Sie sackte in sich zusammen und fasste sich an die
Schläfen. Bevor ihr schwarz vor Augen wurde, sah sie Max noch
durch die Eingangshalle laufen. In diesem Augenblick fegte ein
Windstoß durch den Raum.

Ein Portal öffnete sich mitten auf dem Orientteppich und brachte

den tosenden Wirbelwind, Chaos und fürchterlichen Lärm mit sich.

Natürlich!, dachte Paige matt. Das Zeitportal ist ja die bevorzugte

Reiseroute des ephemeren Dämons!

Max sprang mit einem Satz in die Röhrenöffnung, die sich

augenblicklich wie eine klebrige Venus-Fliegenfalle hinter ihm
schloss. Und als die Röhre selbst schließlich verschwand, ließ Paige
alle Anspannung von sich abfallen und tauchte ab in die
Bewusstlosigkeit.

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10

»

P

AIGE

!«,

RIEF

P

HOEBE UND STÜRZTE

zu ihrer Schwester.

»Phoebe? Was ist los?«

Phoebe sah von dem bewusstlosen Gesicht ihrer Schwester auf.

Cole kam mit bleicher, besorgter Miene die Treppe heruntergerannt.
Leo war direkt hinter ihm.

»Du hattest Recht«, sagte Piper. »Max war tatsächlich Lupercalus

und er hat ganz schön was angerichtet in Paiges Kopf. Sie ist vor
Schmerzen in Ohnmacht gefallen.«

Cole kniete sich neben Phoebe, die Paiges Kopf in ihren Schoß

gebettet hatte. Leo legte ihr die Hände auf die Stirn. Nach einigen
Sekunden Behandlung fingen Paiges Augenlider an zu flattern.
Hustend kam sie zu sich und versuchte, sich aufzurichten.

»Paige«, sagte Leo und wedelte mit der Hand vor ihren trüben

Augen. »Bist du da drin? Komm, werd wieder klar!«

Er sah ihr eine Weile in die Augen, dann erstarrte er.

»Stimmt was nicht?«, fragte Cole. »Lass mich mal!«

Cole beugte sich über Paige, legte ihr einen Finger unters Kinn und

drehte ihr Gesicht, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Du warst
nur kurz bewusstlos«, sagte er. »Aber jetzt ist alles in Ordnung. Wie
viele Finger siehst du?« Cole hielt drei Finger hoch und schaute Paige
prüfend in die Augen. Paige blinzelte einige Male bevor sie
antwortete.

»Drei«, krächzte sie.

Aber Cole gab keine Antwort mehr. Er und Leo saßen völlig

regungslos da und sahen zu, wie Paige sich aufsetzte, noch einmal den
Kopf schüttelte und dann auf die Beine sprang.

»Mann, dieser Leuchttrick ist wirklich unglaublich!«, sagte sie

staunend.

Leo und Cole zeigten keine Reaktion. Sie blieben schweigend auf

dem Boden sitzen.

»Ähm, Jungs?«, sagte Phoebe.

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»Cole, Leo! Hallihallo!«, rief Piper und schnippte mit den Fingern.

»Wo seid ihr denn jetzt?«

Leo hob die rechte Hand.

Diese begann sich zu verändern. Zuerst schleichend. Die Haut

wurde grauer. Die Finger schienen länger zu werden. Aber dann nahm
Leos Hand eine Form an, die den drei Hexen ziemlich bekannt
vorkam.

Die schrecklichen metallischen Muskeln.

Die langen Raubtierfinger.

Und am schlimmsten: die langen, blitzenden Krallen.

Leo sprang auf und marschierte mit ausgestreckter Hand auf seine

Frau zu.

»Leo?«, fragte Piper zaghaft. »Was ist los mit dir?«

»So ein Mist!«, rief Phoebe und umkreiste Leo vorsichtig.

»Lupercalus muss mit seinem Angriff einen Mega-Zauber in Paiges
Kopf gepflanzt haben. Er ist durch den Kanal rausgekommen und hat
von Leo Besitz ergriffen!«

»Ähm, Phoebe?«, sagte Paige. Sie trat zu ihrer Schwester und

tippte ihr auf die Schulter.

»Jetzt nicht, Paige«, flüsterte Phoebe ihr zu. »Das ist eine echte

Krisensituation. Mann, ich hätte nie gedacht, dass Leo – selbst wenn
er besessen ist – sich gegen seine eigene Frau wenden würde. Was für
ein Schlag!«

»Phoebe!«, schrie Paige verzweifelt. »Vorsicht!«

Phoebe wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie

ihr Schatz auf sie zuhielt. Und auch er drohte ihr mit seinen
funkelnagelneuen, blitzblanken Krallen.

»Was für ein Schlag!«, wiederholte Piper sarkastisch. Dann

widmete sie sich wieder Leo.

»Liebling«, sagte sie zu ihm. »Du hast mein Herz doch schon.

Glaub mir, du brauchst dich nicht weiter zu bemühen.«

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»Cole!«, rief Phoebe, als ihr Verlobter sie an die Wand drängte.

»Bitte! Leg es nicht drauf an, dass wir gegeneinander kämpfen
müssen!«

»Es … wird … dir … Leid … tun«, brummte Leo und ging einen

Schritt auf Piper zu.

»Ich werde meine Rache bekommen«, zischte Cole und griff mit

seinen Krallen nach Phoebe.

»Oh nein, nicht schon wieder diese Platte!«, beschwerte sich Paige,

die von einem Paar zum anderen blickte. »Ich kann es nicht mehr
hören!«

Und damit streckte sie die Hand aus und befahl: »Kerzenständer!«

Einer der schweren Kerzenständer aus Messing orbte vom

Esszimmertisch in Paiges Hand. Sobald er in ihren Fingern Gestalt
angenommen hatte, holte sie aus und zog Leo eins damit über den
Schädel.

»Leo!«, schrie Piper und sah Paige schockiert an.

»Du hast meinen Mann umgehauen«, stellte sie fest.

»Ja, gerade bevor ihr ein ganz neues tödliches Level der Intimität

erreichen konntet«, gab Paige zurück.

»Da ist was dran«, entgegnete Piper. Dann schreckte sie auf, als

Phoebe auf der anderen Seite der Eingangshalle losbrüllte.

»Hi-jah!«, schrie sie, drehte sich unvermittelt um die eigene Achse

und riss das Bein hoch, um Coles Hand zur Seite zu kicken, die gerade
Kurs auf ihre Brust genommen hatte. Cole geriet aus dem
Gleichgewicht und Phoebe konnte seine Klauenhand packen und ihm
den Arm auf dem Rücken verdrehen. Cole wehrte sich mit aller Kraft
und verpasste Phoebe dabei einen Kratzer auf der Wange.

»Phoebe!«, rief Piper aufgeregt. Dann streckte sie instinktiv die

Hände aus und ließ Cole in seiner Verrenkung erstarren. Phoebe
lehnte sich gegen die Wand und sank zu Boden. Vorsichtig betastete
sie ihre Wange.

»Er hat mich verletzt«, stellte sie ungläubig fest.

»Er ist es nicht wirklich«, sagte Paige, um Phoebe zu trösten. »Das

weißt du doch.«

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Piper stand über Leo gebeugt da und sah ihn traurig an. In dem

Moment, als er bewusstlos wurde, war seine Klauenhand
verschwunden und er sah wieder ganz nach Leo aus – verwundbar und
lieb.

»Piper«, rügte Paige ihre große Schwester, »diesen Blick kenne

ich! Es ist der ›Ach, was ist Leo süß, wenn er schläft‹-Blick. Und den
musst du dir schleunigst abgewöhnen. Wenn dein Mann zu sich
kommt, ist er nämlich wieder der tödliche Leo. So lange jedenfalls, bis
wir herausfinden, wie wir Lupercalus exorzieren können, ohne ins alte
Ägypten verschlagen zu werden.«

»Sie hat Recht, Piper«, bemerkte Phoebe sorgenvoll. »Wir müssen

unsere Schätzchen erst einmal irgendwo unterbringen, wo sie keinen
Schaden anrichten können.«

»Im Keller«, schlug Piper vor. »Es gibt Gitter vor den Fenstern und

einen dicken Riegel an der Tür.«

»Gute Idee«, sagte Paige. »Schaffen wir sie fort, bevor sie wieder

zu sich kommen.«

»Du willst die beiden nach unten orben?«, fragte Piper und sah

Paige skeptisch an.

»Ja, sicher!«, entgegnete Paige verteidigend. »Obwohl, wenn ich es

mir recht überlege, verwende ich lieber die Holen-Methode – darin
habe ich mehr Übung.«

Nervös ging sie in den Keller. Phoebe und Piper hefteten sich an

ihre Fersen. Paige stellte sich mitten in den chaotischen Raum, in dem
alte Werkzeuge und Prues Dunkelkammer-Ausrüstung aufbewahrt
wurden, und kniff die Augen zu.

»Cole!«, rief sie. Einen Augenblick später schimmerte Cole in den

Keller. Er hätte Paige fast umgestoßen.

»Cool!«, staunte sie.

»Cole hast du doch schon«, sagte Piper. »Und jetzt Leo!«

»Ich sagte cool!«, entgegnete Paige und sah ihre Schwester genervt

an. Aber dann sammelte sie sich und rief Leos Namen.

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Und siehe da, auch ihr Schwager orbte herbei. Die Halliwells

wechselten einen raschen Blick untereinander und stürmten die
Treppe hinauf.

»Buch der Schatten«, rief Phoebe nur, als sie oben in der Küche

ankamen. »Sofort!«

Sie eilte mit Paige davon, während Piper noch den Riegel an der

Tür zum Keller vorschob. In diesem Augenblick hörte sie ein lautes
Krachen.

»Jetzt ist Cole wohl wieder aktiv«, flüsterte sie vor sich hin.

Beunruhigt legte sie ein Ohr an die Tür. Auch Leo musste mittlerweile
aus der Erstarrung befreit sein. Sie hörte, wie er »Leid tun … es wird
dir Leid tun!« brummelte.

Dann brüllte Cole: »Phoebe! Lass mich hier raus! Phoebe!«

Piper rappelte noch einmal an der Klinke, um sich zu vergewissern,

dass der Riegel hielt, und beeilte sich, auf den Dachboden zu
kommen.

Auf halbem Weg wurde sie allerdings aufgehalten.

»Aaaahh!«, schrie sie. Vor ihr standen zwei Fremde.

Zwei Männer.

Zwei Männer mit scharfen, silbrigen Klauen, wo eigentlich die

Hände hätten sein sollen.

»Paige!«, kreischte Piper. »Deine Verehrer sind da!«

Dann streckte sie die Hände aus, um die Eindringlinge erstarren zu

lassen, bevor sie sich für ihr Herz interessieren konnten.

Phoebe und Paige kamen in die Küche gestürmt und blieben wie

angewurzelt stehen.

»Wow!«, staunte Phoebe. »Paige, mit wie vielen Typen bist du

eigentlich verabredet gewesen?«

»Nur mit vier!«, verteidigte sich Paige. »Das ist Charlie, mit dem

habe ich neulich Kaffe getrunken, und das … ähm … ähm …«

»Du erinnerst dich nicht einmal an seinen Namen?«, empörte sich

Piper und stemmte die Hände in die Hüften. »Paige! Du bist wirklich
unmöglich!«

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»Bin ich nicht«, gab Paige zurück. »Just James! Sein Name ist

James. Natürlich …«

Dingdong.

»Wer ist das denn schon wieder?«, wunderte sich Phoebe gereizt

und sah Paige an, die wiederum auf die Küchenuhr schaute.

»Ach, stimmt ja!«, sagte sie verlegen. »Lunch mit Alan, dem

Media-Consultant. Wie konnte ich das vergessen! Macht euch keine
Sorgen, den wimmele ich sofort ab.«

Während Phoebe und Piper Wache standen, eilte Paige an die

Haustür. Dabei murmelte sie vor sich her: »Man könnte meinen, die
hätten noch nie eine Trockenperiode erlebt … Verstehe einfach nicht
… so leicht für sie …«

Paige war immer noch verärgert, als sie die Haustür öffnete. Und

dann blieb ihr vor Staunen die Luft weg.

Da stand Alan, der Media-Consultant – und daneben Teddy, der

Arzt von der Notaufnahme.

»Oh, ha-hallo Jungs!«, stammelte Paige. »Habe ich mich mit den

Terminen vertan? Das ist ja … oberpeinlich!«

Dann verstummte Paige, denn ihr wurde bewusst, dass es ihren

Verehrern offensichtlich ganz egal war. Sie standen einfach vor ihr
auf der Veranda und verschlangen sie mit ihren Blicken.

Und warum machte ihnen die Situation nichts aus? Weil sie bereits

in dem Augenblick, als Paige die Tür öffnete und die beiden anstarrte,
hypnotisiert worden waren.

»Neiiin!«, stöhnte Paige und flitzte zurück in die Küche – und

schon kamen die beiden Verehrer mit ausgefahrenen Krallen hinter ihr
her.

»Piper!«, rief Paige. »Erstens: Bitte sei nicht sauer! Und Zweitens:

Lass sofort diese beiden Scherzbolde hier erstarren!«

Piper wandte sich von den Junggesellen Nummer eins und zwei ab

und ließ Nummer drei und vier erstarren.

»Das ist ja blöd!«, ärgerte sich Phoebe. »Uns hätte klar sein

müssen, dass Paige nicht die Tür aufmachen darf! Und Paige – über
die doppelte Buchung reden wir später noch!«

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»War echt ein Versehen«, brummte Paige und verschränkte gereizt

die Arme vor der Brust.

»Wir müssen uns schleunigst einen Plan ausdenken, sobald wir die

Kerle in den Keller georbt haben!«, sagte Phoebe.

Paige packte zwei ihrer Verehrer bei den Ellbogen, holte tief Luft

und orbte los. Als sie die Augen öffnete, war sie auf der Kellerseite
der Tür. Es funktionierte! Sie orbte rasch zurück in die Küche und
wiederholte die Prozedur. Aber diesmal lösten sich die Jungs leider
schon aus ihrer Erstarrung, sobald sie auf den Kellerstufen landeten.

»Es wird dir Leid tun«, knurrte Alan.

»Unstete Liebe«, grollte Teddy.

»liiihh«, quietschte Paige, bevor sie aus dem Keller orbte. Als sie

wieder in der Küche landete, hämmerten ihre Verfolger vergeblich an
die Kellertür.

»Unstete Liebe«, murmelte Paige. »Hier hat aber auch jeder was zu

meckern!«

Dann blieb sie wie angewurzelt stehen.

»Moment mal!«, sagte sie und drehte sich zu ihren Schwestern um.

»Liebe! Das ist es, worum es hier geht! Nicht erwiderte Liebe. Und
die Rache dafür? Wenn es so ist, besteht die Lösung vielleicht darin,
ihnen die Liebe zu geben, die Lupercalus haben will.«

»Was tun wir also? Ihnen einen Kuchen backen?«, bemerkte Piper

sarkastisch.

»Also, ich denke, wir sollten mit demjenigen unter ihnen anfangen,

den du liebst«, antwortete Paige. »Wenn du Leo so richtig mit
Zuneigung überschüttest, wird das den Rachedämon aus ihm
vertreiben.«

»Aber, Paige!«, fuhr Piper auf. »Das ist doch verrückt!«

»Ist es das?«, entgegnete Phoebe und legte Piper eine Hand auf die

Schulter. »Weißt du, ich merke, wie ich ein schlechtes Gewissen
bekomme. Wir waren nämlich in der letzten Zeit nicht gerade die
hingebungsvollsten Partnerinnen.«

Piper blickte zu Boden, dann sah sie Phoebe skeptisch an.

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»Ich meine, durch die ganze Geschichte mit Josh habe ich erst

begriffen, wie gut Cole zu mir passt«, fuhr Phoebe fort. »Er respektiert
die Magie, statt sich vor ihr zu fürchten. Er ist noch nie vor den
Herausforderungen, die unsere Lebensweise nach sich zieht,
davongelaufen …« Phoebes Stimme brach.

»Und all das wollte ich ihm sagen, sobald sich die Situation ein

wenig beruhigt«, erklärte sie schließlich. »Jetzt kann ich nur noch
beten, dass ich überhaupt Gelegenheit dazu haben werde.«

»Du hast Recht«, sagte Piper und lehnte sich an den

Küchenschrank. »Diese blöden Fragebögen! Warum habe ich
geglaubt, meine Ehe bewege sich auf eingefahrenen Gleisen?«

Dann sah sie Paige an.

»Und du hast auch Recht«, sagte sie. »Das ist möglicherweise der

blödeste Spruch, den du je von mir hören wirst, aber … vielleicht ist
die Liebe doch stärker als alles andere. Oder wenigstens stärker als
Lupercalus. Lasst es uns versuchen!«

Sie riss die Kellertür auf und ließ rasch alle knurrenden Jungs im

Raum erstarren.

Paige eilte sofort die Treppe hinunter und orbte mit dem reglosen

Leo zurück in die Küche. Als die Kellertür wieder fest verschlossen
war, nickte Piper ihren Schwestern zu. Sie setzten Leo auf einen Stuhl
und hielten ihn von beiden Seiten an den Armen fest.

Nun schnippte Piper mit dem Finger, um ihren Mann aus der

Erstarrung zu befreien.

»Piper!«, brüllte Leo. Sofort wuchsen messerscharfe Nägel aus den

Fingern der rechten Hand und er begann, nach allen Seiten
auszuschlagen, um sich aus Phoebes und Paiges Griff zu befreien.

»Leo …«, setzte Piper an.

»Leid tun … Es wird dir Leid tun!«, schrie Leo.

»Hör damit auf!«, kreischte Piper und fiel vor Leo auf die Knie.

Plötzlich war der ganze Plan vergessen. Es war, als hätte es nie eine
Katastrophe gegeben. Nur sie und Leo waren in der Küche, in der sie
schon so oft miteinander geplaudert oder über ihre kulinarische
Experimente gelacht hatten. Warum weiß ich diese Dinge erst zu

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schätzen, wenn ich Gefahr laufe, sie zu verlieren?, grübelte Piper und
ihr stiegen die Tränen in die Augen.

»Leo«, fing sie an. »Tut mir Leid, was ich dir in den letzten Tagen

zugemutet habe. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe.
Gerade die Eigenschaften, die dich laut irgendwelcher unbedarfter
Beziehungsgurus zu einem nicht ganz idealen modernen Ehemann
machen, liebe ich so an dir. Ich liebe dich, weil du mich keine Tür
selbst öffnen lässt, egal wie stark meine Magie ist. Ich liebe dich, weil
du mich jeden Morgen mit einem albernen kleinen Liedchen weckst.
Und ich liebe es, dass du häuslich bist, Leo.«

Piper hatte das Gefühl, ihre Worte kämen aus einem bislang

unangezapften Reservoir in ihrem Herzen. Sie sah, wie die
Gesichtszüge ihres Mannes weicher wurden.

Piper warf einen unsicheren Blick in Phoebes Richtung und legte

Leo zärtlich eine Hand aufs Knie.

»Okay, natürlich hast du auch deine Macken«, sagte sie und

lächelte leise. »Mit einem Mann verheiratet zu sein, der … tot ist, das
ist schon eine echte Herausforderung. Aber es bedeutet gleichzeitig,
dass ich mit einem Engel zusammenlebe. Ich werde das nie wieder als
selbstverständlich betrachten.« Mit diesen Worten beugte sich Piper
langsam vor. Sie war sicher, in Leos Augen so etwas wie Erkennen
aufglimmen zu sehen, bevor sich ihre Lippen zu einem sanften,
hingebungsvollen Kuss vereinten.

Als Piper wieder von Leo abrückte, lächelte sie ihn zärtlich an. Vor

Glückseligkeit hatte sie einen Augenblick lang vergessen, dass ihre
Schwestern überhaupt da waren. Sie schreckte auf, als Phoebe
flüsterte: »Er kommt von dem Trip runter. Ich glaube, es hat
funktioniert.«

Auf Leos Gesicht lag ein verträumtes Lächeln. Zitternd erhob sich

Piper und sah Paige und Phoebe entschlossen an.

»Lasst ihn los!«, sagte sie.

»Bist du sicher …«

»Lasst ihn los!«, wiederholte sie. »Er ist mein Mann. Leo würde

mir nie etwas antun.«

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Zögernd ließen Phoebe und Paige Leos Arme los. Er stand mit

wackligen Beinen auf und ging langsam auf Piper zu. Als er ihr näher
und näher kam, sah Piper an ihm herunter und bemerkte … seine
Klauenhand. Sie hatte sich nicht zu seiner normalen Hand
zurückgebildet.

»Ähm, Leo …?«, quiekte sie.

»Tut es dir jetzt Leid, Weib?«, brüllte Leo und holte mit seinen

scharfen Krallen aus.

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11

»

D

AS HAT WOHL NICHT GEKLAPPT

!«,

schrie Paige, als Leo auf

Piper zumarschierte, um ihr das Herz herauszureißen. Phoebe stürzte
sich auf ihren Schwager. Sie sprang ihn von hinten an und hielt mit
aller Kraft seine ausgefahrene Klauenhand fest. »Piper!«, rief sie ihrer
Schwester zu. »Halt ihn an!«

Piper war rückwärts in die Mitte der Küche gestolpert. Sie starrte

Leo an, der um die eigene Achse wirbelte und versuchte, Phoebe
abzuschütteln. Piper war wie betäubt. Sie konnte nicht glauben, dass
ihre Zuneigungsbekundungen ohne Wirkung auf ihren Mann
geblieben waren.

»Leo, bitte!«, rief sie und legte all den Schmerz, den sie spürte, in

diese zwei Worte.

Leo hielt einen Augenblick inne. Er sah Piper in die Augen. Sie

schöpfte Hoffnung. Aber dann warf er Phoebe mit einem Ruck ab und
schleuderte sie auf den Küchentisch.

Ohne zu zögern hob Piper die Hände und ließ ihren Mann

erstarren. Paige zeigte auf den reglosen Leo und orbte ihn in den
Keller. Leider orbte sie dabei jedoch versehentlich den randalierenden
Alan herbei.

»Jaaa!«, schrie Alan und ging hinter der Kücheninsel in Deckung,

bevor ihn eine der Schwestern in den Griff bekam.

Paige schnappte sich den Fleischklopfer aus dem Krug am Herd, in

dem die Küchengeräte steckten. Phoebe machte Piper mit den Augen
ein Zeichen, dann schlich sie von links und Piper von rechts um die
Insel.

»Eins«, formte Piper mit den Lippen.

»Zwei«, raunte Phoebe.

»Drei!«, schrie Paige.

Aber als die Schwestern hinter die Kücheninsel sprangen, war von

Alan nichts zu sehen. »Rumschreien macht irgendwie den viel
gepriesenen Überraschungseffekt zunichte«, sagte Phoebe zu Paige
und verzog das Gesicht.

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»Tut mir Leid«, entgegnete Paige. »Diese Hinterhaltgeschichten

sind noch sehr neu für mich. Ich hab überreagiert.«

»Und dafür«, sagte eine finstere männliche Stimme über ihnen,

»wirst du bezahlen!«

Piper sah mit großen Augen zum Herd. Wie ein Affe kauerte Alan

auf der Dunstabzugshaube und seine silbrigen Krallen glänzten in den
Strahlen der Nachmittagssonne, die in die Küche hereinfielen.

»Wie hat er das gemacht?«, fragte Paige.

»Ich hab so den Eindruck, an der Magie von Lupercalus ist weit

mehr dran, als es auf den ersten Blick scheint«, bemerkte Phoebe.

»Ja?«, fuhr Piper auf, die wegen Leos Verweigerung vor Wut

kochte. »Dann wollen wir ihm jetzt mal zeigen, was wir draufhaben!«

Und schon schnippte sie ohne lange nachzudenken mit den Fingern

in Alans Richtung. Doch bevor die Explosion ein schwarzes,
qualmendes Loch in das weiß emaillierte Blech schlug, war er schon
von der Haube gesprungen.

In Kauerstellung landete er wie eine Raubkatze auf dem

Schreibtischstuhl. Piper feuerte sofort ein weiteres Geschoss auf ihn
ab. Erneut wich Alan geschickt aus. Diesmal war es der Drucker, der
die Ladung abbekam und in einem Funkenregen explodierte.

»Piper!«, rief Phoebe. »Denk dran! Er ist unschuldig! Wir müssen

ihn besiegen, ohne ihn … du weißt schon, zu vernichten.«

Piper hielt mitten in der Bewegung inne, woraufhin Phoebe durch

die Küche flitzte und Alan einen sauberen Roundhouse-Kick in den
Magen verpasste. Dann trommelte sie mit den Fäusten auf ihn ein und
trieb ihn bis vor die Kellertür. Benommen versuchte er, ihre Schläge
abzuwehren.

»Macht vielleicht mal jemand die Tür auf!«, grunzte Phoebe. Piper

eilte herbei und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Phoebe schob den
knurrenden Alan hinein und schlug die Tür sofort wieder zu.

»Oh, mein Gott!«, sagte Piper zitternd, als Phoebe den Riegel

vorschob. »Was hätte ich da um ein Haar angerichtet!«

»Ist schon okay, Piper«, entgegnete Phoebe. »Du bist auch nur ein

Mensch.«

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»Ein Halb-Mensch«, korrigierte sie Piper. »Meine Hexenhälfte

sollte eigentlich über Rache erhaben sein. Man könnte fast meinen, ich
wäre auch von Lupercalus infiziert worden. Nichts für ungut, Paige!«

Piper sah Paige an. Sie hatte die Hand ans Kinn gelegt und starrte

nachdenklich den explodierten Drucker an.

»Paige?«, fragte Piper. »Hallo! Bist du bei uns?«

»Der Computer«, sagte Paige leise. »Damit hat er es gemacht!«

»Was?«, fragte Phoebe und kam zu ihr.

»Es passt alles zusammen«, sagte Paige und sah ihre Schwestern

mit großen Augen an. »Nicht zu fassen, dass ich es nicht gemerkt
habe. Lupercalus ist durch den Computer in meinen Kopf gelangt!«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Piper erstaunt. Sie rückte

den Schreibtischstuhl zurecht, der auf wundersame Weise die Schlacht
mit Alan überlebt hatte, und ließ Paige darauf Platz nehmen. »Erklär
mal, und zwar von Anfang an!«

»Okay, also, ich habe mich gerade daran erinnert, wie jedes Mal,

als ich auf Kiss.com war und mit der Maus klickte, kleine Blitze aus
dem Bildschirm kamen«, sagte Paige, während Phoebe und Piper sich
Stühle an den Tisch holten. »Mir wurde zwar ein bisschen
schwindelig davon, aber dann habe ich das ganz vergessen.«

»Oooh-kay«, sagte Piper. »Weiter!«

»Also, jetzt kommt's«, fuhr Paige fort. »Bei Max wurde mir auch

immer schwindelig. Genau wie vor dem Computer. Ich dachte, ich sei
liebeskrank. Aber vielleicht war es dieser ekelige Dämon, der in
meinem Kopf herumgepfuscht hat.«

»Moment mal!«, fuhr Phoebe auf. »Das kommt mir irgendwie

bekannt vor. Ich hole das Buch der Schatten

Ein paar Minuten später stand Phoebe mit dem Buch an der

Küchentheke und zeigte triumphierend auf die aufgeschlagene Seite.

»Ich wusste es!«, rief sie. »Das ist ein Text über verschiedene

Dämonenarten. Da steht, ephemere Dämonen können in der
Erdumlaufbahn leben, in elektrischen Feldern, in Atomkraftquellen –
einfach in allem, was Energie birgt.«

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»Das erklärt, warum die Waffen von Max solche Schocker sind«,

sagte Piper. »Er besteht aus purer Elektrizität!«

»Und um körperliche Gestalt annehmen und seine schmutzige

Arbeit tun zu können«, fuhr Phoebe fort und linste auf das Buch der
Schatten
, »braucht der Dämon einen magischen Verbindungskanal.«

»Und die Tochter einer Hexe und eines Wächters des Lichts ist ja

wohl geballte Magie, oder?«, meinte Piper. »Also hat sich Lupercalus
auf Kiss.com eingenistet und darauf gewartet, dass sich eine
Liebeskranke mit übernatürlichen Fähigkeiten reinklickt.«

»Das ist ja ultrapeinlich!«, rief Paige und schlug sich die Hände

vors Gesicht.

Phoebe schlug das Buch zu und sprang von der Theke.

»Geht es dir besser, wenn ich dir davon erzähle, wie wir uns früher

mal in die sieben Todsünden verwandelt haben?«, fragte Phoebe. »Ich
war übrigens die Begierde.«

»Au ja!«, sagte Piper. »Das war wirklich peinlich.«

»Na, wenigstens habe ich in meiner Gier nicht alle unsere

Kreditkarten überzogen«, scherzte Phoebe und warf Piper ein
spöttisches Lächeln zu. »Apropos peinlich. Stell dir vor, Paige, sie hat
allen Ernstes jedes einzelne Zimmer im ganzen Haus mit einem
George-Foreman-Grill ausgerüstet.«

»Bleiben wir doch besser beim Thema, ja?«, warf Piper ein. »Wisst

ihr, was ich glaube? Lupercalus hat sich im Computer sozusagen im
Exil befunden, bis er sich mit Hilfe von Paige befreien konnte. Wie
werden wir ihn also dauerhaft los?«

Sie zeigte auf den dunklen Computermonitor.

»Wir müssen verhindern, dass er jemals wieder in die Kiste

reinkommt!«

Eine halbe Stunde später gab Phoebe ihrer neu ausgedachten

Formel zur Bezwingung des Dämons den letzten Schliff, während
Piper vor der Kellertür auf und ab schritt.

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»Wir müssen uns beeilen«, drängte sie. »Die Ureinwohner da

unten werden so langsam wirklich unruhig.« Kaum hatte sie das
ausgesprochen, ertönte ein lautes Krachen aus dem Keller.

»Leid tun!«, brüllten die besessenen Männer einstimmig.

»Ja, ja!«, schrie Piper Richtung Tür. »Sprecht euch nur aus!«

Sie drehte sich zu ihren Schwestern um.

»Wer hätte gedacht, dass Rachedämonen so verflixt einfallslos

sind!«, sagte sie.

»Okay!«, verkündete Phoebe und beendete ihre Formel mit einer

schwungvollen Geste. »Der Plan steht. Jetzt müssen wir Lupercalus
nur noch in die Küche kriegen und ihn in einen Kampf verwickeln.
Das dürfte angesichts seiner gewalttätigen Neigung kein Problem sein.
Wenn er einen seiner Energiebälle schleudert, lässt Piper ihn erstarren.
Wir werden einen Zaubertrank zusammenrühren, der bewirken wird,
dass sich sein Geschoss gegen ihn selbst wendet. Das wird ihn
hoffentlich aus seinem körperlichen Zustand treiben. Dann sprechen
wir schnell die Formel, mit der wir ihn in unseren Behälter hier
einfangen.«

Phoebe hielt ein großes, bauchiges Einmachglas mit

Schraubverschluss hoch.

»Großmutters eingelegte Köstlichkeiten haben Jahrzehnte in diesen

Gläsern gehalten«, sagte sie. »Und das Ding hat nicht das geringste
mit Elektrizität zu tun. Darin sollten wir Lupercalus also sicher
unterbringen können – auf unbestimmte Zeit.«

»Nicht gerade die einfachste Problemlösung, mit der wir je zu tun

hatten«, bemerkte Piper und biss sich auf die Unterlippe. »Aber ich
muss sagen, der Plan hat Hand und Fuß.«

»Abgesehen von einem kleinen Störfaktor«, wurde Phoebe

plötzlich klar. »Um unseren kleinen Trick durchführen zu können,
müssen wir unseren bösen Dämon bei der Hand haben. Max weiß jetzt
aber leider, dass wir hinter ihm her sind, und seine Armee der
Herzausreißer sitzt in unserem Keller. Warum sollte er sich also noch
mal hier blicken lassen?«

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»Dann müssen wir wohl ›Fang den Dämon‹ spielen«, erklärte Piper

seufzend. »Und das bedeutet, jemand von uns muss noch mal eine
Reise in dieses glibberige Kaninchenloch machen.«

»Wie unangenehm«, bemerkte Phoebe. Ohne große Begeisterung

klatschte sie in die Hände. »Dann müssen wir wohl mal wieder ein
Portal aus einem der Besessenen herausprügeln! Aber diesmal bringen
wir zuerst alles Zerbrechliche in Sicherheit.«

Eine halbe Stunde später rasten Paige und Phoebe durch ein

brandneues, klebriges Zeitportal, das aus dem Kopf des erstbesten
Verehrers, den Paige in die Küche georbt hatte, entsprungen war –
Alan, wie es der Zufall wollte.

»In der Not muss man nehmen, was da ist«, hatte Phoebe gesagt

und Alan einen Kinnhaken verpasst. Der Hieb war ausreichend fest
gewesen, um einen weiteren heulenden Wirbelsturm zu entfachen.
Paige und Phoebe hatten sich daraufhin an den Händen gefasst und
waren in die Röhre hineingesprungen. Piper war da geblieben, um
Alans Erinnerung zu löschen und den Zaubertrank zu brauen, den sie
brauchten, um Lupercalus zu bezwingen. Sie hatte versprochen, exakt
eine Stunde zu warten und dann die Formel zur Heraufbeschwörung
einer Hexe zu sprechen, mit Hilfe derer sie die Schwestern wieder
durch das Portal zurückholen würde – hoffentlich mit Lupercalus als
Geisel im Schlepptau.

Platsch!

Nach einem langen, schlingernden Sturz spuckte die Röhre Paige

und Phoebe schließlich aus. Paige schlitterte schreiend über eine harte
Oberfläche und rieb sich das schmerzende Hinterteil, als sie sich
aufrappelte.

»Mann!«, rief sie. »Das war die ätzendste Reise meines Lebens!«

»So ist das mit den Zeitreisen«, entgegnete Phoebe nur. Sie war

mit einem Aufschrei direkt neben Paige gelandet. Nun erhob sie sich
und wischte sich einen Streifen silbriges Geglibber vom Arm.

»Aber wenigstens weiß ich diesmal ganz genau, wo wir den Dä…«

Phoebe brach ab und sah sich entgeistert um.

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»Ähm … Paige?«, sagte sie und sah in alle Richtungen. »Sieht das

hier für dich aus wie das alte Alexandrien?«

»Nur, wenn es im alten Ägypten eine untergegangene Soho-

Zivilisation gab«, entgegnete Paige und ließ den Blick verblüfft durch
das Apartment schweifen, in dem sie gelandet waren: In dem Raum
befanden sich freigelegte Dachsparren unter den vier Meter hohen
Decken und ein riesiges Fenster mit einer herrlichen Aussicht auf eine
Stadt. »Das ist das coolste Loft, das ich je gesehen habe!«

»Nichts anderes hätte ich von Max Wolf, seines Zeichens

Superanwalt und Rachedämon, erwartet«, bemerkte Phoebe. »Sei auf
der Hut, Paige!«

»Guter Rat!«, entgegnete Paige und ging langsam über den rot

gefärbten Betonboden zu einem langen gläsernen Esstisch, um den mit
schwarzem Leder bezogene Chrom-Stühle standen. Mitten auf dem
Tisch thronte eine schwarze Vase mit einer makellosen weißen Lilie.
Über einen dicken Orientteppich gelangte man in eine helle, offene
Küche und dahinter verbarg ein chinesischer Wandschirm … etwas.
Paige nickte in Richtung des Wandschirms und sah Phoebe an. Auf
Zehenspitzen schlichen sie in die Küche.

Mit angehaltenem Atem spähte Paige hinter den Wandschirm. Da

sie damit rechnete, Lupercalus dort lauern zu sehen, war sie fast
enttäuscht: Hinter dem Wandschirm stand ein ordentlich gemachtes,
niedriges Bett mit einer dicken, kuscheligen Daunendecke.

»Also, der Junge hat einen einwandfreien Geschmack, das muss

man ihm lassen«, bemerkte Phoebe und betrat zögernd das
Schlafzimmer, um sich umzusehen. Offensichtlich war niemand zu
Hause. »Ich fühle mich, als wären wir direkt in den
Einrichtungskatalog eines sündhaft teuren Möbelhauses
reinmarschiert.«

Blupp.

»Phoebe?!«, rief Paige und spähte besorgt in das Schlafzimmer.

Gerade noch war Phoebe auf das Bett zugegangen. Und jetzt war sie
mit diesem glucksenden Geräusch verschwunden.

Einfach so.

Sie hatte sich in Luft aufgelöst.

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»Was ist hier los?«, schrie Paige und stürzte ins Schlafzimmer.

Blupp.

Paige hatte das Gefühl, jemand hätte sie durch eine Wand aus

Wackelpeter gestoßen. Auf der anderen Seite der Wand setzte sich die
Illusion jedoch fort. Unglaublich! Sie trieb in einer merkwürdigen
Materie – in einem kristallklaren, leuchtendblauen Gel.

Und da war auch Phoebe! Sie schwebte gleich neben ihr und

schien, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, genauso schockiert
zu sein wie Paige.

»Ich vermute, das Loft war einfach zu schön, um wahr zu sein«,

sagte Phoebe blubbernd. Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne in
dieser merkwürdigen Materie.

»Wir können nur froh sein, dass es hier wenigstens Sauerstoff

gibt«, bemerkte Paige. »Jetzt müssen wir nur noch rausfinden, wo wir
uns eigentlich befinden.« Ringsum waren sie von blinkenden gelben
Lichtern und Leuchtbalken umgeben. Hin und wieder zischten Blitze
über und unter ihnen vorbei. Weit weg entdeckte Paige eine große
rechteckige Form, die ihr merkwürdig bekannt vorkam.

»Was ist das?«, fragte sie und zeigte darauf.

»Vielleicht ein Gebäude?«, vermutete Phoebe hoffnungsvoll.

Paige machte Schwimmbewegungen und stellte überrascht fest,

dass sie durch das blaue Gel vorwärts schoss und eine Spur aus Blasen
in ihrem Kielwasser ließ. Phoebe schwamm neben ihr und flitzte dann
ein Stück voraus.

»Ist ja irgendwie cool!«, sagte Paige. Es fühlte sich gut an, wie die

kühle, gallertartige Materie ihr über die Haut glitt. »Muss ich schon
zugeben.«

Plötzlich streckte Phoebe die Arme seitlich vom Körper weg und

hielt abrupt an. Das »Gebäude«, auf das sie zuschwammen, war jetzt
deutlicher zu sehen. Paige folgte Phoebes Blick.

»Ich weiß, was das ist«, rief Paige. »Das ist ein …«

»Ein Computerchip!«, kam Phoebe ihr zuvor. »Ein riesiger

Computerchip. Oder vielleicht andersrum: Der Computerchip hat die

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ganz normale Größe und wir wurden auf Stecknadelkopfgröße
geschrumpft und in die virtuelle Welt von Lupercalus geworfen.«

»Oh«, machte Paige. »Also … das ist mal was ganz Neues! Aber

definitiv auch nicht besser als das Alte. Glaubst du, die Formel, mit
der Piper uns wieder rausholen will, wird auch hier funktionieren?«

»Natürlich«, entgegnete Phoebe und hielt in der bizarren virtuellen

Welt nach Lupercalus Ausschau. »Allerdings hilft uns das auch nicht
viel weiter, wenn wir unseren Dämon bis dahin nicht in unserer
Gewalt haben.«

»Stimmt«, sagte Paige und sah auf ihre Uhr. »Übrigens bleiben uns

nur noch vierzehn Minuten, bis wir von Piper zurückgeholt werden.«

»Tja«, machte Phoebe und starrte in die unendliche Weite. »Ich bin

mit meinem Latein am Ende. Er kann überall und nirgends sein.
Vielleicht ist er in seinen ephemeren Zustand zurückgekehrt, dann
wäre er auch noch unsichtbar.«

»Na, dann müssen wir ihn herholen!«, meinte Paige. »Denk dir

schnell eine Formel aus, wie deine Großmutter zu sagen pflegte. Fang
einfach an zu reimen!«

»Eine Formel?«, fuhr Phoebe entgeistert auf. »Ich soll sie einfach

so aus dem Handgelenk schütteln? Paige, ich glaube, du hast noch
nicht begriffen, was Formeln schreiben für eine schwierige …«

»Bringt uns dieses böse Wesen hierher … ähm …«, textete Paige.

»Bringt Lupercalus, wir bitten euch sehr!«

»Das soll eine Zauberformel sein?« Phoebe lächelte herablassend.

»Nun, also, für den Anfang gar nicht so schlecht …«

»Was zum Teufel ist hier los?«

Phoebe und Paige wirbelten in dem blubbernden Gel um die eigene

Achse.

Lupercalus schwebte direkt vor ihnen!

Sein Haar war nun zu einer langen, flatternden Mähne geworden.

Seine irdische Kleidung hatte er gegen eine silbrig schimmernde Robe
eingetauscht. Und seine gelben Augen leuchteten vor Zorn.

»Keine Hexe hat die Macht, mich in meiner eigenen Welt

heraufzubeschwören!«, donnerte er mit wutverzerrtem Gesicht, konnte

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jedoch seine Verwirrung darüber, dass es ihnen trotzdem gelungen
war, nicht ganz verbergen.

»Eine x-beliebige Hexe nicht«, entgegnete Paige. »Aber du hättest

dich besser informieren sollen, Lupercalus, bevor du von dieser Hexe
hier Besitz ergriffen hast. Wir sind nämlich die Zauberhaften

»Und rate mal, wem es jetzt Leid tun wird!«, sagte Phoebe. Mit

einer Ruderbewegung zischte sie zu dem Dämon und nahm seinen
Kopf in den Schwitzkasten.

»Fort mit dir!«, bellte Lupercalus. Sein ganzer Körper begann,

Funken zu sprühen. Stöhnend ließ sie ihn los und segelte rückwärts,
als er einen schmerzhaften Blitz auf Phoebe abschoss. Ihre Arme
zitterten heftig.

Ängstlich wich Paige zurück, denn sie sah, wie Lupercalus seine

Kräfte sammelte. Nun kam er auf sie zu. Seine Augen verengten sich
zu goldenen Schlitzen. Paige sah ihn herausfordernd an und warf
einen raschen Blick auf ihre Uhr.

»Phoebe!«, rief sie entsetzt. »Nur noch dreißig Sekunden!«

»Bin ja schon dabei«, entgegnete Phoebe keuchend.

»Wobei?«, knurrte Lupercalus. »Glaubst du wirklich, du könntest

mich besiegen? Auf eigenem Territorium? Wisst ihr, nicht nur die von
mir Besessenen haben scharfe Krallen!«

Damit streckte Lupercalus die Hände aus. Fast augenblicklich

verwandelten sie sich in ganze Bündel klappernder Klingen. Seine
Waffen wirkten doppelt so bedrohlich wie die seiner Opfer. Phoebe
sah Paige verängstigt an.

»Fünf Sekunden«, formte Paige mit den Lippen und sah auf ihre

Uhr. »Vier … drei …«

»Weißt du, Max«, sagte Phoebe und wich geschickt den scharfen

Krallen aus. »Du hast zwar tolle Messer, aber ein schlechtes Timing!«
Sie sprang ihn von hinten an, griff nach seinen Handgelenken und
verdrehte ihm die Arme auf dem Rücken. Lupercalus brüllte wütend,
schien aber einen Augenblick lang wie gelähmt, als er Phoebes große
Kraft bemerkte. Sie kniff fest die Augen zu und wartete auf das
Erscheinen des Portals. Dabei stellte sie sich vor, wie Piper in der
Küche stand und mit dem Zaubertrank in der Hand die Formel

132

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aufsagte. Piper hat es bisher jedes Mal geschafft!, dachte sie voller
Vertrauen.

Doch dieses Mal schien es ein kleines Problem zu geben: Das

Portal tauchte nicht auf.

133

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12

E

INE HALBE

S

TUNDE NACHDEM

Paige und Phoebe in das

Zeitportal gesprungen waren, hatte Piper einen verwirrten, aber
erinnerungslosen Alan verabschiedet. Dann hatte sie das große
Einmachglas mit dem Schraubverschluss vorsichtig auf den
Küchentisch gestellt.

Nun beendete sie ihre Arbeit an der Formel, mit der sie Lupercalus

bezwingen wollten. Gerade rechtzeitig, denn ihr blieben nur noch fünf
Minuten, bis sie die Beschwörungsformel sprechen musste, mit der
Phoebe, Paige und hoffentlich auch der Rachedämon zurück in die
Küche kommen sollten.

Piper warf fünf Senfkörner in den auf dem Herd blubbernden Topf

und sah auf die Uhr.

»Und drei, zwei, eins …«

Bumm!

Ein pinkfarbener Geysir wuchs wie eine grellbunte Blume aus dem

Topf und versank einen Augenblick später wieder darin.

»Okay«, murmelte Piper und linste ins Buch der Schatten. »Jetzt

sollte das Gebräu schimmelgrün werden, dann leichenblau. Igitt, das
sind genau die Beschreibungen, die für den schlechten Ruf von Hexen
verantwortlich sind. Es wäre doch viel besser, ›moosgrün‹ und
›puderblau‹ zu sagen!«

Piper beobachtete, wie der Zaubertrank seine Farbe veränderte.

»Na, wenigstens funktioniert es«, murmelte sie vor sich hin. »Und

ich muss zugeben, ›leichenblau‹ ist tatsächlich die treffendere
Bezeichnung für diese Farbe.«

Sie warf erneut einen Blick auf das Rezept.

»Und nun kommt … Tz, nicht zu glauben!«, sagte Piper und

stutzte. »Wassermolchaugen! Ich dachte, das wäre ein Mythos. Also
gibt es tatsächlich ein Rezept, in dem Wassermolchaugen verwendet
werden!«

Piper durchsuchte Großmutters alte Zutatenkiste und fand eine

verstaubte Glasflasche mit kleinen, schwarzen Kugeln darin.

134

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Angewidert schüttete sie zwei Augäpfel in ihre Hand und warf sie in
den Topf. Sie ließ das Gebräu weitere dreißig Sekunden köcheln und
füllte dann den Zaubertrank mit Hilfe des Soßenlöffels, mit dem sie
sonst den Truthahn mit Fett beträufelte (wofür er zukünftig sicherlich
nicht mehr benutzt werden würde), in ein Glasfläschchen. Dann
verschloss sie es mit einem Korken und sah auf die Uhr.

»Perfekt!«, sagte sie und steckte sich das Fläschchen in die

Hosentasche. »Gerade rechtzeitig!« Mit dem Buch der Schatten in der
Hand ging sie um die Kücheninsel herum und schlug die Seite mit der
Beschwörungsformel auf.

In diesem Augenblick zersplitterte die Kellertür und drei glitzernde

Klauenhände stießen hindurch.

»Na, super!«, schrie Piper und ließ das Buch fallen. »Habt ihr es

endlich geschafft, eure Kräfte zu vereinen? Für so etwas habe ich aber
jetzt überhaupt keine Zeit!«

Sie eilte zu der Tür und wollte die Dämonen erstarren lassen, bevor

sie in die Küche stürmen konnten. Doch da schlug ihr die Tür auch
schon entgegen und fegte sie zur Seite.

Ächzend flog Piper quer durch die Küche. Sie hörte eher als dass

sie es spürte, wie sie mit dem Kopf gegen die Anrichte knallte.

Leo!, dachte sie und ihre Augenlider zuckten schwach. Hilf mir!

Dann verlor sie das Bewusstsein. Zunächst versank sie in endlosem

Grau, bis sie von absoluter Finsternis eingehüllt wurde.

»Phoebe?«, rief Paige mit zusammengebissenen Zähnen. »Wo ist

das Portal?«

»Durchsuch mich doch!«, knurrte Phoebe.

»Wenn ich eine Hand frei hätte, würde ich das tun«, entgegnete

Paige und zog eine Grimasse.

Leider aber waren ihre Arme und Beine mit Lupercalus und seinen

tödlichen Klauen beschäftigt. Die Schwestern und der Dämon waren
immer noch in dem virtuellen blauen Gel in einen brutalen Kampf
verwickelt.

Und der Dämon hatte die Oberhand.

135

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»Ihr werdet mich niemals kriegen!«, tobte Lupercalus und wirbelte

in dem computergenerierten Gel herum. »Ein ätherischer Dämon kann
nämlich jede beliebige Gestalt annehmen«, erklärte er.

Und schon begann Max Wolf, vollständig zu verschwinden. Aus

seinem sympathischen, kantigen Gesicht wurde das eines Reptils –
grün, schleimig und verkrustet mit rauem Schorf. Seine gelben Augen
traten aus den Höhlen. Sein Körper wurde länger. Und während er aus
seiner silbrigen Robe glitt, verwandelte sich Lupercalus in ein
schleimiges, aalähnliches, über zwei Meter langes Monster.

Paige und Phoebe wechselten einen einzigen Blick. Dann schrien

sie beide wie aus einem Munde: »Piper!« Aber ihre Rufe verhallten
scheinbar ungehört, und in der Materie, die sie umfing, wurde es
unheimlich still.

Okay, dachte Paige in Panik, war wohl nichts mit unserem

Zeitportal! Dann werden wir wohl jetzt von meiner neuesten
Eroberung aufgefressen!

Paige nahm Phoebe bei der Hand und sah sie hilflos an. »Was

jetzt?«, raunte sie ihr zu.

Lupercalus umkreiste sie wie ein Raubfisch. Er zuckte mit seinem

dicken, schuppigen Schwanz und schleuderte ihnen Schaum ins
Gesicht. Dann wich er zurück und spie aus. Aber an Stelle von etwas
Nassem, Schleimigem kam pure Elektrizität aus seinem Maul. Ein
Funken sprühender Energieball zischte knapp an Phoebes Ohr vorbei.

»Ich habe diese Welt erschaffen!«, brüllte Lupercalus. »Ich habe

hier alles unter Kontrolle. Alles – auch euch! Und ich werde noch ein
bisschen Spaß mit euch haben, bevor ich euch töte, das könnt ihr mir
glauben!«

»Wie du es mit Katharina gemacht hast!«, schrie Phoebe.

Oh je!, dachte Paige, als Lupercalus unvermittelt anhielt und ein

wütendes Gebrüll ausstieß. Das hätte man wahrscheinlich auch
taktvoller sagen können …

»Also gut«, sagte Lupercalus zu Phoebe. »Wenn es das ist, was du

willst, dann töte ich dich eben sofort!«

136

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»Phoebe!«, schrie Paige. Sie begann zu hyperventilieren, als

Lupercalus zurückwich und sein Maul weit öffnete. Seine Zähne
waren lang, schartig und ekelhaft braun verfärbt.

Phoebe packte Paige bei den Schultern und starrte sie grimmig an.

»Orb!«, befahl sie.

»Was?«, keuchte Paige.

»Paige, orb uns hier raus!«, befahl Phoebe. »Bring uns nach Hause,

sonst sind wir verloren.«

»Aber meine Technik ist noch so unzuverlässig, ich weiß nicht …«

»Sofort, Paige!«, brüllte Phoebe. Dann rief sie Lupercalus zu: »Du

willst uns haben? Dann komm doch!«

»Raaaaahhh!«, brüllte Lupercalus und stürzte sich angriffslustig

auf die Schwestern.

»Aaaaaahhh!«, schrie Paige.

Sie griff nach Phoebes Arm. Und dann orbte sie.

Als der Wirbel aus weißem Licht verblasste, sah sich Paige

blinzelnd um: Sie schwebten nicht mehr in dem blauen Gel und auch
Lupercalus war nirgends zu sehen. Erleichtert stieß sie einen zittrigen
Seufzer aus. Dann blieb sie stehen, um sich die Umgebung anzusehen:
Goldgelbe Ähren, so weit das Auge reichte. Ein wolkenloser blauer
Himmel. Und ein raschelnder, friedvoller Wind.

Muuuuh.

Und … eine Kuh.

»Oh je!«, entfuhr es Paige.

»Paige«, entgegnete Phoebe, schirmte die Augen mit der Hand ab

und sah sich um. »Das … ist ein Kornfeld. Ich glaube, du hast uns
nach Iowa georbt.«

»Na ja, Iowa ist auf jeden Fall besser als Lupercalus' Zuhause,

oder?«, erwiderte Paige. »Ich hab dir doch gesagt, das Orben
funktioniert noch nicht so gut.«

137

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»Du solltest deine Technik schnell verbessern, denn ich habe

Lupercalus dazu angestachelt, uns zu folgen!«, schrie Phoebe. »Und
wenn er drauf angesprungen ist, taucht er wahrscheinlich genau in
diesem Augenblick in Halliwell Manor auf.«

»Piper!«, stieß Paige hervor. Sie nahm Phoebe an der Hand und

kniff die Augen zu. Sie konzentrierte sich, visualisierte das große
Haus und versuchte, sich durch den Himmel direkt nach Hause zu
katapultieren. Sie spürte das warme, flirrende Gefühl der wirbelnden
weißen Lichter um ihren Körper. Sie spürte die für das Orben typische
Schwerelosigkeit. Und dann öffnete sie die Augen.

»Dicht dran, Paige, aber nur fast!«, rief Phoebe.

Von einem peitschenden Wind bedrängt, klammerte sich Paige an

einen Stahlträger. Als sie nach unten blickte, sah sie viele kleine
Autos und einen breiten Strom.

»Die Golden-Gate-Brücke?«, kreischte sie. »Ich habe uns auf die

Golden-Gate-Brücke georbt?«

»Stimmt genau!«, gab Phoebe von ihrem wackeligen Posten auf

dem benachbarten Stahlträger zurück. »Und ich kann mich nicht mehr
lange halten. Versuch es noch mal!«

Paige streckte die Hand nach ihrer Schwester aus und orbte los,

sobald sich ihre Finger berührten. Als die weißen Lichter wieder
verschwanden, öffnete Paige ängstlich die Augen.

»Hurra!«, rief sie. Sie waren in der Halliwellschen Küche gelandet.

»Ich kann es nicht fassen! … Piper?«

Bestürzt entdeckte Paige Piper bewusstlos auf dem Küchenboden

liegen. Das Buch der Schatten lag neben ihr.

»Phoebe, hilf mir, Piper ins Wohnzimmer zu bringen«, sagte Paige

und eilte zu ihrer bewusstlosen Schwester.

»Ähm«, krächzte Phoebe, »der Zeitpunkt ist nicht besonders

günstig.«

Paige blickte verwirrt auf. Phoebe wich gerade vor Teddy, Charlie,

James und Cole zurück. Ihre Augen leuchteten genauso gelb wie die
von Lupercalus. Und die Kerle streckten drohend ihre Klauenhände
aus.

138

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»Kannst du mir mal helfen?«, rief Phoebe.

»Fleischklopfer!«, befahl Paige und spürte eine Hitzewelle in der

Hand, als der hölzerne Fleischklopfer hineinorbte. Dann schlich sie
sich von hinten an die vier besessenen Männer heran und verpasste
jedem einen festen Schlag auf den Kopf. Wie Dominosteine kippten
sie um.

Mit einem prüfenden Blick auf den Männerhaufen wunderte sich

Paige: »Wo ist Leo denn geblieben?«

»Keine Zeit zum Suchen«, sagte Phoebe nur und lief zu Piper. Sie

beugte sich über ihre blasse, reglose Schwester. Und da ertönte ein
wohlbekanntes Heulen in der Küche.

Paige und Phoebe hielten sich aneinander fest, als das Zeitportal

aus dem Boden brach. Die Öffnung pulsierte und leuchtete und feuerte
kleine Blitze in die Küche ab.

»Au!«, rief Paige, als ein glühender Blitz sie am Arm traf und ihr

ein Loch in ihre Lieblingsjacke aus Seide brannte. Eine heiße
Schmerzwelle schoss ihr ins Handgelenk.

»Offensichtlich ist Lupercalus deiner Einladung gefolgt«, rief sie

Phoebe durch den tosenden Wirbelwind zu. »Aber was nun? Ohne
Piper haben wir die Macht der Drei nicht. Und ich sehe nirgends den
Zaubertrank. Vielleicht hatte Piper keine Gelegenheit, ihn
herzustellen!«

»Piper!«, drängte Phoebe und schüttelte ihre Schwester sanft. »Ach

bitte, Piper, wir brauchen dich!«

»Ihr bekommt alle nur erdenkliche Hilfe!«, grollte eine

dämonische Stimme. Phoebe und Paige fuhren herum und schrien auf,
als Lupercalus mit seinem verkrusteten, schleimigen
Monsteraalkörper aus dem Zeitportal gekrochen kam. Sofort schloss
sich das Portal wieder und verschwand. Der Dämon stand nun mitten
in der Küche. Er musste seinen kahlen, schuppigen Kopf einziehen,
und trotzdem hinterließ er Dellen in der Decke, als er auf Paige
zustürmte. Sein Atem war heiß und roch nach Kabelbrand.

»Du wolltest Liebe, nicht wahr?«, rief er. »Die wollte ich auch. Ich

habe Katharina ein ganzes Königreich zu Füßen gelegt. Aber zu
deinem Pech hat sie mich abgewiesen. Aus Hochmut und
Boshaftigkeit.«

139

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»Du weißt doch gar nicht, was Liebe ist, du Monster!«, höhnte

Paige.

»Und du wirst es nie erfahren«, bellte Lupercalus. Er öffnete sein

Maul ganz weit und stürzte sich auf Paige. Sie machte sich auf den
Augenblick des Todes gefasst.

Aber stattdessen spürte sie, wie ein Schuh an ihrer Nasenspitze

vorbeifegte, denn Phoebe griff ein und verpasste Lupercalus einen
Tritt gegen den Unterkiefer. Braune, verfaulte Zähne fielen klappernd
zu Boden und der Dämon stolperte vor Schmerzen heulend rückwärts.
Paige warf sich gegen ihn und verpasste ihm mit dem Ellbogen einen
kräftigen Hieb in den Magen. Daraufhin verlor das bereits taumelnde
Monster vollends das Gleichgewicht und brach zusammen. Dabei
begrub es seinen Schwanz unter sich. Ein Blitz schoss aus seinem
Mund, als es zu Boden stürzte.

»Ich hab ihn!«, rief Phoebe und bearbeitete Lupercalus mit einer

Serie von Tritten und Schlägen. »Versuch du, Piper wieder wach zu
kriegen!«

»Okay«, entgegnete Paige atemlos und stolperte zu ihrer ältesten

Schwester. Aber da war schon jemand. Jemand mit zerzaustem Haar
und einem wilden Blick in den Augen.

»Leo!«, schrie Paige. »Neeiiiin!«

Die Vorstellung, Leo könne seine verwandelten, messerähnlichen

Finger in Pipers Brust schlagen, trieb Paige dazu, einen Satz durch die
Küche zu machen und sich auf ihn zu stürzen. Aber er reagierte kaum,
so sehr war er mit seiner Frau beschäftigt.

»Hör sofort auf damit!«, schrie Paige und riss Leo am Arm.

Aber ihr Mund klappte zu, als sie sah, was Leo tatsächlich machte.

Er war gar nicht damit beschäftigt, Piper das Fleisch mit seinen
silbrigen Krallen aufzuschlitzen. Sie waren nicht einmal ausgefahren.
Nein, Leo hatte seine hell leuchtenden Hände auf Pipers Kopf gelegt.

Einen Augenblick später schlug Piper benommen die Augen auf.

»Leo, du bist wieder da?«, fragte sie.

»Ich bin wieder da«, sagte Leo. »Ich weiß nicht, was geschehen ist.

Ich sah dich da liegen und da wurde in meinem Kopf irgendetwas

140

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abgeschaltet. Etwas Schreckliches. Ach, Piper, es tut mir so Leid, dass
ich dir etwas antun wollte!«

»Du warst es ja gar nicht, Süßer«, entgegnete Piper und schlang die

Arme um ihren Mann. »Du warst es nicht, das weiß ich.«

Über Leos Schulter hinweg erblickte sie Paige und riss erstaunt die

Augen auf.

»Paige!«, rief sie und löste sich aus Leos Umarmung. »Wie bist du

hergekommen? Habe ich die Formel aufgesagt? Und … oh mein Gott,
was ist das denn?«

Piper zeigte auf Lupercalus, der immer noch mit Phoebe kämpfte.

Er erwiderte jeden ihrer Schlage und spuckte im wahrsten Sinne des
Wortes Feuer. Hexe und Dämon schrien gleichermaßen vor Wut.
Phoebes Kräfte drohten jedoch nachzulassen. Paige sah, wie sie
bereits taumelte.

»Egal, wie wir hergekommen sind«, entgegnete Paige. »Zeit zum

Zaubern! Piper, hast du den Trank zubereitet?«

Piper griff in die Hosentasche und holte ein Fläschchen mit einer

blauen Flüssigkeit heraus. Paige nahm es an sich und rief nach
Phoebe.

»Phoebe, hierher!«

Dann wandte sie sich an Leo und zeigte auf den Haufen

bewusstloser Kerle neben dem Frühstückstisch.

»Orbst du diese Typen bitte hier raus?«, sagte sie. »Ich will nicht,

dass sie verletzt werden.«

Als Leo den Raum in einem Wirbel aus weißem Licht verließ,

blickte Phoebe über ihre Schulter. Sie wich vor Lupercalus zurück und
stolperte zu ihren Schwestern, die nebeneinander am Herd standen.
Piper legte ihr einen Arm um die Schultern, um sie zu stützen. Nach
dem Kampf mit dem Dämon konnte sie kaum noch stehen.

Aber der Dämon hatte natürlich Lust auf mehr.

»Drei kleine Jungfern, alle beieinander!«, brüllte er. »Eine gute

Gelegenheit, euch alle auf einmal zu erledigen.«

Er nahm Anlauf und räusperte sich geräuschvoll. Dann spuckte er

einen riesigen, blauen, Funken sprühenden Ball in den Raum.

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Paige zog den Korken aus dem Fläschchen mit dem Zaubertrank

und schleuderte die eisblaue Flüssigkeit in die Luft. Der Energieball
und der Zaubertrank trafen sich über der Anrichte mit einem lauten
Zischen.

»Ich hoffe, es funktioniert!«, rief Phoebe.

Und tatsächlich, der Energieball wurde von der magischen

Flüssigkeit angehalten. Er verharrte eine Weile in der Luft und
versprühte kleine Funken in alle Richtungen.

Dann fing er an, sich in die Gegenrichtung zu bewegen.

»Was zum …«, setzte Lupercalus an, aber in diesem Augenblick

wurde er bereits von seinem eigenen Geschoss erfasst. Schreiend vor
Schrecken und Schmerz explodierte Lupercalus' dämonische Gestalt
mit einem einzigen ohrenbetäubenden Knall.

Die drei Schwestern gingen in Deckung und hoben schützend die

Hände über die Köpfe. Aber statt des erwarteten Schleimregens folgte
auf die Explosion nur ein riesige Wolke aus silbrig schimmerndem
Staub, der wie ein Schwarm übernatürlicher Bienen in die Luft stieg.

»Die Formel!«, rief Piper und zog ein Stück Papier aus der Tasche.

»Alle zusammen!«

Konzentriert sagten die drei Zauberhaften unisono auf:

»Lupercalus, Dämon mit der rachsüchtigen Seele,
dass er fortan seine bösen Ziele verfehle!
Durch Katharinas Stärke und die Macht der Drei
ist es mit seiner Grausamkeit vorbei!«

Als die letzten Worte im Raum verklangen, begann die

schimmernde Staubwolke zu vibrieren und zu zucken. Dann schien sie
zurückweichen zu wollen, als wehre sie sich gegen eine Kraft, von der
sie angesaugt wurde. Aber auf Dauer konnte Lupercalus gegen die
Magie der Zauberhaften nichts ausrichten. Die Staubwolke zog sich
zusammen und zischte in das bauchige Einmachglas auf der
Küchentheke. Als auch die letzten Körnchen darin verschwunden
waren, ertönte ein schreckliches Heulen im ganzen Haus, ein
gequältes und frustriertes Wehklagen. Es war Lupercalus' letzter,
vergeblicher Ruf nach Rache.

142

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Rasch setzte Piper den Deckel auf das Gefäß und schraubte ihn fest

zu. Dann war alles still.

Als Paige und Phoebe erschöpft in sich zusammensanken, holte

Piper einen Filzstift und einen Aufkleber aus der
Schreibtischschublade.

»Rachedämon – unter KEINEN Umständen öffnen!«, schrieb sie

auf das Etikett, bevor sie es auf das Einmachglas klebte. Dann ging sie
in die Speisekammer und stellte das mit Dämonenstaub gefüllte Gefäß
auf das oberste Regalbrett und schob es ganz nach hinten.

»Spiel, Satz und Sieg!«, bemerkte Piper und drehte sich mit einem

matten Grinsen im Gesicht zu ihren Schwestern um. »Erinnert mich
irgendwie an Wimbledon! Halliwells gegen Dämon: Spiel, Satz und
Sieg.«

143

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Epilog

P

HOEBE TAPPTE AUF

Z

EHENSPITZEN

in Coles Schlafzimmer und

machte sich ans Werk. Sie stellte ein riesiges, in Folie eingepacktes
Schokoladenherz auf das Nachttischschränkchen. Dann streute sie rote
Rosenblatter über die Bettdecke. Als Nächstes schenkte sie eine Tasse
von Coles französischem Lieblingskaffee ein und hielt sie ihm unter
die Nase.

Bingo! Der Junge regte sich!

»Phoebe?«, murmelte er, blinzelte verschlafen und hob den Kopf.

»Was ist los?«

»Es ist Valentinstag, das ist los!«, erklärte Phoebe und gab Cole

liebevoll einen Kuss auf die Stirn. »Und das wirft eine sehr ernste
Frage auf: Wollen Sie mein Valentinsschatz sein, Mister Turner?«

Cole grinste Phoebe verschmitzt an. »Nur, wenn Sie meiner sein

wollen, Ms. Halliwell.«

»Trink!«, befahl Phoebe und hielt ihm die dampfende Kaffeetasse

hin. »Wie ich aus Erfahrung weiß, bist du erst bei Besinnung, wenn du
deine morgendliche Koffeindosis bekommen hast. Ich allerdings auch,
wenn ich ehrlich bin. Kann ich mal einen Schluck haben?«

Cole schlürfte genüsslich an dem Kaffee und reichte die Tasse an

Phoebe weiter. Dann nahm er eine Hand voll Rosenblätter von der
Bettdecke und streute sie ihr verspielt über den Kopf.

»Hey, du machst ja das ganze romantische Arrangement kaputt!«,

protestierte Phoebe lachend.

Cole musste auch lachen. Dann verdüsterte sich seine Miene ein

wenig und er zog Phoebe in seine Arme.

»Phoebe, bist du wirklich ganz sicher, dass es das ist, was du

willst?«

»Dein Valentinsschatz sein?«, fragte Phoebe immer noch grinsend.

»Meine Verlobte sein«, entgegnete Cole ernst. »Diese ganze

Lupercalus-Geschichte war … nun, zumindest doch recht
aufschlussreich.«

144

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Phoebe schlug schuldbewusst die Augen nieder.

»Ich habe dir noch nicht erzählt, was mit Josh im alten Ägypten

passiert ist«, sagte sie. »Aber jetzt sage ich es dir.«

Sie spürte, wie Cole in ihrer Umarmung erstarrte. Mit stählernem

Blick sah er sie an. »Okay, ich bin bereit.«

»Josh hat mir dort erklärt, was in unserer Beziehung falsch

gelaufen ist«, erklärte Phoebe. »Während wir beobachteten, wie
Maxentius die heilige Katharina folterte, erlebten wir unsere eigene
kleine Folter: Aufarbeitung der Vergangenheit.«

»Und …?«, fragte Cole mit zusammengebissenen Zähnen.

»Und ich habe begriffen, was das Problem an dieser Beziehung

war«, sagte Phoebe und legte Cole die Hände an die Wangen. »Josh
ist eben nicht so wie du. Cole, ich bin unheimlich froh, dass ich dich
habe! Nicht nur, weil du stark und clever und ein total scharfer Typ
bist, sondern weil … du keine Angst hast, eine sich rumprügelnde
Frau mit übersinnlichen Kräften zu heiraten, die sehr, sehr eng mit
ihren Schwestern verbandelt ist.«

»Wenn ich das so höre«, entgegnete Cole, »dann muss ich mir das

doch noch mal überlegen!«

»Du-hu!«, fuhr Phoebe auf und boxte ihm kichernd auf den Arm.

»Aber mal im Ernst«, sagte Cole. »Ich bin nicht nur froh, dass ich

dich habe, Phoebe, ich bin auch sehr stolz auf dich. Deine Stärke ist
einfach nur gut. Für mich … und für uns.«

Dem wusste Phoebe nichts mehr hinzuzufügen. Zärtlich schmiegte

sie sich an ihren Schatz und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

»Apropos Stärke«, murmelte sie, während Cole an ihrem

Ohrläppchen knabberte. »Was zudem stark an mir ist, ist mein
Appetit. Lass uns mal in die Küche schleichen und ein bisschen
frühstücken.«

»Gute Idee!«, entgegnete Cole.

Sie warfen sich rasch ihre Bademäntel über und schlichen die

Treppe hinunter.

145

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»Leise!«, raunte Phoebe Cole über die Schulter zu, als sie durch

das Esszimmer in die Küche tappten. »Es ist so schön, wenn wir die
Küche ganz für uns … Oh, hallo Leute!«

Piper, die im Schlafanzug auf dem Küchentisch saß, schreckte auf.

Und Leo, der eine in Schokoladensoße getauchte Erdbeere über ihrem
Mund hatte kreisen lassen, lief knallrot an.

»Beim Fummeln erwischt!«, rief Phoebe.

»Wir wünschen euch auch einen fröhlichen Valentinstag!«, sagte

Piper und sah Cole und ihre Schwester in gespielter Verärgerung an.

»Wahrscheinlich steht uns allen der Sinn nach Liebe, weil uns nun

kein verbitterter Rachedämon mehr in den Köpfen herumpfuscht«,
sinnierte Phoebe. Und während Leo und Cole sich an den Tisch
setzten, ging sie zum Kühlschrank. Mit einer Schüssel Eier und einem
Päckchen Butter kam sie wieder.

»Natürlich hatte keiner von uns eine solche Unordnung im Kopf

wie Paige«, sagte Piper schuldbewusst. Sie holte ein selbst gebackenes
Vollkornbrot aus dem Brotkasten und fing an, es aufzuschneiden.

»Du hast Recht«, entgegnete Phoebe. »Es ist schon ein Hammer.

Da sucht sie nach Liebe und womit wird sie konfrontiert? Rache, Tod,
Zeitreisen, Dämonen …«

»Es muss eine tiefere kulturelle Botschaft dahinterstecken«,

bemerkte Cole.

»Ach was, das sind doch nur die üblichen Drangsale des Single-

Lebens«, erwiderte Phoebe. »Was bin ich froh, dass ich das hinter mir
habe!«

»Wirklich?«, fragte Cole misstrauisch und sah Phoebe tief in die

Augen.

Phoebe legte die Eier zur Seite, die sie gerade in die Schüssel

schlagen wollte, und setzte sich auf Coles Schoß.

»Wirklich!«, versicherte sie ihm und küsste ihn auf die Wange.

»Jetzt reicht es aber«, ermahnte Piper die anderen. »Ich finde, wir

sollten uns heute Paige gegenüber besonders sensibel verhalten. Sie
hat sich doch nur auf dieses Spielchen mit Kiss.com eingelassen, weil

146

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sie jemanden für den Valentinstag finden wollte. Unter Umständen hat
sie heute Morgen sehr schlechte Laune.«

»Guuuuten Morgen, ihr Lieben!«, rief Paige, die in diesem

Augenblick in die Küche platzte. »Was gibt's zum Frühstück, Ma?«

»Oh, wie wäre es mit einem Omelette?«, gab Piper zurück und

studierte unauffällig Paiges Gesicht. Hatte sie etwas von dem
Gespräch mitbekommen?

»Cool«, sagte Paige nur und setzte sich auf den Stuhl neben Cole

und Phoebe. »Kannst du meins bitte zuerst machen? Ich muss in ein
paar Minuten los.«

»Kein Problem«, antwortete Piper und übernahm wie gewohnt die

Frühstücksvorbereitungen.

Dingdong.

»Ach, diese schreckliche Klingel!«, sagte Phoebe und rutschte von

Coles Schoß auf einen eigenen Stuhl. Sie schüttelte sich. »Seitdem die
höllischen Verehrer für Paige vor der Tür Schlange standen, hasse ich
dieses Geräusch!«

»Ähm, Phoebe«, zischte Piper ihr zu und drohte ihr mit dem

Schneebesen. »Du erinnerst dich doch daran, was ich gerade über
sensibles Verhalten gesagt habe?«

Aber Paige bekam gar nichts mit.

»Ich gehe schon!«, trällerte sie und flitzte aus der Küche.

»Also, für jemanden mit Liebeskummer ist Paige aber recht

fröhlich!«, bemerkte Phoebe. »Und was hat sie an? Ein enges,
trägerloses Top und einen Minirock. Das scheint mir fürs Büro ein
wenig gewagt – sogar bei Paige!«

»Na, vielleicht gehe ich ja gar nicht direkt zur Arbeit«, meinte

Paige, die mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht zurück in
die Küche kam. In den Armen hielt sie drei riesige Blumensträuße.

»Von wem sind die denn?«, staunte Piper.

147

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»Ich weiß es nicht. Sehen wir doch mal nach!«, antwortete Paige

grinsend. Sie griff in die Arrangements aus pinkfarbenen Rosen und
Hortensien und fischte drei Karten heraus.

»Ach, Just James!«, sagte sie, als sie die erste gelesen hatte. »Ist ja

klasse! Und Teddy hat sich daran erinnert, wie gern ich Wicken mag.
Und von wem ist diese seltsame Karte? Oh! Von Lung Chow!«

»Paige?«, schaltete sich Phoebe ein. »Ich bin ehrlich verwirrt.

Waren deine Verehrer nicht alle totale Blindgänger?«

»Waren sie auch, aber jetzt sind sie die reinsten Granaten!«,

antwortete Paige. »Ihr hattet ganz Recht. Lupercalus hat mich total
verhext. Aber als ich den Jungs noch eine Chance gegeben habe und –
was noch wichtiger ist – sie mir, fand ich plötzlich einen
unwiderstehlicher als den anderen.«

»Anrüchig wie eh und je«, murmelte Leo grinsend.

»Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört, denn ich muss

weg«, sagte Paige, streckte Leo die Zunge raus und grinste. Dann
holte sie Sweeties Transportbox aus dem Schrank.

»Sweetie!«, rief sie. »Zeit für deinen Check-up!«

Sweetie, die wahrscheinlich angenommen hatte, es gäbe was zu

futtern, kam in die Küche getrottet. Paige schob die schlanke
Siamkatze in die Box und machte das Gittertürchen fest zu.

»Darf ich fragen, wohin du mit ihr willst?«, fragte Phoebe.

»Zum Tierarzt«, antwortete Paige unschuldig. »Nur ein kleiner

Check-up. Keine Sterilisation, großes Ehrenwort!«

»Und dieser Tierarzt, ist das zufällig so ein netter rothaariger

Typ?«, hakte Piper nach.

»Ein kussverdächtiger rothaariger Typ«, ergänzte Phoebe.

»Sagen wir mal so«, entgegnete Paige und stolzierte mit der

Katzenbox zur Tür. »Dieses Jahr werde ich auf jeden Fall einen ganz
zauberhaften Valentinstag erleben.«

148


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