Deutsche Literatur
Faust
Leben des Galilei
Nathan der Weise
Die Räuber
Brecht: "Leben des Galilei"
Autor Entstehung Inhalt Wertung Historie
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"Ich, Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik und Physik in Florenz, schwöre ab, was ich gelehrt habe, daß die Sonne das Zentrum der Welt ist und an ihrem Ort unbeweglich, und die Erde ist nicht Zentrum und nicht beweglich. Ich schwöre ab, verwünsche und verfluche mit redlichem Herzen und nicht erheucheltem Glauben alle diese Irrtümer und Ketzereien sowie überhaupt jeden anderen Irrtum und jede andere Meinung, welche der Heiligen Kirche entgegen ist." Widerruf Galileis, 1633 |
a) Der Autor
Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Brechts unsystematisches Studium der Naturwissenschaften, der Medizin und vor allem der Literatur wurde 1918 durch seinen Dienst als Sanitätssoldat in einem Lazarett unterbrochen, eine Zeit, die ihn zum erbitterten Kriegsgegner machte. In diesem Jahr schrieb er sein erstes, anarchistisch-nihilistisches und expressionistisches Drama „Baal“, dem neben Theaterkritiken und Kurzgeschichten „Trommeln in der Nacht“ folgten. „Baal“ wurde 1922 an den Münchner Kammerspielen - wo Brecht als Dramaturg wirkte - uraufgeführt und begründete seinen Ruf als Dramatiker. 1924-26 war Brecht Dramaturg bei Max Reinhardt in Berlin und studierte gleichzeitig intensiv den Marxismus. 1927 wurde „Mann ist Mann“ uraufgeführt und seine erste Gedichtsammlung „Hauspostille“ herausgegeben. Ein Jahr später errang er mit der von Kurt Weill vertonten „Dreigroschenoper“ einen Welterfolg. Mit den „Anmerkungen zu Mahagonny“ formulierte Brecht 1928 erstmals seine Vorstellungen vom „epischen Theater“, in dem den Zuschauern keine Illusionen geboten werden, sondern echte Konflikte, die sie aktiv mit durchdenken und entscheiden sollen. Weniger theoretisch als die sozialistischen Lehrstücke, darunter „Der Jasager“ und „Der Neinsager“ (1930) und „Kleines Organon für das Theater“ (1948), waren seine Dramen, die politische Verhaltensweisen behandelten wie „Die hl. Johanna der Schlachthöfe“ (1929-31) und „Die Mutter“ (1931-32). 1933 flüchtete Brecht, inzwischen überzeugter Sozialist, mit seiner Frau Helene Weigel durch viele Länder, bis sie 1941 in die USA gelangten. Zwischenzeitlich (1935-39) war er in Moskau Mitherausgeber der Exil-Monatsschrift „Das Wort“ und schrieb satirische Gedichte für den Deutschen Freiheitssender. Die Zeit der Emigration war Brechts fruchtbarste Schaffensperiode. So entstanden neben anderen Meisterdramen „Leben des Galilei“ (1938), „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1939) und „Der kaukasische Kreidekreis“ (1944/45). Außer Gedichten, die den marxistischen Dichter als politischen Moralisten erscheinen lassen, entstanden realistisch-aktuelle Dramen wie „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (1934-38) und „Das Verhör des Lukullus“ (1939).
Nach dem Krieg ging Brecht, dem die Alliierten die Einreise in die Westzonen verweigerten, nach Ost-Berlin. Mit seiner Frau gründete er 1949 das „Berliner Ensemble“, das zur eigenständigsten und wichtigsten Experimentierbühne Europas heranwuchs.
Brechts vielseitige dramatische Dichtung, verbunden mit stetem Klassenkampf, hatte den Zwiespalt zwischen menschlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, zwischen dem Glücksverlangen des einzelnen und der Notwendigkeit des Opfers an die Gemeinschaft zum ständig wiederkehrenden Thema. Seine teils realistischen, teils grotesken und satirischen Erzählun-gen, Gedichte, Balladen und Moritaten machten ihn trotz seiner äußerlichen Bejahung der kommunistischen Weltanschauung zu einem der einflußreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Aber die Resignation in Brechts Werken aus der Zeit nach dem Bau der Berliner Mauer ist unverkennbar, ebenso wie die Hohlheit der satirischen Feierlichkeit der politischen Huldigungsgedichte.
Zu Brechts Werken gehören u. a. Romane, Hörspiele, Dialoge, Pamphlete, Prosa und das Ballett „Die sieben Todsünden (der Kleinbürger)“ (1933) mit Vorlagen aus der gesamten Weltliteratur. Posthum veröffentlicht wurden seine Schriften über Literatur, Kunst, Politik und Gesellschaft.
Brechts Formen des Theaters
Brecht war Lyriker, Erzähler und vor allem Dramatiker. Er gilt als Schöpfer einer neuen Form des Theaters, das „epische Theater“. Seine Ansichten über diese neue Form hat er in 15 Heften „Versuche“ niedergelegt. 1957 wurden diese unter dem Titel „Schriften zum Theater“ herausgegeben.
Beim epischen Theater werden die Szenen ohne dramatischen Aufbau nebeneinander gereiht. Mit dieser Form des Theaters versucht Bertolt Brecht durch die erzählende Form, durch Provokationen, Ansagen und Spruchbänder den Zuschauer aus seiner passiven Haltung zu lösen und ihn zu kritischer Stellungnahme zu bewegen. Es soll nicht Furcht oder Mitleid erzeugt, sondern lehrreich gezeigt werden, wie der Mensch sich verhält oder verhalten soll. Zu diesem Zweck laufen Brechts Stücke nicht wie im Theater üblich zu Höhepunkt, Katastrophe und Lösung zu, sondern werden immer wieder argumentierend durch Songs unterbrochen. Der Schauspieler muß aus dem Illusionsstil gelöst und der Zuschauer zum Nachdenken über das Gezeigte angeregt werden. Der Schauspieler darf sich nicht vollends in seine Rolle vertiefen. Er ist nicht die Person, er spielt sie nur.
Brecht stellte seine Form des Theaters dem dramatischen Theater gegenüber:
Dramatische Form |
Epische Form |
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handelnd |
erzählend |
verwickelt den Zuschauer in die Bühnenaktion |
macht den Zuschauer zum Betrachter |
ermöglicht ihm Gefühle |
erzwingt von ihm Entscheidungen |
Suggestion |
Argument |
er Zuschauer steht mittendrin |
der Zuschauer steht gegenüber |
er erlebt |
er studiert |
Mensch als bekannt vorausgesetzt |
Mensch als Gegenstand der Untersuchung |
der unveränderliche Mensch |
der veränderliche und verändernde Mensch |
Spannung auf den Ausgang |
Spannung auf den Verlauf |
eine Szene für die andere |
jede Szene für sich |
des Denken bestimmt das sein |
das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken |
Gefühl |
Ratio |
Seine wichtigsten Werke
1. Bühnenstücke
„Baal“ (1918)
„Trommeln in der Nacht“ (1919)
„Im Dickicht der Städte“ (1923)
„Mann ist Mann“ (1926) - Lustspiel
„Die Dreigroschenoper“ (1928)
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (1928/29)
„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (1929/30)
„Die Gewehre der Frau Carrar“ (1937)
„Das Leben des Galilei“ (1938)
„Mutter Courage und ihre Kinder“ (1938/39)
„Die Tage der Kommune“ (1945)
2. Erzählende Dichtung
„Der Dreigroschenroman“ (1934)
„Kalendergeschichten“ (1949)
„Geschichten vom Herrn Keuner“ (1948)
„Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“ (1949)
„Flüchtlingsgespräche“ (1961)
3. Lyrik
„Hauspostille“ (1927)
„Lieder, Gedichte, Chöre“ (1939)
„Svendborger Gedichte“ (1939)
„Hundert Gedichte 1918 bis 1959“ (1951)
„Die Erziehung der Hirse“ (1952)
b) Entstehung des Werkes
1. Dänische Fassung (1938 / 1939)
Brecht war auf der Flucht vor Hitler in Dänemark, als er die erste Fassung des Stückes schrieb. Er informierte sich über die historische Figur Galileis und ließ sich durch Assistenten des dänischen Atomphysikers Niels Bohr in naturwissenschaftlichen Einzelfragen sachkundig machen. Brecht selbst sagt:
"Das 'Leben des Physikers Galilei' wurde in jenen finsteren Monaten des Jahres 1938 geschrieben, als viele den Vormarsch des Faschismus für unaufhaltsam und den endgültigen Zusammenbruch der westlichen Zivilisation für gekommen hielten."
In dieser Zeit las Brecht auch in dänischen Zeitungen die Nachricht, daß im Deutschen Reich dem Physiker Otto Hahn und seinen Mitarbeitern die Spaltung des Uran-Atoms gelungen sei. Der dadurch möglich gewordene Bau einer Atombombe hätte Hitlers Triumph perfekt machen können. In dieser Situation lag es nahe, sich anhand der exemplarischen Gestalt Galileis mit der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft zu beschäftigen. Allerdings schien Brecht zunächst in der Wissenschaft durchaus auch eine Kraft zu sehen, die ihre Erkenntnisse listig gegen den Zugriff der Mächtigen bewahren kann und damit ein Beispiel des Widerstandes liefert. Die erste Fassung wurde am 7.9.1943 am Züricher Schauspielhaus uraufgeführt.
Die Schweizer Zeitungen faßten in ihren Rezensionen Galilei als Sieger auf, weil seine neue Wissenschsft sich schließlich doch durchgesetzt habe. Brecht stellte nun mit Unwillen fest, daß offenbar der Eindruck entstanden war, er als Autor billige den Widerruf seines Galileis. Später schrieb Brecht zu diesem Thema:
"In der ersten Fassung des Stücks war die letzte Szene anders. Galilei hatte in großer Heimlichkeitdie "Discorsi" geschrieben. Er veranlaßt anläßlich eines Besuchs seinen Lieblingsschüler Andrea, das Buch über die Grenze ins Ausland zu schmuggeln. Sein Widerruf hatte ihm die Möglichkeit verschafft, ein entscheidendes Werk zu schaffen. Er war weise gewesen. In der kalifornischen Fassung bricht Galilei die Lobeshymnen seines Schülers ab und beweißt ihm, daß der Widerruf ein Verbrechen war und durch das Werk, so wichtig es sein mochte, nicht aufgewogen. Wenn es jemanden interessieren sollte, dies ist auch das Urteil des Stückeschreibers."
2. Amerikanische Fassung (1945-1947)
1945 lebte Brecht seit einiger Zeit in Kalifornien in den USA. Hitlers Ende war nun absehbar. Mit dem berühmten Schauspieler Charles Laughton, der die Titelrolle spielen sollte, arbeitete Brecht an einer Übersetzung des "Gailei" ins Englische und an einer Aufführung (1947 realisiert). Da erreichte ihn die Nachricht vom Abwurf einer amerikanischen Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima. Dies wurde für ihn zum Anlaß, eine zweite, veränderte Fassung des Stücks zu schreiben:
"Von heute auf morgen las ich die Biographie des Begründers der neuen Physik anders. Der infernalische Effekt der Großen Bombe stellte den Konflikt des Galilei mit der Obrigkeit seiner Zeit in ein neues, schärferes Licht."
Brecht fragte sich nun, wieso die wissenschaftlichen Fortschritte sich derart von den Interessen der Menschen, von Freiden und einem möglichst gerechten und guten Leben, entfernen konnten. Die Antwort suchte er in der Figur des Galilei, wie er sie jetzt sah. In neu eingefügten bzw. veränderten Szenen wurde Galilei zum Verräter, der sich selbst den Mächtigen auslieferte, statt die Hilfe des Eisengießers Vanni anzunehmen.
3. Berliner Fassung (1954-1956)
Wieder hat sich die Situation völlig gewandelt. Nach seinem Verhör in den USA durch Kommunistenjäger ist Brecht in die DDR gegangen, den kommunistischen Staat auf deutschem Boden. Dies entspricht einerseits seiner politischen und gesellschaftlichen Überzeugung, andererseits hat man ihm ein äußerst verlockendes Angebot gemacht: Im "Theater am Schiffbauerdamm" in Ostberlin, soll eine Bühne nur für seine neue Auffassung vom Theater entstehen. (Dieses Theater, "Berliner Ensemble" genannt gibt es bis heute.) Im "Berliner Ensemble" führte man den "Galilei" 1957 (nach Brechts Tod) auf. Für diese Aufführung hatte Brecht die dritte Fassung geschrieben. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von der amerikansichen Fassung- Das Pendel scheint ein wenig zurückzuschwingen, wenn etwa die "Rede auf die neue Zeit", die das Pathos des großen Wissenschaftlers Galilei zeigt, wieder auftaucht. Zugleich wird aber die negative Zeichnung und Selbstverurteilung Galileis erneut verschärft. Zum Beispiel tritt die Forderung nach einem hippokratischen Eid hinzu, die verdeutlichen soll, welche große Chance Galilei durch seine Feigheit vertan hat.
c) Der Inhalt
Das Stück spielt im Italien der frühen Neuzeit. Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik in Padua, will das neue kopernikanische Bild des Universums beweisen.
Hintergrund - Alte und Neue Wissenschaft
Die über Jahrhunderte maßgebliche Auffassung des griechischen Philosophen Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) und des Astronomen Ptolemäus (100 - 160) besagt: In der Mitte des Kosmos befindet sich die Erde. Die Planeten und Sterne, einschließlich des Mondes und der Sonne, umkreisen sie, befestigt an kristallinen Sphären („Glaskugeln“). So sieht es auch die Kirche als gottgegeben an. (Geozentrisches Weltbild)
Der Astronom Nikolaus Kopernikus (1473-1543) widersprach diesem Weltbild. Er meinte: Die Erde umkreist die Sonne. Diese steht im Mittelpunkt des Alls. Welche Gesetzmäßigkeiten satt der Sphären die Planeten auf ihren Bahnen halten, finden die Wissenschaftler erst später heraus. (Heliozentrisches Weltbild)
Kurzinhalte der einzelenen Bilder
Szene |
Jahr |
Ereignisse |
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1 |
1609 |
Galilei beschwört "neue Zeit" |
2 |
1609 |
Fernrohr „erfunden“ |
3 |
10.01.1610 |
Umsiedlung nach Florenz |
4 |
1610 |
Unglaube besiegt Vernunft (keiner schaut ins Fernrohr) |
5 |
k.A. |
Pest; setzt Forschungen trotzdem fort; Andrea kehrt zurück, um zu helfen; zeigt, daß es Sinn hat, für Vernunft zu kämpfen |
6 |
1616 |
Forschungsinstitut des Vatikans bestätigt Galileis Lehre - die Vernunft siegt |
7 |
5.03.1616 |
Inquisition setzt Kopernikanische Lehre auf Index; Galilei wird aufgefordert, von der Lehre Abstand zu nehmen |
8 |
1616 |
Mönch wird zum Forschen ermutigt |
9 |
1624 |
Papstwechsel ermutigt Galilei zur Wiederaufnahme der astronomischen Forschungen |
10 |
1632 |
Theorien vom Volk aufgenommen; Popularisierung des neuen Weltbildes |
11 |
1633 |
Auslieferung an die Inquisition |
12 |
1633 |
Preisgabe der wissenschaftlichen Tätigkeit |
13 |
1633 |
Widerruf Galileis |
14 |
1633-1642 |
Galileis Analyse der Situation; Abschrift der "Diskorsi" |
15 |
1637 |
"Diskorsi" kommt über die Grenze; Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters |
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von Ralf Willer
1. Bild
Galileo Galilei, Lehrer der Mathematik zu Padua, will das neue kopernikanische Weltbild beweisen.
In seinem ärmlichen Studierzimmer erklärt Galilei dem Knaben Andrea Sarti das System des Kopernikus. Galilei behauptet:
1. Das Zeitalter des Glaubens geht zu Ende, das des Zweifels und einer neuen Wissenschaft beginnt.
2. Das gesamte Weltbild verändert sich: Und die Erde rollt fröhlich um die Sonne, und die Fischweiber, Kaufleute, Fürsten und die Kardinäle und sogar der Papst rollen mit ihr.
Frau Sarti, die Haushälterin, drängt Galilei, den jungen Ludovico zum Unterricht anzunehmen. Sie kann sonst die Milchrechnung nicht bezahlen. Ludovico berichtet von einer neuen Erfindung aus Holland: dem Fernrohr.
2. Bild
Galilei überreicht der Republik Venedig eine neue Erfindung.
Der Kurator der Universität Padua würdigt die Vorteile des von Galilei nachgebauten Fernrohrs für den Seekrieg. Der Linsenschleifer Federzoni stellt das Gerät ein, der venezianische Doge schaut hindurch. Galilei erhält eine Gehaltserhöhung.
3. Bild
10. Januar 1610: Mit Hilfe des Fernrohrs entdeckt Galilei am Himmel Erscheinungen, welche das kopernikanische Weltsystem beweisen. Von seinem Freund vor den möglichen Folgen seiner Forschungen gewarnt, bezeugt Galilei seinen Glauben an die menschliche Vernunft.
Die hölländischen Fernrohre werden an jeder Straßenecke billig verkauft. Der Kurator sieht sich getäuscht. Galilei und sein Freund Sagredo richten das Fernrohr auf den Himmel. Man sieht:
1. Berge auf dem Mond
2. die vier Jupitermonde.
Dies beweist:
1. Die Unterscheidung von Erde und Himmel ist sinnlos (weil es auch auf dem Himmelskörper Mond „irdische“ Landschaften gibt).
2. Es gibt keine Kristallsphären (die die Monde ja durchstoßen würden).
Sagredo warnt Galilei am Beispiel des Verbrannten vor den Folgen seiner Behauptungen. (Er meint damit Giordano Bruno [1548-1600]). Dieser hatte ebenfalls dem Weltbild der Kirche widersprochen und endete dafür auf dem Scheiterhaufen). Galilei aber bekundet daraufhin seinen Glauben an die Vernunft:
„Ja, ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft über die Menschen. Sie können ihr auf Dauer nicht widerstehen.“
4. Bild
Galilei hat die Republik Venedig mit dem Florentiner Hof getauscht. Seine Entdeckungen durch das Fernrohr stoßen in der dortigen Gelehrtenwelt auf Unglauben.
In Florenz bemüht Galilei sich demütig um den Großherzog, ein neunjähriges Kind. Die Gelehrten dort weigern sich, durch das Fernglas zu sehen. Sie wollen lieber disputieren: “Können solche Planeten existieren?”
5. Bild
Uneingeschüchtert durch die Pest setzt Galilei seine Forschungen fort.
Er weiß: Ich habe mächtige Feinde und muß beweise für gewisse Behauptungen sammeln. Alles flieht aus der Stadt. Frau Sarti erleidet einen Zusammenbruch, erholt sich aber wieder. Sie und Andrea bleiben bei Galilei.
6. Bild
1616: Das Collegium Romanum, Forschungsinstitut des Vatikans, bestätigt Galileis Entdeckungen.
In einem Saal des Collegium Romanum in Rom wird Galilei von Mönchen und Gelehrten verspottet. Ein sehr angesehener Kardinal beschimpft ihn als Feind des Menschengeschlechts. Der Mensch, Gottes Geschöpf und Krone der Schöpfung, könne nicht auf ein “kleines, abseitiges und immerfort weglaufendes Gestirnlein” versetzt werden. Der päpstliche Astronom Christopher Clavius bestätigt jedoch Galileis Entdeckungen.
7. Bild
Aber die Inquisition setzt die kopernikanische Lehre aud den Index (5. März 1616).
Im Hause des Kardinals Bellarmin findet ein Ball statt. Galilei wird freundlich empfangen und kann mit dem Gastgeber und mit Kardinal Barberini ein wissenschaftliches Streitgespräch führen. Zwei Sekretäre aber protokollieren. Dann wird Galilei von Bellarmin mitgeteilt, daß die Lehre von Kopernikus für ketzerisch erklärt sei. Der Kardinal Inquisitor zieht bei Galileis Tochter Virginia Erkundigungen ein.
8. Bild
Ein Gespräch.
Der kleine Mönch, Sohn eines einfachen Bauern aus der Campagna, meint, die tiefere Weisheit des Verbots verstanden zu haben. Dem niederdrückend harten Leben der Campagna-Bauern verleihe nur die von der Kirche garantierte Ordnung einen Sinn. Sie sollen sich, von Gott behütet, in der Mitte der Welt sehen. “Es ist ihnen versichert worden, daß das Auge der Gottheit auf ihnen liegt, forschend, ja beinahe angstvoll, daß das ganze Welttheater um sie aufgebaut ist, damit sie, die Agierenden, in ihren großen und kleinen Rollen sich bewähren können. Was würden meine Leute sagen, wenn sie von mir erführen, daß sie sich auf einem kleinen Steinklumpen befinden, der sich unaufhörlich drehend im leeren Raum um ein anderes Gestirn bewegt, einer unter sehr vielen, ein ziemlich unbedeutender.” Galilei widerspricht. Er verurteilt die Ausbeutung der Bauern durch Kirche und Obrigkeit und meint, der Papst wolle nur weiterhin den "Stuhl Petri" (das heißt die Kirche) im Mittelpunkt der Welt sehen. Der Möch fängt daraufhin an, sich für Galileis Schriften zu interessieren.
9. Bild
Nach achtjährigem Schweigen wird Galilei durch die Thronbesteigung eines neuen Papstes, der selbst Wissenschaftler ist, ermutigt, seine Forschungen auf dem verbotenen Feld wieder aufzunehmen. Die Sonnenflecken.
Im Hause des Galilei in Florenz sind seine Schüler versammelt: Federzoni, der Mönch und Andrea Sarti, inzwischen ein junger Mann. Man forscht weiter, unter anderem über die Sonnenflecken. Ein abtrünniger Schüler wird von Galilei hinausgeworfen: “Wer die Wahrheit nicht weiß, ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!” Virginia, die sich inzwischen mit Galileis ehemaligem Schüler Ludovico verlobt hat, und Frau Sarti nähen Wäsche für die Aussteuer. Ludovico bringt die Nachricht, daß Kardinal Barberini - ein Wissenschaftler - Papst wird. Galilei fühlt sich zu erneutem Forschen ermutigt. Seine Tochter wird daraufhin von ihrem Verlobten verlassen: Ludovico fürchtet, daß die von ihm und den anderen herrschenden Familien unterdrückten Campagna-Bauern rebellieren, wenn Galilei sich durchsetzt. Galilei überlegt, in der Sprache des Volkes, also in Italienisch, zu schreiben, statt, wie unter Gelehrten üblich, in Latein.
10. Bild
Im folgenden Jahrzehnt findet Galileis Lehre im Volk Verbreitung. Pamphletisten und Balladensänger greifen überall die neuen Ideen auf. Während der Fastnacht 1632 wählen viele Städte Italiens als Fastnachtumzüge die Astronomie.
Auf einem Marktplatz stellen Schausteller Galilei als Bibelzertrümmerer, Volksfreund und Gesellschaftsveränderer dar: “Jetzt soll sich mal die Herrin, he! Um ihre Dienstmagd drehn.”
11. Bild
1633: Die Inquisition beordert den weltbekannten Forscher nach Rom.
Während des Wartens im Medici-Palast in Florenz erscheint der Eisengießer Vanni, für den Galilei eine Schmelzanlage entworfen hat. Er lobt das fortschrittlichere und liberalere Ausland und bietet Galilei an, ihn aus dem von Kirche und Fürst beherrschten Florenz in Sicherheit zu bringen. Dieser aber verläßt sich auf sein gutes Verhältnis zu den Mächtigen und weist Vanni brüsk zurück. Als Galilei endlich beim Großherzog vorgelassen wird, teilt man ihm mit, daß er an die Heilige Inquisition nach Rom ausgeliefert wird.
12. Bild
Der Papst
Die vielfachen politischen Verwicklungen sowie Pest, Krieg, Reformation, so argumentiert der Kardinal Inquisitor, dulden nicht, daß der Eindruck entsteht, die offizielle Haltung der Kirche in der Frage der Astronomie sei falsch gewesen. Galilei sei gefährlich: “Dieser Galilei hat schon als junger Mensch über die Maschinen geschrieben. Mit den Maschinen wollen sie Wunder tun. Was für welche? Gott brauchen sie jedenfalls nicht mehr, aber was sollen es für Wunder sein? Zum Beispiel soll es nicht mehr Oben und Unten geben.” Widerstrebend stimmt der Papst zu, daß man Galilei die Folterinstrumente zeigt.
13. Bild
Galileo Galilei widerruft vor der Inquisition am 22. Juni 1633 seine Lehre von der Bewegung der Erde.
Im Palast des florentinischen Gesandten warten Galileis Schüler auf Nachrichten. Von Galileis Widerruf sind sie enttäuscht. Andrea meint: “Unglücklich das Land, das keine Helden hat!” Der gebrochene Galilei erscheint und sagt: “Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.”
14. Bild
1633-1642. Galileo Galilei lebt in seinem Landhaus in der Nähe von Florenz, bis zu seinem Tod ein Gefangener der Inquisition. Die “Discorsi”.
Der alte und fast blinde Galilei wird von seiner Tochter im Sinne der Kirche überwacht. Galilei diktiert ihr eine Stellungnahme gegen aufrührerische Seiler. Genau wie die Kirche es will, ergreift er damit nun die Partei der Herrschenden, obwohl er sich einst doch gegen die Ausbeutung des Volkes ausgesprochen hatte. Andrea erscheint und berichtet, daß Galileis Widerruf der neuen Wissenschaft überall geschadet und der Kirche und Obrigkeit genutzt habe. Zum Beispiel habe der französische Wissenschaftler Descartes einen Traktat (eine Schrift) über das Licht zurückgezogen.
Dann überrascht Galilei Andrea aber doch mit der Mitteilung, daß er hier in der Verbannung ein wichtiges grundlegendes Buch über die neue Wissenschaft geschrieben hat, die “Discorsi”. Er gibt es Andrea heimlich mit. Andrea ist begeistert und lobt Galileis List: Durch den Widerruf habe er sich die Möglichkeit geschaffen, dieses Werk zu verfassen. Galilei aber gibt zu, aus Angst vor körperlichem Schmerz widerrrufen zu haben. Entschuldigend meint Andrea, die Wissenschaft kenne nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag. Galilei aber weiß, daß er die Wissenschaft verraten hat, deren Aufgabe es ist, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu mindern und die Menschen aufzuklären: “Ich hatte als Wissenschaftler eine einzigartige Möglichkeit. In meiner Zeit erreichte die Astronomie die Marktplätze. Unter diesen ganz besonderen Umständen hätte die Standfestigkeit eines Mannes große Erschütterungen hervorrufen können. Hätte ich widerstanden, hätten die Naturwissenschaftler etwas wie den hippokratischen Eid der Ärzte entwickeln können, das Gelöbnis, ihr Wissen einzig zum Wohle der Menschheit anzuwenden! Wie es nun steht, ist das höchste, was man erhoffen kann, ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können.”
15. Bild
1637. Galileis Buch “Discorsi” überschreitet die italienische Grenze.
In einer kleinen italienischen Grenzstadt wird Andrea am Schlagbaum von Zöllnern überprüft. Seine List, in den “Discorsi” zu lesen, statt sie im Koffer zu schmuggeln, wirkt. Er gelangt mit dem Buch ungehindert über die Grenze.
d) Wertung
Brechts Interesse an der historischen Gestalt des Galilei läßt sich auf überraschende Parallelen in der Biographie beider Persönlichkeiten zurückführen:
Beide sahen sich als
Vertreter einer neuen Zeit, (Brecht: Zeitalter des Kommunismus)
(Galilei: Zeitalter der Wissenschaft)
die ihre Utopie gegen eine
übermächtig erscheinende Ordnung (Brecht: Kapitalismus / Faschismus)
(Galilei: Papstkirche)
durchzusetzen hatten. Beide zogen angesichts gesellschaftlicher Unterdrückung
Mittel der List (Brecht: Theaterstücke / Gedichte („Widerruf“ 1947))
(Galilei: Widerruf seiner Lehre, Abschrift "Discorsi")
jeder Form von märtyrerhaften Heldentum vor. Beide halten einen starken
pädagogischen Ansatz (Brecht: Episches Theater)
(Galilei: Weitergabe des Wissens an Andrea und Mönch)
im Glauben an die Vernunft aller Menschen.
Wie Galilei in der Astronomie, so hatte sich auch Brecht in der Poetik mit dem Dogma des Aristoteles auseinanderzusetzen.
Analyse des achten Bildes: Gespräch zwischen Galilei und dem kleinen Mönch
1. Von welcher Grundüberzeugung geht der kleine Mönch aus ?
2. Mit welchen Argumenten versucht er, das Dekret zu rechtfertigen ? Was sind die zentralen Textstellen ? Welches ist das Hauptargument ?
3. Wie reagiert Galilei ? Welche Beweggründe nennt er ?
4. Gibt es eine gemeinsame Wertvorstellung ?
5. Von welchen Wahrheits- und Vernunftvorstellungen gehen Priester und Physiker aus ? Mit welchen Verweisen versucht Galilei, den „Physiker“ im „Priester“ anzusprechen ?
6. Formulieren Sie zu den beiden gegensätzlichen Positionen jeweils die entscheidende These!
7. Welches Bild vom Menschen steht hinter der jeweiligen Argumentation ?
8. Welche Funktion haben die gedrängten Fragen Galileis ?
1.
Der kleine Mönch geht von der Überzeugung der Kirche aus. Er zweifelt jetzt allerdings am Dekret, da er nicht weiß, wie er dieses Dekret mit den Trabanten des Jupiters, die er sah, in Einklang bringen soll. Deshalb will er sich von der Astronomie abwenden.
2.
Nach Ansicht des kleinen Mönchs, birgt die Weiterführung der Lehre Galileis nicht nur die Gefahr der Inquisition (Folter usw.), sondern auch die Gefahr, daß die einfachen Leute den moralischen Halt verlieren, wenn sie jetzt feststellen, daß die Erde nicht der von Gott erwählte Mittelpunkt der Welt ist. Dieses einfachen Leute würden nach Meinung des Mönchs ausgenutzt und müßten sehr hart arbeiten. Wenn ihnen jetzt die Aussichten auf eine bessere Zukunft und die Gnade Gottes genommen würden, würden sie den moralischen Halt verlieren und nicht mehr wissen, wofür sie so hart arbeiten. Als Beispiele für solch einfache Menschen führt er seine Familie an.
Dieses wird zum Beispiel durch die folgenden Textstellen belegt:
„Es ist ihnen versichert worden, daß das Auge der Gottheit auf ihnen liegt, forschend, ja beinahe angstvoll, daß das ganze Welttheater um sie aufgebaut ist, damit sie, die Agierenden, in großen oder kleinen Rollen sich bewähren können.“ (S.75f), „Wozu ist jetzt noch solche Geduld ... befunden wird?“ (S.76) und „Es liegt also kein Auge und Schleppen kein Verdienst.“ (S.76).
3.
Galilei meint im Gegensatz zum kleinen Mönch, daß diese „kleinen Leute“ eben aus diesem Grunde ein Recht hätten, die Wahrheit zu erfahren („Warum ist nichts da? Warum .... zu arbeiten.“ (S.76)). Seiner Ansicht nach erkennt die Kirche die neue Lehre nur nicht an, um ihre Macht zu erhalten und eine Auflehnung des Volkes zu verhindern. Er denkt, daß die Bauern mit ihrer Arbeit den Luxus und die Kriege zahlen, ohne letzten Endes etwas davon zu haben.
4.
Beide Vorstellungen, die des Mönchs und die des Galilei, entsprechen sich in sofern, daß beide das Beste für die kleinen Leute wollen. Der Mönch möchte dieses, indem er den Glauben an Gott und den moralischen Halt aufrechterhält, während Galilei das Wohl durch die Wahrheit erreichen will. Er glaubt, daß die Bauern trotzdem den Glaube an Gott nicht verlieren, während der Mönch an eine Demotivation der Bauern durch die Wahrheit glaubt.
5.
Für die Physiker entspricht das der Wahrheit, was sie mit eigenen Augen sehen bzw. was sie beweisen können. Die Priester beharren auf dem alten Weltbild, da dieses den Vorstellungen der Bibel entspricht, auf welche sich die christliche Religion aufbaut.
Galilei versucht den Mönch darauf hinzuweisen, daß man die Tatsachen nicht ewig verfälschen kann. Er meint man sollte möglichst alles verstehen und führt dazu auch Beispiele aus der Geschichte an. Weiterhin könnte auch anderes durch die Forschung verständlich werden - „Wir können nicht Maschinen erfinden ... Besenstielen erklärt werden.“ (S.78). Weiterhin fragt er, ob er die Leute anlügen solle, ob das gerecht wäre. (S.77).
6.
Galilei denkt, daß man den Menschen nicht irgend etwas erzählen könne, nur weil man meint, daß es besser für die Menschheit und deren Moral sei. Seiner Ansicht nach hat der Mensch ein Recht die Wahrheit zu kennen.
Der Mönch möchte den Menschen durch die Vorenthaltung der neuen Lehre nicht die Hoffnung auf ein besseres Leben nehmen. Laut dem Mönch arbeiteten sie sich ab, ohne etwas davon zu haben und ohne das es sich lohne. Deshalb will er eventuellen Revolten durch den Glauben an die Gerechtigkeit vorbeugen.
7.
Hinter Galileis Argumentation steht ein Mensch, der versteht, wofür er arbeitet auch wenn er weiß, daß seine Heimat nicht der Mittelpunkt der Welt ist. Er glaubt an einen Menschen der geistig aufgeklärt ist und deshalb wissen muß, wie die Wahrheit aussieht. Auch nach der Kenntnis dieser neuen Lehre wird Galileis Mensch noch an Gott glauben. Kurz: er stellt sich einen Menschen vor, der durch die Wahrheit motiviert und durch die Unwahrheit demotiviert wird.
Hinter der Argumentation des Mönchs steht ein Mensch, der nur das versteht und verstehen will, was er für sein Leben braucht. Ein solcher Mensch würde nach der neuen Lehre, ohne das Wissen wo und ob Gott ist, demoralisiert sein und nicht mehr wissen, wofür er arbeitet.
8.
Die Fragen haben die Funktion, den Mönch auf die Mißstände hinzuweisen. Letztenendes bringen sie den Mönch dazu, sich doch für die Lehren des Galilei zu interessieren und sich doch nicht von der Astronomie abzuwenden. Dieses kommt besonders am Schluß der Szene zum Ausdruck, als Galilei dem Mönch einen bestimmten Satz erklärt.
Da diese Taktik der Fragestellung in der ganzen Szene vorkommt, geht der Mönch unweigerlich auf diese Fragen ein und erkennt, daß Galilei vielleicht doch nicht so ganz unrecht hat. Als der Mönch dann zum Schluß doch noch ein Manuskript liest, zeigt Galilei ihm durch diese Fragen, daß man sich nicht verleugnen kann. Er hatte also Erfolg: der Mönch interessiert sich dann doch noch für die Physik.
e) Der Fall Galileo Galilei
Eine historische Betrachtung mit anschließender Wertung
Der größte Physiker unseres Jahrhunderts sagte über Aristoteles: „Man kann kaum moderne Atomphysik betreiben, ohne die griechische Naturphilosophie zu kennen.“ Am Beispiel dieses Zitats zeigt sich, wie die Philosophie des Aristoteles, obwohl sie nach heutigen Erkenntnissen voller Fehler ist, bis ins 20. Jahrhundert wirkt. Ihre Geschlossenheit, ihr harmonisches Bild vom Kosmos, ihre kristallenen Himmelssphären, ihre zentrale Lage der Erde im Weltall, ihr Mensch als Mittel- und Höhepunkt der Schöpfung, all das und noch viel mehr war so attraktiv, daß kleine Ungereimtheiten gerne verziehen wurden. So behauptete Aristoteles, daß Fliegen acht Beine hätten (ein genauer Blick zeigt, daß es sechs sind) oder daß das Gehirn des Menschen ein bloßes Organ zum Kühlen des Kopfes sei.
Aristoteles war jahrhundertelang einer der Lieblingsphilosophen der katholischen Kirche. Der Grund ist leicht verständlich, deckte er doch weite Bereiche der Naturwissenschaften ab, die von der Bibel eher spärlich behandelt werden. Der Mittelpunkt des Kosmos war die Erde. Dies war eine der zentralen Aussagen des Aristoteles, und diese Aussage wurde bis ins 16. Jahrhundert nicht in Zweifel gezogen.
1543 veröffentlichte der „Kanonikus“ und „Bistumsverweser“ Nikolaus Kopernikus sein an Papst Paul III gerichtetes Hauptwerk "Sechs Bücher über die Umdrehungen der Himmelskörper". Kopernikus konnte keine Beweise im heutigen Sinne vorlegen, daher argumentierte er philosophisch. Für ihn lag der Mittelpunkt der Welt in Sonnennähe. Die Spötter stellten sich bald ein, und die aristotelische Physik genügte ungeprüft allemal, um Kopernikus als lächerlich hinzustellen. Die Kirche akzeptierte Kopernikus' Ideen als "Hypothese", und die Causa wurde rasch ad acta gelegt.
Im Jahre 1609 brach aber ein Sturm los. Ein italienischer Gelehrter namens Galileo Galilei blickte durch sein Fernrohr und entdeckte Unerhörtes:
1. die Mondoberfläche war, im Gegensatz zur bisherigen Annahme, von Gebirgen und Tälern zerfurcht,
2. die Zahl der Sterne war wesentlich größer als angenommen,
3. der Planet Jupiter hatte Monde,
4. der Planet Venus zeigte Phasen wie der Mond und
5. die Sonne zeigte merkwürdige Fleckenmuster.
Galilei ging nicht gerade zimperlich vor. Er suchte Streit, wo er nur konnte und legte sich mit zahlreichen Gelehrten an. Die Kirche wäre an seinen Ideen zunächst wenig interessiert gewesen, doch einige Dominikanermönche machten die Inquisition mit Nachdruck darauf aufmerksam, daß die Ideen eines Kopernikus höchst brisant seien und von Ketzern unterstützt werden. Man muß wissen, daß die damalige Kirche weniger an naturwissenschaftlichen als an politischen Geschehnissen interessiert war.
Am 23. Februar 1616 trat das Congregatio qualificationum zusammen und verurteilte die wichtigsten Lehrsätze Galileis (Sonne ist der Mittelpunkt des Weltalls) als häretisch, philosophisch unhaltbar und theologisch irrig. Der Jesuit Kardinal Bellarmin wurde beauftragt, Galilei aufzufordern, die von der Kongregation zurückgewiesenen Behauptungen aufzugeben. Bellarmin sprach so dann mit Galilei, und sonderbarerweise ist bis zum heutigen Tag unklar, worüber Bellarmin und Galilei wirklich sprachen und welche Vereinbarungen sie dabei trafen.
Im März 1616 indizierte Rom alle Bücher, die behaupteten, die kopernikanische Lehre widerspreche nicht der Heiligen Schrift. Diese Maßnahme geschah nach neueren Erkenntnissen vor allem deshalb, weil zahlreiche revolutionäre und abtrünnige Theologen die kopernikanische Lehre als Vehikel im Kampf gegen die Kirche oder sogar das Haus Habsburg einzusetzten pflegten. Galilei indessen kümmerte sich herzlich wenig um die ganze Geschichte. Er rechnete im Bedarfsfalle mit der Hilfe einiger Kardinäle, die als Hobby-Astronomen Galileis Ideen durchaus etwas abgewinnen konnten. Der bekannteste seiner Freunde war der Florentiner Maffeo Kardinal Barberini, der spätere Papst Urban III.
Im Jahre 1632 erschien Galileis Buch "Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme", in dem die kopernikanische Lehre mit Nachdruck verteidigt wurde. Kein geringerer als Albert Einstein sagte über dieses Werk: „Da offenbart sich ein Mann, der den leidenschaftlichen Willen, die Intelligenz und den Mut hat, sich als Vertreter des vernünftigen Denkens der Schar derjenigen entgegenzustellen, die auf die Unwissenheit des Volkes .... sich stützend, ihre Machtpositionen einnehmen und verteidigen. Seine ungewöhnliche schriftstellerische Begabung erlaubte es ihm, zu den gebildeten seiner Zeit so klar und eindrucksvoll zu sprechen, daß er das Denken der Zeitgenossen überwand und sie zu einer objektiven, kausalen Einstellung zum Kosmos zurückführte, die mit der Blüte der griechischen Kultur der Menschheit verlorengegangen war.“
Galilei wurde daraufhin von Papst Urban III nach Rom zitiert, wo man ihn des Ungehorsams beschuldigte. Er habe, so meinten die Kardinäle der Inquisition, den seinerzeitigen Befehl von Kardinal Bellarmin mißachtet. Galilei legte jedoch einen als Leumundszeugnis erkennbaren Brief von Kardinal Bellarmin vor, angeblich jenes Schriftstück aus dem Jahre 1616, welches eigentlich Galileis Verwarnung enthalten sollte. Das Tribunal war so verblüfft, daß der Prozess vertagt wurde. Galilei hoffte auf einen großzügigen Kompromiß, doch er täuschte sich. Der Prozeß gegen ihn war ein Schachzug der Inquisition, der sich in Wahrheit gegen die Anhänger des Giordano Bruno, des Tommaso Campanella und gegen andere Abweichler richtete. Dieser Bruno, ein radikaler theologischer Revolutionär und früher Kämpfer für die kopernikanischen Ideen, war wegen Ketzerei verurteilt und im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, wobei der erwähnte Kardinal Bellarmin eine wichtige Rolle spielte. Tommaso Campanella, der zweite Ketzer im Bunde, war ein abtrünniger Dominikanermönch und ebenfalls Anhänger der kopernikanischen Lehre. Weil er in Süditalien einen Volksaufstand organisiert hatte, wurde er 1599 eingekerkert und gefoltert. All diese Hintergründe spielten beim Prozeß eine entscheidendere Rolle als die naturwissenschaftlichen Lehrinhalte.
Am 22.Juni 1633 wurde Galilei verurteilt. Tatsächlich hatte nicht "die Kirche" Galilei verurteilt, sondern eine Fraktion, die damals zufällig noch eine Mehrheit bildete und hinter den Ideen des Kopernikus eine kämpferische Ideologie vermutete. Neidische Kollegen besorgten noch ein übriges, und der fatale Fehler war geschehen. Es ist bis heute nicht restlos geklärt, wie stark die Angst der Richter vor den Ideen eines Bruno und Campanella tatsächlich war. Obwohl Galilei aus Angst vor der Folter abschwor und die kopernikanische Lehre verleugnete, wurde er zunächst zu lebenslangen Kerker verurteilt, später aber zu Hausarrest begnadigt. Er starb 1642 verbittert in seinem Haus in Florenz.
Galileis Methode, den empirischen Test zum Prüfstein wissenschaftlicher Hypothesen zu machen, lief wie ein Flächenbrand über Europa. Der alten aristotelischen Methode des Nachdenkens und Nachlesens wurde die neue Methode des Experiments zur Seite gestellt. Spätere Naturwissenschaftler, wie z.B. Isaac Newton, mußten keine Kämpfe mehr gegen die Inquisition bestehen. Der Jesuit Rupert Lay schreibt dazu: „Meist erringt das Alte noch einmal einen letzten verzweifelten Sieg, oft ein Pyrrhussieg, einer Niederlage zum Verwechseln ähnlich. Aber auch dem Neuen ergeht es kaum besser. Scheitern und Sieg liegen so eng beisammen, daß erst die Geschichte ein endgültiges Urteil sprechen kann.“
Interessant an Galileis Geschichte sind die Folgen. Die katholische Kirche ist heute bemüht, sich in naturwissenschaftliche Fragen und Erkenntnisse nicht einzumischen. Diese Einsicht ist achtenswert, schafft aber auch Probleme. Dort, wo engagierte Christen auf Worte der Kirche warten, werden sie mitunter enttäuscht. So haben sich viele Theologen massiv gegen jede Nutzung der Kernenergie ausgesprochen, aber die Glaubenskongregation in Rom konnte sich nicht zu deutlichen Worten aufraffen. Diese wissenschaftliche Zurückhaltung erklärt sich aus der Angst, die Fehler des 17. Jahrhunderts zu wiederholen. So konzentriert man sich auf politische Fragen und Bereiche zwischenmenschlicher Beziehungen, wie etwa Liebe, Ehe, Empfängnisregelung oder künstliche Befruchtung. In diesen Bereichen sprach die Glaubenskongregation oder der Papst sehr deutlich zu den Gläubigen, spart aber Bereiche, die die Wissenschaft unmittelbar tangieren, aus.
Im Herbst 1992, fast 360 Jahre nach der Verurteilung Galileis, wurde dieser von Papst Johannes Paul II. rehabilitiert. Gaililei hatte diese Rehabilitierung nicht mehr nötig, dies hat in der Zwischenzeit die Geschichte für ihn besorgt.
von Rudolf Öller
Die Galilei-Manuskripte (Seite in englischer Sprache)