Augustinus
„Was also ist die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, dann weiß ich es; soll ich es aber einem Frager klarmachen, dann weiß ich es nicht; trotzdem aber behaupte ich voll Selbstvertrauen, ich wüßte, daß es keine Vergangenheit gäbe, wenn die Zeit nicht abliefe, und keine Zukunft, wenn nichts herankäme, und keine Gegenwart, wenn nichts gegenwärtig wäre.
Doch jene zwei Zeiten, Vergangenheit und Zukunft, wie kann es sie geben, wenn die Vergangenheit schon nicht mehr und die Zukunft noch nicht gegenwärtig ist? Wäre jedoch das Gegenwärtige ständig gegenwärtig, ohne zu vergehen, dann wäre es schon nicht mehr Zeit, sondern Ewigkeit. Findet also die Gegenwart, um Zeit zu sein, deshalb statt, weil sie vorübergeht, wie kann man dann behaupten, daß auch das sei, dessen Sein dadurch zustande kommt, daß es nicht sein wird, so daß wir hier überhaupt nur deshalb von Zeit sprechen können, weil es darnach trachtet, nicht mehr zu sein?“
(Confessiones, 261)
„Kann man aber an der Zeit etwas feststellen, was sich in keinerlei, auch nicht in noch so kleine Teilchen von Augenblicken zerlegen läßt, dann hat man das, was man als `gegenwärtig' bezeichnen kann; dies aber geht in einer so ungeheuren Schnelligkeit vom Zustand des Zukünftigen in den des Vergangenen über, daß sich keine noch so kleine Zeitspanne ausmachen läßt. Denn will man dieses Teilchen in die Länge ziehen, dann teilt es sich wieder in Vergangenes und Zukünftiges, während das Gegenwärtige einfach über keine Spanne verfügt.“
(ebd., 263)
„So läßt sich dann mit aller Klarheit feststellen, es gibt weder eine Zukunft noch eine Vergangenheit, und man kann nicht im eigentlichen Sinn behaupten, es gäbe die drei Zeiten, nämlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; es ließe sich höchstens sagen, es gebe drei Zeiten, nämlich die Gegenwart des Vergangenen, die Gegenwart des Gegenwärtigen und die des Zukünftigen. Diese drei haben gewissermaßen in der Seele ihr Sein, und anderswo kann ich sie nicht sehen; am Vergangenen ist das Erinnern gegenwärtig, am Gegenwärtigen das unmittelbare Schauen, am Künftigen das Erwarten. Ist es mir erlaubt so zu sagen, dann sehe ich drei Zeiten und verstehe auch, daß es drei sind.“
(Confessiones, 266)