Aufier der Vorliebe fiir senkrechte Linien, die sich in der Kleidung durch Gugel= haube, Schnabelschuhe und Schleppe verrat, hatte die Gotik, wie erwahnt, auch Sinn fiir das Konstruktive. Die Kleider enthiillten die Linien des Korpers. Bei den Frauen begann nun das Spiel mit dem armellosen oberen Kleid. Das Armelloch wurde tfergrófiert und das untere Kleid so eng gehalten, dafi es sich der Figur anschmiegte — eine sehr raffinierte Art, auf die weiblichen Reize aufmerksam zu machen. Gewissermafien rahmte man die Gestalt mit den oft pelzbesetzten Armellochern ein, die zuerst ganz bescheiden waren (224.), dann aber grofier und grófier wurden, bis von dem oberen Teil des Oberkleides nur noch ein kleiner Streifen vorn und hinten iibrig blieb. Um 1370 hatte das Spiel mit dem seitlich ausgeschnittenen Oberrock seinen Hohepunkt erreicht, doch selbst hundert Jahre spater war der Reiz des Einfalls noch nicht vergessen (vergleiche 317). Unbeachtet konnte eine solche Modę nicht bleiben, und der iiberwaltigende Erfolg bestatigte sich auch. Fenetres d'enfer, Hollenfenster, nannte man die weiten Armelausschnitte. Das Wort sollte ais Warnung vor den verlockenden Reizen des Frauenkorpers gelten.
233) Frauenkleid mit ,Hollenfenster'. 236) Mann in lan-gem, weitem Ubergewand, der Houppelande, mit schleppen* den, am Rand ausgezackten Armeln. Um 14x0. 237) Frau« entrachten. Zwei Gewander mit Schleppe und langherab* hangenden Zierdrmeln. Um 1410. 238) Zwei Gewander mit langen, trichterfórmigen Armeln. Der Kopfputz geht mehr in die Breite ais in die Hóhe. Um 1410.
239) Mdnnerkleidung, dreifarbig mit tiefsitzendem Gurtel. Um 1410. 240) Aufgeschlitzter Brokatrock mit tiefsitzendem Gurtel. Um 1410. 241) Reiter im Ubergewand, der Houppelande. Um 1410. 242) Mdnnerkleidung mit gezack-tern Rand und tiefsitzendem Gurtel. Um 1410.