Obraz8 (15)

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und eines von ihnen schien mir plótzlich bekannt - es war, so schien mir, der Mann, der damals das Plakat getragen und mir das Biichlein in die Hand gedruckt hatte.

In dem Augenblick, da ich ihn zu erkennen glaubte, wandte er sich um, biickte sich, machte sich an seinen schwarzen Hosen zu schaffen, die er umstandlich uber den Schuhen hockkrempelte, und lief dann hurtig davon, einen Regen-schirm unter den Arm geklemmt. Ich lief ihm nach, holte ihn ein, nickte ihm zu, doch schien er mich nicht zu erkennen.

„Ist heute keine Abendunterhaltung?" fragte ich und ver-suchte ihm zuzublinzeln, so wie Mitwisser von Geheimnis-sen es untereinander tun. Aber es war allzu lange her, seit solche mimische Ubungen mir gelaufig waren, hatte ich bei meiner Lebensweise doch beinahe das Sprechen verlernt; ich fiihlte selbst, dali ich nur eine dumme Grimasse schneide.

„Abendunterhaltung?" brummte der Mann und sah mir fremd ins Gesicht. „Gehen Sie in den Schwarzen Adler, Mensch, wenn Sie Bediirfnisse haben."

Ich war in der Tat nicht mehr gewifi, ob er es sei. Ent-tauscht ging ich weiter, ich wufite nicht wohin, es gab keine Ziele, keine Bestrebungen, keine Pflichten fur mich. ScheuGlich bitter schmeckte das Lcben, ich fiihlte, wie der seit langem gewachsene Ekel seine Hóhe erreichte, wie das Leben mich ausstiefi und wegwarf. Wutend lief ich durch die graue Stadt, alles schien mir nach feuchter Erde und Be-grabnis zu riechen. Nein, an meinem Grabę durfte keiner von diesen Totenvógeln stehen, mit seinem Talar und sei-nem sentimentalen mitchristlichen Gesausel! Ach, wohin ich blicken, wohin ich die Gedanken schickęn mochte, nir-gends wartete eine Freude, nirgends ein Zuruf auf mich, nirgends war Lockung zu spiiren, es stank alles nach fauler Verbrauchtheit, nach fauler Halbundhalbzufriedenheit, es war alles alt, welk, grau, schlapp, erschópft. Lieber Gott, wie war es móglich? Wic hatte es mit mir dahin kommen kón-nen, mit mir, dem befliigelten Jtingling, dem Dichter, dem Freund der Musen, dem Weltwanderer. dem gliihenden Idealisten? Wie war das so langsam und schleichend iiber mich gekommen, diese Liihmung, dieser Hafi gegen mich und alle, diese Ycrstopftheit aller Gefiihle, diese tiefe bose

Verdrossenheit, diese Dreckhóile der Herzensleere und Verzweiflung?


AJs ich an der Bibliothek voruberkam, begegnete mir ein junger Professor, mit dem ich friiher hie und da ein Ge-sprach gefiihrt hatte, den iCh bei meinem letzten Aufenthalt in dieser Stadt, vor einigen Jahren, sogar mehrmals in seiner Wohnung aufgesucht hatte, um mit ihm iiber orientalische Mythologien zu reden, ein Gebiet, mit dem ich damals vicl beschaftigt war. Der Gelehrte kam mir entgegen, ais ich schon im Begriff war, an ihm voriiberzugehen. Er stiirzte sich mit grofier Herzlichkeit auf mich, und ich, in meiner jammerlichen Verfassung war ihm halb und halb dankbar dafur. Er war erfreut und wurde lebhaft, erinnerte mich an Einzelheiten aus unsern einstigen Gesprachen, versicherte, dafi er meinen Anregungen viel verdanke und oft an mich gedacht habe; selten habe er seitdem so angeregte uńd er-giebige Auseinandersetzungen mit Kollegen gehabt. Er fragte, seit wann ich in der Stadt sei (ich log: seit wenigen Tagen) und warum ich ihn nicht aufgesucht habe. Ich biickte dem artigen Mann in sein gelehrtes gutes Gesicht, fand die Szene eigentlich lacherlich, genofi aber doch wie ein verhungerter Hund den Brocken Warme, den Schluck Liebc, den Bissen Anerkennung. Geruhrt grinste der Step-penwolf Harry, im trocknen Schlunde lief ihm der Geifer zusammen, Sentimentalitat bog ihm wider seinen Willen den Riicken. Ja, ich log mich also eifrig heraus, dafi ich nur voriibergehend hier sei, studienhalber, und mich auch nicht recht wohl fiihle, sonst hatte ich ihn naturlich einmal be-sucht. Und ais er mich nun herzlich einlud, doch diesen Abend bei ihm zu verbringen, da nahm ich dankbar an, bat ihn, seine Frau zu grufien, und dabei taten mir beim eifri-gen Reden und Lacheln die Backen weh, welche diese An-strengungen nicht mehr gewohnt waren. Und wahrend ich, Harry Haller, da auf der Strafie stand, iiberrumpelt und ge-schmeichelt, hóflich und beflissen, und dem freundlichen Mann in das kurzsichtige gute Gesicht lachelte, stand der andere Harry daneben und grinste ebenfalls, stand grinsend und dachte, was ich doch fur ein eigentiimlicher, verdreht'er und verlogener Bruder sei. dafi ich vor zwei Minuten noch gegen die ganze verfluchte Welt grimmig die Zahne ge-fletscht hatte und jetzt beim crsten Anruf, beim ersten

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