Obraz 4 (6)

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chen wieder hereingebracht, und der gelehrige Mensch gab sein Letztes her und spieite den Wolf, daG es eine Lust war. Mit Fingern und Zahnen packte er die schreienden Tier-chen, riG ihnen Fetzen von Feli und Fleisch heraus, kaute grinsend ihr lebendiges Fleisch und soff hingegeben, trun-ken mit wollust-geschlossenen Augen, ihr warmes Blut. Entsetzt floh ich durch die Tiir hinaus. Dieses magische Theater, sah ich, war kein reines Paradies, alle Hollen lagen unter seiner hiibschen Oberflache. O Gott, gab es denn auch hier keine Erlósung?

Angstvoll lief ich auf und ab, spiirte den Geschmack von Blut und den Geschmack von Schokolade im Munde, cinen ebenso haGlich wie den andern, wiinschte sehnsuchtig, die-ser triiben Welle zu entrinnen, rang inbriinstig in mir selbst um ertraglichere, freundlichere Bilder. „O Freunde, nicht diese Tóne!" sang es in mir, und mit Entsetzen erinnerte ich mich an jene scheuGlichen Photographien von der Front, die man wahrend des Krieges zuweilen zu Gesicht bekommen hatte, an jene Haufen ineinander verknaulter Leichname, dereń Gesichter durch Gasmasken in grinsende Teufelsfratzen verwandelt waren. Wie ich damals noch dumm und kindlich gewesen, ais ich mich, ein menschen-freundlich gesinnter Kriegsgegner, iiber diese Bilder entsetzt hatte? Heute wuGte ich, daG kein Tierbandiger, kein Minister, kein General, kein Irrsinniger Gedanken und Bilder in seinem Gehirn auszubriiten fahig war, die nicht ebenso scheuGlich, ebenso wild und bose, ebenso roh und dumm in mir selber wohnten.

Aufatmend erinnerte ich mich jener Inschrift, der ich vor-her, beim Beginn des Theaters, jenen hubschen Jiingling so stiirmisch hatte folgen sehen, der Inschrift:

Alle Madchen sind dein


und es schien mir, alles in allem, doch eigentlich nichts an-deres so begehrenswcrt wie dieses. Froh dariiber, der ver-fluchten Wolfswelt wieder entrinnen zu kónnen, ging ich hinein.

Wundcrlich - so sagenhaft und zugleich so tief vertraut, daG ich aufschaucrte - kam mir hier der Duft meiner Ju-gend entgegengeweht, die Atmosphare meiner Knabcn-und Jiinglingszeit, und in meinem Herzen floG das Blut von damals. Was ich eben noch getan und gedacht hatte und ge-wesen war, sank hintcr mir hinab, und ich war wieder jung. Noch vor einer Stunde, noch vor Augenblicken hatte ich recht wohl zu wissen geglaubt, was Liebe, was Begehren, was Sehnsucht sei, aber das war die Liebe und Sehnsucht ei-nes alten Mannes gewesen. Jetzt war ich wieder jung, und was ich in mir fiihlte, dieses gliihend flieGende Feuer, diese gewaltig ziehende Sehnsucht, diese wie Tauwind im Marz auflósende Leidenschaft, war jung, neu und echt. Oh, wie brannten die vergessenen Feuer wieder auf, wie schwellend und dunkcl klangen die Tóne des Ehemals, wie bliihte es flackernd im Blut, wie schrie es und sang in der Seele! Ich war ein Knabe, funfzehn oder sechzehn Jahre alt, mein Kopf war voll von Latein und Griechisch und schónen Dichterversen, meine Gedanken voll von Streben und Ehr-geiz, meine Phantasien voll von Kunstlertraum, aber viel tiefer, starker und furchtbarer ais all diese lodernden Feuer brannte und zuckte in mir das Feuer der Liebe, der Hunger des Geschlechts, die zehrende Vorahnung der Wollust.

Ich stand auf einem der Felshiigel iiber meiner kleinen Hei-matstadt, es roch nach Tauwind und ersten Veilchen, aus dem Stadtchen blitzte der FluG herauf und die Fenster mei-nes Vaterhauses, und das alles blickte, klang und roch so rauschend voll, so neu und schópfungstrunken, strahlte so farbentief und wehte im Friihlingswinde so iiberwirklich und verklart, wie ich einst in den vollsten, dichterischen Stunden meiner ersten Jugend die Welt gesehen hatte. Ich stand auf dem Hugel, der Wind strich mir durchs lange Haar; mit irrender Hand, in traumerische Liebessehnsucht verloren, riG ich vom eben ergriinenden Gebiisch eine jungę halboffene Blattknospc, hielt sie vors Auge, roch an ihr (und schon bei diesem Geruch fiel alles von damals mir wieder gliihend ein), dann faGtc ich das kleine griine Ding spielend mit den Lippen, die noch immer kein Madchen ge-kiiGt hatten, und begann es zu kauen. Und bei diesem her-ben, aromatisch bitteren Geschmack wuGte ich plótzlich ge-nau, was ich erlebe, alles war wieder da. Ich erlebte eine Stunde aus meinem letżten Knabcnjahre wieder, einen Sonntagnachmittag im ersten Friihling, jenen Tag, an dem

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