122
zu unterscheiden. Dieser Gedanke leuchtete bereits Winckelmann ein, ais er die Phasen der griechischen Kunstentwicklung ver-folgte. Diese Moglichkeit kam aber Schiller erst klar zum Be-wussfcsein, ais er sein Schaffen mit dom Schaffen Goethes zu-sammenstellte. Thr Gegensat.z war fiir ihn ein typischer und entsprang ihrer yerschiedenen Haltung der Wirklichkeit. goge-niiber. Von diesem Standpunkte ans fiilirt Schiller die ganze Mannigfaltigkeit der poetischen Erscheinungen auf zwei entge-gengesetzte Richtungen zurtick, die er ais naive und sentimenta-lische bezeichnet. Beide Ty pen sind gleichwertig und der eine kann vom Standpunkte des anderen niclit beurteilt werden. Der naive Dichter ist ein Realist, der sentimentalische ein Edealist, er sfcellt. namlich der Wirklichkeit sein Ideał entgegen, an dem er sie missfc und umgestaltet. Schiller hafc selbst seinen '.typus mit bewunderungswiirdiger Richtigkeit erkannt, wobei er die Ergebnisse der modernen Wissenschaft antizipierte. Sein Typus beruht nach Dilthey auf dem Idealismus der Freiheit. Dieser Typus lebt in einer bestandigen Anspaunung aller seiner Krafto, die auf Erreichung eines vorgezeichneten Ideals ausgeht Es ist ein fortschreitender, aktiver Typus. Indem wir die Haltiuig Schillers der Wirklichkeit gegeniiber priifen, finden wir die Bestatigung seiner Zugehorigkeit zum bezeichneten Typus. Ans dem Gefiihl eines Zwiespaltes zwischen dem Ideał der Freiheit und der Wirklichkeit enstand in der esten Periode seines Schaffens eine Reihe von revolutionaren Dr amen, dereń Mittelpunkt der Kampf zwi-schen einem nach Freiheit strebonden Individuum und den ihm feindlichen ausseren Macliten in der Gosellschaffc bildet. In der zweiten Periode wird der Schwerpunkt auf den inneren Kampf yerlegt, welchen der Mensch in seiner Brust zwischen der Freiheit und der Notwendigkeit, zwischen der Sittlichkeit und der Sinnlichkeit ausfechten muss. Diosen Kampf fasst Schiller tragisch auf und dem Versuch, ihn theoretisch zu erfassen, widmete er
mehrere Abhandlungen, die fiir das Verstandnis seiner Dramen
• •
von grosster AVichtigkeit sind. In der Abhandlung »Uber das Pathotischo« legte Schiller die Gesetze der tragischen Dichtkunst fest. Diese lauten: das erste Gesetz der tragischen Dichtkunst ist die Darstellung der leidenden Natur, das zweite die Darstellung des moralischen Widerstandes gegen das Leiden. Deshalb fordert Schiller vom tragischen Dichter Pathos ais erste und unerlassliche