ziehens des Nationalen in der burgerlichen Gesellschaft, und hier wird er in beispielloser Deutlichkeit gezeigt. Wird es aber nicht diesen wesentlichen Sinn beibehalten - ohne Riicksicht auf unklare Ver-deckungen und sophistische Halsbrechereien - in allen Gesellschafts-formen, solange in ihnen ais Klassen bestehen, also auch im Sozia-lismus? Kein quasipolitisches Kokettieren mit der groften staatenbil-denden Tradition, mit dem tiefverwurzelten nationalen Bewufitsein, mit der ungeheuren Mehrheit, die hinter uns marschiert, mit der Eu-phorie der Nationallieder, Embleme und Fahnen12 kann mich vom Gegenteil iiberzeugen. Ich wiederhole: weder bin ich, noch will ich dasselbe sein wie biirokratische Parasiten, Taugenichtse, Liigner, Schmeichler und Speichellecker und Denunzianten, auch wenn die Angehórige der selben Nation sind, wenn sie in der selben Sprache schreiben, diese selbe Sprache sprechen, auf dem selben Boden leben wie ich.
Man miifite sich aber fragen, warum das Hervorheben des Nationalen eine so breite Unterstiitzung hat. Vor allem deshalb, weil sich die alten biirokratischen Strukturen tatsachlich in einem solchen Ausmafi kompromittiert haben, dafi alles, was auch nur den Anschein des Neuen hat, attraktiv und anziehend wird. Das Graue, das Abgestan-dene, alte langweilige Phrasen, an die keiner mehr glaubt, fade Di-rektiven und leblose Schemata, die Wiederholung dienstlich-beamtli-cher Tiraden bis zur Endlosigkeit, all diese sumpfige und sauerliche Atmosphare ist ein fruchtbarer Boden fur alles, was wenigstens ein bifichen den Beigeschmack des Neuen tragt, und was bis dahin sogar ab und zu verboten war oder nur schwer toleriert. Aber der Kampf gegen das Alte, gegen alle Formen des Etatismus, Biirokratismus und Zentralismus, gegen alle verknócherten und schon ziemlich ausgeleier-ten Machtzentren, dieser gesunde Kampf, mit demokratischen Impul-sen gefiihrt, um die alten Hypostasen und dogmatischen Konzepte zu zerstóren, kann sich sowohl auf ein wirklich neues, wie auf ein schein-bar neues Konzept stiitzen. Wurde nicht die Mystifizierung mit dem Nationalen deshalb geschaffen und so besorgt umhegt, gerade damit dieser Kampf nicht von den viel gefahrlicheren linken Kraften theo-retisch und praktisch seinen Sinn erhalt, damit durch dieses scheinbar Neue die Unzufriedenen unmoglich gemacht werden, jene, die schon seit Jahren von der Position der Linken, also der Position des Sozia-lismus aus, kritisch uber diese alten Strukturen und die Etablierung des Status quo sprechen. Es kann paradox klingen, aber der Kampf gegen das Alte kann durch den Kampf um das noch Altere getragen
** Ich habe nichts gegen Jungcn, (lic Wappcn und Fahnen tragen, aber ich wurde ihnen geme vor Augen fuhren, wie oft Parasiten (die mit der Maskę des Nationalen operieren) direkten Nutzen von ihrem jugendlichen und oft rcinen Enthu-siasmus haben, wie sie ihre intimsten, in ihrer Naivitiit unmittclbarcn rcbellischcn Gefuhle, ihren Schwung zynisch ablcnktcn und nianipulierten, um cinen bestimm-ten Zustand zu hypostasieren, zu verstcifcn, zu etablieren und die zwischcnmcnsch-lichen K.lassenverhaltnissc in ihm. Im Grunde kann alles bcim Alten blcibcn. ob wir Wappen tragen oder nicht. ob wir Hcimatlicdcr singen oder schwcigcn. Die Sicherheitsventile die cuch unsere Burokratie wcitherzig geoffnet hat, ais sie euch eure patriotischen Ergusse erlaubte, sind Vcntile, damit es nicht tatsachlich zu einer Erneucrung kommt, damit sic selbst um so ruhiger, sichcrer und unbcdrohter ist.
12 PBAXIS 505