Apache Cochise 28 Fahr zur Hoelle, Rothaut

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Alexander Calhoun

Fahr zur Hölle, Rothaut

Apache Cochise

Band Nr. 28

Version 1.0

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Prolog

Man nannte die Apachen Barbaren, Wilde und Massenmörder.
Waren sie das? Über alles, was in dieser Welt geschieht oder
früher einmal geschah, kann man so oder so urteilen.

Um objektiv zu sein, kann an dieser Stelle nur von

Unbefangenen ein Widerruf dieser Meinung über die Apachen
erfolgen. Unser Nachruf, sozusagen eine verspätete
Ehrenrettung dieses großen, stolzen und kämpferisch
veranlagten Volkes, das von der Steinzeit »über Nacht« in eine
erbarmungslose Zivilisation versetzt wurde, die sie nicht
begriff, wie auch die Umstände, die zum Untergang der roten
Rasse führten.

Man kann sagen, die damaligen Weißen und Mexikaner

waren alles andere als weitblickend, eher nur von einer
hyperhumanen Art, die dem Prankenschlag eines Panthers
glich. Bei den meisten Weißen war die Ausrottung der Indianer
eine beschlossene Sache, honoriert durch Prämien für einen
Apachen-Skalp.

Dachten und handelten die weißen Einwanderer mit ihrer

mitgebrachten zweitausendjährigen Kultur alle richtig, Kultur
und Zivilisation, gemessen an der der Apachen? Oder
bewegten sie sich in der klischeehaften Vorstellung des
Militärs vom »toten Indianer, der ein guter ist«?

Mitnichten. Zum Teil gab es vorausschauende und

mitfühlende Männer in der Army, die aber wegen ihrer
»Humanitätsduselei« nicht zu Wort gelangten, aber den
Untergang der roten Rasse voraussagten und mit den
Indianern fühlten.

Nicht alle waren sie ein Colonel Chivington, ein abenteuer-

und beförderungssüchtiger George Armstrong Custer. Fest
steht aber, daß der Massenmord an der indianischen Rasse von

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vielen Amerikanern heutzutage bagatellisiert und, wenn die
Sprache darauf kommt, mit einer lässigen Handbewegung
abgetan wird.

Auch die in wissenschaftlichen Disziplinen denkenden

Amerikaner können einen Rückblick auf die Zeit nach 1850 nur
schwer vertragen. Man sieht die in den Wüsten und Gebirgen
vegetierenden Stämme Arizonas nicht, und das beruhigt den
Durchschnittsamerikaner ungemein, weil er das ökologische
Harakiri, das man mit dem Land und seiner Urbevölkerung
trieb, nicht mit ansehen muß.

Zugegeben, die Stämme der Indianer, besonders die

Apachen, betrieben zu keiner Zeit Vorratswirtschaft,
ausgenommen die seßhaften und Ackerbau treibenden Pueblos
im Westen von Neumexiko und in den nordöstlichen Bereichen
Arizonas.

Lag hier der Untergang der roten Rasse begründet?
Sicherlich nicht, denn kein nomadisierendes Volk in Europa,

Asien oder Afrika konnte sich mit Vorratshaltung befreunden.
Gingen sie unter? Nein, sie gingen auf in den Völkern, deren
Gebiete sie okkupierten. Auch andere negative Aspekte – in den
Augen der Weißen – kann den Apachen nicht abgesprochen
werden. Sie waren nun einmal Naturkinder, einfache Nomaden
in einem riesigen Kontinent, der ihnen alles bot, was sie zum
Leben brauchten. Zu allen Zeiten war daher für die Apachen
die Welt noch in Ordnung. Erst als der weiße Mann mit seinen
überlegenen Waffen, mit Schnaps und seiner verfeinerten
Kultur und seinen ansteckenden Krankheiten kam, legte sich
das große graue Leichentuch über die Stämme und
Sippenverbände.

Ganz bestimmt wäre vor 100 und mehr Jahren

möglicherweise vieles ganz anders gekommen, wenn unter den
Militärs und in der Regierung in Washington nur ein einziger
Mann mit entsprechendem Weitblick und ohne Ressentiments
gegen die rote Rasse gewesen wäre.

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Es hat nicht an klardenkenden und verantwortungsbewußten

Leuten gemangelt, aber sie hatten nicht die Stimmengewalt im
Kongreß, die dazu notwendig gewesen wäre, den Indianern zu
ihrem Recht zu verhelfen.

Es ist nicht Aufgabe dieser Einleitung, anzuklagen und zu

richten, denn niemand von uns kann sagen, daß er es
womöglich hätte besser machen können. Sie alle in der
damaligen Zeit – Rote wie Weiße – waren Kinder einer harten
und erbarmungslosen Epoche, und sie waren Bewohner einer
rauhen Umwelt.

Die Serie APACHE COCHISE mit ihrem wahrhaft großen

Häuptling Cochise als Held ist die im Wesen und Charakter
authentische Auf Zeichnung amerikanischer Geschichte, die in
Romanform für den deutschen Sprachraum noch nicht oder nur
in Kurzform gebracht wurde.

Die guten und schlechten Weißen, die anständigen Apachen

und die grausamen, tauchen namentlich in der Story auf und
geben der Geschichte einen dramatischen, wenn auch
makabren Hintergrund.

Ihr Martin Kelter Verlag

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***

Sie lagen zwischen den Mesquitebüschen und starrten mit
angstverkrampften Herzen zu dem auf die Entfernung
undeutlichen Rechteck von Corralitos hinunter. Jemand hatte
dort unten gewütet. Dächer waren eingedrückt und Zäune
eingerissen. Aus dem Dorf war eine trostlose, leere Ruine
geworden.

»Nicht bewegen, du Trottel!«
Carlos Porfiro Mojada zischte es warnend. Die Beleidigung,

die er hinzufügte, lockte bei Rico Montalban nur ein
geringschätziges Lächeln auf die olivbraunen Züge.

»Was befürchtest du?«
»Apachen. Siehst du nicht die Trümmer, hörst du nicht die

Stille eines Leichenhauses? Mann, Hombre, mußt du blöd
sein.«

»Sie sind längst nicht mehr da«, antwortete Estevan

zuversichtlich.

»Still! Das weiß man bei Apachen nie. Sie können direkt vor

uns sein, neben uns, hinter uns. Verhaltet euch still und wartet
ab.«

Jeder der elf Männer, die hier im Unkraut lauerten, spürte die

Gänsehaut wie ein Reibeisen über den Rücken gleiten.
Apachen! Ein Wort für unartige Kinder, die nicht hören
wollten. Apachen! Ein Schreckgespenst für alle, die sich in
ihrem Land aufhielten.

»Glaubst du, sie lauern irgendwo dort unten?« fragte Emerito

aus dem Hintergrund. Unter dem dichten Dach des Gestrüpps
klangen seine Worte wie durch einen Tunnel, aber die Angst in
seiner Stimme war unverkennbar.

»Das weiß niemand«, antwortete Carlos leise. »Verhaltet

euch ruhig. Wenn die Bussarde ihr Werk beginnen, können wir

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hinunter, nicht eher.«

Elf Köpfe fuhren zum Himmel und beobachteten die dunklen

Punkte, die wie Rußflocken im Spiel der Winde am Himmel
kreisten. Sie kauerten im Unkraut und suchten die Umgebung
ab. Mojadas Bande hatte am Morgen die Stelle kurz hinter der
Grenze erreicht und war hier abgestiegen, um die Ansiedlung
zu beobachten, die sie ausrauben wollte.

Carlos Porfiro spannte sein Gewehr und griff nach seinem

Colt, um die Ladung zu prüfen. Aus dem Überfall war nichts
geworden. Andere waren ihnen zuvorgekommen. Andere,
Apachen. Aber man konnte nie wissen. Vielleicht waren sie
noch in der Nähe und lauerten auf das Erscheinen ihrer
Erzfeinde?

»Ich gehe hinunter«, sagte Mojada plötzlich. »Du, Mort,

begleitest mich. Die anderen geben uns Feuerschutz, wenn's
erforderlich werden sollte.«

Trotz der frühen Morgenstunde war es unter dem Dach des

Chapparals glühend heiß. Kein Windhauch verschaffte
Kühlung. Nur die Insekten waren unterwegs und die
huschenden Nager.

Die beiden Männer standen auf und huschten gebückt den

Hang hinunter. Sie ließen den Friedhof mit seinen
eingefallenen Gräbern und schiefen Kreuzen hinter sich liegen.
Im Schatten einer ausgebrannten Adobehütte ohne Dach
blieben sie lauernd stehen und beobachteten die übrigen
Hausruinen.

Aus einigen stieg Rauch kerzengerade in die Höhe, ein

Zeichen, daß der Apachenüberfall während der Nacht
stattgefunden hatte, und daß es im Innern der Bauwerke immer
noch schwelte.

»Weiter!«
Der Befehl an Mort Douglas, dem eiskalten Mann aus

Kansas, war ein leiser Hauch. Sie huschten zum nächsten Haus.
Ihre Stiefel knirschten über zerbrochenes Glas und stießen

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gegen verrostete Büchsen und an anderen Unrat.

Ein kurzer Blick durch eines der Fenster sagte ihnen alles.

Matratzen waren aufgeschlitzt worden, zerschlagene Kisten
und Möbel lagen zwischen dem Unrat. Ein Haufen Decken
waren zerschnitten und teilweise verbrannt.

Carlos Porfiro warf einen Blick zum Dach, es war

eingesunken, die Balken angekohlt, die Holzbedeckung
verbrannt. Alle Dinge von Wert waren von den Apachen
mitgenommen worden. Der schwache Wind wehte stöhnend
und wie klagend durch die Ruinen. Hier würden die Banditen
nichts mehr von Wert finden, wenn sie überhaupt etwas
gefunden hätten. Sonora war arm, noch ärmer die Menschen,
die in dieser mexikanischen Provinz lebten. Hinzu kam die
Revolution nach dem vorangegangenen Krieg gegen Benito
Pablo Juárez liberaler Regierung, der versuchte, die Truppen
Kaiser Maximilians von Mexiko außer Landes zu jagen, um
selbst wieder den Präsidentenstuhl einnehmen zu können.

In diesen Wirren gediehen Banden von Desperados wie

Unkraut im Frühjahrsregen. Zahlreiche Banden von
Mexikanern, Amerikanern, Indianern und sogar entlaufenen
Negersklaven aus den Südstaaten der USA.

»Sieht trostlos aus, was?«
»Wir kamen zu spät. Mirda!«
Carlos Porfiro Mojada spuckte aus und huschte zur nächsten

Ruine. Auch hier war es nicht anders. Das Bild, das sich den
beiden Desperados bot, war stets das gleiche: Verbrannte
Häuser, ausgeplündert und mutwillig zerstört. Sie stießen auf
die ersten Toten.

Die Apachen hatten sie auf dem Marktplatz

zusammengetrieben und dann getötet.

Mort Douglas, der eiskalte Revolvermann, verzog kaum die

Lippen.

»Apachenart«, sagte er. »Ich sehe keine toten Kinder?«
»Die haben sie mitgenommen. Werden alle zu perfekten

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Chiricahuas umfunktioniert. Eines Tages kommen sie als
Apachen über uns.«.

Mort Douglas schüttelte sich. Gehetzt flogen seine Blicke

zwischen den Häusern auf und ab, immer wieder. Aber nichts
rührte sich. Der Wüstenwind bewegte lose Teile und spielte mit
Unrat und Tumbleweed.

»Du brauchst keine Angst zu haben, sie sind fort«, sagte

Carlos spöttisch und grinste Douglas an.

»Angst? Du bist wohl nicht bei Trost, Greaser? Ich und

Angst! Falls du's vergessen hast: ich bin der beste
Revolvermann zwischen Oaxaca und dem Pecos. Leg dich ja
nicht mit mir an, Carlos, sonst wirst du dein blaues Wunder
erleben.«

»Der zweitbeste.«
»Was? Du hast wohl 'nen Vogel unter deinem Hut? Wer will

denn besser sein als ich?«

»Ich.«
»Was, du? Mann, ich krieg 'nen Schreikrampf. Du und

besser. Wenn ich das noch mal höre, glaube ich es fast.«

»Du kannst es glauben«, antwortete der Mexikaner kühl.

»Und wenn nicht, dann versuch's mal. Das ist eine
Aufforderung.«

Zufällig starrte der Bandenchef zu den Büschen einer Mulde

hinüber, die außerhalb der Ruinen einer zerstörten
Dorfgemeinschaft lag. Etwas bewegte sich dort. Carlos machte
einen Riesensatz und verschwand hinter der Hausecke.
Unbewußt folgte ihm der Amerikaner.

»Was ist los?« fragte er. »Indianer?«
»Weiß nicht. Warte ab.«
Wieder Bewegung bei den Büschen. Ein Maulesel wieherte

leise. Carlos huschte um das Haus herum zum nächsten. Von
hier aus konnte er kriechend die Büsche erreichen, während
ihm Mort Feuerschutz gab. Carlos kroch weiter, bis er das
Schimmern von Wasser vor sich erkennen konnte. Noch ein

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paar Meter und er konnte die verschwommenen Umrisse eines
Spitzhutes sehen.

Wahrscheinlich war es ein Mexikaner.
Der Mann richtete sich auf und hob sein Gewehr.
»Wer ist da?« rief er auf Spanisch.
»Ein Freund.«
Der Gewehrhahn knackte deutlich, die antwortende Stimme

klang ziemlich hell.

»Welcher Freund? Hier gibt es nur Tote, aber keine Freunde.

Bleiben Sie stehen, Hombre.«

Carlos erhob sich aus dem Staub und klopfte sich den

Schmutz von der Kleidung.

»Sie sind eine Frau, verstecken Sie sich nicht länger. Wir tun

Ihnen nichts. Lassen Sie Ihr Gewehr fallen, und kommen Sie
aus den Büschen. Was ist das für ein Wasser hinter Ihnen?«

»Ein See, das sehen Sie doch. Er wird von einer

unterirdischen Quelle gespeist. Ich werde nicht kommen,
kapiert? Ihrem Blätterteiggesicht sieht man die Gemeinheit auf
hundert Meilen an. Gehen Sie fort. Gehen Sie schnell fort.«

»Unsinn! Fort. Wohin fort? Überall können Apachen sein.

Wollen Sie mich dem sicheren Tod überantworten?«

»Sie sind nicht allein, Hombre. Meinen Sie, ich hätte den

Kerl dort bei der Hausruine und die anderen auf dem Hügel
nicht gesehen? Hauen Sie endlich ab, aber schnell.«

Das schmale Gesicht unter dem spitzen Strohsombrero stieß

einen gellenden Schrei aus. Ein Schuß krachte. Die gelbe
Mündungsflamme raste zusammen mit Pulverqualm auf Carlos
zu, aber keine Kugel traf.

Noch einmal brüllte das Gewehr hinter dem Dickicht auf.

Weit hinter dem Desperado erklang ein Todesschrei. Carlos
war so verblüfft, daß er den Arm nicht sah, der sich um den
Hals des Mädchens legte und sie umriß.

*

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»Komm heraus! Mit erhobenen Händen!«

Der es sagte, war ein Indianer. Ein Apache. Noch genauer:

ein Chiricahua. Man sah es an dem breiten Stirnband, an der
hellen Wildlederkleidung und an der majestätischen Gestalt,
die gebieterisch den Arm ausstreckte und in die Klippen
deutete.

Der Gewehrhahn knackte überlaut. Eine angstgepeinigte

Stimme zerflatterte wie Staub im Höhenwind.

»Wer bist du, Rothaut?«
»Cochise, der Jefe aller Apachenstämme. Komm endlich,

oder soll ich dich holen?«

Naiche warf seinem Vater einen fragenden Blick zu. Cochise

schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf die Spitzen
seiner hellen Mokassins.

»Hierher kommt er, freiwillig.«
Der Mexikaner kam. Urplötzlich teilten sich die Büsche. Er

war klein und schlank wie ein Mesquitezweig. Dunkle Augen
flitzten ängstlich von Rothaut zu Rothaut und übersahen auch
die grimmig dreinblickenden Krieger im Hintergrund nicht.

»Du bist wirklich…?«
»Ich stelle Fragen«, unterbrach ihn Cochise. »Weshalb

lauerst du uns auf?«

Der Mex schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm der zu große

Hut in die Stirn rutschte.

»Allmächtiger! Ich und auflauern? Ich habe mich

verkrochen, Chief. In den tiefsten Busch verkroch ich mich.
Und weißt du auch warum? Aus Angst vor dir und deinen
Kriegern.«

»Kröte! Schweig, du Hund von einem Pima! Du hattest das

Gewehr schon gehoben, ich sah es deutlich. Laß es fallen! Los,
laß es fallen!«

»Dann bin ich wehrlos.«
»Wirf es weg!«
Cochises Stimme klang wie brechendes Glas. Das Funkeln

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seiner Augen ließ erst nach, als das Gewehr, eine uralte
Hauser, auf den Boden polterte.

»Geh weg! Zurück!«
Naiches Hand legte sich an den Messergriff in den Leggins.

Er war nahe daran, dieser feigen, winselnden Kreatur die
Klinge bis ins Heft in das falsche Herz zu stoßen. Im stillen
wunderte er sich, warum sein Vater so viele Umstände mit dem
Gelbhäutigen machte. Irgendwie ahnte er, daß Cochise nie
etwas ohne Grund tat, und die sechs Krieger im Hintergrund
wußten das auch.

Cochise stieß das vorsintflutliche Gewehr mit dem Fuß zur

Seite und folgte dem mickrigen Mexikaner. In seiner Angst vor
dem Chiricahuas wich dieser weiter und weiter zurück.

»Du hast mir das Leben versprochen«, winselte er und brach

vor Selbstmitleid fast in Tränen aus. »Du hast es versprochen,
Cochise, und der Häuptling der Apachen hält hoffentlich sein
Wort.«

»Schweig! Ich versprach dir nichts!«
Cochises Stimme kam grollend aus seiner gewölbten Brust.

Sein scharfgezeichnetes Gesicht mit der großen Adlernase
drückte Verachtung und Widerwillen aus.

»Du kannst dich freikaufen, Kröte. Wenn du alle meine

Fragen wahrheitsgemäß beantwortest, lasse ich dich laufen.«

»Frage…«
»Still, du schleimige Kröte! Wenn der Häuptling der

Apachen vor dir steht, schweigst du!«

Die Angst um sein Leben ließ die Worte des Mexikaners

förmlich sprudeln. Er verdrehte dabei die Augen, als hinge er
schon am Marterpfahl.

»Heilige Mutter Gottes, frage, Cochise.«
»Du wirst mich anlügen, um deine schmutzige Haut zu

retten.«

»Ich werde die Wahrheit sagen. Ich schwöre es bei allen

Heiligen Mexikos. Ich werde…«

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»Du wirst schweigen.«
Naiche spuckte angewidert aus. Die Krieger in seinem

Rücken bewegten ihre Körper unruhig auf den Satteldecken.
Sie haßten nichts mehr als Feigheit und den Ausdruck von
Angstgefühlen. Wer bei ihnen um sein Leben winselte, war
schon so gut wie tot.

»Du bist ein Mann dieses Juárez?«
»Nein, Jefe.«
Cochise hob das Gewehr auf, hielt es dem Mexikaner vor die

Nase.

»Ein französisches Gewehr, Bastard. Du lügst!«
»Ich sage die Wahrheit!« schrie der Kleine schreckerfüllt. Er

zitterte an allen Gliedern. »Du mußt mir glauben, Cochise, daß
ich mit diesem Rebell nichts zu tun habe.«

»Wenn nicht mit ihm, dann mit den Franzosen?«
Miguel warf beide Hände abwehrend in die Höhe.
»Auch nicht mit den Franzosen. Kaiser Maximilian ist kein

Freund der Mexikaner. Wenn ich…«

Cochise ließ ihn nicht zu Wort kommen, kannte er doch die

geschmeidigen Zungen der Mexikaner im Reden.

»Dann arbeitest du für eine der Verbrecherbanden? Du bist

ein Desperado?«

Miguel senkte den Blick und nickte.
»Ich reite für Carlos Porfiro Mojada und kundschafte

Hazienden und Ortschaften aus, die überfallen werden sollen.
Nebenher treibe ich Handel mit den Peonen.«

Cochises nächste Frage kam wie ein Peitschenschlag.
»Du bist von Süden gekommen, durch die Gran Desierto.

Kennst du die geheimen Wasserstellen?«

»Nein, ich nahm Wasser in Schläuchen mit. Mein Maulesel

ist hochbepackt. Du kannst dich davon überzeugen.«

Cochise gab Naiche einen Wink, während er mit seinem

Verhör fortfuhr. »Sind in der großen Trockenwüste Soldaten?
Halten sich Juárez' Männer dort auf, Franzosen, oder

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irgendeine andere Truppe?«

»Ich habe keine gesehen, Chief. Diese Gegend ist gefährlich

für Mexikaner und Apachen. Ich mußte immer in der Nacht
reiten und mich am Tag verbergen.«

Naiche kam zurück und zerrte einen Maulesel hinter sich her.

Die Augen der Krieger bekamen einen lichten Glanz.
Mauleselfleisch war für sie ein Leckerbissen. Naiche nickte
seinem Vater zu und deutete auf die prallen Wasserschläuche.
Der Mexikaner sah die gierigen Blicke der Krieger und deutete
auf den Maulesel.

»Ich kann mich nicht von dem Muli trennen, Cochise. Ohne

das Tier bin ich in diesem Land verloren.«

Der Häuptling warf einen Blick zurück auf die Berge. Es gab

keinen Weg aus ihnen. Nur wenigen weißen Männern war es
jemals vergönnt, aus diesen Bergen zurückzukehren. Jenseits
der Berge lagen andere, noch weitgestreckter, noch dunkler
und gefährlicher. Nur die Apachen kannten die Berge, ihre
Canyons, Mesas und ihre geheimen Quellen.

»Du kannst deines Weges ziehen«, sagte er.
Miguel warf einen scheuen Blick auf die dunklen

Wasserspeiergesichter der Krieger und wich ängstlich einen
Schritt zurück. Er wußte von der grausamen Art der Apachen,
einen Gefangenen laufen zu lassen, um ihn anschließend zu
Tode zu hetzen. Aber er irrte.

Cochise schwang sich auf sein Pferd und ritt an der Spitze

seiner Krieger in die flimmernde Tageshitze hinein.

*

Carlos warf sich herum und zog den Revolver. Mit dem
Daumen spannte er den Hahn. Um den Bruchteil einer Sekunde
war er zu spät gekommen. Zwanzig Yards von ihm entfernt
hauchte ein Apache im Todeskampf sein Leben aus. Mit einem
einzigen Sprung war Carlos Porfiro Majada auf den Füßen und

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hetzte mit langen Sätzen zum See hinüber.

Ein Pfeil zischte an ihm vorbei, ein zweiter, schließlich ein

dritter. Mit einem Riesensprung krachte er in das Dickicht und
kam neben Mort Douglas und der fremden Mexikanerin auf
dem Bauch zu liegen.

»Das war knapp«, keuchte er. »Die roten Bestien sind also

noch immer in der Nähe.«

Er blickte seitwärts. Morts Arm lag wie eine kräftige Liane

um den Hals einer noch jungen Mexikanerin. Vor ihr lag ein
Gewehr. Der Hut war dem Mädchen vom Kopf gerutscht,
schwarzes Haar floß ihr lang über die Schultern.

Vom Hügel herüber klangen Schüsse. Graue Pulverwolken

stiegen über der unkrautüberwucherten Kuppe auf und
verteilten sich. Das Gewehrfeuer richtete sich auf die letzten
Ruinen bei der im Halbkreis verlaufenden Straße.

»Warum hast du sie überwältigt, Mort? Sie rettete mir das

Leben.«

»Das konnte ich nicht wissen, als sie schoß. Konnte auch

nicht wissen, auf wen sie schoß. Die Wildkatze hat mir ganz
schön zu schaffen gemacht.«

»Laß sie los!«
»Meinetwegen. Wenn sie schreit, stopfe ich ihr die

Futterluke mit dem Revolverkolben.«

Carlos studierte das aparte Gesicht des sicher kaum

zwanzigjährigen Mädchens. Schmales Gesicht, leicht
hervorstehende Wangenknochen, hohe Jochbögen, dunkle
Augen und füllige Lippen. Alles in allem: sie war schön. Seidig
und blauschwarz rahmte das Haar ihr braunes Gesicht ein.

»Sind Sie aus diesem Dorf, Señorita?«
Sie nickte, warf unter seidigen Wimpern einen prüfenden

Blick hervor, der Carlos streifte. Sofort schaute sie wieder fort.

»Meine Eltern sind tot, Señor. Sie sind alle tot, die

Menschen, die mit uns zusammenlebten. Alle!«

»Chiricahuas?«

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Sie nickte unter Tränen. Ein trockenes Schluchzen schüttelte

ihren Körper. Nach einer Weile antwortete sie:

»Victorio. Ich habe ihn deutlich gesehen und erkannt. Er

ermordete und skalpierte meinen Vater.«

Carlos murmelte: »Tut mir leid.« Mort Douglas grinste nur.

Die scharfen Züge in seinem Gesicht wanderten über die Figur
des Mädchens und begutachteten ihre Jungfräulichkeit.

»Wieviel Apachen waren an dem Überfall beteiligt?«
»Fünfzig, oder auch mehr. Es ging alles zu schnell. Mit dem

sinkenden Abend griffen sie an, und eine Stunde später brannte
die Ansiedlung an allen Ecken und Enden.«

»Wie sind Sie dem Massaker entkommen?«
»Ich war am See, um ein Bad zu nehmen, Señor. Als die

ersten Schüsse fielen, versteckte ich mich.«

»Und das Gewehr hier? Haben Sie das auch gebadet?«
Das Mädchen wurde rot, über und über rot. Beinahe wild

schüttelte sie den Kopf.

»Ich nehme es immer mit, wenn ich das Dorf verlasse.«
»Vor wem hatten Sie Angst?«
»Vor den Desperados. Sie sind ein Desperado, nicht wahr?«
Carlos nickte. In diesem Augenblick verfluchte er die

Stunde, die ihn zum Räuber und Plünderer gemacht hatte.
Diese junge mexikanische Frau hatte den hartgesottenen
Desperado im Sturm erobert, und der flüchtige Augenblick, der
dazu genügt hatte, würde dem Manne ewig unvergessen
bleiben.

Mort Douglas erhob sich auf die Knie und spähte durch den

dichten Chapparal. Hinter ihm gluckerte der See und warf
kleine Wellen an das grasbedeckte Ufer. Was Mort sah, ließ
ihn den Kopf schütteln. Er sah nichts, und gerade das war es,
was ihn verwunderte. Er stand auf und zog seinen schweren
Revolvergurt hoch.

»Runter!« sagte Carlos heftig. »Oder willst du einen Pfeil

zwischen deine Rippen haben?«

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Morts Lippen verzogen sich spöttisch und abweisend. Seine

weißen Zähne und seine eiskalten grauen Augen blitzten.

»Unsterblichkeit mag sicher ganz reizvoll sein, Carlos, aber

bestimmt auch langweilig. Ich gehe mal nachsehen, wenn du
nichts dagegen hast?«

»Bleib in Deckung, das ist bestimmt sicherer.«
»Ich lasse mich nicht bedrohen. Weder von einer Rothaut

noch von einem Spie.«

Fort war er. Wie ein Büffel durchbrach der Revolvermann

den grünen Ring der Pflanzenmauer. Carlos Porfiro erhob sich
auf die Knie, den Revolver in der Faust. Er spähte durch die
Blätterwand und verfolgte den Amerikaner mit seinen Augen.

Mort war beim letzten Haus angelangt und warf sich dort zu

Boden. Den gespannten Colt hielt er in der ausgestreckten
Hand. Nichts rührte sich. Staubteufelchen tanzten auf der Calle
Royal und verbanden sich mit dem trockenen Dung, der von
thermischen Winden aufgewirbelt wurde.

Links von ihm lag der tote Apache, rechts davor eine

zusammengerollte Klapperschlange in der heißen Sonne. Das
ausgebrannte Dorf war tot und leer. Oder doch nicht? Wo ein
Apache war, mußten sich mehrere aufhalten. Kein Chiricahua
entfernte sich so weit von seinen Jagdgründen und schon gar
nicht in die Gran Desierto, wenn er nicht mußte oder wenn er
allein war.

In seinem Rücken johlten die Kameraden auf dem Hügel und

riefen ihm Warnungen und Ermahnungen zu. Mort beobachtete
sie nicht. Ein Revolvermann seines Formates kümmerte sich
nicht um ein paar rote Halsabschneider, und wenn sie ihn
angriffen, würde er mit heißem Blei zu ihnen sprechen.

Schwer und vertraut lag der langläufige Revolver in seiner

Hand. Wie ein alter Freund, der zuversichtlich und vertraulich
mit ihm raunte.

Mort kroch weiter. Er traute dem Frieden nicht. Selbst die

Jungs oben auf dem Hügel konnten das Dorf nicht ganz

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einsehen, weil die Hauptstraße diagonal zu ihrer Blickrichtung
verlief.

Mort gelangte bis zur Straße. Auch hier nichts. Unrat und

Tumbleweed torkelte wie trunken über den
zusammengewehten Staub, um irgendwo zum Erliegen zu
kommen oder einfach weiterzurollen, bis es nicht mehr ging.

Ein leises, kaum wahrnehmbares Geräusch war plötzlich

hinter ihm. Mort Douglas fegte herum und warf sich auf den
Rücken. Die satanische Fratze mit den bunten Querstreifen
fletschte ihn hinter dem gespannten Kriegsbogen geradezu
faunisch an.

Mort schoß, spannte den Hahn wieder und hob die Waffe. Er

brauchte keinen zweiten Schuß, um sich des Apachen zu
erwehren. Der Krieger ließ den Bogen fallen, warf die Arme in
die Höhe und knickte in den Knien ein. Sein letzter Impuls
war, den verhaßten Weißen mit dem Messer zu erreichen, was
ihm nicht mehr gelang. Der Tod war schneller.

Mort wirbelte auf die Knie, drehte sich um seine Achse,

immer den Colt im Anschlag, gespannt und mit fünf Patronen
in der Trommel. Er erwartete einen weiteren Angriff, sah sich
aber getäuscht. Vom Hügel herüber vernahm er das Geschrei
der Desperados, die ihm Warnungen zuriefen, die er nicht
verstand.

Als er die Hufschläge hörte, ahnte er, daß sich der Rest der

Krieger fluchtartig absetzte. Er stand auf und trat auf die
Dorfstraße hinaus. Dort ritten sie, drei Krieger auf schnellen
Mustangs, die die stämmigen Beine wie Dreschflegel warfen.

Vom Hügel kamen die Banditen heruntergeritten. Sie hielten

beim See an und stiegen aus den Sätteln. Mort setzte sich in
Bewegung und ging den Weg zurück. Er hatte sie vertrieben,
die lauernden Krieger, und er war so gelassen wie zuvor.

*

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Am Rio Yaqui kauerten in einem offenen Feldlager Soldaten
der französischen Armee an kleinen Kochfeuern und bereiteten
sich ihre Abendmahlzeit. Im Westen sahen sie nur
Berggiganten mit weißen Häuptern und die tiefen Einschnitte
der Schluchten. Hinter ihnen lag die große Wüste von Sonora.
Im Norden gurgelte der Fluß, und im Süden wellte sich das
Hügelland, das der Sierra Madre vorgelagert war.

Wenn nicht die Rauchsignale gewesen wären, hätten sie sich

in der Bergwelt wie zu Hause gefühlt. Aber so vorsichtig die
Gruppe sich im Indianergebiet bewegte, es gab keine
Möglichkeit, ihre Spur zu verwischen. Im schlimmsten Fall
konnte ein einzelner Reiter den scharfen Augen der Yaquis und
Apachen entgehen, eine so große Kolonne jedoch niemals.

Der Tag neigte sich. Dunkelheit brach über das Lager, und

wenn die Soldaten den Feuern neue Nahrung gaben, flackerten
Licht und Holzrauch bis weit hinüber zum Fluß. Wie Tinte floß
der Rio Yaqui durch die Hügel, und wie schäumende Tinte
unterspülte sein Wasser die Uferböschungen.

Der Reiter hinter den Hügeln, noch etwa zwei Meilen

entfernt, roch zuerst den Feuerrauch, bevor er die Brandstellen
sah. Zwischen zwei Hügeln steigerte er seine Unrast und gab
dem Pferd die Sporen. Aber schon bald danach zügelte er den
Dunkelbraunen wieder und stieg aus dem Sattel.

»Diese Vollidioten!« fluchte er auf Englisch.
Er band sein Pferd an einem Kandelaberkaktus fest und ging

zu Fuß weiter, dem Geruch des Rauches nach. Endlich sah er
die Flammen, als er eine Bodenwelle hinter sich ließ. Er
kauerte in der Dunkelheit und blickte zu den Lagerfeuern.
Stimmengemurmel drang an sein Ohr. Es waren Franzosen.
Die Soldaten trugen seltsame Uniformen, die sich dem
malerisch veranlagten Land anpaßten, in dem sie zwangsläufig
Krieg spielen mußten. Ein Krieg, der ihnen völlig gleichgültig
war.

Ihre roten Hosen waren zerrissen, die blauen Uniformjacken

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mit den Silberknöpfen starrten vor Schmutz. Ihre Stiefel hatten
Löcher und kaum noch Sohlen. Trotz ihres schäbigen
Aussehens waren sie immer noch eine willkommene Beute für
die Yaquis und Apachen, weil sie noch etwas hatten, was die
Indianer wollten: Waffen und Skalps.

Der Mann hinter der Bodenhebung trat aus der Dunkelheit

und rief gedämpft: »Hallo, Lager!« Dann trat er rasch hinter
einen Busch. Der Wachposten fuhr herum und hob das
Gewehr. Die Soldaten an den Feuern richteten sich auf und
starrten in die Dunkelheit. Ein Offizier erhob sich und ging
dem Ruf nach.

»Wer ruft?« brüllte der Posten.
»Quadis Maurice Guilbert aus dem Hauptquartier in

Mexiko.«

Der Offizier rief: »Kommen Sie ans Licht, Monsieur!«
Der Mann mit dem seltsamen Namen Quadis schritt aus der

Dunkelheit dem Lichtkreis entgegen. Bei dem Offizier blieb er
stehen und legte grüßend die Hand an den Hut, obwohl er
Zivilkleidung trug.

»Guten Abend. Sie sind Capitaine Duboi?«
»Ja, und wer sind Sie?«
»Ich sagte es bereits: mein Name ist Quadis Maurice

Guilbert. Ich komme mit Sondervollmachten direkt aus
Mexiko. Hier, bitte lesen Sie.«

Er zog ein Stück Papier aus der Tasche und reichte es dem

Offizier. Der faltete das Schreiben auseinander und drehte sich
zum Licht. Nach einer Weile nickte er und gab das Schreiben
zurück.

»Ich soll Sie mit Ihren Leuten aus dem Indianergebiet heraus

und nach Osten führen. Und das heute nacht.«

»Wer hat das angeordnet? Mein Befehl lautet, die Yaquis

anzugreifen und zur Räson zu bringen.«

»Das Hauptquartier«, Guilbert zuckte die Achseln.

»Womöglich der Kaiser selbst. Wissen Sie übrigens, worauf

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21

Sie sich da eingelassen haben? Die Yaquis zur Räson zu
bringen, ist leichter gesagt als getan. Yaquis bändigt man nicht.
Man bringt sie um oder man wird von ihnen umgebracht.
Lassen Sie das Lager abbrechen.«

Der Offizier gab die nötigen Befehle, und Minuten später

stand die Truppe feldmarschmäßig bereit zum Marsch ins
Ungewisse. Duboi und Guilbert ritten an der Spitze des langen
Zuges. Sie unterhielten sich, von Dunkelheit umgeben, von der
Nacht gedeckt. Geheimnisvoll rauschten die Büsche im Wind,
und noch geheimnisvoller leuchteten die Sterne über ihren
Köpfen.

»Sie sind Offizier, Monsieur?«
»Nein, Scout oder Pfadfinder, wenn Sie wollen. In eine

Uniform lasse ich mich nicht stecken.«

»Parbleu, wirklich ein Scout? Ich dachte immer, das gibt es

gar nicht.«

»Sie sehen, daß es das gibt. Erkennen Sie die Hügelkette im

Osten? Dort müssen wir hindurch. Haben wir sie hinter uns
liegen, gibt es für Sie und Ihre Soldaten keine Probleme mehr.«

Duboi warf einen seltsamen Blick auf das Gesicht des neben

ihm reitenden Mannes. Hatte das nicht etwas seltsam
geklungen, so wie er es durch die Zähne quetschte? So
maliziös und zweideutig?

Aber Guilberts Gesicht war nichts anzumerken. Die Hügel

kamen näher und sahen in der sternendurchdrungenen
Dunkelheit wie die Rücken großer schlafender Büffel aus, oder
wie ein erstarrtes Meer. Hügel reihte sich an Hügel, Tal an Tal.
Dazwischen gab es Buschinseln und Bäume, Kakteen und
ganze Distel- oder Yuccafelder.

Ein seltsames beklemmendes Gefühl befiel den Offizier. Der

Schweiß brach ihm klebrig und in dicken Tropfen aus. Seine
dunkeln Augen flogen von Kuppe zu Kuppe, von Busch zu
Busch, hinter jeden Baum. Aber die Nacht blieb still und
weiterhin gespenstisch.

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Schweigen legte sich auf die Truppe. Die Angst, in dieser

Nacht allein in einem fremden Land zu sein, beflügelte ihre
Sinne und ihre Phantasie. Riesige Monster tauchten aus den
seitlichen Tälern auf, stampften heran und ließen die Erde
zittern. Halluzinationen.

Etwa eine Stunde waren sie durch das Labyrinth von Hügeln

und Tälern marschiert, als unvermittelt vor ihnen ein Licht
auftauchte. Eine Stimme rief:

»Feuer! Gebt Feuer, Muchachos!«
Guilbert riß sein Pferd nach rechts und gab ihm die Sporen.

Das Tier fegte laut wiehernd in ein Hügeltal und verschwand.
Gewehre krachten rings um die französische Truppe, viele,
nicht zu zählende Gewehre. Es krachte, als seien sämtliche
Höllen losgelassen.

Das Schreien und Keuchen der zusammenbrechenden

Soldaten wurde vielzähliger und lauter, ihr Wut- und
Schmerzgebrüll geradezu infernalisch.

Capitain Dubois wollte den Befehl zum Rückzug

herausschreien, aber der Einschlag einer Kugel in seiner Kehle
ließ nur noch ein blutersticktes Gurgeln zu. Er brach zusammen
und war tot, bevor der Gedanke an Verrat ihn ganz erreichte.

Nach einer halben Stunde lebte keiner der Soldaten mehr.

Gestalten mit Wagenradsombreros auf den Köpfen glitten leise
und schattenhaft heran, während Guilbert aus einem Hügeltal
heraus auf ein großes Militärlager zuritt.

Vor einem Doppelzelt sprang er aus dem Sattel und stürmte

durch den Eingang. Zwei Mexikaner mit Riesensombreros auf
den Köpfen und gekreuzten Patronengurten über der Brust
hielten ihn auf.

»Zu wem wollen Sie, Señor?« grunzte der eine und stieß den

Amerikaner vor die Brust.

»Zum Präsidenten, zu wem sonst? Melden Sie mich, Major.

Ich bin Mark Bowden und komme vom Rio Yaqui.«

Die Leinwand zum Nebenraum teilte sich. Der Flügel

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23

klappte wieder zurück, und ein um die Hüften fülliger Indianer
erschien. Benito Juárez, gepflegt wie immer, eine breite rote
Schärpe unter dem langschößigen Rock.

»Laßt diesen Mann eintreten, Pfilippo, ich kenne ihn.«
Guilbert betrat das Zelt und blieb vor Juárez stehen. Der

ehemalige Präsident zupfte an seinen Koteletten.

»Mr. Bowden, Sie haben die Truppe gefunden?«
»Es war denkbar einfach, Sir. Sie hinterließ eine Menge

Spuren, denen man selbst im Dunkeln folgen konnte.«

»Und?«
Bowden wedelte ein wenig mit der Hand. »Es hat natürlich

geklappt. Von den Rothosen dürfte keiner mehr leben. Ihre
Leute waren pünktlich zur Stelle und gut postiert. Wenn ich
nicht irre, wird das den Kaiser abhalten, eine weitere Truppe in
den Norden zu schicken und massakrieren zu lassen. Das
verlorene Material und die Waffen sind für ihn unersetzlich.«

»Das haben Sie ausgezeichnet gemacht, Mr. Bowden. Ihre

Belohnung können Sie sich beim Zahlmeister abholen. Vielen
Dank für Ihre gute Arbeit.«

Bowden zögerte. »Sie sollten Anweisung geben, Sir, die

Feuer draußen zu löschen. Der Rauch ist meilenweit zu
riechen. Keine Indianernase kann… Pardon, Sir, ich vergaß…«

Juárez lächelte. »Macht nichts«, erwiderte er. »Die ganze

Welt weiß, daß ich ein Ureinwohner dieses Landes bin. Wir
sind die Herren Mexikos, nicht die Franzosen. Einverstanden,
ich lasse die Feuer löschen, wenn Sie den Rauch und das Licht
für gefährlich halten. Durch wen gefährlich?«

Bowden lachte trocken. Sein scharfgeschnittenes Gesicht mit

den grauen Augen wirkte überheblich und selbstsicher.

»Das fragen Sie, Sir? Sie sollten die Yaquis und Apachen

eigentlich besser kennen als ich.«

»Natürlich! Meine indianischen Späher berichteten mir, daß

Cochise, der Häuptling der Chiricahuas, in Sonora eindrang
und auf dem Weg zu den Yaquis ist. Wir haben allen Grund,

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24

uns für dieses Treffen zu interessieren.«

»Wie meinen Sie das, Sir.«
»Was haben Sie nach Erfüllung dieses Auftrages vor?«
»Am liebsten würde ich nach Texas oder Kansas

zurückkehren«, antwortete Bowden trocken und unpersönlich.

Juárez' Augen lagen mit einem seltsamen Ausdruck auf dem

scharfgeschnittenen Gesicht des Amerikaners. Bowden fragte
sich, was den ehemaligen Präsidenten bewegte.

»Haben Sie einen weiteren Job für mich? Falls ja, was bringt

er ein?«

Juárez sagte: »Dreihundert. Die Arbeit dürfte Ihnen gelegen

sein.«

»Meine Preise richten sich nach der Art des Unternehmens,

Sir, und nach seinem Gefährlichkeitsgrad. Wenn es mich
meinen Kopf kosten kann, müssen Sie etwas zulegen. Daran
geht Ihre Revolution nicht zugrunde.«

»Mr. Bowden, Sie verstehen ein Geschäft auszuhandeln, alle

Achtung. Ich biete Ihnen das Doppelte. Sechshundert.«

Bowden nickte. »Und was muß ich dafür tun?«
»Bringen Sie mir die Nachricht, was Cochise bei dem Yaqui

will und was er mit Tehueco vereinbart. Es geht um Krieg oder
Frieden mit den Stämmen. Trauen Sie sich das zu?«

»Warum nicht? Sechshundert Goldpesos bei Erfüllung Ihres

Auftrages. Ich bin einverstanden. Bei Tagesanbruch reite ich.
Adios und gute Nacht, Sir.«

»Buenas noches, Señor Bowden!«

*

Es war ein brausender Schrei, der die Sterne verdunkelte und
mit hundert Echos von den Felsklippen zurückbrandete. Sogar
die Steine brachte er zum Beben. Der Schrei wiederholte sich
nicht, aber er hallte lange in der aufgewühlten Seele des
einsamen Mannes nach, der ein Kochfeuer unterhielt und eine

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25

Pfanne schwenkte.

Zwei Paar Augen beobachteten ihn bei seiner Tätigkeit. Auf

ein Kopfnicken Cochises erhob sich Naiche und folgte dem
Jefe auf die Lichtung. Als sie so beide unerwartet und lautlos
aus der Dunkelheit auftauchten, zuckte der Weiße zusammen
und sprang auf die Füße. Wie hingezaubert lag sein
großkalibriger Revolver in seiner Hand.

»Wer seid ihr?«
Cochise blieb stehen und starrte abwechselnd in die

Flammen und auf den Fremden. Wenn die Flammen den
Weißen anstrahlten, blickte Cochise in die kältesten grauen
Augen, die ihm je begegnet waren.

»Lösche das Feuer«, sagte er. »Yaquis sind in der Nähe. Du

hast ihren Jagdschrei gehört, oder nicht?«

Der Weiße nickte. »Wer bist du, ein Yaqui? Aber nein, das

kann nicht sein, du würdest mich sonst nicht warnen.«

»Ich bin Cochise, der Häuptling aller Apachenstämme. Ich

und mein Sohn haben von den Yaquis nichts zu befürchten,
aber du. Wirf Sand auf das Feuer.«

Cochise trat mit seinem Begleiter näher an das Feuer. Er war

um einige Zoll größer als der Amerikaner, mit einem
mächtigen Oberkörper, der das Wildlederhemd über der Brust
zu sprengen schien.

»Ich habe noch nicht gegessen«, protestierte der Weiße in der

dicken Buschjacke und dem flachkronigen Stetson auf dem
Kopf.

Naiche scharrte mit dem Fuß Erde über das brennende Holz.

Cochise antwortete: »Wenn du nicht im Dunkeln eine Mahlzeit
zubereiten kannst, dann bekommst du dein nächstes Essen in
den Ewigen Jagdgründen, Bleichgesicht. Los, lösche es!«

Der Fremde schob den Revolver ins Halfter und studierte

zweifelnd die Gesichter seines unverhofften Besuches.

»Du bist wirklich Cochise, der Jefe der Chiricahuas?«
»Ich habe gesagt, wer ich bin. Und wer bist du? Wenn ein

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weißer Mann das Land der Yaquis betritt, muß er sehr tapfer
sein oder verrückt. Die ›Vettern‹sind nicht gut auf Weiße oder
Mexikaner zu sprechen.«

»Mein Name ist Mark Bowden. Ich komme im Auftrag des

Präsidenten Benito Juárez und will zu den Yaquis.«

Aus den nahen Klippen schallte der Ruf eines

Gebirgskauzes. Langgezogen und klagend drang der Laut bis
in den letzten Winkel der wilden Gebirgslandschaft. Noch
einmal rief der Kauz alles Leid seiner Art in die
schattenerfüllte Dunkelheit, dann war es still.

»Du mußt nicht erst zu den Yaquis, sie sind schon da«, sagte

Cochise und fuhr dann fort: »Wer ein Feuer anzündet, ist
seinen Skalp so gut wie sicher los.«

Bowden errötete und löschte die letzte züngelnde Flamme

mit einem Schwall Sand, den er mit dem Fuß auf das
brennende Holz schleuderte. Als er sich aus seiner
halbgebückten Stellung wieder aufrichtete, sah er sich einer
Kette von Indianern gegenüber, die mit drohenden Gebärden
ihre Gewehre auf die drei Gestalten richteten.

Lautlos waren sie herangekommen, und ebenso lautlos hatten

sie die Gruppe beim Lagerfeuer eingekreist. Ein
hochgewachsener Indianer, der ein geflecktes Fell über der
Schulter trug, kam gleitend und lautlos wie ein Panther aus der
umgebenen Nacht und blieb vor Cochise stehen.

»Willkommen im Lager der Yaquis, Chiricahua. Wer ist

dieses Bleichgesicht?«

Bowden starrte eingeschüchtert auf die wilden Gesichter. Die

Körper der Krieger steckten in heller Leinenkleidung, an den
Füßen trugen sie Strohsandalen, auf den Köpfen spitze
Sombreros oder nur Stirnbänder. Wild flatterten ihre Haare bis
auf die Schultern. Alle trugen sie Waffen in den Händen,
gekreuzte Patronengurte über der Brust, ein Messer im Gürtel
oder ein Schlagwerkzeug als Waffe.

»Ein Abgesandter Juárez', Tehueco. Er will zu dir.«

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27

»Ich erwarte keine Botschaft. Tötet ihn!«
Zwei Krieger stürzten sich auf Bowden, rissen ihm den

Revolver aus dem Halfter und bemächtigen sich seines
Gewehres, das in der Nähe des Feuers an einem Stein lehnte.

Cochise hob die Hand. Sofort wurde es still auf der kleinen

Lichtung. Auge in Auge stand er dem Kaziken gegenüber.

»Du solltest dir seine Wünsche anhören, Tehueco. Das ist der

Rat eines Freundes. Die Zeiten sind nicht gut für den roten
Mann, und wenn wir ihre Zeichen mißachten, gehen wir
unserem Untergang entgegen.«

Der Häuptling, ein Mann mit einem breitflächigen Gesicht

und einer Adlernase wie ein gebogener Schnabel, drehte sich
zu dem Weißen herum. Seine Stimme klang dunkel, aber er
sprach ein gutes Spanisch.

»Sage deine Botschaft, Bleichgesicht, danach wirst du

getötet.«

»Ich komme als Abgesandter, Kazike, und genieße deinen

Schutz und die Garantie meines Lebens. Mein Name ist Mark
Bowden. Juárez schickt mich. Ich soll mit dir verhandeln und
dir im Namen des Präsidenten Geschenke versprechen«, log
Bowden unverdrossen.

»Wo sind die Geschenke?«
»Du kannst sie dir im Lager abholen oder eine Abordnung

schicken, wie du willst.«

Ein paar dunkle Augen glühten ihn an, nicht nur ein Paar,

mindestens zwanzig. So mancher Finger krümmte sich am
Abzug und manche Hand zuckte zum Messer oder zur
Schleuder, aber nichts geschah.

»Was will der abtrünnige Hund Juárez von mir?«
Verachtung klang aus Tehuecos Stimme, eine Verachtung,

die allen Indianern galt, die mit den Mexikanern paktierten und
ihnen Handlangerdienste leisteten.

Bowden spielte seinen letzten Trumpf aus. Er betete still zum

Himmel, jetzt die richtigen Worte zu finden, die den Yaqui

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28

überzeugen konnten.

»Juárez bittet dich um Beteilung am Freiheitskrieg aller

Mexikaner gegen die französischen Eindringlinge. Deine
Krieger werden wie die regulären Truppen des Präsidenten
behandelt. Sie erhalten Lohn, Waffen und Proviant. Sogar eure
Unteroffiziere dürft ihr stellen. Ein gutes Angebot, finde ich.«

Tehueco spuckte verächtlich zu Boden. In der Reihe der

Krieger kam lautes, drohendes Murren auf. Cochise und
Naiche verhielten sich still, und ihre Krieger in der Dunkelheit
des Lagerumkreises ebenfalls. Alle warteten ab. Die Situation
war plötzlich unübersichtlich geworden. Wenn Tehueco Juárez'
Abgesandten töten ließ, war ein Krieg gegen die wilden
Bergstämme unvermeidlich.

Bowden dagegen redete um seinen Kopf. Von Sekunde zu

Sekunde pochte sein Herz lauter. Er starrte zum dunklen
Nachthimmel empor. Ein Land der Finsternis, schwarz wie die
Hölle, um ihn herum und zwischen den Felsen die Schatten des
Todes, unberechenbar, launig und das einzige Licht
verdunkelnd, das sich in seine Sinne drängte: Benito Juárez.

Tehuecos Hand richtete sich auf den Weißen.
»Tötet ihn! Das soll meine Antwort auf das Angebot des

Abtrünnigen sein!«

Mit einem tierischen Geheul stürzten sich die Krieger auf

den Weißen. Bowden hatte mit der Reaktion des Kaziken
gerechnet. Mit gewaltigen Faustschlägen schmetterte er die
beiden ersten Angreifer zu Boden, trat dem dritten in den
Unterleib, einem vierten in die Rippen. Einem weiteren
Indianer hieb er die Faust so hart an den Kopf, daß der Yaqui
sich am Boden überschlug.

Bowdens zweite Aktion folgte auf dem Fuß. Mit einem

Riesensprung verschwand er aus dem Feuerkreis. Von Pfeilen
und geschleuderten Steinen verfolgt, glitt, stolperte und schoß
er die Böschung hinab und raste dem Fluß entgegen.

Für ihn gab es nur Flucht. Sein Pferd, die Ausrüstung und

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29

seine Waffen waren verloren, aber er hatte sein Leben gerettet,
und dafür war er dem Schicksal dankbar.

Das Gebrüll der Krieger lag ihm noch in den Ohren, als er

sich in die schäumenden Wirbel bei den Klippen stürzte und
mit langen Armstößen die Flußmitte des Rio Yaqui zu
erreichen versuchte.

Während er Wasser schluckte und wieder ausspie, dachte er

darüber nach, was er falsch gemacht haben könnte. Um Kräfte
zu sparen, legte er sich auf den Rücken und ließ sich von der
Strömung treiben. Ihm ging es bei diesem Krieg um nichts. Er
war nur an Geld interessiert. Patriotismus kannte er nicht, und
auch der Bürgerkrieg im Osten der Vereinigten Staaten war
ihm nur Mittel zum Zweck, Geld zu machen.

Während er unbeweglich mit dem dahinschießenden Wasser

trieb, überlegte er sich alle Möglichkeiten, wie er doch noch
zum Ziel gelangen konnte. Seine Gedanken waren dabei so
abgelenkt, daß er das Tosen eines Wasserfalles überhörte, auf
den er pfeilschnell zuschoß. Gischt hüllte ihn wie mit einem
weißen Mantel ein.

Als er merkte, was geschah, war es für ihn zu spät. Wie ein

Geschoß sauste er auf die Fälle zu und ging im brodelnden
Wasser unter. Zweimal prallte er heftig gegen Felsen und
versuchte verzweifelt, nach oben durchzustoßen, um Luft zu
schnappen.

Es gelang. Gierig saugte er das Lebenselement in seine

Lungen und füllte sie bis in die Spitzen. Um ihn herum war nur
Schaum und kochendes Wasser. Einmal wurde er
hochgehoben, dann wieder überspült und in die Tiefe gedrückt.

Den einsamen Haifischzahn, der auf seinem Weg über den

Fall aus dem Strudel ragte, sah er nicht. Aber er fühlte ihn. Als
er mit dem Kopf gegen ihn krachte, verließen ihn die Sinne. Er
versank im Wasser und wurde von dem Fall weit hinaus in das
tiefer liegende Becken geworfen.

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30

*

Es war stockfinster in der Schlucht. Ein Coyote heulte. Der
Wind stöhnte durch die weite Schlucht, raschelte im Laubwerk
und erfüllte die Klippensiedlung mit einem geisterhaften
Geflüster. Unter vorspringenden Felsplatten und in Höhlen
kauerten sie unter gespannten und lichtschluckenden Decken
an Feuern, die zwar Licht spendeten, aber keinen Rauch
verbreiteten.

Lagerposten lagen geduckt hinter Gestrüpp, das im Wind

trocken raschelte. Beim Schluchtausgang gurgelte der Rio
Esmeralda, der dem Rio Yaqui entgegenstrebte.

In der größten Höhle flackerte ein bescheidenes Feuer, das

von trockenen Kakteenästen genährt wurde. Cochise lehnte an
der Wand. Naiche saß mit Tehueco und zwei weiteren
Yaquikriegern beim Feuer. Tehuecos große Fäuste baumelten
zwischen den Knien. Er zupfte wiederholt an seiner Unterlippe.

Von der glatten Felswand herüber sprach Cochise. Seine

Stimme klang ruhig und sonar wie immer.

»Deine Späher leisteten gute Arbeit, Häuptling. Die

Nachricht, die sie brachten, klingt wohltuend in meinen Ohren.
Wieviel Gewehre sagtest du?«

»Drei Wagen voll, hochbepackt bis unter die Planen.«
Cochise kannte die Fahrzeuge der französischen Armee

nicht, stellte sich jedoch die Prärieschoner vor, in denen die
Weißen sein Land durchführen, um Kalifornien zu erreichen.

»Jeder Wagen faßte hundert Gewehre, dazu Pulver und Blei

und die langen Messer, die sie Bajonette nennen. Hohahe, gute
Jagd!«

»Du wirst sie angreifen, Häuptling der Yaquis?«
»Ich werde sie vernichten und viele Skalps erbeuten.«
»Wie viele?«
Tehueco hob die Hände und spreizte zweimal alle zehn

Finger. Cochise hob den Kopf und starrte den Kaziken an. Der

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wich seinem Blick aus und ritzte eine Landkarte mit dem
Finger in den weichen Höhlensand.

»An dieser Stelle mündet der Yecora in den Rio Yaqui. Das

Land ist flach. Umgeben von Bergen wächst an dieser Stelle
Gras für ihre Pferde. Sie werden einen Tag damit verbringen,
ihre Wasserfässer zu füllen und im Fluß zu baden.« Er spuckte
aus.« Dort überfallen wir sie in der Morgendämmerung. Folgt
Cochise mit seinen Kriegern Tehuecos Ruf?«

Cochise stieß seine Schulter von der Wand ab und trat ans

Feuer. Die dunklen Augen der Yaquis verfolgten jeden seiner
Schritte.

»Alle Chiricahuas werden teilhaben«, sagte er.
»Auch an den Gewehren?« Tehuecos Stimme klang leise und

lauernd.

»Chiricahuas brauchen keine Gewehre von den Franzosen.

Sie holen sie sich von den Soldaten im Norden.«

Tehuecos Gesicht entspannte sich. Er stand katzengewandt

auf und reichte über die Flammen hinweg dem Jefe der
Apachen die Hand.

»Wann brechen wir auf?« fragte Cochise.
Teheuco antwortete: »Eine Stunde nach Mitternacht. Wir

machen keine Gefangenen. Yaquis machen nie Gefangene.«

»Keine Gefangenen«, antwortete Cochise beipflichtend.
Die Eingangsdecke schlug zurück. Lautlos glitt ein Krieger

auf seinen Maisstrohsandalen in den Höhlenraum. Er blieb vor
Tehueco stehen und wartete, bis dieser ihn ansprach.

»Du bist zurück, Tejotitan. Was hast du zu berichten?«
»Viele Reiter nähern sich dem Unterlauf des Rio Yaquis. Sie

besitzen gute Waffen und Pferde, und sie führen auf Packmulis
Proviant mit.«

»In welche Richtung reiten sie? Banditos?«
Der Späher nickte und gurrte ein paar Worte, die Cochise

nicht verstand. Tehueco drehte den Kopf und sprach über das
Feuer hinweg:

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»Der Bastard nennt sich Carlos Porfiro Mojada. Die Männer,

die sich ihm anschlossen, sind seine Bande. Manchmal spricht
er auch von einer Armee Soldaten.«

»Sind sie Soldaten?«
Tehueco spuckte angewidert ins Feuer.
»Desperados«, antwortete er auf Spanisch. »Mörder,

Plünderer, Frauenschänder!«

»Was wollen sie in den Jagdgründen der Yaquis?«
»Rauben und zerstören. Sie überfallen Haziendas, treiben

Vieh und Pferde fort, erschießen alles, was sich ihnen in den
Weg stellt. Die Soldaten sagen dann, das haben Yaquis getan.«

Tehueco wiegte den Kopf wie jemand, der mit seinen Sorgen

nicht fertig wurde. Mit gedämpfter Stimme fuhr er fort: »Meine
Krieger werden auch sie vernichten. Zuerst die Soldaten mit
den roten Hosen, danach die Desperados. How!«

»How!« grunzten die Anwesenden. Das flackernde

Feuerlicht zeichnete ihre Gesichter auf die Wände und ließ sie
ins Dämonische verzerrt auf den weißen Flächen des
Kalkgesteins erscheinen. Für einen unbeteiligten Weißen
mußte es aussehen, als hätte die Hölle ihre Bewohner
ausgespien, die sich in dieser Naturhöhle ein Stelldichein
gaben. Aber Weiße waren nicht anwesend.

»Dein Angriffsplan ist fertig«, sagte Cochise und wechselte

einen Blick mit Naiche. »Du hast nichts vergessen, Tehueco?«

»Was?«
»Deinen Krieger nach der Anzahl der Weißen zu fragen.«
Tehueco winkte ab.
»Das ist unwichtig, Cochise. Die Yaquis zählen ihre Feinde

nicht, bevor sie angreifen.«

»Es könnten mehr sein als du Krieger hast. Außerdem sind

sie besser bewaffnet.«

»Wir erbeuten Gewehre, Cochise. Für jeden Yaquikrieger

eines jener Gewehre der Franzosen. Ist das nicht genug für ein
paar Desperados?«

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Cochise wollte eine scharfe Erwiderung geben, wurde aber

abgelenkt. Ein hochgewachsener Krieger betrat die Höhle. Mit
seiner Breite wirkte er noch größer als der Häuptling der
Apachen. Er blieb beim Feuer stehen und richtete sich auf.

»Wenn Cochise, der Häuptling aller Apachenstämme Angst

vor den Banditos hat, muß er nicht mit den Yaquis in den
Kampf ziehen. Um so größer ist die Beute, die den Yaquis
zufällt.«

Cochise kam mit einem weiten Schritt um das Feuer. Naiche

stand schnell auf, die Hand am Messer. Aber er blieb stehen,
um abzuwarten, was sein Vater vorhatte.

»Du willst sagen, daß die Chiricahuas feige sind?«
Cochises Stimme war ein dunkles Grollen, das lange

nachhallte. Pitcar, Tehuecos Sohn, war um einen Zoll größer
als er, noch breiter in den Schultern, und er war jünger. Der
Yaqui hatte gerade das achtzehnte Lebensjahr erreicht und war
durch den Rat der Ältesten zum Krieger erklärt worden.

Das Schweigen beim Feuer wurde lähmend. Wieder

durchmaß Cochises Blick den Kreis der Welt, die dem Indianer
geblieben war. Es war kein fruchtbringendes Schauspiel, das
sich ihm in dieser Höhle bot. Wo er hinsah, überall stieß er auf
die gleiche anmaßende Gefühllosigkeit, auf das sinnlose
Imponiergehabe des roten Mannes.

Ihm war, als wate er durch milchiges Wasser, schäumend

und gischtend, und jenseits dieses Wassers sah er eine
ungeheure Öde, die ihn mit eigener Schwere weiterschob,
während sie alles, was eine rote Haut hatte, gnadenlos
zermalmte.

Pitcar schien zu ahnen, was in dem großen Häuptling

vorging. Er senkte den Blick und murmelte Worte der
Entschuldigung. Tehueco richtete sich auf, schob sich
unmerklich zwischen den Häuptling und seinen Sohn.

»Du hast dem Jefe der Apachen Ehre erwiesen und dich

entschuldigt, mein Sohn. Geh nun, bevor es den Mann reut, den

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du mit deinen Worten schmähtest. Geh!«

Pitcar ging. Grußlos verließ er die Höhle. Cochise wandte

sich um.

»Die Chiricahuas werden die Desperados angreifen und

vernichten, die Yaquis die Soldaten in den roten Hosen. Die
gesamte Beute gehört den Yaquis. How!«

Aufgerichtet und stolz verließ er die Höhle. Naiche folgte

ihm.

*

Der auseinandergezogene Reitertrupp hielt auf ein
Handzeichen Majadas jäh an. Carlos deutete auf die
Flußbiegung und rief dem neben ihm reitenden Mort Douglas
etwas zu, aber die Worte gingen im Brausen der Fälle unter.

Mort sah auch so, was der Bandenchef meinte. Die Sohle des

Tales, in das sie ritten, war feucht. Dichtes Moos klebte wie
nasser Schwamm an den Felsen und schickte seine Ausläufer
bis zum Wasser. Es gurgelte und rauschte, schäumte und
gischtete dort drüben bei den doppelten Fällen.

Aber das alles beachtete der Revolvermann nicht. Dem

zusammengekrümmten Körper galt seine Aufmerksamkeit,
einem Körper, der sich wie ein nasses Tuch um einen
herausragenden Felsen geschlungen hatte.

»Ich reite hin und hole ihn heraus.«
»Du bleibst hier, Mort. Emerito kann das besser als du. Dich

und deine Revolver brauche ich hier.«

»Hast du Angst, Greaser?« kam es spöttisch zurück. »Wenn

du Angst hast, dort drüben ist ein Gebüsch. Dort kannst du die
Hose wenden.«

Carlos Porfiro Mojada bezwang seinen Zorn, der bei solchen

Situationen und bei den spöttischen Worten des Gringos in
Jähzorn ausartete. Innerlich kochte er, zumal das hinter ihm
reitende Mädchen jedes Wort mithören konnte.

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»Emerito macht das, du bleibst hier!« befahl er scharf. »Wir

sind auf Yaquiland und können jeden Augenblick auf sie
stoßen oder auf Apachen. Emerito, hol ihn heraus.«

Der mexikanische Bandit trieb sein Pferd zum Fluß und ließ

es in das seichte Wasser plantschen. Bis zu ihm herauf spritzte
das feuchte Element. Bei der Klippe neigte er sich aus dem
Sattel, packte den Mann beim Arm und riß ihn auf den Rücken.

Es war ein Weißer. Seine Stirn zierte eine fastgroße Beule.

Der Mann war hochgewachsen, breitschultrig und schwer.
Emerito stieß einen Ruf aus und winkte.

Es war der Hilferuf eines Mannes, der sein ihm auferlegtes

Werk nicht vollbringen konnte, weil er hilflos auf einem Pferd
saß und das kalte Wasser scheute.

»Ziehe ihn ans Ufer.«
»Er ist schwer, ich kann nicht. Außerdem ist er ohne

Bewußtsein!« schrie er zurück. Und nach einem keuchenden
Atemzug setzte er hinzu: »Schicke noch einen Mann, am
besten Pila, der ist stark und kann schwimmen!«

Pila ritt auf einen Wink Mojadas an und kam durch das

seichte Wasser herüber. Beiden zusammen gelang es leicht,
den Bewußtlosen ans Ufer zu schleifen.

Mojada und Mort Douglas trieben ihre Pferde an die

Uferstelle und stiegen ab. Bei dem Verwundeten blieben sie
stehen und sahen sich um. Sie verstanden, was geschehen war.
Sie begriffen auch, was der Himmel tief am Horizont zu
bedeuten hatte. Seltsam fahl glomm die Sonne, fast verborgen
hinter gestaltlosen Nebel und Dünsten, die wie feste Massen,
aber ohne Konturen und Linien wirkten.

»Den Mann hat's ganz schön erwischt«, sagte Mojada und

warf einen prüfenden Blick zu den Höhen hinauf. Zu sehen war
nichts. Das hatte aber nichts zu bedeuten. Die Indianer in dieser
Region sah man nicht, wenn sie nicht gesehen werden wollten.
Yaquis oder Apachen, es blieb sich gleich.

»Was machen wir mit ihm?«

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36

Douglas zog seinen Colt. Der Hahn rastete knackend ein und

der Lauf mit dem abgefeilten Korn richtete sich auf den
blutverkrusteten Mann am Boden.

»Ein Schuß löst alle Probleme«, knurrte Mort und entblößte

seine Oberzähne.

»Mort!« sagte der Mexikaner hastig.
»Kannst du kein Blut sehen, Spie?« der Revolvermann

grinste verschlagen. »Nur einen Schuß. Ich schieße bestimmt
nicht vorbei.«

»Nein! Man kann den Schuß weit hören. Wir wissen nicht

genau, wo wir sind. Möglicherweise sind Rothäute in der
Nähe…«

»Na und?« unterbrach ihn Douglas. »Sollen sie doch

kommen. Wir schießen sie ab wie auf einem Scheibenstand
und…«

»Dazu mußt du Narr sie erst sehen, aber du wirst sie erst

sehen, wenn sie vor dir aus dem Boden wachsen und dir ihr
Messer in den Wanst stoßen. Laß es sein, Hombre.«

»Du bist feige, Spie, ich wußte es, und du hast Angst und

womöglich die Hose schon gestrichen voll, deswegen stinkst
du wie ein Skunk.«

Carlos zuckte zusammen und war mit einem Sprung vom

Pferd. Seine Hand zuckte zum Revolver, während er seine
Beine spreizte, um beim Rückschlag der Waffe genügend
Stand zu haben.

»Stecke deine Kanone ein und komm von deinem Pferd. Wir

tragen es jetzt aus, hier an dieser Stelle. Komm runter,
Bastard.«

Mort Douglas steckte seelenruhig den Colt ins Halfter und

schwang ein Bein über die Pferdekruppe. Gemächlich stieg er
aus dem Sattel und trat vier Schritte von dem Tier weg. Dabei
blinzelten seine hellen Augen, als sei er über den plötzlichen
Mut des Mexikaners verwundert, den er ständig beleidigte, um
ihn herauszufordern.

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37

Beide gingen zehn Schritte in die entgegengesetzte Richtung.

Zehn Schritte für Mort, zehn für Carlos. Als sie abgeschritten
waren, blieben sie beide wie auf ein Kommando stehen.

»Zieh!« rief Mort bissig. »Zieh, Spie, damit wir es hinter uns

bekommen.«

Ein heller Schrei ließ beide zusammenzucken und

herumfahren. Aller Augen waren auf sie gerichtet, nur das
Mädchen schaute in eine andere Richtung. Ihr Blick hing auf
dem zerklüfteten Bergland im Süden, das der Rio Yaqui in
zwei Hälften teilte.

Mort und Carlos drehten gleichzeitig ihre Köpfe herum und

zuckten zusammen. Acht Indianer hielten auf ihren Ponys hoch
oben auf den Klippen. Genau acht. Weder Mort noch Carlos
zählten sie. Carlos sagte: »Begraben wir unsere
Meinungsverschiedenheit bis zur nächsten Gelegenheit? Oder
willst du dich im Angesicht des sicheren Todes doch noch mit
mir schießen?«

»Yaquis«, murmelte Mort Douglas. »Alle Wetter, gleich acht

auf einem Haufen.«

Carlos erwiderte: »Apachen.«
»Was?«
»Das sind Apachen«, wiederholte der Mexikaner.

»Chiricahuas.«

»Wie willst du das erkennen?«
»Ich weiß es eben. Ein Dummkopf wie du kann keinen

Yaqui von einem Apachen unterscheiden.«

»Den Dummkopf schieße ich dir eines Tages mit einem

Pfund Blei in deinen Bauch, verlaß dich darauf. Was machen
wir? Hauen wir ab?«

»Wir sind in der Überzahl und bestimmt besser bewaffnet.

Vielleicht ziehen sie ja auch wieder ab, wenn sie erkennen, daß
sie keine Chance haben. Nein, wir nehmen es mit ihnen auf.«

»Laß uns verduften«, sagte Esteban kläglich. »Meine

Kopfhaut juckt auf einmal so sonderbar.«

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38

»Halt's Maul, du feige Laus«, knurrte Carlos Porfiro Mojada.
»Sie werden uns vom Hügel aus abschießen wie Kaninchen.«
»Das können sie nicht«, trumpfte Carlos auf. »Zu weit, viel

zu weit. Wenn sie nicht herunterkommen, haben wir nichts zu
befürchten.«

»Die sind schneller da, als du bis drei zählen kannst.«
Carlos drehte sich zu Mort um.
»Dein großes Maul wird dir eines Tages gestopft werden, so

wahr ich ein Caballero bin.«

»Du und Caballero?« grunzte Mort verächtlich. »Du

dämlicher Hund spielst dich doch nur vor der glutäugigen
Kleinen auf, mehr ist nicht dahinter. Wir verteilen uns und
warten auf das, was kommt. Ich glaube nicht, daß sie uns von
oben anfallen werden. Aber sie könnten die andere Hangseite
benutzen, um ungesehen in die Flußniederung zu gelangen.
Von dem Felsenlabyrinth und den Büschen dort drüben wäre es
noch ein Katzensprung. Falls sie angreifen, legt euer Feuer vor
die Lücke dort drüben. Sind sie erst einmal in unserer Nähe,
wird's zum Kampf Mann gegen Mann kommen, und im
Nahkampf sind sie uns überlegen.«

»Einen feuchten Dreck sind sie, wir haben die besseren

Waffen«, widersprach Carlos. »Wer gibt die Kommandos, du?
Noch bin ich der Führer der Bande und gebe die Befehle.«

»Du und Befehle…« Mort lachte herausfordernd, dabei ließ

er offen, was er dachte.

Er ging in Deckung hinter einen bemoosten Stein, getrieben

von der stummen Drohung auf dem Hügel. Nichts rührte sich
in der Landschaft. Das Schweigen des nahen Todes hing wie
ein Alptraum über der Wildnis. Carlos war zu dem Mädchen
gehuscht und legte sich neben sie hinter einen Kieshaufen, den
das letzte Hochwasser angeschwemmt hatte.

»Wird es schlimm für uns werden, Señor?«
»Nein, sicher nicht«, log der Desperado. Er blickte zum

Himmel und dann wieder zu den Hügeln. Heftig zuckte er

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zusammen. Die Indianer waren verschwunden.

Esteban kam angekrochen. Er kratzte sich am Hals. »Was

nun?«

Carlos stierte auf die Felsen und den Einschnitt. Das Land

sah so leer aus wie ein Mondkrater. Etwas drängte ihn,
umzukehren und wegzureiten. Apachen waren nicht gerade
sympathische Menschen.

»Verduften wir, noch ist's Zeit«, sagte Esteban. »Sie

schlängeln sich wie Reptilien an uns heran, und wir werden sie
erst hören und sehen, wenn sie vor uns aus dem Boden
wachsen.«

Carlos' Augen verengten sich. »Amigo«, erwiderte er leise.

»Du spielst doch nicht mit dem Gedanken zu verschwinden?«

»Habe ich nicht vor«, ereiferte sich der Mexikaner. »Ich will

nur eine reelle Chance, wenn ich schon kämpfen muß.«

»Du wirst sie erhalten, wenn sie angreifen.« Mehr sagte

Carlos nicht.

Die Stille des Todes bedrückte sie alle und machte sie

unsicher. Einige zitterten so, daß sie ihre Gewehre aus den
Händen legen mußten. Andere murmelten Gebete und flehten
die heilige Jungfrau an, an die sie glaubten, obwohl sie
Banditen und Mörder waren.

Carlos blickte auf den undurchschaubaren Mort neben sich.
»Du bleibst hier«, sagte er. »Gib mir Deckung, bis ich die

Lichtung überquert habe.«

Mort nickte lässig. Doch sein Tonfall war nicht ohne Rat.
»Sei vorsichtig«, flüsterte er. »Mann, was hast du vor? Wäre

doch schade, wenn einem so hübschen Spie etwas zustoßen
würde.«

»Deine Besorgtheit rührt mich zu Tränen«, erwiderte Carlos

trocken. »Du bist ein gottverdammtes Schlitzohr, Muchacho.«

Alle wußten sie, daß die Apachen keine Zeit mit

Verhandlungen verschwenden würden. Sie würden sich
heranschleichen und plötzlich da sein, als hätte sie die Hölle

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ausgespuckt. Die Augen der Männer suchten jeden Stein,
Busch oder sonstwie geartete Deckungen ab. Kein Lufthauch
bewegte die zundertrockenen Büsche zu ihrer Linken. Selbst
der Gesang der Vögel war verstummt. Und als Mario, einer der
Jüngsten der Bande, einen Blick zum Himmel warf, sah er die
kreisenden schwarzen Punkte, die ohne Kraftaufwand im
Auftrieb schwebten. Er zuckte entsetzt zusammen und legte
sein schweißnasses Gesicht auf den Unterarm.

Carlos sprang auf und huschte zu dem verstaubten Gestrüpp

hinüber. Er nutzte jede noch so kleine Deckung aus, bis er in
einer Lücke im Buschwerk angekommen war. Hier warf er sich
in den Staub und lockerte das Messer in der Scheide. Nach
einer Weile tastete er nach dem Revolvergriff. Dann schlich er
weiter, rund um die Basis des Hügels. Seine Nerven waren
dabei aufs Äußerste gespannt.

Während er hinter den Hügel zu kommen versuchte, lagen

die anderen in wachsamer, angespannter Angst hinter ihren
Deckungen. Die Tageshitze und das Grauen vor dem, was sie
erwartete, wenn die Apachen unbemerkt über sie kamen, preßte
sie förmlich an den Boden.

Als ein Schrei des Entsetzens und der Todesfurcht über die

Lichtung zitterte und sogar das Rauschen des Flusses
übertönte, kam die Panik genausoschnell über sie wie die
Apachen.

*

Lieutenant Gaston de Meville ritt dem Wagenzug hundert und
manchmal mehr Meter voraus. Ihm folgten ein Zug Kavallerie,
die drei Munitionsfahrzeuge und schließlich ein Halbzug
Infanterie angeführt von einem Corporal.

Gaston de Meville war stolz auf sein Kommando, weil es das

erste war, für das er ganz allein die Verantwortung trug.
Verwegen hatte er das Käppi aufs rechte Ohr gedrückt, und

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41

ebenso verwegen saß er bolzengerade im Sattel. Ein wenig
schläfrig war er. Die Hitze war infernalisch und trocknete die
Haut schneller aus als man Flüssigkeit durch die Kehle jagen
konnte.

Aber auch die Hitze mußte einmal der Nachtkühle weichen,

und wenn die Sonne hinter der Sierra Madre versank und lange
Schatten den Zug einhüllten, würde es erträglich werden.

Er warf einen Blick über die Schulter, sah die taumelnden

Gestalten der Infanteristen, die hängenden Köpfe der Pferde
und ihre schleppenden Hufe, die bei jedem Schritt strauchelten.
Sie taten ihm leid, alle, aber er konnte nicht helfen.

Sein Befehl lautete, Waffen und Proviant so schnell wie

möglich zur letzten französischen Garnison nach Matachic zu
bringen, und Matachic war noch weit. Die Garnison lag am Rio
Moctezuma, zehn Meilen von Suaqui entfernt.

Er würde sie übermorgen erreichen, wenn er Wasser für die

Soldaten und die Tiere fand. Wenn? Er lenkte sein Pferd in
einen breiten Hohlweg und nahm übergangslos bestialischen
Geruch wahr. Er hielt an, stieg vom Pferd und zerrte es ein paar
Schritte weiter. Aber das Tier zitterte an allen Gliedern und
weigerte sich, dem Offizier Folge zu leisten.

Gaston de Meville, uralter Adelssproß, nahm all seinen Mut

zusammen und drang in eine schmale Schlucht ein, die im
rechten Winkel auf den Hohlweg stieß. Mit jedem Schritt
wurde der Verwesungsgeruch infernalischer. Gaston blieb
stehen, band sich ein seidenes Tuch um Mund und Nase, gab
Sergeant Fabien Seyrig, der ihm gefolgt war, einen Wink ihm
zu folgen und ging weiter.

Die Schlucht machte einen Knick. Als der Lieutenant ihm

folgte, stieß er unerwartet auf eine Verbreiterung und auf eine
spärliche Vegetation, die zundertrocken bei jedem Windstoß
wie Pergament knisterte.

Aber er sah noch etwas. Mitten in diesem braungelben Wall

verkümmerter Pflanzenreste hoben sich zwei dunkler gefärbte

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Punkte ab, von denen dieser entsetzliche Verwesungsgestank
auszugehen schien.

»Mon Dieu!« stöhnte der Sergeant hinter ihm.

»Allmächtiger, das ist ja schrecklich.«

Gaston nickte, ging weiter und versagte es sich, öfter als

einmal in der Minute Luft zu holen.

»Folgen Sie mir, Sergeant!«
Die wenigen Worte bereiteten ihm Höllenqualen, und als er

schließlich vor dem entsetzlich verstümmelten Etwas stand, das
ehemals zwei Menschen gewesen waren, erbrach er sich.

»Sie wurden skalpiert«, sagte der Sergeant hinter ihm. »Von

Yaquis.«

»Woher wollen Sie das wissen, Mann? Es gibt auch noch

andere Stämme in Sonora, ganz bestimmt Apachen. Sie sind
nicht weniger grausam als die Ureinwohner Mexikos. Ein
Beerdigungskommando soll die beiden armen Teufel unter die
Erde bringen. Dalli, Sergeant.«

Er machte einen weiten Bogen um die Stätte der indianischen

Hinrichtung und näherte sich einem Wall aus aufgeschichteten
Steinen. Er kroch auf allen vieren auf dem Wall weiter, schob
lose Steine aus dem Weg, setzte dann mit der mühsamen
Kriecherei eine Weile aus, als seine Hände und Füße
schmerzten. Schließlich kroch er in den Schatten eines
überhängenden Felsens.

Mit einem langen Blick starrte er die Böschung hinunter.

Plötzlich wurde ihm klar, weshalb es auch hier unangenehm
nach Verwesung roch, wenn auch nicht so stark wie bei den
Gemarterten. Er konnte das große, weiße Knochengerippe im
Licht der sinkenden Sonne deutlich sehen. Das Fleisch war so
sauber entfernt, als hätten Geier und Bussarde ihre Arbeit
beendet. Apachen und Yaquis ließen gutes Maultierfleisch
nicht so schnell verderben.

Das Sonnenlicht glänzte matt auf etwas, was jenseits der

gebleichten Knochen lag. Es sah aus wie Silberplatten. Gaston

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de Meville kroch ein Stück weiter über den Wall und verließ
ihn an einer Einbruchstelle. Mit gezogenem Revolver näherte
er sich dem glänzenden Etwas.

Als sein Fuß gegen zwei Säcke stieß, zuckte er zurück. Dem

Klang nach war Metall enthalten. Er ließ sich auf die Knie
nieder und öffnete das Lederband, das den Sack
zusammenhielt. Silbergeschirr kollerte vor seine Füße. Platten,
Schüsseln und Leuchter aus reinem Silber, alles Gegenstände,
zu denen auch eine Frau gehören mußte.

Gaston schlängelte sich eine Geröllböschung hinunter. Im

Schatten eines einsamen Felsblocks blieb er liegen. Vor sich
sah er etwas. Er kroch langsam weiter, spürte den
Reibungsschmerz an seinen Knien und fluchte unterdrückt. Als
er sich einen Kaktusdorn in die Hand riß, wurde sein Fluchen
vehementer. Trotzdem kroch er weiter, bis er erkennen konnte,
was dort lag.

Der Körper lag auf dem Rücken. Schwarzes Haar zeichnete

sich dunkel gegen die weiße Haut ab. Der nackte Körper einer
Frau war erstaunlich hell, nur das verzerrte Gesicht hatte eine
dunklere Farbe.

Tote Augen starrten blicklos zum Himmel. Man hatte sie

erschlagen.

Was diese Tragödie ausgelöst hatte, konnte Gaston nur

ahnen. Die Frau, noch jung und außergewöhnlich hübsch, war
nicht von Indianern getötet worden. Sein Blick glitt nach links.
Ein Gewirr von Felsen und losen Steinbrocken türmte sich an
der Basis der Wand in die Höhe. Spuren dorthin gab es nicht.

Der Offizier zwang sich dazu, langsam und vorsichtig

zurückzugehen, obwohl ihn die Angst gepackt hatte. Lautlos
kehrte er über den Wall zurück, bis er beim
Begräbniskommando angelangt war.

Er brauchte kein Wort zu sagen. Sergeant Fabien Seyrig

wußte Bescheid. Die Toten waren bestattet. Nach einem Gebet
schloß man das Doppelgrab.

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»Hinter jenem Wall, Sergeant, liegt eine tote Frau. Wenn ihr

sie in die Erde gebettet habt, rasten wir zwei Stunden.«

»Sollen wir nicht besser über Nacht Biwak aufschlagen?«
»Nein, wir ziehen weiter. Sie kennen unseren Befehl,

Sergeant.«

*

Die braune Faust hieb donnernd auf den Tisch. Geschirr, Kerze
und Pläne wackelten oder segelten zu Boden.

Benito Suárez war außer sich. Sein braunes Falkengesicht

mit den nach der neuesten Mode gestutzten Bartkoteletten
wandte sich im Zorn zwei Männern zu, die mit gekreuzten
Patronengurten vor ihm standen und recht betreten dreinsahen.

»Ich fühle mich von allen Seiten verraten und verkauft.

Korruption in den eigenen Reihen, Befehlsverweigerungen am
laufenden Band, Widerstand gegen die Offiziere. Dazu keine
Nachrichten aus dem Süden, keine Meldung von diesem
Bowden. Nur Widerwärtigkeiten! Ich frage Sie, Señores, wo
das hinführen soll? Machen wir eine Revolution oder sind wir
eine Räuberbande?«

Colonel Destinguez zuckte so heftig zusammen, daß ihm die

Zigarre aus den Fingern fiel. Colonel Alberque drehte den
Kopf zur Seite, um die funkelnden Tigeraugen nicht sehen zu
müssen.

»Es gibt auch gute Nachrichten«, sagte Destinguez

zurückhaltend.

»Welche? Nennen Sie mir nur eine einzige, Señor!« Juárez

schnappte wie ein Hai.

»Maximilians Wagenzug mit Gewehren und Proviant, Señor

Präsident.«

»Ein Gerücht, nichts weiter.«
»Kein Gerücht. Die Nachricht ist zuverlässig. In zwei Tagen

ist der Troß in unserer Nähe. Befehlen Sie den Angriff,

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45

Señor?« fragte Destinguez.

»Ich befehle nicht nur den Angriff, Señores, sondern erwarte

auch Erfolge. Dringende Erfolge, verstehen Sie? Die Armee
wird unruhig, und eine unruhige Armee ist immer eine Gefahr
für einen Heerführer, dem für den Augenblick die Hände
gebunden sind. Hiobsbotschaften dürfen von jetzt an nicht
mehr weitergegeben werden. Deserteure sind standrechtlich zu
erschießen, Korruption abzuurteilen. Auch das ist ein Befehl,
Señores.«

»Um welche Hiobsbotschaften handelt es sich, Señor

Präsident? Man vernimmt in einem so großen Lager viel, weiß
aber nichts Genaues.«

Juárez bückte sich, hob die am Boden liegenden Pläne und

Aufzeichnungen auf. Als er sich wieder aufrichtete, war sein
Gesicht krebsrot.

»Selbstverständlich wissen Sie nichts«, antwortete er bissig.

»Einfach deswegen, weil Sie nichts wissen wollen. Oder haben
Sie die Befehlsbekanntgabe von gestern schon wieder
vergessen? Was las ich denn vor? Ich darf Ihnen Einzelheiten
des Offiziersgespräch noch einmal vortragen, oder ermüdet Sie
mein Geschwätz?«

»Señor Präsident…«
»Seien Sie still, Colonel. Hören Sie zu: Proviantmangel,

verlustreiche Kämpfe gegen Desperadobanden und Indianer,
kein Futter für die Pferde und das Schlachtvieh, das steht im
Vordergrund. Nachrangig sind die Yaquis und Apachen, die
uns das Leben sauer machen. Wenn wir überleben wollen,
müssen Pferde und Mulis geschlachtet werden. Sofort. Das war
meine Anordnung, das war ein Befehl. Und was ist geschehen?
Nichts!«

Albergue fuhr sich mit dem Finger um den runzeligen Hals.

Er machte Kalbsaugen, wagte aber doch eine Erwiderung.

»Wir sind Reiter, Señor Präsident, Kavalleristen. Keiner der

Männer kann ein Pferd leiden sehen, aber schlachten kann er es

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auch nicht.«

Juárez funkelte ihn an und schmetterte seine Hand erneut auf

den Kartentisch.

»Wir haben Tiere zuviel. Gott weiß, wir haben nicht genug

Wasser und Futter für die Herde, aber wir werden uns noch
eine Weile gedulden müssen, bis wir wissen, was wir zu tun
haben. Die überschüssigen Tiere sind zu töten und ihr Fleisch
an den Kochfeuern zu verteilen. Und das sofort.«

»Das ist unmöglich, unsere Männer würden sofort meutern.«
»Albergue, dann stelle ich alle Beteiligten vor ein

Kriegsgericht und vor ein Erschießungskommando!«

»Lassen wir sie laufen, sie schlagen sich allein durch.«
Juárez starrte den Mann an, als hätte er ihn nicht verstanden.
»Hören Sie«, antwortete er. »Ich mag weder Muli- noch

Pferdefleisch. Aber, caramba, ehe ich verhungere, würge ich
auch das in mich hinein. Veranlassen Sie sofort alles, sonst
bringe ich Ihnen bei, wer in diesem Lager die Befehle gibt.
Und Sie, Señor Destinguez, bereiten einen Trupp ausgesuchter
Leute und den Überfall auf den Wagenzug vor. Bin ich
verstanden worden? Danke, meine Herren, das wäre alles!«

*

Halluzinationen überfielen Carlos Porfiro Mojada,
unangenehme Einbildungen. Er sah nur Staub und rollende
Felsbrocken vor sich, und der Steinschlag wälzte sich auf ihn
zu. Sein Herz begann ein warnendes Pochen, dessen
Konsequenz aber nicht bis zu seinem Gehirn durchdrang.
Danach kam das wilde Hüpfen und das aufgeregte Flattern, der
eiserne Ring, der sich um seine Stirn preßte, und schließlich
kroch das Schwindelgefühl langsam und schleichend durch
sein Gehirn.

Sein verzweifelter Mut wurde von einer mächtigen Woge

von Angst besiegt. Was sollte er tun, wenn die Apachen

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angriffen? Oder waren es Yaquis?

Der Schrei erreichte ihn und löste eine weitere Angstwelle

aus. Der Schrei war so gräßlich und gellend, daß Mojadas Herz
auszusetzen drohte. Pila schrie so, der kleine Pila, der Jüngste
der Bande.

Es kam so schnell über sie, daß es ihr Verstand gar nicht

begriff, zu schnell und zu überraschend. Bei der Hügelwand
entstand ein Getöse, als wollte die Welt untergehen. Staub
verdunkelte die Sonne und ließ ihren Standort nur noch ahnen.

Was den Hang herunterkam, war groß, klotzig und

gewalttätig. Felsen rollten über den Abhang, rissen andere aus
ihrem Bett, stürzten sich gemeinsam mit Geröll und Sand auf
die Banditen.

Pila schrie wieder. Esteban und Emerito sprangen auf und

rannten zu den schreienden und auskeilenden Pferden. Die
Tiere rissen an den Seilen und schrien wie kleine Kinder in
ihrer Not. Mario und Giulio nahmen ihre Hüte von den Köpfen
und schlugen auf die völlig verstörten Tiere ein.

»Um Gottes willen, haltet sie auf!«
»Ohne die Pferde sind wir in der Wildnis verloren. Wirf dich

ihnen entgegen!«

Carlos lag wie betäubt am Boden und wagte kaum, Luft in

seine Lungen zu ziehen. Im dichten Staub sahen sie sich nicht
mehr, dazwischen platzten die Felsbrocken wie Schrapnells.
Ein Pferd riß sich los und rutschte die Böschung hinunter.
Joseph Perez, ein hochgewachsener und gewalttätiger Mann,
schrie erschrocken auf, als zwei aufgeregte Pferde auf ihn
zurasten. Er wurde gegen einen mächtigen Stein geschleudert
und brach in die Knie.

»Heilige Mutter Gottes, laß diesen Alptraum vorübergehen!«
Tosender Lärm hallte durch das Flußbecken und wurde von

den Wänden zurückgeworfen. Staub erstickte alles wie ein
Leichentuch. Und dann kamen sie!

Huschende Schatten, schnell, beweglich, lautlos. Messer und

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Kriegskeulen blitzten. Augen funkelten und Münder öffneten
sich zum Schrei. Irgendwo wurde geschossen, hektisch und
ziellos.

»Sie sind unter uns«, keuchte Carlos, strich sich den Brei aus

Staub und Schweiß aus dem Gesicht, und sah plötzlich das
Mädchen auftauchen. »Sie werden uns alle massakrieren!
Kommen Sie, wir müssen fort!«

Seine Stimme hatte ihren normalen Klang verloren, sie

kreischte im höchsten Diskant, mit der vollen Stärke einer
trockenen Kehle. Angst beflügelte seine Schritte, aber er wußte
nicht, wohin er sie lenken konnte, denn überall war Staub, der
das Licht verdeckte und aufsog wie ein Schwamm Wasser.

Das Mädchen taumelte auf die Füße und keuchte an seiner

Seite vorwärts. Dämonen tauchten schattenhaft vor ihnen auf,
verschwanden wieder, tauchten einfach ein in das dichte
Gespinst unzählig vieler Staubpartikel.

Schreie hingen in der Luft, Schreie von Menschen und

Pferden. Pilas Stimme war deutlich zu erkennen, und als sie
röchelnd verklang, wußte Carlos, daß der Junge sein Leben
unter einem Messer oder der Schneide eines Kriegsbeils
ausgehaucht hatte.

»Die Pferde stehen dort drüben«, schrie Carlos hektisch.

»Norden, mehr nach Norden, Señorita!«

»Sie standen dort«, antwortete sie und wandte sich wieder

dem Fluß zu.

Eine blutgetränkte Gestalt erschien wie ein Gespenst aus dem

Nebel von Staub. In ihrem Rücken donnerten weiter
Felsbrocken zu Tal. Der Mann vor ihnen stand taumelnd auf
einer Felsplatte und hielt sich mit beiden Händen den Kopf.

»Was ist los?« krächzte er. »Ist die Hölle hinter euch her?

Wer seid ihr?«

Carlos hatte den Mann fast vergessen, den sie aus dem Fluß

gefischt hatten.

»Hau ab, Hombre«, rief er. »Apachen!«

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»Wo? Ich sehe keine.«
»Hörst du nicht das Splittern der Felsen, du dummer Hund?

Sie stürzen Steine von den Hängen.«

»Wer seid ihr?«
»Wir fischten dich aus dem Fluß. Verschwinde, bevor sie dir

den Skalp nehmen.«

Er wollte weiter, das Mädchen fest an der Hand gepackt, aber

etwas Großes, Braunes tauchte vor ihm auf und wieherte
angstvoll.

»Ein Pferd!« schrie Carlos. »Das ist die Rettung.«
Zu zweit stürzten sie sich auf das Tier. Carlos, der Desperado

und Mark Bowden, dessen Kopfwunde wieder blutete.

Carlos schnaufte: »Laß los, Gringo!«
»Den Teufel werde ich. Ich hab's zuerst entdeckt.«
»Laß los, sage ich dir, sonst…«
»Was sonst?«
Eine Klinge funkelte durch die Staubwolke, zuckte unter

dem Pferdehals hindurch. Aber Bowden wich zurück und
tauchte unter dem Messerstoß weg. Sein Stiefel fuhr vor, traf
Carlos in den Unterleib. Zusammengekrümmt und stöhnend
vor Schmerz riß der Desperado das Messer hoch und warf es.

Mark Bowden blieb eine Sekunde lang wie erstarrt stehen

und legte beide Hände wie beschwörend um das Heft. Er
gurgelte ein paar Worte, aber das Leben entfloh so schnell, daß
die Worte es gar nicht mehr erreichten. Tot brach er
zusammen. Juárez würde vergeblich warten.

Carlos hielt das Pferd noch beim Zügel und drehte sich zu

der schwarzhaarigen Schönheit um, die beide Hände auf den
im Schrei verzerrten Mund hielt.

»Aufsteigen!« befahl er. »Los, schnell, ich halte den Gaul!«
Schatten huschten vorbei, verfolgt von anderen, die bei ihrem

Schemendasein recht beweglich wirkten, und gefährlich.
Schreie, in höchster Todesnot aus gequälter Seele
hervorgestoßen, zitterten zerflatternd und verklangen endgültig

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beim Fluß.

Carmen Obera setzte einen Fuß in den Steigbügel und

schwang sich mit angstgepeitschter Hast auf den Sattel. Carlos
gab ihr die Zügel und wollte sich hinter sie auf die Kruppe des
Tieres schwingen.

Es blieb beim Wollen.
Eine mächtige Gestalt tauchte vor ihm auf. Sie schälte sich

nicht langsam aus dem Dunst der Staubpartikel, sondern war
ganz einfach da. Das schon zum Stoß erhobene Messer
glitzerte wie der Giftzahn einer Klapperschlange.

Eine Sekunde lang zögerte Carlos mit seiner

Abwehrmaßnahme. Diese Sekunde hätte ihn fast das Leben
gekostet. Im letzten Augenblick gelang es ihm, dem
Klingenstoß auszuweichen und sich abzudrehen. Heiß wie ein
Feuerstrahl fuhr die Schneide über seinen Oberarm.

Carlos Porfiro Mojada stürzte, riß im Fallen den Colt heraus,

richtete dessen Mündung auf die majestätische Gestalt der
Rothaut und drückte ab. Klick. Mehr sagte die Waffe nicht.
Leergeschossen war sie für Carlos wertlos. Erneut drang der
Apache auf ihn ein. Wild funkelten seine Augen. Das Messer
in seiner Faust schien ein Eigenleben zu bekommen, es zuckte
vor, zurück, schlug Kreise und trieb den Mexikaner am Boden
kriechend zwischen die Pferdehufe.

Das Tier tänzelte aufgeregt. Carmen sah sich um. Rechts am

Sattel hing die halbvolle Wasserflasche. Sie hakte sie ab, hob
sie hoch und schmetterte sie dem Indianer auf den Kopf, als
das Pferd ihn mit einer seitlichen Drehung in die Reichweite
ihres Armes brachte. Cochise – er war es – brach zusammen
und rollte unter den Pferdebauch. Für Carlos war die Gefahr
mit diesem Einzelsieg noch lange nicht vorbei. Er erreichte
zwar die Pferdekruppe, ergriff die Zügel und setzte dem
scheuenden Tier die Sporen in die Weichen.

Mit mächtigen Sätzen fegte das Tier die Geröllböschung

hinab, strauchelte, fing sich wieder und setzte sich auf die

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Hinterhand. In einer mächtigen Staubwolke ging es zum Rio
Yaqui hin.

In Carlos' Rücken wurde geschossen. Grell stieg das

Kriegsgeschrei in den sich aufhellenden Himmel. Von links
preschte ein Rotfuchs in waghalsiger Schußfahrt auf seinen
Braunen zu. Mort Douglas brüllte wie ein Comanche.

Über und über mit Blut und Dreck verschmiert, schwang er

seinen Revolver wie eine Kriegskeule. Funken stoben unter
den Pferdehufen, als sie über Steine und Geröll glitten, immer
abwärts, stetig auf das Flußufer zu.

»He, Spie, denen haben wir's gezeigt, wie?«
»Was gezeigt?«
»Wie Americanos kämpfen. Mindestens zehn gehen auf

meine Rechnung.«

»Caramba, du bist ein Aufschneider. Es waren nur acht

und…«

Trommelnde Hufe unterbrachen ihn. Er warf einen Blick

über die Schulter.

Wenigstens zehn Pferde folgten ihnen. Drei von ihnen waren

beritten. Sie wurden von heulenden Desperados mit Händen
und Füßen angetrieben, als säße ihnen der Leibhaftige in
Person im Nacken.

»Wohin geht die Reise?« rief Mort vom galoppierenden

Pferd und grinste breit über das ganze Gesicht.

»Sammeln!« schrie Carlos und deutete auf die ferne

Flußkrümmung. »Sammeln und zählen! Wenn wir unsere
Verluste wissen, reiten wir nach Matachic.«

»Spie, was willst du am Rio Moctezuma?«
»Caramba, du sollst nicht Spie zu mir sagen, du krummer

Hund! Was ich dort will? Blöde Frage. Die Bande auffüllen,
was sonst? Eine Armee von Leuten will ich um mich haben,
und dann werden wir's den Franzosen, diesem Juárez und allen
Rothäuten zeigen. Verdammt will ich sein, wenn es mir nicht
gelingt, das Land in Angst und Schrecken zu versetzen. Reite,

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Amigo, reite!«

»Der Teufel ist dein Amigo«, knurrte Mort Douglas

grimmig. Aber er trieb widerspruchslos sein Pferd in den
aufspritzenden Fluß.

*

In der Zelt-Cantina ging es hoch her. Proviant war
eingetroffen. Auch bauchige Flaschen mit Pulque, Baconora
und Bier. Baconora für die Offiziere, Pulque für die
Mannschaften.

Zur Zeit der Abendröte, als sich die Sonne wie ein kupferner

Gong über die Sierra Madre senkte, war die Hälfte der
Soldaten betrunken. Grölend und fluchend zogen die
Caballeros durch die Lagerstraßen, pöbelten Offiziere an,
schlugen sich gegenseitig halb tot und quälten die Mädchen der
Marketenderei. Ihr Verhalten bereitete Offizieren wie dem
Generalstab Kopfzerbrechen.

Vollgestopft war das Kantinenzelt. Schwitzende und

randalierende Muchachos übertönten mit ihrem Geschrei selbst
die sechs Mann starke Musikkapelle. Besonders drei Hombres
in spitzkronigen Wagenradsombreros auf den schwitzenden,
pomadisierten Köpfen, in geschlitzten, engen Tuchhosen, mit
riesigen Sporen an den hochhackigen Reiterstiefeln und
gekreuzten Patronengurten über der Brust, machten sich
röhrend wie brünstige Hirsche und brüllend wie Stiere überlaut
bemerkbar. Längs der Messingstange an der Bar aus dunklem
Mahagoni, die, Gott weiß wie, nach Sonora gekommen war,
standen, schwitzten und tranken sie in Viererreihe. Mann an
Mann. So auch, ein bißchen verdrießlich, weil ihm der Tabak
ausgegangen war, Lon McFane, der Gringo aus dem Norden.

An seinem Aussehen war nichts Besonderes. Alle sahen sie

gleich aus, diese Fremden, vom Stetson bis zu den verstaubten
Stiefeln, und sie handelten alle gleich. Mit dem Revolver. Er

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war ihr einziges Argument, denn große Reden lagen ihnen
nicht.

Bei Lon McFane jedoch stellte manches aufmerksame Auge

einen geringfügigen Unterschied fest: Das schwarze Halfter
mit dem schweren Colt hing sehr tief am rechten Oberschenkel,
höchstens einen halben Zoll über dem Knie. Und der Kolben
mit der reihenweise eingeschnitzten Kerben stand wenigstens
einen ganzen Zoll von der Hüfte ab.

Dieser Hombre, kaltäugig und blond wie reifer Weizen,

zeigte ein offensichtliches Mißfallen an dem Imponiergehabe
der Mexikaner. Er wechselte zum anderen Ende der Theke,
griff über die Schulter des lautesten Schreiers, nahm
Tabakbeutel und Maisstrohpapier vom Tresen und drehte sich
seelenruhig eine Zigarette.

Als der Mexikaner zuerst verwundert herumfuhr und dann

drohend die Stirn runzelte, sagte er kühl: »Feuer. Du hast doch
Zündhölzer, Greaser? Also spute dich.«

Der aggressive Ausdruck schwand wie Kerzenlicht im Sturm

in den dunklen Augen des Mexikaners, und es war, als
erschlaffe sein ganzer Körper, als er dem Gringo in die
mausgrauen kalten Augen sah.

Eine merkwürdige Stille drang bis in den letzten Winkel,

lähmend in ihrer tödlichen Vorahnung. Wie eine Marionette
fischte der Mann ein Zündholz aus der Tasche und riß es an.
Lon machte keine Anstalten, das brennende Holz zu nehmen.

Man ahnte, was kam. Mexikaner trennten sich bereits von

Amerikanern. Es war immer die gleiche Situation. Zuerst eine
Herausforderung, dann das blutige Massaker. Der große
Gringo sah aus, als könnte er es mit einem halben Dutzend
revolverschwingender Mexikaner leicht aufnehmen.

Spannung knisterte wie freigewordene Elektrizität. Sogar der

Tabakqualm unter der Decke schien sich zu verdichten. Lon
McFane nahm seinen Kopf zurück und gebot so der Flamme,
ihm zu folgen.

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»Halt sie dran, verdammter Halsabschneider.«
Dabei wich er noch einen halben Schritt zurück. Eine

offensichtliche Herausforderung für den Mexikaner, die die
anderen mit lautem Murren und Flüchen quittierten.

Die Flamme verlosch, die Finger des Mexikaners

verbrennend.

»Vollkommen übergeschnappt, was?« zischte der Gringo.
»Ich nehme ein anderes.«
»Hölle und Satanas, ich will kein anderes!« Lon stieß dem

käsigen Mexikaner vor die Brust, daß er in die Arme seiner
Kumpane stürzte.

»Sachte, sachte, du Hengst«, mahnte ein anderer, dem Lons

Verhalten mißfiel.

»Schwimm ab, du Bastard! Du hast das Maul zu halten,

wenn Männer reden.«

Auch das war einen Schritt zuviel, einen einzigen. Die Hand

des dunkelhäutigen Mannes fuhr in die Schärpe.

»Nimm es zurück, Gringo. Nimm's schnell zurück, sonst…«
»Was?«
Das lange Messer fuhr heraus und zuckte auf Lon zu. Im

gleichen Augenblick zogen die umherstehenden Mexikaner
ihre Messer und Revolver. Lon McFanes Hand glitt schnell wie
ein Blitzstrahl nach unten und brachte mit zauberhafter
Kunstfertigkeit den langläufigen Colt heraus. Seine Linke glitt
dabei wie ein huschender Schatten über den Hahn.

Messer flogen, Biergläser, dazu dröhnte das Krachen

zerschmetterter Stühle durch das Zelt. Als die Stuhlbeine in
Aktion traten, öffnete sich das Zelt. Juárez mit zwei seiner
höchsten Offiziere kam herein. Eisiges Schweigen löste den
Tumult ab. Betreten starrten die Männer auf den schmutzigen,
kippenübersäten Boden. Nicht so Lon McFane. Die kalten
Augen auf die eintretende Gruppe gerichtet, ging er ihr
entgegen, den Revolver in der Hand.

Hinter ihm blieben vier Tote, Tote, die das Resultat des alten

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Hasses waren und die Geschehnisse um den Alamo de Parras
und der naheliegenden Stadt San Antonio de Bexar erneut
aufleben ließen.

Juárez, der Diplomat, wußte, was in den Herzen und

Gehirnen seiner Soldaten vorging. Er überspielte seine eigenen
Gefühle mit Barschheit und Befehlston.

»Warum taten Sie das, Americano?«
»Tat ich was?« war die kühle Antwort.
»Sie erschossen vier meiner Männer, was war der Grund?«
»Ich schoß in Notwehr, Mr. Präsident.«
»Wie lange sind Sie schon in meiner Armee?«
»Viel zu lange, Señor, ja, viel zu lange.«
Die Revolvermündung wich nicht von der roten Schärpe vor

ihr, und sie strich hin und her, nach links und rechts. Das
Murren in Lons Rücken brandete wieder wie Meeresbrausen.
In der hinteren Ecke pfiffen die zusammengerotteten
Amerikaner Beifall. Ein Hexenkessel, der erst wieder ruhig
wurde, als Juárez achtungsgebietend die Rechte hob.

Laut, für jeden im Zelt vernehmbar, sagte er:
»Die Schwadron des Victorio Chauvet kam zu spät, Señores.

Sie stießen zwar auf den französischen Waffentransport, aber
sie kamen um einen halben Tag zu spät.«

»Warum zu spät?«
Die bösartige Stimme aus dem Hintergrund beschränkte sich

nicht auf diese eine Frage. Sie bellte heiser und gewalttätig
weiter: »Sind Ihre verdammten Greaser nicht mehr in der Lage,
ein paar Franzosen das Fürchten beizubringen, Juárez?«

Juárez überhörte die Beleidigung und straffte seinen Körper.

Als Beifallspfiffe und Protestrufe wieder verstummten, fuhr er
fort:

»Meine mexikanischen Soldaten, Patrioten und keine

bezahlten Revolverkämpfer, werden die Franzosen aus dem
Land jagen. Das ist so sicher wie der tägliche Sonnenaufgang.
Aber was schon tot ist, können sie nicht noch einmal töten.

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Und was bereits gestohlen wurde, können sie nicht erbeuten.
Wer es von den amerikanischen Herren besser kann, mag
vortreten.«

»Ich!« Lon McFane ließ den Revolver verschwinden. »Ich

kann's besser! Geben Sie mir ein Kommando, Mister…«

Den Rest verschluckte er mit einem verächtlichen Verziehen

der Lippen.

»Sie? Auch gegen Yaquis und Apachen?«
Lon nickte und warf einen vorsichtigen Blick zu seinen

Landsleuten in die andere Ecke, die ihm durch Kopfnicken
beipflichteten.

»Was sind schon ein paar Wilde?« blähte er sich auf. »Bei

uns im Norden gibt es ebenfalls Indianer, und noch
gefährlichere. Die Comanchen zum Beispiel…«

Juárez unterbrach ihn brüsk. »Ich mache mir nichts daraus,

die Biographie eines amerikanischen Raufbolds anzuhören.
Schweigen Sie, Hombre! Sie werden ein Kommando erhalten.
Halten Sie nicht, was Sie versprechen, gehen Sie durch die
Gasse. Buenas noches, Señores.«

Er verließ das Zelt, während hinter ihm vier Tote

hinausgeschleift wurden und die Musik wieder anstimmte.

*

Cochise ließ die flüchtenden Desperados nicht verfolgen. Einer
seiner Krieger war gefallen, elf tote Banditen lagen auf dem
weißen Sand wie Sommersprossen auf einer hellen Haut.

Naiche richtete das Wort an den Jefe. »Wir sollten sie

verfolgen und töten. Alle.«

»Es wird Krieg geben, Sohn. Sie werden sich gegenseitig

ausrotten, wir brauchen nichts weiter zu tun, als auszuharren
und aufzupassen. Reiten wir.«

Sie bestiegen ihre Ponys und verließen die Arena beim Fluß,

deren Boden mit Blut getränkt worden war. Am Abend

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überquerten sie den Rio Moctezuma drei Meilen nördlich der
Stadt Suaqui. Landarbeiter, die sie aus der Ferne sahen, ließen
alles liegen und flüchteten in die Häuser.

»Wir sollten sie angreifen und Beute machen«, sagte Naiche

und zeigte mit der Hand auf die rennenden dunklen Punkte.

»Yaquiland«, erwiderte Cochise ablehnend. »Reiten wir

schneller.«

Am Abend stießen sie auf den großen Fluß, und als die ersten

Schatten durch die Täler krochen, zügelten sie ihre Ponys vor
dem großen Siegesfeuer der Yaquis. Cochise stieg ab und
näherte sich dem auf dem Boden kauernden Tehueco.

»Meine Brüder waren erfolgreich?«
Tehueco wies auf Kisten mit Gewehren und Säcke voll

Proviant.

»Krieger der Yaquis sind stets erfolgreich. How!«
»Wo sind die Pferde und die Wagen?«
»Tot und verbrannt. Setz dich, Cochise, der Festschmaus

beginnt.«

Nicht weit vom Feuer dröhnten übergangslos Trommeln. Ihr

Schall pflanzte sich düster und gefahrdrohend durch die
Bergwildnis und kehrte mit Echos zurück.

»Es war leicht«, erklärte Tehueco. »Wir überraschten die

Franzosen genau an jener Stelle, die ich für den Überfall
vorgesehen hatte. Bastarde!« setzte er verächtlich in seiner
Sprache hinzu.

Pitcar, der Riese, kam zum Feuer und spie in die Flammen.

Er wechselte einen kurzen Blick mit seinem Vater und richtete
das Wort an den Apachenhäuptling.

»Unterwegs griffen wir einen Reiter auf, der aus Juárez'

Armee desertierte. Er bot sein Leben gegen Informationen an.
Wir ließen ihn gewähren.«

»Und?« fragte Cochise. »Wo ist er?«
»Tot«, war die lakonische Antwort. »Wir töteten ihn,

nachdem er uns alles verriet.«

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Cochise wartete. Pitcar versetzte sich dramatisch in die Rolle

des Erzählers, der mit seinen Heldentaten renommierte und
keine Situation als Berichter außer acht ließ, seine Person in
das rechte Licht zu rücken. Eine Eigenart aller roten Männer.

Tehueco jedoch dauerte das alles zu lange. Der

Siegesschmaus wartete und das über den Feuern bratende
Maultierfleisch sandte seinen Duft über die Lichtung.

»Der Abtrünnige schickte eine Abordnung zu dem

einarmigen General nach Arizona.«

Pitcar warf seinem Vater einen ärgerlichen Blick zu, der ihn

mit seiner Erklärung um den großen Auftritt gebracht hatte.

Cochise hob den Kopf. »Was will er von Howard?«
»Hilfe.«
»Hilfe? Welche Hilfe? Soldaten?«
»Auch. Dem Abtrünnigen geht es mehr um Proviant und

Gewehre. Ohne ausreichende Verpflegung und Bewaffnung
kann er den Kaiser und dessen Truppen doch gar nicht
besiegen.«

Cochise verstand die verzweifelte Lage des Oaxaca-

Indianers. Er schaute Tehueco eindringlich an. »Glaubst du an
die Mission dieses Benito Juárez, Häuptling der Yaquis?«

Tehueco wiegte den Kopf in einem unregelmäßigen Takt, der

zu keiner Melodie gehörte.

»Er ist Indianer«, sagte er ausweichend, »aber nicht der

Freund der Yaquis. Apachen mag er gar nicht, besonders keine
Chiricahuas.«

Seine Stimme hatte einen unheimlich gleichgültigen Klang,

den er durch Gesten zu verbergen suchte. Tehueco sprach ohne
jeden Eifer, und der Frager, der ihm gegenüber saß, würdigte
ihn keiner Antwort.

Hektischer schlugen die Trommeln, jubilierten die Flöten,

brannten die Feuer, genährt durch zundertrockene Kakteen.
Tehueco griff das erlahmende Gespräch wieder auf.

»Der einarmige General wird Truppen in unser Land

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schicken und Scouts, die sich im Gebirge auskennen. Was
denkt der Häuptling der Chiricahuas darüber?«

»Nichts«, sagte Cochise nachdenklich.
»Howard schickte keine Truppen, weil er das Land der

Chiricahuas und Mimbrenjos nicht von Soldaten entblößen
kann. Juárez ist ganz auf sich gestellt. Die Nordamerikanos
haben mit sich selbst und ihrem Krieg gegen den Süden genug
zu tun. Du kannst beruhigt sein, Tehueco.«

Das Gespräch erstarb endgültig. Große Holzschüsseln

wurden gebracht und breite Bretter, auf denen das geschmorte
Fleisch von den Feuern lag. Dazu gab es Tortillas und Tizwin,
ein gegorenes Getränk.

Die Indianer rissen große Bratenstücke von dem heißen

Fleischberg und verschlangen sie, während die Trommeln
pausenlos pochten. An einem Nebenfeuer gerieten die Yaquis
durch den genossenen Tizwin in Ekstase und begannen einen
rhythmischen Kriegstanz, der aus seltsamen Verrenkungen der
Gliedmaßen und aus unartikulierten Schreien bestand und auch
die Körper der besonneren älteren Männer wiegen ließ.

Cochise und der Yaqui-Häuptling wischten ihre fettigen

Hände an den Leggins ab. Pitcar stand unvermittelt auf und
entfernte sich. Naiche, der den nachdenklichen Blick seines
Vaters gesehen hatte, tat es ihm nach und tauchte in die
entgegengesetzte Dunkelheit ein. Lautlos wie ein Panther glitt
er an der Basis des Steilhanges um das Lager. Er vermied es,
den großen Wohnhöhlen zu nahe zu kommen und vermied
auch eine Annäherung an die luftig gebauten Buschhütten.

Als sich seine Augen an die Dunkelheit außerhalb des

Lagerkreises gewöhnt hatten, sah er Pitcar. Der Hüne näherte
sich einem einsamen Felsen und blieb stehen. Ein Pfiff ertönte.

Eine zweite Person, ein Indianer, trat aus dem Schatten und

sprach mit dem Häuptlingssohn. Naiche verstand kein Wort. Er
mußte näher heran und benutzte ein Tamariskenfeld dazu, sich
ungesehen anzuschleichen.

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Pitcar sprach noch mit dem anderen Indianer. Naiche

verstand erste Worte, so nahe war er schon, als ihm ein
Mißgeschick passierte. Ein trockener Zweig brach unter seiner
Hand. Es knackte so laut, als sei ein Gewehrhahn gespannt
worden.

Pitcar und der fremde Indianer wirbelten herum und stürzten

sich mit gezogenen Messern auf die Stelle des Geräusches.
Naiche konnte nicht mehr fliehen. Er erhob sich blitzschnell
und parierte einen Messerstich Pitcars, wobei ihm die eigene
Klinge aus der Hand geprellt wurde.

Naiche ließ sich fallen, rollte seinen Körper ab und entging

so einem gewaltigen Fußtritt des Häuptlingssohnes, der erneut
auf ihn eindrang. Wie eine Katze sprang Naiche vom Erdboden
hoch, packte einen faustgroßen Stein und schmetterte ihn
gegen Pitcars Stirn.

Mit einem Ächzen brach der Yaqui zusammen. Naiche

schaute sich um. Der andere Indianer war verschwunden.
Naiche überzeugte sich davon, ob sein Widersacher noch lebte,
dann entfernte er sich auf dem gleichen Weg, den er
gekommen war.

Cochise saß noch beim Feuer. Tehueco hatte den

Gesprächsfaden wieder aufgenommen und pries seine
Heldentaten, die er vollbracht haben wollte. Naiche setzte sich
still und nahm sich ein Stück Fleisch vom Brett.

Kaum fünf Minuten später kam Pitcar. Der Stein hatte ihm

die Stirn aufgerissen und eine eigroße Beule geschlagen. Blut
lief ihm über das Gesicht.

»Hast du mit einem Puma gerauft, mein Sohn?«
Pitcar kochte vor Grimm, wagte aber nicht, die Wahrheit zu

sagen. Stumm schüttelte er den Kopf und entfernte sich. Über
die Schulter hinweg sagte er: »Ich bin gestürzt, nichts weiter.«

Cochise wechselte einen vorsichtig fragenden Blick mit

Naiche. Naiches Finger berichteten in der Zeichensprache, was
passiert war. Cochise überlegte nicht lange. Er stand auf,

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verabschiedete sich von Tehueco und ging gemessenen
Schrittes mit Naiche zu der Buschhütte, die man ihm und
seinem Sohn angeboten hatte. Die Chiricahuas schliefen
außerhalb und bewachten den Schlaf ihres Häuptlings.

»Du hattest Ärger?«
»Mit Pitcar. Ich war unvorsichtig und konnte ihn und den

anderen Yaqui nicht belauschen. Schlimm, Jefe, sehr
schlimm.«

»Weiß er, daß du es warst?«
»Es war sehr dunkel.«
»Wir warten den neuen Tag ab, Naiche. Legen wir uns

schlafen.«

*

»Mr. Haggerty!«

»Sir?«
»Ich ließ Sie kommen, um Sie um Ihren Rat zu bitten. Wie

sehr sind Sie mit Cochise und seinen Chiricahuas vertraut?«

Der Chiefscout der Siebenten Kavallerie in Arizona zuckte

unmerklich und ahnungsvoll zusammen. Strich sich über das
braune, gewellte Haar, schniefte kurz und warf fragende Blicke
auf die anwesenden Colonels Walman und White.

Walmans Gesicht wirkte ernst. White strich sich den

Knebelbart, der nach französischer Mode gestutzt war. Beide
blickten zu Boden, weil sie die stumme Frage in Haggertys
Augen nicht ertragen konnten.

»Macht er wieder Kummer, Sir… General?«
»Es bahnt sich etwas an, Mister, und was es auch sein wird,

für uns ist es unangenehm. Bitte, beantworten Sie meine
Frage.«

Haggerty antwortete noch nicht. Er warf einen gewollt

gleichgültigen Blick auf die Stabsoffiziere, aber er fühlte sich
beunruhigt. Als er die gesamte Tragweise Otis O. Howards

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Frage begriff, preßten sich seine Lippen zusammen, und ein
Schimmer von Härte trat in sein Gesicht.

Zögernd, aber wahrheitsgemäß antwortete er:
»Sir, Ihre Frage ist nicht definitiv zu beantworten. Ich weiß,

was Cochise will, was er vorhat und wie seine Politik aussieht.
Cochise versteht mich, wenn ich ihm beistehe und ihn in
seinem Kampf gegen alle Eindringlinge helfe. Damit ist Ihre
Frage sicherlich nicht beantwortet, oder?«

Howard stand hinter seinem Kartentisch auf und beugte sich

etwas vor. Erschreckend leer hing sein aufgesteckter rechter
Ärmel der Uniformjacke unter dem Armstumpf. Ein
Bürgerkriegsgeneral, der an der Front seinen rechten Arm
verloren hatte und hier sein Gnadenbrot aß? Sicherlich nicht.
Howard war ein Heerführer von Format, der roten Rasse
zugetan, weil er wußte, daß sie am Untergehen war.

»Nein«, sagte er herb und nachhaltig. »Nein, Mr. Haggerty,

meine Frage ist damit nicht beantwortet. Ich will Ihnen
zunächst berichten, was uns angetragen wurde. Bitte, nehmen
Sie anschließend Stellung und versagen Sie mir nicht Ihren
Rat.«

Der General machte eine nachdenkliche Pause, fuhr mit

ruhiger Stimme fort, von der Abordnung zu erzählen, die
Benito Juárez nach Norden geschickt hatte, um den Beistand
der US-Regierung zu erbitten.

»Es war die vierte Delegation«, sagte er. »Alle

vorangegangenen sind entweder von Banditen, Apachen oder
Yaquis liquidiert worden. Dieser gelang es, sich
durchzuschlagen. Ein Colonel und zwei Offiziere.«

Haggerty nickte. »Well, Sir, und was hat das mit Cochise zu

tun? Ich kann nicht annehmen, daß er sich in die
mexikanischen Revolutionswirren verstricken ließ? Dafür ist er
zu schlau.«

»Sehen Sie, das wollte ich hören.«
Howards Stimme klang hektisch, doch irgendwie befreit.

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Seine Colonels nickten, als hätten sie nichts anderes erwartet.

John fuhr fort: »Sie haben etwas im Sinn, Sir. Heraus damit.

Mir ist völlig klar, daß Sie meine Dienste erwarten, Sie hätten
mich sonst nicht mitten in der Nacht zu dieser Unterredung
gebeten.«

Howard setzte sich wieder. Er legte den Armstumpf auf den

Kartentisch, als könnte er die Last des fehlenden Gliedes nicht
mehr tragen. Aufmerksam musterte er Haggerty, wortlos und
nachdenklich.

»Ich will Sie bitten, nach Sonora zu reiten und Cochise von

seinen möglichen Absichten abzubringen. Das ist kein Befehl,
Mr. Haggerty. Ich kann Ihnen das nicht befehlen, weil ich dann
zugäbe, Sie zu einem Himmelfahrtskommando zu schicken.
Kommen Sie meinem Wunsch nach?«

Haggerty zuckte zusammen, richtete sich bolzengerade auf

und warf hilflose Blicke auf die Colonels. Aber sie zuckten nur
mit den Achseln und blickten ein wenig betreten weg.

»Sir, das ist unmöglich.«
»Warum?« Howards Stimme hatte abrupt den Schmelz

verloren.

»Niemand weiß, wo sich der Chief aufhält. Und was

schlimmer ist: Ich bin Angehöriger der US-Armee und
Offizier. Sie kennen die Befehle des Hauptquartiers, Sir: Keine
Einmischung in mexikanische Angelegenheiten. Ohne
Sondergenehmigung des Gouverneurs von Sonora ist Mexiko
für mich tabu.«

Howard winkte brüsk ab. »Als wenn ich das nicht selbst

wüßte. Juárez ist zur Zeit Gouverneur von Sonora. Seine
Hilfeersuchen an die Siebente Armee ist Ihre Garantie für
freies Geleit.«

Haggerty schüttelte ablehnend den Kopf. Sein nächster

Einwand klang aber schon schwächer. »Cochise verträgt keine
Einmischung in seine Angelegenheiten. Mein Erscheinen
könnte mißverstanden werden und seinen Trotz herausfordern.

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Er ist ein Fürst, das sollten wir nicht vergessen, Sir. Trotzdem:
Wenn das Oberkommando zustimmt, betrete ich
mexikanischen Boden.«

Augenblicklich wirkte der General konsterniert und

verärgert.

»Komischer Kauz«, schniefte er und warf wütende Blicke

auf die Colonels drüben beim Kartentisch. Walman zwinkerte
mit den Augen, gab sich einen Ruck und trat vor.

»Wir könnten es Mr. Haggerty leichter machen, Sir, und die

Kompetenz des Hauptquartiers ausschließen, wenn Ihnen daran
gelegen ist?«

»Selbstverständlich bin ich an einer solchen Lösung

interessiert! Aber wie? Ich sehe keine Möglichkeit, wenn sich
Mr. Haggerty weigert.«

»Sir, es gibt eine, Sie klingt nicht einmal schlecht.«
»Heraus damit, Colonel!«
»Mr. Haggerty scheidet offiziell aus dem Armeedienst aus

und steht der Siebenten und Vierten Kavallerie lediglich für
besondere Einsätze zur Verfügung, bei vollen Bezügen und
Aufrechterhaltung seines Status als Offizier. Das bedeutet, daß
er als Privatmann nach Sonora geht. Sein Spielraum, sich mehr
Cochise zu widmen, wird dadurch größer und somit sein
Aktionsradius.«

Howard runzelte die hohe Stirn, dann tat er einen tiefen

Atemzug und füllte befreit seine Lungen mit der stickigen
Zeltluft. Seine hellen Augen wechselten mit einem fragend-
bittendem Ausdruck zu Haggerty. Der Chefscout brachte seine
letzten Bedenken vor »Und wer übernimmt von nun an offiziell
meine Aufgabe?«

Walmans Antwort glitt wie geölt von seinen Lippen: »Ich

denke an Al Sieber. Er eignet sich wie kein anderer, Ihren Platz
einzunehmen, Mr. Haggerty. Sind Sie anderer Meinung?«

John verneinte. Nachdenklich senkte er den Kopf und suchte

in Walmans Plan nach Lücken. Er fand keine und gab sich

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geschlagen. In seiner lokonischen Art wandte er sich an
General Howard.

»Einverstanden, Sir. Wo wurde Cochise zum letztenmal

gesehen?«

»Zwischen dem Bavispe und dem Rio Yaqui. Wann reiten

Sie?«

»Im Morgengrauen, Sir.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Haggerty, und – viel Glück! Gute

Nacht, Gentlemen!«

*

»Du stinkst wie Aas!«

»Hol dich der Teufel, Gringo!«
Lon McFane, mit seinem unrasierten Gesicht verwegen

aussehend, die angerauchte Zigarette zwischen den schmalen
Lippen hängend, den Hut im Nacken, stützte sich mit dem
linken Ellenbogen auf den Tresen und schickte einen
kaltverwegenen Blick zu dem ganz in Schwarz gekleideten
Mexikaner am anderen Ende der Bar.

»Dich wird er holen, aber sicher nicht der Teufel, Stinker!«
»Wer sonst?«
Carlos Porfiro Mojada strich sich eine schwarze Locke aus

der Stirn. Dann lachte er.

»Manchmal legen die Gringos einen absurden Sinn für

Humor an den Tag. Ich bin Carlos Porfiro Mojada, Großmaul.
Und wer bist du?«

Männer drängten von der Bar zurück. Das taten sie immer,

wenn eine Schießerei drohte. Der Gringo sah nicht so aus, als
würde er sich ungestraft Großmaul nennen lassen.

»Wer ich bin, tut nichts zur Sache«, antwortete McFane kalt.

»Nimm mal an, ich sei das amtlich bestätigte
Rekrutierungsbüro des großen Feldherrn Juárez. Was sagst du
nun?«

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»Ein Rekrutierungsbüro auf zwei Beinen?« Carlos lachte.

»Mann, du hast nicht mehr alle Schrauben beisammen.«

»Du bist ein Goldstück, Spie, aber so dumm, daß dich die

Schweine beißen. Hier, sieh mal.« Lon griff in die Tasche,
nahm eine Handvoll Goldpesos heraus, warf sie im
Kerosinlicht in die Höhe und fing sie wieder auf.

»Weißt du, was das ist, Spie? Gutes Geld, keine

Revolutionspapierchen, die man nach Sieg oder Niederlage
verbrennen kann. Gold! Goldpesos! Zwei davon gehören dir,
wenn du unterschreibst. Handgeld, sozusagen, griffig und
wertbeständig. Na, wie ist's, willst du?«

Carlos lachte gellend. Er schickte feurige Blicke in die

Runde und blinzelte seinen gut verteilten Leuten im Saloon
belustigt zu. Nach dieser Demonstration seines Mutes wandte
er sich wieder dem Amerikaner zu und verzog höhnisch
lächelnd seine Lippen.

»Du bist genau der Typ, der einen Milcheimer unter einen

Bullen stellt, um ihn zu melken. Mann, verzieh dich, dein
Geschwafel kotzt mich an!«

Der Saloon in Matachic war brechend voll. Wie an jedem

Samstag war die gesamte Männerwelt auf den Beinen, um ein
Glas zu trinken und Neuigkeiten zu erfahren. Der Treffpunkt
war Daniels Emporium, nicht etwa die Cantina gleich nebenan.

Huck Daniel, ein ausgedienter Revolutionär vergangener

Auseinandersetzungen in Mexiko, hatte sich hier am Rio
Moctezuma niedergelassen, um ein seßhaftes Leben zu führen.
Der Saloon, den er stolz Emporium nannte, war zur Goldgrube
geworden, obwohl Matachic recht klein und seine Bewohner
arm waren.

Tabakschwaden wehten Lon McFane ins Gesicht. Er

blinzelte und verkniff sich eine Träne.

»Hör zu, du brauner Indianerbastard. Hör gut zu!« Seine

Stimme klang, als zerkaue er Kieselsteine wie einen Priem.
»Ich bin Juárez' Segundo und beauftragt, Soldaten zu

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rekrutieren. Kapiert? Du wirst jetzt unterschreiben und zwei
Goldpesos in Empfang nehmen. Falls du dich weigerst, werde
ich deine hübsche Visage ein wenig deformieren und so
verändern, daß dich deine eigenen Leute nicht mehr
wiedererkennen, verdammter Desperado!«

Carlos lachte wieder. Die offene Kampfansage ignorierte er

genauso wie das Zurückweichen der versammelten Männer,
seiner eigenen und das der Gäste.

Als er außer seinem höhnischen Lächeln keine

Bereitwilligkeit zeigte und seine dunklen Augen lediglich
tödliches Gift versprühten, stieß sich der Amerikaner von der
Theke ab und spreizte ein wenig die Beine.

»Ich habe zwanzig Hombres bei mir, Juárez' Spezialtruppe,

für Einsätze wie diesen besonders geschult. Soll ich sie auf
dich und deine Bande von Halsabschneidern loslassen?«

Carlos kicherte. Es klang trocken und hohl wie geschüttelte

Erbsen in einem Beutel.

»Gib acht!« schrie er und hob die Hand. »Paß auf, Gringo!«
Im gedrängt stehenden Ring der Zuschauer entstand

Bewegung. Wenigstens dreißig Revolver flitzten aus gut
geölten Halftern. Hähne rasteten metallisch. Huck Daniel rang
die Hände.

»Um Gottes willen, zerstört mein Etablissement nicht!«
»Halt's Maul, Schnapspanscher! Nach seinem Sieg über die

Franzosen bezahlt Juárez jeden Schaden, auch eine
zerschossene Kneipe.«

Nach einem tiefen Atemzug, der seine ganze Verachtung

ausdrückte, drängte sich Lon McFane die kalte
Geringschätzung für die Machtdemonstration förmlich auf die
Lippen.

»Und«, sagte er beinahe gelangweilt, »hättest du den Mut,

Spie, deinen braunen Affen das Signal zu einer Schießerei zu
geben?«

Carlos' Antwort war ein Fingerschnippen. Darauf krachte ein

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Schuß. Die Kugel fuhr vor McFane in den festgestampften
Lehmboden.

»Hier ist meine Antwort, Gringo. Und das ist für die

Beleidigungen.«

Wieder schnippten die Finger. Ein zweiter Schuß aus einem

schwerkalibrigen Colt bullerte und riß Lons Hut vom Kopf.
Sein Gesicht versteinerte.

Juárez hatte ihm aufgetragen, sich wie ein Caballero zu

benehmen und jedem Streit aus dem Weg zu gehen, aber die
Schüsse auf ihn waren einfach zu viel. Er war nicht gewillt,
sich der anmaßenden Unverschämtheit des Greasers auch noch
seinen Speichel zu lecken.

»Merkwürdig, wie sich viele Situationen gleichen. He,

Spie!« Nach dieser Aufforderung fuhr seine Rechte so schnell
zum Halfter, daß ihr kein Auge zu folgen vermochte. Der Colt
flitzte an die Hüfte und entlud sich brüllend.

»Das ist meine Antwort, du Bärendreck von einem

Desperado!«

Neben Carlos Porfiro Mojada, ein Stückchen hinter seinem

Rücken, gellte der Schrei eines pockennarbigen Mexikaners. Er
sprang in die Höhe, drehte sich wie ein Kreisel und begann
einen Veitstanz. Grotesk hüpfte er auf einem Bein und
schwang dabei die Arme wie ein balzender Hahn seine Flügel.

Lon hatte ihm den Fuß durchschossen und beobachtete den

Verletzten nicht mehr weiter. Herausfordernd ließ er den
Revolver am Bügel um den Finger kreisen, blies den
Pulverrauch aus dem Lauf und schob ihn ins Halfter zurück.

»Unterschreibst du, Spie?«
»Und wenn ich es nicht tue? Juárez mag zum Teufel gehen

mit allen seinen verdammten Plänen um den
Präsidententhron!«

»Nicht er, du gehst zum Teufel.«
Niemand sah, wie der Amerikaner seinen Revolver zog. Den

Zuschauern war es, als besitze diese Wunderwaffe ein

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Eigenleben und handele selbständig durch den stummen
Wunsch ihres Besitzers.

Lon McFane überbrückte die Distanz zu seinem Widersacher

mit ein paar langen Schritten und preßte ihm den kalten Lauf
gegen die Kehle.

»Kann dein Mäusegehirn sich vorstellen, was sein wird,

wenn ich abdrücke?«

Carlos starrte den großen grauäugigen Gringo überrascht und

entsetzt an, und seine Augen, sonst verschlagen und von einem
zynischen Ausdruck erfüllt, wanderten rund und schreckhaft
geweitet.

Er versuchte ein paar Worte hervorzugurgeln, aber es blieb

dabei. Kein Wort drang über seine Lippen, nur der Schweiß
perlte in dicken Tropfen wie glitzernde Perlen.

»Verhaltet euch ruhig, Boys!« schrie Lon über die Schulter.

»Keine Bewegung, die ich mißdeuten könnte!«

Die Schwingflügel beim Eingang schlugen schmatzend

zurück. Ein hochgewachsener Amerikaner betrat den Saloon.
Wie versteinert blieb er stehen und studierte sekundenlang die
Situation.

Dann setzte er sich wieder in Bewegung und stieß

rücksichtslos mit den Ellbogen um sich, um Platz zu schaffen.
Im äußeren Ring der Versammlung hielt er wieder an und ließ
seine klirrenden Sporen zur Ruhe kommen.

»Sehr gut und geschickt«, sagte er. Seine Stimme war nicht

laut, aber in ihrer Schärfe eindringlich und bis in den letzten
Saloonwinkel vernehmbar.

»Was willst du?« fragte Lon, ohne einen Blick von dem

verstört wirkenden Mexikaner zu lassen. »Dich einmischen?«

Mort Douglas kicherte.
»Unter Umständen, ja. Dieser Señor vor deinem

Revolverlauf ist mein Kompagnon, dem ich beizustehen
verpflichtet bin.«

»Was, dieser dreckige Spie?«

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»Warum nicht? Die klingende Münze zählt, nicht die

Hautfarbe oder der Schmutz. Nimm die Kanone weg.«

Lon McFane wies den Gedanken, von einem anderen

Befehle anzunehmen, mit einer Kopfbewegung von sich.

»Wer bist du?«
»Mort Douglas.«
»Dachte ich mir. Macht dir ein Revolverkampf Spaß, Mort?«
Lons Stimme klang noch so kalt und unpersönlich wie

vorher. Der so plötzlich erwachsene Gegner mit dem großen
Namen als Revolvermann beeindruckte ihn überhaupt nicht.

Mort antwortete: »Wenn er gut ist, bin ich immer dafür zu

haben.«

Lon McFane grinste, nahm aber nicht den Revolver von

Carlos' Kehle. Im Saloon war es so still wie in einer Kathedrale
nach dem Amen geworden. Spannung lag wie Elektrizität in
der Luft. Sogar harte gesottene Männer hielten den Atem an
und wagten kaum zu schlucken.

»Irgendwie habe ich das Gefühl, daß du die Geschichte

richtig genießt, Freundchen. Lassen wir's darauf ankommen.
Zuerst schieße ich dem Spie den Kehlkopf aus dem Hals, dann
bist du an der Reihe. Also…«

»Nein! Nicht! Laß ihn in Ruhe, Mort! Er schießt tatsächlich,

und wenn ich tot bin, helfen mir deine Revolverkünste nichts!«

Carlos Porfiro Mojada stieß die Worte mit Zwischenräumen

und zitternder Angst hervor. Seine Gliedmaßen flogen. Sein
Atem ging stoßweise, als litte er unter Luftmangel.

»Lon, du benimmst dich wie ein Tölpel. Falls du's noch nicht

bemerkt hast: meine Partei ist in der Überzahl. Und jeder Mann
in der Bande schießt einer Fliege das rechte Vorderbein ab, so
fix sind sie.«

»Well, lassen wir's darauf ankommen. Aber es macht keinen

Unterschied, wer am Ende der Schießerei übrig bleibt. Dieses
braune Affengesicht vor mir ist auf alle Fälle tot. Bueno, es
geht los!«

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»Nein! Ich unterschreibe!«
Alle moralischen Maximen, wenn sie überhaupt vorhanden

gewesen waren, versanken im Staub der Angst um das eigene
Leben. Carlos zitterte so, daß seine Zähne klapperten. Selbst
das überzeugende Manifest des Komplicen legte keine
unbezwingbare Mauer zwischen ihn und seinen Peiniger, der
wölfisch und unbeeindruckt grinsend Morts Drohung mit
einem Achselzucken abtat.

»Ich will nicht sterben!« heulte er los, als sich der Druck der

durchbohrten Stahlmündung etwas lockerte und seinem
Adamsapfel Spielraum zum Sprechen gab.

»Du wirst sterben, wenn du deinen Leuten nicht

augenblicklich den Befehl gibst, den Saloon zu verlassen. Na,
los, wie lange soll ich warten?«

»Geht hinaus! Alle!« schrie Carlos in Todesangst. »Ich

befehle es!«

»Mir kannst du nichts befehlen, Spie«, murmelte Mort

Douglas und verzog angewidert seine Lippen. »Mir nicht!«

Mojadas Bande folgte dem Befehl. Einer nach dem anderen

schoben sie sich im Gänsemarsch durch die Pendeltür. Mort
Douglas jedoch blieb stehen und betrachtete die Szene.

»Du kannst auch verduften«, sagte Lon McFane scharf. »Ich

brauche deine zweifelhafte Unterstützung nicht, und dieser
Bastard vor mir verzichtet liebend gern auf deine Anwesenheit.
Los, Mann, hau ab!«

Mort Douglas dachte nicht daran, dem Befehl zu folgen und

sich feige zu verkriechen. Sein Ehrenkodex als Revolvermann
und kaltschnäuziger Schütze untersagte es ihm.

»He, du!« rief er. »Wir sind beide Amerikaner. Daß wir auf

verschiedenen Seiten des Zaunes stehen, hat das Kismet
vorherbestimmt. Ebensogut könnten wir ein gutes Paar
abgeben, das sich mit den Revolvern den Weg freischießen
kann. Mann, sei vernünftig und nimm die Kanone weg.«

»Mir kommen gleich die Tränen.«

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»Wir könnten das kleine Mißverständnis unter uns beiden

austragen«, fuhr Mort unbeirrt fort. »Unter uns beiden,
verstehst du? Mann gegen Mann. Der Verlierer gibt sich
geschlagen. Ist das ein Angebot?«

»Zum Kotzen, ja.« Lon McFane grinste kalt. »Bei allem

Irrsinn, Amigo, ich bin einverstanden. Wie willst du's haben?«

»Wie es das ungeschriebene Gesetz vorschreibt. Zwanzig

Schritte, dann, peng!«

»Und wer garantiert mir, daß dieser Olivbraune in der

Zwischenzeit nicht davonsegelt?«

»Du selbst, wenn du Sieger bleibst. Deine Kugel ist schneller

als seine Beine.«

»Klingt nicht schlecht. So soll's also sein.«

*

Unter der zupackenden Hand riß das dünne Leder. Das
Geräusch ließ John Haggerty zusammenzucken. Absolute
Finsternis umfloß ihn und den Gegner wie Watte. Keine zwei
Schritte weit konnte John sehen. Der Schrei nach dieser
überraschenden Gewaltanwendung ließ ihn übergangslos
förmlich erstarren.

Die helle Stimme kam von einer Frau. Haggerty konnte es

nicht fassen, eine Frau in dieser Wildnis anzutreffen, dazu noch
in der Nacht. Seine Aufmerksamkeit galt seiner Umgebung.
Wenn er auch nichts sah, so stellten sich seine anderen Sinne
verschärft auf die Stille und die daraus erwachsende Gefahr
ein.

Haggerty hielt es für ausgeschlossen, daß sich eine einzelne

Indianerin in der Canyonlandschaft herumtrieb, die zum
Lebensbereich der Chiricahuas gehörte. Sein Augenmerk
richtete sich auf einen überraschenden Überfall durch Krieger,
und er wußte aus Erfahrung, daß er sie erst sehen würde, wenn
sie vor ihm aus dem Boden wuchsen.

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Lautlos huschte er zu einem Geröllhaufen, der ihm bessere

Deckung bot. Der Lederfetzen in seiner Hand raschelte. Mit
den Fingern befühlte er das dünne Antilopenleder, kam aber zu
keinem Resultat über dessen Träger.

John Haggerty fühlte die Einsamkeit wie ein makabres

Unheil, das sich von allen Seiten seinem Standort näherte. Ihm
war, als würde seine Zukunft im unvermeidlichen Tod enden,
ausgelöscht durch ein Kriegsbeil oder die Klinge eines
Indianers.

Ganz plötzlich hatte er Angst vor diesem Schicksal. Spontan

wurde er von einer huschenden Bewegung abgelenkt. Ein
Coyote heulte leise bei der gegenüberliegenden Felswand. War
es ein Coyote oder die gut imitierte Nachricht eines Kriegers?

Haggertys Hände wurden feucht. Er wischte sie an seiner

Hose ab, die nach Pferdeschweiß und Sattelleder roch. Er
zuckte erneut zusammen. Die Bewegung war wieder da. Ein
Huschen, Gleiten, lautlos wie der Samenflug im
Frühlingswind. Nichts mehr.

Johns Augen tränten. Er wagte es nicht, auch nur mit einer

einzigen Handbewegung die gereizten Augen durch Reiben zu
erleichtern. Ein Nachtvogel schrie gellend. Aus dem Canyon
hallte das Echo gespenstisch herüber.

Eine weitere Bewegung, nicht weit von ihm, lenkte

Haggertys Aufmerksamkeit auf diesen Punkt. Deutlich sah er
die schemenhaft verschwommene Gestalt, die sich bückte und
wieder aufrichtete. Immerfort.

Noch einmal starrte John Haggerty auf den Fetzen, dann

steckte er ihn ein und kroch lautlos wie ein Indianer über das
scharfkantige Geröll. Sein Plan war ihm klar vorgezeichnet. Er
mußte, wenn er lebend aus dieser Falle herauskommen wollte,
den Indianer mit seinem seltsamen Gebaren unschädlich
machen.

Eine Geisel konnte ihm zwar bei einem beabsichtigten

Überfall keinen großen Nutzen bringen, weil sich Chiricahuas

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74

nicht an die Gepflogenheit des Weißen Mannes im Krieg
hielten und keine Rücksicht auf die Not eines lebenden Pfandes
nahmen.

John kam näher. Das Kriechen auf losen Steinen und Geröll

war eine schweißtreibende Arbeit, die dazu Konzentration und
äußerstes Geschick erforderte. Seine Gedanken drehten sich
ständig um den einen Punkt: wie kommt man hier heraus –
lebend?

Augenscheinlich sammelte der Indianer etwas ein und

steckte das, was er aus dem kargen Boden riß, in einen Sack.
Was es war, erkannte John Haggerty nicht. An jener Stelle
wuchsen lediglich Disteln und ein paar verkümmerte Yucca-
Stauden.

Meter für Meter näherte er sich dem Ungewissen. Plötzlich

packte ihn rasende Wut, die er, der sonst so besonnene, sich
nicht erklären konnte. Er sprang auf und stürzte sich auf den
Indianer.

Seine Hände packten zu, als der Körper sich aufrichtete. Sie

griffen mörderisch zu mit der ganzen Kraft eines verzweifelten
Mannes, der um sich herum den sicheren Tod sah.

Ein Schrei. Hell und grell, wie in höchster Not.
John riß das zappelnde und sich wehrende Bündel an seinen

Körper und legte beide Arme um die Brust der Rothaut, um ihr
die Luft aus den Lungen zu pressen.

Röchelnd pfiff die Luft aus den fremden Lungen. Der Körper

erschlaffte in Johns Armen und sackte in die Knie. Er ließ ihn
fallen, riß ein Zündholz an, dessen Flamme er mit der Hand
schützte und – fuhr zurück, als hätte ihn der Giftzahn eines
Reptils angegrinst.

Vor ihm lag Tla-ina, Cochises junge und schöne Schwester.

Sie hielt die Augen geschlossen und wirkte bleich und
verschreckt.

»Allmächtiger!« stammelte John Haggerty und faßte sich

dann an den Kopf.

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Das Mädchen schlug die Augen auf, sagte ein paar Worte

und schaute die Gestalt des Weißen aus großen, ängstlichen
Augen an.

»Tla-ina! Um des Allmächtigen willen, wie kommst du in

diesen Canyon?«

»Ich suche Heilkräuter, Falke«, war die schüchterne Antwort.
»Mitten in dunkler Nacht?«
»Sie sind am wirksamsten, wenn sie der Tau der Nacht

benetzt hat.«

Haggerty setzte sich zu dem Mädchen und hielt ihre Hand.

Eine düstere Ahnung befiel ihn.

»Ist jemand in deinem Volk krank? Cochise?«
»Cochise ist gesund wie der Adler in den Lüften und der

Fisch im klaren Wasser. Na-tse-kes leidet an fiebrigen
Ausschlägen und bedarf der Hilfe.«

»Wer ist Na-tse-kes?«
»Die Squaw von Dobe-he, dem Gefleckten Büffel.«
»Ein Krieger deines Stammes?«
Tla-ina nickte. »Er durchwandert mit seiner Familie die

Canyons und… Du willst zu Cochise, Falke?«

Haggerty nickte und stand auf.
»Cochise ist im Land der Gelbhäutigen. Du wirst ihn nicht

finden auf den Weidegründen der Chiricahuas.«

»Ich muß ihn dringend sprechen, Tla-ina. Sehr dringend. Wo

muß ich den Jefe suchen?«

»Cochise ist wie der Vogel in der Luft, einmal hier und am

nächsten Tag woanders. Reite zum Moctezuma, Falke.«

Tla-ina wirkte betreten. Es war fast, als könnte John ihre

Gedanken lesen. Eingesponnen in die Vorstellungen seiner
Aufgabe, wußte John Haggerty nicht, wie er sich ihr gegenüber
verhalten sollte. Sie richtete sich plötzlich auf und stand dann
dicht vor ihm.

»Du hast einmal gesagt, daß du Tla-inas Jacale wieder

besuchen würdest, Falke. Gilt das Versprechen noch immer?«

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Sie legte die schmalen Hände auf seine Schulter und schaute

ihm lange in die Augen.

John war voller Verlangen für dieses braune Mädchen, das

sich scheu wie ein Reh an ihn preßte, aber er dachte an Cochise
und ahnte im Unterbewußtsein, daß der Jefe einen Squaw-
Mann ebenso wenig mochte wie die Weißen.

Trotzdem legte er einen Arm um ihre Taille und zog sie an

sich, bis er ihren Atem auf seinem Gesicht spürte. Sie zitterte
wie Büffelgras im Präriewind, und als er sich halb über sie
beugte und sie küßte, krallte sie ihre Hände in seine Schultern.

Als sie sich nach einem langen Kuß trennten, nickte John

keuchend. Das weiche Fleisch unter dem zerrissenen
Lederhemd drohte ihm die Besinnung zu rauben. Aber
Cochises strenges Antlitz hing vor ihm in der Nacht, als stünde
der Chief leibhaftig in diesem Canyon.

»Ich werde kommen, das verspreche ich. Aber zuerst muß

Frieden im Land einkehren, in dem die Chiricahuas leben. Ich
werde alles dransetzen, diesen Frieden herbeizuführen, Tla-ina.
Wir müssen warten.«

Ihre Hände auf seiner Schulter zitterten wie Espenlaub.
»Friede«, sagte sie leise, »was ist das?«
»Du weißt, was ich meine, Mädchen. Eure Sippen sollen

nicht ständig in der Gefahr leben, von Weißen oder
Mexikanern getötet zu werden. Vergossenes Blut fordert
wieder Blut. Ich muß reiten.«

»John, es ist dunkle Nacht.« Zum erstenmal redete sie ihn

mit seinem Vornamen an, der so fließend von ihren Lippen
glitt, als hätte sie ihn in ihrer Bergeinsamkeit hundertmal
geübt.

»Ein Falke sieht auch während der Nacht, Tla-ina. Der

Nachtfalke. So einer bin ich wohl. Adios!«

John wurde von der Pflicht und dem Wunsch getrieben,

weiteres Blutvergießen im Süden zu verhindern. Auch
Mexikaner und Indianer waren Menschen, und die

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Bevölkerung in Sonora und Chiricahuas hatte in den
Revolutionswirren der vergangenen Jahre mehr als genug
gelitten.

Bei seinem Pferd drehte er sich noch einmal um. Im gleichen

Moment drangen die Sterne durch die Dunstschicht und
sandten ihr Licht in die felsige Schlucht.

Tla-ina stand noch dort, von einer seltsamen diffusen

Helligkeit umgeben. Sie hob die Hand und grüßte. Haggerty,
der sich in den Sattel schwang, grüßte zurück und ritt nach
Süden davon.

*

Sie standen sich in der Abenddämmerung gegenüber. Ihre
kalten Augen lauerten. Durchdringend klang das trockene,
aufgeregte Keuchen eines Zurückgebliebenen durch den
Saloon. Es war so still, daß man das Summen der Fliegen
hörte.

Von draußen drangen die heiseren Stimmen der Mexikaner

und Gringos herein, die Mojada auf Morts Befehl hatte
aussperren müssen. Nur Juárez' Parteigänger waren in der
Kneipe geblieben.

»Nun«, sagte Mort gelassen, »ich warte.«
»Der Herausforderer bin ich und bestimme den Zeitpunkt des

Duells.«

»Dann bestimme ihn, du Armleuchter. Es wird sich nichts

ändern, auch wenn du die Sache hinausziehst. Ich passe auf!«

Carlos quetschte seinen Rücken an den Tresen und machte

sich klein. Der Mexikaner wirkte demoralisiert. Angst
umflatterte ihn mit dem seltsamen Taumelflug eines Falters.
Wer blieb Sieger? Gab es überhaupt einen Sieger? Beide
Duellanten sahen aus, als schenkten sie sich nichts, aber einer
von ihnen mußte der Schnellere sein. Sekundenbruchteile
entschieden über Sieg oder Niederlage, über Leben und Tod.

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»Hat dich der Mut verlassen?« höhnte Mort Douglas mit

geringschätzig verzogenen Lippen. »Hose gestrichen voll,
wie?«

Das alte Spiel begann mit neuen Reizen. Sie schmähten und

verhöhnten sich gegenseitig, bis einen die Wut übermannte. Er
würde ziehen und unter der Kugel des anderen sein Leben
aushauchen. Sie waren beide Revolvermänner, tödlich in ihrer
Entschlossenheit, eiskalt im Handeln, und sie schreckten vor
nichts zurück.

»Schwätzer!« sagte Lon McFane bissig. »Greaserfreund!«
»Du mieser Haufen Dreck! Du Ausbund der Hölle, zieh,

wenn du dich traust!«

Sie standen sich gegenüber. Zwanzig Yards Abstand, die

Hände gespreizt wie Klauen, jeden Augenblick bereit,
zuzupacken, zu ziehen und zu schießen. Über der halbhohen
Pendeltür hingen die Köpfe der Ausgesperrten wie Trauben.
Selbst an den schmutzigen Fenstern drückten sie ihre Nasen
platt.

Die Verbliebenen machten sich klein und häßlich. Sie hätten

sich gewünscht, unsichtbar zu sein und doch alles zu sehen.
Eine verirrte Kugel hatte schon manchen Falschen erwischt.

»Du solltest dir eiserne Unterwäsche anziehen und

wiederkommen, Bastard!« bellte Lon scharf. Seine Rechte glitt
lagsam zur Hüfte, beinahe zeitlupenhaft langsam. Er schien die
Situation richtig zu genießen.

Die Anwesenden begriffen, daß der Zeitpunkt der

Auseinandersetzung unmittelbar bevorstand. Die Duellanten
setzten sich mit der Austragung der Fehde kein Denkmal, aber
sie wurden wie viele andere zur Legende, und nur das zählte.

Auch Morts Rechte machte die bekannte Abwärtsbewegung.

Nun kam es darauf an, wer die besseren Nerven hatte und am
Zucken des Auges erkannte, daß der andere zog.
Sekundenbruchteile entschieden ein Revolverduell.

»Ich krieg 'ne Gänsehaut, wie 'n Reibeisen, wenn ich…«

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Morts heisere Stimme versiegte zu einem Flüstern. Ein

unerwarteter Laut drang in die Stille des Saloons und weckte
seltsame Ahnungen in den beiden Kämpfern.

Ihre Hände blieben über den Halftern hängen. Verkrampfte

und zum Kampf angespannte Glieder lockerten sich, und ihre
Körper, beide gleich groß und zusammengekrümmt, streckten
sich zur Normalhaltung.

Sie lauschten. Die Glocke von St. Barbara, der kleinen

Kirche aus der Kolonialzeit, wimmerte wie Seelen Verdammter
vor dem Jüngsten Gericht.

Stimmen dröhnten wie Brandung. Einzelne Schreie füllten

die engen Gassen von Matachic am Rio Moctezuma, und das
Entsetzen, das draußen alle ergriff, setzte sich mit dem Ruf
»Apachen« und »Yaquis« bis in den letzten Winkel fort.

Füße trommelten den Staub. Die Glocke wimmerte und

mahnte. Matachic war ohne Übergang zum Tollhaus geworden.
Lon und Mort blickten sich an. Lons Augen zwinkerten. Mort
leckte sich die Lippen und verlor ein wenig Farbe. Beiden
perlte nun Schweiß über die angespannten Gesichter.

»Indianerüberfall«, sagte Mort heiser.
Lon nickte. »Verschieben wir unseren kleinen Disput auf

morgen. Einverstanden, du revolverschwingender Säugling?«

Morts Kopf ruckte hoch. Seine grauen Augen glimmten

tückisch.

»Den Säugling schieße ich eines Tages mit einem Pfund Blei

in deinen dreckigen Wanst. Warte ab, Großmaul!«

Lauter und eindringlicher mahnte die Glocke zum

Widerstand. Das Getrappel draußen hatte aufgehört. Die Köpfe
an den Fenstern und über der doppelflügeligen Schwingtür
hatten sich in Luft aufgelöst. Nur die etwa zwanzig
Anwesenden standen starr wie Salzsäulen und lauschten dem
dumpfen Getöse.

Mort und Lon überlegten krampfhaft, ob sie nicht doch noch

zur Waffe greifen und die Beleidigungen mit einem schnellen

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Schuß ahnden sollten. Schließlich waren sie das ihrem Ruf
schuldig.

Aber die heraufziehende Dunkelheit machte ihrem Vorsatz

ein jähes Ende. Der angstschlotternde Daniel hinter dem
Tresen hütete sich, hervorzukommen und die Kerosinlampen
anzuzünden.

Drängender wurden die Glockentöne, erstes Schießen setzte

ein. Menschen untermalten das Durcheinander auf den Straßen
mit hysterischem Geschrei und rannten ziel- und kopflos durch
die Gassen.

Lon McFane wechselte einen langen Blick mit Mort

Douglas. Beiden war die Kampfeslust vergangen. Das
Zauberwort Apache nahm ihnen jede Lust zum Duell. Was half
es dem Sieger, wenn er anschließend von einer Rothaut
skalpiert wurde?

Der eiskalte McFane grinste bei dem Gedanken. Aber das

Grinsen verging ihm. Jemand stöhnte in der Dämmerung. Von
draußen drang der Geruch von verbranntem Stoff, Holz und
Fleisch herein. Pulverdampf mischte sich dazwischen, und der
ekelhafte Gestank, der auf beide einwirkte, ließ den letzten
vagen Gedanken an das Duell verpuffen.

»Kümmern wir uns um die Sache?« fragte Lon.
Mort nickte. Er gab dem käsigen Carlos ein Kopfzeichen und

setzte sich in Bewegung.

Als sie gemeinsam vor die Tür traten, schlug ihnen

Dunkelheit und beißender Qualm in dichten Schwaden
entgegen.

*

Ein Gefühl naher Gefahr befiel John Haggerty. Das Feuer war
niedergebrannt, nur die Asche glühte noch. Es war still
geworden. Er blieb in der Mulde sitzen und horchte. Sein Pferd
stand mit hängendem Kopf vor einem Sumachstrauch und

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beleckte lustlos die welken Blätter.

Wieder das Gefühl von Unheil. Es packte ihn periodisch mit

kräftigen Stößen in der Brust. Hinter den Steinen polterten
Stiefel. Ein Kopf erschien. John rollte hinter das Gestrüpp und
wartete. Ein Gewehr dröhnte dumpf. Das Echo des Schusses
schien zwischen den Canyonwänden hin und her geworfen zu
werden, bevor es endlich einschlief.

John wartete einige Sekunden, bevor er zu dem

Schichtgestein weiterkroch. Er schwang sich rasch darüber und
ließ sich auf der anderen Seite auf den harten Boden fallen.
Sein Atem ging keuchend. Schweiß badete ihn trotz der
Nachtkühle.

Sein Pferd wieherte ängstlich und zerrte an den Zügeln. Es

riß sich vom Sumachbusch los und galoppierte in den Canyon
hinein. Stille. Absolut und perfekt. Kein Nachtvogel schrie,
kein Nager war unterwegs. Die gesamte Natur schien in
Todesdrohung erstarrt zu sein.

Ein leises Geräusch. John legte den Kopf schief und riß die

Augen auf. Er hatte Apachen oder Yaquis erwartet, blickte aber
in das Gesicht eines Uniformierten. Der Mann hielt ein Gewehr
in den Händen.

John Haggerty wartete auf den Schuß, aber er blieb aus. Der

Franzose starrte ihn an, als sei er soeben mit dem Teufel
konfrontiert worden. Sein Käppi hing schief auf seinem
Wollschädel, an der blauen Uniformjacke fehlten zwei Knöpfe,
die rote Hose war zerrissen. Seine ehemals weißen Gamaschen
trugen die Spuren von Dornen, sein Gesicht den Ausdruck von
Ratlosigkeit.

»Pst!«
John starrte das Gewehr an, als sei es etwas Lebendiges,

Selbstdenkendes in den Händen des Soldaten. Und wieder:

»Pst! Keinen Laut, Amerikaner.«
John drehte seinen Körper so, daß er auf dem Ellbogen zu

liegen kam. Sein Gewehr war mit dem Gaul zusammen

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unerreichbar geworden, aber er hatte noch den Colt und das
lange Messer.

»Was ist los? Komm her.«
»Nein. Du bist mein Gefangener.«
Aus der Dunkelheit drang ein so lauter und entsetzlicher

Schrei, daß es John kalt überlief.

»Wer ist das?« fragte John Haggerty.
Der Soldat spuckte aus. »Ein Kamerad. Ein Yaqui erwischte

ihn an der Hüfte. Hüftknochen zersplittert. Bist du verletzt,
Amerikaner?«

»Nur mein Stolz.« John legte sich auf den Rücken und

versuchte den Stand der Sterne zu erkennen. Der Schuß, den er
gehört hatte, war von einem Yaqui abgefeuert worden. Er
wollte mehr wissen.

»Bist du allein, Kamerad, und falls nicht, wieviel Soldaten

sind bei dir?«

»Dummkopf, sieh dich um!«
Aus der dräuenden Dunkelheit traten sie mit aufgepflanztem

Bajonett und knirschenden Sohlen, mit Haß in den Gesichtern
und zerfetzten Uniformen.

Der sie anführende Sergeant trat John in die Seite, brüllte

Befehle und weinte gleichzeitig, so hatte ihn der Schock über
den Angriff der Yaquis gepackt.

»Was soll mit dem da geschehen, Sergeant?« fragte der

Soldat, der sein Gewehr auf John richtete. »Ich habe ihn
überrascht und gefangen.«

»Merde! Fesselt ihn! Wir werden ihn ein bißchen quälen, bis

wir die Wahrheit erfahren.«

»Welche Wahrheit?«
»Idiot! Wie kann man nur so blödsinnig fragen? Er hetzte die

Indianer auf uns, was hätte er sonst hier zu suchen?«

Haggerty wollte protestieren, aber zwei Soldaten stürzten

sich auf ihn und verschnürten ihn zu einem Paket.

»Kein Feuer«, warnte der Sergeant. »Verhaltet euch still. Mit

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dem da rechnen wir morgen ab. Louis, du gibst auf ihn acht
und bist mir für ihn verantwortlich. Sehe ich ihn bei
Tagesanbruch nicht mehr, lasse ich dich für die Yaquis
zurück.«

Louis, der strahlende Held, der John gefangen genommen

hatte, knickte förmlich in sich zusammen. Zwölf Soldaten
nahmen am erloschenen Feuer Platz und packten ihren Proviant
aus den Taschen. Sie unterhielten sich, und John, der ein paar
Brocken französisch sprach, lauschte. Nach und nach erfuhr er,
daß Matachic von Yaquis eingeschlossen und mit Brandpfeilen
beschossen wurde.

Louis hockte vor ihm, das Gewehr zwischen den Beinen und

blickte dumpf ins Leere, während sich seine Kameraden labten
und schwatzten, als gäbe es im weiten Umkreis keine Indianer.

John erfuhr so, daß sie abkommandiert worden waren, um

eine Garnison am Rio Moctezuma zu verstärken. In einen
Hinterhalt geraten, gelang es dem Rest der Truppe, in das nahe
Gebirge zu entkommen.

»Was werdet ihr mit mir machen?«
»Du wirst gequält werden, bis der Sergeant alles weiß. Dann

töten wir dich. Du kannst auch freiwillig reden, die Wahrheit,
dann wirst du nicht mißhandelt.«

John schloß die Augen. Auf Gedeih und Verderb war er der

Willkür dieser uniformierten Männer ausgeliefert, wehrlos,
ohne einen Schimmer der Hoffnung.

Das glühende Augenpaar hinter dem Sumachgestrüpp schloß

keineswegs die Augen. Der Yaqui kroch davon und hetzte
schließlich im Wolfstrab nach Süden. Yaquis waren die besten
und ausdauernsten Läufer Sonoras.

*

Schweiß tränkte Morts Kleidung, und er mäßigte seinen Lauf
durch die Gassen der mexikanischen Stadt. Matachic brannte

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an drei Ecken. Vergeblich versuchten Bewohner und Fremde
das Feuer zu löschen oder zu verhindern, daß es um sich griff.

Von Lon McFane war nichts mehr zu sehen. Mort hörte seine

bellende Kommandostimme, die einigen seiner Leute befahl,
Häuser im Außenring der Stadt zu besetzen und auf alles zu
schießen, was eine braune Haut hatte.

Von Yaquis oder Apachen sah der Revolvermann nichts. Nur

ihre Brandpfeile. Kometengleich zogen sie mit feurigen
Köpfen ihre vorgeschriebene Bahn und schlugen in die
zundertrockenen Holzschindeln und falschen Fassaden.

Die Indianer lagen hinter den Hügeln beim Fluß in Deckung

und waren für die Kugeln der Belagerten unerreichbar. Ein
langgezogener, klagender und irgendwie herzergreifender
Schrei hinter Mort ließ ihn herumfahren. Mit einem mächtigen
Seitensprung schmiegte er sich an die Adobewand einer Hütte.
Wie absichtslos riß er den Colt aus dem Halfter und ebenso
mechanisch spannte er mit dem Daumen den Hahn.

Carlos kam aus dem Haus. Mit wütenden Gebärden zerrte er

Carmen Obeira mit zerrissenen Kleidern und fliegenden
Haaren hinter sich her, dabei fluchte er unflätig.

»Holla!« rief Mort Douglas grinsend. »Kleiner Ehestreit,

wie?«

»Geh zum Teufel, Gringobastard!«
»Nach dir, Carlos, immer nach dir. Laß die Kleine los.

Pronto, sage ich!«

»Das hier geht dich nichts an, du räudiger Coyote. Geh aus

dem Weg!«

»Sachte, sachte, Amigo. Wer aus dem Weg geht, wird sich

erweisen. Du bist wohl taub? Ich sagte, laß die Kleine los.«

Morts Revolverhahn rastete mit metallischem Laut in

Schußposition.

»Zieh ja nicht«, warnte er verbissen. »Ich bin mit

angeschlagenem Revolver einen Schub schneller als du.«

Carlos ließ Carmen los und trat breitbeinig zur Seite.

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»Mit dem anderen Gringo hast du's nicht aufnehmen

können«, knurrte er bösartig. »Da hast du gekniffen. Und bei
mir wirst du's nicht schaffen, das verspreche ich dir.«

Er sprang zur Seite, ließ sich fallen und rollte behend wie

eine Katze über die Straße. Mitten in der Bewegung zog er und
schoß zweimal. Bei Mort Douglas drüben blitzte es auf. Aus
seiner Waffe stieß eine gelbe Feuerlanze. Pulverrauch
verdeckte die Sicht. Zu einem dritten Schuß kam Carlos Porfiro
Mojada nicht. Morts Kugel ließ ihn in den Staub sinken.

»Kommen Sie her, Señorita! Schnell! Wir müssen die Stadt

verlassen!«

»Fliehen? Wohin?«
»Irgendwohin. Nur weg von den Indsmen.«
»Die Stadt ist umstellt und brennt an allen Ecken«, wandte

sie ein und rang die Hände. »Sie und ich – wir beide allein?«

»Nonsens. Die Bande kommt natürlich mit. Carlos war so

freundlich, tüchtige Leute anzuwerben. Für mich«, setzte er
trocken hinzu. Sofort wechselte er das Thema: »Was wollte der
Spie von Ihnen? Gewalt antun?«

Das Mädchen errötete und nickte zögernd.
»Als ich mich wehrte, zerrte er mich aus dem Haus. In ein

Bordell wollte er mich bringen. Gibt es das hier?«

Mort lachte belustigt. Mit seinem rußgeschwärzten Gesicht

und den blitzenden Zähnen sah er wie der Leibhaftige aus.

»So was gibt's in jeder Stadt«, antwortete er auf Carmens

Frage. »Kommen Sie, der Qualm erstickt uns sonst.«

Schwarz und stinkend wälzten sich Rauchwolken durch die

Straßen, und der Aschenflug, der sich in der Haut festbiß,
machte die Sache noch dramatischer.

Mort Douglas rannte durch ein paar unratübersäte Gassen

nach Osten. Beim Mietstall hielt er wieder an und musterte
zwei Mexikaner, die vergeblich versuchten, ihre nervösen
Gäule zu satteln.

»Hiergeblieben!« befahl er scharf. »Ihr Hengste kennt mich.

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Los, macht euch auf die Socken und holt die anderen herbei.
Wir verlassen die Stadt. Wer in einer Viertelstunde sich nicht
hier versammelt, wird von mir erschossen. Pronto, Leute!«

»Wo ist Carlos? Wir suchten ihn vergeblich.«
Mort deutete mit einem scheinheiligen Grinsen zum Himmel.
»Dort oben. Señor Carlos Porfiro Mojada ist tot!«
»Tot?« Die beiden Männer zuckten zurück.
»Ja, tot. Er war der Meinung, schneller zu sein als ich. Er

irrte.«

Mit einem wütenden Fluch setzte er hinzu: »Und ihr beide

werdet auch gleich Englein im Himmel spielen, wenn ihr nicht
spurt.«

Sie spurten. In nicht einmal zehn Minuten hatten die beiden

Desperados den Rest der Bande aufgetrieben, mehr als fünfzig
hartgesottener Banditen, denen Messer und Revolver locker
saßen.

Alle Hautschattierungen waren dabei, vom tiefsten Schwarz

bis zum hellen Braun, und wenn sie einmal lächelten, sah das
aus, als wenn ein Kater beim Anblick einer Maus genüßlich
seine Barthaare strich.

»Adelante, Muchachos, wir reiten! Wer sich uns in den Weg

stellt, wird niedergeritten, verstanden?«

Schwarze, Braune, Gelbe und zuletzt die Weißen warfen

scheele Blicke auf Mort Douglas. Es hatte sich
herumgesprochen, daß er bei einer Auseinandersetzung wegen
dieser Frau Carlos Porfiro erschossen hatte.

Sie ließen es zu keiner weiteren Aufforderung kommen.

Einige sattelten im Mietstall, andere, die Mehrzahl, zerrten ihre
Pferde ins Freie und legten ihnen hier die Sättel auf.

Wie die wilde Jagd ritten sie unter frenetischem Geheul nach

Osten. Die Straßen waren verstopft. Fluchende und hüpfende
Männer, die den Brandpfeilen auswichen, stellten sich ihnen in
den Weg. Rücksichtslos wurden sie zur Seite geschleudert.

Heraus aus dem Qualm zwischen den Häuserzeilen, hielt

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Mort Douglas die Meute an.

»Hört zu«, sagte er trocken. »Matachic ist von den Indianern

eingeschlossen. Wir brechen durch. Die Feuerkraft von fünfzig
Revolvern wird uns Bahn brechen. Wenn einer verwundet
zurückbleibt, nun, dann hilft ihm nur noch Gott oder aber seine
Waffe.«

»Und was noch?« fragte einer. »Eine Kugel durch die

Schläfe.«

*

Tehueco riß den Brandpfeil aus dem Feuer und schoß ihn steil
in die mit dem Wind fortziehenden Rauchschwaden. Dann erst
wandte er sich dem Krieger zu, der zwanzig Meilen, ohne auch
nur einmal anzuhalten, gerannt war, um ihm von Haggertys
Gefangennahme zu berichten.

»El Halcón?« fragte er sicherheitshalber in spanischer

Sprache.

Der Yaqui nickte eifrig. Pitcar trat zu der Gruppe. Seine

Stirnwunde war verheilt, aber nicht sein verletzter Stolz. Er
konnte nicht einmal andeutungsweise sagen, wer ihn belauscht
und angegriffen hatte. Die Nacht war zu dunkel gewesen.

»Hast du gehört?« fragte ihn Tehueco. »Cochises weißer

Freund, der Falke ist von den Rothosen gefangengenommen
worden. Sie wollen ihn martern. Cochise hatte recht. Der
einarmige General schickt keine Truppen. Was tun?«

»Was tun?« war Pitcars erstaunte Gegenfrage. »Yaquis und

Chiricahuas sind befreundete Stämme. Nie führten wir Krieg
gegen die Apachen. Schick einen Läufer zu Cochise. Er und
Naiche werden den Falken selbst aus den Händen der
Franzosen befreien wollen, die der Heilige Geist vernichten
möge.«

Bevor Tehueco zu einem Entschluß kommen konnte, setzte

sich der Alarmruf durch die Reihen seiner Krieger fort. Er ließ

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den Bogen fallen und eilte auf die Hügelkuppe.

Aus der brennenden Stadt stürmte ein großer Reitertrupp

zwischen die Hügel. Tehueco hob die Hand. Alle konnten sie
es sehen. Seine Stimme hallte mit zahlreichen Echos durch die
Täler hinunter zum Fluß.

»Greift sie an, meine tapferen Krieger! Kämpft mit ihnen und

laßt keinen durch! Reißt sie von den Pferden, tötet! Tötet!
Tötet!«

»Zastee!« schrien die Yaquis, und »zastee« schrien auch die

wenigen Wüstenapachen, die sich ihnen angeschlossen hatten.

Mit langen Sätzen stürmte Tehueco den Hang hinunter,

gefolgt von Pitcar. Sie hatten die Talsohle gerade erreicht, als
das Tal Reiter ausspie, die gegen sie anritten.

Todesmutig warfen sich die Indianer ihnen entgegen. Ihr

frenetisches Geschrei ging den Banditen durch Mark und Bein,
und als sie schließlich noch ihr Kriegsgeschrei anstimmten und
das schrille Kreischen die Täler zwischen den Hügeln ausfüllte,
gefror den Banditen das Blut zu Eis.

Schüsse donnerten, Pfeile schwirrten, von kundigen Händen

abgeschossen, Beile flogen und Messer. Und in dem wirren
Knäuel sich drehender, auskeilender Pferde und schreiender
Menschen stürzte sich Tehueco, das blutige Beil in der Hand.
Pitcar benutzte zum Angriff und zur Abwehr eine Keule aus
Mesquiteholz.

Zwei, drei Reiter stürzten von den Pferden und versanken im

Staub. Mort Douglas schoß seinen Colt leer, schlug einem
angreifenden Yaqui nieder, trat einen anderen mit dem langen
Revolverlauf und war dann durch.

Carmen Obeira hielt sich an seiner Seite. Im Galopp lud der

Revolvermann die Waffe nach, aber vor ihm war kein Feind
mehr. Das rasende Trappeln der Pferdehufe folgte ihm nach,
als ritte der Teufel in seinem Schatten.

»Wir haben es geschafft!« rief er triumphierend. »Wir sind

durch!«

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Sancho Velasquez kam an seine Seite geritten. Er nickte.
»Si, Señor, wir sind durchgestoßen wie ein heißes Messer

durch einen Butterberg. Was nun?«

»Sammeln und abwarten.«
Einzeln und in kleinen Gruppen, blutend, schwitzend und

schnaufend, kamen sie und leckten sich fluchend die Wunden.
Ihre Verluste waren hoch. Zwanzig Reiter waren entweder
gefallen oder so schwer verwundet, daß sie zurückbleiben
mußten.

Mort sah seinen Männern einzeln in die Augen. Verwegene

Gestalten mit harten, vom Leben gezeichneten Gesichtern und
alle mit dem gleichen Augenausdruck. Ein bißchen verwegen
waren sie, manchmal sogar todesverachtend, aber Treue,
Loyalität und Ehre waren ihnen so fremd wie einem Panther
humanitäre Gefühle.

»Wer verbindet unsere Wunden?«
Der es fragte, ein rotwangiger blonder Riese aus Arkansas,

preßte die Hand auf die blutende Brust.

Mort winkte ab.
»Keine Zeit«, sagte er. »Ihr habt doch alle Revolver.«
Die Antwort des Bärtigen war kurz und resignierend.
»Die Yaquis werden uns einholen und uns den Garaus

machen…«

»Wir reiten!« schrie Mort gefühllos. »Los geht's, Amigos!

Auf nach Norden!«

Sie waren schon ein ganzes Stück fort, als hinter ihnen ein

paar Revolverschüsse verklangen.

*

Der Apache wurde von der Kugel halb herumgerissen, die in
seine linke Schulter schlug. Er griff mit der Rechten nach dem
Tomahawk, konnte ihn aber nicht erreichen. Cochise war bei
ihm und nahm ihm die Waffe weg.

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»Graue Elster darf sich nicht bewegen, wenn er nicht zuviel

Blut verlieren will.«

Ein Geräusch in seinem Rücken störte den Chief. Er riß das

Gewehr des Kriegers an sich und wirbelte herum. Eine eisige
Ruhe hatte sich seiner bemächtigt. Ein spitzer Sombrero
tauchte hinter dem Dickicht auf. Cochise schoß und trieb den
Outlaw in seine Deckung zurück.

Er hob den Kopf. »Kommt nur, ihr Gelbhäutigen!«
Ein Messer zischte als Antwort und bohrte sich in die Brust

des angeschossenen Kriegers. Eine Kugel traf ihn außerdem,
und er ging ohne Klagelaut ein in die Ewigen Jagdgründe.

Die Schüsse waren verhallt. Cochise richtete sich auf und sah

Naiche herankommen. In der sternenklaren Nacht blickten sich
beide um. Tote, wohin sie schauten, viele Tote, hingemäht von
den Schüssen der Apachen.

»Glaubst du, Jefe, sie greifen noch einmal an?«
»Uns? Hier oben? Sie wissen, was mit ihnen passiert und

kommen nicht mal bis auf eine halbe Meile heran. Die
Chiricahuas haben gesiegt. Tehueco kann stolz auf seine
Verbündeten sein.«

Rauch zog steil aus dem Tal und breitete sich in den höheren

Luftschichten fächerartig aus. Man hatte den Brand in
Matachic zwar gelöscht, aber so manche Brandstelle schwelte
noch.

Auf seinen Strohsandalen tauchte ein Krieger lautlos wie ein

Schemen aus den Schatten. Er grunzte befriedigt, als er die
vielen Leichen sah.

»Gute Arbeit«, knurrte er in seiner Sprache und nickte dazu.
»Du kommst von Tehueco?«
»So ist es. Eine Botschaft für Cochise, Häuptling.«
»Ich höre.«
»Ein Weißer, den du Falke nennst, wurde von den Kriegern

in roten Hosen gefangengenommen.«

»John Haggerty?«

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Der Yaqui deutete nach Norden. »Zwei Wegstunden für ein

gutes Pferd, drei für einen schnellen Läufer.«

»Du kennst den Weg?«
Der Yaqui nickte.
»Bringe mich hin.«
Cochise rief nach seinem Pinto. Ein Krieger brachte gleich

Naiches Pferd mit.

»Willst du reiten, Yaqui?«
Der Krieger schüttelte den Kopf. Cochise näherte sich den

raschelnden Büschen. Kein Mexikaner war zu sehen. Der
Blutzoll war ihnen zu hoch gewesen. Er schob sich an den
Rand des Hügels und blickte in das Tal. Auch dort zeigte sich
kein Berittener.

Er kehrte zu den vier verbliebenen Kriegern zurück.
»Gebt ihm ein indianisches Begräbnis.« Cochise deutete auf

den Toten. »Er war ein tapferer Krieger. Haltet die Augen
offen. Im Morgengrauen bin ich wieder zurück.«

Zwei Stunden nach Mitternacht hielten sie vor der

Canyonmündung. Kein Laut war zu hören. Der Yaqui zeigte
mit grimmigem Gesicht auf den dunklen Schlund.

Cochise stieg ab und reichte die Zügel dem Krieger.
»Es ist Sache der Chiricahuas, John Haggerty zu befreien.«
Kaum hatte er die Worte hervorgestoßen, war er schon

verschwunden. Nach zweihundert Yards roch die Nase des
Chiricahuas Holzrauch. Flammenschein war nicht zu sehen.
Nicht einmal ein Nager oder ein Vogel bewegte sich dort
hinten.

Cochise huschte ein Stück, dann ließ er sich nieder und kroch

auf allen vieren weiter. Der Geruch schwelenden Holzes stieg
beißend in seine Nase. Er blieb sekundenlang liegen und preßte
sein Gesicht in den Staub. Ein plötzliches Niesen hätte den
Schläfer mit überraschender Schnelligkeit auf die Beine
gebracht.

Als der Reiz nachließ, kroch er wie ein großes Insekt weiter.

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Noch zwanzig Yards, da sah er die Feuerstelle. Ein dünner
Rauchfaden stieg zum Himmel, und in dem grauen
Aschenhaufen glühte ein rotes Dämonenauge.

Cochise ließ seine Augen über die Gestalten unter den

Decken gleiten. Er zählte sie. Weiter drüben bei einem Felsen
lag eine weitere, bewacht von einem schlafenden Soldaten.

Cochise lächelte. Die Weißen waren schlechte Krieger und

benahmen sich anders als die Indianer. Kein indianischer
Wachposten hätte geschlafen und die müden Krieger ohne
Beaufsichtigung gelassen.

Cochise wußte genug. Seine Aufmerksamkeit galt den

Pferden. Er sah sie nicht. Verwundert stellte er sich die Frage,
welcher Dummkopf sich ohne Pferd in die Wildnis begab, um
darin umzukommen?

Nach einer Weile fiel ihm ein, daß die Weißen Einheiten in

ihren Armeen hatten, die sie Infanteristen nannten, und er
schalt sich selbst einen Dummkopf.

Cochise huschte zu Naiche und den Yaqui zurück. Mit

wenigen Worten erklärte er die Situation und die Übermacht
der Franzosen. Eine verächtliche Handbewegung war Naiches
Antwort.

»Greifen wir an?«
»Im Morgengrauen, dann ist ihr Schlaf besonders tief. Wenn

es machbar ist, vermeiden wir einen Kampf. Der Posten schläft
und wird uns bei der Befreiung kaum stören.«

»Warum?« wollte Naiche ungehalten wissen. »Sie sind

Eindringlinge und werden mit Stumpf und Stiel ausgerottet, bis
sie keine weiteren Soldaten mehr in das Land des Indianers
schicken.«

»How!« grunzte der Yaqui beifällig.
»Blut fordert wieder Blut.« Cochise setzte sich auf einen

Stein, starrte in eine weite Ferne, auf ein Land, das jenseits des
Erreichbaren lag. Um seine Nasenflügel zuckte es. Mit ruhiger
Stimme fuhr er fort: »Blut schreit nach Blut, mein Sohn.

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Warum sind die Chiricahuas so wenige und die Weißen wie
Sandkörner in der Wüste? Weil sie sich nicht wie die Indianer
gegenseitig bekriegen, sondern nur den roten Mann. Wenn wir
weiter so handeln, wird es eines Tages keinen Chiricahua mehr
geben. Sie werden uns hinwegschwemmen vom Land unserer
Väter und in der Wüste verhungern und an Durst sterben
lassen.«

Naiche setzte sich zu Cochise.
»Was können wir dagegen tun?«
»Klüger sein als sie, stets so handeln, wie es uns die

Vernunft gebietet. Wir müssen so werden, wie es die
Diplomaten der Weißen sind: listig, verschlagen, und wir
müssen mit doppelter Zunge sprechen. Laß uns aufbrechen.«

Eine Viertelstunde danach waren Cochise und Naiche wieder

in der Nähe des Franzosenlagers. Den Yaqui ließen sie zurück.
Im Osten graute fahl der Himmel mit dem ersten Streifen des
erwachenden Tages. Die letzte Strecke krochen die beiden
Chiricahuas.

Es gab nichts, was sie aufhielt. Oder doch? War da nicht ein

Geräusch? Bewegungslos verharrten sie und wagten kaum zu
atmen. Nichts. Ein Schläfer hatte sich gerührt. Ein anderer
sprach im Schlaf und warf sich unter seinen Decken hin und
her.

Noch etwa zwanzig Yards waren sie von dem großen Stein

entfernt, vor dem John Haggerty zu einem Paket verschnürt
dem Morgen entgegendämmerte. Cochise neigte seinen Kopf
zu Naiches Ohr.

»Du nimmst den Posten. Sei vorsichtig, damit er nicht

schreit.«

Naiche nickte, kroch weiter und wandte sich nach rechts.

Cochise schlug den linken Weg ein und näherte sich dem Stein.
Der Posten bewegte sich, erwachte plötzlich und faßte nach
seinem Gewehr zwischen den Knien, das hinzufallen drohte.

Cochise und Naiche blieben wie vom Blitz getroffen liegen.

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Sie preßten die Gesichter auf die Erde, denn das Weiß ihrer
Augäpfel hätte sie verraten können. Aber der schlaftrunkene
Posten warf keinen Blick in ihre Richtung.

Der Mann stand auf, machte ein paar Freiübungen mit den

Armen, um den Dämmerzustand des Schlafes zu überbrücken
und setzte sich wieder. Er schlief nicht mehr ein, und das
erschwerte die Befreiungsaktion für die beiden Chiricahuas.

Cochise kroch weiter. Der Mann mit dem flotten Käppi auf

den dunklen Haaren schaute zum Lager und beachtete ihn
nicht. Vor ihm bewegte sich Haggerty. John hatte den
Häuptling längst bemerkt und richtete sich darauf ein, mit
einem schnellen Messerschnitt befreit zu werden.

Eile war geboten. Die Grate hoch über den Canyons färbten

sich bereits grau und wurden lichter. Noch etwa eine Stunde,
dann flutete Licht in die Schluchten und die Soldaten würden
erwachen.

Cochise nahm einen Stein von der Größe einer Erbse und

warf ihn in Richtung des Gefangenen. John lächelte, als das
Geschoß genau seine Nase traf. Er hob die
zusammengeschnürten Knie kurz hoch und ließ sie wieder
durch Ausstrecken der Beine fallen.

Cochise wußte Bescheid. Nach weiteren zwei Metern blieb

er wieder bewegungslos liegen. Er wartete auf Naiches Auftritt.
Gelang es seinem Sohn nicht, den Posten unschädlich zu
machen, mußte er sich etwas völlig Neues zur Befreiung des
Falken einfallen lassen.

Nichts rührte sich drüben auf der anderen Seite. Der Posten

gähnte vernehmlich, aber weiter geschah nichts.

Cochise wartete. Ungeduld beschlich ihn, und als er an die

Gefahr dachte, der sein Sohn ausgesetzt war, wurde er unruhig.

Der Posten stand auf, ging zu seinem Gefangenen und prüfte

die Fesseln. Danach ging er wieder zurück.

Den Schatten, der ihm lautlos folgte, sah er weder noch hörte

er ihn. Schatten konnte man nicht hören, sie waren lautlos wie

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der Flug der Wolken. Dafür spürte er die harten Finger, die
sich von hinten auf seinen Kehlkopf legten und seine Atemluft
abschnürten. Der Mann wehrte sich, trat nach hinten und ließ
sich zur Seite fallen.

Naiche klebte an ihm wie eine Klette. Keine Sekunde lang

ließen seine Finger in dem Bemühen nach, den Mann
kampfunfähig zu machen. Aber noch war der Franzose nicht
geschlagen und bei Bewußtsein. Wenn seine Kräfte auch
erlahmten, so besaß er den Willen zum Überleben und wehrte
sich verzweifelt gegen die drohende Bewußtlosigkeit.

Seine plumpen Hände rissen und zerrten an Naiches Fingern,

bogen sie zur Seite, bis er nach Luft schnappen und einen
Schrei ausstoßen konnte. Im Nu wurde es hinter den
Kämpfenden laut. Das Lager kam auf die Beine, Soldaten
eilten zu den Gewehren und entsicherten sie.

Sekunden noch, dann mußte die Hölle ausbrechen und die

beiden Apachen mitsamt dem Gefangenen verschlingen.
Naiche zog sein Messer, ließ die Kehle des hart nach hinten
auskeilenden Soldaten los und tötete ihn.

Wie gehetzt sprang Cochise auf die Füße und gewann mit

langen Sprüngen Raum. Noch eine weitere verlorene Sekunde,
und Cochise Chance, den Freund zu befreien, war vertan.

Er schaffte es nicht. Kugeln spritzten vor ihm in den Sand,

sirrten als Querschläger davon. Er ließ sich fallen, drei Schritte
von John entfernt. Sein Herz verkrampfte sich, als er die
heranstürmenden Soldaten sah.

»Fliehe!« schrie Haggerty. »Cochise, rette dein Leben, ich

komme schon zurecht.«

Naiche fegte um den Felsen. Todesmutig warf er sich über

Haggerty und schnitt mit einem einzigen kräftigen Stoß seines
blutigen Messers die Stricke durch.

Cochise, noch immer am Boden, grunzte beifällig. Das war

Apachenart, verwegen und mutig bis in den Tod. Naiche warf
sich neben John zu Boden. Kugeln spritzten gegen den Fels.

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»Fort!« schrie Cochise.
Haggerty rief: »Ich kann nicht, Jefe. Mein Blut ist gestaut,

meine Hände und Füße sind taub.«

Wieder war es Naiche, der John beistand. Er drehte und

knetete seine Hände und Füße, bis sich Haggerty über ein
heftiges Kribbeln beschwerte.

Fluchend kamen die Franzosen im Eilmarsch heran. Allen

voran der bullige Sergeant. Er schwang sein Gewehr wie eine
Keule und stieß den Kolben nach Cochise.

»Fahr zur Hölle, Apache!«
Cochise tat ihm nicht den Gefallen. Er warf blitzschnell sein

Messer nach dem Weißen, und er traf.

Mit einem röchelnden Laut stürzte der Sergeant in die Knie

und fiel dann auf sein Gesicht. Cochise sprang zu John, riß ihn
auf die Beine und schleifte ihn mit Naiche zusammen hinter
den Felsen. Die Franzosen hatten ihre Vorderlader
abgeschossen und mußten laden.

»Bewege dich«, sagte Cochise. »Mach schnell, dein Blut

muß in den Adern pulsieren. Wo ist dein Pferd?«

»Hinten im Canyon.«
Naiche setzte sich bereits in Bewegung. Der erste Soldat kam

um den Felsen gerannt, das Gewehr an der Hüfte. Cochise warf
den Tomahawk und traf den Mann. Der kippte um, als hätte ihn
ein Muli mit dem Huf getreten.

»Wir müssen fort. Kannst du laufen?«
»Es wird gehen.«
»Wenn nicht, dann erwischen sie uns.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Los, nehmen wir die Beine

in die Hand.«

Sie liefen zuerst in die Canyonmitte, verfolgt von

Gewehrschüssen und französischen Verwünschungen, änderten
dann die Richtung und strebten der anderen Wand zu, die aus
zerklüfteten Felsen, Nadelspitzen Klippen und trockener
Vegetation bestand.

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Hufschlag in ihrem Rücken ließ sie im Laufen die Köpfe

wenden. Auf Johns Pferd kam Naiche wie ein Comanche
angeritten. Auf der linken Pferdeseite hängend, war er für das
Gewehrfeuer der Soldaten unerreichbar.

Naiche zügelte das Pferd und sprang ab. Cochise half

Haggerty in den Sattel und trieb das Tier mit einem Schlag auf
die Hinterhand zum Galopp an. Beide Chiricahuas liefen neben
ihm her. Der Yaqui war herangekommen und schloß sich ihnen
an.

*

»Madre de Dios, ist der Kerl schnell!« Carlos wälzte sich im
Straßenschmutz von Matachic und stand blutbesudelt und
schwankend auf. Seine Brustwunde brannte, als hätte jemand
Säure in sie gegossen. Er taumelte zur nächsten Hauswand und
lehnte sich erschöpft dagegen. Brandgeruch wehte ihm ins
Gesicht. Wiederholt übermannte ihn die Schwäche, aber er
nahm seine ganze Willenskraft zusammen und hielt sich
aufrecht.

Schreiende Stadtbewohner stürmten aufgelöst und völlig

konfus durch die Gassen, sahen zwar den Verwundeten,
beachtete ihn aber nicht.

Zwei Mexikaner mit Sombrero und Poncho rannten vorbei,

hielten auf den Zuruf des einen an und kehrten um. Sie blieben
stehen und starrten Carlos wie ein Wunder an. Einer bückte
sich und hob den Colt des Desperados auf.

»Das ist doch…«
»Ja, er ist's«, unterbrach ihn der andere. »Selbst für die Hölle

ist er zu zäh, sie hat ihn wieder ausgespuckt.«

Carlos erkannte die beiden. »Kommt her«, krächzte er.

»Helft mir.«

Sie faßten ihn unter und trugen ihn halb, halb schleppten sie

ihn in ein gegenüberliegendes Haus. Filippo und Emanuel

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legten den Bandenführer auf eine schmierige Bettstatt und
befreiten seinen Oberkörper von der blutgetränkten Kleidung.

Die Wunde sah gefährlicher aus als sie war. Die Kugel war

schräg von vorne eingedrungen, an den Rippen
entlanggeglitten und an der Seite wieder ausgetreten. Der
Schock hatte Carlos kampfunfähig gemacht.

Filippo wühlte in einem selbstgezimmerten Schrank und

nahm ein halbwegs sauberes Laken heraus, das er in Streifen
riß. Gemeinsam verbanden sie Carlos, dabei fiel kein Wort.

»Wo sind die anderen?«
»Mit dem Gringo ausgebrochen.«
»Wohin?«
»Nach Norden. Sicherlich nach Norden. Die Hügel bieten

ihnen Schutz und Sicherheit.«

Carlos Porfiro Mojada nickte verbissen.
»Aber keine Sicherheit vor mir, dem Rächer. Ich werde sie

stellen und vernichten. Nahm er Carmen Obeira mit?«

»Ich sah sie an seiner Seite reiten.«
»Weshalb seid ihr nicht mitgegangen?«
Emanuel winkte ab. »Zu unsicher. Die Yaquis griffen viele

Städte an, aber in keine sind sie bisher eingedrungen.«

»Sind viele von uns zurückgeblieben?«
»Vielleicht zehn, höchstens fünfzehn. Warum?«
»Das reicht«, murmelte Carlos und fletschte die Zähne.

»Dreh mir 'ne Zigarette, Filippo.«

Die braune Hand des Mexikaners fuhr in die Hosentasche,

bewegte sich in ihr und kam mit der fertig gerollten Zigarette
wieder heraus. Er klebte sie mit Speichel zu und brannte sie an.

Der erste Zug stimmte Carlos ruhiger.
»Wem gehört das Dreckloch hier?«
»Einem Peon, er ist tot und wird keine Miete von uns

verlangen.«

Carlos überging den Witz und stützte sich auf den Ellbogen.

Seine dunklen Augen glimmten wie Kohlenstücke.

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»Holt alle Jungs zusammen, Amigos. Bringt sie hierher.«
»Wozu? Die Stadt ist eingeschlossen.«
»Macht nichts. Zusammen holen wir den Teufel aus der

Hölle.«

Achselzuckend entfernten sich die beiden. Nach kaum zehn

Minuten kehrten sie schon wieder zurück, zehn Männer im
Schlepp, die ihre finsteren Gesichter auf den Verwundeten
richteten.

»Buenos dias, Patron.«
»Setzt euch, ihr Halunken. Was hast du in dem Sack,

Feikar?«

Der Mischling setzte ein fades Grinsen auf und antwortete:

»Beute, Patron. Ein bißchen Glitzerzeug, sonst nichts.«

»Schütte es auf den Boden.«
Aus dem Sack polterten ein silbernes Eßbesteck und zwei

kleine Schüsseln. Mochte der Satan wissen, woher der Mulatte
das Silber in dieser armen Grenzstadt aufgetrieben hatte.

»Pack es wieder weg!« fauchte Carlos. Er richtete sich

vollends auf. »In einer Stunde reiten wir, Muchachos. Nehmt
genügend Wasser und Proviant mit. Versorgt euch mit allem,
was wir benötigen. Wer Widerstand leistet, wird erschossen.«

Von seinem Duell mit dem Gringo sprach er nicht. Welcher

Heerführer diskutierte noch über eine verlorene Schlacht, wenn
es ums Leben und um die Revanche ging?

Im Augenblick danach war er allein mit seinem

Wundschmerz und seinen haßerfüllten, grausamen Gedanken.

Einer der Männer betrat nach etwa einer Stunde

sporenklirrend das Zimmer und deutete mit dem Daumen über
die Schulter. »Wir sind bereit.«

Carlos verließ das Haus. Eine feste Bandage gab ihm Halt.

Seine Banditentruppe war klein geworden, aber die Männer
waren gut bewaffnet und beritten. Pralle Proviantsäcke wölbten
sich über den Pferdekruppen.

»Adelante, Amigos!« schrie er und schwang sich in den

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100

Sattel eines bereitgehaltenen Pferdes. Wie des Teufels
Schwadron stürmten sie aus der Stadt.

Aus den Hügeln am Rio Moctezuma kam kein Widerstand.

Die Yaquis waren abgezogen, und das hatte einen guten Grund.

*

Weder war es ein glühendes Augenpaar, das, versteckt hinter
dürrem Gestrüpp und Felsen, die Szene beobachtete. Grimmig
und haßerfüllt verfolgte Tehuecos Krieger die Bewegung der
vier Staubsäulen, die einem gemeinsamen Mittelpunkt
zustrebten.

Die scharfen Augen des Spähers verfolgten jede Bewegung

in der Sandebene vor dem Rio Moctezuma. Von seinem
Standort aus konnten ein paar Scharfschützen das ganze Gebiet
zu ihren Füßen beherrschen, aber es gab weit und breit keine
weiteren Krieger. Der ihm am nächsten nach Süden triftende
Reitertruppe war klein. Vier Männer kamen durch die Täler der
wie schlafend daliegenden Hügellandschaft. Drei Indianer und
ein Weißer.

In den Rothäuten erkannte er Cochise, dessen Sohn und

einen Yaqui, der neben den Pferden herlief. Den Weißen
kannte er nicht. Aber er wußte von der Befreiungsaktion eines
Freundes des Chiricahuahäuptlings.

Genau von Süden näherte sich die größte Staubwolke, von

Südwesten eine kleine und von Westen eine weitere, die nur
geringfügig Staub in den azurblauen Himmel schickte.

Die Gruppe unter der großen Staubwolke würde zuletzt

eintreffen. Sie war am weitesten entfernt und bewegte sich
langsam. Trotzdem war eine Katastrophe unvermeidlich, denn
die heranreitenden Parteien schienen sich für die kleine Gruppe
zu interessieren und für sonst nichts.

Grimmig umspannte die braune Faust den Gewehrkolben.

Der Yaqui ahnte, daß es dort unten auf der Ebene zu einem

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entsetzlichen Blutvergießen kommen würde, wenn er Cochise
nicht warnte. Aber wie?

Ein Warnschuß wäre auch von den anderen gehört worden.

Die trockene Wüstenluft trug den Schall weit und deutlich
durch die Täler. Ein Schuß fiel also fort. Sich erheben, mit den
Händen zu wedeln, verbot ihm der Selbsterhaltungstrieb. Die
heranreitenden Weißen und Mexikaner konnten ihn mit ihren
modernen Gewehren jederzeit erreichen.

Also warten, beobachten und gegebenenfalls Hilfe

herbeirufen.

Unbekümmert ritten Cochise und John Haggerty ins

Verderben. Sie wußten nichts von den anrückenden
Desperados. Hügelrücken lagen zwischen ihnen und den drei
Gruppen und verdeckten die Säulen aus braunem Staub.

Es folgte eine unheilvolle Zeitspanne, ehe der Yaqui die

nächste Phase des schicksalhaften Geschehens dort unten
wahrnehmen konnte. Cochises Schar hatte angehalten. Der
Yaqui war nicht mehr zu sehen. Naiche sprang gerade vom
Pferd, kletterte auf einen Felsen und gab Handzeichen nach
unten. John Haggerty und der Chief rissen ihre Gewehre aus
den Futteralen und sahen nach Süden.

Aus dem Staub der Ebene preschte Mort Douglas

Reiterhaufen. Die Kerle heulten und johlten, deuteten auf die
Gruppe und schossen ihre Gewehre ab. Naiche kletterte wieder
von seinem Ausguck, stürmte zu seinem Pinto und riß das
Gewehr aus der Scheide.

Fliehen konnten sie nicht mehr. Sie hatten die anreitenden

Feinde zu spät entdeckt. In einem großen Halbkreis kam die
schreiende Horde heran. Douglas, an seiner Seite Carmen
Obeira, winkte mit der Hand und schrie in das Getöse von
unartikulierten Lauten und Detonationen einen Befehl:

»Nicht schießen, Amigos!«
»Warum nicht?« feixte ein neben ihm reitender Bandit.
»Ich will sie lebend, du Trottel! Nehmt das Lasso!«

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Von einer Sekunde zur anderen wurde die Situation für die

Apachen und ihren weißen Freund unübersichtlich. Brauner
Staub, fein wie Mehl, verdeckte die Sicht, wallte wie Rauch
und biß in Augen und Nase. Gespenstisch anzusehende Reiter
kamen wie Spukgestalten aus der braunen Wand galoppiert,
heulten wie Panther, schossen dabei, was die Läufe hergaben
oder schwangen Lassos.

»Schießen!« sagte Haggerty kalt.
Er riß das Gewehr hoch und feuerte. Sofort danach repetierte

er. Neben ihm bellten zwei weitere Schüsse.

Drei Reiter stürzten aus den Sätteln und versanken im

grauen, wogenden Dunst mineralischer Partikel. Noch einmal
gaben sie eine Salve ab.

John knurrte: »Grüße aus Blei, Muchachos. Wohl

bekomm's!«

Dann war es um die Apachen und John Haggerty geschehen.

Lassoschlingen legten sich um ihre Hälse, rissen sie von den
Pferden.

John Haggerty sah nicht, was mit Cochise und Naiche

geschah, aber er wußte, daß sich der Yaqui aus dem Staub
gemacht hatte und hoffentlich Hilfe herbeirief.

Als er zur Ruhe kam, spie er erst mal den feinen Sand aus,

der seine Zähne knirschen ließ. Vor ihm standen zwei
grinsende Mexikaner und hielten das Lasso straff.

»Hoch! Auf!« befahl der eine.
Als John endlich auf den Füßen stand, sah er einen dichten

Ring bewaffneter Reiter, den feixenden Mort Douglas und das
schwarzhaarige Mädchen neben ihm.

»Ihr wart zu viert, Freundchen. Wo ist der vierte Mann?«
John sagte: »Ich weiß es nicht«, dabei sah er sich um.

Cochise und Naiche wurden gerade herbeigeschleppt. Aber wie
sahen sie aus? Ihre Kleidung war zerrissen, Hände und
Gesichter lädiert, standen sie schmutzig wie Peone nicht weit
von ihm.

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Cochise spürte den Blick des Falken. Er zog warnend die

Brauen hoch, was John ermahnte, keine Unvorsichtigkeit zu
begehen. Mort Douglas trieb sein Pferd in Haggertys Nähe und
stieß ihn mit dem Stiefel zu Boden. John fiel auf den Rücken
und wurde von den Mexikanern brutal wieder auf die Füße
gerissen.

»Ich frage nicht noch einmal, Hundesohn.«
John antwortete: »Ich weiß es nicht. Er ist ein Yaqui und

schlug sich seitwärts.«

Trotz regte sich in ihm, und wenn sie ihn stückweise

erschlugen, nachgeben würde er auf keinen Fall. Unruhe
entstand unter den Männern. Einige blickten ständig über die
Schultern und warfen verstohlene Blicke in die Ebene. Eine
Staubsäule näherte sich wie der Schlauch einer Windhose. Nur
Mort Douglas erkannte die Gefahr nicht, die auf schnellen
Pferden heranraste.

»Okay, Hombres, halten wir uns mal an die große Rothaut.

Michael, Juan, Pablo, bearbeitet ihn mit dem Messer. Singen
wird er danach wie eine Nachtigall.«

Cochise spuckte aus, rührte sich aber nicht. Seine dunklen

Adleraugen gingen an Mort vorbei, erkannten die Unruhe unter
den Reitern und deren Unsicherheit. Ein Hoffnungsschimmer
glitt über sein braunes Gesicht.

Dem ersten, der sich mit gezücktem Messer näherte, trat er in

den Unterleib. Aber der Strick, der ihn hielt, riß ihn um.
Keuchend wälzte sich der Häuptling aller Apachenstämme auf
der Erde.

Grimm und tödliche Drohung strahlte aus seinem wilden

Blick, aber sein Kopf war hoch aufgerichtet und drückte eine
stolze Verachtung für die Rohheiten dieser Männer aus.

»Pronto, ihr Halunken, los, fangt an, oder ich bringe euch

Gehorsam bei!«

Ein höhnisches Gelächter in seinem Rücken ließ ihn wütend

herumfahren. Er starrte in eine Phalanx von

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Gewehrmündungen und in Lon McFanes kaltes Gesicht.
Schnell drehte er den Kopf nach links und rechts, erblickte die
erhobenen Hände seiner Leute und fluchte so vehement wie ein
irischer Kutscher.

»Halt's Maul!«
McFanes Befehl war unmißverständlich und mit einer stillen

Gebärde kalter Drohung begleitet. Mort raffte sich auf und
schrie:

»Du Schweinehirt hast mir gerade noch gefehlt!«
»Wir haben eine Rechnung zu begleichen, hast du das

vergessen?«

»Deswegen bist du mir gefolgt? Geh zum Teufel, du

Pavian!«

»Wie ist es, bereinigen wir unsere kleine Differenz? Wenn

du einverstanden bist, dann steige ab. Wir machen es auf die
klassische Art zwischen zwei Gentlemen der gleichen
Branche.«

»Was ist danach?«
»Nichts, du dämlicher Hund! Nichts mehr für dich, klar? Ich

übernehme deine Bande und die hübsche Señorita im
Hintergrund. Also?«

»Verdammtes Stinktier!« schrie Mort und sprang aus dem

Sattel.

Cochise und Haggerty verfolgten die Szene einer

gnadenlosen Banditenrivalität mit wachen Augen. Eine
Schießerei zwischen den beiden brachte ihnen eine hauchdünne
Chance, daß sie den beiden Banden vielleicht entwischen
konnten.

Doch Mort Douglas, verrückt und brutal wie immer, konnte

sich zurückhalten. Kochende Wut überfiel ihn, und seine
Augen schienen wie mit Blindheit geschlagen, denn sonst hätte
er die dritte Gruppe gesehen, die sich hinter Lon McFanes
Leuten mit gespannten Waffen aufstellte.

Cochise und Haggerty bemerkten die Veränderung. Die

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eintretende Turbulenz zwischen den beiden Kämpfern ließ sie
von den anderen unbeachtet.

Wie bei jedem Duell standen sie sich in zwanzig Yard

Abstand gegenüber, die Hände über den Revolverkolben, die
Beine leicht gespreizt.

»Schweinehirt, zieh!«
»Das Kläffen eines räudigen Köters erreicht mein Ohr. Ich

gebe dir Vorhand, Bastard! Zieh endlich, damit wir's hinter uns
haben.«

»Wer ist ein räudiger Hund? Mann, du nimmst die Sache

auch kein bißchen ernst.«

Beide zogen gleichzeitig, rissen mit geübter Schnelligkeit

ihre Colts aus den Halftern und drückten ab. Lon McFane
taumelte, ließ die Waffe fallen und ging in die Knie. Mort
Douglas' Brust färbte sich rot. Wie eine Knospe breitete sich
der Lebenssaft auf seinem Hemd aus. Während Lon auf den
Knien starb, röchelte Mort Douglas aus zusammengepreßten
Zähnen: »Ich habe ihn im Ziehen geschlagen! Jungs, ich bin
Sieger…«

»Ein Teufel bist du, Bastard! Ich werde der Sieger sein!«
Die Stimme klang so bekannt und so triumphierend. Mort

hob mühsam den Kopf. Alles an ihm war bleischwer. Seine
Augen wurden starr. War das Jüngste Gericht angebrochen?
Standen die Toten aus ihren Gräbern auf, um sich an den
Lebenden zu rächen?

Vor ihm stand hohnlächelnd Carlos Porfiro Mojada, den

entsicherten Revolver in der Hand. Seine Zähne fletschten wie
ein Wolfsgebiß. Mordlust glimmte in seinen Augen.

»Ich werde dich töten. Auf der Stelle.«
Doch bevor er schießen konnte, streckte sich Mort, stöhnte,

dann fiel sein Kopf zur Seite, er war tot.

Mojada drehte sich zu den Männern herum und rief: »Carlos

Porfiro Mojada ist nun euer Boß. Viva Carlos!«

»Viva!« schrien ein paar Mexikaner. Doch die Resonanz

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insgesamt war gering. Es gab nur noch wenige, die bereit
waren, sich dem Bandenchef anzuschließen.

Einer dieser Männer, ein Amerikaner, ein verwahrloster

Bursche mit tagealtem Bart und Schmutz auf dem Gesicht,
ging zu Haggerty. Er schnitt die Fesseln durch und drückte
John verstohlen einen Revolver in die Hand.

»Schieß ihn in Stücke, Kumpel. Der läßt dich nicht am

Leben, der nicht. Adios, Hombre, und ein Wiedersehen in
Arizona.«

John befreite Cochise und dessen Sohn. Niemand beachtete

sie.

»Schluß mit diesem sinnlosen Morden«, sagte John und

fühlte Ekel.

Cochise sah ihn starr an. Er schüttelte den Kopf und deutete

auf eine Gruppe Mexikaner, die Carlos umringten.

»Dieser Mann ist schlimmer als alle anderen, Falke. Nimm

dich in acht.«

Carlos ging schwankend mit zwei Unterführern zu Carmen

und zerrte sie von ihren Pferd. Das Mädchen taumelte, stürzte
hin und schrie in höchster Not.

»Mojada!«
Carlos fegte auf den Absätzen herum. Haggerty stand ihm

gegenüber, breitbeinig und ein wenig vornübergebeugt.

»Was willst du, Gringo?«
»Dich.«
»Dann komm und hole mich.«
»Der Abstand ist weit genug. Fang an!«
Carlos blinzelte gegen den staubverwaschenen Fleck der

Sonne und schüttelte verwundert den Kopf.

»Du willst dich mit mir schießen?«
»Du bist ein armseliger Angeber und Möchtegern, Mojada.

Wenn du dich traust, dann nimm deinen Revolver in die
Hand«, sagte John Haggerty.

»Was bin ich? Ein Angeber?«

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Mojada verschlug es die Stimme. Blut schoß ihm ins Gesicht

und ließ ihn zornbebend wanken. Dann blieb er stehen und
spreizte die Beine.

Carmen rief: »Señor, geben Sie auf sich acht! Dieser Bastard

ist so falsch und verschlagen wie eine Klapperschlange!«

Carlos schäumte wie ein Irrsinniger. »Mit dir rechne ich

später ab. Warte nur, bis ich das hier erledigt habe«, rief er.

»Schwätz nicht, zieh!« dröhnte Johns Stimme.
Mojada zog. Traumhaft schnell glitt seine Hand nach unten

und kam genausoschnell mit dem schweren Colt nach oben.

Sein Revolver ging los. Doch vor Wut verriß er den Schuß.
John Haggerty hob den Colt blitzschnell in Hüfthöhe und

drückte fast gleichzeitig ab. Carlos erwischte die Kugel mitten
ins Herz. Er taumelte und fiel tot zu Boden.

Haggerty ließ angeekelt den leergeschossenen Colt fallen

und strich sich wie aus einem Traum erwachend über das
Gesicht.

Cochise trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

Beide blickten auf den sterbenden Desperado. Sekunden
danach sah Carlos zu Haggerty auf und lächelte verkrampft.

»Du bist der bessere Revolverkämpfer – das hätte ich – ich

nicht gedacht…«

In John Haggerty war aller Groll gegen den Outlaw

verflogen. Er fühlte nur Müdigkeit in sich und eine Trauer. Er
sagte: »Alles Gute, Carlos.«

Als Antwort hob Carlos die Hand und bewegte sie kurz,

bevor er die Augen für immer schloß.

Carmen kam näher und stellte sich John in den Weg.
»Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie mich von diesem Scheusal

befreiten. Gracias, Señor, gracias.«

»Was wird aus Ihnen, Señorita?«
»Ich weiß es nicht, Señor. Meine Angehörigen sind tot.«
»Sie können mit uns reiten – nach Arizona oder irgendwohin.

Bei uns sind sie sicher.«

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Als er ihr schüchternes Nicken sah und den kurzen Schatten,

der über ihr Gesicht zuckte, ahnte er die ganze Tragik ihres
jungen Lebens.

Cochise löste sich aus der Silhouette der Pferde, die Naiche

zusammengetrieben hatte. Er warf einen Blick in die Runde,
sah Gruppen führungsloser Desperado herumstehen, abwartend
in Unschlüssigkeit und Hoffen.

Schweigend deutete er auf die Toten. John verstand den

Chief auch ohne Worte. Er ergriff einen vorbeistreichenden
Mexikaner beim Arm und zog ihn zu sich herum.

»Du bringst die Toten unter die Erde, Hombre. Such dir so

viel Männer aus, wie du brauchst, und sputet euch, sonst muß
ich nachhelfen. Pronto!«

*

Die letzten drei Männer aus der führerlosen Armee der
Banditen verschwanden in einem Hügeltal. Cochise blickte
ihnen lange, nachdenklich und mit düsterer Miene nach. Ein
ständiges Zucken überflog sein markantes Antlitz, und wer ihn
kannte, deutete die scharfen Linien von der Nase zu den
Mundwinkeln richtig. Er sagte:

»Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende, John. Wir hören

wieder von ihnen – irgendwann.«

Haggerty gab keine Antwort. Sein Blick glitt nach Süden.
»Reiten wir«, sagte er. »Es gibt viel zu tun.«

ENDE


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