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Valentin Kiparsky: Uber die Behandlung der s und & in einigen slav. Suffixen
217
VALENTIN KIPARSKY:
Über die Behandlung der & und & in einigen slav. Suffixen
N ach einer ganz allgemeinen, bisher nicht widerlegten Ansicht folgen die
m it der Vokalisierung der starken und dem Ausfall der schwachen & und
b zusammenhängenden Erscheinungen in den slav. Sprachen dem sogenann
ten “jerové pravidlo”, einer vom Tschechen A ntonín Havlík im J. 1889
entdeckten Regel, gemäß welcher die (vom W ortende oder dem letzten
Vollvokal gerechnet) ungeraden &, & schwinden, die geraden zu V oll vokalen
(o, e, a, a, d) werden, z.B. urslav. SbVbCb - * švec ‘Schneider, Schuster’, aber
šbvbca -*■ ševca Gen.Sg. Bekanntlich gibt es von dieser Regel viele A us
nahmen, die man meistens durch analogische Ausgleichungen zu erklären
versuchte, wie z.B. poln. szew c/szew ca ‘Schuster’ m it der Verallgemeinerung
der Form der Kasus obliqui, aber russ. dial. švecjšveca ‘Schneider’ m it der
Ausrichtung nach dem N om .S g.; das “lautgesetzliche” Paradigma ist da
gegen im Ukr. svec’/sevcja und tsch. švec/ševce ‘Schuster’ bewahrt. Es gibt
jedoch Abweichungen, die sich nicht ohne weiteres durch analogische A us
gleichungen erklären lassen, sondern andere Ursachen haben dürften. So
glaubt Shevelov gemerkt zu haben, daß im Serbokr. schwache & und b in
der Anfangssilbe von drei- und mehrsilbigen Wörtern stets, in zweisilbigen
dagegen nur unter gewissen, nicht ganz eindeutigen Bedingungen schwan
den, z.B. skr. p sa < pbsa, sna < sbna, zla < zbla, aber dana < dbn'a,
maha < mbcha, lava < Ibva, lasti < Ibsti u.a
.1
Mirčev führt ähnliche Beispiele aus dem Bulg. an und vermutet, daß in
gewissen Fällen die Tendenz, eine H om onym ie zu vermeiden, im Spiele
gewesen sei, wie z.B. bei bulg. vesi ‘des D orfes’ ■
—■
vsi ‘alle’ (beides < v tsi),
sävet ‘Rat(schlag)’ ^ svet ‘Licht’ (beides < sbvetb).2
Im Polab. und den anderen ehemals in Deutschland gesprochenen, heute
ausgestorbenen slav. Dialekten gibt es noch mehr solche Fälle m it bewahr
tem schwachem &,
6
. Es heißt polab. nicht nur stacia — stb ja (skr. staza,
sloven, stezd), gam a = tbma (skr. tama, sloven, tema), miogla = mbgla (skr.
1
George Y. Shevelov, “Weak jers in Serbo-Croatian and South Slavic: Developments
in the Word Initial Syllable”, Zbornik za filoIogi]u i lingvistiku, knj. VII, 23-43, Novi
Sad 1965.
5 Kiril Mirčev, Istoriieska gramatika na bälgarskija ezik, Sofija 1963, 110—111.
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Scando-Slavica-Tomus XIX
m agla, sloven, m egla), sondern auch ssape = sbpi (skr., sloven., bulg. spi
‘schlaf’), katü = kbto (skr. ко, tko, sloven, kdo ‘wer?’), т аге = тьге(1ъ)
(skr. mre, sloven, m re, bulg. m re ‘stirbt’) u.a., ohne daß man zu einer be
friedigenden Erklärung dieser Erscheinung gekom m en ist
.1
M an kann nicht
umhin, an ein “A bebben” der Havlikschen Regel an der Peripherie des slav.
Sprachgebietes zu denken.
,
■
.
Lange bekannt sind auch die Wörter kirchlichen Ursprungs im Skr. und
Russ., die unerwartete Vokalisierung eines schwachen ъ, ь aufweisen, z.B.
skr. satvoriti neben stvoriti ‘(er)schaffen’, savršiti neben svršiti ‘beenden’
u.a. Im Skr. sind es meistens bloße lautliche Varianten, im Russ. gibt es
gewöhnlich semantische Differenzierung, wie z.B. sobör ‘K onzil, Kathe
drale’ neben sbor ‘(V ersam m lung’ (beides aus sbborb), sod erža ť ‘enthalten,
unterhalten (z.B. eine Maitresse), halten (in Ordnung, im G efängnis)’ neben
sd erža ť ‘festhalten, zügeln, zurückhalten’ (beides aus Sbdbrzati). W ie wir
sehen, handelt es sich in sämtlichen Fällen um “unregelmäßige” V okali
sierung eines schwachen, nicht um “unregelmäßigen” Schwund eines star
ken bi ь.
Neuerdings versucht A . Isačenko einige Fälle der “unregelmäßigen” V o
kalisierung eines schwachen ъ, ъ im Russ. auf eine ganz andere Weise zu
erklären: er glaubt, daß Havlíks jerové pravidlo im Russ. nur während
einer relativ kurzen Zeit, von dem endgültigen Ausfall der schwachen ъ, ь,
also etwa von 1150, bis zum Ende des 15. Jhs. galt, eine Epoche, die Isa-
čenko “period of trial and error” nennt, während der alle theoretisch denk
baren Form en, wie z.B . rpotjroptu < гърЫъ/гъръШ ‘Murren’, Vorkommen
konnten. U m 1500 trat, nach Isačenko, eine Periode ein, in der nicht mehr
die phonetische Regel Havlíks, sondern eine “m orphonem atische” Regel
galt, die die verschiedenen scheinbaren Abweichungen von derjenigen H av
líks bewirkte. D ie H auptabweichungen waren, nach Isačenko, die folgen
den: 1) die Beseitigung des Stellungswechsels des vokalisierten ъ, ъ, w ie z.B.
das obenerwähnte rpotjroptu, und 2) die Stabilisierung des aus ъ, ь ent
wickelten V ollvokals о bzw. e, falls dieser letztere durch mehr als e in e n
K onsonanten vom Stammauslaut getrennt war, z.B. m esti ‘der R ache’, lest і
‘der Schmeichelei’, doski ‘des Brettes’ statt der im 14.-15. Jh. begegnenden
m sti, lsti, d sk i < m bsti, h sti, dbski.3 Natürlich gibt es auch von Isačenkos
“m orphonem atischen” Regel viele Ausnahmen.
Hier werde ich nur das Schicksal des schwachen ъ in zwei slav. Suffixen,
5 A. V. Isačenko, “East Slavic Morphophonemics and the Treatment of the Jers in
Russian: A Revision of Havlik’s Law”, International Journal o f Slavic Linguistics and
Poetics XIII, 1971, 73-124. Vgl. auch Valentin Kiparsky, Russische Historische Gram
matik II, Heidelberg 1967, 114 f.
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Valentin Kiparsky:
Uber
die Behandlung der & und & in einigen slav. Suffixen
219
-bskr> und -bstvo, behandeln, denen Isaöenko in seiner Arbeit nur einige
Zeilen widmet.
.
. D as slav. -bskb ist idg. Ursprungs und entspricht lautlich genau dem lett.
-isks, dem lit. -iskas und dem germ. -isk (d. -isch), wahrscheinlich auch dem
im rum. -escu bewahrten thrak. *.-isk-, D ie von Brugmann angenom m ene
Entlehnung des balt. und slav. Suffixes aus dem Germ, ist völlig unbe
gründet
.4
Es ist eines der gewöhnlichsten slav. W ortbildungssuffixe und bil
det vor allem Adjektive, die häufig als Ortsnamen substantiviert werden,
vgl. z.B. noch die neuen N am en der von den Russen im zweiten W eltkriege
eroberten Städte: Zelenogorsk (finn. T erijoki) und Tsernjachovsk (Inster
burg in Ostpreußen). D er A usgang -sk in Ortsnamen wird als so typisch
“russisch” empfunden, daß ich in einem amerikan. Bildstreifen (com ic
strip), der ‘‘Abenteuer, in R ußland” schilderte, eine “russische Stadt” Im sk
fand.
■
.
.
Dieses Suffix entwickelt sich im allgemeinen gemäß Havliks Regel, unter
Beachtung der Entpalatalisierungsregeln
5
des Russ.: selbskb/selbska.‘D orf-’
müßte zu *selesk/selska werden; da die Formen ohne Vokalisierung des
b in der Überzahl waren, wurden sie verallgemeinert, so daß ein *selesk
nicht vorkommt, obgleich es in Ortsnamen durchaus berechtigt wäre. Eine
Ausnahme bilden die von auf Velar oder Zischlaut ausgehenden Stämmen
abgeleiteten Adjektive, bei denen manchmal (aber bei weitem nicht immer!)
-eskij, -eskoj, m it Vokalisierung des -b- erscheint. D ie Sowjetrussin Zemskaja,
die diese Erscheinung zu erklären versuchte, meinte, daß die Variante -esk-
zunächst hinter Velaren und Zischlauten auftrat, daß es jedoch in der
gleichen Stellung auch die Variante -sk- (ohne Vokalisierung des schwachen
b) gegeben habe, wie russ. m u zeskij neben m uzskoj ‘männlich, m askulin’
beweise. Zemskaja ist uns jedenfalls eine Erklärung der Tatsache, daß in
der gleichen. Stellung mal -esk- mal -sk- erscheint, schuldig geblieben
. 6
Einen anderen Versuch d ie Schwankungen -esk-f-sk- zu erklären, haben
ohne Zemskajas Arbeiten zu kennen die amerikanischen Linguisten N oam
4 K. Brugmann und B. Delbrück, Grundriss der vergleichenden Grammatik der indo
germanischen Sprachen, Straßburg 1897-1916, II, 1,. 501-502; A. Meillet, Etudes sur
l ’étymologie et la vocabulaire du vieux slave, Paris 1902-1905, 332; J. Endzelin, Lettische
Grammatik, Riga 1922, § 190.
·
5 Zu den Entpalatalisierungsregeln vgl. V. Kiparsky, Phonetische Motivierung eines
altrussischen Lautgesetzes, Helsinki-Helsingfors 1964.
.
. .
*
E. A. Zemskaja, Oäerki po istoriieskoj grammatike russkogo literatumogo jazyka
X IX veka. Izmenenija v slovoobrazovanii i formach suscestvitel'nogo i prilagatel'nogo v
russkom literaturnom jazyke X IX veka, Moskva 1964, 277-555, und E. A. Zemskaja,
“Interfiksacija v sovremennom russkom slovoobrazovanii”, Razvitie grammatiki i lek-
siki sovremennogo russkogo jazyka, Moskva 1964, 36-62.
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Scando-SIavica-Tomus XIX
Chom sky und Morris Halle unternom m en
.7
Sie stellten Havliks Regel durch
eine etwas kom plizierte Form el dar, betrachteten die Fälle m it Vokalisierung
des schwachen ь nach Velaren oder Zischlauten (Variante m uzeskij) als
“regelmäßige Ausnahm en” und die Fälle ohne Vokalisierung des ь in dieser
Stellung (Variante m uzskoj) als “Ausnahm en aus den Ausnahm en”, die
m it einer “special diacritic feature [ + D ] ” bezeichnet und besonders kata
logisiert werden sollten. W a r u m es aber solche Ausnahmen zweiten Grades
gebe, bleibt auch hier unklar und wir wollen im folgenden einen weiteren
Versuch ihrer M otivierung unternehmen.
Bekanntlich ist der durch die 1. Palatalisierung hervorgerufene Lautwech
sel k :c , g : z , ch :s in der russ. Form bildung z.T. bis heute lebendig, vgl. z.B.
pekii'.pecot ‘backen’, m ogü im özet ‘können’, suchoj:suse ‘trocken’ u.a. Im
Mittelalter war dieser Lautwechsel auch vor dem Suffix -bskb lebendig, denn
wir haben im 9. Jh. varjazbskyj von varjagb ‘Varäger’, im 10. pecenezbskyj
von pecenegb ‘Petschenege’, im 11. Ijasbskyj von Ijachb ‘P ole’ und noch
1229 ist rizk ii ( < r iz b s k y j) belegt, das sich auf das im J. 1203 gegründete
Riga bezieht. Prof. Velta R üke-Dravina glaubt zwar, der Ortsname R iga
sei den Russen vielleicht schon vor der Gründung der deutschen Burg be
kannt geworden, aber 1229 handelte es sich um den Bischof von Riga, den
es vor der A nkunft der D eutschen nicht gab, und auch sonst ist R iga den
russ. Chroniken fremd. Jedenfalls hörte der Lautwechsel g : z im 18. Jh. auf
lebendig zu sein, denn von Peterburg (gegründet 1703) heißt es nur p eter-
burgskij (Zemskaja I.e. behauptet, es habe einzelne Fälle von peterbu rzskij
gegeben, die mir aber unbekannt sind) und desgleichen bildet man von
deutschen Ortsnamen auf -bürg und -berg ausschließlich -burgskij, -bergskij,
wie z.B. das 1946 ungemein häufige njurnbergskij.
D ieser Lautwechsel läßt sich auch in den Fällen beobachten, w o das
Suffix -bskb an solche Substantive tritt, die bereits mit dem Suffix -ьсь, -ica
oder -ікь, -укь, -акт,, -jakb erweitert sind, wie z .B .:
сгьпьсь ‘M önch’ : сгьпьсьїкь
devica ‘Jungfrau, M ädchen’ : deviebskb
mqcenikb ‘Märtyrer’ : mgcenicbskb
jf z y k b ‘V olk; Sprache, Zunge’ : jqzycbskb ‘heidnisch’
altruss. novakb ‘N ovize’ : novaebskyj
Suffixbildungen m it -осьзкь, -исьзкь habe ich weder im A ksl. noch im A lt
russ. finden können, aber ich nehme an, daß sie ebenso gebildet worden
7
Noam Chomsky and Morris Halle, The Sound Pattern o f EngHsh, New York 1968,
379-380. Eine genaue K ritik dieses Erklärungsversuches habe ich in Voprosy Jazyko-
znanija 1972, N r. 2 gegeben.
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Valentin Kiparsky:
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die Behandlung der » und
b
in einigen slav. Suffixen
221
wären, wie z.B. prorocbskb ‘prophetisch’ von proroka, w o -ok- zum Stamme
gehört.
D ie weitere Entwicklung der Formen auf -čbskb folgte Havliks Regel:
aus otbčbskb von otbcb ‘Vater’ wurde otcesk, aus otbčbska, oíbčbsku usw.
otečska, otečsku usw., woraus otecka, otecku usw. D a es Formen des letz
teren Typs viel mehr gab (sämtliche Form en des bestimmten Adjektivs und
sämtliche Kasus obliqui, außer dem Gen.Pl., des unbestimmten!) als der
jenigen des ersteren (Gen.Pl. und N om .Sg. M ask. des unbestimmten A d
jektivs), wurde der letztere Typ in den meisten slav. Sprachen verallgemei
nert, z.B. poln. niemiecki ‘deutsch’, pro sta ck i ‘grob, roh’, katolicki ‘katho
lisch’, heretycki ‘ketzerisch’, Familiennamen Czarnecki, P otocki u .a., tsch.
něm ecký ‘deutsch’, otecký (veralt.) ‘väterlich’, mučednický ‘Märtyrer-’,
prorocký ‘prophetisch’, skr. katolicki ‘katholisch’, junački ‘heldenhaft’,
proročki ‘prophetisch’ u.a. N ur das Russ. und, wie wir unten sehen werden,
das Bulg. bilden hierin eine Ausnahme, indem die Form auf -česk mit
Vokalisierung des -
6
-, wenn auch nicht durchweg, so dennoch in einer
großen Anzahl der Fälle obsiegte. Es heißt russ. eretičeskij, katoličeskij,
mučeničeskij, proročeskij, otečeskij, daneben jedoch nemeckij. In vielen
Fällen gibt es stilistische Varianten, bei denen die Form ohne Vokalisierung
auf -ck ij eine vulgäre Schattierung bedeutet, diejenige auf -českij der nor
malen oder gar höheren Stilart angehört; z.B. polkovniceskij/polkovnickij
‘Obersten-’, činovničeskijjčinovnickij ‘Beamten-’, kulačeskijjkulackij ‘K ula
ken-’ u.a. Eine große Anzahl solcher Bildungen aus dem 19. Jh., von denen
sich viele bis heute überhaupt nicht gehalten haben, führt Zemskaja I.e. an.
In den 20er und 30er Jahren gebrauchten russische Emigranten ausschließ
lich bolsevickij, während die Sowjetrussen bolševistskij schrieben; ein
*bolševičeskij scheint überhaupt nicht im Gebrauch gewesen zu sein. In
einigen Fällen entstand semantische Differenzierung: dvoreckij ‘oberster
Lakai’ ~ caredvorčeskij ‘H öflings-’, B oreckij Familienname ~ ikonoborče-
sk ij ‘Bilderstürmer-’. Ähnliche Erscheinungen sollte m an auch bei -zesk-
und -Sesk- erwarten, mir ist aber kein anderer Fall, als das obenerwähnte
m užeskijlm uzskoj bekannt.
Es fragt sich nun, warum ausgerechnet im Russ. und im Bulg. die V oka
lisierung des schwachen b im Suffix -bskb nach alten und den gem äß der
1. Palatalisierung entstandenen Zischlauten häufig vorkommt, während sie
den anderen Slavinen völlig unbekannt ist? M an vergleiche z.B.:
222
Scando-Slavica · Tomus XIX
russ. ■
boleskij
druzeskij
monaseskij
tovarisceskij
bulg.
bozeski
druieski
monaseski
poln.
boski
mniski
towarzyski
tsch.
boisky
soudruzsky
mnissky
tovaryssky
skr.
weißr.
monaski
m anasski.
‘göttlich’
‘Freund-,
Genossen-’
‘Mönchs-’
‘kamerad
schaftlich’
und anderseits:
volosskij
vlaski
wloski
m uzskoj.
m äzki
mgski
(muieskij)
greckij
gräcki
grecki
(greceskij)
'
vlaisky
vlaski
m uisky
muSki
fecky '
grcki
. ‘welsch, ru-
män., ital.’
‘männlich’
‘griechisch’
Es m uß sich offensichtlich um eine dem Rüss. u n d dem Bulg. gemeinsame
Ursache handeln, die den anderen Slavinen völlig unbekannt war. Eine
solche Ursache ist m. W. der Einfluß des Kircherislavischen, den in einem
solchen Ausm aße jedenfalls keine andere slav. Sprache erfahren hat. Schon
Sachm atov hatte richtig erkannt, daß es bei den unregelmäßigen Vokali-
sieriingen vom Typ sovet, sojuz, vozljubiti, soderzati u.a. (s. oben) um die
N achahm ung der kirchenslav. Aussprache bulgarischer Priester handelte, die
im 14.-15. Jh., nach der Eroberung K onstantinopels und der Balkanhalbinsel
durch die Türken in M oskau Zuflucht fanden
.8
Es liegt nahe anzunehmen,
daß es sich in den Fällen der Aussprache -eskij für -sk ij um die gleiche
Ursache handelte. Jedenfalls war diese Aussprache in Rußland nicht sehr
alt, denn wir finden noch bei K otosichin neben 11 Schreibungen m uzskoj
nur 3 m uzeskij,9 während im 18.-19. Jh. die letztere Form fast allein herrscht.
Erst seit 1917 beginnt wieder der Rückzug von m uzeskij, das heute bereits
als “veraltet” gilt. Überhaupt dominiert die Form -esk ij bei Ableitungen
von Wörtern kirchensl. Herkunft (wie vra zesk ij,ja zycesk ij) oder von solchen,
die zum höheren Stil gehören (wie supruzeskij, bozeskij, junoseskij ‘jugend
lich’, tvörceskij ‘schöpferisch’ u.a.). In der kirchlichen Sphäre ungebräuch
liche Ethnica bilden im allgemeinen keine Form en auf -eskij (cesskij, ne-
meckij', tureckij, volzskij, kaluzskij, rizskij, vazskij, sebezskij, pudozskij u.a.),
aber w enn sie auch eine gewisse Bedeutung für die Kirche hatten, entstan
8
A. A. Sachmatov, Ocerk drevnejsego perioda istorii russkogo jazyka, Petrograd 1915,
§ 395.
• Nach freundlicher Mitteilung von D r. Anne Pennington (Oxford).
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Valentin Kiparsky: Über die Behandlung der 5 und 6 in einigen slav. Suffixen
223
den Varianten: z.B. greck ij (orech) ‘W alnuß’, greckaja (gubka) ‘Bade
schwamm’, aber sonst nur greceskij ‘griechisch’. ·
Wurde ein Adjektiv weniger gebräuchlich und geriet es aus der alltäg
lichen Sphäre in eine höhere, abstrakte, so konnte das Suffix -sk ij durch
-eskij ersetzt werden, wie z.B . beim heutigen palaceskij ‘(grausam) wie ein
Henker’, das noch 1782 palacskij, also dreisilbig gesprochen wurde, und
einfach ‘Henkers-’ bedeutete.
.
·
A ls ich am 7. Oktober 1971 über dieses Them a an der U niversität Sofia
sprach, machte mich Prof. D r. Jordan Zaim ov darauf aufmerksam, daß es
in den bulg. Volksmundarten, besonders in Westbulgarien, einen Suffix
-eski gar nicht gibt; es werde dort, wie im Skr., durch -Ski ersetzt. D iese
Tatsache bestätigt meine oben geäußerte Vermutung, daß es sich bei der
Vokalisierung des b im Suffix -bskb nicht um den Einfluß der bulg. Sprache
aufs Russische, sondern um die bulg.-kirchensl. Aussprache der mittelbulg.
Priester handelte.
.
.
Es bleibt noch eine Frage: wenn die “unregelmäßige” Vokalisierung des
b im Suffix -bskb nicht durch lautliche Ursachen, sondern durch die kirch
lich gefärbte Aussprache der mittelbulg. Priester hervorgerufen wurde,
warum blieb sie dennoch auf die lautlich definierte Stellung hinter Zisch
lauten beschränkt? Es gibt nämlich weder im Russ. noch im Bulg. ein
*seleski(j"), *goreski(j), *skoteski(J) oder ähnl.
Eine Antwort darauf erhalten wir aus der Tatsache, daß die “unregel
m äßige” Vokalisierung eines schwachen b sow ohl im Russ. als auch im
Bulg. fast ausnahmslos in dem Suffix -bstvo stattfindet, während sie anderen
slav. Sprachen in dieser Stellung völlig unbekannt ist. M an vergleiche z.B .:
russ.
bulg.
poln.
tsch.
mužestvo
mážestvo
mqstwo
mužstvo
‘Mannhaftigkeit’
suščestvo
sästestvo
‘Wesen’
soclružestvo
soudružstvi
‘Freundeskreis’
tovariščestvo
tovaryšstvo
‘Genossenschaft’
tož(d)estvo
táždestvo
‘Identität’
božestvo
božestvo
bóstwo
božstvo
‘Gottheit’
knjažestvo
ksifstwo
kněžstvo
‘Fürstentum’ (tsch.
‘Geistlichkeit’)
D ie einzigen mir bekannten Ausnahm en aus dieser R egel (skotolozstvo
‘Sodom ie’ und muzelozstvo ‘Päderastie’) wurden noch im 19. Jh. skoto-
lozestvo, m uzelozestvo geschrieben. D ie Graphie und Aussprache -estvo
dürften aber nicht sehr alt sein. K otosichin schreibt knjazstvo für ‘Fürsten
tum = das von einem Fürsten regierte Gebiet (konkret)’, aber knjazestvo
für ‘Fürstentum = die Würde eines Fürsten (abstrakt
) ’9
und D in a Staniseva
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Scando-Slavica-Tomus XIX
zitiert aus der III. Pleskauer Chronik vom J. 1560 m uzstvo ‘M annhaftig
keit, M ut
’.10
N och im 16.-17. Jh. galt also auch im Russ. die Aussprache
-stvo, jedenfalls in einigen Fällen. Im 18. Jh. war jedoch die Form -estvo
die einzig m ögliche. Wir kommen zum Schluß, daß die Vokalisierung des
schwachen b im Suffix -bstvo ebenso w ie im Suffix -bskb eine lautliche U r
sache hat, daß aber diese Ursache in der mittelbulgarisch-kirchenslavischen
und nicht in der russ. Phonetik verankert war. W ahrscheinlich duldete das
M ittelbulg.-kirchensl. kein Zusammentreffen eines Zischlautes + /s / und
erforderte Trennung dieser Laute durch einen Vokal.
Paul Kiparsky, der sich m it dieser Erscheinung auf Grund der Arbeit
von Chom sky und H alle
7
auseinandergesetzt hatte, verglich sie m it der
Eigenart der engl. Pluralbildung: endet der Stamm eines engl. N om ens auf
/s/, /z/, Je/, /
3
/, /s/, so tritt statt der gewöhnlichen Pluralendung /s / oder
/z / ein /iz / ein, z.H. fishes, roses, churches, hedges, asses.11 D ie U nduldsam
keit gegenüber Spirantengruppen äußert sich also nicht nur in der gewöhn
lichen Assimilation (vgl. z.B. poln. böstw o, boski < bozbstvo, bozbskbjb),
sondern auch in der Tendenz die Spirantengruppe zu zerschlagen.
10 Izvestija na instituta za bälgarski ezik, Kniga VIII, Sofija 1962, 598.
11 In seinen Vorlesungen in der First Scandinavian Summer School of Linguistics
(unweit Stockholm, Juli-August 1969).