PhilippHeitzer
PT-Geriatrie
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PT–Geriatrie–4–
DerUrogenitaltraktunddieBehandlungimhöherenAlter
Inhalt
Aufgaben.....................................................................................................................................................................................1
FunktionundArbeitsweisederBeckenbodenmuskulatur..........................................................................................................2
VerschaltungenderMuskulatur..................................................................................................................................................3
InnervationszentrenderBeckenbodenmuskulatur.....................................................................................................................3
InkontinenzimAlter....................................................................................................................................................................3
RisikofaktorenzuInkontinenzimAlter.......................................................................................................................................4
MöglicheresultierendeBeschwerden/ProblematikenbeiausbleibenderBehandlung..............................................................4
AWMFLeitlinie:HarninkontinenzgeriatrischerPatienten..........................................................................................................4
EinmöglicherTherapieverlauf....................................................................................................................................................6
Aufgaben
1. LesenSiedenfolgendenTextüberdieFunktionundArbeitsweisederBeckenbodenmuskulaturundklärenSie
unbekannteBegriffe
2. LesenSiedenTextabschnittüber„VerschaltungenderMuskulatur“undverschaffenSiesicheinenÜberblicküber
diemitdemBeckenbodenzusammenarbeitendeMuskulatur:
a. UrsprungundVerlaufsowiedieFunktion(en)desM.diaphragmaabdominale
b. Ursprung/AnsatzundVerlaufsowiedieFunktion(en)desM.transversusabdominis
c. ErstellenSieTrainingsmöglichkeiten,dieausderAn-undEntspannungdesM.diaphragmaabdominale
unddesM.transversusabdominisinunterschiedlichenSchwierigkeitsgraden–welcheASTEnund
welcheBewegungen/AktivitätenverursacheneineAktivierungderMuskulatur?
3. ErstellenSieeineAuflistungmöglicherRisikofaktorenzurInkontinenzimAlter(Seite4)–welcheRisikofaktoren
fallenIhnenselbstein,welcheRisikofaktorenfindenSiezusätzlichbeiRechercheimInternet?
4. BearbeitenSiedieAWMF-LeitliniezurHarninkontinenzgeriatrischerPatienten
a. WelcheAufgabenwerdenanPhysiotherapeut/innengestellt?
b. WelcheElementesindbisheutenichtabschließendgeklärt?
c. WarumisteineFlüssigkeitsrestriktionunbedingtinterdisziplinärabzusprechenundteilweiseeherals
problematischanzusehen?
d. Wieso/inwelchenPunktenisteineenge,interdisziplinäreZusammenarbeitmitanderenFachbereichen
nötig?
5. BearbeitenSie„EinmöglicherTherapieverlauf“,indemSieallevierTrainingsleveldurchlaufen(alsTherapeut/in
sowiealsProband/in).AchtenSiedabeiaufdasEinhaltendernötigenParameter–zumAnspannendes
Beckenbodensinunterschiedlichen%derMaximalkraftisteinesubjektiveAbschätzungnötig.
a. Wiekönntedieseeingeleitetwerden?
b. ErreichenSieproblemfreialleZieledereinzelnenLevel?
c. WelcheSchwierigkeitenfallenIhneninderUmsetzbarkeitausderPerspektivealsTherapeut/inund
Patient/inauf?
PhilippHeitzer
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FunktionundArbeitsweisederBeckenbodenmuskulatur
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Die quergestreifte paraurethrale Beckenbodenmuskulatur besteht zu 30 % aus Fast-Twitch-Fibers
vom Typ II und zu 70 % aus Slow-Twitch-Fibers vom Typ I (vgl. MILLER et al. 1994). Die
Prädominanz von Fasern vom Typ I im Beckenboden spricht für die funktionelle Betonung der
Stützfunktion von Organen und neurovaskulären Strukturen. Eine weitere Funktion ist die
Aufrechterhaltung des Ruhedruckes der Urethra. Mit einer Kontraktionsfrequenz von ca. 10 Hz kann
mit geringer Kontraktionskraft eine Spannung über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden.
Die Fast-Twitch-Fibers können mit einer Kontraktionsfrequenz von
50 Hz eine deutlich höhere Kraft entwickeln als die langsamen Muskelfasern, ermüden jedoch sehr
rasch. Sie helfen während akuten Belastungssituationen die Kontinenz aufrecht zu erhalten (vgl.
MILLER et al. 1994).
Auf Grund der beschriebenen anatomischen Lage sind die Muskeln des Beckenbodens die einzige
Muskelgruppe, welche die Beckenorgane und deren Öffnungen stabilisiert (vgl. BØ 2004b). Die
Beckenbodenmuskulatur „...contract constantly, except right voiding. In addition to this constant firing
of the muscles they can be contracted intentionally” (vgl. BØ 2004 454). Die Beckenbodenmuskulatur
ist in der Lage, eine isolierte Anspannung durchzuführen.
Darüber hinaus ist sie eingebunden in die intermuskuläre Koordination von Haltung und Bewegung
sowie der Atmung (vgl. SAPSFORD 2004, SAPSFORD et al. 2001, HODGES 1999, BØ und STIEN
1994). Ihre isolierte Anspannung erfolgt ohne äußerlich sichtbare Bewegung des Beckens. Hierdurch
können allerdings nur submaximale Anspannungen aufgebracht werden (vgl. BØ 2004a, 1992,
AKSAK 2003, HEIDLER 1992). Maximale Kraftentfaltungen werden bei Bewegungen vermutet, in
welchen zusätzlich andere Muskeln, insbesondere der M. transversus abdominus und der M. obliquus
internus mit einbezogen werden (vgl. BØ und SHERBURN
2005, BØ 2004b, 2004, NEUAMANN und GILL 2002). Dysfunktionen der Beckenbodenmuskulatur
sind gekennzeichnet durch eine Reduktion von Kraft und Koordination (vgl. BØ und SHERBURN
2005).
Die International Continence Society (ICS) beschreibt in ihrem Standardisierungssreport die
physiologische Fähigkeit der Beckenbodenmuskulatur als „a situation in which the pelvic floor muscles
can voluntary and involuntary contract and relax. Voluntary contraction will be normal or strong and
volunary relaxation complete. Involuntary contraction and relaxation are both present” (vgl.
MESSELINK et al. 2005, 374).
Es wird davon ausgegangen, dass auf Grund der unterschiedlich verlaufenden Muskelfasern jeder
Muskel eine andere, eigene Funktion erfüllt, alle zusammen jedoch als funktionelle Einheit fungieren
(vgl. BØ 2004a). „The PFM normally contract simultaneously as a mass contraction, but the
contraction quality and contribution of the 2 layers may differ“ (vgl. BØ 2005, 270). Eine korrekte
Anspannung wird beschrieben als “... an invard lift and squeeze around the urethra, vagina and anus“
(vgl. BØ 2004,454).
In einigen Studien konnte herausgearbeitet werden, dass mehr als 30 % der getesteten Personen
trotz individueller Instruktion zunächst nicht in der Lage waren, die Beckenbodenmuskulatur korrekt
anzuspannen. Stattdessen wurden die Mm. adductores, sowie die Bauch- und Glutealmuskulatur
kontrahiert (vgl. BØ und SHERBURN 2005, BEVENUTIO et al. 1987, KEGEL 1952). Bei gesunden
Personen führt eine Anspannung dieser Muskeln jedoch zu einer Ko-Kontraktion der
Beckenbodenmuskulatur (vgl. PERSCHERS et al. 2001b, SAPSFORD et al. 2001, BØ und STIEN
1994).
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Schulte-Frei,BirgitDissertation:Sport-undBewegungstherapiefürdenweiblichenBeckenboden.Alltagsrelevanz,Analyse
undTherapieunterbesondererBerücksichtigungderneuromuskulärenAnsteuerung.Köln2006.
http://esport.dshs-koeln.de/58/1/schultefrei_diss.pdf
Seite12–13
PhilippHeitzer
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VerschaltungenderMuskulatur
Diaphragma, Abdominalmuskulatur und Beckenboden arbeiten zusammen zur Regulation des
Abdominaldrucks. Der Beckenboden ist die Basis für die Beckenorgane und hilft bei der Bereitstellung
der Kontinenz sowie der Stabilisierung der Lendenwirbelsäule (zusammen mit Mm. Multifidii).
Gleichzeitig sorgt der Beckenboden für die Stabilisierung des Beckens in Stand und Gang.
M. transversus abdominis und der Beckenboden sind neurologisch parallelgeschaltet, so dass
muskuläre Anspannung in einem der beiden Muskelbereiche eine Spannungszunahme auch in
seinem „Partner“ zur Folge hat.
InnervationszentrenderBeckenbodenmuskulatur
§
N. pudendus (S2)
§
Plexus sacralis (S3 – S4)
§
Weitere Zentren der Miktionskontrolle befinden sich im ZNS
§
Koordination der willentlichen Kontrolle des Miktionsreflexes
§
Hypothalamus
§
Limbisches System
§
Kortex
§
Koordination der Blasenentleerung
§
Formatio reticularis
§
Koordination der Beckenbodenmuskulatur
§
S2 – S4
InkontinenzimAlter
„Dranginkontinenz“ hat einen stärkeren Anstieg als „Stressinkontinenz“.
Muskuläre Veränderungen im M. detrusor vesicae finden statt als Teil eines Degenerationsprozesses
der Blase. Es folgen eine Degeneration und eine Separation der Muskelfasern, die zu einer Isolierung
der Muskelzellen führen („wide spread degeneration“).
Eine Verminderung der Blasen-Propriozeption in Kombination mit einer Hyperaktivität der Detrusor-
Muskulatur führt zu einer Veränderung der Blasenkapazität.
(Beispiel: 50 – 75% der Männer mit Prostatasymptomen leiden unter einer hyperaktiven Blase)
Miktion
MiktionistderEntleerungsprozessder
BlasedurcheineKontraktionder
MuskulaturumdieBlase(Detrusor)bei
gleichzeitigerEntspannungder
SphinkterdesUrethers.
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RisikofaktorenzuInkontinenzimAlter
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MöglicheresultierendeBeschwerden/ProblematikenbeiausbleibenderBehandlung
§
Psychische und soziale Komplikationen, z.B.
§
Depression
§
Angstzustände
§
Schamgefühl
§
Verminderung des Selbstwertgefühls
§
Sozialer Rückzug
§
Verminderung der Lebensqualität, z.B.
§
~ 45% der Patientinnen reduzieren ihre sportlichen Aktivitäten (Monz et.al.2005)
AWMFLeitlinie:HarninkontinenzgeriatrischerPatienten
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Physiotherapeutische Maßnahmen können immer in Kombination mit anderen Therapieverfahren
angewendet werden. Ob ein Zusatznutzen zur Pharmakotherapie besteht, ist umstritten.
Die meisten physiotherapeutischen Interventionen erfordern die aktive Teilnahme der
Patienten, Motivation und eine ausreichende kognitive Leistungsfähigkeit
Beckenbodentraining wird durchgeführt, indem die willkürlichen periurethralen und perivaginalen
Muskeln (M. sphincter urethrae ext., M. levator ani) gekräftigt werden. Diese Muskeln erfüllen eine
wichtige Funktion für die Kontinenz, wobei die spezifischen Effekte noch nicht vollständig geklärt sind
Beckenbodentraining zur Behandlung der Belastungsinkontinenz basiert auf der Vorstellung, dass
Kräftigung des Beckenbodens zur Reduktion der Inkontinenzsymptomatik durch Wiederherstellung
des physiologischen Kräfteverhältnisses führt. Es konnte gezeigt werden, dass Frauen mit leichter
oder mittelschwerer Belastungsinkontinenz allein durch das Erlernen der Beckenbodenkontrolle –
unabhängig von der Kraft des Beckenbodens – eine Verbesserung der Symptomatik innerhalb einer
Woche erreichen konnten.
2
S2e-Leitlinie084/001:HarninkontinenzbeigeriatrischenPatienten,DiagnostikundTherapieaktuellerStand:04/2016Download:
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/084-001l_S2e_Harninkontinenz_geriatrische_Patienten_2016-05.pdf
PhilippHeitzer
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Die beschriebenen Methoden sind vielfältig.
Sie reichen von 5 Kontraktionen alle 2 Stunden bis zu 200 Kontraktionen pro Tag über eine Dauer von
bis zu 30 Sekunden pro Kontraktion.
Die Dauer der Trainingsprogramme umfasste 2 bis 32 Wochen.
Bo beschreibt Beckenbodentraining mit 8 -12 Kontraktionen dreimal täglich und einer einmal pro
Woche stattfindenden, 45 minütigen Gruppentherapie, die von einem ausgebildeten
Physiotherapeuten geleitet wird.
Die Frage, ob ein Beckenbodentraining unter physiotherapeutischer Überwachung effektiver ist als
ohne, wird unterschiedlich beurteilt.
Hinsichtlich der Frequenz der Übungen konnte Sriboonreung keine Unterschiede zwischen seinen
Therapiearmen mit täglicher und 3 x pro Woche stattfindender mit und ohne abdominelles
Muskeltraining finden, aber auch schon mit einer einzigen Anleitung im Rahmen einer Gruppensitzung
und mit einer 2. Sitzung nach 2 – 4 Wochen konnten im Vergleich zu unbehandelten Frauen
Verbesserungen im Miktionsmuster und Menge des Urinverlustes erzielt werden.
Unklar ist die Effektivität von Beckenbodengymnastik belastungsinkontinenter Frauen im Vergleich mit
chirurgischen Maßnahmen und medikamentöser Therapie, weil nur eine kontrollierte Untersuchung
dazu existiert.
Ein Cochrane-Review kam 2010 zu dem Schluss, dass von einer Beckenbodenphysiotherapie
besonders Frauen mit alleiniger Belastungsinkontinenz unter physiotherapeutischer Begleitung mit
einer Dauer von 3 Monaten profitieren.
Beckenbodentraining ist Therapie der ersten Wahl bei der Behandlung von Belastungs- und/oder
gemischter Inkontinenz, besonders, weil von keinen unerwünschten Wirkungen berichtet wird.
Erforderlich sind die Fähigkeit und der Wille zur Kooperation auf der Seite des Patienten
(Evidenzgrad Ia, Empfehlungsklasse A, 100 %).
Eine physiotherapeutische Anleitung und Kontrolle des Trainingseffektes sowie die Einbettung des
Beckenbodentrainings in andere Maßnahme wie Trinkmengenregulation, allgemeine körperliche und
geistige Aktivierung sind sinnvoll.
In der Geriatrie ist die Empfehlung einer Flüssigkeitsrestriktion wegen der veränderten
Verteilungsvolumina und der häufig vorhandenen Multimorbidität und Polymedikation problematisch
und sollte individuell unter engmaschiger Kontrolle ausgesprochen werden.
§
Unter dem Begriff Toilettentraining werden dabei verschiedene Verhaltensinterventionen
zusammengefasst, für die es international und im deutschsprachigen Raum bisher keine
standardisierte Nomenklatur gibt. In dieser Leitlinie werden folgende Begrifflichkeiten verwendet:
§
festgelegte Entleerungszeiten (feste Zeiten, timed voiding, scheduled toiletting)
§
individuelle Entleerungszeiten (habit training)
§
angebotener Toilettengang (prompted voiding)
§
Blasentraining (bladder drill)
Bis auf Blasentraining finden all die genannten Interventionen mit Hilfe von Pflegepersonal
statt (interdisziplinäre Behandlung, Absprache mit Angehörigen anderer Berufsgruppen ist
zwingend erforderlich)!
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EinmöglicherTherapieverlauf
§
Die Therapie gliedert sich in mehrere Phasen
§
Wahrnehmungsschulung
§
Erlernen der Ansteuerung des Beckenbodens sowie der Kontrollierten An- und
Entspannung bzw. Bewegungen
§
[> 30 Wiederholungen pro Serie; geringe Intensität
(0 – 30% der Maximalkraft)]
§
Verstärkung der Durchblutung und des Muskelstoffwechsels
§
[> 30 Wiederholungen pro Serie; Intensität 30 – 60% der Maximalkraft] oder
§
[Kontraktionen von 20 – 30 Sekunden Dauer]
§
Hypertrophie
[Quelle: American College of Sport Medicine (1998); Kraemer (2004); Bø (2007)]
§
8 – 12 langsame Kontraktionen in maximaler ROM
(60 – 80% der Maximalkraft)
§
Halten der Spannung für 3 – 10 Sekunden
§
Ein Halten der Muskelspannung scheint dabei eine höhere Bedeutung zu haben
als das Erreichen der Maximalzahl der Wiederholungen
§
Viele Gesunde schaffen es initial nicht, eine mehr als 3 Sekunden
andauernde Muskelspannung im Beckenboden zu erzeugen