Bertolt Brecht
Die Fahrt im Abteil
Einer stieg in einen vollen Zug, in dem die Reisenden gepfercht standen wie die Heringe und öffnete ein Abteil. Die Türe wurde von innen zugeworfen. Der Mann schlug sie wieder zurück und sah einen dicken Mann mit zwei Frauen sitzen, die Kinder auf dem Schoß wiegten. »Machen Sie zu«, sagte der dicke Mann erbittert. »Kriegsverletztenabteil.« Der Reisende stand einige Zeit wie ein Hering im Gang, mit der Aussicht auf zwei Stunden; dann schob er mit angestrengter Hand die Tür wieder auf und sagte: »Haben Sie Papiere? Hier sind leere Plätze. Entschuldigen Sie!« Der dicke Mann stand immer auf, wenn die Tür aufging. Warum, war nicht einzusehen. »Hier können Sie nicht herein«, sagte er. Der Reisende sah ihm ernst ins Gesicht, er war ein junger Mann, und sagte: »Sehen Sie nicht ein, daß das eine Rücksichtslosigkeit ist?« Der dicke Mann wollte die Tür schließen. Aber der junge klemmte seinen Fuß ein. Es war ihm nicht wichtig hineinzukommen, um zu sitzen, aber die Leute drinnen befanden sich im Unrecht, und es sollte ihnen nicht hinausgehen. Das verlangte das Gerechtigkeitsgefühl des jungen Menschen. »Ich setze mich hier«, sagte er. »Tun Sie den Karton weg!« Der dicke Mann stand wieder. Er hatte geradezu Schweißperlen auf der Stirn. »Haben Sie ein Mitleid mit den Frauen«, sagte der dicke Mann. »Es sind auch Kinder dabei, die gewiegt werden müssen!« »Soll ich hier stehen?« fragte der junge. »Ich kann ganz gut stehen, aber ich will nicht. Es ist nicht recht.« Der Dicke machte einen letzten Versuch: »Es wird Ihnen nicht so gefallen. Die Kinder weinen immer.« Der junge Mann setzte sich. Es ward nicht gemütlicher. Das Abteil lag halbdunkel, die Frauen wiegten ihre Bälge, und die schrien wie am Pfahl. Aber der junge Mann frohlockte im Innern, weil das Recht gesiegt hatte. Er blieb sitzen, bequem sitzen bis zur Endstation.
Drei Tage später erkrankte er an Scharlach und wurde nie mehr gesund. Die Leute im Abteil waren mit Kindern gefahren, die Scharlach hatten.