Bertolt Brecht Die Geschichte von einem,Þr nie zu spät kam


Bertolt Brecht

Die Geschichte von einem, der nie zu spät kam

Satire

Es war einmal einer, der war klug. Sehr klug. Ungeheuer klug. Der war so klug, daß er in stillen Nächten die Bäume wachsen und schwindsüchtige Eidechsen husten hörte. Ja - er war sogar noch klüger. Das glaubten auch alle Leute und am festesten natürlich er selber. Und das ist doch unbe­dingt maß­gebend. Er mußte sich doch selbst kennen. Also: er war einmal sehr klug. Das war viel wert. Aber er hatte eine Eigen­schaft, die war noch hundert, nein tausend, nein hunderttausend­mal und mehr wert. Er kam nämlich niemals zu spät. »Alles, alles kann auf der Welt geschehen, aber, daß ich ein­mal zu spät komme, ist so vollständig ausgeschlossen, als ein Esel ein Kamel ist. Jawohl!« So sagte er selbst. Und er mußte es doch wissen. Nicht?

So wuchs der Jüngling zum Manne heran und nahm zu an Weisheit und Tugend. Und seine Verwandten überlegten schon ernsthaft, wie denn das weitergehen solle und ob es so viel Schläue, wie der Bub hatte, überhaupt gebe.

Inzwischen, während die Bekannten und Verwandten beratschlagten und große Worte sprachen, was denn der so begabte Junge einmal werden solle, überlegte sich dieser gerade angelegentlichst diese wichtige Frage.

Er schwankte noch zwischen einem Dichterfürsten und einem Soldatenkaiser.

Es hatte jeder von beiden Berufen sein Gutes.

Dichterfürst? Hm, das könnte man ja schließlich werden. Dagegen hätte auch die Verwandtschaft nichts einzuwenden gehabt. Er hatte schon wundervolle Gedichte gemacht. Seine Begabung war erwiesen. Sein prächtiges Gedicht »Die Liebe« war ja ein klassisches Musterwerk. Schon der Refrain

»die herrliche, göttliche Liebe,

aus vollem fühlendem Herzen,

ist einer der schönsten Triebe,

besieget alle Schmerzen«,

war über jede Kritik erhaben. Die Vorzüglichkeit eines ande­ren Gedichtes von ihm war schon dadurch erwiesen, daß das­selbe Gedicht auch in einem der letzten Jahrgänge der »Gar­tenlaube« stand. - Also, Dichterfürst, das käme schon in Betracht.

Nr. 2: Soldatenkaiser wär' auch nicht übel.

Natürlich, unter einem Kaisertum Frankreich-Spanien hätte es der begabte Junge nicht getan. Ausgeschlossen! Es war ja auch ganz einfach, das zu erobern. Da schloß man einfach mit dem gewesenen König von Portugal Duzfreundschaft, kehrt mit diesem nach Spanien zurück und ruft sich, nachdem dieser getötet ist, zum Kaiser aus. Höchst einfach! Nicht wahr? Seine militärische Begabung hatte er schon frühzeitig verraten.

Soldatenkaiser also wäre auch nicht zu verachten gewesen. - So schwankte der Arme, so sehr Begabte nun zwischen zwei Berufen hin und her. Denn beide Berufe hatten auch ihre Nachteile. Der Dichterfürst, der mußte leider etwas dichten können. Und der Soldatenkaiser muß eben den dummen Kö­nig, den er absetzen will, erst suchen.

Lang schwankte er.

Endlich entschloß er sich, Kommis in einem Warenhaus zu werden. Und er wurde es. Denn was er sich einmal vorgenom­men hatte, das führte er auch aus. Und er war glücklich zwi­schen den Heringsbüchsen und Hutschachteln.

Sein Ideal war jetzt, Börsenkönig zu werden. Aber schon einer, der die Rotschilds Bettelbuben nennen konnte! - Da, in diese Zeit, als er gerade 15 Jahre alt war, fiel ein Ereignis. Der junge, talentierte Mann verliebte sich. Die erste Folge davon war, daß der von dem rosenhungrigen Eros berührte Ladenschwengel, alias Dichterfürst, ein Gedicht losließ, ein Gedicht ... oh, oh! was war das für ein Gedicht? Ein Werk wars, eine Offenbarung. Es war 20 Strophen lang und füllte ein ganzes Oktavheftchen. Jede Strophe hatte 10 Zeilen, jede Zeile 12 Wörter. - Es war kolossal. Gigantenhaft grandios! -Aber das war erst das erste. Zum zweiten schwor er, sich die »dunkel­äugige Schöne« zu seinem Weibe zu machen. Das schwor er beim nächtlichen, geheimnisvollen Scheine einer Kerze und bei seinem Barte. Dabei faßte er seine zwei, je 1 cm langen Barthaare, wobei das eine der beiden leider her­ausging. - Und dann ging es los. Dabei zeigte es sich, daß unser lieber Dichterfürst einen kleinen Fehler hatte. Er war schüchtern. - So oft er seinem zukünftigen Weibe begegnete, wich er ängstlich in weitem Umkreis aus.

Und so verging Monat um Monat, Jahr um Jahr, Jahrzehnt um Jahrzehnt. Jahrhundert um Jahr­hundert. - Ja so, ich gehe zu weit. Es vergingen nur zwei Monate. Da erblickte er sie eines Tages, als es regnete, am Arm eines anderen. Wie er heimgekommen war, wußte er nicht an diesem Abend. Er saß in seinem einsamen Kämmerlein allein und verlassen von Gott und Menschen und weinte.

Es ist ein schlimmes Zeichen, wenn ernste Männer weinen ... Dann aber raufte er sich den Bart, das heißt er zupfte sein letz­tes Haar vom Kinn. - Er wurde schwermütig. Er saß tagelang in trübes Sinnen versunken hinter den Heringsschachteln und dachte nach. Dachte nach über ein Problem: ein seltsames Problem. Es lautete: Wie kann es geschehen, daß einer, der so klug ist, zu spät kommt???

Lang saß er und dachte ...

Mit der Zeit wurde er irrsinnig. Er murmelte nur immer: Und ich komme nicht zu spät.

Und wenn er noch nicht gestorben ist, lebt er noch heute

1



Wyszukiwarka

Podobne podstrony:
Bertolt Brecht Die Mutter und?r Tod
Bertolt Brecht Die unwürdige Greisin
Bertolt Brecht Die?hrt im?teil
Bertolt Brecht Die zwei Söhne
D’Adamo, Francesco Die Geschichte von Ismael Flucht aus Afrika
Bertolt Brecht ?r Soldat von La Ciotat
Bertolt Brecht Vaterlandsliebe,?r Haß gegen Vaterländer
Bertolt Brecht ?r Freiwillige
Buckower Elegien von?rtholt Brecht – die?rechnung mit?r Situation in?r?R nach?r Zweiten Weltkriegx
Bertolt Brecht ?r Augsburger Kreidekreis
Bertolt Brecht ?r Geierbaum
Bertolt Brecht ?r Mantel?s Ketzers
Bertolt Brecht ?salom reitet durch?n Wald oder?r öffentliche Mann
Bertolt Brecht ?r verwundete Sokrates
Bertolt Brecht Wenn die Haifische Menschen wären
Bertolt Brecht Geschichten vom Herrn Keuner
Bertolt Brecht ?s Tanzfest oder?r Augenblick?r ewigen Verdammung
Bertolt Brecht Geschichten vom Herrn Keuner
Mark Twain Die schreckliche deutsche Sprache (Geschichte von dem Fischweib und seinem traurigen Sch

więcej podobnych podstron