Das lyrische Drama ist ein Dramentyp, bei dem lyrische Elemente im Vordergrund stehen und dramatische in den Hintergrund gedrängt werden.
Der Begriff lyrisches Drama hat in der deutschen Theatergeschichte zwei Bedeutungen: Einerseits sind lyrische Dramen im 18. Jahrhundert Textvorlagen für die Vertonung, dienen also als Grundlage für eine Oper oder ein Singspiel mit melodramatischen Themen, die das Gefühl stark in den Vordergrund stellen, so z.B. Goethes Proserpina (1778). Andererseits versteht man unter der Bezeichnung lyrisches Drama ein sehr handlungsarmes Schauspiel, das sich durch eine lyrisch-stilisierte Sprache auszeichnet und meist durch den Monolog einer Hauptperson tief in seelische Zustände blicken läßt. Einer der Hauptvertreter im 18. Jahrhundert war Klopstock, um 1900 gilt Hofmannsthal als der 'lyrische Dramatiker' schlechthin.
Lyrisches Drama
ist ein Dramentyp für unterschiedliche Dramenformen, in dem lyrischen Elemente stark hervortreten und der durch Kürze (oft Einakter), Handlungs- und Figurenarmut gekennzeichnet ist. Ein dem lyrischen Ich vergleichbarer Held und seine innere Welt stehen im thematischen Zentrum, während die dramatische Konstellation nur illustrative, gelegentlich (z. B. H. von Hofmannsthal) auch kritische Funktion besitzt.
Der Tor und der Tod ist ein kurzes Drama in Versen („lyrisches Drama“) von Hugo von Hofmannsthal, verfasst 1893. Der erste Veröffentlichung erfolgte 1894, die erste Buchausgabe 1900.
Das Stück spielt laut Angaben des Autors in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts und handelt von der Begegnung des Edelmanns Claudio mit dem Tod. Der Tod kommt zu Claudio, um ihn aus dem Leben abzuführen, und konfrontiert ihn mit wichtigen Menschen aus seinem Leben - seiner Mutter, seiner ehemaligen Geliebten und einem Jugendfreund. In den Begegnungen wird ihm klar, dass er zu diesen Menschen keine tieferen Bindungen entwickelt hat. Er lebte gegenüber anderen Menschen in einer ästhetisch-distanzierten Haltung, ohne sich auf sie einzulassen und sie an sich heranzulassen. Der Moment des Sterbenmüssens macht ihm dieses Defizit bewusst und paradoxerweise ist erst die Todesstunde voller emotionaler Lebendigkeit. „Da tot mein Leben war, sei Du mein Leben, Tod“. Claudio sinkt am Schluss tot nieder.
Der Tor und der Tod handelt von einem Mann, der Claudio heißt, dessen Name hier ironisch gemeint ist. Claudio ist die erste Person Singular Aktiv Indiktiv von dem latienischen Verbum claudere, und heißt so viel wie ich ziehe Bilanz. Jedoch in Wirklichkeit macht der unzufriende Kerl eigentlich das Gegenteil. Er ist wohlhabend und erlebte schon vieles, glaubt aber, noch nicht gelebt zu haben, weil gerade sein Leben ihm nicht gefällt. Er benimmt sich so, als ob er aktiver am Leben teilnehmen möchte, jedoch, wenn fremde Menschen an seine Tur kommen, befiehlt er sie hinausgeschlossen werden. Er schloss die Tür nicht mal selbst zu. Am Anfang finden wir ihn sitzend in seinem Haus. beobachtet die anderen Menschen durch das Fenster und wundert sich, wieso sie leben können, aber er nicht. Er sorgt sich um sein Nichtleben, und philosophiert zwecklos bis ihn Musik aufwecht. Die Musik bringt schöne Erinnerungen zurück, und er freut sich sehr. Auf ein mal hört die Musik auf. Bevor der Geigerspieler, der Tod, erscheint, erlebt Claudio ein kleines Stück seines normalen Lebens. Während dieser paar Minuten sucht er den Bettler, der die Musik spielt, um ihm Geld zu geben. Er glaubt alles, sogar Freude, mit seinem Geld kaufen zu können. Da bekam er einen Schrecken, als der Geigenspieler erschient, und veränderte seinen Ton gleich. Von einem Augenblick auf den anderen heißt es, daß er noch nicht gelebt habe und deswegen dürfe die Welt noch nicht verlassen. Die gleiche Welt, die er beim Sonnenuntergang so vollendet beschrieb. Durch drei Bespiele zeigt der Tod den Tor, daß, obwohl er sich nicht gerade daran erinnt, er doch gelebt hat. Die gleichen Möglichkeiten standen ihm auch zur Verfügung wie allen, die schon lebten. Um ihn auf seine Vergangenheit aufmerksam zu machen, treten seine Mutter, seine ehmalige Freundin und ein ehmaliger Freund vor ihm. Sie bringen alle die Gefühle edlen Lebens von Liebe bis Haß und von Freude bis zur Trauer wieder zurück. Er merkt dabei, daß er doch gelebt hat, nicht gut, aber gelebt schon. Es wird ihm klar, daß die einzige Möglichkeit, die ihm zur Verfügung steht, um das Leben verstehen zu können, der Tod ist. „Da tot mein Leben war, sei du mein Leben, Tod!", sagte der Tor, um sich sein Leben zu erklären. Kurz danach kam er auf: „Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin." Hierbei bringt er den Tod durcheinander, weil so ein logisches und kluges Wesen niemal die Begründungen so eines unlogischen Affenwesens, wie der Mensch, verstehen könnte. Bei der Analyisierung Hofmannsthals muß man einfach vieles überschauen, weil man sich sonst bei dieser reichen und bedeutungsvollen Sprache verlieren wird. Fast jedes Wort könnte interpretiert werden. Die Geschichte fängt mit einem traurigen nachdenklichen Mann an, der am Fenster sitzt und anschaut die Abendsonne, die das Ende symboliziert. Er sitz einfach da und beobachtet alles. Er nimmt nicht aktiv am Leben teil, obwohl es erscheint, als ob er es gerne würde. Er beschreibt die Menschen draussen als: „Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht." Er kommt sich so vor als ob er so gerne mitmachen würde, weil er noch nicht so ein aktives Leben hatte. „...dieses Haus zu weben und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen", drückt wunderbar seine Laune und Hilflosigkeit aus. Er sitzt nur da und kann nichts dafür oder dagegen machen. Dazu könnte man sagen, daß, wie man sich im Leben benimmt, nur eine Frage der Einstellung ist. Bei der Einstellung Claudios, so wie der von vielen damals und auch heute, fehlt etwas. „So trösten sie [andere Leute]... Ich habe Trösten nie gelernt". Deswegen kann er sich selbst nicht trösten. Die anderen verwenden einfache Wörter, aber als Künstler und Großbürger glaubt er, das nicht zu können. „Ich habe mich so an Künstliches verloren", sagt Hofmannsthal durch Claudio. Hierbei drückt Hofmannsthal ein Idee vom einfachen Leben aus, daß er auch in anderen Essays benutzt. In einer Englischen Ãœbersetzung betitelt Poetry and Life, sagte er: „The more eloquently one can speak and the more overcome by the illusion of thought, the greater the distance from the beginnings of the path of life." Hiermit sagte er, was Claudio stört. Wer sich groß macht, für den entsteht das Risiko die Kleinigkeiten, die wichtig im Leben sind, zu verlieren. So wie Hofmannsthal, ein Mann für den, die reichste Wörter in allen Sprachen zusammen nicht ausreichen, sind Claudios viele hochgestochene Worte auch nicht genügend. Vieleicht wäre er glücklich, wenn er einfacher wäre. Er ist „Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt". Wozu?, fragte er sich. Die anderen habeen ein ganz einfaches Leben; sie fühlen alles Schmerz, Freude, Haß, Liebe, Trost und Enttäuschung. Er? Er sitzt einfach da in seinem schönen Haus und langweilt sich mit seinen reichlichen Sachen und seinem Wissen. Und die ganze Zeit kann er sich nur fragen: Warum?. Hier kommt das künstlerische Genie Hofmannsthals wirklich zum Vorschein. Er stellt seinen Zuschauern die Frage: Warum leben sie so wie sie leben?, aber zur gleichen Zeit, sogar mit den gleichen Wörtern stellt er diese Ideen sie vor, daß darüber nachzudenken ist und man sich darüber zu sorgen söllte, was man natürlich erst machen wird, wenn solche Fragen gestellt werden. Dies ist nicht die richtige Art und Weise, Probleme und Unzufriedenheit zu behandeln. Die andere Seit des Lebens Probleme kommen in Jedermann vor. Jedermann lebt wohl und ist gerade im Mittel von dem aktiven Teil seines Lebens. Er will nicht gehen, weil auch nicht bereit ist, jedermann ist niemals bereit das Leben zu verlassen. Jedermann geneise sein Leben und hat viele Aufagaben zu erliedingen. Als der Tod zu ihm kamm, versuchte er mit ihm zu handeln, so daß er noch zehn Jahre leben könnte. Am Ende bekamm er nur ein extra Stunde, aber das reichte aus, um seine Seele für ewigkeit zu retten. Als Claudio starb, verglich er sein Leben zum Tod und meinte dabei das die beiden ungefähr gleich sind. Andere Seites war Jedermann am Ende glücklich und fröh. Seine Freundin kam zu ihm in Form einer alten Frau und zusammmen mit Glaube, haben sie die Seele Jedermanns vom Teufeul geretet. Bei seinem ewigen Weg, im Gegenteil zum Claudio, hat Jedermann auch ein Begleiterin, die ihm in ewigen Leben Freude bringen wird. Jedermann und Claudio sterbten beide, jedoch, sie brachten unterschiedliche Gedanken dabei zum Vorschein. Der Tor und der Tod, was Hofmannsthal zur erst schrieb, stellte da Leben und der Tod gleich. Hierbei ist es eigentlich egal welche man erlebt, weil beide sind von höhern Mächte bestimmt und ein Affenwesen kann so wie so nichts kontrolieren. Während seines Lebens werden die Gedanken Hofmannsthal immer glücklicher. Jedermann erschien achtzehn Jahre später und am End ist die Unterschiedlichkeit der Beudeutung der Tod wirklich spülbar. Jedermann sterbt auch obwohl er es nicht wollte, aber ging dabei zu einer glücklichen ewigen Leben zusammen mit seiner Freundin. Etwas muß uns erschrecken, so daß wir wach werden, so daß wir unser Leben umstellen. Für Claudio, so wie für Jedermann auch, kam dieser Schreck in Form des Todes. Mit schöner Musik macht sich der Tod von Claudio bemerkbar. Mit Jedermann spielte er aber ein Streich. Er fuhrt Claudio aus seinem Trauer zu schönen Erinnerungen durch seine Geigermusik. Jedermann, der eigentlich sein Leben als der Tod kamm genoss, wird wegen des Kommens des Todes kurz vor der Erscheinung der Tod deswegen verrucht. Er sagte seine Gäste: „So könnte ich euch alle kaufen und wiederum verkaufen auch,". Diese Worte bestimmten sie Stimmel der Partei. Sie waren schockierent. Jedermann, so wie Claudio auch, glaubte kurz bevor der Tod erscheint, mit seinem Geld alles kaufen zu können. Wenn auch nur für ein Augenblick war Claudio zufrieden mit dem Leben, als die Musik spielte. Er wußte nicht, woher sie kommt und als sie aufhörte, suchte er einen Bettler Geld dafüf zu geben. Mit Jedermann war diese geldliches Symbol stärker ausgedrückt, aber jawohl zur Zeit des Kommens des Todes war das Leben Jedermanns auch mehr von Geld beherrscht. Bei Der Tor und der Tod zeigt Hofmannsthal, daß obwohl Claudio, der für jedermann dasteht, der mit seinem Leben unzufrienden ist, glaubte, man könnte nicht für Freude bezahlen. Jedermann liebte auch sein Geld, versuchte in seine letzte Stunde es mitzunehmen. Als sein Geld ihm in Form eines Mammons sagte, daß es nicht mitgehen mag, antworte Jedermann: „ [Du (das Geld)] warst mein leibeigner Knecht und Sklave". Aber in Wirklichkeit, so wie der Mammon diese Zustande ausdrückte, war es umgekehrt. „Nein, du [Jedermann] mein Hampelmann recht brav." Clauio könnte einfach den Bettler kein Geld geben, und danach dachte er sicherlich nicht mehr dadran wie sinnloss und swach sein Geld war. Jedoch wird es Jedermann klar sein Geld hilft ihm nicht mehr aber auch, daß das Geld ihm und nicht umgekehrt, wie er so lange glaubte, beherrschte. Der Tod, im Der Tor und der Tod, beschreibt die Menschen in seinen letzten Worten wunderbar:
Wie wundervoll sind diese Wesen,
Die, was nicht deutbar, dennoch deuten,
Was nie geschrieben wurde, lesen,
Verworrenes beherrschend binden
Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.
Im Wirklichkeit wissen Menschen überhaupt nichts. Wir versuchen einfach, durch Ewig-Dunkes unsere Wege zu finden. Der Bettler hätte nicht gespielt um Claudio Freude zu bringen, und Claudio hätte nichts dafür bezahlen können, was ihn freuen würde. Sein Nachdenken beim Fenster ist zwecklos so wie das Leben der draussenstehenden Menschen, wovon Claudio träumt. Claudio glaubt, noch nicht gelebt zu haben, aber er bekam „Was allen, ward... gegeben, Ein Erdenleben, irdisch es zu leben". Obwohl das Leben den Menschen, besonders Claudio, nicht gefällt, können Menschen nicht einfach über ihr Leben bestimmen. Wir können nicht kontrollieren, wann oder ob wir Haß, Liebe, Reichtum, Armut, Einsamkeit, Geniesamkeit und alle die restlichen Gefühle, die das Leben ausmachen, fühlen können. Der Tod kann das bestimmen. „Laß mir, was mein. Dein war es", sagte der Tod zum Tor, als die Mutter verschwand. Schöne Erlebnisse, die Menschen freuen, sind nur kurzfristig und normaleweise erkennt man überhaupt nicht, was man hat, bis es weg ist. Claudio ist schon, wie alle, seinen Weg gegangen. Er hat seine Mutter, seine Freundin und seinen Kumpel beeinflußt und wurde von ihnen auch beeinflußt. Am Ende hat er nichts, was ihm wichtig ist. Sein ganzes Leben hat er verträumt und nur auf Besseres gewartet, bis es ihn am Ende erschient, daß es doch nicht mehr als einen Weg im Leben gibt. Den Weg muß man geniessen, bevor der Tod kommt und es zu spät ist.
Das Fin de siècle ist ein aus thanatologischer Perspektive äußerst interessanter Zeitraum. Nicht nur, dass die frühen Vertreter der Existenzphilosophie, allen voran Kierkegaard und Nietzsche, hier ihre Wirkung entfalten, auch die allgemeine Grundstimmung „zwischen [Aufbruch], Zukunftseuphorie, diffuser Zukunftsangst und Regression, Endzeitstimmung, Lebensüberdruss, Weltschmerz, Faszination von Tod und Vergänglichkeit, Leichtlebigkeit, Frivolität und Dekadenz“ (Wikipedia) beinhaltet offensichtlich ein ganzes Spannungsfeld von elementaren Fragen, die Leben, Sterben und Tod betreffen. Viele Künstler aus dieser Zeit, insbesondere die Schriftsteller, wie etwa Arthur Schnitzler oder Thomas Mann, haben diese elementaren Fragen aufgegriffen und in ihren Werken verarbeitet. Ebenso Hugo von Hofmannsthal.
Im Alter von nur 19 Jahren, noch lange vor seiner Promotion, beschäftigte sich der Dichter ganz konkret mit dem Problem des Todes und der Bedeutung, die dieses jedem Menschen bevorstehende Ereignis für uns haben kann. In seinem sehr kurzen (25 Seiten!) Vers-Drama „Der Tor und der Tod“ lässt Hofmannsthal den Edelmann Claudio und den leibhaftigen Tod zusammentreffen.
Claudio, offensichtlich ein wohlhabender Mann (vgl. die Regieanweisungen zu Beginn des Stücks), hadert mit sich selbst. An einem schönen Abend, der voller Vorzeichen des nahenden Endes ist (Schatten, schwindende Lichter, usw.) und der zu melancholischer Stimmung geradezu einzuladen scheint, blickt Claudio auf sein Inneres und fragt sich „Was weiß ich denn vom Menschenleben?“ (S. 9). Zwar habe er sehr wohl mitten im Leben „drin gestanden“, aber sich nie darin „verloren“, womit er auf seine Gefühlslosigkeit, auf seine emotionale Distanz zu anderen Menschen verweist. „Trösten“ habe er „nie gelernt“, nie sei er „von wahrem Schmerz durchschüttert“ gewesen. Ganz und gar materialistisch sei sein Leben gewesen, erfüllt von „totem Tand“ (10), von Ersatzinhalten: Kruzifix, Renaissance-Kunst, mittelalterliche Schätze - „Ich hab mich so an Künstliches verloren“ (12) ist das Resumee, das Claudio bleibt.
Doch an diesem Abend verändert sich Claudios Leben: Zunächst berichtet der Diener von unheimlichen Gestalten im Garten des Hauses, dann ertönt Geigenspiel aus einem Nebenraum - und dieses Geigenspiel rührt an das Innerste des Edelmanns. Erinnerungen an eine Kindheit und eine Jugend voller Leben, voller Gefühl und Leidenschaft werden von der Musik heraufbeschworen. Claudio erschrickt förmlich, als das Spiel verstummt und erst Recht gerät er in Panik als er erkennen muss, wer der Spielmann war: der Tod steht in der Tür.
Die genaue Darstellung des Todes wird dabei in den Regieanweisungen nicht vorgegeben. Dort heißt es nur „und in der Tür steht der Tod, den Fiedelbogen in der Hand, die Geige am Gürtel hängend.“ (17) Interessant zu wissen wäre nun, wie die Identifikation der Figur durch den Zuschauer erfolgen sollte. Reichte etwa der Titel des Stücks? Oder etwa die doch recht klassische Spielmannsthematik? Sollte der Schauspieler in einer ganz besonderen Art gekleidet sein? Ging Hoffmannsthal davon aus, dass jeder Regisseur wissen würde, wie man „den Tod“ darzustellen hat? Oder war hier etwa ein Freiraum beabsichtigt? Sicher scheint nur zu sein, dass zumindest Claudio die Identität der Figur sofort erkennt, seine panische Abwehrreaktion ist nicht anders zu erklären. Eine gewisse plakative Deutlichkeit der Funktion des Spielmannes muss also gegeben sein. Das Motiv des spätmittelalterlichen Knochenmanns scheidet dabei eher aus, spricht der Tod doch direkt im Anschluss: „Wirf dies ererbte Grau'n von dir!/ Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!“ und weiter: „Aus des Dionysos, der Venus Sippe,/Ein großer Gott der Seele steht vor dir.“ (18) Ein schöner Mann also, eine ansehnliche Figur, sollte wohl auf der Bühne erscheinen - und dennoch unverkennbar sein.
Zwar hegt Claudio noch kurz die Hoffnung, der Tod möge aus einem bestimmten Grund gekommen sein, der hoffentlich nichts mit ihm zu tun habe, doch ist das nur ein sehr kurzer Versuch, die eigene Existenzangst zu kontrollieren. Denn alsbald erklärt der Tod: „Mein Kommen, Freund, hat stets nur einen Sinn.“ (18) Was nun folgt ist klassisch: Claudio bittet um sein Leben, um etwas mehr Zeit, um einen Aufschub. Er betont: „Ich habe nicht gelebt!“ (19) Doch der Geigenspieler bleibt - wie immer - unbeirrbar: „Was allen, ward auch Dir gegeben [...] Doch alle reif, fallt ihr in meinen Arm.“ (20) Claudio fleht nun innig und versucht dem Tod begreiflich zu machen, was ihm im Leben gefehlt habe. So habe er andere Menschen nur als „Puppen“ betrachtet, sich nicht an diese binden können, nicht gespürt, was Liebe und Leid wirklich bedeuteten, woraufhin der Tod, um die Klage des Claudio zu entkräften, diesem Edelmann drei Beispiele dessen gibt, wie echtes Leben und echte Klage aussehen. Er führt Claudio drei Tote vor: dessen eigene Mutter, ein junges Mädchen, welchem der Edelmann einst das Herz brach und einen Mann, dem Claudio die Liebe seines Lebens raubte, nur weil es ihn „reizte“.
Erst im Angesicht dieser Schicksale bedauert Claudio dann wirklich und vollends die Natur seines Lebens hinsichtlich der Beziehung zu anderen Menschen, woraufhin er sich entschließt, dass es tatsächlich besser sei zu sterben: „Gewähre, was Du mir gedroht: Da tot mein Leben war, sei du mein Leben, Tod!“ (30) In diesen letzten Momenten seines Lebens erfährt der Edelmann zum ersten Mal, was Leben heißt: „Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin.“ (31)
Die diesem Stück innewohnende Mahnung ist überdeutlich. Doch ist es nicht allein eine Aufforderung, sich seinen Mitmenschen zu öffnen, die Bindung zu anderen zu suchen und respektvoll miteinander umzugehen - was man alles durchaus aus dem Stück herauslesen könnte. Vielmehr ist das letzte entscheidende Zitat „Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin“ eine Einsicht, die im übertragenen Sinne nicht erst in den letzten Minuten des Lebens ihren Platz hat. Schon Johannes von Tepl schrieb in seinem „Ackermann“: „Sobald ein Menschenkind geboren ist, sogleich hat es den Kontrakt besiegelt, daß es sterben muß.“ Sowohl Martin Heidegger und Thomas Bernhard nahmen diesen Gedanken dann später auf. Thomas Bernhard schrieb in seinem Werk „Der Atem“: „Wir sterben von dem Augenblick an, in welchem wir geboren werden, aber wir sagen erst, wir sterben, wenn wir am Ende dieses Prozesses angekommen sind.“ Stimmt man dieser Aussage zu, so ist die Bemerkung Claudios eine Ergänzung zu dieser Erkenntnis des ständigen Sterbens: Damit aus dem Sterben ein Leben wird, müssen wir uns unseres Sterbens erst bewusst werden. Nur dann verhindern wir die Ãœberraschung, die Claudio empfand. Wer begriffen hat, dass seine Zeit auf dieser Welt endlich ist, der wird sein Leben anders führen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird eine solche Person ein Leben nach Claudios Vorbild eher ablehnen, wird Emotionen, Werte und Sinn zulassen und dem Materialismus nicht blind das Wort reden. Ganz ohne metaphysische Hintergedanken. Nur aufgrund der eigenen Vergänglichkeit. Weil eben das an Wert gewinnt, was selten, vergänglich und daher kostbar ist. Auch unser aller Leben.