Der Steppenwolf opracowanie


Der Steppenwolf (Hermann Hesse): Eine Selbstanalyse Hermann Hesses und Kritik an der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts

1. Einleitung

,,Der Steppenwolf" ist eines der bedeutendsten Werke Hermann Hesses, das zu Beginn seiner Veröffentlichung eher Ablehnung hervorrief, aber später die Lieblingslektüre besonders der Jugendlichen in den 70er Jahren wurde.

,,Der Steppenwolf" ist fast eine Autobiographie Hermann Hesses, denn in diesem Roman verarbeitete der damals fünfzigjährige Autor seine seelische Krise.

Deshalb ist der Name der Hauptperson Harry Haller nicht zufällig gewählt. Her-

mann Hesse ist der ,,Steppenwolf".

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt darin, den Charakter des ,,Steppenwolfs" und seine Beziehung zur Gesellschaft zu analysieren. Dabei ist der ,,Traktat vom Steppenwolf" von besonderer Bedeutung, da der Leser tiefe Einblicke in das Seelenleben Harry Hallers bzw. Hermann Hesses bekommt. So schreibt der Autor Volker Michels in seinem Buch über den ,,Steppenwolf":

,,Der <Steppenwolf> ist die bei weitem schonungsloseste seiner Selbstanalysen. Die Aufrichtig-

keit wirkt hier geradezu masochistisch."1

Auffällig ist, daß der Roman viele Züge der Ideen C.G. Jungs enthält, da der ,,Steppenwolf"zu der Zeit entstand, als Hesse an vielen Sitzungen mit Dr. J.B. Lang, einem Schüler des berühmten Psychologen, teilnahm.

Doch nicht nur der ,,Steppenwolf" als eine Selbstanalyse Hermann Hesses soll untersucht werden, sondern auch der ,,Steppenwolf" als Kritik an der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Hesses Gesellschafskritik war auch eine der Gründe dafür, warum seine Bücher während des Zweiten Weltkrieges verschmäht wurden. Denn Hesse, der engagierte Kriegsgegner, appellierte an das deutsche Volk, die Schuld am Krieg nicht nur bei den anderen zu suchen. Seitdem war Hesse eine lange Zeit in Deutschland als Vaterlandsverräter verschrien.

2. Über Hermann Hesse

2.1 Kurze Biographie und andere Werke

Hesse wird am 2. Juli 1877 als Sohn eines baltischen Missionars und der Tochter eines Indologen in Calw/ Württemberg geboren. Schon früh wird er zur theologischen Laufbahn bestimmt. Nach der Lateinschule in Göppingen und dem evangelischen Seminar in Maulbronn, versucht er sich als Buchhändler, Antiquar und als Mechanikerlehrling.

Seit 1900 lebt er als freier Schriftsteller und Literaturkritiker.

1904 heiratet er Maria Bernoulli und zieht mit ihr nach Gaienhofen am Bodensee.

1905 wird sein erster Sohn Bruno geboren.

In den Jahren 1910-1912 unternimmt Hesse viele Reisen nach Österreich, Italien und Indien, wo die Mutter geboren wurde.

1919 trennt Hesse sich von der Familie und zieht nach Montagnola/ Ticino.

1923 läßt er sich von seiner Frau, die in psychiatrischer Behandlung war, scheiden.

Ein Jahr später wird er Schweizer Staatsbürger und heiratet Ruth Wenger. Doch diese Ehe währt nicht lange. 1931 heiratet er die Kunsthistorikerin Ninon Doblin.

1946 erhält Hesse für sein Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Weitere

Auszeichnungen sind u.a. der Goethe-Preis, der Bauernfeld-Preis, der Gottfried-

Keller-Preis, der Wilhelm-Raabe-Preis und der Friedenspreis des deutschen Buch-

Handels.

1962 wird Hesse Ehrenbürger von Montagnola . Dort stirbt er am 9. August des-

selben Jahres.

Hesse war ein großer Kritiker seiner Zeit und deren, seiner Meinung nach, ver-

kommenen Kultur, die sehr industriell ausgerichtet ist. Außerdem war Hesse

ein engagierter Pazifist.

Seine wichtigsten Werke:

Peter Camenzind (1904)

Unterm Rad (1906)

In diesen beiden Romanen verarbeitet Hesse die drückenden Erinnerungen der Schulzeit und des Priesterseminars.

Siddharta (1922)

Demian (1919)

Der Steppenwolf (1927)

Morgenlandfahrt (1932)

Narziß und Goldmund (1930)

Das Glasperlenspiel (1943)

Diese Romane sind psychoanalytisch und von Zügen der fernöstlichen Philoso-

phie beeinflußt.

2.2 Zur Entstehung des Romans ,,Der Steppenwolf"

Hermann Hesses Roman ,,Der Steppenwolf" entstand in einer schweren seelischen Krise des damals 50jährigen Autors.

Die Vorarbeiten reichen bis ins Jahr 1922, in dem Hesse ,,Das Tagebuch eines Entgleisten" schrieb, ,,das bereits den Widerspruch zwischen dem Leben des Augenblicks und dem Zwang zur Selbstbeobachtung und Selbstkritik ausspricht"2:

,,Ich schmeiße es hin, mein Leben, daß die Scherben klirren; ich vergeude, ich alternder Mann, meine Tage und Stunden wie ein Student. Ich gebe mir große Mühe, ein Eintagsleben zu leben,[...]

Aber der Andere, der Zweite in mir, spitzt den Griffel, unerträglich ist ihm Eintagsleben, er braucht Herkunft, er dürstet nach Zukunft, er schreit brennend nach Zusammenhang und Fortdau- er, [...]."3

Hesse hatte viele Probleme in der Familie. Seine Frau Maria mußte mehrmals in psychiatrische Behandlung gehen. Sorgen um sie und um die drei Kinder dieser ersten Ehe belasteten ihn sehr.

1919 trennt er sich von seiner Familie in Bern und zieht nach Montagnola, wo er bis zu seinem Tode lebt.

1928 erscheinen neben dem ,,Steppenwolf" noch andere Bücher Hesses, wie das

,,Tagebuch eines Entgleisten", ,,Krisis, ein Stück Tagebuch", die alle, wie ,,Der Steppenwolf", autobiographisch geprägt sind.

In einer Mansardenwohnung in Basel schreibt der von Gicht geplagte Schriftsteller, der sich immer mehr zum selbstmörderischen Einzelgänger entwickelt, den

ersten Teil des ,,Steppenwolfs".

Wie Harry Haller, die Hauptperson des Romans, ekelt Hesse das Leben und die ganze Welt an:

,,Auf Eure Welt anders zu reagieren als durch Krepieren oder durch den Steppenwolf, wäre für mich Verrat an allem, was heilig ist."4

Doch Hesse versucht verzweifelt Freude am Leben zu haben, lernt Tanzen, feiert Feste, reist, trinkt, verliebt sich, um ,,aus dem verbissenen Einsiedler Hesse ein

gutes, dummes und etwas vergnügtes Vieh zu machen".5

Das Schreiben wird für Hesse zu einer Therapie, ist für ihn ,,Aussprache und Be-

kenntnis"6.

Einerseits von der persönlichen Lebenskrise des Autors geprägt, spricht der ,,Steppenwolf" auch die Probleme der damaligen Zeit an. Dabei geht es besonders um den Konflikt zwischen Außenseiter und Bürger und die Erfahrung der Ich-Spaltung, beliebte Themen in den Romanen der Jahrhundertwende.

Hesse versuchte seine Lebenskonflikte in therapeutischen Gesprächen mit Dr. J.B.

Lang, einem Schüler C.G. Jungs zu bewältigen. Im ,,Steppenwolf" finden sich auch viele Hinweise auf Ideen C.G. Jungs und der Philosophie Nietzsches, die Hesses Denken und Werk stark beeinflußt haben.

3. Inhaltsangabe

Das Buch beginnt mit einem Vorwort des fiktiven Herausgebers. Er erzählt, wie er Bekanntschaft mit dem ,,Steppenwolf" Harry Haller macht. Dieser mietet die Mansardenwohnung der Tante des Erzählers.

Dem Steppenwolf sind solch bürgerliche Häuser verhaßt, aber irgendwie fühlt er sich immer zum Bürgerlichen hingezogen.

Der Erzähler empfindet gleich am Anfang eine Antipathie gegen Haller, da er ihm verdächtig vorkommt. Hallers Auftreten erscheint dem Erzähler widersprüchlich: Haller verhält sich ihm und der Tante gegenüber zwar höflich und geradezu freundlich, aber dem Erzähler scheint es oft so, als käme dieser Mann sich selbst dabei zugleich sehr lächerlich vor. Außerdem lebt Haller sehr zurückgezogen und führt ein unstetes Leben, denn er ist arbeitslos und scheint nur an seinen Büchern interessiert zu sein. Doch durch Gespräche mit dem Steppen-

wolf lernt der Erzähler Haller immer besser kennen und verliert langsam seine

Abneigung.

Eines Tages verschwindet Harry Haller spurlos und hinterläßt nur sein Tagebuch, das die Aufschrift ,,Nur für Verrückte" trägt. Dieses Tagebuch gibt tiefere Einblicke in Hallers Persönlichkeit: ein einsamer hochintelligenter Mensch, der viel über sich selbst und seine Mitmenschen nachdenkt.

Als Haller eines abends durch die Straßen der Stadt streift, trifft er einen jungen Mann, dem er ein Buch abkauft, den ,,Traktat vom Steppenwolf". In diesem Trak-

tat erfährt man etwas von Hallers seelischem Leiden, eine gespaltene Persönlichkeit zu sein. Er ist halb ,,Mensch" und halb ,,Wolf". Das Problem ist, daß diese beiden Seelen in ständigem Streit leben. Aber andererseits kann der eine ohne den anderen nicht existieren. Nachher kommt das Buch zu folgendem Schluß: Haller muß erkennen, daß er wie jeder andere Mensch, nicht nur zwei Seelen, sondern mehrere hunderte besitzt. Nur wenn Haller zu dieser Erkenntnis kommt, ist er von seinem Leiden befreit.

Sehr von diesem Buch beeindruckt, nimmt Haller sich vor, sein Leben zu ändern.

Er besucht einen Bekannten, den Professor, der den typischen Bürger darstellt.

Aber es kommt zu einer heftigen Diskussion über Goethe, in der Haller den Pro-

fessor beleidigt. Nach diesem verhängnisvollen Besuch beschließt Haller, sich das

Leben zu nehmen, da er versagt hat: Der ,,Wolf" hatte sich wieder durchgesetzt.

Verzweifelt irrt er durch die Stadt, bis er eine junge Frau namens Hermine in der

Kneipe ,,Zum Schwarzen Adler" trifft. Bei Hermine findet Haller Trost und läßt

sich von ihr ,,bemuttern". Hermine zeigt ihm ihre Welt der Tanzlokale und Mas-

kenbälle. Durch sie lernt Haller für kurze Zeit, sein Leben nicht zu ernst zu neh-

men und einfach nur Spaß zu haben. Sie bringt ihm sogar das Tanzen bei. Er lernt

durch sie den Saxophonisten Pablo kennen, der nicht viel redet, aber immer guter

Laune ist, und verliebt sich in die junge Maria. Dennoch wird Haller wieder depressiv,

da der Steppenwolf ohne Leiden und Schmerz nicht leben kann.

Zum Schluß zeigt Pablo ihm sein Magisches Theater, in dem Haller lernen soll,

sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und ,,unsterblich" zu werden.

Pablo erklärt Haller die Spielregeln und läßt ihn alleine. Haller muß verschiedene

Türen öffnen, hinter denen sich bedeutende Momente seines Lebens abspielen.

Außerdem bekommt Haller Einblicke in sein Unterbewußtsein. Doch Haller ver-

liert das ,,Spiel", denn hinter der letzten Tür ersticht er Hermine, als er sie mit

Pablo nackt auf dem Boden liegen sieht. Pablo macht ihm klar, daß er die Illusion

mit der Wirklichkeit verwechselt hat. Haller hat also aus dem ,,Spiel" nichts ge-

lernt und wird deshalb mit seiner ,,Hinrichtung" bestraft, die darin besteht, ausgelacht

zu werden. Haller versteht jetzt, was er falsch gemacht hat und nimmt sich vor,

das ,,Spiel des Lebens" nächstes Mal besser zu spielen und das Lachen zu lernen.

4.Wichtige Charaktere

4.1 Harry Haller

Harry Haller, der ,,Steppenwolf" , ist ca. 50 Jahre alt. Sein Spitzname paßt gut zu ihm, denn er ist ein sehr ungeselliger Mensch und lebt ruhig und zurückgezogen.

Er möchte am liebsten nichts von der Außenwelt wissen und lebt lieber in seiner

Bücherwelt. An seiner Wohnung, die mit Büchern, wie z.B. von Lessing und Dos-

tojewski, vollgestopft ist, erkennt man sofort, daß Harry ein gebildeter Mensch ist. Er hat eine Vorliebe für Goethe und Mozart, die für ihn die größten Genies aller Zeiten sind. Harry ist hochintelligent, ein Mensch, der viel über sich selbst und seine Mitmenschen nachdenkt.

Besonders auffällig ist sein widersprüchliches Auftreten, das er für den Erzähler am Anfang an den Tag legt: seinen Mitmenschen gegenüber verhält er sich sehr höflich, aber trotzdem scheint er sich dabei irgendwie lächerlich vorzukommen.

,,Er mietete das Zimmer, ....hörte alles aufmerksam und freundlich an, ..... und doch schien er bei allem nicht recht dabeizusein, schien sich selber in seinem Tun komisch zu finden und nicht ernst zu nehmen, so als sei es ihm seltsam und neu, ein Zimmer zu mieten und mit Leuten Deutsch zu sprechen, während er eigentlich und im Innern mit ganz anderen Sachen beschäftigt wäre."7

Doch obwohl der Steppenwolf sich selbst in Situationen dieser Art komisch vorkommt, bemüht er sich immer darum, einen anständigen Eindruck zu machen.

Harry hat eine Eigenart an sich, für die Menschen interessant, aber ablehnend zu

wirken. Er ist ein Außenseiter, haßt das bürgerliche Leben, andererseits fühlt er sich dazu hingezogen. Es ist eben nicht seine Welt. Er bewundert zwar die

Korrektheit und Ordnung des Bürgers, aber er verabscheut sie und fühlt sich dadurch eingeengt. Auf der anderen Seite liebt er die Einsamkeit über alles, doch

möchte er auch so gern diese Isolation von den anderen durchbrechen.

,,Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf- schlagender konnte kein andres Bild ihn zeigen, seine scheue Vereinsamung, seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit."8

Abgesehen davon, daß Harry an Gicht leidet, ist sein größtes Leiden psychisch bedingt. Er ist ein ,,Genie des Leidens".9 Er ist ein totaler Pessimist, verachtet seine Mitmenschen, kritisiert sie und schließt sich selbst dabei nie aus. Es ist bei ihm schon eine Krankheit, daß er sich durch seinen Selbsthaß glücklich fühlt.

Im ,,Traktat vom Steppenwolf" erfahren wir Harry Hallers größtes Problem: sein zwiegespaltenes Wesen. Harry ist halb ,, Mensch" und halb ,,Wolf", wobei

das ,, Menschliche" für den Geist und das ,,Wölfische" für das Schlechte steht.

Diese beiden Seelen werden ständig miteinander konfrontiert. Aber hierauf werde ich später im Kapitel ,,Erläuterungen zum Traktat" noch näher eingehen.

4.2 Hermine

Hermine ist das genaue Gegenteil von Harry. Sie ist ein junges, einfaches Mädchen. Ihre Welt sind Tanzlokale und Cafes. Dennoch fühlt sich Harry gleich

von Anfang an zu ihr hingezogen. Bei Ihr findet er Trost und läßt sich von ihr wie ein kleines Kind behandeln. Er läßt sich von ihr befehlen und tut alles für sie.

,,Es tat ungeheuer wohl, jemand zu gehorchen, neben jemand zu sitzen, der einen

ausfragte, einem befahl, einen ausschalt."10

Es kommt sogar so weit, daß Harry Hermines letzten Wunsch erfüllt- sie umzubringen.

Hermine macht Harry klar, daß er ein ,,Kindskopf " ist. Da er sich zum Beispiel darüber aufregt, welche Vorstellungen der Professor über Goethe hat. Dabei hat jeder das recht seine eigene Meinung zu vertreten, auch wenn es dem anderen nicht paßt.

Im Gegensatz zu Harry verachtet Hermine das Bürgertum nicht. Trotzdem versteht sie Harrys Ansichten und Probleme. Sie kann praktisch seine Gedanken lesen. Als sie Harry bittet, ihren Namen zu erraten, und ihm das gelingt, fragt er

Hermine, wie das möglich war. Darauf antwortet sie:

,,Begreifst du das nicht, du gelehrter Herr: daß ich dir darum gefalle und für dich wichtig bin, weil ich wie eine Art Spiegel für dich bin, weil in mir innen etwas ist, was dir Antwort gibt und dich versteht?"11

Hermine bildet Harrys Ergänzung. Sie gibt ihm das, was ihm noch fehlt. Sie zeigt ihm den Spaß am Leben, bringt ihm das Tanzen bei, geht mit ihm einkaufen, stellt ihm den Jazzmusiker Pablo und die schöne Maria vor, in die sich Harry später verliebt.

Hermine führt Harry also ,,in dieser [ihm] so fremden und widerwärtigen, so tief verachteten Welt der Bummler und Vergnügungsmenschen, ..."12ein.

Durch Hermine erfährt Harry zum ersten Mal, was es heißt, jung zu sein.

4.3 Pablo

Pablo ist ein Saxophonbläser, spanischer oder südamerikanischer Herkunft, der einen sehr lockeren Lebensstil pflegt. Angeblich kann er alle Instrumente spielen, und alle Sprachen sprechen, dafür redet er aber sehr wenig. Am Anfang hält Harry

nicht sehr viel von ihm. Er sieht in ihm nur einen jungen hübschen, nichtsnutzigen Frauenhelden. Als ihm Pablo durch Hermine das erste Mal vorgestellt wird, empfindet Harry gegenüber Pablo, der so ganz anders ist als er, eine gewisse Eifersucht,

,, denn er schien [ihm] des Interesses und der auffallenden Auszeichung, ja Verehrung, die sie für ihn zeigte, nicht so recht würdig zu sein."13

Harry ahnt nicht, daß er Pablo schon einmal gesehen hatte. Denn er ist der junge Mann, der ihm den ,,Steppenwolftraktat" überreicht hatte. Pablo ist auch der Besitzer des Magischen Theaters. Wie man sieht, spielt Pablo eine bedeutende Rolle im ,,Steppenwolf".

Für Harry ist Pablo nichts weiter als ,,eine hübsche Null" 14 und keineswegs gebildet. Pablo verhält sich Harry gegenüber aber immer höflich und freundlich, gibt sich sogar Mühe, ihm zu gefallen. Er bemitleidet Harry, diesen seiner Meinung nach unglücklichen Mann, dessen Augen man es ansieht, daß er nicht lachen kann. Pablo versucht am Ende, Harry mit dem Magischen Theater glücklich zu machen.

4.4 Maria

Maria ist Hermines Freundin und führt ein genauso turbulentes Leben wie sie.

Harry lernt sie in einem Tanzcafe kennen und ist sofort bezaubert von ihr.

Sie verbringen auch eine Liebesnacht miteinander.

Es ist verwunderlich, daß Harry sich mit so einem einfachen, ungebildeten Mädchen abgibt, das auch noch so viele andere Männer beglückt. Denn wie er selbst sagt, ,,hätte es [ihm] vorher unmöglich geschienen, ein Mädchen länger als eine Stunde zu lieben, das kaum ein Buch gelesen hatte, kaum wußte, was Lesen ist, und einen Tschaikowsky von einem Beethoven nicht hätte unterscheiden können."15 Trotzdem ,,schien Maria [ihm] die erste wirkliche Geliebte zu sein ."16 Harry liebt sie einfach wegen ihrer Natürlichkeit und der Art, wie sie sich für etwas Einfaches, wie zum Beispiel ,,einem amerikanischen Song"17 begeistern kann. Durch Maria lernt Harry auf unkomplizierte Art zu lieben und jemanden wegen dem zu lieben, was er ist. Im Gegensatz zu Harry lebt Maria in der Wirklichkeit, ist kein Träumer wie Harry, der hohe Bildung braucht und in seiner Bücherwelt versinkt.

4.5 Der Professor

Der Professor ist ein alter Bekannter Harrys, mit dem er sich früher oft über orientalische Mythologie unterhalten hat. Er stellt den idealen Bürger dar, lebt in einer bieder eingerichteten Wohnung, ist konservativ und sehr vaterlandstreu.

,,...er hält Juden und Kommunisten für hassenswert, er ist ein gutes, gedankenloses, vergnügtes, sich wichtig nehmendes Kind..." 18

Der Professor lädt Harry zum Abendessen ein. Harry nimmt die Einladung mit einem unguten Gefühl an. Dieses Gefühl ist berechtigt, denn als Harry vom Professor begrüßt wird, schimpft dieser über einen Zeitungsartikel Harrys, und beruft sich auf ein Hetzblatt, in dem Harry als ,,vaterlandsloser Geselle" 19 bezeichnet wird. Grund ist seine Kritik zur Einstellung der Deutschen zum Krieg.

Harry läßt den Professor im Glauben, ein Namensvetter von ihm habe den Artikel

geschrieben.

5. Der Traktat vom Steppenwolf

5.1 Funktion des Traktats

Der Traktat gibt dem Leser tiefe Einblicke in den Charakter des Steppenwolfs, und man erfährt außerdem viel über Harrys seelischen Probleme.

Man könnte den Namen ,,Harry Haller" auch durch ,,Hermann Hesse" ersetzen, da Hesse in diesem Roman seine seelischen Probleme verarbeitet. Er schrieb den ,,Steppenwolf" nämlich während der Zeit, als er oft mit dem Psychologen Dr. J.B. Lang, einem Schüler C.G. Jungs, verkehrte. Überhaupt ist der ,,Steppenwolf" sehr autobiographisch. Der Traktat ist sozusagen ein ,,Buch im Buch", da er nicht zur

eigentlichen Handlung gehört. Der Traktat ist ein Einschub, der dem Leser das eigenartige Verhalten des Steppenwolfes verständlich machen soll.

,,Die allwissende Erzählhaltung, die sich selber den Anschein der Wahrheit und Glaubwürdigkeit gibt, vermittelt dem Leser zunächst den Eindruck, der Traktat gebe ihm den Schlüssel zum Verständnis des Steppenwolfschicksals an die Hand." 20

Diese ,,innere" Biographie Hallers/Hesses nimmt der eigentlichen Geschichte schon vorweg, was Hallers/Hesses Probleme sind, und wie man sie löst.

5.2 Erläuterungen zum Traktat

5.2.1 Harry Haller: Halb ,,Mensch", halb ,,Wolf"

Wie ich schon in der Charakterisierung Harrys erwähnt habe, ist sein größtes Leiden, daß er zwei Seelen besitzt- also ,,Wolf" und ,,Mensch", die ständig miteinander im Streit leben. Sie stehen sich immer gegenseitig im Weg, kämpfen gegeneinander. Diese Eigenschaft ist auch der Grund dafür, warum Harrys Be-nehmen auf andere oft komisch und gegensätzlich wirkt. Wenn sein ,,Menschsein" zutage kommt, er sich anderen gegenüber freundlich und höflich benimmt, fühlt der ,,Wolf" in ihm sich lächerlich und verspottet den ,,Menschen". Kommt der ,,Wolf" zum Vorschein, zeigt er den Mitmenschen den Haß, den er für sie empfindet. Der Teil ,,Mensch" ist dann der Beobachter, der das wilde Verhal-

ten des ,,Wolfes" verachtet.

Wenn Harry zum Beispiel Stücke von Mozart hört, kommt der ,,Mensch", seine feinfühlige Ader zu Tage. Exemplarisch für sein ,,wölfisches" Verhalten ist, als

er später mit dem Professor über das Portrait von Goethe diskutiert, das nach Harrys Meinung Goethe fälschlicherweise eitel und selbstgefällig darstellt.

Der Umgang mit anderen Menschen fällt ihm schwer, da er immer mißverstanden wird. Denn die, die ihn zuerst als klugen, freundlichen , sensiblen Menschen kennenlernen, werden dann von seinem ,,wölfischen" Wesen abgeschreckt. Aber Harry kann keines seiner beiden Wesen verstecken, da sie untrennbar miteinander verknüpft sind. Diejenigen, die den ,,Wolf" lieben, in dem sie dann doch irgendwann den ,,Menschen" kennenlernen, sind oft von dieser jämmerlichen Erscheinung enttäuscht.

,,Er [der Steppenwolf] war meistens sehr unglücklich, das ist nicht zu leugnen, und unglücklich konnte er auch andere machen, nämlich wenn er sie liebte und sie ihn."21

So gesehen ist Hallers Leben von Leid geprägt. Aber manchmal gibt es auch Momente, in denen ,,Wolf" und ,,Mensch" miteinander harmonieren. Dies sind für Harry wunderbare Momente.

,, Und diese Menschen, deren Leben ein sehr unruhiges ist, erleben zuweilen in ihren seltenen Glücksaugenblicken so Starkes und unnennbar Schönes, der Schaum des Augenblicksglückes spritzt zuweilen so hoch und blendend über das Meer des Leidens hinaus, daß dies kurz aufleuchtende Glück ausstrahlend auch andere berührt und bezaubert. 22

5.2.2 Harry Haller, der Selbstmörder

Harry ist ein Mensch, für den nichts mehr zählt als seine Unabhängigkeit. Er hat es bisher auch immer geschafft, seine Unabhängigkeit zu bewahren. Er hat zwar Freiheit, doch er isoliert sich auch immer mehr von seinen Mitmenschen. Schließlich hat Harry das Gegenteil von dem bewirkt, was er eigentlich wollte:

durch seine Unabhängigkeit glücklicher werden. Aber jetzt ist er vereinsamt und todunglücklich.

Deswegen kann man sagen, daß Harry das ,,Leben eines Selbstmörders" führt.

Hier muß man aber auch wieder zwischen dem ,,echten Selbstmörder" und dem

,,Typ Selbstmörder" unterscheiden, wie es im Traktat erklärt wird. Die ,,echten

Selbstmörder" bringen sich wirklich um. Der ,,Typ Selbstmörder" würde sich nie das Leben nehmen, jedoch führt er ein Leben als würde er kurz vor dem Selbstmord stehen. Zu dieser Gruppe gehört Harry. Er empfindet sein Leben als ein großes Leid. Darum sieht er nur im Tod seine Erlösung. Andererseits würde er

aber auch nie auf die Idee kommen, sich wirklich umzubringen. Das Komische an diesem Menschentyp ist nämlich, daß gerade der ständige Gedanke an Selbstmord ihre Lebenskraft verstärkt. Wenn Harry sich wieder einmal in einer seelischen Krise befindet, tröstet er sich immer mit dem Gedanken, daß er sich jederzeit von seinen seelischen Qualen befreien kann.

Damit entsteht aber auch ein Ehrgeiz zu erfahren, wieviel Leid er zu ertragen im Stande ist. Denn falls er es wirklich nicht mehr aushalten sollte, kann er sich immer noch umbringen. Es entsteht somit auch ein ständiger Kampf gegen die Versuchung zum Selbstmord. Dieser Kampf stärkt aber gleichzeitig Harrys Lebenswillen.

5.2.3 Harry Hallers Verhältnis zum Bürgertum

Harry verachtet das Bürgertum, das fällt schon zu Anfang seines Tagebuches auf.

Einerseits bewundert er den korrekten, ordentlichen Bürger, aber ,,alsdann brennt

in [ihm] eine wilde Begierde nach starken Gefühlen, nach Sensation, eine Wut auf dies abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben und eine rasende Lust, ...einigen Vertetern der bürgerlichen Weltordung das Gesicht ins Genick zu drehen."23

Dann fängt er an, die Gemütlichkeit des Bürgers zu verabscheuen. Harry sieht den Bürger als einen Menschen, der nach einer Mitte zwischen zwei Extremen strebt, also ein Mittelding zwischen der ,,Heiligkeit" und des ,, Wüstlings". Genauer gesagt möchte der Bürger zwar anständig und gottesfürchtig sein, aber nicht gottesbesessen. Auch möchte er ein angenehmes und bequemes Leben führen, sich aber nicht nur einzig und allein seinen Trieben hingeben. Harry kritisiert am Bürger, daß er so ein Durchschnittsmensch ist. Aus Bequemlichkeit geht er Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg und steht nicht zu seinen Idealen, da er Angst hat, aufzufallen und sich von der Masse abzuheben.

Deshalb ist Harry stolz darauf, kein Bürger zu sein. Er hält sich für etwas Besonderes, ,, ein geniemäßig veranlagtes, über die kleinen Normen des Durchschnittslebens erhabenes Individuum."24

Trotzdem ist Harry selbst in mancher Hinsicht auch ein Bürger. Zum Beispiel hat er Geld auf der Bank, kleidet sich anständig und ist immer darauf bedacht, nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Der Steppenwolf ist also ein etwas rebellischer Außenseiter, der doch irgendwie an der Bürgerlichkeit hängt. Harry ist ein Individuum, das beide Extreme durchlebt, sich von den anderen abhebt und die ,,Lämmerherde" verachtet.

5.2.4 Die Bedeutung des Humors für den Steppenwolf

Wie schon gesagt, liegt das Problem des Steppenwolfes darin, daß er sich selbst als Nichtbürger ansieht, sich aber trotzdem nicht vom Bürgertum losreißen kann und deshalb den ,, Schwung in den freien Weltraum" 25 nicht schafft. Außerdem ist er von beiden Extremen, also vom ,,Heiligen" und vom ,,Wüstling" hin- und hergerissen.

Zur Lösung des Problems nennt der Traktat den Humor, da der ,,stets bürgerlich bleibt" und mit ihm ist es dem Steppenwolf möglich, beide Extreme zueinander

zu bringen und ,,den Bürger in die Bejahung mit einzubeziehen."26

Der Steppenwolf könnte sich von seinem seelischen Leiden befreien, wenn er sich selbst nicht zu ernst nehmen würde. Er wäre dann zwar immer noch an das Bürgerliche gebunden, aber wenigstens wäre das Leben für ihn erträglicher. Der

Humor ist nur ein Kompromiß, der es Harry ermöglicht, ein seelisches Gleichgewicht zu erlangen.

,, In der Welt zu leben, als sei es nicht die Welt, das Gesetz zu achten und doch über ihm zu stehen, zu besitzen, als besäße man nicht, zu verzichten, als sei es kein Verzicht- alle diese beliebten und oft formulierten Forderungen einer hohen Lebensweisheit ist einzig der Humor zu verwirklichen fähig." 27

Der Steppenwolf muß seine Fehler und Schwächen eingestehen, muß den Mut haben, in seine Seele zu blicken und versuchen, sich seiner selbst bewußt zu werden. Wenn ihm dies gelingt, kann er den ,,Sprung ins Weltall" schaffen und

,,unsterblich" werden.

,,Dieser Humor ist allerdings nur möglich, wenn sich das Individuum anschickt, die Konflikte in seinem Inneren zu lösen." 28

Der Traktat bietet drei Möglichkeiten zur Selbstbekenntnis: die Selbstbe-

spiegelung, die Begegnung mit dem Unsterblichen und das Magische Theater.

Pablo gibt Harry am Schluß des Romans die dritte Möglichkeit, aber Harry nutzt sie nicht.

In einem Brief an Alfred Kubin aus dem Jahre 1932 definiert Hesse Humor

,,als etwas verflucht Dorniges und Hartes." 29

5.2.5 Die Vielschichtigkeit des Menschen

Am Ende des Traktats wird Harry klargemacht, daß es falsch ist, sich selbst als ein zweigeteiltes Wesen zu sehen. Er lebt zwar geistig in einer Welt von

,,Gedanken, Gefühlen und Kultur" und hat als ,,Wolf" eine raubtierhafte Natur,

dennoch gibt es Momente, in denen diese beiden vereint sind. Harry hat mehr als zwei Seiten, wie jeder andere Mensch. Es ist ein natürlicher Irrtum des Menschen,

sein Ich als eine Einheit vorzustellen, denn er ist nicht fähig, so abstrakt zu denken.

Ein zweiter Grund, warum die Menschen ihre seelische Vielfältigkeit nicht sehen

können/wollen ist, daß falls einer zur Erkenntnis seiner Vielfältigkeit käme

und es laut ausspräche, die anderen ihn für verrückt erklären würden. Es ist wenigstens schon ein Fortschritt, daß Harry erkannt hat, nicht nur ein Ich zu besitzen. Aber der Steppenwolf ist lediglich eine Einbildung, denn der Mensch ist

nicht etwas Vollendetes, sondern ,, eine Forderung des Geistes" 30

Harrys Problem liegt darin, sich als Körper mit zwei Seelen zu sehen, die er als

Last empfindet. Er meint, sein Körper sei zu klein für diese zwei Seelen. Aber er ahnt nicht, daß er tausende von Seelen hat. Ihm ist nicht bewußt, daß er seine anderen Eigenschaften in zwei Gruppen ordnet, die eigentlich nicht dorthin gehören. Harry muß den ,, Weg des Unsterblichen" 31 gehen, das heißt, sein

wahres, vielfältiges Ich suchen. Das allerdings fällt ihm schwer, da der Weg viel Leid und schmerzliche Vereinsamung kostet. Jedoch wird er nur so zum richtigen Menschen.

Jedes menschliche Wesen besitzt eine gewisse Vielfalt, deshalb muß jeder einen Weg finden, die vielen Seelen miteinander zu vereinigen. Der Mensch muß dabei seinen Leidenschaften freien Lauf lassen können, was ihm aber meist nicht gelingt, da die Gesellschaft ihn daran hindert. Für Harry ist der Weg zur

,,Menschwerdung" schwierig, so daß er sich das Bild vom Steppenwolf einredet.

Man merkt, daß der Traktat viel von der fernöstlichen Philosophie beinhaltet.

So schrieb Martin Rockenbach:

,,Der Weg des Buddha wird wiederum von Hesse als die Erlösung des Menschen hingestellt. Rückkehr ins All, Aufhebung der leidvollen Individuation, Gottwerden bedeutet: seine Seele so erweitert haben, daß sie das All wieder zu umfassen vermag." 32

6. Das Magische Theater

Das Magische Theater wurde schon im Traktat als Möglichkeit zur Selbst-

begegnung erwähnt. Es zeigt Harry seine Seele, eine Welt ohne Zeit, in der Harry sich vom Steppenwolf befreien soll. Endlich ist er bereit für seine Reise ins Ich.

Harry wird von Pablo in einen Opiumrausch versetzt, und jetzt, mit dem Eintritt ins Magische Theater, ,,hat der Prozeß der Ich-Zerstörung und neuen Ich-Werdung

seinen Höhepunkt erreicht." 33

Das Magische Theater kann man zweifach deuten. Auf der oberflächlichen Ebene

ist es nur eine Halluzination im Opiumrausch, ein wirrer Traum. Auf der tieferen Ebene ist es, wie schon gesagt, die Seelenwelt Harrys. Pablo erklärt:

,, Sie wissen ja, wo diese andere Welt verborgen liegt, daß es die Welt Ihrer eigenen Seele ist, die Sie suchen. Nur in Ihrem eigenen Innern lebt jene andre Wirklichkeit, nach der Sie sich sehnen. Ich kann Ihnen nichts geben, nur die Gelegenheit, den Anstoß, den Schlüssel. Ich helfe Ihnen Ihre eigene Welt sichtbar machen, das ist alles." 34

Harry wird in die Mitte des Theaterkorridors geführt, wo nach beiden Seiten der Gang zu mehreren Türen mit verschiedenen Aufschriften führt. Zuerst hält Pablo

ihm einen Handspiegel vor. Harry soll sein Spiegelbild auslachen, um seine Persönlichkeit zu vernichten. Plötzlich wird der Spiegel grau und undurchsichtig.

Dann stellt sich Harry sich vor einen zweiten Spiegel, aus dem viele verschiedene

Harrys herausspringen, die alle für seine vielfältigen Persönlichkeiten stehen.

Er muß nun verschiedene Türen öffnen. Hinter der ersten , mit der Aufschrift

,, Auf zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile", trifft Harry seinen Jugendfreund Gustav, mit dem er an einem Kampf zwischen Menschen und Maschinen teilnimmt. Auf einmal erfährt der überzeugte Kriegsgegner Haller

Zerstörungswut und die Lust am Töten. Im Moment wird Harry also vom

,,Wolf" beherrscht.

Hinter der nächsten Tür ,,Anleitung zum Aufbau der Persönlichkeit" trifft Harry

einen Schachspieler, dem Pablo sehr ähnlich sieht. Dieser führt ihm das Spiel von

den vielen Möglichkeiten seines Lebens vor. Er versucht Harry klarzumachen, daß tausende von Einzelseelen in ihm stecken, mit denen er ,,spielen" muß. Aber Harry ist noch nicht fähig, das Spiel zu spielen. Stattdessen geht er in einen Raum,

in dem er die ,,Wunder der Steppenwolfdressur" erlebt. Zuerst sieht er, wie ein

Dompteur einen Wolf Kunststücke vorführen läßt. Danach werden die Rollen getauscht, und der Wolf dressiert den Menschen. Diese Szene soll den inneren Seelenkonflikt Harrys, also den Konflikt zwischen ,,Mensch" und ,,Wolf" verdeutlichen.

In ,, Alle Mädchen sind dein" trifft Harry noch einmal alle Frauen, in die er in seinem Leben unglücklich verliebt war, und bekommt eine zweite Chance, sie alle zu erobern. Er kann nun alles, was er in seiner Jugendzeit verpaßt hat, nachholen.

Mit ,,Wie man durch Liebe tötet" endet Harrys Reise ins Ich. Er erinnert sich, daß Hermine einmal gesagt hat, sie werde ihn in sich verliebt machen, um von ihm getötet zu werden. Harry erschrickt und möchte seine Schachfiguren aus der Tasche holen, doch plötzlich hat er ein Messer in der Hand. Ab jetzt beginnt die Prüfung der Unsterblichen. Sie ,,fordert ihn [Harry] auf, die Zeit, die Wirklichkeit in der Illusion zu besiegen." 35 Denn nun sind die Unterschiede zwischen Illusion und Wirklichkeit nicht mehr zu erkennen.

Entsetzt flieht Harry aus dem Zimmer und trifft Mozart (oder Pablo?), mit dem er über klassische Musik diskutiert. Die Begegnung mit diesem ,,Unsterblichen" wirkt auf Harry sehr ernüchternd, da Mozart ihm klarmacht, daß nur der Humor ihn retten und auch ,,unsterblich" machen kann.

,,Im Feuerwerk Mozartschen Lachens spürt Haller zum ersten mal etwas von der dünnen Eisluft und der eisigen Heiterkeit der Unsterblichen. Er spürt zugleich, daß er den Unsterblichen, denen er sich für Augenblicke so nahe glaubte, niemals gleich werden könne."

Langsam läßt die Wirkung des Opiums nach. Harry geht an Türen vorbei, die keine Aufschriften mehr tragen. Hinter der letzten Tür sieht er Hermine und Pablo, vom Liebesspiel erschöpft, schlafend auf dem Boden liegen. Mit dem Messer ersticht Harry Hermine und hat damit ihren Wunsch erfüllt.

Wahrscheinlich hat er sie im ersten Moment aus Eifersucht getötet. Aber nachher wird ihm klar, daß er somit auch ,, die Seelenkraft in sich, die zum Leben führt, gemordet hat." 37 Denn Hermine war die ,,Sonne" in seinem Leben, durch sie hat er gelernt zu lieben und ein ,,Mensch" zu sein.

Plötzlich betritt Mozart den Raum, schaltet einen Radioapparat an, wovon Harry ganz entsetzt ist.

,,Mein Gott, rief ich entsetzt, was tun Sie, Mozart? Ist es Ihr Ernst, daß Sie sich und mir diese Schweinerei antun? Daß Sie diesen scheußlichen Apparat auf uns loslassen, den Triumph unsrer Zeit, ihre letzte siegreiche Waffe im Vernichtungskampf gegen die Kunst? Muß das sein, Mozart?" 38

Mozart lacht Harry aus und sagt ihm, er solle nicht alles so ernst nehmen.

Am Ende wird Harry von der Jury der Unsterblichen angeklagt, weil er die Illusion mit der Wirklichkeit verwechselt hat. Die Strafen: ewiges Leben, zwölf-

stündiger Ausschluß aus dem Magischen Theater, und einmal ausgelacht werden.

Nun erkennt Harry, daß Mozart Pablo ist. Pablo erklärt: ,,Sie sollen leben, und Sie sollen das Lachen lernen." 39 Jetzt hat Harry verstanden, und er wird auch bald geheilt sein, da er bereit ist, das Spiel (des Lebens) noch einmal zu spielen, die Hölle seines Inneren noch einmal zu durchwandern, in der Hoffnung, daß er das Figurenspiel dieses mal gewinnen wird und das Lachen lernt.

‚,Humor und die Nachfolge der Unsterblichen- so begreift Haller jetzt- sind nicht, wie im Traktat dargestellt, strenge Alternativen und implizieren weder eine Vernunftehe mit der Bürgersphäre noch ein tragisches Scheiten; die Unsterblichen sind humorige Naturen und haben bei aller psychischen Differenziertheit ein versöhnliches Verhältnis zur Endlichkeit von Ich und Welt." 40

7. Kritik an der Gesellschaft des 20. Jahrhunderts

7.1 Zivilisationskritik

Hermann Hesse, alias Harry Haller, kritisiert im ,,Steppenwolf" die moderne Gesellschaft und ihre technisch orientierte Welt. Er glaubt, daß die Gesellschaft geistig verkümmert ist. Der von der humanistischen deutschen Bildungstradition geprägte Haller sieht ,,die technischen und kulturellen Entwicklungen seiner eigenen Zeit, ... lediglich als Verfallserscheinungen." 41

Haller lehnt technische Errungenschaften ab, die ,,seine" Kunst und Kultur verderben. Dies wird besonders an der Stelle deutlich, als Mozart im Magischen Theater das Radio anschaltet und Haller hierüber ganz entsetzt ist.

Musik ist für ihn die ,,goldene göttliche Spur", die ihm ,,die Tür zum Jenseits" 42

öffnet. Seiner Meinung nach wird Musik durch ihre technische Vervielfältigung geschändet. Er meint, daß Musik den Menschen zu sich selber führt und sogar auf den Weg des Göttlichen. Er verachtet deshalb die Menschen, die Musik nur zum Vergnügen hören, da diese sie angeblich nicht richtig zu schätzen wissen.

Die ,,Untergangsmusik" des Jazz sei ,,mit Bach und wirklicher Musik verglichen, eine Schweinerei." 43

In der Szene ,,Auf zum fröhlichen Jagen! Hochjagd auf Automobile" wird besonders deutlich, wie sehr Hesse die Technisierung der Welt ablehnt. Denn wie schon erwähnt, geht es hier um den Kampf zwischen Maschine und Mensch.

Die bedeutenden Vertreter für ,,Kultur" , ,,Geist", ,,Seele", ,,das Reich des Echten"44 sind für Haller Mozart und Goethe. Hierin sieht man in Haller einen weiteren Widerspruch, nämlich daß er der neuen ,,Scheinkultur", die Kultur des bürgerlichen Bildungsideals entgegensetzt, obwohl er das Bürgertum doch so sehr verachtet.

Im Gespräch zwischen Harry und Mozart im Magischen Theater zur Weltanschauung spürt man wieder seine heftige Kritik an Technik und moderner Kultur.

,,Wenn Sie dem Radio zuhören, so hören und sehen Sie den Urkampf zwischen Idee und Erscheinung, zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Göttlichem und Menschlichem. Gerade so, ... wie das Radio die herrlichste Musik der Welt zehn Minuten lang wahllos in die unmöglichsten Räume wirft, ... gerade so schmeißt das Leben, die sogenannte Wirklichkeit, mit dem herrlichsten Bilderspiel der Welt um sich. ... Das ganze Leben ist so, ... und wir müssen es so sein lassen, und wenn wir keine Esel sind, lachen wir dazu. Leuten von ihrer Art steht es durchaus nicht zu, am Radio oder am Leben Kritik zu üben. Lernen Sie lieber erst zuhören!" 45

Man spürt die intolerante Einstellung Hallers, der oft vom Leben enttäuscht worden ist. Hier fordert ihn Mozart auch nochmals dazu auf, mehr Toleranz und Humor zu zeigen, anstatt alles schlecht zu machen.

7.2 Warnung vor dem Krieg

Hesse kritisiert in seinem Roman nicht nur die moderne Kultur, sondern auch die politische Einstellung der Gesellschaft. Der Kriegsgegner Hesse wurde schon während des Ersten Weltkrieges als Vaterlandsverräter beschimpft, obwohl er nur

,,gelegentlich zu Ruhe, Geduld, Menschlichkeit und Selbstkritik gemahnt" 46 hatte. Hesse (Haller) macht es traurig, daß seine Landsleute von den Zeitungen

,,verhetzt, unzufrieden und böse gemacht" 47 werden. Der ,,Steppenwolf" ist also auch eine Warnung vor dem Krieg. Hesse glaubt, der Krieg habe seinen Ursprung im Denken der Bürger. Der Bürger wolle zwar keinen Krieg, liebe den Frieden, aber im Kriegsfall fühle sich der Bürger seinem Vaterland verpflichtet und teile stürmisch die Begeisterung am Kampf.

Hesse, der von den Kritikern aufgrund seiner ständigen Warnungen vor dem Krieg belächelt wurde, schrieb einmal in einem Brief an Erhard Bruder:

,,Auch Sie, wie alle meine Kritiker, finden es eine rein subjektive Schrulle oder Empfindlichkeit, daß Harry immer noch an den alten Kriegsgeschichten zu kauen hat. Ja, für mich ist der Krieg mit seinen vier Jahren Mord und Unrecht, mit seinen Millionen Leichen und seinen zerstörten herrlichen Städten keine alte Geschichte, die jeder Vernünftige doch Gott sei Dank längst vergessen hat, sondern er ist, weil ich die Bereitschaft zu seiner Wiederholung in tausend Zeichen überall atme, sehe, fühle, rieche, für mich wahrlich eine mehr als ernste Angelegenheit. [...]". 48

8.2 Hermann Hesse- Vorbild der Jugend in den 70er Jahren

Hesses ,,Steppenwolf" hatte eine starke Wirkung auf die Jugend der 70er Jahre, also in der ,,Hippie-Zeit", in der stark gegen die "spießigen" Erwachsenen rebelliert wurde. Die Jugendlichen fühlten sich von dem Roman auch deshalb besonders angesprochen, weil die Hauptperson Krisen durchlebt, die wohl in der Pubertät vorhanden sind. Die Hauptperson Harry Haller ist auf der Suche nach seinem Ich und darum bemüht, sich selbst zu verwirklichen. Obwohl Harry ein Mann von fünfzig Jahren ist, fühlt er sich wie ein hilfloses Kind, das noch viel lernen muß. Wie ein Jugendlicher macht Harry verschiedene Stadien der Entwicklung zu einem ,,richtigen" Mann durch. Er sammelt Erfahrungen, versucht sein Bewußtsein zu erweitern, selbstsicher zu werden.

Wie viele Jugendliche zu der Zeit, haßt Harry das Konventionelle, verachtet den Krieg und folgt einem weltverbesserlichem Ideal. Aber später kommt er zu der Erkenntnis, ,,daß es nicht damit getan ist, Krieg und Technik, Geldrausch, Nationalismus und all die Phänomene, die ihm hassenswert erscheinen, für minderwer-

tig zu erklären, sondern daß hinter den Erscheinungen die zeitlosen Ideen stehen, daß sich über allem Triebhaften, Chaotischen eine zweite, höhere, überpersön-

liche, überzeitliche Glaubenswelt erhebt."53

Außerdem war in den 70er Jahren das Interesse an fernöstlicher Philosophie sehr groß, von der der ,,Steppenwolf" stark geprägt ist.

Somit wurde Hesse ein Idol der Jugend in den 70er Jahren, die sich von ihm mit ihren Problemen verstanden fühlte.

,,Zweifellos sind es seine völlige innere Freiheit, sein niemals Festgelegtsein, sein humanes Offenbleiben für alle Fragen des Lebens, die ihn als einen Freund und Vertrauten jugendlicher Menschen erscheinen lassen."54

8.3 Von Drogen

Oft wurde behauptet, Hesse habe den ,,Steppenwolf" im Drogenrausch geschrie-

ben. Dieser Verdacht wurde durch das Magische Theater verstärkt, da Harry Haller seine bizarren Erlebnisse im Opiumrausch wahrnimmt. Außerdem trinken Harry, Hermine und Pablo am Anfang einen geheimnisvollen Likör und rauchen Zigaretten.

Timothy Leary schrieb in seinem Essay ,,Hermann Hesse, the Poet of the Interior Journey":

,,Es scheint klar, daß Hesse ein psychedelisches Erlebnis beschreibt, einen durch Drogen herbeigeführten Verlust des Selbst, eine Reise in die innere Welt. ...So erlebte Harry Haller, der Steppenwolf, seine psychedelische Sitzung und entdeckte statt einer Realität unendliche Realitäten in seinem Gehirn. ... Auf einer anderen Ebene ist Hesse der Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis und seiner Anwendung. Vor deiner LSD-Sitzung solltest du <Siddharta> und <Steppenwolf> lesen. Der letzte Teil des Steppenwolfs ist ein unschätzbares Lehrbuch."55

Es konnte jedoch nie bewiesen werden, daß Hesse wirklich Drogen genommen hatte. Die meisten Kritiker hielten die Behauptung auch für sehr unwahrschein-

lich.

9. Abschließender Kommentar

Obwohl der ,,Steppenwolf" mehr eine Selbstanalyse Hermann Hesses ist, und der Autor in dem Roman seine seelischen Probleme verarbeitet hat, glaube ich, daß jeder einzelne etwas daraus lernen kann.

Da stimme ich Hesse ganz zu: Es ist naiv, sich nach dem Lesen des Romans, gleich als Steppenwolf zu sehen. Ich finde, das Wichtigste, was man sich vom ,,Steppenwolf" merken sollte ist, daß jeder Mensch vielfältig ist. Die Gesellschaft formt uns und hindert uns oft daran, uns selbst zu verwirklichen. Wir selbst eig-

nen uns bestimmte Eigenschaften an und glauben, das sei alles, was in uns steckt.

Stattdessen sollten wir nach unseren anderen Seiten suchen und die guten hervorheben. Wenn wir diese finden, können wir uns selbst verwirklichen und im Leben weiterkommen. Dabei müssen wir auch den Mut haben, zu uns selbst zu stehen und uns von anderen nichts sagen zu lassen.

Einen weiteren Gedanken, den ich wichtig finde, ist der, daß wir Fehler nicht nur bei den anderen, sondern zu allererst auch bei uns selbst suchen müssen.

Der ,,Steppenwolf" hat mich sehr angesprochen, und ich würde ihn auch weiter-

empfehlen.

Der Steppenwolf ist ein 1927 erschienener Roman von Hermann Hesse.

Erstauflage von 1927

Der Steppenwolf ist die Geschichte eines tiefen seelischen Leidens der Hauptfigur Harry Haller, eines Alter Egos Hermann Hesses. Haller leidet an der Zerrissenheit seiner Persönlichkeit: Seine menschliche, bürgerlich-angepasste Seite und seine steppenwölfische, einsame, sozial- und kulturkritische Seite bekämpfen sich und blockieren Hallers künstlerische Entwicklung. Der Weg der Heilung ist die Versöhnung beider Seiten im Humor, im Lachen über sich selbst und das Ungenügen in Kultur und Gesellschaft. Erst mit der Betrachtung der Wirklichkeit vom Standpunkt des Humors werden Hallers weitere, im Roman nicht mehr beschriebene Schritte auf dem Weg seiner künstlerischen Vollendung möglich.

Ähnlichkeiten der Figur Hallers zum Faust von Johann Wolfgang von Goethe sowie zu Hermann Hesse selbst sind offensichtlich und werden im Text mehrfach angedeutet.

Rezension

Der Steppenwolf hatte einen wesentlichen Anteil an der Begründung des Weltrufes seines Autors und war mit Anlass für die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Hesse. Nach der Herausgabe wurde das Werk jedoch sehr widersprüchlich beurteilt: Einerseits erfuhr es scharfe Ablehnung, andererseits begeisterte Zustimmung - diese vor allem in literarischen Kreisen und später in der Hippie-Bewegung. In Amerika verbannten „selbst ernannte Sittenwächter“ den Steppenwolf aus Bibliotheken. In Colorado wurde dem Roman vorgeworfen, er propagiere „Drogenmißbrauch und sexuelle Perversionen“.[1] Durch diese Kontroversen hat gerade dieses Buch die neue umfangreiche Hesse-Rezeption der 1960er- und 1970er Jahre in Amerika und Deutschland ausgelöst.

Entstehungssituation

Als Hesse den Steppenwolf schrieb, litt er unter den Auswirkungen der technisch-rationalisierten Welt und der Zivilisation, durch die er Geist und Seele der Menschen gefährdet sah. Das Gefühl der Bedrohung durch nahe Katastrophen und neue Kriege ließ ihn nicht los.

Hesse befand sich in einer tiefen persönlichen Krise, als er fast 50-jährig in sein Tagebuch schrieb: „Ich schmeiße alles hin, mein Leben, […] ich alternder Mann. Auf eure Welt anders zu reagieren als durch Krepieren oder durch den Steppenwolf wäre für mich Verrat an allem, was heilig ist.“ Wie der Autor selbst, so überlegt Harry Haller, die Hauptperson des Romans, sich umzubringen. Im Tractat vom Steppenwolf legt der Steppenwolf seinen 50. Geburtstag als den möglichen Tag fest, sich umzubringen. „Ich nahm mir vor, dass ich an meinem 50. Geburtstag, also in zwei Jahren, das Recht haben werde, mich aufzuhängen.“ Die Initialen H. H. des Protagonisten sind sicherlich absichtlich gewählt und identisch mit denen des Autors selbst.

Um seine Lebenskonflikte zu bewältigen, hatte Hermann Hesse parallel zur Niederschrift des Steppenwolfs therapeutische Sitzungen mit dem befreundeten J. B. Lang, einem Psychoanalytiker aus der Schule C. G. Jungs.[2]

Inhalt

Der annähernd 50 Jahre alte Harry Haller lässt sich für zehn Monate in einer größeren Stadt nieder, die er vor 25 Jahren schon einmal besucht hat. In dieser erzählten Zeitspanne überwindet er seine tiefe Depression und seinen Gesellschaftsekel durch einen „Lernprozess“ unter Anleitung neuer Freunde.

Das Vorleben der Hauptfigur wird nur sehr kurz und beiläufig dargestellt: Haller ist (klein-)bürgerlich kultiviert aufgewachsen, hat einen Beruf im weiten Feld der Beschäftigung mit Dichtung, Musik und Philosophie ausgeübt, ist als Autor von Büchern und als Kenner Mozarts und Goethes hervorgetreten, seine pazifistischen Ansichten sind in der Öffentlichkeit bekannt. Er hat mehrere nur angedeutete Schicksalsschläge hinnehmen müssen: Das eine Mal verlor er Ruf und Vermögen, das andere Mal verlor seine Frau den Verstand und verließ ihn. Danach konzentriert er sich auf seinen Beruf, bis er auch darin keine Befriedigung mehr findet und eine Phase wilder, anstrengender Reisen beginnt. Wir treffen ihn nach dieser Phase der Reisen, in der er „beruflos, familienlos, heimatlos“ geworden und immer noch unterwegs ist.

Hallers Vorstellungen vom Glück sind durch die wenigen Freudenstunden bestimmt, in denen er „Wonne, Erlebnis, Ekstase und Erhebung“ durch Dichtung oder Musik erlebt hat, Momente, in denen er „Gott an der Arbeit gesehen“ hat. Er sehnt sich nach dem Wiederfinden „einer goldenen göttlichen Spur“, die er durch die ihn umgebende bürgerliche Ordnung verdeckt und zerstört sieht. Die Teilhabe an dieser göttlichen Welt strebt er auch durch eigene Werke an, die ihm aber wegen des Kampfes seiner beiden Seelen gegeneinander nicht gelingen.

Denn Haller erlebt sich als „Steppenwolf“, als ein Doppelwesen: Als Mensch ist er Bildungsbürger, an schönen Gedanken, Musik und Philosophie interessiert, hat Geld auf der Bank, ist Anhänger von bürgerlicher Kultur und von Kompromissen, Träger bürgerlicher Kleidung und mit normalen Sehnsüchten - als Wolf ist er ein vereinsamter Zweifler an der bürgerlichen Gesellschaft und Kultur, der sich für „ein den Bürgern überlegenes Genie“, einen Außenseiter und politischen Revolutionär hält. Vereinfacht ist sein Gegensatz von Mensch und Wolf der von Geist und Trieb.

Haller entdeckt in seinem Lebensweg zwar eine Verbindung von Schicksalsschlägen mit einem Gewinn an Einsicht und Tiefe, aber gleichzeitig auch an Einsamkeit und Verzweiflung. Er beschäftigt sich mit seinem Selbstmord, beschließt sogar, ihn möglicherweise an seinem 50. Geburtstag ohne zusätzlichen äußeren Anlass auszuführen (obgleich schon diese Gewissheit eines letzten Notausgangs die Tiefe seines Leidens etwas mildert).

Haller scheint zwischen zwei Zeiten, zwei Kulturen und Religionen eingeklemmt, von denen die bürgerliche ihn mit ihrer Langeweile, Korruption und Kriegshetze, die andere Kultur ihn aber durch Einsamkeit, Verzweiflung und das Leben eines „Steppenwolfs“ nicht minder erstickt. Die bürgerliche Ordnung seiner Zimmervermieterin hat aber trotz seiner antibürgerlichen Einstellung eine große Anziehungskraft: Der Geruch von Stille und Sauberkeit, die sorgfältige Gestaltung eines Treppenabsatzes durch eine Araukarie sind Ruhepunkte in seiner Verwirrung und Labsal in diesen Tagen seines Seelensterbens.

Etwa in der Mitte des Romans trifft er in der Stadt seines zeitweiligen Aufenthalts die so androgyne wie verständnisvolle Hermine in einem Tanzcafé, die ihn zunächst vage an einen „Hermann“ von früher erinnert, vielleicht aber auch nur Hesses weibliches alter ego ist. Hermine ist eine jüngere Frau und Gelegenheitsprostituierte, die sich damit durchschlägt, auszuhelfen und damit, ausgehalten zu werden. Für Haller ist sie eine (Ver-)Führerin zu neuen Erfahrungen - wie einst Vergil für Dante. Haller und Hermine bezeichnen sich als „Geschwister“, Hermine sieht sich als einen Wesensspiegel, der Hallers Wünsche aufnimmt und beantwortet, eine Seelenverwandte, die ihm als eine „Kurtisane“ das Tanzen zu neuen Rhythmen und lachen und leben lehrt. Ihre wichtigste Lehre für Haller ist, dass er sein Glück selbst in die Hand nehmen müsse: „Wie kannst du sagen, du habest dir mit dem Leben Mühe gegeben, wenn du nicht einmal tanzen willst?“

Hermine besteht darauf, dass er ihr gehorcht und kündigt ihm schon bei ihrem ersten Rendezvous an, dass er sie einst werde töten müssen. Sie scheint nicht nur ihr Schicksal, sondern auch seines zu kennen und erklärt ihm, dass sie beide zu den wirklichen, echten, anspruchsvolleren Menschen gehörten, denen „mit einer Dimension zu viel“, die sie zu den „Heiligen“ rechnet, zu denen sie sich und Haller auf dem Weg sieht.

Hermine legt Haller bald aus pädagogischen Gründen seiner Nachreifung Maria ins Bett, eine schöne Frau und Kollegin Hermines. Haller mietet für ihre Liebesspiele eine kleine Wohnung und entdeckt mit ihr erstmals körperliche Wonnen. Aber schon bald treibt es Haller über seine neue Zufriedenheit hinaus, er sehnt sich nach neuem Leiden, das ihn zum Sterben willig und bereit für den ersten Schritt in eine neue Entwicklung macht. Ohne äußere Not nimmt er Abschied von Maria: „Es wurde bald Zeit für mich, weiterzugehen.“

Haller besucht spät abends einen Maskenball, der in einem großen Gebäude mit vielen Sälen, Korridoren und Geschossen stattfindet. In dem Getümmel findet er Hermine nicht, doch wird ihm ein Hinweis auf ein magisches Theater zugesteckt, das morgens um vier in dem als Hölle dekorierten Kellergeschoss stattfindet. Dort trifft er Maria wieder - und die als Mann verkleidete Hermine, in der er „nur wenig umfrisiert und leicht geschminkt“ seinen Jugendfreund Hermann erkennt und wieder ihrem/seinem „hermaphroditischem Zauber“ erliegt. Hermine/Hermann und Haller tanzen als „Nebenbuhler“ mit den gleichen Frauen - „alles war Märchen, alles war um eine Dimension reicher, um eine Bedeutung tiefer, war Spiel und Symbol.“

Haller widerfährt in der Hölle eine mehrfache Persönlichkeitsveränderung: Er erlebt den Untergang des Individuums in der Menge, seine „unio mystica“ der Freude, er sieht plötzlich sein alter ego Hermine als „eine schwarze Pierette mit weißgemaltem Gesicht“, sie tanzen einen „Hochzeitstanz“ und aus ihren/seinen Augen „blickte meine arme kleine Seele mich an.“ Mit dieser mystischen Vereinigung beginnt die letzte Phase der Verwandlung: Hermine, Pablo, ein Musiker und Freund Hermines, und Haller nehmen gemeinsam Drogen ein und mit deren Wirkung öffnet sich der Bildersaal in Hallers Seele, das seit langem gesuchte „Magische Theater“, in welchem es „nur Bilder [gibt], keine Wirklichkeit“: Haller findet sich in einem hufeisenförmigen Korridor eines Theaters mit lockenden Inschriften an unzähligen Logentüren wieder, hinter denen sich die Ereignisse abspielen, die Haller das Lachen lehren sollen. Als sechstes seiner Erlebnisse tritt Haller mit dem Fuß einen Spiegel in Scherben und gerät in eine Loge, in der Pablo und Hermine vom Liebesspiel erschöpft nackt auf dem Boden liegen. Haller stößt ein Messer in das Mal eines Liebesbisses unter Hermines linker Brust und Hermine scheint zu verbluten.

Haller kommen seine hymnischen Verse über die Unsterblichen in den Sinn, Mozart tritt in die Loge und bedient sich des Radios, um Händels Musik zu hören - für Haller fast ein Sakrileg, für Mozart nur ein Anlass zum Lachen über den Kampf zwischen göttlicher Idee und profaner Erscheinung: Haller müsse das Lachen lernen, den Humor, der immer nur Galgenhumor sein könne. Für sein Verbrechen der (angekündigten und doch nicht wirklich vollzogenen) Ermordung Hermines wird Haller zur Strafe des ewigen Lebens und des einmaligen Ausgelachtwerdens verurteilt, weil er mit Messern gestochen (und nicht über sich und seine Eifersucht gelacht) habe. Haller ist optimistisch, dieses Spiel beim nächsten Mal besser spielen zu können.

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Aufbau

In seinem ersten Teil lässt der Roman drei verschiedene Erzähler zu Wort kommen: Da ist erstens das Vorwort des Herausgebers, in dem der Neffe der Hauswirtin Hallers seinen persönlichen Eindruck vom Steppenwolf schildert; zweitens die Aufzeichnungen Harry Hallers selbst, in denen dieser seine eigenen Erlebnisse schildert, und drittens das Traktat vom Steppenwolf, in dem der Steppenwolf kühl und objektiv aus der Sicht scheinbar Außenstehender analysiert wird, wobei die Außenstehenden die Unsterblichen sind. Diese Abhandlung ist wie eine „innere Biographie“, eine Psychoanalyse eines olympischen Erzählers, quasi ein Buch im Buch, das der Protagonist selbst liest. Danach werden seine Aufzeichnungen fortgesetzt. (Die Technik, sich fiktiv als Herausgeber fremder Schriften auszugeben, verwendet Hesse auch in anderen Werken.)

Nur in der Erstausgabe gesondert gebundenes Traktat vom Steppenwolf

Schon mit seinen drei verschiedenen Erzählern, die sich aus drei Perspektiven nahezu mit derselben erzählten Zeit der Hauptfigur befassen, war der Roman eine kompositorische Innovation. Hesse war dieser dreifache Erzähler so wichtig, dass er das Traktat in den ersten Ausgaben des Romans sogar als separate gelbe Broschüre einheften ließ. Der „bürgerlichen“ Sichtweise des „Herausgebers“ auf Gesellschaft, Kultur und Harry Haller „von außen“ steht zunächst nur die Sicht Hallers auf seine Freud- und Erfolglosigkeit, die innere Sichtweise, gegenüber. Die Geistverehrung der einen und das Leiden an der Geistlosigkeit seiner Zeit in der anderen Sichtweise werden erst in der Perspektive des Traktats zueinander aufgehoben: Es untersucht wie in einem „biografischen Labor“ die Bedingungen, unter denen Haller künstlerisch wieder produktiv werden und den Weg zur eigenen Unsterblichkeit fortsetzen könnte.

Diese drei gleichberechtigten Sichtweisen auf die Hauptfigur bilden den ersten Teil des Romans, umreißen das Thema der Identität und ihrer Entwicklung. Die dann folgenden beiden Teile des Romans untersuchen, wie die Aufhebung der einseitigen Sichtweisen, deren innerer Kampf Hallers Fortschreiten hemmt, in der gelebten Biografie aussehen könnte:

Im zweiten Teil, der Durchführung, verdichten sich Hallers Erfahrungen zu einer Lebensalternative: Nach der Exposition der drei Perspektiven, gewissermaßen der Skizze des Problems und der Skizze einer Lösung, entfaltet sich die Hauptfigur nun mit den drei neuen Freunden Hermine, Maria und Pablo, die als Personifikationen innerweltlicher Sehnsüchte oder Schicksale Hallers gelesen werden können. Vor allem die Figur der Hermine wird zu einem weiblichen alter ego Hallers/Hesses, da sie sowohl sein Seelenspiegel ist als auch später ihr Geschlecht zu einem „Hermann“ wechselt. Alle drei Nebenfiguren zusammen führen Haller in die Antithese zu seinem bisherigen Leben und bereiten die Überwindung in einem dritten Schritt durch die Verwandlungen des Magischen Theaters vor.

Im dritten Teil des Romans, der dialektischen Aufhebung, beginnen sich die einseitigen Bilder der Hauptfigur zu verwandeln und aufzulösen. Er spielt im Untergeschoss eines Tanzpalastes, das als „Hölle“ geschmückt ist (mehrfach wird auf Dantes ebenfalls dreiteilige Göttliche Komödie angespielt, die in der Hölle beginnt). In der Logik der Aufhebung der bisher noch nicht integrierten, noch getrennten Sichtweisen steht ihr mehrfacher Tod: die Tode Hallers in der Zerstörung seiner Spiegelbilder und seiner abschließenden symbolischen Hinrichtung, die symbolische Ermordung Hermines durch Haller, der bewaffnete Kampf gegen die Ordnung der Automobile mit der Opferung der Chauffeure. Diesen negativen Metaphern der Überwindung stehen die eher optimistischen Bilder gegenüber, auf die sich Haller in seiner nächsten, im Roman nicht mehr beschriebenen Lebensphase stützen könnte: die immer neuen Konstellationen der winzigen Schachfiguren, der souveräne Umgang von Wolf und Mensch miteinander und die Vielfalt der Chancen von Liebe und sexueller Erfüllung schon in Hallers „altem“ Leben.

Verständnis

Im Traktat über den Steppenwolf wird die Vielgliedrigkeit der menschlichen Seele, das Problem der Ich-Dissoziation, näher beschrieben. Es gebe nicht nur die „eine Seele“ und nicht nur Hallers Dichotomie von „Mensch“ und „Steppenwolf“, sondern innerhalb jedes Menschen gebe es viele verschiedene Formen, die mal kindlich, mal trotzig, mal leidenschaftlich zu Tage treten.

Der Gedanke, dass es kein homogenes Individuum gebe, sondern die Seele sich in viele verschiedene Teile aufspalte, verunsicherte diese Generation. Besonders expressionistische Autoren, die Hesse, allein durch die zeitlichen Überschneidungen, sicherlich auch beeinflussten, thematisierten dies oft. Angestoßen wurde diese Denkfigur durch die Unterscheidung des Apollinischen und Dionysischen bei Friedrich Nietzsche sowie die theoretischen Schriften von Sigmund Freud, der das Triebhafte und Unbewusste untersuchte. Die Einheit dieser Seelenvielfalt wurde daher für die Künstler und Intellektuellen der Nach-Jahrhundertwende zum Problem.

Hesse beschäftigt sich in vielen seiner Bücher mit der fernöstlichen Lehrthese, nach welcher der Pfad zur Erleuchtung nicht über die Extreme Askese oder Ausschweifung führt, sondern in der Kunst zu sehen ist, diese beiden miteinander zu verbinden. Die innere Zerrissenheit des Steppenwolfes und sein Versuch der Integration dieser beiden Seiten spiegeln das buddhistische Prinzip des Weges der Mitte wider bzw. die Erkenntnis, dass Gut und Böse einander nicht nur bedingen, sondern ein Konstrukt menschlicher Rationalität sind (vgl. hierzu ebenfalls Hesses Demian). Wer dies begriffen hat, der kann aus tiefem Einverständnis mit dem Universum heraus lächeln, wie es im Steppenwolf die Unsterblichen tun. Humor erscheint als eine Art der Transzendenz: Er zeigt die Lächerlichkeit unserer Wünsche und Ängste vom Standpunkt der Ewigkeit.

Thematik

Individualismus

Selbstfindung

Gesellschaftskritik / Warnung vor einem neuen Krieg

Der Roman von Hermann Hesse erschien 1927. Das ohne Gattungsbezeichnung erschienene Werk, das den Weltruf des Autors begründete, gehört zu wenigen bis heute gelesenen Texten aus dem Umkreis jener kultur- und zivilisationskritischen Strömung, die, meist mehr oder weniger vordergründig auf die Philosophie Friedrich Nietzsches zurückgreifend, als Reflex auf die Erscheinungen der modernen Massen- und Industriegesellschaft die zwanziger Jahre durchzieht. Noch die europäische wie die amerikanische Jugendbewegung der sechziger Jahre fand im "Steppenwolf" und in seiner Stilisierung des einsamen und verkannten Künstler-Ichs Identifikationsmuster für ihren Protest gegen das Establishment.

Trotz seiner scheinbar chaotischen Struktur mit einer mehrfach wechselnden Erzählperspektive, einem eingeschobenen Essay und der verwirrenden Visionenfolge des »Magischen Theaters«, mit dem der Roman schließt, ist das Werk streng nach musischen Gesetzmäßigkeiten komponiert; Hesse selbst hat auf die Sonatenform der Dichtung aufmerksam gemacht, die »um das Intermezzo des Traktats herum so streng und straff ... wie eine Sonate« gebaut ist. Das einleitende »Vorwort des Herausgebers« -, eines fiktiven Editors, führt in die neurotische Persönlichkeitsstruktur des späteren Ich-Erzählers Harry Haller ein und fungiert als Exposition des ersten »Sonatenhauptsatzes«. Die anschließende erste Sequenz von »Harry Hallers Aufzeichnungen« konkretisiert unter dem Motto »Nur für Verrückte« das Leitmotiv der inneren Zerrissenheit namentlich anhand von Hallers ambivalentem Verhältnis zum Bürgertum und entspricht so der Durchführung in der Sonatenform. Der Essay "Tractat vom Steppenwolf", der Haller von einem ominösen Bauchladenverkäufer zugespielt wird, dient, gleichsam als »Intermezzo«, als Verbindungsglied der beiden Romanteile: Indem er die wesentlichen Motive nochmals aufnimmt, fungiert er als Reprise des Vorangegangenen, entwirft gleichzeitig aber jene Lösungsperspektiven, die in der zweiten Sequenz der Aufzeichnungen weiterverfolgt werden.

Harry Haller, ein vereinsamter Mann von fünfzig Jahren, der seine Existenz selbst in die Chiffre des »Steppenwolfs« kleidet, befindet sich im Zustand völliger Entfremdung von seiner kleinbürgerlichen Umwelt, zu der er sich dennoch mit einer fast kindlichen Sehnsucht wieder hingezogen fühlt. Innerlich und äußerlich isoliert und verbittert, hat er sich in die Studierstube zurückgezogen, wo er innige Zwiesprache mit den Heroen des Geistes, Goethe vor altem, pflegt. Die Nächte verbringt er in billigen Kneipen; Haller hat, »im Sinne mancher Aussprüche Nietzsches, in sich eine unbegrenzte furchtbare Leidensfähigkeit herangebildet«. So wenig er sich allerdings mit der oberflächlich-bürgerlichen Umwelt zu arrangieren vermag, so wenig kann er sich mit sich selbst, wie der "Tractat vom Steppenwolf" diagnostiziert, als Persönlichkeit zerfallen, was der Text mit Hilfe der Metaphern von Wolf und Mensch zu veranschaulichen sucht: »Bei unserem Steppenwolf nun war es so, daß er in seinem Gefühl ... bald als Wolf, bald als Mensch lebte, wie es bei allen Mischwesen der Fall ist, daß aber, wenn er Wolf war, der Mensch in ihm stets zuschauend, urteilend und richtend auf der Lauer lag - und in Zeiten, wo er Mensch war, tat der Wolf ebenso...« Der "Tractat" entlarvt diese Selbstdeutung als vereinfachenden Dualismus und insistiert auf der unendlichen psychischen Mannigfaltigkeit jedes Menschen: »Harry besteht nicht aus zwei Wesen, sondern aus hundert, aus tausenden. Sein Leben schwingt (wie jedes Menschen Leben) ... zwischen tausenden, zwischen unzählbaren Polpaaren.« Als Lösungsvision für Hallers inneren Konflikt entwirft der Tractat zwei alternativ gedachte Möglichkeiten: Den Durchbruch zu dieser eigentlichen inneren Mannigfaltigkeit und damit die Nachfolge der hier noch als tragische Gestalten begriffenen »Unsterblichen« der geistigen Welt oder aber die »Vernuftehe« mit dem Bürgerlichen über den Humor.

In der zweiten Aufzeichnungssequenz Hallers - der Durchführung des zweiten »Sonatenhauptsatzes« - werden die beiden Entwürfe leitmotivisch weiterverfolgt und charakteristisch abgewandelt. Der Ich-Ezähler begegnet einer Reihe von Figuren, die allesamt im Sinne der Psychologie als archetypische Repräsentanten für nicht realisierten Dispositionen von Hallers kollektivem Unbewußten fungieren und die ihm helfen sollen, seine vom "Tractat" postulierte innere Mannigfaltigkeit zu entdecken; Hesse verkehrte damals wie bereits während der Niederschrift des "Demian" häufig mit dem Jung-Schüler Dr. J. B. Lang. Auf dem Höhepunkt seiner Verzweiflung und nahe am Selbstmord begegnet Haller der Kurtisane Hermine - bereits ihr Name verweist auf ihre Bedeutung als Jungsche »Anima« - und wird von ihr in den Lebensgenuß der Großstadt-Halbwelt eingeführt. Sie umsorgt Haller mütterlich, lehrt ihn die Modetänze der Zeit und macht ihn mit ihren Freunden Pablo und Maria bekannt. Aber obgleich Haller mit der sinnlichen Maria eine beglückende erotische Beziehung erfährt und mit der Zeit auch die geistig-psychische Differenziertheit des vermeintlich dümmlichen Lebemannes Pablo immer mehr entdeckt, gelingt ihm keine wirkliche Überwindung seines Intellektualismus, seiner Lebensuntüchtigkeit und seiner dualistisch-neurotischen Selbstinterpretation. Aus diesem Grunde müssen die Lösungsvisionen des Tractats in der kompositorisch als Reprise fungierenden Schlußsequenz des Romans auf eine rituelle Weise durchgesetzt werden. Der Maskenball dient als Initiationsritus: In einer motivischen Engführung begegnet Haller noch einmal allen wichtigen Nebenfiguren und erlebt erstmals das Faszinosum vom »Untergang der Person in der Menge«.

Nach der Einnahme eines Halluzinogens und dem symbolischen Lachen über seine bisherige dualistische Selbsinterpretation ist er schließlich genügend vorbereiten um in Pablos »Magischem Theater« das Auseinanderfallen seines Ichs in die »wahre« psychische Mannigfaltigkeit zu erleben. Es folgen eine Reihe von Assoziationskomplexen, die allesamt bestimmte Dispositionen seiner unbewußten Kollektivpsyche veranschaulichen. Nachdem er in den vorbeiflutenden Bildern - "Hochjagd auf Automobile; Anleitung zum Aufbau der Persönlichkeit; Wunder der Steppenwolfdressur; Alle Mädchen sind dein" - nacheinander mit dem potentiellen Mörder, dem Ideal einer spielerisch realisierten inneren Vielheit, seiner neurotischen Grunddisposition und seinem unausgelebten Sexualtrieb konfrontiert worden ist, wünscht Haller die Eroberung Hermines und zerstört mit diesem egozentrischen Wunsch die erwünschte freie Entfaltung seiner inneren Bilder. Mozart als Repräsentant der »Unsterblichen« taucht auf und versucht vergeblich, Haller auf seinen Irrtum hinzuweisen. Anstatt wie von Pablo in seiner Einführung ausdrücklich verlangt - das »Magische Theater« als eine »Schule des Humors« zu begreifen und sich entspannt dem freien Fluten der inneren Bilder hinzugeben, halluziniert Haller Pablo und Hermine beim Beischlaf und tötet seine Traumgeliebte mit einem Messer. Noch einmal erscheint Mozart und klärt Haller in einem erkenntnistheoretischen Vortrag über die ewige Differenz von Ideal und Wirklichkeit auf: »Sie sollen leben, und sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über dem Klimbim in ihr lachen lernen. Fertig, mehr wird nicht von ihnen verlangt«.- Jetzt endlich versteht Haller das Geheimnis der »Unsterblichen«, das nicht nur Mozart, sondern auch Goethe in einem seiner Träume verkörperte und weiches Pablo auf eine solch unscheinbare Weise vorlebt: Die Begründung eines humoristisch-gelassenen Verhältnisses zum unauflöslichen Ungenügen der empirischen Welt und des eigenen Ich, sowie die spielerische Realisierung der psychischen Mannigfaltigkeit der Persönlichkeit. Humor und die Nachfolge der »Unsterblichen« - so begreift Haller jetzt - sind nicht, wie im Tractat dargestellt, strenge Alternativen und implizieren weder eine »Vernunftehe« mit der Bürgersphäre noch ein tragisches Scheitern; die Unsterblichen sind humorige Naturen und haben bei aller psychischen Differenziertheit eine versöhnliches Verhältnis zur Endlichkeit von Ich und Welt. Mit dem Ausblick auf diese Lösungsvision für die Leiden des Ich-Erzählers endet der Roman: »Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. Pablo wartete auf mich, Mozart wartete auf mich.«

Roman der Psychoanalyse

Harry Haller ist eine gespaltene Persönlichkeit. Er glaubt aus zwei Naturen zu bestehen, Mensch und Wolf, Kultur- und Triebwesen. In der bürgerlichen Gesellschaft ist er ein Intellektueller und Außenseiter, der zunehmend depressiv wird und an Selbstmord denkt. Doch eines Nachts bekommt er scheinbar zufällig den mysteriösen Text „Tractat vom Steppenwolf“ in die Hände, in dem von ihm selbst die Rede ist. Schonungslos wird Harry auf seine persönlichen Irrtümer hingewiesen und dazu aufgefordert, zu seiner Heilung das „magische Theater“ aufzusuchen. Er macht die Bekanntschaft der Prostituierten Hermine, die sein Triebleben aufblühen lässt, und des Saxofonspielers Pablo, der ihm Drogen verabreicht und ihm eine Art Seelenspiegel vorhält. Harry sieht in sein eigenes Unbewusstes und muss erkennen: Er ist nicht nur Mensch und Wolf, sondern ein noch weit vielfältigeres Wesen. Ihm fehlen nur der Humor und die Gelassenheit, sich als solchermaßen gespalten zu akzeptieren. Hesse zergliedert im Roman die Seele seines Helden, der wohl nicht zufällig die gleichen Initialen hat wie der Autor. Ein vielschichtiges Buch, das Hesses internationalen Ruhm begründete und auch heute noch fasziniert.

2.1) zum Stil

Das Buch steigt nicht direkt in die Handlung ein, sondern wird durch das Vorwort des Herausgebers (dem Neffen von Hallers Vermieterin) eingeleitet um die Authenzität des Werkes zu bekräftigen, indem er dem Leser seinen persönlichen Eindruck dieses fremdartigen Menschen schildert, dessen unkonventionelles Leben ihn in gewisser Weise fasziniert.

In den ersten 32 Seiten wird die Figur H. Haller aus der Sicht des Herausgebers dem Leser vorgestellt, es erfolgt dann ein Hinweis auf dessen zurückgebliebene Aufzeichnungen, die ein umfassenden Einblick in die Seele des Steppenwolfs liefert.

Zum sprachlichen Stil ist zu sagen, daß hier eine nüchterne, trockene, teilweise auch in Bezug auf das Bürgertum abwertende Sprache dominiert, der, nach Art des Steppenwolfs, alle umschweifenden & unnötigen Worten fehlen. Obwohl Haller ein Geistesmensch ist, werden seine geistigen Tätigkeiten im Vergleich zu der verhaßten bürgerlichen Welt nur unzureichend beschrieben.

Gedichte:

Hesses Gedichte (z.b."Die Unsterblichen") sind äußerst einfach aufgebaut, oftmals im ABAB-Schema & scheinen oftmals nur zum Zweck der Verständlickeit bestimmter Themen ....

"Das Hesse so vernichtend viele völlig niveaulose Verse veröffentlicht hat, ist eine bedauerliche Disziplinlosigkeit, eine literarische Barbarei." Karlheinz Deschner

2.2) wichtige Textbeispiele

Auf Seite 145 findet sich ein treffendes Beispiel für Hallers Hin-und-Hergerissen sein zwischen seiner geistigen & der fremdartigen, bürgerlichen Welt:

Hermine gibt ihm ein Stück Entenbein von ihrer Gabel zu essen. Harry zögert, denn ihm ist dies peinlich, denn die Leute könnten ihn ja beobachten. Nach Harry Einstellung dürfte er sich aber eigentlich nicht um die Meinung der anderen kümmern.

3.1) Harry Haller

Harry "Der Steppenwolf" Haller ist annähernd 50 Jahre alt, er ist durch langjährige Leiden sowohl durch Krankheit, deren wegen er sich nur mühsam und unter Schmerzen bewegen kann (GICHT), als auch durch "geistiges Leiden" körperlich & seelisch gezeichnet. Er ist ein hochgeistiger Mann, auch wenn er ein wenig unordentlich aussieht (er ist von seiner Frau geschieden), ist dies doch gleich erkennbar, da er unter anderem für Zeitungen schreibt, als auch viele Bücher liest.

Es fällt ihm sehr schwer die heutige Welt, in der er keinen Fuß fassen kann zu verstehen, er persönlich hätte wohl lieber zu Zeiten der "Genies" Goethe & Mozarts, mit denen er sich auf geistiger Ebene verbunden fühlt, gelebt.

3.2) Der Wolf

Der Wolf ist Harry Gegenspieler, den da er neben Harry Seele in ihm "wohnt" & jeder der beiden Platz beansprucht, liegen die beiden fast ständig im Clinch, trotzdem können beide, ja wollen nicht ohne einander existieren.

Der Wolf steht für das Animalische in jedem von uns, den ihn interessieren weder hochgeistige Schriften noch klassische Musik, stattdessen sind die niederen Instinkten wie morden (z.b. Die Jagd auf die Automobile zusammen mit seinem Jugendfreund Gustav), saufen & fressen alles was ihn interessieren.

3.3) Hermine

Hermine ist Harry Spiegelbild, denn sie hat kein Ekel vor der realen, der bürgerlichen Welt. Sie ist eine gläubige Christin, die schon mehrmals Heiligenerscheinungen erlebt hat.

Da sie ebenfalls wie Haller in der jetzigen Welt nicht bestehen kann, fällt es ihr leicht seine Probleme zu verstehen. Aus diesem Grund führt die dominante Sie ihn Schritt für Schritt zum realen Leben hin, sie lehrt ihn tanzen, macht ihn mit Maria & Pablo bekannt & zeigt im was (bürgerliches) Leben bedeutet.

Als letzen Gehorsam verlangt sie von Haller, daß er sie tötet & von dieser Welt mit all ihren Problemen erlöst.

3.4) Pablo

Pablo, der Besitzer des "Magischen Theaters" ist ein (vermeintlich) leichtlebiger Südamerikaner, dessen einzige Passion das Saxophon spielen ist. Er lebt im Gegensatz zu Harry, der eher den alten Künsten anhängt, im "Jetzt". Pablo wird als ein junger, schöner Südamerikaner beschrieben, der allein schon vom Äußeren das Gegenbild zu Harry darstellt. Er beherrscht mehrere Sprachen, aber selbst spricht er nur wenig (s. Hallers Gespräche mit ihm über Musik).

Nach Hallers Meinung ist er ein anscheinend ständig löchelnder, denoch temperamentvoller (<- nach Hermine Aussage) Gigolo, der immer nett & höflich ist, aber alles andere als intellektuell ist. Auch wenn es nicht gleich offensichtlich ist, so ist er neben Harry die wichtigste Person im Roman, denn er lenkt/beeinflußt den Steppenwolf schon von Anfang an (er überreicht ihm das Traktat, etc.)

3.5) Maria

Maria ist eine Art Personifizierung des "oberflächlichen" Lebens, denn die recht einfach ausgewachsene Schönheit ist in Hallers Augen eher ungebildet, sie interessiert sich nicht für ein geistiges Leben (H.H: '...sie hatte die Umwege & Ersatzwelten nicht nötig...), sie bevorzugt lieber das reale Leben. Maria hat keine feste Beziehung (sie liebt aber Pablo), sie läßt sich lieber von Männern aushalten, aber nicht von Harry (der ihr dennoch Geschencke macht), um möglichst viel Abwechslung in ihrem Leben zu genießen. Sie lehrt auf Hermines Wunsch Haller das richtig Leben, beide gehen einkaufen,etc.

siehe Seite 156/157

3.6) Der Professor

Der Professor, ein langjähriger Freund Hallers ist ein Bürger wie er im Buche steht. Er geht, im Gegensatz zu den anderen im Roman vorkommenden Personen einem geregelten Leben nach, was auch an seiner biederen Wohnungseinrichtung & seiner distantzierten Art deutlich wird (er ist Sinologe & untersucht Zusammenhänge zwischen vorderasiatischer & indischer Mythologie), ist absolut vaterlandstreu & konservativ.

(S.103: 'Er hat den Krieg nicht miterlebt,...er hält Juden & Kommunisten für hassenswert, er ist ein gutes & gedankenloses Kind ...') .

3.7 Charaktere <-> Wirklichkeit

Manche der im "Steppenwolf" vorkommende Personen hat es in Wirklichkeit zumindest vom Namen her gegeben bzw. wurden von Hesse übernommen & verfremdet:

Hermine:

femine Form von Hesses Vorname, Abbild von Julia Laubi-Honegger, Hesses ehemaliger Tanzpartnerin

Professor:

vermutlich Anlehnung an die Gestalt Richard Wilhelms (1875-1930), Sinologe & Pfarrer, der Hesse am 2.6.1926 eine Postkarte mit einem GOETHE-Bild schickte.

Gustav:

Gustav Zeller, Hesses Schulfreund

alte Dame:

Frl. Martha Ringier, Hesses Vermieterin

Harry:

entspricht Hesse selbst, mögliche Bezüge aber auch zu Hermann Haller (schweiz. Bildhauer)

Erika:

vermutlich Ruth, Hesses zweite Frau

Pablo, Maria, etc. sind hingegen von Hesse frei erfundene Personen.

4.2) H.Hesse = H.Haller ?

Wie einem bereits nach kurzer Zeit auffällt ist Harry Haller mit Hermann Hesse nahezu identisch, was ja auch vom Autor beabsichtigt war, denn mit diesem Roman hat er versucht seine damaligen Probleme zu lösen, indem er sie analysiert & aufgeschrieben hat.Die Parallen zwischen dem Leben des Steppenwolfes & Hesses eigenem Leben finden sich zuhauf.

Beide:

sind von Gicht geplagt

sind ca. 50 Jahre

lieben die Lektüre der Dichter & Philosophen, die Malerei & Musik

sind Brillenträger

fühlen sich als Außenseiter

sind hochintelligent

zutiefst depressiv

kommen mit dem bürgerlichen Leben nicht zurecht

sind trotz allen zum bürgerlichen Leben hingezogen

wurden von Staat als Vaterland-Verräter beschimpft

arbeiten gern nachts, mögen Rotwein, etc.

4.3) Das magische Theater

Pablos magisches Theater bietet Harry die Möglichkeit sein Leben nochmals zu durchleben & seine Fehler zu erkennen, zu erkennen was er versäumt hat, zu erkennen das man das Leben mit Humor betrachten muß, um nicht an der Welt zu verzweifeln.

Er lernt in verschiedenen Szenen alle seine Einzelseelen, junge, alte, " ernste & lustige, würdige & komische" (s. 229) kennen, von denen er nicht (mehr) wußte, daß sie existieren.

Verschiedenes:

Spiegel:

Im magischen Theater wird Harry mehrfach mit Spiegeln konfrontiert, denn Hesse will seinem Steppenwolf "einen Spiegel vorhalten", damit er (Hesse) sich selbst aus einem anderen Blickwinkel sehen lernt. (auch "Spiegel der Wahrheit")

Auch hier im Theater wird anhand mehrere Türinschriften wieder einmal Hesses Hang zum fernöstlichen (speziell Indien) deutlich (s.244/245) :

"Wollen Sie sich vergeistigen ? - Weisheit des Ostens"

"Untergang des Abendlandes"

"Kamasutram"

"Jagd auf die Automobile":

In dieser Szene trifft Haller auf seinen Jugendfreund Gustav, mit dem er zusammen gegen die technisierte Welt, die Schuld am Krieg hat, ankämpft. Gemeinsam schießen sie in einer anarchischen Welt auf alle Automobile, retten eine Frau, Harry verliebt sich in sie, etc.

Hier wird klar daß der Steppenwolf (bzw. Hesse) "ein Feind der computergesteuerten Technokratie (The Times)" ist, der "bereit ist alles für seine Freiheit aufzugeben, außer seiner Integrität". Bei der Jagd auf die Automobile wird deutlich, daß hier der Wolf in Harry die Oberhand hat & sich "abreagieren" will, denn Harrys sämtliche Moralvorstellungen scheinen verschwunden, als er auf Leute & Autos schießt.

("Ich sah, wie allen die Zerstörungs & Mordlustso hell & aufrichtig aus den Augen lachte, & in mir selbst blühten diese roten wilden Blumen ...")

"Das Schachspiel"

Harry trifft auf einen Schachspieler, der für ihn frappierende Ähnlichkeit mit Pablo hat, seine Identität aber nicht preisgibt. Dieser zeigt Haller dessen Einzelpersönlichkeit & verwendet diese als Schachfiguren. In einem Schachspiel läßt Pablo alle Figuren miteinander agieren: Manche Figuren schließen Freundschaften, andere wiederum bekämpfen sich, wieder andere heiraten, etc. ("es war in der Tat ein vielfiguriges, bewegtes & spannendes Drame", S. 247). In dieser Szene wird ihm deutlich, wieviele Einzel-Seelen in ihm wohnen & wie unterschiedliche diese sind, die dennoch unter Harrys Regie zu einer (zu mindest zeitweiligen) Einigung kommen können.

"Die Steppenwolf-Dressur"

Hier gelangt der Steppenwolf in eine Art Zirkus, in der gerade ein Tierbändiger auftrifft, der, obwohl einiger Äußerlichen Unterschiede, Harry auf "recht widerwärtige Weise" ähnlich sieht. Dieser Dompteur läßt einen halbverhungerten, scheuen Wolf allerlei Kunststücke vollführen, es geht sogar soweit das er auf Befehl seines Herrn & Meister ein Lamm verschont & dieses kurioserweise umarmt. Haller findet dieses Verleugnung des wahren Ichs des Wolfes einfach widerwärtig, doch im zweiten Teil der Vorstellung wird er dafür wieder entschädigt, als Dompteur & Wolf ihre Rollen tauschen. Nun muß der Mensch auf Befehl des Wolfs alles ihm angetanene ebenfalls ausführen, doch dieser führt sich, als ihm das Lamm vorgesetzt wird auf, wie man es von einem Wolfen erwartet: Er zerreißt & frißt die Tiere. Dieses ungewohnte Bild läßt Harry vor Entsetzen fliehen.

In dieser Szene werden Hallers einmals so feststehende Vorstellungen von Moral & Ethik, von Wolf & dem wahren Haller durcheinander gewirbelt, es scheint nunmehr alles möglich zu sein & nichts wie es scheint.

"Alle Mädchen sind dein"

Harry wird in seine Jugendzeit zurückversetzt & trifft dort auf Rosa Kreisler, seine Jungendfreundin, in die er sich prompt verliebt. Mit steigenden Alter trifft er auf andere Mädchen, die in seinen Leben eine mehr oder weniger wichtige Rolle hatten. Er lernt allerlei Frauen kennen & lieben, eine Möglichkeit, die ihm im realen Leben nicht gegeben war. So verwundert es auch nicht, daß das letzte Mädchen Hermine ist.

Dieser Teil aus Harrys Leben zeigt ihm, was Liebe bedeuten kann, und was er in seinem Leben alles verpaßt hat. Diese Szene geht vermutlich auf Maria zurück, dem leichten (leichtlebigen) Mädchen, mit der er mehrfach sexuelle Kontakte hattte.

"Wie man durch Liebe tötet"

Hinter dieser Tür endet Harry Ausflug in eigenen Ich, denn dort wird er auf einmal wieder unsicher & depressiv. Aus Verzeiflung greift er in die Tasche um die vom Schachspieler erhaltenen Figuren zu betrachen, aber stattdessen findet er darin er Messer. Vor Schreck flieht er aus dem Zimmer & trifft auf Mozart (pablo), der mit ihm ein Streitgespräch über klassische Musik führt. Dieser erzählt ihm das es nur eine Möglichkeit gibt dem Irrsinn der Welt zu trotzen: Humor. Plötzlich scheint Mozart verrückt zu werden, er spricht wirre, sich reimende Sätze aus & hüpft hin & her, ein Zustand den Harry wütend macht & so wirft er ihn hinweg. Ob dieser seltsame Szene verläßt er den Raum & sieht sich in einem großen Wandspiegel wieder. Darin sieht er nochmals in Sekundenbruchteilen alles was ihm in seinem Leben widerfahren ist, & wenig davon scheint ihm richtig gewesen zu sein. Deswegen nimmt er ich zusammmen & bereitet sich innerlich auf seine letzte Tat vor, bevor er die letzte Tür öffnet.

Hier wird Harrys Leben nochmals ihm vorgeführt, ein Leben das er in dieser Form nicht will, deswegen beschließt er, schließlich endlich das zu tun, wozu er hier hergekommen ist.

Im diesem Raum liegen Hermine & Pablo, vom Liebespiel noch erschöpft, schlafend auf dem Boden. Ohne zu zögern ersticht Harry seine Freundin Hermine, die noch ein letztes Mal verwundert aufschaut ("Warum ist sie verwundert", S. 268). Als Pablo erwacht, lächelt er & verläßt den Raum, so daß Harry sich fragt, ob dieser Mord an der Frau, die ihn Leben gelehrt hat, gerechtigfertigt war. Doch nach kurzer Zeit kommt unerwarteterweise Mozart wieder herein & schaltet einen Radioapparat ein, etwas was Haller nie von einem der Unsterblichen, seinen Idolen gedacht hätte, doch dieser beruhigt ihn, daß man so etwas mit Humor hinnehmen sollte.

"Harrys Hinrichtung"

Haller findet sich in einem Hof zusammen mit mehreren Richtern wieder. Diese verurteilen ihn aufgrund seines Fehlverhalten im magischen Theater dazu auf ewig zu leben (unsterblich zu werden wie Goethe & Mozart) & zu einem kurzzeitigen Ausschuß aus dem Theater, außerdem lachen sie ihn zur Strafe aus.

Nach seiner Verurteilung findet er sich bei Mozart wieder, der ihm ein letzes Mal erklärt, worin der nun der Zweck von Harrys Besuch im Magischen Theater besteht:

Er soll mittels Humor lernen in dieser Welt zu bestehen.

Auf Harry letzten Einspruch verwandelt sich Mozart schlagartig in Pablo, der die tote Hermine, eine der vielen Spielfiguren in Hallers Leben einsteckt. Endlich wird Haller alles klar:

"Oh, ich begriff alles, begriff Pablo, begriff Mozart ...,ahnte erschütternd den Sinn, war gewillt das Spiel nochmals zu beginnen, seine Qualen nochmals zu kosten, vor seinem Unsinn nochmals zu schaudern, die Hölle meines Innern nochmals zu durchwandern."

So verbleibt das Roman mit Harry Erkenntnissen: "Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich ...

In diesem Schluß wird klar, daß der Steppenwolf nun endlich den Sinn oder Unsinn der Welt durchschaut hat & bereit ist, diese, nun deutlich gelassener, zu ertragen.

4.4) Der Traktat

Das Traktat vom Steppenwolf ist eine Selbstdarstellung H. Hs, eine Art "innere" Biographie, die der eigentlichen Geschichte schon vorweg nimmt, was Haller Probleme sind & worin deren Lösung zu finden ist (meiner Meinung eine der wichtigsten Textstellen des Romans).

Im Trakat analysiert & präzisiert der auktoriale Erzähler (vermutlich einer der Unsterblichen) die Probleme von H.H. und entlarvt den Gegensatz von Mensch/Wolf als Illusion, Begriffe wie "Unsterbliche" sowie "Selbstmörder" werden definiert, anschließend werden Auswege aus H.H. jetzigem Lebem aufgezeigt:

a) Ausgliederung verschiedener (Unter/Einzel)Seelen (WOLF !)

b) Humor als Ausweg (s. "Unsterbliche")

Nach Meinung des Verfassers steht H.H außerhalb dieses "so ordentlichen & systematisierten Lebens", denn diesem hochgeistigen Menschen ist dieses zutiefst zuwider. Trotzdem kann oder will Harry nicht wirklich von dieser Gesellschaft ausgeschloßen werden, denn auch er ist in gewissen Maßen "bürgerlich" - er hat Bankkonten, benutzt Bibliotheken, er hat eine Geliebte, etc. Das erklärt auch, warum er immer die Nähe zum Bürgerlichen sucht. (z.B. seine Mansardenwohnung bei der alten Dame, ["Oh, hier riecht es gut !"])

4.5) Die Unsterblichen

Haller steht in enger Verbindung mit den "Unsterblichen", insgeheimt möchte er selbst einer, dieser von ihm verehrten Menschen sein.

Laut NIETSCHE, der gleich H.H. ein Meister des Leidens war, sind diese Unsterblichen starke & geniale Persönlichkeiten, die durch ihre besondere Art die Menschheit am Leben erhalten, da sie aus der gedankenlosen Einheitsmasse (die ohne die Unsterblichen vermutlich schon zu grunde gegangen wäre) herausragen.

Nach Harrys Vorstellung zählen gerade Mozart & Goethe zu diesen "Unsterblichen", deswegen war H.H. auch umso verwirrter als die beiden beim Treffen mit Harry aus der Rolle fielen.

4.6) Drogen & deren Bedeutung

Dem ein oderen anderen kritischen Leser mag vielleicht aufgefallen sein, daß im "Steppenwolf" exzessiver Gebrauch von Drogen gemacht wird, sei es nun zur Linderung von Schmerzen (Hallers Gicht), zum Selbstmord, oder um die reale Welt zu vergessen & stattdessen in neue, unentdeckte Bewußtseinsebenen vorzudringen (Pablo, Magisches Theater). Egal wie man heutzutage dazu steht, so muß man das Ganze aus der damaligen Zeit sehen:

Die Geschichte des Steppenwolfes spielt in den Ende der 20er Jahren dieses Jahrhunderts, die auch als berühmtberüchtigte "Goldenen Zwanziger" bekannt wurde, einer Zeit in der Drogengebrauch/usw. weit selbstverständlicher waren als heute. Deswegen findet man auch keinerlei Kritik dazu im "Steppenwolf", aber wäre der Roman aus der heutigen Zeit, so wären Hesses Äußerungen dazu höchstwahrscheinlich kritischer gewesen.

4.7) sonstiges

Was nach Ende des Romans geschieht, wohin Harry nach seinem monatelangen Aufenthalt weiterzog, etc. bleibt offen, immerhin glaube ich daß er, wie auch der Herausgeber vermutet, jetzt in irgendeiner anderen Wohnung lebt & sein Leben so gut wie möglich lebt. Das Haller sich umgebracht hat, halte ich praktisch für ausgeschlossen, denn obwohl er stets den Drang dazu hatte, glaube ich, gerade nach seinen Erlebnissen im magischen Theater, das er den Mut dazu nicht hat, denn insgeheim hängt er doch am Leben, auch wenn er dies nicht immer zugeben will.



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