DD bei KOpfschmerzen

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ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Aufgrund der hohen epidemiologischen und so-
zioökonomischen Bedeutung von Kopfschmerzen ist eine
korrekte Differenzialdiagnose besonders wichtig, um früh-
zeitig eine adäquate Therapie zur Vermeidung von Chronifi-
zierung und Arbeitsausfall einzuleiten. Methoden: Überblick
der unterschiedlichen Kopfschmerzarten, diagnostische
Möglichkeiten und Perspektiven der Therapie auf der Basis
einer selektiven Literaturübersicht. Ergebnisse: Die Klassi-
fikation erfolgt nach der Einteilung der International Head-
ache Society. Mehr als 90 Prozent aller Kopfschmerzen
sind idiopathischen Ursprungs. Letztere können jedoch
Leitsymptom einer potenziell gefährlichen Erkrankung
sein. Neben der Migräne muss bei idiopathischen Kopf-
schmerzen differenzialdiagnostisch an die verschiedenen
Verlaufsformen des Kopfschmerzes vom Spannungstyp so-
wie an die verschiedenen Untertypen der trigeminoautono-
men Kopfschmerzen gedacht werden. Bei Verdacht auf
einen symptomatischen Kopfschmerz sind weitere appara-
tive Diagnostik und fachärztliche Untersuchungen zu ver-
anlassen. Wichtigste Differenzialdiagnose sind dabei die
akute Subarachnoidalblutung und andere Blutungen.

Dtsch Arztebl 2006; 103(45): A 3040–8.

Schlüsselwörter: Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp,

trigeminoautonome Kopfschmerzen, symptomatische Kopf-

schmerzen, Subarachnoidalblutung

SUMMARY

DIFFERENTIAL DIAGNOSIS OF HEADACHE

Introduction: Headache has a high epidemiologic and
socioeconomic impact. An early, accurate differential diag-
nosis is important in order to avoid chronification and loss
of productivity. Methods: Overview of the different head-
ache disorders based on a selective liteature review. Re-
sults: The classification follows the International Headache
Society´s categorization. More than 90 per cent of all head-
aches in medical care are idiopathic in origin; it is rare that
headache is the first symptom of dangerous disease. Mi-
graine, tension-type headache, and the different subtypes
of trigeminoautonomic headache, with their characteristic
patterns, must be considered in the differential diagnosis
of primary headache. Subarachnoic haemorrhage and
other bleeding related causes are the most important differ-
ential diagnoses.

Dtsch Arztebl 2006; 103(45): A 3040–8.

Key words: migraine, tension-type headache, trigemino-

autonomic headache, symptomatic headache, subarachnoic

haemorrhage

K

opfschmerzen gehören nach Angaben der Welt-
gesundheitsorganisation (WHO) zu den zehn Er-

krankungen mit der stärksten funktionellen Behinde-
rung weltweit (1). Interessanterweise zeigen die meisten
Studienergebnisse zur Epidemiologie idiopathischer
Kopfschmerzen aus unterschiedlichen Regionen der
Welt eine sehr ähnliche Prävalenz, wenn sie dieselben
Instrumentarien verwenden. Diese Ergebnisse sprechen
für eine biologische Grundlage und gegen starke sozio-
kulturelle oder ethnische Einflüsse bei Kopfschmerzen.
Die Prävalenz für Kopfschmerzerkrankungen liegt
weltweit bei 60 Prozent. Die International Headache So-
ciety (IHS) entwickelte für Kopfschmerzen eine exakte
Klassifikation (2). Die bevölkerungsbezogene Lebens-
zeitprävalenz der verschiedenen Kopfschmerzarten ist
beispielhaft in einer dänischen Studie untersucht wor-
den; die genauen Zahlen sind in Kasten 1 dargestellt (3).

Auch aus sozioökonomischer Sicht haben Kopf-

schmerzen eine große Bedeutung (4). Die direkten
Krankheitskosten, das heißt die Kosten der ambulanten
und stationären Behandlung, der verschriebenen Arz-
neimittel und des Krankengeldes, schätzt man allein
für die Patienten mit Migräne auf ungefähr 450 Millio-
nen Euro pro Jahr, obwohl nur etwa die Hälfte der etwa
acht Millionen Migränepatienten in Deutschland einen
Arzt aufsucht. Die meisten Kopfschmerzpatienten be-
handeln sich mit freiverkäuflichen Analgetika selber;
auch hier erzeugen die Migränepatienten Kosten in Höhe
von 500 Millionen Euro.

Die indirekten Krankheitskosten wie Arbeitsunfähig-

keit und reduzierte Produktivität übersteigen die direk-
ten Krankheitskosten um ein Vielfaches. Allein die
Fehltage durch Migräne pro Jahr kann man der Jahres-
arbeitszeit von 185 000 Vollerwerbstätigen gleichstel-
len. Die Kosten werden auf etwa 3,5 Milliarden Euro
jährlich geschätzt, ausgespart ist der Produktivitätsver-
lust von Nichterwerbstätigen, zum Beispiel Hausfrauen,
Personen in der Kindererziehung und Pflege Angehöri-
ger. Invalidität und falsche Behandlung verursachen die

Differenzialdiagnose von
Kopfschmerzen

Stefan Evers, Achim Frese, Martin Marziniak

Klinik und Poliklinik für
Neurologie, Univer-
sitätsklinikum Münster
(Prof. Dr. med. Dr. phil.
Evers, Dr. med. Frese,
Dr. med. Marziniak)

3

Punkte

cme

Teilnahme nur im
Internet möglich:
www.aerzteblatt.de/cme

Prävalenz

Kopfschmerzen sind eines der häufigsten
Gesundheitsprobleme. Die Lebenszeitprävalenz
der episodischen Kopfschmerzen vom Span-
nungstyp liegt bei 70 Prozent, die der Migräne
bei 15 Prozent.

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so genannten tertiären Kosten. Eine Modellrechnung für
die dadurch entstehenden Kosten ist äußerst schwierig.

Andere Kopfschmerzarten inklusive Kopfschmerz

vom Spannungstyp weisen eine deutlich höhere Präva-
lenz auf. Die geringere Kopfschmerzhäufigkeit und -in-
tensität bei dieser Patientengruppe senkt jedoch wieder
die Kosten, sodass die volkswirtschaftliche Belastung –
auch an verlorener Arbeitszeit – durch alle anderen Kopf-
schmerzarten zusammen noch einmal ähnlich so hoch ist
wie die durch die Migränepatienten verursachten Kosten.

Im Folgenden werden Empfehlungen zur pragmati-

schen, klinisch orientierten Differenzialdiagnose von
Kopfschmerzen gegeben. Diese basieren auf den Leitli-
nien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesell-
schaft (DMKG), einer Analyse der Übersichtsartikel zur
Differenzialdiagnose von Kopfschmerzen, der klinischen
Erfahrung der Autoren und der wissenschaftlichen Be-
schäftigung mit diesem Thema.

Grundsätze der Diagnosestellung

Die Klassifikation der IHS unterteilt Kopfschmerzen in
zwei große Hauptgruppen: die idiopathischen und die
symptomatischen Kopfschmerzen. Die idiopathischen
Kopfschmerzen werden ausschließlich nach an der
Symptomatik orientierten Kriterien diagnostiziert. Die
noch bis in die 1980er-Jahre hinein übliche Diagnose
nach ätiologischen Gesichtspunkten, wie beispielsweise
vaskulärer Kopfschmerz oder Muskelkontraktionskopf-
schmerz, ist verlassen worden. Die IHS-Klassifikation
liegt seit 2004 in zweiter Version vor, und es existiert
auch eine deutsche Übersetzung (5).

Laut IHS-Klassifikation gilt: Die sorgfältige Anam-

nese ist Voraussetzung für die richtige Diagnose. Die
neurologische und internistische Untersuchung und die
apparativen Zusatzuntersuchungen dienen im Einzel-
fall nur zum Ausschluss beziehungsweise zum Nach-
weis von symptomatischen Kopfschmerzen. Der be-
handelnde Arzt sollte unbedingt bei der Erstdiagnose
von idiopathischen Kopfschmerzen eine körperliche
Untersuchung vornehmen. Die körperliche Untersu-
chung muss die in Kasten 2 aufgeführten Elemente be-
inhalten.

Eine apparative Diagnostik zum Nachweis von idio-

pathischen Kopfschmerzen existiert bis heute nicht.
Über 90 Prozent aller Kopfschmerzen, die Patienten in
ärztliche Behandlung führen, gehören zu den idiopathi-
schen Kopfschmerzen. Dennoch haben die allermeisten
Patienten Angst vor symptomatischen Kopfschmerzen,
weil sie häufig befürchten, ein Hirntumor wäre die Ur-

sache ihrer Kopfschmerzen. Daher ist es in manchen
Fällen sinnvoll, wenn der Arzt bei der Erstabklärung
eine apparative Zusatzdiagnostik, wie die zerebrale Bild-
gebung, veranlasst, auch wenn formal dafür keine In-
dikation besteht. Bei unauffälligem neurologischen Be-
fund muss bei Migränepatienten nur in 0,4 Prozent aller
Fälle mit einer Auffälligkeit in der zerebralen Bild-
gebung gerechnet werden, die dann in der Regel nicht
einmal Ursache für die Kopfschmerzen ist (6). Wenn
die neurologische Untersuchung auffällig ist, steigt das

KASTEN 1

Bevölkerungsbezogene Lebenszeitprävalenz der
verschiedenen Kopfschmerzformen*

1

c

Migräne
Ohne Aura 9 Prozent
Mit Aura 6 Prozent

c

Kopfschmerz vom Spannungstyp
Episodisch 66 Prozent
Chronisch 3 Prozent

c

Clusterkopfschmerz und andere trigeminoautonome Kopfschmerzen 0,1 Prozent

c

Andere idiopathische Kopfschmerzen

– Idiopathischer stechender Kopfschmerz 2 Prozent
– Primärer Hustenkopfschmerz 1 Prozent
– Primärer Anstrengungskopfschmerz 1 Prozent
– Kopfschmerz bei sexueller Aktivität 1 Prozent

c

Kopfschmerzen durch Schädeltrauma 4 Prozent

c

Kopfschmerzen durch Gefäßstörungen 1 Prozent

c

Kopfschmerzen durch nichtvaskuläre intrakranielle Störungen (zum Beispiel
Tumoren) 0,5 Prozent

c

Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch 3 Prozent

c

Kopfschmerzen bei Infektionen oder Fieber 63 Prozent

c

Kopfschmerzen bei metabolischen Erkrankungen 22 Prozent

c

Kopfschmerzen bei Erkrankungen

– des Halses 1 Prozent
– der Augen 3 Prozent
– der Ohren 0,5 Prozent
– der Nase oder Sinus 15 Prozent

c

Kopf- und Gesichtsneuralgien 0,5 Prozent

*1

in der Klassifikation von 1988 in Dänemark nach (3). Die Lebenszeitprävalenz von Kopfschmer-
zen überhaupt lag bei 93 % für Männer und 99 % für Frauen.

Diagnosestellung

Die IHS-Klassifikation unterteilt Kopfschmerzen in
idiopathische und symptomatische
Kopfschmerzen.

Kosten durch Kopfschmerzen

Die direkten Kosten für Kopfschmerzen in
Deutschland werden auf etwa 2 Milliarden Euro,
die indirekten Kosten auf ungefähr 7 Milliarden
Euro geschätzt.

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Risiko für eine Auffälligkeit bis zu 15 Prozent. Die dia-
gnostischen Empfehlungen gelten auch für besondere
Situationen wie Kopfschmerzen in der Schwangerschaft
oder Kindheit (7).

Der genaue Wortlaut der Kopfschmerzklassifikation

wie auch die Therapieempfehlungen der Deutschen
Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft können unter
www.dmkg.de auch im Internet eingesehen werden.

Einteilung der Kopfschmerzen

Kopf- und Gesichtsschmerzen werden insgesamt in 14
Hauptgruppen eingeteilt, die sich wiederum in über 200
verschiedene Kopfschmerzformen aufteilen. Kasten 3
fasst die Hauptgruppen zusammen. Im Folgenden sollen
die wichtigsten Kopfschmerzformen unter differenzial-
diagnostischen Aspekten kurz erläutert werden.

Migräne
Die Migräne ist die mit Abstand häufigste idiopathische
Kopfschmerzerkrankung, die Patienten veranlasst, ei-
nen Arzt aufzusuchen. Da diese Kopfschmerzerkran-
kung in ihren verschiedenen Manifestationsformen be-
reits Thema eines CME-Artikels gewesen ist, soll sie
hier nicht weiter ausgeführt werden (siehe May A: Dia-
gnostik und moderne Therapie der Migräne; Dtsch Arz-
tebl 2006; 103[17]: A1157– 66). Standardisierte Thera-
pieempfehlungen und Empfehlungen zur apparativen
Diagnostik sind von den zuständigen wissenschaftli-
chen Fachgesellschaften publiziert worden (8, 9). In
Kasten 4 sind die Kriterien aufgelistet, nach denen eine
zerebrale Bildgebung bei der Verdachtsdiagnose einer
Migräne erfolgen sollte. Zu diesem Thema ist ebenfalls
ein CME-Artikel erschienen (siehe Krings T: Bildge-
bende Diagnostik bei der Abklärung des Kopfschmer-
zes; Dtsch Arztebl 2004;102[45]: A3026–35).

Kopfschmerz vom Spannungstyp
Der Kopfschmerz vom Spannungstyp zeigt die größte
Lebenszeitprävalenz, beeinträchtigt die Patienten aber
meistens weniger stark und führt daher seltener in die
ärztliche Praxis als die Migräne. Kasten 5 gibt die dia-
gnostischen Kriterien dieses Kopfschmerzes wieder.
Man unterscheidet drei verschiedene Verlaufsformen:

c weniger als 12 Tage pro Jahr: sporadisch auftreten-

der episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp

c 12 bis 180 Tage pro Jahr: häufig auftretender episo-

discher Kopfschmerz vom Spannungstyp

c mehr als 15 Tage pro Monat: chronischer Kopf-

schmerz vom Spannungstyp.

KASTEN 2

Allgemeine und neurologische Untersuchung zur
Erstdiagnose von Kopfschmerzen

c

Neurologische Untersuchung (unter besonderer Berücksichtigung des Hirn-
nervenstatus, Reflexstatus, Sensibilität in den Grundqualitäten, Koordination
und Motorik, neuropsychologische Grundtestung)

c

Untersuchung der HWS (Beweglichkeit der oberen HWS-Segmente, Druck-
schmerzhaftigkeit der perikranialen Muskulatur) und Inspektion der gesamten
Wirbelsäule

c

Untersuchung der Kieferfunktionen und des Zahnstatus inklusive der
Schleimhäute

c

Messung des Blutdrucks

c

Erhebung eines Gefäßstatus (A. temporalis, Auskultation der A. carotis)

c

Auskultation von Herz und Lunge

c

Tastbefund des Abdomens

c

Inspektion der Haut

Migräne

Die Migräne ist die mit Abstand häufigste idiopa-
thische Kopfschmerzerkrankung, die Patienten in
ärztliche Behandlung führt.

Häufigkeit von Kopfschmerzen

90 Prozent aller Patienten in der Praxis haben idiopathische
Kopfschmerzen, die positiv ausschließlich über die Anamnese
diagnostiziert werden.

KASTEN 3

Einteilung der Kopfschmerzklassifikation der
International Headache Society

c

Idiopathische Kopfschmerzerkrankungen
– Migräne
– Kopfschmerz vom Spannungstyp
– Clusterkopfschmerz und andere trigeminoautonome Kopfschmerzerkrankungen
– andere primäre Kopfschmerzen

c

Symptomatische Kopfschmerzerkrankungen
Kopfschmerz zurückzuführen auf:
– ein Kopf- und/oder HWS-Trauma
– Gefäßstörungen im Bereich des Kopfes oder des Halses
– nichtvaskuläre intrakranielle Störungen
– eine Substanz oder deren Entzug
– eine Infektion
– eine Störung der Homöostase (Stoffwechselerkrankungen)
– Erkrankungen des Schädels sowie von Hals, Augen, Ohren, Nase, Neben-

höhlen, Zähnen, Mund oder anderen Gesichts- oder Schädelstrukturen

– psychiatrische Störungen (Somatisierungsstörungen, psychotische

Störungen)

– kraniale Neuralgien und zentrale Ursachen von Gesichtsschmerzen
– nicht klassifizierbare Kopfschmerzen

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Insbesondere der chronische Kopfschmerz vom

Spannungstyp kann differenzialdiagnostisch mit sym-
ptomatischen Kopfschmerzen verwechselt werden.
Dies kann der Fall sein, wenn zum Beispiel ein Normal-
druckhydrozephalus, ein chronisches subdurales Häma-
tom oder posttraumatische Kopfschmerzen Ursache
sind. Deshalb sollte beim chronischen Kopfschmerz
vom Spannungstyp auch immer eine zerebrale Bildge-
bung erfolgen, in Einzelfällen auch weitere apparative
Diagnostik.

Trigeminoautonome Kopfschmerzen
Trigeminoautonome Kopfschmerzen definiert man als
eine Gruppe von attackenartigen Kopfschmerzen, die
mit einseitigen trigeminalen Schmerzen und obligaten
autonomen Begleitsymptomen einhergehen (10, 11).
Dies bedeutet, dass zum einen stärkste streng einseitige,
periorbital oder temporal lokalisierte Schmerzattacken
auftreten und zum anderen mit den Schmerzen gleich-
zeitig wenigstens eines der Symptome Lakrimation,
Rhinorrhö, Augenrötung oder Horner-Syndrom einher-
geht.

Der bekannteste Vertreter aus dieser Gruppe ist der

Clusterkopfschmerz. Daneben gehören auch die pa-
roxysmale Hemikranie und das SUNCT-Syndrom dazu
(„short lasting unilateral neuralgiform headache attacks
with conjunctival injection and tearing“). Diese ver-
schiedenen Formen unterscheiden sich aus klinischer
Sicht vor allem durch das Zeitmuster der Attacken in
Dauer und Frequenz. Sie können alle in einer episodi-
schen Form und einer chronischen Form auftreten. Liegt
die episodische Form vor, treten fast täglich Attacken
über einen Zeitraum von Wochen oder wenigen Mona-
ten auf. Zwischenzeitlich können die Beschwerden aber
auch für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten voll-
ständig abklingen. Eine Übersicht über die unterschied-
lichen Zeitmuster gibt die Tabelle.

Für die paroxysmale Hemikranie gilt die Besonder-

heit, dass sie immer und vollständig auf Indometacin
(Tagesdosis bis etwa 200 mg) anspricht. Dies ist auch
ein obligates diagnostisches Kriterium. Zusätzlich ist in
der Tabelle die Hemicrania continua aufgeführt, die
ebenfalls sofort auf Indometacin anspricht, aber nicht
attackenartig, sondern dauerhaft auftritt. Diese Kopf-
schmerzform wird in der Gruppe der anderen idiopathi-
schen Kopfschmerzen geführt. Außerdem muss von den
trigeminoautonomen Kopfschmerzen die Trigeminus-
neuralgie abgegrenzt werden, bei der die Attacken ex-
trem kurz (zumeist unter einer Sekunde) liegen und keine

Spannungskopfschmerz

Kopfschmerzen vom Spannungstyp werden in eine episodische
und chronische Verlaufsform eingeteilt. Die chronische Form hat
eine Lebenszeitprävalenz von bis zu drei Prozent und ist häufig
therapieresistent.

Trigeminoautonomer Kopfschmerz

Unter trigeminoautonomen Kopfschmerzen ver-
steht man streng einseitige Kopfschmerzen mit
autonomen Begleitsymptomen. Am bekanntesten
ist der Clusterkopfschmerz.

KASTEN 4

Migräne – MRT sollte zum Ausschluss von
symptomatischen Kopfschmerzen erfolgen bei:

c

Erstmanifestation einer Migräne mit untypischen Kopfschmerzen oder
untypischen Begleitsymptomen

c

Migräne mit untypischer (insbesondere persistierender) Aura, jede Form
der Migräne mit hemiplegischer Aura

c

Erstmanifestation einer typischen Migräne jenseits des 40. Lebensjahres

c

Auffälligkeiten in der allgemeinen und neurologischen körperlichen
Untersuchung

c

Atypischer klinischer Verlauf (das heißt signifikante Veränderungen
in Frequenz, Dauer, Begleitsymptomen)

c

Zunehmende Schmerzintensität oder sich ändernder Kopfschmerzcharakter,
auch bei Wirkungslosigkeit vorher wirksamer Schmerzmedikamente

c

Neues zusätzliches Berichten von neurologischen Symptomen/Ausfällen

c

Angst des Patienten vor schwerwiegenden zugrundeliegenden Erkrankungen
wie zum Beispiel Tumorerkrankungen

KASTEN 5

Operationalisierte diagnostische Kriterien des
Kopfschmerzes vom Spannungstyp*

1

A. Wenigstens zehn Episoden, die die Kriterien B bis D erfüllen

(maximal an 15 Tagen im Monat).

B. Die Kopfschmerzdauer liegt zwischen 30 Minuten und 7 Tagen.

C. Der Kopfschmerz weist mindestens zwei der folgenden

Charakteristika auf:

1. beidseitige Lokalisation
2. Schmerzqualität drückend oder beengend, nicht pulsierend
3. leichte bis mittlere Schmerzintensität
4. keine Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten wie Gehen oder

Treppensteigen

D. Beide folgende Punkte sind erfüllt:

1. keine Übelkeit oder Erbrechen (Appetitlosigkeit kann vorkommen) (bei

der chronischen Verlaufsform auch Übelkeit)

2. Photophobie oder Phonophobie, nicht jedoch beides, kann

vorhanden sein.

E. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen

*

1

nach der Kopfschmerzklassifikation der IHS

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autonomen Begleitsymptome aufweisen (12). Eine MRT
des Schädels sollte man bei allen trigeminoautonomen
Kopfschmerzen einmal zur Diagnosesicherung durch-
führen, da symptomatische Formen beschrieben worden
sind, bei denen Tumore oder Gefäßmissbildungen die
Kopfschmerzen der hinteren Schädelgrube und in der
Mittellinie verursachen.

Andere idiopathische Kopfschmerzen
Schließlich wird in der Kopfschmerzklassifikation noch
eine Gruppe von idiopathischen Kopfschmerzen zusam-
mengefasst, die sich nicht in die bisher beschriebenen
drei Gruppen einordnen lassen (13).

Diese Kopfschmerzerkrankungen sind harmlos, und

man kann davon ausgehen, dass sie keine symptomati-
sche Ursache haben. Sie sind in der Bevölkerung zum
Teil häufiger, als ihre Bekanntheit vermuten lässt. Sie
sollen daher im Einzelnen kurz vorgestellt werden:

c idiopathischer stechender Kopfschmerz: blitzartige

Schmerzen an wechselnden Stellen des Schädels ohne
weitere Begleitsymptome

c primärer Hustenkopfschmerz: Minuten lang anhal-

tende Kopfschmerzen beim Husten oder bei anderen
Valsalva-Manövern (symptomatisch beim Arnold-
Chiari-Syndrom)

c primärer Anstrengungskopfschmerz: bei körperli-

cher Anstrengung oder Sport auftretender, für Stunden
anhaltender Kopfschmerz

c Kopfschmerz bei sexueller Aktivität: vor allem

kurz vor oder während des Orgasmus auftretender bila-
teraler okzipitaler Kopfschmerz für Minuten bis Stun-
den (cave: Ausschluss Subarachnoidalblutung)

c primärer schlafgebundener Kopfschmerz so ge-

nannter „hypnic headache“: Kopfschmerzattacken von
wenigen Stunden Dauer, die vor allem bei älteren Men-

schen ausschließlich nachts (häufig immer zur selben
Uhrzeit) auftreten

c primärer Donnerschlagkopfschmerz: Kopfschmer-

zen, die innerhalb von einer Minute maximale Intensität
erreichen und dann über Stunden bis Tage anhalten.
Trotz intensiver Diagnostik lässt sich keine Ursache fin-
den (cave: Ausschluss Subarachnoidalblutung).

Diagnostik bei Verdacht auf symptomatische
Kopfschmerzen

Entspricht der Kopfschmerz nicht den typischen Kriteri-
en für einen idiopathischen Kopfschmerz oder geben
Anamnese oder neurologische Untersuchung Anlass
zum Verdacht auf einen symptomatischen Kopfschmerz,
so sind weitere apparative Diagnostik und eventuell auch
weitere fachärztliche Untersuchungen zu veranlassen.
Im Folgenden sollen symptomatische Kopfschmerzen
besprochen werden, die bei verzögerter Diagnosestel-
lung zu bleibender Behinderung oder sogar Tod führen
können und die mit unauffälligen Befunden der kraniel-
len Bildgebung (CT oder MRT des Kopfes) einhergehen
können. Gemäß der Zielsetzung dieses Artikels kann da-
bei nur auf die Grundzüge der Diagnostik eingegangen
werden. Eine Übersicht über die Wertigkeit der verschie-
denen zum Einsatz kommenden apparativen Verfahren
gibt Kasten 6.

Subarachnoidalblutung (SAB)
Leitsymptom ist der plötzlich auftretende Kopfschmerz
in noch nie zuvor erlebter Intensität, dem häufig zeit-
lich verzögert ein Nackenschmerz folgt und der in etwa
50 Prozent der Fälle von Übelkeit, Erbrechen und Be-
wusstseinsstörungen begleitet wird. Fokale Ausfälle
oder epileptische Anfälle weisen auf eine Einblutung in
das Hirnparenchym hin, sind jedoch keinesfalls obligat.
Die klinische Untersuchung zeigt typischerweise
Lichtscheu und Nackensteifigkeit. Bei klinischem Ver-
dacht auf eine SAB ist eine kraniale CT-Untersuchung
zwingend erforderlich. Die Sensitivität dieser Maß-
nahme liegt bei > 95 Prozent, wenn sie innerhalb der
ersten 48 Stunden nach Einsetzen der Kopfschmer-
zen durchgeführt wird. Die Kernspintomographie mit
„fluid attenuated inversion recovery“-(FLAIR-)Sequen-
zen und Gradientenechosequenzen ist der CT in der
Akutphase inzwischen gleichwertig; die Sensitivität
der CT sinkt mit zunehmendem Abstand zum Einsetzen
der Kopfschmerzen und beträgt nach einer Woche < 50
Prozent, während die Kernspintomographie noch län-
gere Zeit Blutabbauprodukte darstellen kann (14).

Idiopathische Kopfschmerzformen

Seltene Formen von idiopathischen Kopfschmer-
zen treten auf bei Anstrengung, Husten, sexueller
Aktivität, als „Donnerschlagkopfschmerz“, oder
die Schmerzen sind stechend oder treten nur
nachts auf.

Indikation Bildgebung

Zum Ausschluss symptomatischer Formen bei
den seltenen idiopathischen Formen sollte eine
zerebrale Bildgebung erfolgen.

TABELLE

Differenzialdiagnose der verschiedenen trigeminoautonomen
Kopfschmerzen

Dauer

Frequenz

autonome

Wirkung von

pro Tag

Symptome

Indometacin

Hemicrania continua

andauernd

andauernd

(+)

+

Clusterkopfschmerz

15–180 min 0,5–8

+

Paroxysmale Hemikranie 2–30 min

> 5

+

+

SUNCT-Syndrom

5–240 sec

3–200

+

Trigeminusneuralgie

< 2 sec

unbestimmt

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Sind CT und MRT negativ und es besteht der Ver-

dacht auf eine SAB, sollte der behandelnde Arzt zwin-
gend eine Liquoruntersuchung veranlassen. Die Li-
quoruntersuchung sollte mit einer zeitlichen Verzöge-
rung von sechs bis zwölf Stunden nach Beginn des
Kopfschmerzes durchgeführt werden, da zu einem
früheren Zeitpunkt die Differenzierung zwischen ei-
ner SAB und artifiziell blutigem Liquor eventuell
nicht möglich ist. Nach abgelaufener SAB kommt es
nach einigen Stunden zu einer Lyse der Erythrozyten
mit Bildung von Bilirubin und Oxyhämoglobin, die
dem Liquor nach Abzentrifugation eine gelbliche Far-
be geben.

Diese so genannte Xanthochromie ist bis zu zwei

Wochen nach einer SAB nachweisbar. Bilirubin ist
auch spektrophotometrisch dokumentierbar und Be-
weis für eine abgelaufene SAB, da sich Bilirubin nur
in vivo bilden kann. Ferritin und Siderophagen kön-
nen bis zu vier Wochen lang im Liquor entdeckt wer-
den, danach ist eine SAB nicht mehr zu beweisen.
Stellt sich der Patient erst mehrere Wochen nach dem
Ereignis vor, so sollte man erwägen eine CT- oder
MR-Angiographie zur Dokumentation des Vorliegens
eines Aneurysmas vorzunehmen, da die Möglichkeit
besteht, dass der Beweis einer abgelaufenen SAB er-
bracht wird. Dieses Vorgehen ist allerdings umstritten,
da kleine (< 5 mm) asymptomatische Aneurysmen bei
etwa jedem 50. Erwachsenen zu erwarten sind.

Eine weitere Hirnblutung, die primär mit Kopf-

schmerzen ähnlich einem chronischen Kopfschmerz
vom Spannungstyp symptomatisch werden kann, ist
das subdurale Hämatom (Abbildung). Hieran muss
vor allem bei älteren Menschen nach Bagatelltrauma,
unter Marcumartherapie oder mit Liquorunterdruck-
syndrom gedacht werden. Die Diagnose kann sich un-
ter Einsatz von CCT und MRT bestätigen.

Meningitis
Die bakterielle Meningitis ist durch die klinische
Trias Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und Fieber
gekennzeichnet. Zusätzlich können vegetative Be-
gleitsymptome (Lichtscheu, Übelkeit, Erbrechen) so-
wie eine Vigilanzminderung und epileptische Anfälle
auftreten. Ein Exanthem vor allem an Stamm und Bei-
nen weist auf eine Meningokokkenmeningitis hin,
kann aber auch bei Pneumokokken- und Haemophi-
lusmeningitiden vorkommen. Entscheidende diagno-
stische Maßnahme ist die Liquoruntersuchung, die bei
einer bakteriellen Entzündung typischerweise eine

granulozytäre Pleozytose > 1 000 Zellen/µL zeigt.
Geringere Granulozytenzahlen können sehr früh im
Krankheitsverlauf, bei antibiotisch unbehandelten Pa-
tienten, fulminanten Krankheitsverläufen mit hoher
Bakteriendichte und abwehrgeschwächten Patienten
beobachtet werden. Die Liquoruntersuchung ermög-
licht darüber hinaus den Erregernachweis durch Mi-
kroskopie (Gramfärbung), Antigennachweis und Kul-
tur sowie eine spätere Anpassung der empirischen In-
itialtherapie nach Resistogramm.

Bei einem Patienten mit Verdacht auf eine bakteri-

elle Meningitis ohne Vigilanzminderung oder fokales
neurologisches Defizit sollte sich die Liquoruntersu-
chung unmittelbar der klinischen Untersuchung
anschließen und eine Antibiotikatherapie nach Abnah-
me von Blutkulturen initiiert werden. Bei bewusst-

Röntgen des Schädels und der HWS

Eine native Röntgenaufnahme des Schädels und
der Halswirbelsäule (HWS) ist zur Diagnostik von
Kopfschmerzen ungeeignet.

Subarachnoidalblutung

Bei Verdacht muss immer sofort ein CCT erfolgen.
Ist dies unauffällig, muss anschließend zwingend
eine Lumbalpunktion durchgeführt werden. Bei
erfolgloser und unklarer Lumbalpunktion erfolgt
alternativ eine Angiographie.

KASTEN 6

Wertigkeit verschiedener apparativer Verfahren
in der Differenzialdiagnose von Kopfschmerzen

c

MRT des Kopfes
– parenchymatöse Läsionen (inklusive entzündlicher Plaques und Enzephalitis)

und Blutungen (Subarachnoidalblutung, subdurales Hämatom); Darstellung
des Hirnstamms und der Hypophysenregion sowie des kraniozervikalen
Übergangs (zum Beispiel Arnold-Chiari-Malformation); Dissekate (gezielte
Sequenzen in axialer Schichtführung des Halses); in MR-Angiographie
Nachweis von Sinusthrombosen und größeren Aneurysmen

c

CCT

– Knochen; frühe Erkennung von Blut in Liquor (SAB, subdurales Hämatom);

in CT-Angiographie Nachweis von Sinusthrombosen und größeren Aneurysmen

c

Digitale Substraktions-Angiographie
– kleinere Aneurysmen; kleinere Hirnvenenthrombosen: zerebrale Vaskulitis;

arteriovenöse Fisteln; extrakranielle und intrakranielle Fisteln

c

Ultraschall
– Darstellung von Dissekaten (insbesondere Verlaufskontrolle)

c

EEG
– epileptische Anfälle; Herdverlauf bei Verdacht auf Migräneaura

c

Röntgen HWS
– knöcherne Destruktionen; posttraumatische Veränderungen inkl. Spondylo-

listhesis; Gefügestörungen; zum Nachweis des cervikogenen Kopfschmer-
zes nicht geeignet

c

Röntgen der Nasennebenhöhlen
– Sinusitis

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seinsgestörten Patienten oder fokalen neurologischen
Defiziten sollte vor der Liquoruntersuchung eine CT
des Kopfes angefertigt werden, um einen erhöhten
intrakraniellen Druck mit Einklemmungsgefahr auszu-
schließen. In diesem Fall muss die Antibiotikatherapie
bereits nach Abnahme von Blutkulturen begonnen
werden, und die Liquorpunktion erfolgen, sobald eine
Kontraindikation durch die CT ausgeschlossen wurde.
In aller Regel ermöglicht die Liquoruntersuchung die
Abgrenzung von einer viralen Meningitis, die übli-
cherweise einen blanderen klinischen Verlauf zeigt.

Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis)
Die Riesenzellarteriitis ist typischerweise eine Erkran-
kung älterer Menschen. Sie manifestiert sich akut oder
subakut mit allgemeinen Krankheitssymptomen (unspe-
zifisches Krankheitsgefühl, subfebrile Temperaturen,
Appetitlosigkeit, unter Umständen Gewichtsabnahme)
und ein- oder beidseitigen stechend-bohrenden Kopf-
schmerzen. Visusstörungen (Amaurosis fugax, visuelle
Reizerscheinungen) sind ein weiteres Kardinalsymptom
und zeigen eine bei verzögerter Diagnostik und Thera-
pie drohende Erblindung an. Typische weitere Sympto-
me sind eine Claudicatio bei Kieferbewegungen sowie
Dysästhesien oder Nekrosen der Kopfhaut, die jedoch
nicht obligat sind. Häufig existiert eine schmerzhafte
Verhärtung oder Pulsabschwächung der Temporalarte-
rie. Charakteristische Laborbefunde sind eine starke Er-
höhung des CRP und der BSG (so genannte Sturzsen-

kung). Dabei weist die CRP-Erhöhung eine höhere Sen-
sitivität auf. Diagnostischer Goldstandard ist der histo-
logische Nachweis einer nekrotisierenden Riesenzellar-
teriitis aus einem Biopsat der Temporalarterie.

Die Indikation zu einer Biopsie sollte insbesondere

bei untypischer Klinik oder fehlender Sturzsenkung
großzügig gestellt werden. Da die Sensitivität der
Biopsie unter einer Steroidtherapie kontinuierlich ab-
nimmt (von 80 bis 90 Prozent innerhalb einer Woche
auf etwa 60 Prozent), sollte sie gegebenenfalls früh-
zeitig erfolgen. Keinesfalls darf der Beginn einer
Steroidtherapie jedoch durch das Warten auf eine
Biopsie verzögert werden, da potenziell ein irreversi-
bler Visusverlust droht. Die Riesenzellarteriitis tritt in
> 50 Prozent der Fälle gemeinsam mit einer Polymy-
algia rheumatica auf, die durch Myalgien der Schul-
ter- und Beckengürtelmuskulatur und Arthralgien ge-
kennzeichnet ist.

Sinusthrombose
Eine Thrombose der Hirnvenen kommt typischerweise
in der Schwangerschaft, bei hereditären Koagulopathi-
en oder bei bakterieller Meningitis vor und führt häufig
primär zu drückenden Kopfschmerzen, die im Liegen
stärker sind als in aufrechter Position. Folge kann auch
ein Pseudotumor cerebri sein. Schnell können Hirnner-
venausfälle, Halbseitensymptome und typischerweise
auch epileptische Anfälle auftreten. Notwendig ist eine
schnelle Bildgebung mithilfe des MRT, wobei in den
meisten Fällen eine morphologische Darstellung des
Gehirns nicht ausreicht, sondern eine MR-Angiogra-
phie mit venöser Phase durchgeführt werden muss. In
Zweifelsfällen kann auch eine konventionelle digitale
Subtraktionsangiographie (DSA) indiziert sein.

Dissektionen der hirnversorgenden Arterien
Traumatische Dissektionen, die oft durch eine Chirothe-
rapie ausgelöst werden, oder spontane Dissektionen der
hirnversorgenden Arterien, führen zu plötzlichen halbsei-
tigen Kopf- oder Nackenschmerzen. Sie stellen bei jun-
gen Menschen eine häufige Ursache zerebraler Ischämi-
en dar, müssen aber nicht dazu führen. Zwischen dem
Auftreten der Gefäßdissektion und der zerebralen Ischä-
mie können unter Umständen mehrere Tage liegen, in de-
nen eine MRT des Kopfes unauffällige Befunde ergeben
kann. In dieser Phase kann ein einseitiges Horner-Syn-
drom auf eine Dissektion der A. carotis interna mit häma-
tombedingter Schädigung sympathischer Nervenfasern
hinweisen, ebenso können hämatombedingte Ausfälle

Riesenzellarteriitis

Die Riesenzellarteriitis (früher: Arteriitis tempora-
lis) wird durch Anamnese, typische Laborkonstel-
lation und eventuell Biopsie diagnostiziert. Sie
muss auch bei nicht eindeutiger Diagnose sofort
mit Steroiden behandelt werden.

Sinusthrombose

Eine Sinusthrombose kann Ursachen von chroni-
schen Kopfschmerzen (insbesondere in der
Schwangerschaft) sein. Ihr Nachweis gelingt nur
in der zerebralen Bildgebung.

Abbildung

Subdurale

Hämatome im MRT

eines 76-jährigen

Patienten, der sich

mit chronischen

posttraumatischen

therapieresistenten

Kopfschmerzen

vorstellte

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kaudaler Hirnnerven vorliegen wie zum Beispiel Schluck-
störungen, Zungenparese und Dysarthrie. Die Ultraschall-
untersuchung der Halsgefäße kann hämodynamische und/
oder morphologische Auffälligkeiten zeigen, die den Ver-
dacht auf eine Dissektion lenken. Sie kann als alleiniges
Verfahren jedoch häufig keine definitive differenzialdia-
gnostische Abgrenzung gegenüber anderen zum Beispiel
atherosklerotischen Gefäßpathologien gewährleisten. Die
MR-Angiographie mit MRT-Schnittbildern ermöglicht
dann fast immer den Nachweis eines Dissektats und hat
die DSA als Goldstandard weitgehend abgelöst.

Pseudotumor cerebri
Die Erkrankung ist definiert als Liquordruckerhöhung
ohne Nachweis einer zerebralen Raumforderung und
mit unauffälligem Liquorbefund. Leitsymptom ist ein
Kopfschmerz, der häufig pulsierenden Charakter hat.
Visuelle Reizerscheinungen, Gesichtsfeldausfälle, Tin-
nitus, Visusminderungen und Doppelbilder begleiten
ihn in abnehmender Häufigkeit. Die Erkrankung be-
trifft vor allem übergewichtige Frauen im gebärfähigen
Alter, kann aber selten auch bei Männern vorkommen.
Charakteristischer Befund ist die Stauungspapille, die
Perimetrie zeigt bei einer Optikusneuropathie einen
vergrößerten blinden Fleck und nasal unten betonte Ge-
sichtsfelddefekte. Eine zerebrale Raumforderung und
Sinusthrombosen müssen ausgeschlossen werden. Die
entscheidende diagnostische Maßnahme ist eine Li-
quordruckmessung im Liegen, die Eröffnungsdrücke
von > 25 cm Wassersäule zeigt und der sich als kurzfri-
stige Therapie eine unmittelbare Entlastung durch Ab-
lassen von 20 bis 30 mL Liquor anschließt.

Hirntumoren
Kopfschmerzen aufgrund von Hirntumoren sind eher
selten und nur bei weniger als 0,1 Prozent aller Kopf-
schmerzpatienten einziges oder erstes Symptom (15).
Jedoch haben fast alle Kopfschmerzpatienten Angst
vor einem Hirntumor.

An einen Tumor als Ursache von Kopfschmerzen

muss nur dann gedacht werden, wenn die neurologi-
sche Untersuchung eindeutig fokale neurologische
(das heißt lokalisierende) Defizite ergibt, wenn die
Kopfschmerzen erstmals mit einem epileptischen An-
fall auftreten oder wenn es gleichzeitig zu neuem mor-
gendlichem Erbrechen kommt.

Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien
des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 9. 5. 2006, revidierte Fassung angenommen 17. 7. 2006

LITERATUR

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migraine: measuring disability in headache disorders with WHO's

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2. Headache Classification Committee: The international classifica-

tion of headache disorders, 2nd edition. Cephalalgia 2004; 24 (Suppl 1):
1–160.

3. Rasmussen BK: Epidemiology of headache. Cephalalgia 1995;

15: 45–68.

4. Evers S: Kopfschmerzen – epidemiologische und gesundheitsö-

konomische Aspekte. Manuelle Medizin 2001; 39: 290–3.

5. Kopfschmerzklassifikation der International Headache Society

(deutsche Version). Nervenheilkunde 2003; 22: 531–670.

6. Quality Standards Subcommittee of the American Academy of

Neurology Practice parameter: the utility of neuroimaging in the
evaluation of headache in patients with normal neurologic exami-
nations (summary statement). Neurology 1994; 44: 1353–4.

7. Gendolla A, Evers S: Schwierige Entscheidungen. Kopfschmerz-

therapie in der Schwangerschaft und bei Kindern. Schmerz 2004;
18: 378–84.

8. Diener HC, Pfaffenrath V, Limmroth V et al.: Therapie der Migrä-

neattacke und Migräneprophylaxe. Gemeinsame Leitlinie der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migrä-
ne- und Kopfschmerzgesellschaft. In: Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie (Hrsg). Stuttgart: Thieme 2005;
494–508.

9. May A, Straube A, Peikert A, Diener HC: Diagnostik und apparative

Zusatzuntersuchungen bei Kopfschmerzen. In: Leitlinien der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg). Stuttgart: Thieme
2005, 476–9.

10. Goadsby PJ, Lipton RB. A review of paroxysmal hemicranias,

SUNCT syndrome and other short-lasting headaches with autono-
mic feature, including new cases. Brain 1997; 120: 193–209.

11. May A, Evers S, Straube A, Pfaffenrath V, Diener HC: Therapie und

Prophylaxe von Clusterkopfschmerzen und anderen trigemino-au-
tonomen Kopfschmerzen. Nervenheilkunde 2004; 23: 478–90.

12. Paulus W, Evers S, May A, Steude U, Wolowski A, Pfaffenrath V:

Therapie und Prophylaxe von Gesichtsneuralgien und andere For-
men der Gesichtsschmerzen. Schmerz 2003; 17: 74–91.

13. Evers S, Frese A, May A, Sixt G, Straube A: Therapie seltener idio-

pathischer Kopfschmerzerkrankungen. Nervenheilkunde 2005;
24: 217–26.

14. Schellinger PD, Fiebach JB: Intracranial hemorrhage: the role of

magnetic resonance imaging. Neurocrit Care 2004; 1: 31–45.

15. Evers S: Kopfschmerz bei Hirntumoren. In: Diener HC (Hrsg).

Kopfschmerzen. Referenzreihe Neurologie. Stuttgart: Thieme Ver-
lag 2003: 140–6.

Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers
Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Straße 33, 48129 Münster
E-Mail: everss@uni-muenster.de

Dieser Beitrag wurde von der Nordrheinischen Akademie für
ärztliche Fort- und Weiterbildung zertifiziert.

Eine Kasuistik steht im Internet zur Verfügung:

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Die erworbenen Fortbildungspunkte können mithilfe der Ein-
heitlichen Fortbildungsnummer (EFN) verwaltet werden. Un-
ter

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muss hierfür in der Rubrik „Mei-

ne Daten“ oder bei der Registrierung die EFN in das entspre-
chende Eingabefeld eingegeben werden. Die 15-stellige EFN
steht auf dem Fortbildungsausweis.

Weitere Informationen zu cme

English version of this article on the internet:
www.aerzteblatt.de

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Frage Nr. 1

Welche Kopfschmerzform gehört zu den symptomatischen
Kopfschmerzen?
a) Migräne
b) Kopfschmerz vom Spannungstyp
c) primärer schlafgebundener Kopfschmerz
d) Clusterkopfschmerz
e) Pseudotumor cerebri

Frage Nr. 2

Welche Erkrankung gehört zu den trigeminoautonomen
Kopfschmerzen?
a) Riesenzellarteriitis (Arteriitis temporalis)
b) chronischer Clusterkopfschmerz
c) schlafgebundener Kopfschmerz
d) primärer Hustenkopfschmerz
e) Trigeminusneuralgie

Frage Nr. 3

Welches Symptom schließt einen chronischen Kopfschmerz
vom Spannungstyp aus?
a) halbseitiger Kopfschmerz
b) milde Übelkeit
c) Appetitlosigkeit
d) drückende Kopfschmerzen
e) Erbrechen

Frage Nr. 4

Ab wie viel Tagen mit Kopfschmerzen pro Monat spricht man von
einem chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp?
a) 5 Tage/Monat
b) 10 Tage/Monat
c) 15 Tage/Monat
d) 20 Tage/Monat
e) 30 Tage/Monat

Frage Nr. 5

Wann sollte bei einem Verdacht auf eine Subarachnoidalblutung
ein CCT durchgeführt werden?
a) gar nicht; man sollte immer zuerst eine MRT durchführen
b) so schnell wie möglich
c) frühestens nach einer Lumbalpunktion
d) frühestens vier Stunden nach dem Ereignis
e) sobald neurologische Ausfallsymptome vorliegen

Frage Nr. 6

Welcher Laborparameter hat die höchste Sensitivität bei Vorliegen
einer Riesenzellarteriitis?
a) Blutsenkungsgeschwindigkeit
b) Leukozytenzahl
c) Fibrinogen
d) Hämoglobin
e) CRP

Frage Nr. 7

Wozu dient eine MRT bei Verdacht auf trigeminoautonome Kopf-
schmerzen?
a) zum eventuellen Nachweis eines Gefäß-Nerven-Kontakts
b) zum Ausschluss einer symptomatischen Form (zum Beispiel Tumor

der hinteren Schädelgrube)

c) zum Ausschluss eines Kleinhirninfarkts als Ursache der Schmerzen
d) zum Ausschluss einer Epilepsie vor Gabe eines Antiepileptikums zur

Schmerztherapie

e) zum eventuellen Nachweis eines Migräne als Ursache der halbseiti-

gen Kopfschmerzen

Frage Nr. 8

Nach welchem Grundprinzip der Kriterien werden idiopathische
Kopfschmerzen in der Kopfschmerzklassifikation der IHS diagno-
stiziert?
a) aufgrund apparativer Diagnostik
b) nach ätiologischen Kriterien (d. h. pathophysiologisch)
c) nach Symptomen
d) aufgrund der Familienanamnese
e) nach Kriterien der körperlichen Untersuchung

Frage Nr. 9

Welcher Kopfschmerz gehört zu den idiopathischen
Kopfschmerzen?
a) Kopfschmerz bei Riesenzellarteriitis
b) Kopfschmerz bei arterieller Dissektion
c) Kopfschmerz bei bakterieller Meningitis
d) Kopfschmerz bei Subarachnoidalblutung
e) Kopfschmerz bei sexueller Aktivität

Frage Nr. 10

Welche Aussage zur Kopfschmerzdiagnostik ist richtig?
a) Die meisten Kopfschmerzen in der ärztlichen Praxis sind idiopathisch

und nicht symptomatisch.

b) Zur Diagnose einer Migräne muss immer auch eine zerebrale Bildge-

bung erfolgen.

c) Halbseitige Kopfschmerzen schließen einen Kopfschmerz vom Span-

nungstyp aus.

d) Neurophysiologische Methoden spielen in der Diagnostik von sym-

ptomatischen Kopfschmerzen keine Rolle.

e) Das CCT hat die beste Spezifität in der Bildgebung von symptomati-

schen Kopfschmerzen.

Bitte beantworten Sie folgende Fragen für die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung. Pro Frage
ist nur eine Antwort möglich. Bitte entscheiden Sie sich für die am ehesten zutreffende Antwort.

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Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist ausschließlich
über das Internet möglich:

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Einsendeschluss ist der 22. Dezember 2006.

Einsendungen, die per Brief oder Fax erfolgen, können nicht berücksichtigt werden.

Die Lösungen zu dieser cme-Einheit werden in Heft 1–2/2007
an dieser Stelle veröffentlicht.

Die cme-Einheit „Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen“
(Heft 41/2006) kann noch bis zum 24. November 2006 bearbeitet werden.

Für Heft 49/2006 ist das Thema „Psychopathologie und Behandlung der
Borderline-Persönlichkeitsstörung“ vorgesehen.

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