Ist die Zeitung am Ende? - ARTIKEL
Kahlschlag im Blätterwald
Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Bald am Boden? Zeitungen in der Krise
Das Internet macht Druck, der Anzeigenmarkt kriselt, und vor allem die jungen Leser
bleiben weg: Nach dem Zeitungssterben in den USA kämpfen auch die deutschen
Zeitungen ums Überleben.
Jahrzehntelang war sie neben Kaffee und Brötchen ein Lieblings-Utensil der deutschen
Frühstückskultur: die Zeitung. Nun aber wird sie im Zuge des Internet-Booms und der
allgemeinen Finanzkrise zunehmend zum publizistischen Auslaufmodell, vor allem bei
jungen Leuten. Nur vier Prozent der Menschen unter 20 lesen heute noch eine überregionale
Tageszeitung, vermeldete die "Süddeutsche Zeitung" geschockt in einer Mai-Ausgabe ihres
Magazins, das den bangen Frage-Titel trug: "Wozu Zeitung?"
Von der Existenzkrise direkt in die Sinnkrise
Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Lesen bald
nur noch im Kaffeesatz? Das Frühstück findet immer öfter ohne Zeitungen statt
Tja – wozu überhaupt noch Zeitungen, wenn die meisten jungen Menschen in Deutschland
sich doch schon heute lieber im Internet informieren? Jeden fünften Leser hat die Print-
Branche in den letzten zehn Jahren bereits verloren. Nun droht dank eines rasant
eingebrochenen Anzeigenmarkts weiterer Kunden-Schwund. Denn weniger Werbung
bedeutet für die Zeitungshäuser weniger Geld, dünnere Blätter und verkleinerte Redaktionen,
was wiederum fast zwangsläufig einen inhaltlichen Qualitätsverlust bewirkt.
Dünnere Blätter, weniger Qualität
Ein Teufelskreis: Denn angesichts geschrumpfter und schlechter gemachter Zeitungen
springen auch immer mehr Stammleser enttäuscht ab. Was führende deutsche Verlage
trotzdem nicht davon abhält, in der Krise weiterhin am redaktionellen Personal zu sparen.
Ende Juli kündigten die Verlage Gruner & Jahr und Axel Springer Kurzarbeit für ihre Titel
an. Davor machten bereits das Lifestyle-Magazin "Vanity Fair" und die Burda-Zeitschriften
"Amica" und "Tomorrow" dicht. Und vor allem die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung"
(WAZ), die größte Lokalzeitung Deutschlands, geriet im Frühjahr ins Gerede, weil sie nicht
weniger als 289 Redakteurs-Stellen strich und außerdem zwei Lokalredaktionen schloss. Je
brutaler der Rotstift in den Zeitungshäusern regiert, desto mehr wachsen Panik und
Untergangsstimmung unter den eigenen Journalisten.
Apokalyptische Prognosen
Schon macht die apokalyptische Rede vom angeblich unausweichlichen Zeitungssterben die
Runde, das in den USA tatsächlich bereits eingesetzt hat. Und in Deutschland sind es nicht
zuletzt die Zeitungsmacher selbst wie etwa Steffen Klusmann, Chefredakteur der "Financial
Times Deutschland", die ihrem eigenen Papiermedium ein baldiges Ende voraussagen. Die
Tageszeitung, verkündete Klusmann zu Jahresanfang, werde in "fünf bis zehn Jahren vom I-
Phone gekillt" sein. Kein Wunder, dass bei so viel Schwarzmalerei einige Publizisten nun
sogar nach Hilfe vom Staat rufen, der die angeschlagene Branche finanziell unterstützen solle.
Andere wie Bernd Ziesemer, Chefredakteur des Düsseldorfer "Handelsblatts", halten von
dieser Staatslösung gar nichts – und sehen auch den Internet-Boom längst nicht so dramatisch
wie viele Kollegen.
Statt Zeitung oder Internet - Zeitung mit Internet
Bald nur noch Nostalgie? Zeitungslektüre im Grünen...
Denn statt den eigenen Untergang herbeizureden und das Internet als gefährlichen
Konkurrenten zur Zeitung wahrzunehmen, glaubt Ziesemer an ein mögliches Miteinander
beider Medien für die Zukunft. Und sieht das Netz sogar als ökonomischen Überlebens-
Gehilfen für die Zeitung, indem Verlage künftig für eigene Online-Angebote jenes Geld
verlangen sollten, das ihnen nun ohne genügend Werbeinnahmen fehlt. Dafür aber, so
Ziesemer, müssten Zeitungsmacher und -verlage erst einmal ihre Ehrfurcht vor dem Internet
verlieren. Und: ihren publizistischen Berufsstolz wiederentdecken. Der nämlich sei durch die
Krise zu stark angeknackst und gleichzeitig der wichtigste Überlebensfaktor für den
Zeitungsjournalismus. "Dadurch, dass man sich vor eine Tatstatur klemmt und irgendeinen
Beitrag im Internet veröffentlicht, ist man noch kein Journalist", sagt Ziesemer und plädiert an
seine verunsicherten Kollegen: "Ich finde, darauf sollten wir stolz sein. Ein gut geschriebener
Artikel – egal, ob er im Internet oder in einer Zeitung steht – wird auch künftig eine wichtige
Rolle in unserer Gesellschaft spielen."
Autorin: Gisa Funck
Redaktion: Aya Bach
http://www.deutsche-welle.de/dw/article/0,,4541378,00.html