Behrendt, Leni Kelter Grosse Ausgabe 0030 Als die Rosen blühten am Rosenhaus

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LENI BEHRENDT

Als die Rosen blühten am

Rosenhaus

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Es ist einem Witwer von fünfzig Jahren gewiß nicht zu
verdenken, wenn er noch einmal heiraten will. Zumal dann
nicht, wenn dieser über ein gutes Aussehen verfügt, gesund
und vital ist und mit keinen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten zu kämpfen hat, wie dies alles bei dem
Besitzer der großen Spirituosenfabrik und Weinkellereien
der Fall ist.
Und doch gab es einige Menschen, die Egon Grodes eine
Heirat verdachten. In erster Linie seine Tochter Alix, was

den Mann mit tiefem Groll erfüllte, dem er auch heute
wieder freien Lauf ließ, da es besonders hart auf hart ging,
sozusagen als Endspurt.
»Zum Kuckuck, ich habe es doch wirklich nicht nötig, mir
von so einem Gör Vorschriften machen zu lassen!« brauste
der tiefgereizte Mann auf. »Entweder läßt du von deiner
aufsässigen Haltung ab, oder ich werde dir beibringen, wie
man sich seinem Vater gegenüber zu benehmen hat.«
»Bitte«, kam die Antwort fast gelangweilt von den Lippen
des jungen, rassigen Menschenkindes. »Da bin ich
tatsächlich neugierig, wie du das anstellen wirst.«
»Alix, noch eine so schnippische Antwort – und du hast die

erste Ohrfeige von Vaterhand weg!« schrie der Mann jetzt
hochrot vor Zorn. »Und wenn die eine nicht hilft, dann
ohrfeige ich dich so lange, bis ich dich zur Raison gebracht
habe, verstanden?!«
»Gewiß«, versetzte sie mit aufreizender Ruhe. »Verstanden
habe ich schon, aber…«
»Kein Aber!« schnitt er ihr herrisch das Wort ab. »Du wirst
dich bei dem heutigen Besuch meiner zukünftigen Frau so
benehmen, wie es einem guterzogenen Mädchen
zukommt. Ich möchte mich nicht deiner schämen
müssen.«

»Eben«, blitzte es nun gefährlich in den blauen
Mädchenaugen auf. »Um dich dieser Blamage nicht
auszusetzen, werde ich – falls dieses Fräulein von Tees

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mein Elternhaus durch eine Tür betreten sollte – durch die
andere verschwinden.«

»Was soll das heißen?« fragte er scharf dazwischen, und die
Tochter fragte kühl dagegen:
»Ist das denn so schwer zu verstehen, Vater?«
Bei der Bezeichnung zuckte der Mann
zusammen, denn er war noch nie von der Tochter so
genannt worden. Immer war er der Paps für sie gewesen –
und zwar ein guter, der an seinem einzigen Kind mit
zärtlicher Liebe hing.
»Und wie ich dich verstehe, meine liebe Alix«, lachte er auf,
so ein Lachen, von Grimm und Schmerz gemischt. »Wage
es ja nicht, dein Vaterhaus gegen meine Einwilligung zu
verlassen. Ich hole dich zurück – und wenn ich da gleich

Gewalt anwenden müßte!«
»Du scheinst zu vergessen, Vater, daß ich vor kurzem
einundzwanzig Jahre und daher mündig geworden bin«,
entgegnete sie achselzuckend – und der Mann hatte nun
wirklich alle Beherrschung nötig, um nicht seine vorherige
Drohung wahr zu machen und das Mädchen zu ohrfeigen,
das wie die personifizierte Gelassenheit dasaß und ihm
hartnäckigen Widerstand entgegensetzte. Um sich zu
beruhigen, griff er nach einer Zigarette, steckte sie in Brand
und sagte mit gemachter Gleichmütigkeit:
»Also du willst Kampf, mein Kind – schön, den sollst du
haben. Aber willst du mir nicht verraten, wovon du zu

leben gedenkst, wenn du diese schützenden Mauern
verläßt?«
»Von dem Geld, das mir meine Mutter hinterließ – und
über das ich seit dem Tage meiner Volljährigkeit frei
verfügen darf«, kam prompt die unerwartete Antwort. »Es
ist, soviel ich weiß, mündelsicher angelegt…«
»Was hat das nun wieder zu bedeuten? Traust du mir etwa
gar noch zu, daß ich mich an deinem Geld vergriffen hätte?
Geh jetzt, damit ich mich nicht doch noch zu etwas
hinreißen lasse…«
Die Tür klappte hinter der grazilen Mädchengestalt zu –

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und der Mann fuhr sich in die Haare. Dann trat er an die
Hausbar, goß zwei ausgewachsene Kognaks in die vor

Grimm geengte Kehle und ließ sich dann wie erschöpft in
den nächsten Sessel sinken.
Dem allen sah seelenruhig die Dame zu, die schon
während der Debatte zwischen Vater und Tochter
dagewesen war und sich schweigend verhalten hatte. Auch
jetzt sagte sie noch nichts, bis der tiefgereizte Bruder sie
anschrie:
»Sitz nicht da wie eine Pagode!«
»Wie was?« fragte sie lachend. »Na hör mal, mit dem
komischen Männchen habe ich doch nun wirklich keine
Ähnlichkeit. Außerdem müßte ich dann unausgesetzt mit
dem Kopf nicken, wobei sich meine Nackenmuskeln

langsam ausleiern würden…«
»Hör bloß auf!« herrschte er sie an. »Schäm dich, jetzt zu
ulken. Die Situation ist doch wohl ernst genug, will ich
meinen.«
»Es liegt ja an dir, sie zu ändern«, kam es ungerührt zurück.
»Gib deine törichten Heiratspläne auf – und es herrschen
hier wieder Friede und Eintracht.«
»Nein, ich gebe sie nicht auf«, beharrte er eigensinnig.
»Jetzt gerade nicht! Als ob ich der erste Mann wäre, der sich
mit fünfzig Jahren noch einmal verheiraten will. Anstatt
mir mein Glück zu gönnen, versucht ihr, es mir mit
lächerlichen Vorstellungen zu verleiden. Aber ich werde

euch schon zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.«
»Bitte sehr, mein lieber Egon, jeder blamiert sich, so gut er
kann.«
»Grit, ich verbitte mir…«
»Na ja, ist schon gut«, winkte sie beschwichtigend ab.
»Narren und Verliebte soll man nicht reizen, sonst könnten
sie am Ende zum Berserker werden. Man kann erst wieder
vernünftig mit dir reden, wenn sich dein jetzt so heißes
Herz abgekühlt hat.«
»Wie meinst du das?«
»Genauso, wie es gesagt ist.«

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»Daß ihr Frauen doch nicht von euren Spitzfindigkeiten
lassen könnt«, brummte er verdrießlich. »Wann soll mein

Herz sich wohl abkühlen, wie?«
»Gleich nach den Flitterwochen – oder gar schon
mittendrin. Und nun sieh mich nicht an, als ob du mich
fressen woll test, sondern hör hübsch zu, was ich dir sagen
werde, nämlich: Daß es kein gutes Ende nehmen kann,
wenn ein Fünfzigjähriger eine Zweiundzwanzigjährige
heiratet, Bruderherz. Nimmst du etwa an, daß das junge
Mädchen dich liebt?«
»Gewiß tut sie das.«
»Gott segne deinen kindlichen Sinn«, versetzte sie
achselzuckend. »Taumle also in dein vermeintliches Glück,
aus dem es bald ein böses Erwachen für dich geben wird.

Und mach deinen Geldbeutel nur recht weit auf, damit du
dessen Inhalt möglichst schnell in das Danaidenfaß
schütten kannst. Denn bedenke, deine Auserwählte bringt
in die Ehe nicht nur ihre sehr anspruchsvolle Mutter mit,
sondern auch ihren Bruder, der als Leichtfuß und Tagedieb
bekannt ist. Da wirst du die Taler flott rollen lassen
müssen, mein Lieber.«
»Handelt es sich etwa um dein Geld?« fragte er bissig.
»Gottlob, nein. Und zum Glück auch um das deiner
Tochter nicht. Sonst würde das jetzt so reiche Mädchen
wohl bald am Hungertuch nagen müssen .
Egon, so geh doch endlich in dich«, sprach sie jetzt

beschwörend auf ihn ein. »Daß du in deiner Vitalität noch
einmal heiraten willst, wird dir kein Mensch verdenken.
Aber suche dir als Gattin ein weibliches Wesen, das zu dir
paßt und alle Qualitäten besitzt, um dich auch wirklich
glücklich zu machen. Von der Weiblichkeit gibt es nämlich
eine ganze Menge, das darfst du mir schon glauben.«
»Ach so, da soll ich mir wohl eine Omama anheiraten«,
höhnte er. »Gib dir keine Mühe, meine Wahl ist getroffen.«
»Na – dann herzlichen Glückwunsch«, versetzte sie trocken.
»Werde selig – aber ohne mich und Alix.«
»Grit, auch du willst mich verlassen?« fragte er betroffen.

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»Was soll denn aus dem Haushalt werden?«
»Das laß deine Sorge sein«, erwiderte sie kühl. »Ich sage

jetzt dasselbe, was Alix vorhin tat: Sowie deine Auserwählte
in einer Tür hier erscheint, entschwinde ich durch die
andere.«
»So schert euch denn zum Kuckuck!« brüllte er nun los. »Es
wird auch ohne euch gehen!«
Dann starrte er auf die Tür, die sich hinter seiner Schwester
schloß, mit der ihn von jeher ein herzliches Verhältnis
verbunden hatte und die seit dem Tod seiner Frau, die vor
zwei Jahren starb, seinem Haus vorstand mit Geschick und
Energie. Eine Verwünschung zwischen den Zähnen
verbeißend, trat der tiefgekränkte Mann an die Hausbar,
um seinen Verdruß in Alkohol zu ertränken.

Frau Grit von Alkes stieg die Stufen der mit Teppichläufern
belegten Treppe hinauf – ganz langsam und schwer, als
trüge sie Blei an den Füßen. Sie hatte ja auch Kummer
genug, daß sie das Haus, an dem sie hing, verlassen sollte.
Und es war ein gutes Haus, vornehm und gediegen. Man
legte Wert darauf, nur saubere und einwandfreie Elemente
darin zu beherbergen. So hatten es bereits die Eltern Grits
gehalten, dann ihre Schwägerin und zuletzt sie selbst.
Die Firma Grodes hatte schon zu Zeiten des Großvaters
einen guten Klang gehabt, und die beiden Nachfahren
waren stets bemüht gewesen, diesen guten Klang nicht nur
zu erhalten, sondern noch zu festigen. Hauptsächlich dem

jetzigen Besitzer war das nicht schwergefallen, weil er von
Hause aus schon recht vermögend, noch dazu eine reiche
Frau geheiratet hatte. Also konnte er seinen Besitz immer
noch erweitern. Auch das bisher wohl behagliche, doch
schlichte Wohnhaus wurde durchgebaut und mit allem
Komfort versehen. Es herrschte eine Harmonie darin, wie
sie leider nicht oft zu finden ist. Und das lag hauptsächlich
an der Hausherrin, die mit Güte und Liebe ihr mildes
Zepter schwang, dem sich alle gern und willig beugten.
Daher war es für Vater und Tochter ein harter Schlag, als
die gütige Frau nach einer schweren Operation die Augen

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für immer schloß. Und da war es die verwitwete Grit von
Alkes, die den beiden verstörten Menschen langsam über

ihren Schmerz hinweghalf.
Sie war aber auch ein prächtiger Mensch, die jetzt
zweiundfünfzigjährige
Grit! Klug, welterfahren, charmant und immer frohgemut
und guter Dinge. Selbst durch ihre unglückliche Ehe mit
einem namhaften Bildhauer hatte sie sich nicht
unterkriegen lassen. Sie ließ den leichtsinnigen Menschen
gewähren, nur von dem in die Ehe gebrachten Geld gab sie
nicht eine Mark her, was ihr sehr zugute kam, als der Gatte
tödlich verunglückte. Zwar fand sie im Nachlaß keine
Schulden vor, aber auch keine nennenswerte Rücklage.
Allerdings brachte dann der Verkauf der Villa samt ihrer

Einrichtung einen guten Batzen, den sie zu ihrer
unangetasteten Mitgift tat und und nun sehr gut davon
leben konnte. Sie mietete sich eine kleine, komfortable
Wohnung in Berlin und richtete sich ihr Leben ganz nach
Wunsch ein.
Bis dann der Bruder sie nach dem Tod der Gattin in sein
Haus rief, dem sie sich dann auch in ihrer charmanten Art
annahm. Ihre Nichte Alix schloß sich fest an sie an, und
auch der Bruder fühlte sich unter ihrem Zepter so wohl,
daß er kein Verlangen danach trug, ein zweites Mal zu
heiraten.
Bis – ja bis er das Fräulein von Tees kennenlernte, da

überkam es den sonst so Besonnenen wie ein Rausch. Da
half kein Bitten und kein Trotz der Tochter, kein
Insgewissenreden der Schwester, der alternde Mann war
förmlich davon besessen, mit einer jungen Frau sich ein
Stück seiner Jugend zurückzuerobern, sich ein spätes Glück
zu schaffen.
Oben betrat Grit das reizende kleine Reich der Nichte, die
untätig dasaß und die Tante nun fragend ansah.
»Ja, mein Mädchen«, meinte sie traurig. »Da werden wir
nun wohl unsere Siebensachen packen müssen – denn dein
Vater gibt nicht nach, das ist mir heute zur Gewißheit

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geworden. Im Gegenteil, er verbeißt sich immer mehr in
seinen Entschluß, je hartnäckiger wir beide ihm

Widerstand entgegensetzen. Er tut mir bitter leid, der
törichte Mann, aber wem nicht zu raten ist, dem ist nun
einmal nicht zu helfen. Wie sagt Wilhelm Busch:
Mit Gründen ist da nichts zu machen, was einer mag, ist
seine Sache – denn kurz gesagt: In Herzenssachen, geht
jeder seiner Nase nach. Wenn er sich die verbrannt hat,
wird er es schon merken«, setzte sie lachend hinzu. »Und
nun wollen wir packen. Zuerst mal je einen Koffer, die
andern Sachen können uns nachgeschickt werden. Und
zwar von Alma, der wir auch die Schlüssel von unsern
Zimmern anvertrauen. Soweit ich die brave Seele kenne,
wird sie diese der neuen Herrin bestimmt nicht ausliefern.

Ich vermute sogar, daß sie ihren Dienst kündigen wird,
sobald die Tees mit Anhang hier einzieht.«
Eine Stunde später waren dann die Koffer gepackt – und
noch eine Stunde später brachte das Auto die Auserwählte
des Hausherrn nebst dem unvermeidlichen Anhängsel. Grit
und Alix, die oben am Fenster standen, sahen voll Grimm,
wie herzlich die Besucher von Egon Grodes empfangen
wurden.
»So, mein Kleines, jetzt wird die Sache ernst«, ermunterte
die Tante ihre Nichte, indem sie diese vom Fenster fortzog.
»Nun müssen wir das Feld räumen, wenn wir all den
Widerwärtigkeiten entgehen wollen, die sich fortan hier

abspielen werden. Ich weiß, es fällt dir schwer, mein
Kind…«
»Durchaus nicht.« Das Mädchen warf den Kopf in den
Nacken, während in den Augen der Trotz nur so funkelte.
»Ich würde hier doch nur geduldet sein, und das paßt mir
nicht. Es wird schon der Tag kommen, wo Vater mich
liebend gern wieder hierhaben möchte, aber dann werde
ich genauso störrisch sein, wie er es heute ist. Werde ihm
zeigen, daß mir an ihm genauso wenig gelegen ist, wie ihm
an mir.«
Zehn Minuten später saßen sie in. Alix’ elegantem

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Zweisitzer. Und während der Wagen dahinflitzte, widmete
Egon Grodes sich seinen Gästen, die immer wieder

beteuerten, welch ein entzückendes Heim dieses wäre.
Beunruhigt wartete der Hausherr auf seine Angehörigen,
bis er seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, sich bei
den Gästen entschuldigte und zorngeladen zum Zimmer
der Tochter ging. Jetzt sollte das widerspenstige Mädchen
ihn aber kennenlernen!
Doch gleich darauf mußte er feststellen, daß die Türen zu
den Zimmern der beiden Damen verschlossen waren. Am
liebsten hätte er ja in seiner Wut wie irrsinnig gegen das
Holz geschlagen, aber das ging nicht gut an, weil er die
Gäste unten nicht hellhörig machen wollte.
»Alix, sofort machst du auf!« gebot er leise, aber scharf –

doch nichts rührte sich. Gleichfalls blieb es nach seiner
Aufforderung hinter der andern Tür still. Mit einem
Gesicht, als ob er sie fressen wollte, sah er der adretten
Köchin entgegen, die den Gang entlang kam.
»Was haben Sie hier zu suchen?« fuhr
er sie an, worauf sie ihn erstaunt musterte.
»Ich habe hier zu tun, Herr Grodes.«
»Na schön«, kam er langsam zur Besinnung. »Nun Sie
einmal hier sind, so sagen Sie den beiden Damen Bescheid,
daß sie sich unverzüglich nach unten bemühen möchten.«
»Das ist nicht gut möglich…«
»Warum nicht?« fuhr er ihr ärgerlich ins Wort.

»Weil die beiden Damen vor ungefähr einer halben Stunde
im Auto fortgefahren sind«, entgegnete sie kühl. Er erblaßte
vor Schreck, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Wo sind die Schlüssel von den Türen?« fragte er kürz.
»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben die Damen sie
mitgenommen.«
Dann wandte er sich brüsk ab und hastete davon, während
sie ihm mit schadenfrohem Lächeln nachsah.
Das geschieht dir recht – dachte sie dabei. Du sollst noch
dein blaues Wunder erleben. Denn sofern du diese Pute als
deine Frau ins Haus bringst, wirst du deine gesamte

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Dienerschaft los, wie du deine Tochter und deine Schwester
bereits losgeworden bist, du blindverliebter Narr.

Damit ging sie zur Küche, wo das Hausmädchen, der junge
Diener und der Chauffeur sich lebhaft unterhielten. Eben
sprach letzterer:
»Das ist ein ganz schofles Pack, sage ich euch. Und sollte
heute die Verlobung steigen, so kündige ich morgen.«
»Ich auch«, bekannte das Mädchen Ella. »Ich habe nämlich
keine Lust, mich von der künftigen Gnädigen schikanieren
zu lassen. Denn diese Sorte kenne ich, die sind die reinen
Teufel ihren Untergebenen gegenüber. Dem Herrn werden
noch die Augen auf- und übergehen. Schade um ihn.«
»Sollte mir einfallen, so was zu bedauern«, meinte der
Diener wegwerfend. »Der Mann müßte in seinem Alter

doch schon Verstand genug haben…«
»Der ist ihm eben futsch gegangen«, lachte der Chauffeur
dazwischen. »Sonst könnte er unmöglich auf die verrückte
Idee kommen, ein Mädchen heiraten zu wollen, das nur
ein Jahr älter ist als seine Tochter. Hoffentlich bereitet diese
ihrer zukünftigen Stiefmutter einen Empfang…«
»Oder keinen«, schaltete sich jetzt die Köchin Alma ein.
»Die gnädige Frau und Fräulein Alix sind nämlich bereits
auf und davon. Da staunt ihr, wie?«
Das taten sie auch wirklich. Ella war die erste, die sich von
ihrer Überraschung erholte.
»Bravo!« rief sie begeistert. »Da wird der Alte schön toben –

herrlich!«
»Stopp ab«, lachte die Köchin gleich den anderen über das
begeisterte Mädchen. »Sieh lieber zu, daß die da drinnen
ihren Kaffee bekommen.«
Vergnügt schob die kecke Kleine mit dem Servierwagen ab
und erreichte mit dem Hausherrn zu gleicher Zeit das
Zimmer, in dem die drei Gäste saßen. Und während sie
flink den Tisch deckte, ließ sie ihre munteren Braunaugen
diskret umherwandern.
Brrr, dachte sie schaudernd. Die Alte sieht aus wie eine
drapierte Hopfenstange. Und die Junge – na ja, ganz

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hübsch, aber durchaus nichts Besonderes. Und
der junge Mann gleicht einer Schaufensterpuppe, mein

Geschmack ist der Porzellanjüngling jedenfalls nicht.
Nach diesen respektlosen Betrachtungen zog sie sich
zurück und kaum, daß sie verschwunden war, flötete der
Schwarm des Hausherrn süß:
»Oh, welch eine umdüsterte Stirn,

mein lieber Herr Grodes.

Sie haben doch nicht etwa Ärger gehabt?«
»Leider, gnädiges Fräulein«, erwiderte ermißmutig.
»Ausgerechnet heute mußten meine beiden Damen zu
einer Verwandten fahren, die erkrankt ist.«
»Das tut mir aber leid«, flötete nun die Mutter dieser
hoffnungsvollen Tochter noch um einen Ton süßer. »Ich
hätte die beiden Damen so gern begrüßt.«

»Und ich erst«, näselte der Porzellanjüngling enttäuscht.
»Hauptsächlich Fräulein Alix, die einfach ein Wunder an
Schönheit und Rasse ist, die ich bisher nur aus der Ferne
bewundern konnte. Schade, sehr schade.«
»Ja«, bestätigte die Schwester. »Mich macht es direkt traurig,
daß ich Ihre Tochter nicht begrüßen kann, mein lieber Herr
Grodes. Denn nach allem, was man von ihr hört, muß sie
ein liebenswertes Menschenkind sein.«
»Kunststück – bei dem Vater«, kicherte die Hopfenstange
was ihren gut fünfzig Jahren lächerlich genug anstand.
Und in der Art ging es weiter. Der Hausherr wurde umgarnt
und umgirrt wie eine Primadonna, was den Mann

eigentlich hätte anwidern müssen, wenn – ja wenn – die
Liebe ihm nicht seinen sonst so klaren Verstand getrübt
hätte. So jedoch fühlte er sich geschmeichelt und sein Herz
war von Liebe umnebelt, wie in seiner Jugend Blütezeit.
Allein, so ganz und gar umnebelt doch noch nicht, um
seiner Auserkorenen einen Heiratsantrag zu machen, wie er
es sich heute fest vorgenommen hatte. Warum er es nicht
tat, war ihm selbst unerklärlich. Aber irgend etwas hielt ihn
davon ab, obgleich er das Mädchen nach wie vor zu seiner
Frau begehrte. Er schalt sich einen Narren, als sie nebst
Anhang gegangen war.

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Warum plötzlich diese Hemmungen? Etwa weil Grit und
Alix ihn verlassen hatten? Das wäre ja gelacht, wenn er da

nachgeben wollte! Gerade jeder Unkerei zum Trotz wollte
er glücklich werden. Er war ja schließlich ein Mann, der es
noch mit jedem Jungen aufnehmen konnte.
Worauf er dann an einen großen Spiegel trat und sich darin
so eingehend betrachtete wie ein Mädchen vor dem ersten
Ball.
Na also, war er nun ein forscher Kerl oder nicht? Zwar war
das dunkle Haar an den Schläfen leicht ergraut, aber gerade
das soll ja verheerend auf Mädchenherzen wirken.
Und dann seine schlanke Gestalt, sein gutgeschnittenes
Gesicht, die elegante Kleidung – er jedenfalls fand sich
schön wie einen jungen Gott.

Zum Kuckuck, was machten da schön achtundzwanzig
Jahre Altersunterschied? Auch solche Ehen sind schon
glücklich geworden.
Also nicht lange gefackelt, sondern nachgeholt, was er
versäumt hatte. Wenn er nur wüßte, wie er zur Stadt
kommen sollte. Mit dem großen Wagen brachte der
Chauffeur die Gäste nach
Hause – und mit dem kleinen waren Grit und Alix auf und
davon.
Einfach auf und davon, ohne ihm auch nur eine Zeile zu
hinterlassen. Na wartet, ihr sollt schon noch bei mir zu
Kreuze kriechen!

Mit dem grimmigen Gedanken machte der verbitterte
Mann sich über die Hausbar her, die all die exquisiten
Getränke barg, die er als Erzeuger sich leisten konnte. Und
ehe er sich so recht versah, hatte er seinen Kummer ertränkt
und befand sich in einer Stimmung, in der alles im
rosigsten Licht schimmerte.
Morgen – ja morgen wollte er zu seiner geliebten Daisy
fahren und sie an sein Herz nehmen – aller Welt und selbst
dem Teufel zum Trotz.
Das waren seine Gedanken, bevor er sich auf den Diwan
streckte und selig lächelnd entschlummerte.

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Die beiden Reiter sahen verwundert dem schmucken Auto
entgegen, das über den Landweg schaukelte. Denn es war ja

keine glatte Asphaltstraße, sondern ein Privatweg, der zum
Rittergut Isen gehörte. Das war durch ein großes Schild
auch deutlich genug gekennzeichnet – wer also erdreistete
sich, die Warnung außer acht zu lassen?
Diese Frage stellte sich hauptsächlich der ältere Reiter, der
dem schnittigen Gefährt alles andere als freundlich
entgegensah, und kaum, daß es vor ihm hielt, wetterte er
auch schon los:
»Ja, sagen Sie mal, Sie weiblicher Chauffeur, können Sie
denn nicht lesen,
was an der Straße, die von der Chaussee abbiegt,
geschrieben steht? Ein Privatweg ist das hier und keine

Durchfahrt für Benzinkutschen! Und wenn Sie nicht sofort
umkehren…«
»Na, was denn?« lachte es hellklingend in seine
geharnischte Rede hinein. »Wollen Sie mich dann etwa zur
Polizei schleppen? Aber, aber, Herr Durschmann, man
immer sachte mit den jungen Pferdchen!«
Mit einem eleganten Satz schwang sich die grazile Gestalt
über die Tür des offenen Wagens und stand nun vor dem
Erbosten. Die Augen blitzten, der Mund lachte so
unschuldsvoll, als gehöre er einem Wesen aus himmlischen
Gefilden.
»Donner noch eins«, kratzte der rigorose Reiter sich

verblüfft den Kopf – ein Stutzen, ein scharfes Nachdenken
– und dann ein schallendes Lachen.
»Hilf, Himmel, das ist ja die Alix -Verzeihung, das Fräulein
Grodes wollte ich natürlich sagen. Ja, wo kommen Sie
denn so plötzlich her?«
»In der Benzinkutsche frisch importiert aus meiner
Vaterstadt. Sie sind aber in den drei Jahren, da ich Sie
zuletzt sah, kein bißchen älter geworden, Herr Verwalter.«
»Schade, daß ich kein eitles Fräulein bin«, strich er vergnügt
über sein Bärtchen, da dieses zum Zwirbeln zu kurz war.
»Das wäre dann Musik für meine Ohren. Aber das

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Kompliment gebe ich zehnfach zurück, das heißt, was
Schönheit und Charme anbetrifft. Da kann einem

tatsächlich warm unter der Weste werden.«
»Die Sie gar nicht anhaben«, lachte Alix ihn an und wandte
sich dann langsam dem anderen Reiter zu, der amüsiert
dem Vorgang gefolgt war. Und nun sagte Druschmann:
»Gestatten Sie, gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen meinen
Herrn und Gebieter vorstelle. Also darf ich bekannt
machen: Herr Baron von Isenhardt – Fräulein Alix Grodes,
die Tochter eines reichen Vaters, der sich als Besitzer einer
Spirituosenfabrik und Weinkellereien umsonst einen
andudeln kann. Beneidenswerter Mann.«
Der junge Mann, der aus dem Sattel geglitten war, nahm
zart das Händchen, das sich ihm entgegenstreckte. Dann

ging sein Blick zum Auto hin.
»Das ist meine Tante, Grit von Alkes«, stellte Alix einfach
vor. »Und dazu noch mein herzliebes Treugespann. Zwar
ist sie als Schwester meines Vaters zwischen Alkohol
geboren, aber eine hoffnungslose Trinkerin ist sie trotzdem
nicht geworden.«
»Komische Vorstellung«, lachte Grit, indem sie die beiden
Herren begrüßte. »Aber meine Alix ist und bleibt nun mal
ein übermütiger Strolch.«
»Wohl ihr«, schmunzelte der Verwalter und rief dann Alix
warnend zu, die furchtlos auf den Cocker-Spaniel zuging,
der neben seinem Herrn saß:

»Vorsicht, gnädiges Fräulein, der Hund ist Fremden
gegenüber unzugänglich!«
»Aber nicht bei mir«, tat sie unbekümmert ab. »Bist du aber
ein prächtiger Bursche. Komm her, komm zu Frauchen.«
Tatsächlich ging der Hund hin und ließ sich streicheln.
»Na also«, nickte das Mädchen zufrieden. »Der weiß genau,
wie gern ich Hunde mag. Ganz besonders, wenn sie so
bildschön sind wie dieser.«
»Alix, wir müssen weiter, damit wir noch vor
Dunkelwerden unser Ziel erreichen.«
»Die Damen wollen ins Rosenhaus?« fragte Druschmann,

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und lachend gab Alix Antwort:
»Jawohl. Und wir fahren sogar den Weg weiter, weil uns

das zukommt.«
»Allerdings«, schmunzelte der Verwalter. »Ich darf da nicht
mal Wegzoll verlangen.«
»Könnte Ihnen so passen«, blitzte sie ihn an. Ein kurzer
Abschied, dann nahm sie am Steuer Platz und fuhr ab.
»Ist doch ein Mordsmarjellchen, die Alix«, sprach
Druschmann ihr nach. »Immer noch frohgemut und guter
Dinge, wie sie es von jeher war.«
»So kennen Sie die junge Dame schon länger?« forschte
Gernot Isenhardt, und der Gutsverwalter nickte.
»Schon als Schulmädchen, Herr Baron. Sie verbrachte ihre
Ferien größtenteils bei ihrer Großtante im Rosenhaus. So

schrullig und unzugänglich die alte Dame sonst auch war,
aber ihr Sonnenkind, wie sie Alix Grodes nannte,
vergötterte sie förmlich. Diese erbte dann auch nach dem
Tod der Tante deren kleinen Besitz. Das war vor ungefähr
drei Jahren, und seitdem ist die junge Besitzerin nicht mehr
dort gewesen. Sehr zum Kummer der braven Eheleute
Brasch, die das Anwesen verwalten. Denn auch in ihren
guten Herzen sitzt die frohgemute Alix tief drin. Daher
wird es für die Leutchen eine riesige
Freude sein, wenn ihr Abgott nach so langer Zeit bei ihnen
aufkreuzt.«
Und es wurde eine. Muttchen Brasch zerdrückte

Freudentränen, und ihr Ehegespons war nahe daran. Als
Alix gar verriet, daß sie für länger zu bleiben gedächte, da
gab es strahlende Gesichter.
Das Rosenhaus trug seinen Namen daher, weil es ringsum
von Rosen umrankt war, die vom Frühjahr bis in den
Spätherbst hinein blühten; denn die Rosen waren eine
wahre Leidenschaft Tante Riekchens gewesen. Ihnen
gehörte ihre Liebe, ihre Sorgfalt. Sie wuchsen nicht nur am
Haus, sondern auch im Garten an allen Ecken und Enden,
sogar auf dem Hof, wo nur ein Fleckchen Erde frei war.
Das Haus war zwar altmodisch, aber recht behaglich

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eingerichtet. Unten befanden sich zwei große Zimmer, eine
kleine Diele, die Wirtschaftsräume, oben drei weitere

geräumige Stuben. Die beiden zusammenhängenden
bezogen Grit und Alix.
»Das ist ja hier urgemütlich«, sagte erstere, sich vergnügt in
dem Raum umsehend. »Wenn man sich reckt, kann man
fast an die Balkendecke reichen. Dann das altmodische
Mobiliar, das braune Holzbett mit seinen hochgetürmten
Kissen. Und alles so blitzsauber. Ob Muttchen Brasch etwa
gewußt hat, daß du kommst und daher ein Scheuerfest
veranstaltet hat?«
»Das tut sie von Zeit zu Zeit sowieso«, gab Alix lachend
zurück. »Das liegt ihr so im Blut. Also gefällt es dir hier.
Gritchen?«

»Sehr.«
»Na, Gott sei Dank! Ich fürchtete
nämlich schon, daß du bei all dem herrlich Altmodischen
hier verächtlich die Nase rümpfen würdest.«
»Na eben, ich bin ja auch noch so neu mit meinen
zweiundfünfzig Jahren, daß alles um mich her
hypermodern sein muß«, entgegnete die andere trocken,
und die Nichte sah sie spitzbübisch an.
»Wenn auch nicht mehr nagelneu, aber immerhin noch
nicht alt und vor allen Dingen sehr charmant.«
»Bloß gut, daß du das wenigstens findest, du
Schmeichelkatze.«

Lachend wirbelte Alix die Tante herum und verschwand
dann im Nebenzimmer, das dem anderen ziemlich glich.
Nur daß der kleine Schreibtisch mit den Etageren hier
durch einen Sekretär ersetzt war. Sonst gab es auch hier
einen braunen Schrank aus glänzendem Nußbaum, die
passende Kommode dazu, ein Plüschsofa mit Rosenmuster,
Tisch, Stühle und einen Teppich mit Rosenmotiven. An
den mäßig großen Fenstern hingen duftige Gardinen
zierlich gerafft. Auch in sie waren Rosen hineingewebt.
Da Brasch die Koffer bereits nach oben gebracht hatte,
machten die Damen sich daran, sie auszupacken, wobei

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Alix vergnügt vor sich hin sang. Grit brummte die Melodie
mit, bis sie dann rief:

»Sag mal, mein Mädchen, wo wäscht man sich hier? Ich
kann nirgends eine Gelegenheit dazu entdecken.«
»Oh bitte sehr.« Alix erschien auf der Schwelle, »öffne die
schmale Tür neben dem Schrank dort, dann erblickst du
ein Bad. Hast du etwa angenommen, daß es so was hier
nicht gibt?«
»Jedenfalls bin ich angenehm überrascht«, kam es vergnügt
zurück. »So werde ich mich denn einer Säuberung
unterziehen.«
»Ja, geh nur. Wenn du fertig bist, werde auch ich mich
blankputzen.«
Bis es soweit war, räumte Alix ihre Sachen ein. Dabei

dachte sie an ihren Vater, und es wurde ihr bang ums Herz.
Doch nicht lange, dann meldete sich der Trotz.
Ach was, er hatte sie ja aufgegeben, ein Zeichen, daß ihm
nichts an ihr lag. Alix war nun wirklich nicht so abgünstig,
daß sie dem Vater eine zweite Frau nicht gönnte. Aber auch
nur eine, bei der er auch wirklich sein Glück finden konnte.
Nicht eine Zweiundzwanzigjährige, die den
Fünfzigjährigen bestimmt nicht um seiner selbst heiraten
wollte, sondern diese Ehe nicht nur als glänzende
Versorgung für sich ansah, vielmehr auch noch für Mutter
und Bruder, wobei die Tochter des Hauses nur als
unabwendbares Übel angesehen werden würde. Davon war

auch Tante Grit überzeugt, und die hatte
Menschenkenntnis genug, um sieh ein richtiges Urteil
bilden zu können. Und wenn sie den Bruder als
verblendeten Narren bezeichnete, dann war er auch einer.
Und Narren müssen durch Schaden klug werden – basta!
Als die beiden Damen das geräumige Speisezimmer
betraten, umfing es sie wie mit linden Armen. Auch hier
gab es zwar veraltete, aber gutgepflegte Möbel. Der Plüsch
des behäbigen Sofas zeigte Rosenmuster, der Teppich, die
Gardinen, die Sofakissen, das Damasttischtuch, das
Porzellan, das darauf stand, selbst die schweren

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Silberbestecke und natürlich auch die Tapeten. In dem
großen Kachelofen flackerte ein lustiges Feuer, was bei dem

launischen Gesellen April als wohltuend empfunden
wurde.
»Schön ist das hier«, sagte Grit froh. »So läßt es sich schon
aushalten. Alles um uns atmet Behaglichkeit, genauso, wie
ich es liebe. Jetzt kann ich auch verstehen, mein Kleines,
daß du gern hier weiltest. Das Rosenhaus mutet an wie
eine kleine Insel des Friedens.«
»Ja«, nickte Alix versonnen. »Obwohl ich eine glückliche
Kindheit habe, konnte ich kaum die Ferien erwarten, die
ich bei Tante Riekchen verleben durfte. Und es war der
erste Schmerz in meinem bisher so behüteten Dasein, als
die gute Tante, die äußerlich so brummig wirkte und so ein

weiches Herz besaß, starb. Ich war richtig krank vor
Aufregung und Jammer, als ich nach dem Begräbnis mit
Mutti wieder nach Hause zurückkehrte.
Seitdem bin ich nicht mehr hiergewesen. Ich hätte mich in
dem Haus gefürchtet, das mir ohne Tante Riekchen so öd
und leer erschien. Und daß mein kleiner Besitz von den
Braschchen tadellos verwaltet wurde, darüber gab es für
mich keinen Zweifel. Es war rührend, wenn ich jedes
Vierteljahr einen Bericht erhielt, in dem bis auf jeden
Pfennig Rechenschaft abgelegt wurde.
Vielleicht hätte ich mich nach geraumer Zeit doch dazu
entschließen können, hier nach dem Rechten zu sehen.

Aber dann starb Mutti – und wie mir das zusetzte, das
weißt du ja.«
In dem Moment trat Muttchen Brasch
ein, hochrot vor Eifer und von der Hitze des Herdfeuers.
Sie trug auf einem Tablett Schüsseln mit Speisen, deren
Duft lieblich in die Nase stieg. Mariechen strahlte über das
ganze gute Gesicht, das so blitzblank war, wie alles an der
rundlichen Frau. Sie strotzte gewissermaßen vor Sauberkeit.
»Die Damen werden entschuldigen, daß ich Sie mit dem
Essen warten ließ«, begann sie, doch schon schnitt Alix ihr
lachend das Wort ab.

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»Muttchen Brasch, wir können froh sein, daß wir
überhaupt etwas zu essen kriegen, da wir Sie so unverhofft

überfallen haben.«
»Aber gnädiges Fräulein…«
»Wie bitte?«
»Ja, das muß sein«, trumpfte Mariechen auf. »Mein Alter
sagt, das gehört sich so bei unserer Herrin. Fräulein Alix
genügt nicht mehr.«
Damit stellte sie resolut die Speisen auf den Tisch und
entfernte sich gewichtigen Schrittes.
»Die ist ja köstlich«, lachte Grit hinter ihr her. »Daß es
heutzutage noch so was gibt, hätte ich nicht für möglich
gehalten. Dieses Muttchen Brasch kommt mir vor wie eine
gute, betuliche Glucke, die alles, was ihr in den Weg

kommt, unter ihre Flügel nehmen möchte. Und dabei ist
sie wohl kaum älter als ich.«
»Sie ist sogar noch ein Jahr jünger«, zwinkerte Alix
vergnügt. »Sie hat ja auch noch ein glattes Gesicht und
kaum ein graues Haar.«
»Habe ich das etwa?« fragte die Tante drohend, während
ihre Augen lachten.
»Bewahre, Gritchen. Dafür bist du ja auch meine immer
noch so jung wirkende und sehr charmante Tante, auf die
ich stolz bin.«
Und sie war auch tatsächlich charmant mit ihrer
vollschlanken Figur, dem feinen Gesicht, aus dem die

großen blauen Augen so froh in die Welt schauten, dem
mittelblonden gepflegten Haar und der eleganten
Aufmachung. Sie hatte nach dem Tod ihres Mannes, der
vor sieben Jahren starb, drei ernstgemeinte Heiratsanträge
von gutsituierten Herren bekommen, den letzten sogar
noch vor einigen Monaten. Doch sie dachte gar nicht
daran, ihr jetzt so behagliches, friedliches Leben zu ändern,
sie hatte von einer Ehe genug.
Außerdem liebte sie ihre Nichte, wie es eine Mutter nicht
zärtlicher hätte tun können, und mochte sich von ihr nicht
trennen. Gleichfalls war der Bruder ihr ans Herz

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gewachsen, und es tat ihr bitter weh, daß der alternde
Mann wie ein verliebter Jüngling ein junges Mädchen

anschmachtete. Aber gegen Verliebtheit ist nun einmal kein
Kraut gewachsen.
Also resignierte Grit. Sie hätte nach der Heirat des Bruders
sowieso sein Haus verlassen, auch wenn Alix geblieben
wäre. Denn es fiel ihr gar nicht ein, sich von der
Schwägerin und deren Anhang schikanieren zu lassen.
Gottlob war sie von ihrem Bruder nicht abhängig. Sie hatte
Geld genug, um behaglich davon leben zu können.
Trotzdem schloß sie sich der Nichte an, erstensmal, weil sie
sich nicht von ihr trennen wollte, und dann, um das bisher
so behütete und daher unerfahrene Mädchen nicht allein
zu lassen. Zwar kannte sie das Landleben nicht, hatte sogar

eine Scheu davor – und dennoch, sie
wäre selbst ihrer geliebten Alix in die Verbannung gefolgt.
Nun, einer solchen glich das Rosenhaus mit allem, was
damit zusammenhing, wahrlich nicht! Grit war direkt
freudig überrascht. Es würde sich hier gut leben lassen.
Die beiden Damen ließen sich das ländliche Mahl
vortrefflich munden. Sie aßen mit solchem Appetit, wie
schon lange nicht mehr. Doch den Wein, mit dem
Mariechen anrückte, lehnte Alix vorerst ab.
»Den trinken wir zusammen in Ihrer gemütlichen Klause,
Muttchen Brasch.«
»Aber das schickt sich doch nicht, gnädiges Fräulein.«

»Warum denn nicht? Wenn es sich schickt, daß Sie in so
selbstloser Weise für mich arbeiten, dann muß es sich auch
schicken, mit Ihnen anzustoßen.«
»Und was sagt die gnädige Frau dazu?«
»Daß meine Nichte recht hat.«
»Na, das freut mich denn aber. Ich wasch’ nur noch rasch
ab, und in einer Stunde dann herzlich willkommen.«
Weg war sie und empfing später ihre Gäste in dem kleinen
Anbau, in dem sie mit ihrem Mann wohnte. Er barg zwei
geräumige Zimmer, die durch eine Tür mit der Küche
verbunden waren. Beide blitzsauber und die Wohnstube

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urgemütlich. In dem Kachelofen prasselten Holzscheite,
der ovale Tisch vor dem riesigen Sofa war mit kleinem

Gebäck und Gläsern bestellt. Auf der gepolsterten
Ofenbank schnurrte der dicke Hauskater, und vor der Bank
lag ein prächtiger Neufundländer, der die beiden Fremden
zuerst mißtrauisch musterte,
dann langsam zu ihnen ging, sie vorsichtig unter die Nase
nahm und dann den buschigen Schwanz freudig in
Bewegung setzte.
»Na, Barry, du lebst ja auch noch«, sagte Alix froh, den
riesigen Kopf in die Hände nehmend. »Kennst du denn
dein kleines Frauchen noch?«
»Wuuuufff«, wedelte der schwarze Geselle lustig, und eine
alte Freundschaft war aufgefrischt, während die mit Grit

rasch geschlossen wurde.
»Ein prächtiger Kerl«, sagte sie bewundernd, und Muttchen
Brasch nickte stolz.
»Das ist er, gnädige Frau. Unser Fräulein Riekchen hat ihn
sehr lieb gehabt, deshalb lieben wir ihn auch und halten
ihn in Ehren. Nicht wahr, Alter?«
»Ehrensache«, schmunzelte Vater Brasch, der sich
ordentlich in Wichs geworfen hatte und direkt schneidig
aussah mit der großen, hageren Gestalt. Wie gegerbtes
Leder wirkte das Gesicht, aus dem zwei hellblaue Augen
vergnügt herauslachten. Im Mundwinkel hing eine Pfeife
mit Porzellankopf – denn seinen geliebten

Abendschmauch gab der Mann selbst solcher Ehrengäste
wegen nicht auf.
»So, jetzt wollen wir aber trinken«, wurde die Gastgeberin
energisch. »Bitte die Damen, auf dem Sofa Platz zu
nehmen.«
»Muß das sein?« fragte Grit kläglich.
»Das gehört sich so, gnädige Frau.«
»Na, denn man los, Alix, kommen wir uns würdig vor.«
Wenig später funkelte der edle Saft in den Gläsern. Er
stammte aus der Kellerei Grodes – denn Alix vergaß nie,
jeden

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Herbst einige Kisten mit Wein, Likören, Rum und Kognak
nach dem Rosenhaus zu schicken. Da Tante Riekchen sich

nichts daraus gemacht und auch die Braschchen keine
großen Trinker waren, hatte sich mit den Jahren im Keller
eine stattliche Anzahl Flaschen angesammelt, bei deren
Anblick einem Trinklustigen vor Freude das Herz im Leibe
gehüpft hätte.
Nachdem man die erste Flasche geleert hatte, wurde die
zweite in Angriff genommen, was die Stimmung steigen
ließ und die Zungen löste. Alix, die natürlich wissen wollte,
was sich in den drei Jahren, da sie nicht hier war, in der
Nachbarschaft ereignet hatte, sprach zuerst mal von dem
Gutsverwalter von Isen, der ihnen einen so grimmigen
Empfang bereitet hatte.

»Ja, er ist ein energischer Herr«, schmunzelte Brasch,
genießerisch sein Pfeifchen schmauchend. »Aber das muß
sein, wenn er alles in Ordnung halten will. Der Baron kann
Gott danken, daß er einen so treuen und tüchtigen
Verwalter für seinen Besitz hat.«
»Aber der Besitzer ist doch ein anderer«, sagte Alix
verwundert. »Wo ist denn der alte?«
»Vor einigen Monaten gestorben. Und da er keinen Sohn
hinterließ, trat der nächste Agnat das Erbe an, so ist es
Gesetz bei den Isenhardts. Dieser Erbe ist nun der
Stiefbruder des Verstorbenen…«
»Und er hat es gar nicht leicht mit diesem Weibsbild am

Hals…«
»Mariechen, was sprichst du da für einen Unsinn«,
unterbrach der Eheliebste sie mißbilligend. »Was sollen die
Damen bloß von deiner Ausdrucksweise denken, die du dir
soviel auf deine Bildung zugute tust. Wie kann eine
Baronin Isenhardt ein Weibsbild sein.«
»Na ja, ich meinte auch nur so«, bekannte sie kläglich.
»Aber du mußt doch selbst sagen, August, daß sie sich wie
ein – ja na – wirklich nicht schön benommen hat und
immer noch nicht benimmt. Das gnädige Fräulein ist wohl
auch im Bilde.«

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»Das bin ich eben nicht«, widersprach Alix. »Ich weiß nur,
daß der Baron, gerade als ich das letzte Mal hier auf Ferien

war, ein bedeutend jüngeres Mädchen heiratete…«
»Was ihm schlecht bekommen ist«, platzte Mariechen nun
doch wieder heraus, ohne von dem warnenden Blick des
Ehegemahls Notiz zu nehmen. »Dieser Fledderwisch…«
»Mariechen!«
»Laß man, Augustchen, dann bin ich heute eben mal nicht
gebildet. Denn wie soll man so was wohl anders nennen?
Der Baron war eben ein Narr, daß er in seinem Alter noch
so eine junge Frau nahm – und kränklich war er noch
dazu. So was kann doch nicht gut ausgehen.«
Grit und Alix warfen sich einen verständnisvollen Blick zu.
Sie dachten beide dabei an Egon Grodes, der im Begriff

stand, eine gleiche Torheit zu begehen. Dann hörten sie
amüsiert zu, was das liebe, mitteilsame Mariechen weiter
erzählte:
»Sie müssen wissen, meine Damen, daß diese Baronin
Meduse -.«
»Wie heißt sie?« fragte Alix lachend dazwischen.
»Meduse – oder so ähnlich jedenfalls.«
»Frau – Frau«, schüttelte der Mann bekümmert den Kopf.
»Daß du doch alle Namen verdrehen mußt. Modeste heißt
die Baronin.«
»Aber das heißt doch übersetzt: bescheiden, sittsam«,
bemerkte Grit, die gleich Alix über dieses spaßige Ehepaar

kaum noch das Lachen verbeißen konnte.
»Von wegen«, meinte Muttchen wegwerfend. »Davon ist bei
der wahrhaftig nichts zu bemerken. Fladusia, das wäre der
richtige Name für so was.«
Jetzt konnten Grit und Alix nicht mehr ihr unterdrücktes
Lachen länger zurückhalten, hell und perlend brach es
hervor. Da das gute Mariechen kein Spielverderber war,
lachte es vergnügt mit, und der Eheliebste schmunzelte.
»Nun werde ich mal das Wort ergreifen«, drückte er sich
gewählt aus, was er gern tat. »Denn aus der Erzählung
meiner Frau können die Damen bestimmt nicht klug

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werden. Also diese Baronin Modeste hat ihren Mann in gar
nicht langer Zeit durch ihre Verschwendungssucht ruiniert.

Aber nur, soweit es sein Privatvermögen betrat, an Isen
konnte sie gottlob nicht heran. Das darf weder verkauft,
noch dürfen Privatschulden darauf gemacht werden. Ein
Glück, sonst hätte die Verschwenderin auch den herrlichen
Besitz noch kleingekriegt.«
»Und wie ging es weiter?« fragte Alix interessiert, als der
Mann schwieg und nachdenklich an seiner Pfeife zog. »Ich
glaube, wir lassen Muttchen Brasch doch weitererzählen.«
»Na also«, triumphierte Mariechen. »Was ich erzähle, das
hat schon Hand und Fuß. Sie wissen doch, gnädiges
Fräulein, wie versessen der alte Baron auf einen Erben
war?«

»Wissen ist zuviel gesagt, Muttchen Brasch. Ich hörte wohl
davon reden, aber ich war damals ja noch so jung, daß so
eine Äußerung in ein Ohr ‘rein und aus dem andern
‘rausging. Allerdings weiß ich, daß der Baron bereits die
dritte Frau nahm, obwohl er eine erhöhte Schulter hatte
und auch sonst kein Adonis war. So hat sich also seine
Sehnsucht nach einem Erben nicht erfüllt?«
»Nein«, entgegnete Mariechen schadenfroh. »Was die
Meduse ihm schenkte, war ein Mädchen.«
»Das ist Pech«, lachte Grit. »Wie nahm der Mann das auf?«
»Ihn rührte erst mal der Schlag. Und der zweite, nach dem
er gleich starb, traf ihn bei der Entdeckung, daß seine Frau

ihn betrog.«
»Und nun ist sie wahrscheinlich hinter dem jetzigen
Besitzer von Isen her«, folgerte Grit, und Muttchen nickte.
»Stimmt. Aber der ließ sie ganz gehörig abfallen und
verwies sie in das kleine Haus, das am Ende des Parkes für
die Isenhardtschen Witwen erbaut wurde. Da müssen die
‘rein, ob sie wollen oder nicht. Es ist ja auch sehr schön da,
aber der Meduse paßt das nicht. Es ist ihr auch zu wenig
Geld, das sie aus der Familienfront bekommt…«
»Mariechen, Fond heißt das doch. Laß mich man
weitererzählen, jetzt kommst du doch nicht damit zurecht.

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In Isen existiert nämlich ein Familienfond, den mal ein
Ahn angelegt hat und der sich im Laufe der Zeit schon gut

angehäuft haben soll. Aus dem beziehen nun die Witwen
und ihre Kinder, wenn die noch nicht volljährig sind, den
Lebensunterhalt. Die Summe soll gewiß nicht klein sein,
wie man so hört, aber so ein verschwenderischer Mensch
wie die Modeste kommt damit natürlich nicht aus. Nun
liegt sie ständig damit dem Herrn Baron in den Ohren,
aber der darf ihr nicht mehr geben, als vorgeschrieben ist.
Sonst müßte er es aus seiner Tasche zahlen, und das fällt
ihm gar nicht ein. Er ist nämlich kein Frauenfreund,
müssen die Damen wissen.«
»O weh, dann stehen für die Modeste die Chancen aber
schlecht«, lachte Grit. »Wie sieht sie denn aus?«

»Mir ist sie zu angemalt«, meinte Muttchen wegwerfend.
»Aber die andern sagen, sie ist eine – wie heißt das nun
wieder, August?«
»Eine Mondäne.«
»Ja, so was soll sie sein. Und so verrückt, wie das genannt
wird, so benimmt sie sich auch.«
»Oh, Muttchen Brasch!« lachte Grit gleich Alix herzlich.
»Prosit! Es gefällt mir ausnehmend gut im Rosenhaus.«
»Das freut mich aber«, strahlte Mariechen. »Es lebt sich
wirklich gut hier, und verhungern werden wir auch nicht.
Wir haben eine Kuh, zwei Schweine, allerlei Geflügel,
Kartoffeln, Gemüse, Obst und ein Pferd…«

»Das wir hoffentlich nicht so bald zu schlachten
brauchen«, warf Alix lustig ein, und die Gute sah sie
konsterniert an.
»Aber, gnädiges Fräulein, wo gibt es denn so was!«
»Och – geben wird es das schon – aber bestimmt nicht bei
uns. Und nun bin ich dafür, daß wir uns zur
wohlverdienten Ruhe begeben.«
Dafür waren die andern auch, und so trennte man sich in
vergnügter Stimmung. Der Einfachheit halber nahmen die
beiden Damen den Weg durch die Küche, und oben
angelangt, gähnte Alix herzhaft und dehnte die schlanken

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Glieder.
»Wenn du Lust zu einem abendlichen Bad hast, Tante Grit,

dann tu’s. Ich jedenfalls krieche ungewaschen und
ungeplättet ins Bett.«
»Ich auch. Ich fürchte nur, daß ich in diesem Federberg
versinken werde, wie eine Rosine im Kuchen.«
Nun, so arg wurde es nicht. Denn Kissen und Deckbett
waren aus Daunen und daher leicht. Behaglich legte Grit
sich zurecht und wunderte sich gar nicht, als Alix in ihrem
koketten Nachtkleid erschien und sich zur Tante aufs Bett
setzte. Reizend sah sie aus in dem duftigen Habit mit dem
hellbraunen, gleißenden Lockenhaar, mit dem feinen,
rosigen Gesicht, aus dem die Augen wie des Himmels Bläue
herausstrahlten.

Das Kind ist ja bildschön – dachte die Tante beglückt. Von
einer köstlich reinen, kristallklaren Schönheit. Noch nie ist
mir das so aufgefallen wie heute. Aber was noch mehr wert
ist als diese Schönheit, das ist ihr liebenswerter Charakter.
»Nun, mein Kleines, was haben wir auf dem Herzchen,
hm?« fragte sie zärtlich. »Denn umsonst sitzt du doch nicht
hier.«
»Oh, Tante Grit, ich bin ja so glücklich, daß es dich gibt«,
kam die Antwort aus tiefstem Herzensgrund. »Denk mal,
wenn ich ohne dich hier leben müßte. Zwar sind die
Braschchen liebe, gute Menschen, aber die richtige
Gesellschaft trotzdem nicht für mich. Erst heute wird es mir

so recht klar, wie lieb ich dich eigentlich habe. Daher mußt
du immer bei mir bleiben, willst du?«
»Hm«, machte sie vielsagend. »Und wenn du heiratest, wie
wird es dann?«
»Dann bringe ich dich mit in die Ehe«, perlte ein köstlich
frisches Lachen auf. »Und wenn mein Zukünftiger, der ja
vorläufig noch in den Sternen geschrieben steht, dich nicht
haben will, dann laß ich ihn eben laufen.«
»Wirst dich hüten, mein Kind«, kam die Antwort trocken.
»Und nun bitte keine Beteuerungen, werden wir leben,
werden wir sehen.

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Jedenfalls fühle ich mich äußerst behaglich. Übrigens war
das, was die Braschchen uns von der dritten Ehe des Barons

erzählten, sehr aufschlußreich, weil dein Vater ja im Begriff
ist, dieselbe Dummheit zu machen. Wie kommt es
eigentlich, daß du die Herrschaften nicht kennst? Pflegte
Tante Riekchen denn keinen nachbarlichen Verkehr?«
»Nein, sie war sehr menschenscheu. Ab und zu kamen mal
Druschmanns, aber bei ihnen ist sie nie gewesen. Ich hörte
sie nur damals, als der Baron die dritte Frau nahm, zu
Muttchen Brasch sagen: >Das sieht diesem verblendeten
Narren ähnlich. Dasselbe hätte sie auch von Vater gesagt –
und mit Recht. Was meinst du, Tante Grit, ob ich ihm von
dem Reinfall des verstorbenen Barons schreibe?«
»Auf keinen Fall«, winkte die andere entschieden ab. »Du

würdest ihn dadurch nur noch verbissener machen. Was
wir nur tun konnten, um ihn zur Vernunft zu bringen, ist
geschehen, mehr können wir nicht tun. Mag er also nach
seiner Fasson selig werden.
Nun geh schlafen, mein Kind«, streichelte sie zärtlich die
weiche Mädchenwange. »Und mach dir deswegen keine
Gewissensbisse, weil du dein Elternhaus verließest. Wenn
das falsch gehandelt wäre, hätte ich dich gewiß nicht dabei
unterstützt, sondern dir im Gegenteil ernstlich ins
Gewissen geredet.
Und nun husch, ins Körbchen! Ich bin rechtschaffen müde
und werde wunderbar schlafen in diesem weichen Pfühl.«

»Ich in dem meinen auch, Gritchen. Bist doch die
Allerallerbeste!«
Eine stürmische Umarmung, ein herzlicher Kuß, dann
huschte sie davon, und die Tante sah ihr gerührt nach.
Es war der Hahn, der Alix am nächsten Morgen weckte.
Noch traumumfangen, mußte sie sich erst besinnen, wo sie
überhaupt war, doch dann streckte sie sich wohlig im Bett.
Mit einem Blick auf die altmodische Uhr, die ihren Pendel
geschäftig hin und her bewegte, stellte sie fest, daß es erst
kurz nach sechs war. Also eine Stunde, zu der sie zu Hause
noch zu schlafen pflegte. Sieben Uhr war ihre Aufstehzeit,

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die hatte sie von ihrer Schulzeit her
einbehalten, und die war lang gewesen, bis zum Abitur.

Denn ihr Vater hatte darauf bestanden, daß sie es machte,
zumal ihr das Lernen leicht fiel. Er war der Ansicht, daß
man diese Abschlußbildung immer irgendwie verwerten
konnte, ob man da studieren wollte oder nicht. Er sorgte
auch dafür, daß seine Tochter zwei Jahre die Höhere
Handelsschule besuchte, damit sie eine gewisse Grundlage
zu einem Beruf hatte. Denn man konnte nie wissen, wie es
im Leben kommt.
Ach ja, ihr Paps – aber jetzt war er ja nur noch ein Vater für
sie.
Hastig sprang Alix aus dem Bett, um sich nicht mit
unerquicklichen Gedanken das Herz schwer zu machen. Sie

trat ans Fenster, dessen zarte Gardinen im sachten
Morgenwind blähten, und schaute hinunter auf den Hof,
wo Muttchen Brasch das Geflügel fütterte. An die zwanzig
Hühner, zwei Hähne, Gänse und Enten, die zur Zucht
zurückbehalten waren. Selbst ein prächtiger Truthahn mit
seinem Weibchen fehlte nicht.
Das alles gehört nun mir – dachte Alix mit Besitzerstolz.
Zwar ist das Anwesen klein, aber mein. Da mußte sie
einfach ein Ventil für ihre Freude finden, das sich dann
auch in einem Jauchzer Luft machte.
»Ja, was ist denn mit dir los?« kam eine verschlafene
Stimme aus dem Nebenzimmer – und schon stand Alix am

Bett der Tante.
»Guten Morgen, Gritchen«, grüßte sie fröhlich. »Stell dir
mal vor, die Sonne scheint.«
»Ist das denn etwas Besonderes?« fragte sie gähnend.
»Für den griesgrämigen April schon. Man spürt direkt, wie
der sonnige Knabe Mai ihn verdrängen will.«
»Und deshalb jauchzt du mich aus tiefem Schlaf? Mädchen,
ich glaube, du bist frühlingstrunken.«
»Besser als liebestrunken, Gritelein. Erhebe dich aus
deinem weichen Pfühl, es frühlingt an allen Ecken und
Enden. Hast du gut geschlafen?«

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»Wunderbar! Und geträumt habe ich, daß ein junger
Königssohn dir die diamantene Krone auf deinen

gleißenden Schopf setzte.«
»Träume sind Schäume, darum erwache und lache«, zitierte
der Schelm mutwillig. »Ich jedenfalls träumte, daß ein
männliches Wesen mit seinen rosenumwundenen Speer
mitten ins Herz hineinstieß…«
»Hör auf, du Übermut«, unterbrach die Tante sie
schaudernd. »Wie spät ist es?«
»Zwischen sechs und sieben Uhr. Du befindest dich jetzt
mittendrin im Landleben, das keine Langschläfer duldet,
meine mondäne Stadtdame. Heraus aus den Federn, der
Hahn hat gekräht!«
»Und du bist dabei das verrückte Huhn«, gähnte Grit

wieder herzhaft. »Mach, daß du unter die Dusche kommst,
damit ich nachfolgen kann.«
Also machte Alix sich an ihre Morgentoilette. Zuerst ein
lauwarmes Duschbad, dann den Körper frottiert, bis er
heiß und rot wurde, dann angekleidet und hinunter ins
Speisezimmer, das von dem Kachelofen mollig
durchwärmt wurde. Zwar war es draußen ganz nett warm,
aber in den Zimmern immer noch kühl.
Der runde Tisch inmitten des großen niederen Raumes war
bereits für zwei Personen gedeckt. Alix öffnete die Tür, die
zur Küche führte und steckte den Kopf durch den Spalt.
»Guten Morgen, Muttchen Brasch!« rief sie ihr fröhlich zu,

die am Herd hantierte. »Ich habe Hunger.«
»Soll gleich gestillt werden«, kam es vergnügt zurück. »Ist
die gnädige Frau auch schon unten?«
»Nein, muß aber jede Minute erscheinen.«
»Dann bring ich schon die Kaffeemaschine und alles
andere.«
Zehn Minuten später konnte dann der Schmaus beginnen.
Es gab Brot, Toast, eine Platte mit rosigen
Schinkenscheiben nebst delikater Rauchwurst, Butter,
Marmelade, Honig und einem Kännchen mit gelber fetter
Sahne. Dazu duftete es aus der brodelnden Kaffeemaschine

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aromatisch. Eifrig sprach man den guten Dingen zu, dann
griff man zur Zigarette und legte sich behaglich im

Polsterstuhl zurück.
»Nun, Tante Grit, hat’s geschmeckt? Du siehst jedenfalls
satt und zufrieden aus.«
»Zu gut hat’s geschmeckt, leider. Wehe meiner armen
Taille! Ich glaube, ein Spaziergang würde uns beiden
guttun.«
»Wird gemacht, Tantchen. Aber wetterfest müssen wir uns
schon anziehen. Zwar scheint jetzt die Sonne, aber ich
traue dem April nicht.«
Bald darauf traten sie auf den Hof, wo ihnen Barry
entgegenkam und sie freundlich begrüßte. Vater Brasch, der
vor dem Stall den wohlgenährten Braunen striegelte, zog

beim Anblick der Damen die Mütze und lachte sie an.
»Schönen guten Morgen mal erst, die Herrschaften. Ich
glaube, jetzt wird der April sich ausgetobt haben. Ist auch
Zeit, denn in den nächsten Tagen kommt schon der Mai.
Wie ist es, gnädiges Fräulein, wollen Sie einen Ritt auf
unserm Guten hier wagen, wie Sie es schon als Kind und
später als Jungfräulein taten?«
»Ist er etwa immer noch derselbe?« fragte Alix lachend, und
er schmunzelte.
»Jawohl, er ist ja auch noch gar nicht alt. Der macht’s schon
noch ‘ne Weile. Soll ich den Sattel auflegen?«
»Danke sehr«, wehrte sie Vergnügt. »Ein Ritt auf diesem

lammfrommen, dicken Braunen kann mich nicht mehr
reizen. Ich habe in den Jahren, da ich nicht hier war, nun
wirklich reiten gelernt. Leider besaß ich nicht mein eigenes
Pferd, sondern ritt eins aus dem Tattersall.«
»So schaffen Sie sich doch ein Reitpferd an, gnädiges
Fräulein«, schlug Vater Brasch eifrig vor. »Platz ist in
diesem Stall reichlich, da steht bloß der Braune drin. Das
Viehzeug ist auf dem andern Ende untergebracht.«
Alix betrat den Stall und konnte zu ihrer Freude feststellen,
daß sich in dem luftigen und hellen Raum noch sehr gut
eine Pferdebox einrichten ließ. Also sah sie gar nicht ein,

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warum sie sich nicht ihrer Sehnsucht Traum erfüllen sollte^
Fragte sich nur, woher sie ein passendes Tier bekam.

Doch dafür wußte Vater Brasch guten Rat.
»Sprechen Sie doch mit dem Verwalter von Isen. Die haben
dort eine prima
Pferdezucht, sogar wunderbare Trakehner sind darunter.
Pferdchen sage ich Ihnen, gnädiges Fräulein, daß einem das
Herz im Leibe lacht.
Fragt sich nur, ob Sie so viel Geld haben – denn die Dinger
sind unverschämt teuer«, kratzte er sich verlegen am Kopf,
und Alix lachte.
»Nun, dann quetsche ich mein Portemonnaie eben kräftig,
vielleicht kommt dann soviel heraus. Was meinst du dazu,
Tante Grit?«

»Versuch es nur«, riet diese trocken. »Dafür ißt du dann
fortan Kartoffeln und Salz. Denn so eine kostspielige
Angelegenheit kann nur durch Opfer erkauft werden.«
Unsicher sah Brasch von einer zur andern und meinte dann
schmunzelnd:
»Es liegt aus dem Nachlaß unseres Fräulein Riekchens noch
eine ganz nette Summe für die Erbin auf der Bank. Und
dann – und überhaupt…«
»Hat unsere Alix immer fünf Pfennig mehr in der Tasche,
als sie braucht«, warf Grit lachend ein. »Wie kommen wir
aber mit dem Verwalter ins Geschäft?«
»Indem Sie ihn in Isen aufsuchen und ihm Ihren Wunsch

vortragen, gnädige Frau. Herr Druschmann ist nämlich ein
prima Pferdekenner und wird daher dem gnädigen
Fräulein, von dem er außerdem noch große Stücke hält,
bestimmt was Erstklassiges aussuchen. Gehen die Damen
doch gleich mal zu ihm hin. Denn heute, am
Sonntagvormittag, werden Sie ihn bestimmt zu Hause
antreffen. Es ist ja nur knappe drei Kilometer weit.«
»Wird gemacht«, entschied Alix fröhlich. »Komm, Grit,
setzen wir unsere Piedestale in Bewegung.«
Dem schmunzelnden Brasch zunickend, gingen sie davon,
von dem Neufundländer treu begleitet. Es machte wirklich

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Freude, geruhsam durch die erwachende Natur zu
wandern. Herrlich war das zarte Grün der Weiden. Die

Birken umhüllte es wie ein hauchdünner Schleier, an den
hohen Kastanienbäumen saßen die Knospen dick und
prall. Die Erlen, die den munter hüpfenden Bach säumten,
warteten nur darauf, bei Sonnenschein ihre Blätter zu
entfalten. Ab und zu trieb ein Strauch auch schon zaghaft
Blüten.
»Ist das nicht wunderbar, Tante Grit?« sagte Alix versonnen.
»Sieh dir das alles nur an. Christian Morgenstern hat ja so
recht, wenn er sagte:
Butterblumengelbe Wiesen, feuerampferrot getönt, o du
überreiches Sprießen, wie das Aug’ es nie gewöhnt.
Vogelsangdurchschwellte Bäume,

wunderblütenschneebereift – ja fürwahr, ihr zeigt mir
Träume, wie die Brust sie nie begreift.«
»O ja, der Mann hat’s erfaßt«, bekräftigte Grit. »Es gibt
schon Dichter, die das in Worten klarmachen, was wir
gewöhnliche Sterbliche unklar empfinden – wenigstens wir
Stadtmenschen, die mit der Natur nicht verwachsen sind.
Bei uns ist manches Wunder leider nur
Selbstverständlichkeit. Ich jedenfalls erlebe das Erwachen
der Natur zum ersten Male direkt auf dem freien Land, und
ich muß sagen, daß ich jetzt erst die Landbewohner so
recht verstehe, die so zäh an ihrer Scholle hängen.«
»So wird dir das Landleben wirklich

nicht langweilig werden?« forschte Alix bang, und ein gutes
Lächeln beruhigte sie.
»Ich glaube nicht. Mach nicht so ängstliche Augen, mein
Kleines, ich laufe dir nicht davon, solange du meiner
bedarfst.«
»Als ob ich nicht immer deiner bedürfen würde«, kam es
spontan über die jungroten Lippen, und die weit- und
lebenserfahrene Grit von Alkes lächelte nachsichtig.
»Jetzt keine Phrasen, mein Kind. Die gehören nicht in diese
wundersame Natur.«
»Na schön«, meinte Alix wie abschließend, schob den Arm

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unter den der Tante und wanderte so mit ihr dahin. Der
Weg, den sie gingen, war holprig und schlecht. Aber sie

achteten dessen nicht. Es gab ja so viel Herzerquickendes
rundum zu schauen.
Bis Grit den Schritt verhielt und auf das Schloß zeigte, das
sich unweit in seiner Herrlichkeit preisgab. Wie eine Feste
wirkte es mit seinen weißen Mauern, seinen Altanen und
Türmen. Auf dem Mittelturm flatterte eine Fahne lustig im
sachten Frühlingswind. Er ließ nicht das Wappen darauf
erkennen und nicht die Inschrift.
»Ist das Isen?« fragte Grit lebhaft, und Alix nickte.
»Ja. Ein trutzig Gebäude.«
»Hast du eine Ahnung, was das Wappen bedeutet und was
darin steht?«

»O ja, Tante Riekchen erklärte es mir. Das Wappen zeigt ein
Schwert, dazu sich zwei drückende Männerhände, die
Inschrift lautet: Isenhardt und treu. Also
eisenhart im Kampf, eisenhart in der Treue.«
»Interessant. Also muß es ein uraltes Geschlecht sein, da
Isen noch Eisen bedeutete.«
»Nehme ich auch an. Aber schau mal, Tantchen, wie
golden die Sonne sich in den Fensterreihen spiegelt.
Demnach müßte es nur Sonne in der trutzigen Feste geben.
Doch wie die Braschchen erzählen, scheint auch hier nicht
alles Gold zu sein, was glänzt.«
»Wohl dir, mein Kind, daß du den wahren Sinn erfaßt hast.

Doch nun komm. Mich gelüstet es nach einem warmen
Trunk und gutdeutscher Behaglichkeit.«
Beides wurde ihnen zuteil, als sie das schmucke Haus
betraten, in dem der Verwalter von Isen wohnte.
Schmunzelnd trat er ihnen entgegen, und gleichfalls
schmunzelnd nahm seine getreue Ehehälfte die Gäste in
Empfang. Zwar glich sie keinem betulichen Muttchen mit
ihrer zierlichen Gestalt, aber die vergnügten Augen in dem
lieben Gesicht ließen erkennen, daß sie ein guter Mensch
war mit Sinn für Humor.
»Grüß Gott, Fräulein Grodes«, sagte sie herzlich. »Endlich

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erblickt man Sie einmal wieder. Reichlich lange haben Sie
das Rosenhaus vernachlässigt. Und die Dame…«

»Ist Frau Grit von Alkes, die Schwester meines Vaters«,
stellte Alix vor. »Ich liebe sie sehr.«
»Dann soll auch sie uns von ganzem Herzen willkommen
sein«, entgegnete Frau Druschmann einfach. »Bitte, meine
Damen, treten Sie ein und bringen Sie Glück herein.«
Wenig später saß man denn im Wohnzimmer, dessen
Gemütlichkeit dem Charakter seiner Bewohner entsprach.
Alix, die es bereits kannte, ließ sich von der Traulichkeit
aufs neue einspinnen, und auch Grit fühlte sich äußerst
behaglich. Der prickelnde Trank, den der Hausherr
servierte, löste die Zungen, und man plauschte vergnügt.
»Werden Sie nun länger im Rosenhaus bleiben, Fräulein

Grodes?« erkundigte sich Frau Druschmann, und das
Mädchen nickte.
»Ja. Ich habe das Abitur hinter mir und seit Ostern auch die
Höhere Handelsschule. Also darf ich jetzt mit ruhigem
Gewissen für längere Zeit Freifräulein spielen.«
»Das ist recht«, lobte der Verwalter. »Der Wissenschaft ist ja
nun Genüge getan. Hoffentlich wird es den Stadtdamen
mit der Zeit auf dem Lande nicht zu langweilig werden.«
»Mir bestimmt nicht«, gab Alix fröhlich Antwort. »Denn Sie
wissen ja, wie gern ich immer im Rosenhaus weilte. Und
wenn meine Tante Abwechslung haben will, kann sie ja zur
Stadt fahren, die gewissermaßen nur einen Katzensprung

weit von hier liegt.
Und nun komme ich zum eigentlichen Zweck meines
Besuches. Ich möchte mir nämlich ein Reitpferd anschaffen
und wollte Sie fragen, ob Sie mir dazu verhelfen können.
Vater Brasch sagte mir, daß Sie hier sogar Trakehner
haben.«
Fragend sah sie ihn an, der umständlich eine Zigarre in
Brand steckte, sie um die Nase kreiste und genießerisch das
Aroma einzog. Dann meinte er bedächtig:
»Tja, das ist so’ne Sache. Ein schönes Tier wäre ja wohl da.
Ein ganz besonderer Prachtkerl, nicht direkt fromm, aber

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leicht an der Hand. Doch ich weiß nicht, ob mein Herr sich
dazu entschließen könnte, ihn abzugeben, weil er sehr an

dem Burschen hängt, der ja eigentlich nur als Luxus
herumsteht. Und über ein anderes eingerittenes Rassepferd,
das abgegeben werden könnte, verfügen wir zur Zeit noch
nicht.«
»Das ist aber schade«, war Alix enttäuscht. »Ich habe so
große Hoffnung auf Sie gesetzt, Herr Verwalter. Können Sie
nicht bei Ihrem Herrn ein gutes Wort für mich einlegen?
Ich selbst will alles versuchen, um ihn zu betören.«
»Hm«, schmunzelte der Mann, während die beiden älteren
Damen amüsiert lachten. »Ich würde dabei weich werden
wie Butter in der Sonne. Aber mein Herr läßt sich nicht so
leicht betören – er ist nämlich durchaus kein

Damenfreund.«
»O jeh«, seufzte das Mädchen. »Dann lieber nicht. Vor
solchen Männern habe ich Angst.«
»Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, tröstete Frau
Druschmann. »Der Herr Baron ist sogar ein ritterlicher
Mann. Er hat nur so seine Grundsätze, zu denen er durch
böse Erfahrungen gekommen ist.«
»Ich brauche ja gar nicht mit ihm zu verhandeln«, schlug
Alix eifrig vor. »Der Herr Verwalter tut es, während ich
mich im Hintergrund halte.«
»Wird sich schlecht machen lassen«, meinte der Mann
bedauernd. »Wenn mein Herr sich dazu entschließen

sollte, das Pferd zu verkaufen, dann werden Sie, gnädiges
Fräulein, ihm erst einmal eine Probe Ihrer Reitkunst
ablegen müssen. Denn er hält davon bei den Stadtdamen
nicht viel – und gerade das Tier soll keinem Stümper in die
Hände fallen. Dafür ist es zu edles Blut. Hatten Sie denn
schon zu Hause ein Reitpferd?«
»Nein, leider nicht. Mein Vater hat mir keines bewilligt.
Also mußte ich mich mit einem aus dem Tattersall
begnügen, wo ich auch reiten lernte.«
»Naja«, brummte der Mann. »Wollen mal sehen. An meiner
Fürsprache soll es jedenfalls nicht liegen.«

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»Dann bin ich aber froh«, lachte Alix, und die Tante fragte:
»Hast du überhaupt deinen Reitdreß mit?«

»Nein. Aber ich rufe heute noch zu Hause an, damit er mir
sofort nachgeschickt wird. Übermorgen kann ich ihn dann
haben.«
»Ich glaube, mein Kind, die Sache fängt an, dich zu reizen,
weil sie schwierig ist«, lachte Grit. »Oder ich müßte das
Eisenschädelchen meiner Kleinen nicht kennen.«
»Hat sie das?« fragte der Verwalter schmunzelnd.
»Und wie!«
»Grit, du übertreibst«, verteidigte sich das Mädchen. »Was
nützt überhaupt ein harter Schädel, wenn die Wand, gegen
die er anrennt, noch härter ist?«
»Gut ausgedrückt«, meinte die Tante trocken. »Und nun

müssen wir uns verabschieden, damit wir zum Mittagessen
zur Zeit kommen. Sonst ringt Muttchen Brasch die Hände
über dem verbrutzelten Sonntagsbraten.«
Also machte man sich auf den Weg
und kam gerade noch zu einem guten Mahl zurecht.
Sobald am nächsten Morgen der Verwalter seines Herrn
habhaft werden konnte, trug er ihm den Wunsch des
Fräulein Grodes vor. Doch als er ein ironisches Lächeln in
den Winkeln des hartgeschnittenen Mundes bemerkte, sah
er seine Sache schon fast verloren.
»So so – eine Sonntagsreiterin will ausgerechnet meinen
>Goldlack< erwerben«, sprach dann die sonore Stimme

gelassen. »Und nur weil sie Geld hat, um sich so eine
Kostspieliegkeit leisten zu können. O nein, mein lieber
Herr Druschmann, dafür ist mir der prächtige Bursche
denn doch zu schade.«
»Aber, Herr Baron, verkaufen müssen wir ihn doch«, wagte
der andere einzuwenden. »Er steht doch nur als Luxus hier
herum und wird viel zu wenig bewegt. Ich glaube
bestimmt, daß >Goldlack< bei Fräulein Grodes bestens
aufgehoben wäre.«
»Somit hat die junge Dame Sie bereits betört«, traf ihn ein
schräger Blick aus den blauen Männeraugen, in denen es

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humorvoll aufblitzte, und Druschmann lachte verlegen.
»Sie kennen eben die Alix nicht, Herr Baron. Das ist schon

ein entzückendes Rackerchen. Und daß auch ein guter Kern
in der gleißenden Hülle stecken muß, ist daraus zu
ersehen, daß die verstorbene Besitzerin vom Rosenhaus,
eine mürrische, fast menschenfeindliche Dame, in das süße
Balg vernarrt war.«
»Eben – vernarrt«, warf Isenhardt
trocken ein. »So was macht blind, mein lieber
Druschmann. Wo hat denn die junge Dame reiten gelernt?«
»Im Tattersall, Herr Baron, wo sie sich auch ein Pferd
mietete. Ein eigenes bewilligte der Vater ihr nicht.«
»Da wird der Herr ja auch wissen warum. Denn an Geld
dazu dürfte es dem doch wahrlich nicht fehlen, wie ich

zufällig weiß. Er wird ja die Launen seiner Tochter kennen,
die heute etwas dringend begehrt, um es morgen
überdrüssig in die Ecke zu werfen. So eine Laune ist es
wohl auch, sich im Rosenhaus einzuquartieren, das, so
schön es auch ist, immerhin zu primitiv für ein so
verwöhntes Mädchen sein dürfte. Und der charmanten,
kultivierten Frau Tante nicht minder. Also werden die
Damen bald flüchten – und was würde dann aus Goldlack
werden?«
»Allerdings.« Der Verwalter kratzte sich den Kopf. »Aber ich
glaube – hm - Ihre wenige Sympathie für Frauen macht Sie
da ungerecht, Herr Baron.«

»Mag sein«, knurrte der Baron. »Daher möchte ich nicht
sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten und den
Verkauf des Pferdes nicht von vornherein brüsk
ausschlagen. Leider kann ich es nicht immer behalten, das
sehe ich ein«, setzte er seufzend hinzu. »Es hat zu wenig
Daseinsberechtigung und verkommt bei der wenigen
Bewegung. Und den lieben Burschen mir als Reitpferd zu
erwählen, geht auch nicht. Denn erstens liebe ich meinen
Rappen, und dann ist Goldlack mehr ein Damenpferd.
Also, Herr Verwalter, sagen Sie Fräulein Grodes Bescheid,
daß ich nicht abgeneigt bin, ihr den Goldfuchs zu

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verkaufen. Aber erst, wenn ich mich von ihrer Reitkunst
habe überzeugen können – und mir das Zurückkaufsrecht

zugebilligt wird.«
Das ging ja besser, als ich befürchtete – dachte
Druschmann, dem der berühmte Stein vom Herzen fiel.
Kleine entzückende Alix, ich habe getan, was ich konnte –
nun zeige du, was du kannst.
Am Dienstag traf dann der Reitdreß im Rosenhaus ein und
noch vieles andere, was Grit und Alix für unbedingt nötig
hielten. Letztere hatte am Fernsprecher Alma persönlich
gesprochen, die das Gewünschte notierte und den Auftrag
gewissenhaft ausführte.
Einem der fünf großen, schweren Pakete lag ein Zettel bei,
auf dem in flüchtiger Schrift vermerkt stand:

Alles noch unverändert bei uns. Mir scheint, als ob der Herr
Papa sich den Polypenarmen, die ihn umklammert halten, nicht
mehr entwinden kann – oder es müßte ein Wunder geschehen.
Unser verehrtes Fräulein Alix nebst der gnädigen Frau fehlen
uns sehr. Ja, das waren noch Zeiten, so voller Friede und
Eintracht. Wir sind sehr traurig, daß sie zu Ende sind. Falls das
Gefürchtete eintreten sollte, kündigen wir, weil wir wissen, daß
dann fortan hier der Teufel los sein wird. Wenn es soweit ist,
gebe ich die mir anvertrauten Schlüssel den Gärtnersleuten ab,
die sind treu und verschwiegen.

Alles Gute der gnädigen Frau und dem gnädigen Fräulein
wünschend, bin und bleibe ich

Ihre traurige Alma


Nachdem Alix diese Zeilen gelesen
hatte, gab sie das Blatt an die Tante weiter, die es auch las
und dann seufzend meinte:
»Also nimmt das Unheil seinen Lauf. Gott möge dem
Verblendeten gnädig sein.«
Alex sagte nichts darauf, weil ihr die Tränen nahe waren.
Um sich abzulenken, ging sie an den Apparat und rief
Druschmann an, der sich gleich persönlich meldete:

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»Gutsverwaltung Isen.«
»Der gestrenge Herr Verwalter selbst?«

»Wer will mich denn da auf den Arm nehmen?«
»Die Sehnsucht nach dem schwer zu erringenden
Goldfuchs hat.«
»Ah, Dornröschen persönlich«, lachte der Mann in seinem
dröhnenden Baß. »Bitte sehr, ich bin ganz Ohr.«
»Spötter! Lohnt es, im Reitdreß nach Isen zu kommen, um
sich vor Ihrem Herrn und Gebieter niedlich zu machen?
Niedlichmachen verpönt – aber als gute Reiterin
präsentieren? Was hat er gesagt – Sonntagsreiterin?! Nun,
der Mann soll sich wundern!«
Damit knallte sie den Hörer in die Gabel und sah
verdrießlich zur Tante hin, die amüsiert lachte.

»Ist das nun nett von dir, Gritchen? Ich hätte nie geglaubt,
daß ein Pferdekauf mit solchen Schwierigkeiten verbunden
sein könnte. Scheint ein ausgewachsenes Ekel zu sein, der
Herr Baron von Isenhardt.«
»Hast du etwa vor, ihm das ins Gesicht zu sagen?« fragte
die Tante schmunzelnd, und die Nichte warf den
flimmernden Kopf in den Nacken.
»Wenn er mir gar zu arrogant kommt, dann kann es schon
passieren. Lächerlich, so ein Theater zu machen! Wozu
züchtet der Mann denn Rassepferde, wenn sie kein Geld
einbringen sollen?«
»Ei, Alix, nicht zu hochtrabend«, warnte Grit. »Du hast es

hier nicht mit einem deiner Anbeter zu tun, die sich, ohne
zu murren, von dir schlecht behandeln ließen. Zwar sah ich
den Baron nur kurz, doch ich habe nicht von ihm den
Eindruck, daß er sich von einem so jungen Ding wie dir
über den Mund fahren ließe. Da wirst du dich ihm
gegenüber wohl auf deine gute Kinderstube besinnen
müssen – wenn du Wert auf den Trakehner legst.«
»Grit, du bist manchmal abscheulich.«
»Habe ich bei dir Trotzteufelchen auch nötig«, kam es
ungerührt zurück. »Dein Reichtum hat dich nämlich sehr
selbstherrlich gemacht. Daher möchte ich dir zu bedenken

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geben, daß Geld nicht überall seine Macht hat. Und nun
zieh keinen Flunsch, sondern gib der alten Tante recht,

welche die Menschenkenntnis besitzt, die dir
Grünschnäbelchen noch fehlt.«
Da mußte Alix lachen – und Grit hatte wieder einmal über
das eigenwillige Persönchen gesiegt.
Am nächsten Vormittag fuhren die beiden Damen in dem
schnittigen Zweisitzer nach Isen. Alix, die den Reitdreß
trug, tat zwar lieb und brav, doch welche Gedanken hinter
der zarten Stirn rebellierten, konnte Grit sich so ungefähr
denken. Sie war wirklich gespannt, ob
der ersehnte Pfedekauf zum Abschluß kommen würde.
Als Alix auf den großen Gutshof fuhr, stand der Verwalter
vor dem Stall, der die Rassepferde beherbergte.

Schmunzelnd winkte er, und gleich darauf hielt das
chromblitzende Gefährt mit einem kühnen Schwung. Das
Mädchen sprang heraus und stand nun vor dem Mann, ihn
lieblich anlachend.
»Grüß Gott, Herr Verwalter! Wie stehen meine Chancen?«
»Bis jetzt nicht besonders, mein gnädiges Fräulein«, drang
von der Stalltür her eine sonore Stimme, die Alix
herumfahren ließ.
Es war kein guter Blick, der die rassige Männergestalt
streifte – und erst ein lautes Räuspern Tante Grits ließ die
heftigen Worte ungesprochen, die dem jungroten Mund
entschlüpfen wollten. Statt diesen kam die Antwort

scheinheilig:
»Das tut mir aber leid, Herr Baron. Darf ich dann
wenigstens meiner Sehnsucht Traum in Augenschein
nehmen?«
»Ein Pferd – der Sehnsucht Traum einer jungen Dame?«
kam es sarkastisch zurück. »Ist das denn nicht der Mann –
der Einzigeine?«
»Sollte mir einfallen«, klang ein köstlich frisches Lachen
auf. »Der steht für mich noch in den Sternen geschrieben.
Ein Pferd scheint mir auf jeden Fall greifbarer zu sein.«
In den blitzblauen Männeraugen zuckte ein Lachen auf –

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und der Verwalter schmunzelte. Potztausend, das
Marjellchen schien Haare auf den Perlzähnen zu haben!

Aber recht so, sicherlich erreichte es bei diesem
unbestechlichen
Herrn damit mehr, als wenn es ihn becircte.
Und tatsächlich rief die herrische Männerstimme zum Stall
hin:
»Gustav, ist der Goldfuchs gesattelt?«
»Jawohl, Herr Baron.«
»Dann führe ihn vor.«
Gleich darauf stand das Pferd, ein wahres Prachtexemplar
an Schönheit und Rasse, in all seinen Reizen da. In den
wunderschönen Mädchenaugen leuchtete es auf. Eine zarte
Mädchenhand griff nach dem Kopf des nervösen Tieres,

schmeichelnd drückte eine blütenweiche Wange sich gegen
die geblähten Nüstern.
»Du bist schon ein Prachtkerl«, sprach eine zärtliche
Stimme auf den mißtrauischen Goldfuchs ein.
»Wollen wir es mal miteinander versuchen? Ich glaube, wir
verlieben uns gegenseitig unsterblich. Da magst du wollen
oder nicht.«
Ein eleganter Schwung – und die grazile Gestalt saß im
Sattel. Hochauf bäumte das überrumpelte Tier, schäumte
ins Gebiß und gab sich alle Mühe, sich der leichten Last zu
entledigen. Alle, die es sahen, hielten vor Spannung den
Atem an. Gernot Isenhardt stand sprungbereit, um zu

gegebener Zeit ein Unglück zu verhüten.
Allein, seine Bereitschaft erwies sich als unnötig. Eisern
schien die kleine Faust zu sein, die den störrischen Gaul
allmählich meisterte. Langsam resignierte er und ging dann
schließlich federnd leicht unter der zarten, doch
energischen Hand.
»Bravo!« klatschte Druschmann begeistert in die Hände, als
die charmante
Reiterin nach einigen Runden um den großen Hof vor der
Stalltür hielt. »Olala, gnädiges Fräulein! Sie können reiten,
das muß Ihnen der Neid lassen.«

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»Also!« Sie sprang lachend ab und reichte dem nun
friedlichen Tier ein Stückchen Zucker, das es behutsam mit

den weichen Lefzen nahm. Dann wurde Goldlack
schmeichelnd umhalst und zärtlich auf das samtweiche
Maul geküßt.
»Siehst du, mein Liebchen, wie prächtig wir beide uns
bereits verstehen. Das muß selbst dein skeptisches
Herrchen zugeben.«
Ein mutwilliger Blick ging zu Isenhardt hin, der sich
lächelnd verneigte.
»Vor so spontaner Liebe bleibt mir nichts anderes übrig, als
klein beizugeben, mein gnädiges Fräulein. Wenn man aber
auch solch einen Nixenzauber ausstrahlt.«
»Herr Baron, bitte sachlich bleiben.« Das feine Naschen

hob sich hochmütig. »Bin ich nun würdig, um das Juwel zu
erwerben?«
Da huschte ein Schatten über das stolze Männerantlitz. Die
blauen Augen sahen fast melancholisch dem Trakehner
nach, den der Pferdepfleger jetzt in den Stall zurückführte.
Und dann kam es kurz über die hartgeschnittenen Lippen:
»Gnädiges Fräulein, ich verkaufe Ihnen das Pferd nur unter
der Bedingung des Zurückkaufrechtes.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte sie befremdet.
»Daß ich Goldlack von Ihnen wieder erwerben kann,
sofern Sie seiner nicht mehr benötigen.«
»Und wann sollte das sein?«

»Wenn Sie des Rosenhauses überdrüssig sind und in die
Stadt zurückkehren.«
»Ach so«, dehnte sie. »Jetzt bin ich im Bilde. Also
abgemacht, Herr Baron. Falls ich des Rosenhauses und des
Goldfuchses überdrüssig sein sollte, können Sie ihn von
mir zurückerwerben. Gilt nun der Verkauf?«
»Ja.«
Da strahlte es in den Mädchenaugen auf. Wie
Sonnenfunken flirrte es darin, die über glänzendblauen
Atlas hüpfert. Der jungrote Mund lachte, daß die gesunden
Zähne nur so blitzten. In dem Moment trat der

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Pferdepfleger in die Stalltür und fragte zögernd:
»Soll ich Goldlack den Sattel abnehmen, Herr Baron?«

»Nein!« rief Alix, bevor der Gefragte noch antworten
konnte. »Führen Sie ihn wieder vor – er gehört jetzt mir.«
»Stimmt das, Herr Baron?«
»Ja, Gustav.«
Gleich darauf stand der Goldfuchs wieder vor dem Stall.
Mit Besitzerstolz legte Alix ihren Arm um den Hals des
Tieres und rief der Tante, die dem allem mit fast atemloser
Spannung gefolgt war, mutwillig zu:
»Kutschiere den Wagen nach Hause,
Gritchen, ich eile dahin hoch zu Roß.«
Damit schwang sie sich in den Sattel,
machte vergnügt »Winke-winke« und

ritt ab.
»Da stehe ich nun wie eine Glucke und schaue resigniert
dem Entenküken nach, das auf dem Teich entschwindet«,
klagte Grit, und Druschmann zwinkerte ihr zu.
»Nicht immer leicht, die Beschützerin dieser eigenwilligen
jungen Dame zu
sein, stimmt’s, gnädige Frau? Aber keine Angst, sie meistert
den Goldlack schon. Wie lange reitet sie überhaupt?«
»Ungefähr drei Jahre. Sie hat einen Reitlehrer gehabt, der
dafür bekannt ist, sich nur mit Reiterinnen zu beschäftigen,
bei denen es sich lohnt. Die andern lehnt er einfach ab.«
»Na also«, schmunzelte Druschmann. »So können wir die

kleine Amazone ruhig gewähren lassen.«
Grit verabschiedete sich von ihm und wandte sich dann
Isenhardt zu, ihm liebenswürdig die Hand
entgegenstreckend, über die er sich artig neigte.
»Besten Dank, Herr Baron. Sie haben mit dem Pferd meiner
Nichte eine große Freude bereitet.«
Dann fuhr sie ab, und der Verwalter sprach ihr
anerkennend nach:
»Eine fesche Dame, klug und energisch dazu. Ganz das,
was die kapriziöse kleine Alix als Ehrendame braucht.«
»Lebt denn die Mutter von Fräulein Grodes nicht mehr?«

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fragte Isenhardt.
»Nein, sie starb vor zwei Jahren. Das weiß ich von Brasch,

der mit seiner jungen Herrin in Briefwechsel stand. Na ja –
nun sind wir unseren Goldlack sozusagen Hals über Kopf
losgeworden, Herr Baron. Mir tut es bestimmt leid, aber
behalten konnten wir ihn auch nicht.«
»Soll das etwa ein Trost sein, mein Getreuer?« fragte sein
Herr lächelnd. »Dann bemühen Sie sich nicht. Ich bin viel
zu vernünftig, um die Notwendigkeit, mich von dem Tier
zu trennen, nicht einzusehen. Ich wollte es nur in gute
Hände geben, was mir ja nun auch gelungen ist.«
»Und wie steht es mit der Bezahlung, Herr Baron?«
»Nun, die junge Dame wird zahlen, was dieses edle Tier
wert ist.«

»Ganz meine Meinung«, schmunzelte Druschmann. »Sie
hat es ja, und wir können es gebrauchen.«
Alix zahlte. Sogar mit Vermittlungsgebühr für
Druschmann, dem sie ein Kistchen mit extragutem Wein
überreichte.
»Nehmen Sie nur«, zwinkerte sie ihm vergnügt zu, als er
zögerte, »Sie haben es sich redlich verdient – und ich gebe
aus meinem Überfluß. Das Zeug hat sich mit der Zeit hier
so angesammelt, daß wir es allein bestimmt nicht schaffen
können.«
»Na, wenn es so ist, dann will ich mich erbarmen. Aber ich
werde diesen Reichtum mit meinem Herrn teilen,

einverstanden, gnädiges Fräulein?«
»Wenn Sie ihm damit nicht auf seine hochnoble Zehe
treten, dann bitte sehr«, schnitt das Mädchen eine
Grimasse, und die Tante berief es, halb lachend, halb
ärgerlich.
»Alix, du hast einen verflixt losen Schnabel. Was sagen Sie
bloß dazu, Herr Durschmann?«
»Daß sie nicht so ganz Unrecht hat«, schmunzelte der
Gefragte. »Man muß bei dem Herrn Baron tatsächlich sehr
vorsichtig sein. Selbst ich weiß sogar manchmal nicht,
woran ich bei ihm bin.«

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»Na also«, entgegnete Alix lachend. »Für mich ist er
jedenfalls ein Mensch, um den man im großen Bogen

herumgehen sollte. Denn so was von Arroganz ist mir noch
nicht vorgekommen.«
»Da tun Sie ihm aber Unrecht, gnädiges Fräulein. Zwar ist
er verschlossen und unzugänglich – aber er ist ein Mensch.
Verstehen Sie, was ich damit meine?«
»Ja. Doch Ihr Urteil ist befangen, weil Sie in Ihren Herrn
vernarrt sind.«
»Stimmt«, gab der Mann freimütig zu. »Ich habe aber auch
alle Veranlassung dazu, es zu sein.
Schauen Sie, meine Damen, ich bin jetzt bereits zwölf Jahre
Verwalter auf Isen – und ich habe davon mehr als elf unter
dem verstorbenen Baron gearbeitet. Er war nicht gerade ein

schlechter Gebieter, aber an den jetzigen reichte er
keineswegs heran. Der hat nämlich ein Herz für seine
Untergebenen, was man bei dem andern vermißte.
Na ja, reden wir nicht davon. Ich jedenfalls weiß, was ich
an meinem Herrn habe. Der ist vornehm in jeder
Beziehung.«
»Amen«, schloß Alix pathetisch, und da mußte der Mann
denn doch lachen. Man konnte dem Schelm einfach nicht
böse sein, wie er so dastand mit blitzenden Augen und
spitzbübischem Lächeln.
»Nun zieh dein loses Zünglein ein«, riet die Tante amüsiert.
»Sorg lieber für einen guten Tropfen, den wir uns auf der

Terrasse einverleiben werden. Es ist nämlich
unverantwortlich, bei diesem herrlichen Maiwetter im
Zimmer zu sitzen.«
Während Alix enteilte, legte Druschmann den Scheck, den
er als Bezahlung des Pferdes von dem Mädchen zu treuen
Händen überreicht bekommen
hatte, sorgfältig in die Brieftasche. Dann folgte er Grit auf
die Terrasse, wo man unter dem großen Schirm
sonnengeschützt sitzen konnte. Auf den Beeten blühten die
ersten Frühlingsrosen, auch über das Terrassengeländer
rankten sich schon einige. Ein Rosenmuster zeigte auch die

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Decke auf dem Tisch, selbst die Gläser, die Alix brachte,
waren mit eingeschliffenen Rosenranken verziert.

»Man kommt sich hier wirklich wie bei Dornröschen vor«,
schmunzelte Druschmann. »Da kann man wirklich singen:
Tausend rote Rosen blüh’n, in dem Land der Liebe. Ist das
so, gnädiges Fräulein?«
»O ja. Hier liebt sich alles, von dem kleinsten Küken
angefangen bis zu meiner charmanten Tante. Wir sind ein
liebend Volk von Rosenduft umnebelt. Und damit Prost,
Herr Verwalter!«
»Prosit, Dornröschen!«
»O wie schön. Da habe ich ja Aussicht auf einen
Märchenprinzen. Denn das Märchenschloß besitze ich
bereits.«

»Das ist fast so, als ob du schon einen Knopf zum
kommenden Mantel hättest«, meinte Grit trocken.
In dem vergnügten Tön ging die Unterhaltung weiter. Der
Gast konnte sich kaum trennen von den beiden fröhlichen
Menschen und ritt erst ab, als die Sonne sich dem Horizont
näherte. Vorher hatte er sich davon überzeugt, daß
Goldlack in dem Stall vorzüglich untergebracht war. Er
stand zufrieden in seiner Box und hatte mit dem dicken
Braunen bereits Freundschaft geschlossen.
Vergnügt vor sich hinpfeifend, ritt Otto Druschmann durch
den knospenden Maiabend. Er fühlte sich so wohl in
seiner Haut, wie es nur ein Mensch tun kann, der mit

seinem Leben restlos zufrieden ist.
Als er auf den Gutshof ritt, kam sein Herr ihm vom Stall
entgegen, wo er gerade sein Pferd abgeliefert hatte. Der
Verwalter saß ab und grüßte lustig:
»Guten Abend, Herr Baron! Ich komme aus dem
Rosenhaus und bin nicht nur von dem Duft der Rosen,
sondern auch von dem des Weins zart umnebelt. Und da
oben, in dem Kistchen, liegt meine Vermittlungsprovision.«
Lachend hob er die kleine Kiste, die er vorn am Sattel
befestigt hatte, ab und übergab das Pferd dem
herbeieilenden Stallburschen. Als der abgezogen war,

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machte Druschmann ein pfiffiges Gesicht.
»Wie ist es, Herr Baron, wollen wir uns den Inhalt nicht

teilen? Ich wette, daß Alix für Nachschub sorgt, wenn wir
diesen Wein verposementuckelt haben. Sie liebt mich
nämlich.«
»Ich glaube, Sie haben im Rosenhaus so ein wenig über
den Durst getrunken, mein Getreuer«, lachte sein Herr
amüsiert. »Sonst würden Sie so eine kühne Behauptung
sicherlich nicht aufstellen. Nun ziehen Sie ab mit Ihrem
Reichtum, und gegen eine kleine Schmeckprobe habe ich
nichts einzuwenden. Kommen Sie nach dem Abendessen
zu mir.«
Eine Stunde später ging der Verwalter zum Schloß, das
einen imposanten Eindruck machte. Unnahbar stand es da

in seiner schneeigen Weiße, durch Anlagen von dem
großen Gutshof getrennt. Die wehende Fahne auf dem
Mittelturm schien dem Mann lustig zuzuwinken, als ob sie
wüßte, daß in seinem Herzen eingeprägt war, was auf dem
Wappen stand: Isenhardt und treu. Denn ein Getreuer war
Otto Druschmann, das hatten schon zwei Träger dieses
Geschlechts erproben können.
An der Portaltür, in deren dickem, geschliffenem Glas sich
die untergehende Sonne spiegelte, drückte der
Einlaßbegehrende auf den Knopf und wurde von dem
Diener in Empfang genommen. In der großen Halle, die
ihr Licht teils durch das Glasdach, teils durch die

spitzbogigen, buntverglasten Fenster erhielt, war es bereits
dämmrig. Wie Schemen wirkten die reichgeschnitzten
Truhen, die wuchtigen Sessel mit dem Gobelinüberzug,
den Geweihen, Bildern und Borden, auf denen manch
Altertümliches und Kostbares stand. Laut hallten die
Schritte auf dem Mosaikboden wider, wurden gedämpft,
wenn der Fuß über die dicken Teppiche glitt.
An eine der breiten Flügeltüren klopfte der Diener, meldete
den Verwalter, der nun einen hohen, weiten Raum betrat,
der so feudal wirkte, wie es nur alte Tradition zuwege
bringen kann. Die breite Glastür, die zu einer kleinen

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Terrasse führte, war weit geöffnet.
Der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum erhob sich von

dem mächtigen Schreibtisch, der inmitten des Zimmers
stand, und trat dem Verwalter entgegen.
»Da sind Sie ja, mein Getreuer. Was halten Sie denn da so
krampfhaft unterm Arm geklemmt?«
»Die Kostprobe, Herr Baron!« Er stellte zwei Flaschen auf
den Tisch, und sein Herr schmunzelte.
»Na, Sie haben’s ja gut vor, bedenken Sie, daß der Wein aus
der Privatschatulle
der Grodes kommt, also wird er es wahrscheinlich in sich
haben.«
Wenig später funkelte dann der herrliche Burgunder in den
geschliffenen Gläsern. Druschmann atmete genießerisch

den Duft ein und schnalzte mit der Zunge.
»Nun, duftet er etwa nach Rosen?« fragte sein Herr lachend.
»Beinahe. Prosit, Herr Baron! Er setzt ihn an, er trank ihn
aus.
Nein, so ganz geht es doch nicht«, stellte er nach einem
langen Zug das Glas auf den Tisch. »Das Zeug geht ja wie
Feuer durch die Adern. Da hat Alix wirklich in ihre
Privatschatulle gegriffen. Mag sich dabei schön ins
Fäustchen gelacht haben, der entzückende kleine Racker.«
Er horchte auf. Denn weiter hinten aus dem Park kam
Gesang – wenn man das überhaupt noch damit bezeichnen
konnte. Im Witwenhaus ging es wieder einmal hoch her.

Dort befand die Bewohnerin sich in Gesellschaft
gleichgesinnter Seelen, die sie jedesmal nach Erhalt des
Monatswechsels einzuladen pflegte. Und vorgestern war
der erste Mai gewesen, da mußte also das Geld möglichst
schnell vergeudet werden.
»Hab’ ich nur deine Liebe, die Treue brauch’ ich nicht«,
grölte es durch den stillen Abend. Da stand Isenhardt auf,
schloß die Tür, ließ die Jalousien herunter und machte
Licht. Dann nahm er wieder Platz und trank dem Verwalter
zu.
»Herzlichen Dank für diesen guten Tropfen, mein Getreuer.

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Es ist leichtsinnig, mir davon abzugeben. Denn so eine
Extramarke erwischen Sie sobald nicht

wieder, da Sie einen zweiten Pferdekauf bei Fräulein
Grodes wohl kaum vermitteln werden. Wie haben Sie
übrigens Goldlack vorgefunden?«
»In bester Verfassung, Herr Baron. Er ist in dem Stall
vorzüglich untergebracht, und an guter Behandlung und
Pflege mangelt es ihm wahrlich nicht. Der gute Brasch ist
über den Zuwachs begeistert.«
»Nun, dann bin ich über Goldlacks Geschick beruhigt.«
Damit wechselte Isenhardt das Gespräch, das sich
hauptsächlich um die Landwirtschaft drehte. Dabei tranken
sie den schweren Wein, von dem sie jedoch nur eine
Flasche schafften.

Trotzdem war Druschmann quietschvergnügt, als er dem
schmucken Haus zuging, von dem er sagen konnte: Mein
Heim ist meine Welt. Als er das Wohnzimmer betrat, traute
er seinen Augen kaum…
Da saß nämlich seine Eheliebste, stopfte seine Socken –
und vor ihr stand ein Glas, in dem es rubinrot funkelte.
Ihren geröteten Wangen und den glänzenden Augen nach
zu schließen, mußte dieses Glas nicht das erste sein, das
getrunken wurde.
»Ja, sag mal, mein ehelich Weib, seit wann bist du unter die
heimlichen Säufer gegangen«, zwinkerte er ihr zu. »Bisher
war der Wein für dich doch nur Sündenwasser.«

»Aber dieser nicht«, bekannte sie vergnügt. »Der flutscht
wie Öl durch die Kehle und umnebelt so süß den Kopf.
Glaubst du etwa, wenn du mit dem Herrn Baron trinkst,
dann werde ich hier trocken sitzen? Gleiches Recht für alle,
mein lieber Mann! Gieß dir auch ein Glas ein und halte
mit. Wir können ruhig ein bißchen feiern, weil morgen ja
Sonntag ist, und wir nicht so früh aus den Federn müssen.«
»Hm – aber grauwollene Socken und blumiger Burgunder,
wie verträgt sich das denn, Muttchen«, schmunzelte er.
»Dazu mußt du poesievolle Gedichte lesen.«
»Na, ist das hier wohl keine Poesie?« hielt sie ihm lachend

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den Strumpf entgegen, durch dessen Loch beinahe der
Stopfpilz rutschen konnte. Beim Stiefeltragen war das mal

nicht anders. Das wußte die Frau und stopfte daher die
Löcher mit Ausdauer und Geduld, schon einundzwanzig
Jahre, seitdem sie verheiratet war.
»Weißt du, wenn ich so die Fäden hin- und herziehe, dabei
läßt es sich wunderbar träumen. Wenn auch nicht gerade
von Lenz und Liebe, so doch davon, wie gut es doch das
Schicksal mit uns meint. Nicht mehr Arbeit, als wir
schaffen können, ein gutes Auskommen, Gesundheit, einen
guten Jungen, der, so Gott will, mal dein Nachfolger hier
werden wird – und eine glückliche Ehe«, schloß sie leise,
und der Gatte sah sie gerührt an.
»Mit dir eine solche zu führen, ist ja auch weiter kein

Kunststück, du liebes Fraule. Und jetzt werde ich mir ein
Glas von dem Feuerwasser einschenken, damit ich mit dir
anstoßen kann.«
Hell klangen die Gläser zusammen. Dabei sahen die Gatten
sich in die Augen und verstanden sich wie stets, ohne
darüber viele Worte zu machen.
»Na ja«, meinte der Mann. »Uns geht es auch wirklich
beneidenswert gut.
Hauptsächlich unter unserm jetzigen Herrn. Ist das ein
Prachtkerl, immer wieder muß ich das feststellen. Ein
Jammer, daß er das Kreuz mit der Modeste hat. Die feiert
heute wieder mal.«

»Ich weiß«, nickte die Frau bekümmert. »Das Mädchen Else
war hier, um Butter auszuleihen. Sie will den Dienst
kündigen, weil sie die viele Arbeit nicht schaffen kann,
zumal das Kindermädchen weggelaufen ist und Else nun
auch noch das Kind betreuen muß. Kein leichtes Amt, da
die Kleine wohl ein reizendes Dirnlein aber sehr verzogen
ist.«
»Kein Wunder, da die Mutter ihr allen Willen tut, um nur
ihre Ruhe zu haben. Und wiederum straft sie das Kind für
nichts, immer gerade so, wie ihr die Laune steht.
Hoffentlich findet sie bald einen Mann, damit sie unsern

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Herrn nicht andauernd belästigt.«
»Oder er bleibt an ihr hängen.«

»Da sei Gott vor, Frauchen! Nun, zerbrechen wir uns nicht
den Kopf, es kommt ja doch alles so, wie das Schicksal es
will. Bitten wir den Herrgott, damit er für unsern Gernot
alles zum Besten lenkt.«
Hell und klar stieg der Maimorgen herauf. Er weckte mit
seinen goldenen Strahlen die holde Schläferin im
Rosenhaus. Die leuchtendblauen Augen öffneten sich,
blinzelten ins Sonnenlicht, ein herzhaftes Gähnen, ein
Strecken der schlanken Glieder – und Alix Grodes ward der
Wirklichkeit wiedergegeben. Mit einem Satz sprang sie aus
dem weichen Pfühl, trat an das geöffnete Fenster
und dehnte die Arme weit, als wollte sie alles um sich her

freudig umfassen.
»Heute macht die Welt Sonntag für mich«, sang sie
verhalten vor sich hin, um die nebenan noch
festschlafende Tante nicht zu wecken – denn sechs Uhr war
für die Stadtdame als Aufstehzeit noch zu früh. Man durfte
ihr auch nicht zuviel zumuten. Alix war ja schon so froh,
daß die Städterin das Landleben überhaupt ertrug.
Herzliebes Gritchen – dachte sie zärtlich. Wie glücklich bin
ich doch, dich zu haben. Du bist mir Mutter und Freundin
zugleich, dafür sei dem Herrgott Dank.
Leise ging Alix dann ins Badezimmer, duschte, zog danach
den Reitdreß an, einen flauschigen Pullover darüber,

schlich vorsichtig aus dem Haus und begrüßte den
Hausgeist fröhlich, der aus dem Stall trat.
»Guten Morgen, Vater Brasch! Was macht Goldlack?«
»Hat soeben sein Frühstück intus, gnädiges Fräulein.
Gestriegelt ist er auch, also steht einem Morgenritt nichts
im Wege.«
»Wunderbar! Eine Wonne soll das werden, bei diesem
herrlichen Maisonntag.«
Wenig später ritt Alix ab, das Herz zum Bersten voll vor
Frühlingsseligkeit. Munter trabte das Pferd dahin, durch
sprossende Fluren, an saftigen Wiesen vorbei, das

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geschwätzige Bächlein entlang, auf dessen Erlenbäumen
sich die Blätter entfalteten. Wie ein hauchdünner Schleier

wirkte der Nebel, der sich sacht zur Erde senkte. Also gab es
heute nicht nur einen sonnigen Morgen, es würde auch
einen sonnigen Tag geben.
Frohgemut ritt Alix dahin, ein Frühlingslied vor sich
hinsummend. Wie im Takt trabte der prächtige Goldfuchs,
munter dazu schnaubend. Da seine Meisterin die Zügel
locker ließ, suchte er seinen Weg allein, bis die Reiterin
dann lachend Einhalt gebot.
»Nein, du, dahin wollen wir nun wirklich nicht. Hinter
dieser Mauer liegt Isen, wo du nichts mehr zu suchen hast
– und ich erst recht nicht. Rechts ab, mein Lieber, an dieser
vornehmen Abgeschiedenheit vorbei.«

Ein leichter Schenkeldruck, und Goldlack trabte gehorsam
den Weg an der Parkmauer entlang, die oben mit zwei
Reihen Stacheldraht versehen war. Also eine
Unmöglichkeit, darüber hinwegzusetzen. Was sich hinter
dieser stacheligen Angelegenheit zeigte, waren die Wipfel
der alten Bäume – alles andere blieb dem Auge des
Unbefugten verdeckt. Selbst der Reiterin, so hoch war die
Mauer.
Isen mit seinem prächtigen Schloß war schon von jeher ein
Anziehungspunkt für die junge Alix Grodes gewesen. Doch
nie war es ihr vergönnt, die Stätte ihrer Sehnsucht anders
als von außen in Augenschein zu nehmen. Denn Tante

Riekchen pflegte keinerlei Verkehr und den mit den
Bewohnern von Isen schon gar nicht. Im Gegenteil, sie
stand mit dem buckligen Besitzer in ewigem Streit.
In des Mädchens Gedanken hinein wieherte unweit ein
Pferd, dem Goldlack freudig Antwort gab. Er preschte ab
und hielt bald darauf vor einem Rappen, der als Reiter den
Herrn aller Reußen hier trug. Daneben lief Harras, der
prächtige Spaniel, auf den nun der nicht
minder prächtige Neufundländer Barry, der Alix stets auf
ihren Ritten begleitete, zuging und ihn mißtrauisch unter
die Nase nahm. Zuerst ein Knurren auf beiden Seiten –

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dann wurden die buschigen Schwänze in Bewegung gesetzt.
»Guten Morgen, gnädiges Fräulein«, grüßte der Reiter

lachend. »Hoffentlich vertragen wir beide uns auch so gut
wie unsere Hunde. So früh schon unterwegs?«
»Ja, und zwar auf verbotenem Wege.«
»Nun, wenn die verbotenen Wege bei jungen Damen alle
so harmlos sind, lassen sie sich schon verzeihen.«
»Sie scheinen ja von der Weiblichkeit eine schöne
Auffassung zu haben, Herr Baron«, versetzte Alix
schulterzuckend. »Aber immer, wie jedem schön ist.«
»Ganz meine Meinung. Wie sind Sie mit Goldlack
zufrieden, gnädiges Fräulein?«
Bei der Frage leuchtete es in den Mädchenaugen auf, und
was der blutrote Mund sprach, kam von Herzen:

»Zufrieden ist gar kein Ausdruck, Herr Baron. Glücklich bin
ich über den prächtigen Kerl! Er ist genau das Pferd, das ich
mir immer wünschte. Nicht wahr, mein Süßer, wir haben
uns lieb?«
Als ob das Tier die Frage verstanden hätte, schnaufte es
lustig, und Isenhardt lachte.
»Von der beiderseitigen Liebe bin ich restlos überzeugt.«
»Also. Tut es Ihnen immer noch leid, das Tier einer
Sonntagsreiterin ausgeliefert zu haben?«
»Gnädiges Fräulein, ich bin beschämt.«
»Dazu haben Sie auch alle Veranlassung«, lachte sie hellauf
über seine gemacht zerknirschte Miene. Dann jedoch

horchte sie auf. Denn jenseits der Mauer schienen zwei
Weiblichkeiten in Meinungsverschiedenheit geraten zu
sein, und dazwischen weinte ein Kind. Ein klatschender
Laut, als würde jemand geohrfeigt, und dann ein empörter
Aufschrei:
»Das lasse ich mir nicht gefallen, Sie -Sie
Menschenschinderin! Ich gehe – und zwar sofort!«
Laufende Schritte wurden hörbar, eine Tür krachte zu –
und dann Stille.
»Großer Gott, was war denn das?« fragte Alix erschrocken,
und den Männermund umzuckte ein verächtliches Lächeln.

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»Nichts Beunruhigendes, gnädiges Fräulein«, gab der Mann
gelassen Antwort. »So was gehört zur Tagesordnung in dem

kleinen Haus am Ende des Parkes. Sie ist nämlich sehr
temperamentvoll, die Baronin Modeste. Wenn sie nicht
gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie ihre
Angestellten oder schlägt ihr Kind.«
»Und was tut die Dame in der Zwischenzeit?«
»Dann ist sie eine lustige Witwe.« So trocken kam es
heraus, daß Alix lachen mußte.
»Kurz aber erschöpfend erklärt. Doch nun muß ich eilen,
damit ich zum Frühstück zur Zeit komme. Welches ist der
kürzeste Weg zum Rosenhaus, Herr Baron?«
»Das läßt sich von hier aus schlecht erklären, gnädiges
Fräulein. Ich will Ihnen gern das Geleit geben, bis Sie sich

von selbst zurechtfinden können.«
»Besten Dank, ich will Sie nicht bemühen.«
»Bemühen?« blitzte ein Lachen in seinen Augen auf.
»Vielleicht ist es mir ein Vergnügen.«
»Dann allerdings«, gab sie mutwillig zurück. »Dann will ich
Ihnen Ihr Vergnügen gnädigst lassen.«
Sie ritten die Mauer zu Ende, und dann tat sich eine weite
Wiese auf, der sich im Halbrund der Wald anschloß.
Zwischendurch schlängelte sich das Bächlein, und links
blinkte ein See auf.
»Oh, hier bin ich ja noch gar nicht gewesen.« Alix zeigte
lebhaft in die Runde. »Wunderschön ist das hier, und Sie

sind ein glücklicher Mann, Herr Baron, das alles Ihr eigen
nennen zu dürfen.«
»Das bin ich.« Es leuchtete in seinen Augen auf. »Und jetzt
wollen wir uns etwas erlauben, was sonst streng verboten
ist, nämlich: den schmalen Weg entlang durch die Wiese
reiten. Damit schneiden wir eine gute Ecke ab. Darf ich die
Führung übernehmen?«
»Bitte sehr.«
Hintereinander ritten sie nun den Wiesenpfad entlang, bis
das Bächlein Einhalt gebot. Gernot wandte sich zu Alix um
und sah sie forschend an.

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»Können Sie den Sprung wagen, gnädiges Fräulein?«
»Warum denn nicht?« war die verwunderte Gegenfrage. Ein

leichter Schenkeldruck, ein aufmunterndes Wort – und
schon setzte der Goldfuchs mit elegantem Satz über das
Hindernis. Der Rappe folgte, und dann lachte Alix den
Mann vergnügt an.
»Hat er das nicht fein gemacht, mein Goldfuchs? Ich habe
gar nicht gewußt, welch ein eleganter Springer er ist.«
»Aber ich wußte es«, entgegnete der Reiter lächelnd. »Sonst
hätte ich diesen Sprung verhindert, indem ich erst gar nicht
diesen Weg mit Ihnen geritten wäre. Und nun wollen wir
weiter.«
Der Pfad stieg jetzt allmählich an, bis der Wald erreicht
war. Bevor sie einritten, warf Alix einen Blick zurück, und

ihre Augen strahlten.
»Herrlich ist das hier, man könnte fast zum Dichter
werden. Aber leider ist meine poetische Ader verstopft. Und
so will ich denn mit Wieland sprechen:
Nicht im Getümmel, nein, im
Schöße der Natur,
am Silberbach, im unbelauschten
Schatten,
besuchet uns die holde Freude nur
und überrascht uns oft auf einer
Spur,
wo wir sie nicht vermutet hatten. Ist das nicht schön gesagt,

Herr Baron?«
»Gewiß, gnädiges Fräulein«, schmunzelte er. »Jedenfalls so,
daß ich Stoppelhopser mit meinem nüchternen Gemüt
diese poetischen Worte zu erfassen vermag.«
»Na, Stoppelhopser«, dehnte sie, dabei mit raschem Blick
seine elegante, rassige Gestalt umfassend. »Den stelle ich
mir ja nun anders vor. Aber jeder muß wohl seinen Wert
kennen«, setzte sie mutwillig hinzu – und da lachte der
Mann so warm und herzlich, daß sie ihn ganz erstaunt
ansah.
Komisch, so ein Lachen hätte sie dem arroganten Spötter

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bestimmt nicht zugetraut. Da soll sich einer in den
Männern auskennen!

Sie ritten nun in den Wald ein, blieben eine kurze Strecke
auf der glatten Straße, und dann lenkte Gernot sein Pferd
in eine Schneise. Der weiche Boden dämpfte den Hufschlag
der Tiere, die lustig schnaubten, das Sattelzeug knirschte. In
der Nähe hämmerte ein Specht, Wildtauben gurrten
zärtlich, in der Ferne bellte ein Hund, was Harras und Barry
knurrend zur Kenntnis nahmen. Sie brachen jedoch nicht
aus, wie sie gern gemocht, sondern hielten sich brav an
Frauchens und Herrchens Seite.
»Wie artig die Hunde sind«, sagte Alix bewundernd. »Ich
hatte bis vor kurzem einen kleinen Schnauzer, der leider an
Altersschwäche starb. Doch der war sehr ungezogen.«

»Dafür war er ja auch weder ein Jagdhund noch ein
Wachhund, sondern das eigenwillige Schoßhündchen einer
nicht weniger eigenwilligen jungen Dame.«
»Pfui, Herr Baron!« blitzte sie ihn entrüstet an, und er
lachte.
»Daß der Mensch doch nicht die Wahrheit vertragen kann.«
»Na, das können Sie bestimmt nicht«, schnitt sie eine
Grimasse. »Möchte mal sehen, wenn ich Ihnen sagen
würde…«
»Bitte, genieren Sie sich nicht«, ermunterte er, als sie mitten
im Satz schwieg, doch sie winkte hochmütig ab.
»Lassen wir das, Kommentar überflüssig.«

Doch dann weiteten sich ihre Augen vor Entzücken. Vor
ihnen lag ein grünendes Tal, und weiter hinten leuchtete
ein rotes Ziegeldach. Heller Rauch kräuselte aus dem
Schornstein zum klarblauen Himmel empor.
»Das Rosenhaus grüßt sein Dornröschen«, sprach da eine
sonore Stimme neben ihr, und da mußte sie trotz ihrer
Verstimmung lachen.
»Diese Benennung haben Sie doch sicherlich von Herrn
Druschmann aufgeschnappt.«
»Stimmt. Und ich finde sie so bezeichnend, daß ich sie mir
zu eigen gemacht habe. Oder darf ich das nicht?«

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»Nein.«
»Auch nicht denken?«

»Das kann ich Ihnen nicht verbieten.«
»Böse?«
»Sehr.«
»Schade.«
Sie sah ihn an und bemerkte nun auch das Vibrieren der
Nasenflügel und das Zucken in den Mundwinkeln. In den
Augen blitzte ein Lachen.
»Hoffnungsloser Fall«, meinte sie achselzuckend. »Und nun
finde ich meinen Weg allein. Haben Sie Dank für Ihre
Begleitung, Herr Baron.«
»Ist der Dank ehrlich?«
»Nein, höflich.«

Ein Blick zu ihm hin, in dem tausend Teufelchen lachten,
dann senkte sie die Gerte und ritt in schlankem Trab
davon.
Als Alix die Terrasse betrat, fand sie die Tante bereits beim
Frühstück vor. Lachend und strahlend, wie dieser
Maimorgen selber, stand das Mädchen da, und Grit
betrachtete es eingehend.
»Na, dir scheint ja ganz was besonders Erfreuliches auf
deinem Morgenritt begegnet zu sein. Nimm Platz und
beichte.«
»Mit hungrigem Magen ist das zuviel verlangt, Tantchen.
Außerdem gibt es nichts zu beichten – höchstens, daß ich

in den sonnigen Knaben Mai verliebt bin.
Guten Morgen, Muttchen Brasch!« grüßte sie dann fröhlich
die Wirtschafterin, die frischen Kaffee brachte. »Da will ich
mich mal gleich laben.«
»Das tun Sie nur, gnädiges Fräulein. Der Kaffee ist heute
ganz besonders gut. Ja – und was ich noch sagen wollte.«
Sie strich verlegen die blütenweiße Schürze glatt. »Die
Damen meinten doch, daß ich jetzt in der Wirtschaft ohne
Hilfe nicht auskommen kann. Ich bin ja zwar anderer
Ansicht – aber wenn es durchaus sein soll…«
»Sind Sie nicht abgeneigt«, half Grit freundlich aus. »Es will

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mir fast scheinen, als hätten Sie diese Hilfe bereits
gefunden.«

»Stimmt«, nickte Mariechen strahlend. »Und zwar die Else,
die bisher bei der Meduse…«
»Modeste«, unterbrach Alix sie lachend.
»Na, meinetwegen, verrückt ist alles. Auch Megäre…«
»Dieser Name ist bestimmt der richtige«, warf Alix wieder
übermütig ein, und da wurde die Tante energisch.
»Sei still, du Strolch, du bringst Muttchen Brasch ja ganz
aus dem Konzept. Was ist nun mit dieser dreifach
benamsten Dame?«
»Sie hat Else so geschlagen, daß Blut aus der Nase kam, die
dann dick anschwoll«, platzte Muttchen empört heraus,
und diesmal war es Grit, die sie lachend unterbrach.

»Also, stimmt Megäre.«
»Hab ich doch gesagt«, triumphierte Mariechen. »Zwar
weiß ich nicht, was das ist, aber mein Alter sagt immer
auch so was, und der ist gebildet.«
»Also – wir bleiben bei Megäre – die hat Else, welche, wie
ich vermute, in ihren Diensten stand, geschlagen, und nun
will das Mädchen Knall und Fall den Dienst verlassen.
Dazu hat sie auch ein volles Recht.«
»Das sagt mein August auch. Geschlagen darf keiner im
Dienst werden. Schon gar nicht so doll, daß die Nase
anschwillt. Und da setzte die Else sich aufs Rad und kam zu
mir, weil sie doch mein Schwesterkind ist und keine Eltern

mehr hat. Da bin ich als Tante ihre einzige Zuflucht. Daß
Gott erbarm, hat das Kind geweint, das Herz im Leib
konnte sich einem umdrehen. Es weiß ja jetzt auch gar
nicht, wohin es soll – na ja – und da dachte ich mir – weil
wir doch hier jemand zur Hilfe brauchen – und weil unsere
Damen so Seelen von Menschen sind…«
»Ist schon gut, Muttchen Brasch«, sprach Grit in ihr
Gestammel hinein. »Wenn Sie für das Mädchen gut sagen,
wird es schon was wert sein. Ist es im Hause?«
»Ja.«
»Dann rufen Sie es bitte hierher.« Das ließ Mariechen sich

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nicht zweimal sagen. Hurtig entschwand sie und kam
gleich darauf in Elses Begleitung zurück. Die Nase war

tatsächlich dick angeschwollen, auch das eine Auge hatte
was
abgekriegt. Verschüchtert stand das Mädchen da, und Grit
sagte freundlich:
»Setzen Sie sich, Else. Und dann erzählen Sie, was sich
heute auf Ihrer Dienststelle zugetragen hat.«
Sie tat es unter Schluchzen. Und daß sie die Wahrheit
sprach, konnte Alix bezeugen, die ja hinter der Parkmauer
die Ohrfeigen gehört hatte. Also stimmte es wohl auch,
daß, als das Mädchen ins Haus gelaufen war, die Megäre
sich an ihm noch weiter vergriff.
»Ist doch ein Skandal«, sagte Grit empört. »Wo gibt es denn

so was, daß man seine Wut an Angestellten auslassen darf!
Wie lange waren Sie denn in dem merkwürdigen Haus,
Else?«
»Vier Monate, gnädige Frau. Und das ist lange, andere
liefen viel eher weg. Aber ich bin ein Waisenkind…«
Sie weinte wieder, und da sprach Grit beschwichtigend auf
sie ein:
»Nun weinen Sie nicht mehr, Else. Sie können hierbleiben
und Ihrer Tante in der Wirtschaft helfen. Wollen Sie das?«
Oh, wie strahlte das Mädchen vor Freude.
»Und ob ich will, gnädige Frau! Ich werde arbeiten fast Tag
und Nacht, daran bin ich ja schon gewöhnt. Nicht genug,

daß ich die ganze Wirtschaft allein besorgte, mußte ich
auch noch die Gnädige bedienen und das Kind warten.
Denn die Kindermädchen liefen ständig fort, weil die
Gnädige sie immer gleich ohrfeigte, wenn ihr was nicht
paßte. Eine gab ihr mal einen Schlag zurück, aber das
wagten die andern nicht – und ich auch nicht.
Und zu der vielen Arbeit, der schlechten Behandlung, auch
noch miserables
Essen. Wenn nichts da war, mußte ich zur Frau Verwalter
gehen und Lebensmittel borgen – es war fürchterlich!«
Jetzt weinte Else wieder und mit ihr die Tante.

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»So ein armes Kind, daß Gott erbarm! Aber laß man,
Eischen, jetzt sollst du es dafür auch ganz besonders gut

haben. Unsere beiden Damen sind die reinen Engel…«
»Zum mindesten lassen sie an den Angestellten nicht ihre
Wut aus«, unterbrach Grit sie trocken. »Also, Else, Sie
können gleich hierbleiben, wenn Sie wollen. Wie steht es
mit Ihren Sachen?«
»Ich habe Angst, sie zu holen«, bekannte sie kläglich, und
da wurde Mariechen kriegerisch.
»Na, da soll die Meduse sich hüten, dich noch einmal
anzurühren! Onkel August geht mit dir und nimmt den
Barry mit. Der ist nämlich auf den Mann dressiert.«
Verdutzt sah sie Grit und Alix an, die in ihre geharnischte
Rede hineinlachten.

»Na, wenn Sie so scharfe Geschütze auffahren, Muttchen
Brasch, dann wird Ihre Meduse sich wirklich hüten, zum
Angriff überzugehen«, sagte erstere. »Nun ziehen Sie mit
Ihrer Nichte ab.«
Ehe sie es verhindern konnte, griff Mariechen nach ihrer
Hand und küßte sie. Dann ging sie mit Else hinaus, und
Grit blies die Backen auf.
»Puh, so was ist anstrengend. Hauptsächlich, Dank in so
einer Form anzunehmen. Die Baronin scheint ja eine recht
lockere Hand zu haben – das heißt, wenn alles stimmt, was
Else erzählte.«
»Doch, das stimmt, Tante Grit. Zufällig war ich Zeuge, als

sie das Mädchen
ohrfeigte. Allerdings hörte ich’s nur hinter der
abgrenzenden Mauer des Parkes von Isen.
Gritchen, ein geistreiches Gesicht machst du gerade nicht«,
wollte der Schelm sich über die verblüffte Tante halbtot
lachen, bis diese Einhalt gebot.
»Lach nicht so übermütig, du Schlingel, sondern erstatte
ausführlichen Bericht darüber, wie du an die Mauer geraten
konntest. Du wolltest doch nicht etwa dem Herrn Baron
einen Morgenbesuch machen?«
»O nein, so vermessen bin ich nicht«, kam die Antwort

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mutwillig. »Daß ich in die vornehme Abgeschiedenheit
geriet, daran ist Goldlack schuld, dem ich beim Ritt freien

Lauf ließ. Wenn es nach ihm gegangen, wäre ich in Isen
eingeritten, wonach mir nun gar nicht der Sinn stand. Also
lenkte ich mein Roß an der Parkmauer entlang – und
begegnete so dem Herrn aller Reußen. Na ja, da der Zufall
im Leben nun mal eine Rolle spielt, wurden wir beide
Zeuge von dem, was sich hinter der Mauer abspielte,
nämlich: daß die Frau Baronin wie ein ordinäres Weib
keifte und dann blindwütig ihre Angestellte ohrfeigte.«
»Interessant. Und was sagte der Herr Baron dazu?«
»Daß so was in dem kleinen Haus am Ende der Parkmauer
zur Tagesordnung gehört. Wenn die Baronin Modeste nicht
gerade mit Gegenständen um sich wirft, ohrfeigt sie die

Angestellten oder schlägt ihr Kind. Auf meine Frage, was
die Dame in der Zwischenzeit tut, erfolgte die Antwort:
Dann ist sie eine lustige Witwe.«
»Das ist ganz der Herr Baron von Isenhardt«, lachte Grit.
»Und weiter?«
»Weiter nichts. Er war so huldvoll; mir den nächsten Weg
zum Rosenhaus zu zeigen, machte sogar das Maß seiner
Güte voll, indem er mir bis kurz davor das Geleit gab –
aus.«
Nach diesem mutwilligen Bericht war es zuerst einmal still.
Dann sagte Grit:
»Ich wundere mich, daß der Mann seine temperamentvolle

Schwägerin so einfach gewähren läßt.«
Die Antwort darauf konnte Muttchen Brasch geben, die
wieder auf der Terrasse erschien, um den Tisch abzudecken.
»Mein August ist mit der Else unterwegs zur Meduse«,
erzählte sie wichtig. »Er hat zum Schutz außer dem Hund
noch einen Stock mitgenommen. Da kann ihm nichts
passieren.«
»Will ich meinen«, schmunzelte Grit. »Aber was wird der
Herr Baron dazu sagen, wenn man so ins Haus seiner
Schwägerin einbricht?«
»Der hat sich darum nicht zu kümmern, die Meduse kann

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in ihrem Haus machen, was sie will. Bloß den Park darf sie
nicht betreten, sie hat einen Garten für sich. Der Herr

Baron muß ihr bloß pünktlich das monatliche Geld
zahlen. Was sie damit macht, darf ihn nichts angehen. Aber
Schulden bezahlt er auch keine, das wissen alle Kaufleute
und geben nichts auf Pump.
Sie müssen nämlich wissen, meine Damen«, fuhr sie leise
fort, als müßte sie ein Geheimnis enthüllen. »Der
verstorbene Baron hat seinen Stiefbruder gehaßt, solange er
auf der Welt ist. Er war schon zwanzig Jahre alt, als sein
Vater
noch einmal heiratete – und zwar eine Mondäne. Die
rückte dann aus, als sie ihren Sohn Gernot abgelegt hatte,
und soll in der Fremde verdorben und gestorben sein.

Etwas Genaues weiß man da nicht. Wahr ist aber, daß der
alte Baron nach vier Jahren starb.«
»Und was wurde aus seinem zweitgeborenen Sohn?« fragte
Grit interessiert.
»Den gab der Stiefbruder fort, weil er den kleinen Jungen
nun mal nicht leiden konnte. Wo er all die Jahre war, liegt
im dunklen. Er taucht erst wieder auf, um Isen zu erben,
weil die Meduse doch bloß ein Mädchen gekriegt hatte.
Und so was erbt niemals Isen, immer nur Jungens. In
seinem Testament hat der Bucklige bestimmt, daß der
Gernot die Modeste und ihr Kind ungeschoren lassen soll.
Er soll ihr bloß das ihr Zustehende aus der Kasse zahlen.«

So primitiv diese Erklärung auch abgegeben wurde, so
waren Grit und Alix dennoch im Bilde. Nun konnten sie
sich auch erklären, warum Isenhardt die Schwägerin ließ
und auch, daß er kein Damenfreund war, wie Druschmann
sich ausdrückte. Er war aus Erfahrung klug geworden,
durch Mutter und Schwägerin. Und wer weiß, welchen
minderwertigen Frauen er noch begegnete, die er verachten
mußte.
»Wieder ein Beweis mehr, wie töricht es ist, wenn alternde
Männer Mädchen heiraten, deren Vater sie sein könnten«,
sagte Grit, nachdem Muttchen Brasch gegangen war. »Hier

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gibt es sogar zwei Fälle in einer Familie: Isenhardt der
Ältere, Isenhardt der Bucklige, wie Mariechen ihn nennt –

und so wird es auch deinem verblendeten Vater gehen,
mein
Kind. Es ist schon eine Tragik um die Männer, die ihre
Jugend mit aller Gewalt festhalten wollen. Ob er nun so
richtig glücklich ist?«
Diese Frage hätte Egon Grodes sich noch nicht einmal
selbst beantworten können, weil er das, was man den
»Himmel voller Geigen hängen« nennt, nicht ohne jeden
Mißton empfand. Denn ihrer gab es manche, die seines
Herzens Harmonie störten.
Schon allein, daß seine Tochter und seine Schwester, an
denen sein Herz hing, ihn verlassen hatten. Das kränkte

und tat weh. War er nicht immer ein liebevoller Vater und
ein guter Bruder gewesen? Jetzt mußte er erfahren, daß
Undank der Welt Lohn ist.
Nun, mochten die Undankbaren zusehen, wie sie ohne ihn
fertig wurden. Er mußte seinem Glücksverlangen
nachgeben – und dieses Glücksverlangen hieß Daisy.
Morgen wollte Egon Grodes das entscheidende Wort
sprechen und dazu alles ein wenig festlich gestalten. Und
da fehlte ihm seine Schwester Grit, die alles so wunderbar
zu arrangieren verstand, ohne daß er sich darum zu
kümmern brauchte. Ach was, es mußte auch so gehen.
Alma, die schon jahrelang im Hause war, würde doch wohl

ein kleines Festmahl zusammenstellen und für
Tafelschmuck sorgen können.
Also beorderte er sie zu sich und atmete auf, als sie
versprach, alles bestens zu erledigen. Als sie jedoch fragte,
ob es
ein Verlobungsmahl werden sollte, fuhr er sie scharf an:
»Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts
angehen, verstanden?«
»Doch, Herr Grodes, Ihre Verlobung geht mich schon was
an – ich möchte dann nämlich kündigen. Und auch das
Hausmädchen, der Diener und Chauffeur würden in dem

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Fall mit demselben Anliegen an Sie herantreten.«
»Ja, seid ihr denn plötzlich alle verrückt geworden?« fragte

er grob, und die intelligente und gewandte Alma lächelte
liebenswürdig.
»Keineswegs, Herr Grodes. Wir haben im Gegenteil unseren
Verstand recht gut beisammen. Und der sagt uns, daß wir
unter der neuen Herrin nichts zu lachen haben würden.
Darin sind wir derselben Ansicht wie unsere beiden
Damen, die ja auch aus dem Grund das Haus verließen.«
Gerade das hätte sie nicht sagen dürfen, das brachte den
ohnehin schon gereizten Mann sozusagen zur Weißglut. Er
schlug mit der Faust auf den Schreibtisch und schrie:
»Schert euch alle zum roten Kuckuck – und zwar noch
heute! Laßt euch das Zustehende im Büro auszahlen – und

dann aber rrrausssss!!!«
Die Tür klappte hinter Alma zu – und der Mann lachte
grimmig auf.
Also auch von der Seite setzte man ihm Widerstand
entgegen. Es war tatsächlich, als befände er sich unter lauter
Narren!
Noch bevor er seinen Ärger hinuntergewürgt hatte,
klingelte es an der Portaltür anhaltend, so daß er schon
ganz nervös wurde.
Wo steckte denn der Diener wieder – ach so, dessen Dienst
war ja beendet, wie bei der übrigen Dienerschaft. Also
mußte der Hausherr persönlich sich dazu bequemen, an

die Tür zu gehen, um nachzusehen, wer da so stürmisch
Einlaß begehrte. Gleich darauf konnte er seinen
angehenden Schwager in Augenschein nehmen, der
geschniegelt und gebügelt vor ihm stand.
»Ah, Herr von Tees, das ist mal eine freudige
Überraschung«, zwang er sich zu einem höflichen Ton.
Denn freudig überrascht war er nun wirklich nicht, der
junge Mann kam ihm im Gegenteil sehr ungelegen. Doch
er beherrschte sich meisterhaft und bat den Gast
näherzutreten, der lachend sagte:
»Sie höchstpersönlich an der Haustür, Herr Grodes? Wo ist

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denn Ihr Musterdiener?«
»Das erzähle ich Ihnen später. Zuerst wollen wir uns

gemütlich placieren.«
Das taten sie im Arbeitszimmer. Und nachdem man mit
Zigaretten und Likör versorgt war, sagte der Hausherr
ärgerlich:
»Ich habe die Dienerschaft Knall und Fall entlassen
müssen, weil sie unbotmäßig wurde. Es fehlt eben hier die
Hausherrin.«
»Nun, das wird ja bald anders werden«, tröstete der
Modejournaljüngling mit vielsagendem Lächeln. »Übrigens
soll ich einen lieben Gruß von Daisy bestellen. Sie ist
untröstlich, daß sie ihres Herzens Schwarm einige Tage
nicht wird besuchen können, sie muß nämlich das Bett

hüten…«
»Oh, ist sie etwa ernstlich krank?«
fragte Grodes betroffen dazwischen, doch der andere
winkte beruhigend ab.
»Nein, nur eine Erkältung mit leichtem Fieber, die bald
behoben sein wird.
Ja – und nun habe ich etwas auf dem Herzen, mein lieber
Herr Grodes«, räusperte sich dieser hoffnungsvolle junge
Mann und gab sich alle Mühe, verlegen dreinzuschauen.
»Ich befinde mich in einer scheußlichen Klemme – habe
Pech gehabt. Wollte Fortuna herausfordern, doch die hatte
verdammt schlechte Laune. Ja, wie das so ist – ähmmm –

jetzt soll ich zahlen und kann nicht.
Kurz und gut: Können Sie mir mit dreißigtausend Mark
aushelfen, Herr Grodes? Natürlich nur kurzfristig, versteht
sich. Habe eine Masse Geld liegen, kann es aber nicht so
rasch abrufen. Für Sie ist die Summe doch nur eine
Lappalie
- und mir würde aus einer Verlegenheit geholfen.«
Darauf erwiderte Grodes zuerst einmal nichts. Es war ihm
direkt anzumerken, wie unbehaglich er sich fühlte. Denn
das Peinlichkeitsgefühl, das dem andern abging, hatte er.
Dreißigtausend Mark – eine Lappalie

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- was dachte der Mann sich eigentlich? Nahm er etwa an,
daß er im Geld schwimme? So arg war es nun nicht, wenn

er auch einen ganz netten Batzen besaß. Und nur deshalb,
weil er zwar ein großzügiger Mensch, aber kein
Verschwender war, dafür besaß er zu viel Ehrfurcht vor
dem Geld.
»Tja, mein lieber Herr von Tees«, sprach er dann bedächtig.
»So happig ist es bei mir auch wiederum nicht, daß
dreißigtausend Mark eine Lappalie bedeuten. Und wenn,
dann hat ein Kaufmann sie nicht gleich flüssig.«
Er sprach zwar nicht die Wahrheit, aber irgendwie mußte er
sich doch herausreden, wenn er nicht das Geld opfern
wollte. Denn daß er es nie zurückbekam, das sagte ihm
sein Verstand, der ganz gut intakt war, wenn es sich nicht

gerade um seine angebetete Daisy handelte.
»Ja, dann weiß ich nicht, was ich anfangen soll«, sprach
nun der junge Mann wie ein Schauspieler, der Verzweiflung
mimen muß. »Da bleibt mir weiter nichts als die Kugel.
Das wird meine arme Mutter schwer treffen – und meine
Schwester gleichfalls, die sehr an mir hängt. Leben Sie
wohl, Herr Grodes, lassen Sie es sich gutgehen.«
Damit wankte er hinaus – und der Zurückbleibende fuhr
sich in die Haare.
Verflixt noch mal, hatte sich denn alles gegen ihn
verschworen? Mußten sich denn immer mehr Hindernisse
auftürmen, die zwischen ihm und Daisy standen? Es war,

um auf die Akazien zu klettern.
Nun, das hätte er tun können, weil zwei solch stachelige
Dinger im Garten standen. Aber er tat es nicht, sondern
holte den Wagen aus der Garage und fuhr zuerst einmal zu
einem Blumengeschäft, wo er einen Strauß roter Rosen
erstand. So duftend bewaffnet, lenkte der Mann das Auto
zu einem Mietshaus, wo in der ersten Etage sein Glück
wohnte. Er hielt, sicherte den Wagen und betrat das Haus,
das, wie man sagen konnte, von »schäbiger Eleganz« war.
Denn was da vorgetäuscht wurde, war alles Talmi, was dem
geübten Auge des Mannes natürlich nicht entging. Mit

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widerstreitendem Empfinden stieg er die Treppe hinauf,
deren abgetretene Läufer dringend einer Erneuerung

bedurften.
Dann stand er vor der Etagentür. Doch ehe er den
Klingelknopf drückte, hatte er mit Hemmungen zu
kämpfen.
Was wollte er überhaupt hier? Daß er Daisy nicht sprechen
konnte, war ihm klar. Denn ein Freier pflegt nicht
rosenbewaffnet an das Bett der Liebsten seines Herzens zu
treten. Aber ihrer Mutter wollte er den Strauß abgeben und
sich hinterher diplomatisch erkundigen, ob ihr die
Spielschulden des Sohnes bekannt waren. Wenn ja, nun,
dann mußte man beraten, was zu machen wäre. Wußte sie
es nicht, was dann? Er konnte der Frau doch unmöglich

gewissermaßen den Dolch ins liebende Mutterherz stoßen.
Allein, das zu tun, sollte dem bekümmerten Mann, der sich
schon seufzend einen Scheck über 30.000 Mark ausstellen
sah, um damit herzzerreißenden Jammer zu verhüten,
denn doch erspart bleiben. Denn bevor der Finger, der
bereits auf dem Klingelknopf lag, zudrücken konnte, wurde
hinter der Glastür eine lachende Stimme laut. Diese
Stimme gehörte Daisy und klang kein bißchen heiser und
verschnupft.
»Haltet den Daumen, damit es mir gelingt, den Alten zu
betören«, drang es an das Ohr des atemlos Lauschenden.
»Jedenfalls werde ich nichts unversucht lassen, um dem

verliebten Narren das Geld aus der Tasche zu ziehen, das er
meinem Brüderlein versagte. Hinterher mache ich gleich
die Verlobung fest – und dann soll der Trottel erfahren, was
er einer jungen, schönen Frau schuldig ist. Und
wenn ich mein Schäfchen im trockenen habe, dann adieu,
mein Herr Gemahl!«
»Na, Daisy, wenn du den Mann nur nicht unterschätzt«,
sprach nun die Mutter dieses herzigen Wesens. »So ein
Trottel, wie du annimmst, ist er bestimmt nicht.«
»Ach was, Mama, er ist verliebt – und ich verstehe
wunderbar zu schauspielern.«

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Damit hatte der wie erstarrt stehende Mann genug gehört.
Mit Aufbietung aller Kraft riß er sich zusammen und eilte

die Treppe hinab, als wären Furien hinter ihm her. Erst als
die Haustür hinter ihm zufiel, gab er seiner Erschütterung
nach. Er lehnte sich gegen das Holz und wischte sich mit
zitternder Hand den Schweiß von der Stirn, schluckte
kräftig, als müßte er einen harten Brocken hinunterwürgen.
Doch dann holte er so tief Luft, als müßte er die Lungen
bersten.
»Pfui Teufel!« machte er dann seinem bedrängten Herzen
Luft, wobei ihn etwas störte. Und zwar der Duft der Rosen,
der ihm durch das umhüllende Papier lieblich in die Nase
stieg. Mit einer Verwünschung schleuderte der erbitterte
Mann den Strauß in den Rinnstein und setzte sich in den

Wagen. Bevor er abfuhr, bemerkte er ein niedliches junges
Mädchen, das die Straße entlangwippte. Beim Anblick der
Rosen, von denen sich nach dem schwungvollen Wurf das
Papier gelöst hatte, stutzte es, bückte sich dann rasch und
hob diese Blumen der Liebe aus dem Rinnstein. Sah sich
scheu nach allen Seiten um und hastete dann davon, als
könnte man ihr diesen köstlichen Fund entreißen.
Recht so, mein Kind – dachte Grodes
grimmig. Geh nach Hause, setz dich ans Klavier und singe
schmelzend und süß: Tausend rote Rosen blüh’n, in dem
Land der Liebe…
Damit brachte er den Wagen in Gang und sauste ab. Ein

Glück, daß die stille Straße augenblicklich unbefahren war,
sonst hätte es dem blindwütigen Fahrer des eleganten
Wagens übel ergehen können.
So jedoch erreichte er heil die Hauptstraße, wo ein
Schutzmann den Verkehr regelte. Da kam der leichtsinnige
Fahrer zur Besinnung und fuhr ein gemäßigtes Tempo.
Das Herz tat ihm so erbärmlich weh, daß dieser Schmerz
ihm Tränen erpreßte. Und dabei meinte das Schicksal es
doch so gut mit ihm – was er jetzt allerdings noch nicht
wußte, sondern es bitter anklagte.
Als Egon Grodes zu Hause ankam, trank er erst einmal eine

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Flasche Sekt leer, um sein Herzleid einigermaßen würdig
zu ertränken. Und siehe da, es schien ihm alles längst nicht

mehr so todtraurig. Er pfiff sogar vor sich hin, zwar
wehmütig, aber immerhin. Wäre er ein Tenor gewesen,
hätte er herzzerreißend von falschen Frauen gesungen und
von den armen Männern, die auf sie hereinfielen. Aber
singen konnte er nicht, nur pfeifen – und das noch nicht
einmal gut.
Im Sessel lehnend, die Beine weit von sich gestreckt, die
Hände in den Hosentaschen, so saß er da, der reiche
Spirituosenfabrikant Egon Grodes, der für seine vornehme
Eleganz bekannt war. Aber
jetzt wirkte er entschieden salopp – hemdärmelig, den
Kragen geöffnet, die Bügelfalte der Hose zerdrückt, das

Haar zerzaust, weil er sich immer wieder mit seinen zehn
Fingern hineinfuhr.
Da konnten einem aber auch die Haare zu Berge stehen,
bei dem, was er heute erfahren mußte. Die Binde der
Verblendung begann sich von seinen Augen zu lösen, und
er war nun dazu fähig, seine angebetete Daisy als das zu
erkennen, was sie wirklich war: Eine raffinierte Kanaille.
Jedes Wort, das er hinter der Etagentür gehört, empfand er
jetzt noch wie einen Schlag ins Gesicht – hauptsächlich die
beiden Bezeichnungen: Verliebter Narr und Trottel.
Jetzt blieb sein Blick an dem großen Bild seiner
verstorbenen Frau hängen – und da schämte er sich vor

den klaren Augen, die ihn mißbilligend anzusehen
schienen. Hastig sprang er auf und wanderte im Zimmer
umher. Die Stille um ihn wurde unerträglich, so daß er auf
den Altan trat und in den blühenden Garten hinabschaute.
An einem Blumenbeet arbeiteten der Gärtner und seine
Frau. Sie grüßten ihren Herrn, dann trat der Mann zögernd
näher.
»Fräulein von Tees war hier, Herr Grodes«, sagte er
verlegen. »Sie wollte alle Rosen schneiden, die hier blühen.
Da es jedoch die ersten sind, die unsere liebe gnädige Frau
aufs Grab bekommen soll, habe ich die Blumen verteidigt.

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Da wurde die Dame wütend und meinte, wenn sie erst die
Herrin hier wäre, flöge ich unweigerlich ‘raus.

Na ja – und da möchte ich doch schon lieber von selbst
gehen. Nichts für ungut, Herr Grodes.«
Dabei sah er seinen Herrn so bekümmert an, daß diesem
das Rot der Beschämung ins Gesicht stieg. Er dachte daran,
daß der Gärtner und seine Frau ihm schon zwanzig Jahre
dienten, daß sie Getreue wären, wie man sie nicht oft
findet. Und da kam nun so eine Kanaille. Es gab einen
knirschenden Laut, so fest biß der ergrimmte Mann die
Zähne zusammen. Und gleichzeitig schoß ihm etwas durch
den Sinn, das er sofort in Worte faßte:
»Darüber sprechen wir noch, wenn ich von meiner Reise
zurückkehre, mein lieber Krause. Ich möchte das Haus

nicht gern allein lassen.«
»Natürlich nicht, Herr Grodes«, nickte der Mann eifrig.
»Wir bleiben ja auch gern…«
»Dann sind wir uns ja einig«, unterbrach der andere ihn
hastig. »Wie lange ich wegbleibe, weiß ich noch nicht. Ich
übergebe Ihnen nachher die Schlüssel.«
Damit wandte er sich ins Zimmer zurück und trank einen
Kognak, weil ihm flau im Magen war. Er hatte seit dem
Frühstück nichts gegessen, und jetzt war es bereits drei Uhr.
Gern hätte er sich etwas zu essen gemacht, aber er wußte
damit nicht Bescheid. Es war ja auch das erste Mal in
seinem verwöhnten Leben, daß sich niemand um ihn

kümmerte, daß er sein Essen nicht pünktlich bereit fand.
Seufzend machte er sich daran, die Koffer zu packen.
Denn die spontane Idee mit der Reise war gut, die wollte er
ausführen.
Wenn er nur wüßte, was er alles mitnehmen sollte. Auch
darum hatte er sich nie zu kümmern brauchen, er fand vor
jeder Reise fürsorglich die nötigen Sachen gepackt. Zuerst
von seiner Frau, später von seiner Schwester.
So dauerte es auch eine ganze Weile, bis das schwierige
Werk geschafft war. Ob alles in den Koffern lag, was er auf
der Reise brauchte, wußte er allerdings nicht. Na egal,

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wenn er etwas vermißte, kaufte er es unterwegs. Er konnte
sich das ja leisten, weil er heute eine Unmenge Geld

gespart hatte.
Jawohl, gespart. Erstens einmal die dreißigtausend Mark,
die dieser Gauner in Modejournalaufmachung ihm
kaltblütig aus der Tasche ziehen wollte – und dann weitere
Unsummen, die diese irrsinnige Ehe ihn gekostet hätte.
Mußte er nicht dem Herrgott dankbar sein, der ihm die
verblendeten Augen öffnete, bevor es zu spät war? Nein,
noch war er ihm nicht dankbar, dazu war die
Enttäuschung, die er heute hatte erleben müssen, noch zu
groß.
Unzufrieden mit sich und der ganzen Welt ging er zum
Fernsprecher, um den ersten Prokuristen seines großen

Unternehmens von dem plötzlichen Entschluß seiner Reise
in Kenntnis zu setzen. Er wußte bei dem gewissenhaften
Mann, der schon lange im Betrieb arbeitete, alles in
zuverlässigen Händen.
Nachdem auch das geklärt, stand der Abreise nichts mehr
im Wege. Grodes verschloß das Haus und übergab die
Schlüssel dem Gärtner, der eifrig versprach, das Eigentum
seines Herrn treulich zu hüten. Dieser verabschiedete sich
freundlich, nahm im Wagen Platz, in dem zuvor die Koffer
verstaut waren, und fuhr nach einem Hotel, wo er seinen
Hunger stillte.
Und dann konnte er sich endlich auf den Weg machen.

Wohin? Das wußte er selbst nicht – es war ja auch so egal.
Hauptsache, er kam über die schwere Enttäuschung
hinweg, die ihm jetzt zu schaffen machte. Denn einen
Traum begraben müssen, zerrt an Herz und Nerven – ob
man da zwanzig Jahre zählt oder fünfzig.
Im Rosenhaus lebte man unbekümmert dahin. Es schien,
als wäre dieses herrliche Fleckchen Erde gefeit gegen alle
Kümmernisse des Lebens. Da gab es weder Hetzen noch
Jagen, Haß noch Streit, kein Mißton klang in die Harmonie
hinein. Hier vertrug sich alles, hier liebte sich alles, hier gab
es keine schwerwiegenden Probleme zu wälzen.

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Grit wunderte sich, daß ihr das Landleben nicht langweilig
wurde. Sie ertappte sich sogar dabei, daß sie Sehnsucht

nach dem Rosenhaus verspürte, wenn sie mit Alix in der
Stadt war, um Besorgungen zu machen, ins Cafe oder auch
ins Kino zu gehen.
Als sie einmal ihre Sehnsucht der Nichte gegenüber laut
werden ließ, meinte diese skeptisch:
»Nun, Tantchen, du bist ja erst vier Wochen auf dem Lande
und nimmst es noch als Sommerfrische hin. Warte nur ab,
ob du nach einem halben Jahr noch genauso denkst wie
heute.
Das heißt, länger als einige Wochen hintereinander weilte
ja auch ich nicht im Rosenhaus, immer nur die Ferien über.
Und damals war ich ein Kind, respektive Backfisch, die von

den Genüssen der Stadt sowieso noch nichts zu schmecken
kriegen. Außerdem sind so blutjunge Menschen, mit
Ausnahmen natürlich, naturverbunden.«
»Demnach man dich mit deinen einundzwanzig Jahren als
mittelalterliches Fräulein betrachten muß«, warf Grit
trocken ein, und Alix lachte.
»Immerhin bin ich mündig.«
»Wohl dir, mein Kind. Sonst wäre es jetzt nicht so gut um
dich bestellt.«
Was sie damit meinte, wußte Alix genau, nämlich: daß sie
jetzt unter der Fuchtel der Stiefmutter, die nur ein Jahr
mehr zählte als sie selbst nichts zu lachen haben würde.

Denn daß der Vater das Fräulein von Tees geheiratet hatte,
darüber gab es für Alix wie für Grit keinen Zweifel.
Sie hatten nichts mehr aus der Villa Grodes gehört und
wollten es auch nicht. Sie konnten sich ja denken, wie es
jetzt da zuging. Und ändern konnten sie daran nichts.
Ihr Zuhause war jetzt das Rosenhaus, für das Alix der Tante
Riekchen über das Grab hinaus dankte.
Überhaupt das Rosenhaus, man mußte sich ja darin
heimisch fühlen. Mußte sich einspinnen lassen von der
Traulichkeit, die alles wie ein Rosenhauch umwehte. Alles
war so einfach darin, so gut und lieb.

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Tante Riekchens Geist schien über dem Rosenhaus zu
schweben, das sie sich geschaffen hatte wie eine Insel des

Friedens, nachdem ihr Verlobter, den sie über alles geliebt,
kurz vor der Hochzeit gestorben war. Und dieser Mann war
ein Rosennarr gewesen.
Ein großes Bild hing im Wohnzimmer, das die Verlobten
zeigte. Kopf an Kopf geschmiegt, lachende Lippen,
glückstrahlende Augen, so sah das junge Paar dem
Beschauer entgegen.
Alix liebte das Bild schon als Kind und jetzt noch mehr, da
sie reif genug war, um die Grausamkeit zu erfassen, mit der
das unergründliche Schicksal so viel Glückseligkeit
zerstörte.
Heute stand sie vor dem Bild und legte ein Kränzlein

darum, das sie aus Mairosen gewunden hatte. Wehmütig
sah sie in die strahlenden Gesichter und schrak zusammen,
als Tante Grit neben ihr gütig fragte:
»Heute ist wohl ein besonderer Tag für Tante Riekchen,
mein Kind?«
»Ja, ihr Verlobungstag«, kam die Antwort traurig.
»Ich weiß es von Mutti, die mir, als Tante Riekchen
gestorben war, von deren kurzem Glück erzählte. Sie selbst
sprach nie darüber, es tat ihr wohl zu
weh.
Ach, Tante Grit, warum mußte das Schicksal zwei
Menschen auseinanderreißen, die sich so sehr liebten?

Warum trennt es nicht Menschen, die voneinanderstreben,
wie es doch so oft der Fall ist?«
»Ja, Kind, wenn man sich erst mit der Frage befaßt, könnte
man am Leben schier verzweifeln«, entgegnete Grit leise.
»Wie sagt der Dichter:
Halte dich still, halte dich stumm, nur nicht forschen,
warum – warum?
Nur nicht bittere Fragen tauschen, Antwort ist doch nur wie
Meeresrauschen.
Und nun komm, mein Liebes, beschwere dir das Herzchen
nicht mit diesem unerklärlichen Warum. Gebe Gott, daß

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du in deinem Leben niemals die Frage an das Schicksal zu
stellen brauchst.«

Damit nahm sie der Nichte das Kränzchen aus der schlaff
herabhängenden Hand, befestigte es am Rahmen des
Bildes und zog das betrübte Mädchen auf die Terrasse, wo
der Kaffeetisch gedeckt war. Ein Berg goldbrauner Waffeln
stand da, die Kaffeemaschine summte traulich.
Vom Garten her duftete es nach Rosen und Flieder. Die
Kastanien hatten ihre Lichtlein aufgesteckt – und über dem
allen lachte strahlender Sonnenschein.
»Das nennt man Poesie«, schmunzelte Grit, indem sie sich
an dem einladend gedeckten Tisch niederließ. »Auch die
Waffeln, die sich in lauter Herzen verteilen. Ich weiß nur
nicht recht, warum Muttchen Brasch sich am

Pfingstsonnabend die Arbeit macht, diese knusprigen
Dinger zu backen. Der Festkuchen dürfte doch schon längst
fertig seih.«
»Ist er, Tante Grit. Aber daß es Waffeln am
Pfingstsonnabend zum Nachmittagskaffee gibt, das war
von jeher so im Rosenhaus, und diese Gewohnheit hält
Muttchen Brasch eben bei.«
Nun, Grit sowie Alix hatten bestimmt nichts dagegen. Sie
ließen sich die goldbraunen Herzen trefflich munden und
tranken den vorzüglichen Kaffee dazu. Es herrschte eine
himmlische Ruhe um sie her, in die plötzlich
Kinderweinen hineinklang. Und zwar kam es von dorther,

wo hinter dem Gartenzaun der Privatweg entlangführte,
der die Chaussee mit Isen verband und nur von dem
Besitzer selbst und seinem Gutsverwalter benutzt wurde,
wenn sie sich den Weg nach einem der Vorwerke, das in
der Nähe lag, abkürzen wollten.
Denn das Rosenhaus mit seinen wenigen Morgen Land lag
wie eine Enklave auf Isener Gebiet, sehr zum Ärger des
buckligen Isenhardt. Aber da der Vertrag, den sein Vater
mit dem damaligen Besitzer schloß, auf 99 Jahre lautete,
mußte der Sohn die Eindringlinge verbissen dulden, zumal
die Pacht pünktlich bezahlt wurde. Dazu durften sie aus

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dem Rosenhaus auch noch den Isener Privatweg, der an
ihrem Gehöft vorbeiführte, benutzen, was den Buckligen

ganz besonders gewurmt hatte.
Doch für alle andern aus der Umgegend war der Weg tabu.
Und so waren die beiden Damen auf der Terrasse des
Rosenhauses neugierig, zu erfahren, wie sich ein Kind
darauf verirren konnte.
Doch es schien nicht allein zu sein; denn jetzt wurde auch
eine Frauenstimme zwischen dem Weinen hörbar. Also
blieb Alix, die schon dem Kind zu Hilfe eilen wollte, ruhig
sitzen und erspähte dann gleich Grit auch bald den kleinen
Schreihals, der an der Hand einer weiblichen Person den
Weg entlangstolperte.
»Fuß wehweh – Fuß wehweh«, jammerte das Kind, doch

die Frau hörte nicht darauf. Sie verhielt erst den Schritt, als
sie vor der Gartentür stand, von wo aus sie die beiden
Damen auf der Terrasse erspähen konnte.
»Liebes Fräulein, kommen Sie doch mal her!« rief sie Alix
an, die dann auch aufstand und, von Grit gefolgt, an die
Gartentür trat.
»Ich bin die Baronin von Isenhardt«, erklärte die Dame
jenseits des Zaunes leutselig. »Und Sie sind doch sicher
Fräulein Grodes, nicht wahr?«
»Allerdings«, dehnte Alix. »Sie wünschen?«
»Ach, liebes Fräulein, ich habe Pech gehabt mit meinem
Wagen, der unweit von hier steht. Er streikte einfach, zu

dumm. Was mache ich bloß!«
»Eine Autowerkstätte anrufen und einen Fachmann zu
Ihrem Wagen bitten«, riet Grit trocken, was ihr einen Blick
sehr von obenherab eintrug.
»Sie sind wohl die Wirtschafterin hier?«
»Kann man auch sagen.«
»Dann nehmen Sie mir das Kind ab. Es hat die ganze
Strecke laufen müssen und kann sich kaum noch auf den
Beinchen halten.«
»Tun wehweh«, jammerte die Kleine wieder, während dicke
Tränen über die verschmierten Bäckchen rollten. Da siegte

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das gute Herz Grits, die dieser impertinenten Dame schon
eine Abfuhr erteilen wollte. Sie nahm das Kind entgegen,

das die Mutter über den Zaun reichte und dann versuchte,
die Gartentür zu öffnen.
»Sie ist verschlossen«, bemerkte Alix kühl.
»Dann holen Sie den Schlüssel!«
»Bedaure sehr, er ist verlegt. Sie werden sich schon durch
die Tür bemühen müssen – wenn Sie Wert darauf legen,
das Haus zu betreten.«
Ein feinfühliger Mensch hätte sich nach diesen ironischen
Worten verletzt zurückgezogen. Doch der Baronin Modeste
war Feingefühl ein fremder Begriff
- hauptsächlich dann, wenn sie einen Zweck verfolgte. So
ging sie denn am Zaun weiter, bis sie die Haustür erreicht

hatte, wo Grit sie bereits erwartete. Aber nicht etwa aus
Höflichkeit, sondern um unliebsame Überraschungen zu
vermeiden.
»Sagen Sie mal, meine Liebe, was ist dieses Fräulein Grodes
eigentlich für ein Mensch?« hielt die Frau Baronin es nicht
unter ihrer Würde, die vermeintliche Wirtschafterin
vertraulich auszufragen und erhielt die lakonische Antwort:
»Meine Nichte.«
»Oh, also ein Fauxpas«, lachte sie ohne Spur von
Verlegenheit. »Nehmen Sie ihn mir übel?«
»Bewahre. Jeder benimmt sich so, wie er kann. Wenn Sie
telefonieren wollen, hier rechts im Zimmer befindet sich

der Fernsprecher.«
»Ach, das hat noch Zeit, zuerst möchte ich mal sehen, wie
es meinem Töchterchen geht. Wo finde ich es?«
»Auf der Terrasse.«
»Wie gelangt man dahin?«
»Geradeaus.«
Bevor die Modeste weiterging, sah sie sich neugierig in der
behaglich eingerichteten Diele um.
»Das sieht ja beinahe herrschaftlich aus«, stellte sie dann
erstaunt fest.
»Nahmen Sie etwa an, daß wir hier wie die Banausen

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wohnen?«
Ein wenig melodisches Lachen, in dem verhaltene Wut

mitschwang, war die Antwort. Dann tänzelte die Gnädige
weiter, sah sich in dem Speisezimmer, das sie durchquerte,
wieder neugierig um, enthielt sich jedoch diesmal jeder
Bemerkung und stand dann auf der Terrasse, wo Alix
bemüht war, mit einer in Wasser getauchten Serviette dem
kleinen Mädchen das verschmierte Gesichtlein und die
Händchen zu säubern.
»Ja, sie ist ein schreckliches Kind«, seufzte die Mutter. »Wie
oft muß ich sie am Tag umziehen, doch sie ist nie sauber.
Ist das aber mal eine gute Tante, nicht wahr, Gelalein?«
flötete sie jetzt süß. »Gibt unserm Herzchen eine Waffel.
Darf Mami mal davon beißen?«

Nein, das durfte sie nicht. Denn als sie sich zur Waffel
neigte, schlug ihr die Kleine mit dem dicken Patschchen ins
Gesicht. Aber das schien die Frau Mama nicht weiter
tragisch zu nehmen. Sie lachte und drohte dem unnützen
Töchterlein:
»Na warte, du kleiner Strolch, gleich gibt’s was aufs böse
Händchen. Du scheinst dich ja bei der lieben Tante sehr
sicher zu fühlen.«
Ohne dazu aufgefordert zu sein, setzte sie sich an den Tisch
und schaute begehrlich auf die Waffeln, was die beiden
Damen jedoch nicht zu bemerken schienen. Sie wunderten
sich wiederum auch nicht, als die Modeste sich eines der

Herzen langte und genießerisch hineinbiß.
»Ich mag Waffeln so schrecklich gern«, bekannte sie ohne
jede Spur von Verlegenheit. »Leider bekomme ich sie so
selten, weil ich Pech mit den Dienstboten habe. Ich muß
sie immer wieder entlassen, wie auch die Else, die ja, wie
ich hörte, jetzt in Ihrem Haushalt beschäftigt ist. Nehmen
Sie sich nur vor ihr in acht, sie taugt absolut nichts, weder
in der Arbeit noch charakterlich. Sie wird es sich bestimmt
zunutze machen, daß
sie die Nichte Ihrer Köchin ist. So ein Pack steckt immer
unter einer Decke. Das sieht darauf, die Herrschaft zu

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schädigen, wo es kann.
Köstlich schmecken die Waffeln, ich lange mir gleich noch

eine davon. Wenn ich nun noch eine Tasse Kaffee dazu
bekommen könnte…«
»Bedaure sehr«, sagte Grit seelenruhig. »Die
Kaffeemaschine ist leer.«
»Schade, aber ich bin auch so zufrieden. Man muß sich
eben bescheiden lernen, wenn man so eine arme, geplagte
Witwe ist wie ich. Was meinen Sie wohl, wie ich unter dem
jetzigen Besitzer von Isen, wo ich früher die Herrin war, zu
leiden habe. Aber das ist Ihnen sicher schon zu Ohren
gekommen, nicht wahr?«
»Nein«, versetzte Grit gelassen. »Uns kommt nur das zu
Ohren, was wir zu hören wünschen. Sonst ist unser

Trommelfell mit Hornhaut überzogen.«
»Sie scheinen witzig zu sein«, lachte die Modeste überlaut.
»Aber Humor ist ja wohl die Würze des Lebens.
Übrigens verstehen Sie mit Kindern prächtig umzugehen,
mein liebes Fräulein«, wandte sie sich dann süßlächelnd an
Alix, die noch immer das kleine Mädchen auf dem Schoß
hielt und es mit Waffeln fütterte. »Und das gibt mir den
Mut, Sie darum zu bitten, meinen kleinen Liebling so lange
bei sich zu behalten, bis ich aus der Stadt zurückkehre…«
»Ich dachte, Ihr Auto streikt«, warf Grit trocken ein, und da
drückte die impertinente Dame mit wehleidigem Blick die
Fingerspitzen gegen die Schläfen.

»O ja, das hatte ich schon ganz vergessen. Das kommt
davon, wenn man mit den Nerven so herunter ist wie ich.
Und dabei noch das lebhafte Kind, es ist wirklich nicht
immer leicht, Mutter zu sein. Sie täten mir tatsächlich
einen großen Gefallen, mein liebes Fräulein, wenn Sie mir
meinen Goldschatz einige Stunden abnehmen würden.«
»Danke«, lehnte Alix ab. »Mit solch einer Kostbarkeit
verstehe ich leider nicht umzugehen. Aber ich werde
einmal in den Motor Ihres Wagens hineinschauen, ich
verstehe nämlich etwas davon.«
Es war ein sehr ironischer Blick, mit dem sie die Baronin

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musterte, in deren bemaltem Puppengesicht sich deutlich
die Wut widerspiegelte, die sie empfand.

»Na ja, was kann man auch schließlich mehr verlangen«,
lachte sie schrill, während sie aufsprang und nach dem
Kind griff, das seine Ärmchen fest um Alix’ Hals legte.
»Dea bleiben, bei dute Tante«, flehte sie. Da stand das
junge Mädchen auf und sagte kurz:
»Ich bringe die Kleine zum Wagen.«
Da wandte Modeste sich achselzuckend ab und stelzte auf
den sehr hochhackigen Schuhen davon. Sie war überhaupt
so gekleidet, als wollte sie einen Ball besuchen, während
die kleine Tochter ein Kleidchen trug, das gewissermaßen
nach Wasser und Seife schrie. Auch die Schuhchen sahen
so aus, als wären sie schon tagelang nicht mehr geputzt.

Auch Hunger schien sie gehabt zu haben, sonst hätte sie
nicht fünf Waffelherzen essen können. Jetzt saß sie satt und
zufrieden auf Alix’ Arm und nuckelte am Däumchen.
»Wird das Kind dir auch nicht zu schwer?« fragte die Tante,
die neben der Nichte ging. Doch diese winkte ab.
»Laß nur, die kurze Strecke schaffe ich es schon. Jedenfalls
besser als der kleine Spatz mit seinen müden Beinchen.«
Kurz bevor sie das Auto erreicht hatten, kam ihnen ein
Reiter entgegen, der beim Anblick der Gruppe stutzte und
dann mit höflichem Gruß vorüberritt.
»Ganz mein Herr Schwager«, lachte die Modeste laut und
höhnisch hinter ihm her. »Hält es natürlich für unter seiner

Würde, uns gewöhnliche Sterbliche mit einem Wort zu
beglücken.«
»Warum gewöhnliche Sterbliche?« fragte Grit scheinheilig.
»Ich halte mich dem Baron Isenhardt gegenüber nicht
dafür.«
»Na, hören Sie mal, meine Liebe – wie heißen Sie
eigentlich?«
»Frau von Alkes.«
Mach den Mund zu, es zieht! hätte man jetzt rufen können
bei dem dummen Gesicht der Frau Baronin. Sie war
tatsächlich einige Herzschläge lang sprachlos, was ihr

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bestimmt nicht oft passierte. Doch dann platzte sie heraus:
»Sie heißen wirklich Alkes?«

»Ich bin so frei.«
»Aber das ist ja alter, guter Adel!«
»Eben darum.«
Das war zuviel für die liebe Modeste, zumal sie sich noch
über die ironischen Blicke der beiden Damen ärgern
mußte. Wütend riß sie den Schlag auf, stieg in den Wagen,
und brachte ihn ohne Schwierigkeiten in Gang. Es gelang
Alix gerade noch, das Kind neben die Wutentbrannte zu
setzen, dann brauste die Frau Baronin ohne Gruß ab.
»So, meine liebe Modeste, diesen Hieb mußte ich dir denn
doch versetzen«, lachte Grit amüsiert hinter dem Wagen
her. »Und der saß unter Garantie.«

»Gritchen, seit wann brüstest du dich mit deinem Namen?«
fragte Alix neckend, und schmunzelnd erfolgte die Antwort.
»Immer da, wo es angebracht ist. Hat die Frau vielleicht
eine Lebensart! Bricht in unser Haus ein, wo sie uns wie
Kulis behandelt, obwohl sie uns ihr Kind aufhalsen will,
was wir Plebejer uns selbstverständlich als Ehre anrechnen
müßten. Ißt unaufgefordert unsere Waffeln, verlangt gar
noch Kaffee dazu und wird ausfahrend, als sie ihren
Goldschatz bei uns nicht horten kann. Was meinst du,
Mädchen, ob wir ihr den Knigge zuschicken?«
»Den würde sie vielleicht gar nicht verstehen«, lachte Alix.
»Denn sie scheint ziemlich beschränkt zu sein.«

»Und dazu noch reichlich unverschämt«, ergänzte Grit.
»Könnte ihr so passen, das Kind, das sie nicht allein zu
Hause lassen kann, bei uns abzugeben und so unbeschwert
ihrem Vergnügen nachzugehen. Aber so ganz aus
Dummsdorf sind wir auch nicht, daher wissen wir, was die
Glocke geschlagen hat. Jedenfalls ist die Frau Baronin mit
Vorsicht zu genießen. Und wenn sie trotz der Abfuhr, die
ich ihr noch mit auf den Weg gab, wieder hier auftauchen
sollte, werden wir ihr wohl die Zähne zeigen müssen.«
Der Ansicht war Verwalter Druschmann, der wenig später
den Weg entlangritt und den Damen auf der Terrasse lustig

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zurief:
»Darf ein müder Stoppelhopser eindringen in

Dornröschens Reich – oder stört er die Harmonie?«
»Nur immer hereingehopst!« rief Alix fröhlich zurück,
während sie nach dem Schlüssel griff, der neben der
Terrassentür hing. Also war er nicht verlegt, auch Kaffee war
für den willkommenen Gast da, der, nachdem er sein Pferd
dem herbeieilenden Brasch gegeben hatte, durch die
geöffnete Gartentür zur Terrasse spazierte. Er fand die
Waffeln delikat, den Kaffee erstklassig und verschmähte
auch das Schnäpschen nicht, das Alix ihm kredenzte. Dann
hörte er aufmerksam zu, was Grit ihm von dem
unerwarteten Gast und dessen Unverfrorenheit erzählte.
»Ach, sieh mal an, die Modeste«, dehnte er. »So bald schon

witterte sie hier billige Kindermädchen. Was meinen Sie
wohl, wie oft sie meiner Frau das kleine Gör angebracht
hat. Bis es meiner guten Alten denn endlich doch zuviel
wurde und sie mit ihrer Meinung nicht zurückhielt.
Seitdem wagt die unverschämte Modeste sich nicht mehr
an sie heran.«
»Nun, heute habe ich mit meiner Meinung noch
zurückgehalten. Aber wenn sie sich wieder herwagen sollte,
wird sie diese wohl zu hören kriegen. Denn auf einen
groben Klotz gehört ein grober Keil.«
»Recht so, gnädige Frau, Sie haben den Sinn erfaßt.«
»Wohl mir«, entgegnete sie trocken. »Übrigens kam uns, als

wir den unerwünschten Gast zum Auto brachten, Baron
Isenhardt entgegengeritten. Der mag nicht wenig gestaunt
haben, uns so traulich vereint mit seiner Schwägerin zu
sehen, zumal meine Nichte noch das Kind trug. Das sah so
richtig nach dicker Freundschaft aus.«
»Begrüßte er Sie denn nicht?« fragte der Mann gespannt.
»Nein. Er grüßte im wahrsten Sinne des Wortes von oben
herab und ritt vorüber, von den höhnenden Worten der
Schwägerin begleitet.«
Sie gab diese wieder, und Druschmann lachte grimmig auf.
»So eine Kanaille! Und dabei ist mein Herr einer der

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vornehmsten Menschen. Er hat wahrlich alles versucht, um
mit der Witwe seines Stiefbruders in Frieden zu leben. Aber

das Weibsbild macht es ihm ja unmöglich. Ja, wenn er das
Geld geben würde, was sie von ihm verlangt – oder besser
noch, sich ihren ewigen Nachstellungen willig zeigen, dann
würde sie ihn natürlich loben und preisen. So jedoch
macht sie ihn überall schlecht. Wenn der liebe Gott ein
Einsehen hat, befreit er den armen Mann bald von seinem
Kreuz. Aber das könnte nur sein, wenn sich ein Dummer
findet, der sich dieses Kreuz auf den Hals lädt. Und so
dumme Männer gibt es nicht viel.«
»Mir tut das Kind leid«, sagte Alix mitleidig. »Das hat doch
keine richtige Betreuung – und Erziehung schon gar nicht.
Daß der Baron da nicht eingreift.«

»Würde er bestimmt tun, wenn er das
Recht dazu hätte«, nahm der Verwalter seinen verehrten
Herrn in Schutz. »Aber sein Stiefbruder, der den Gernot
von jeher haßte, hat ihn als Vormund seiner Tochter im
Testament strikt abgelehnt. Im übrigen ist das kleine Gör
gar nicht zu bedauern, es wird von der Mutter verwöhnt
genug. Es bekommt für seine Ungezogenheit viel zu wenig
Klapse.«
»Echt männliche Logik«, lachte Grit. »Da geht eben Gewalt
vor Recht.«
»Wollen Sie mich ärgern, gnädige Frau?«
»I bewahre, dafür bin ich viel zu friedfertig. Das kann man

nämlich hier werden, auf dieser kleinen Insel des Friedens.«
»Also sind die Stadtdamen des Landlebens noch nicht
überdrüssig?«
»Keineswegs! Meine Nichte und ich haben immer so viel
zu tun, daß uns für Langeweile gar keine Zeit bleibt. Sie
brauchen gar nicht so zu schmunzeln, mein Lieber. Gib
ihm einen Schnaps, Alix.«
»Nein, danke«, wehrte er, indem er sich erhob. »Für mich
ist es höchste Zeit, wenn ich nicht zu spät zur Bahn
kommen will, um meinen Jungen abzuholen. Erinnern Sie
sich noch seiner, gnädiges Fräulein?«

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»Aber natürlich, der Erich! Was treibt er denn jetzt?«
»Er besucht seit Ostern die landwirtschaftliche Schule und

findet sich über Pfingsten bei Muttern ein.«
»Dann sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir.«
»Danke, werde ihn bestellen. Vergnügte Feiertage wünsche
ich den Damen. Für mich werden sie recht anstrengend
werden, da wir zu Verwandten zur Hochzeit geladen sind.
Viel lieber möchte ich mich ja in den beiden Tagen
ausruhen, aber das würde der lieben Sippe in die falsche
Kehle kommen.«
»Und was machen wir?« fragte Alix, nachdem der Mann
abgeritten war. »Hast du Lust, zur Stadt zu fahren?«
»Hast du sie denn?« fragte die Tante dagegen.
»Ich nicht.«

»Also! Die Fahrt würde nämlich keine reine Freude werden,
weil jetzt bereits die Pfingstausflügler unterwegs sind, da
gibt es Trubel an allen Ecken und Enden. Wenn du dich da
hineinstürzen willst, bitte sehr.«
»Sollte mir einfallen. Mein Vorschlag geschah doch nur
deinetwegen.«
»Somit hätten wir ja nun die Rollen getauscht«, lachte Grit
amüsiert. »Anstatt ich alte Tante bemüht sein müßte, der
jungen Nichte Abwechslung zu verschaffen, ist es hier
umgekehrt. Komm, machen wir einen Spaziergang durch
die Natur, die sich zum Pfingstfest so herrlich geschmückt
hat. Und wenn wir Glück haben, erleben wir etwas.«

Allein, etwas gewiß nicht Alltägliches zu erleben, sollte Alix
für den nächsten Tag vorbehalten sein. Denn auf ihrem
Morgenritt kam ihr spontan der Gedanke, doch einmal zu
dem Haus am Ende des Isener Parkes zu reiten. Warum,
war ihr allerdings selbst nicht klar. Denn daß die Baronin
so gewissenlos sein könnte, ihr kleines Kind über Nacht
und Morgen allein zu lassen, um ihrem Vergnügen
nachzugehen, das traute sie ihr denn doch nicht zu.
Doch es zog Alix wie mit tausend
Banden nach dem Haus, wo sie denn auch das Kind
schreien hörte. Beunruhigt schaute sie an der Mauer hoch,

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mußte jedoch einsehen, daß man da unmöglich
hinüberklettern konnte. Und die festen Türen darin waren

verschlossen.
Es mußte doch aber eine Auffahrt zu dem Haus geben, und
die entdeckte Alix denn auch, als sie die Mauer fast
umritten hatte. Diese wurde hier von einem
schmiedeeisernen Tor unterbrochen, das sogar offenstand.
Alix band das Pferd an einen Baum und hetzte den breiten
Kiesweg entlang zum Haus hin. Lugte durch ein geöffnetes
Parterrefenster – und was sie da erblickte, ließ ihr vor
Schreck fast den Atem stocken.
Denn in der Küche saßen am Fußboden Mutter und Kind.
Doch während letzteres wie am Spieß schrie, wimmerte
erstere vor sich hin.

Und da gab es für Alix kein Halten mehr. Sie schwang sich
durchs Fenster und sah erschrocken auf den entblößten
Schenkel der Frau, über den es sich wie ein Feuermal zog.
»Um Gottes willen, Frau Baronin, was ist Ihnen denn
geschehen?« fragte Alix entsetzt, und die Verletzte sah sie
wie irr an.
»Was wollen Sie, wie kommen Sie überhaupt hier herein!
Machen Sie bloß, daß Sie verschwinden – aber nein,
bleiben Sie hier und helfen Sie mir. Oh, verbrüht habe ich
mich! Wenn das nun Narben zurückläßt, bin ich entstellt
für mein ganzes Leben!«
»Es braucht ja nicht zu sein«, tröstete das Mädchen. »Und

wenn, sind sie ja
durch die Kleider verdeckt. Haben Sie eine lindernde Salbe
im Haus?«
»Ich glaube nicht. Beruhigen Sie bloß das Kind! Es macht
mich mit seinem Geschrei noch wahnsinnig!«
Alix hob die Kleine hoch, die ihren Hals fest umklammerte.
»Dea, Angst«, schluchzte sie jämmerlich. »Mami weint –
Dea ßreit.«
»Du mußt jetzt still sein«, sprach Alix auf das verstörte Kind
ein, das barfuß und im Nachtkleidchen auf dem kalten
Fußboden gesessen hatte und nun vor Kälte erschauerte.

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»Komm, ich packe dich in eine Decke, damit du erst
einmal warm wirst.«

»Nein – Angst.«
»Geben Sie ihr Bananen, damit sie sich den Mund stopft«,
meldete sich nun die Mutter. »Im Eßzimmerschrank finden
Sie welche.«
Alix zog mit der Kleinen ab, fand auch bald, was sie suchte,
und schon war des Kindes Jammer gestillt. Es ließ sich
willig in eine Decke packen und auf den Diwan setzen, wo
es nun eifrig bemüht war, die Schale von der begehrten
Frucht zu ziehen.
Indes eilte das junge Mädchen in die Küche zurück, wo die
Modeste, nur mit einem dünnen Nachtkleid angetan,
immer noch auf dem kalten Fliesenboden saß.

»Ich habe entsetzliche Schmerzen«, wimmerte sie, was Alix
ihr aufs Wort glaubte, denn die Verbrühung sah böse aus.
»Versuchen Sie bitte aufzustehen«, sprach sie ihr mitleidig
zu. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen dabei.«
Es war ein schweres Stück Arbeit für
Alix, die Frau erst einmal hochzuziehen und dann auf den
Beinen zu halten. Sie umklammerte des Mädchens Hals so
fest, daß dieses sich wehren mußte, um nicht erwürgt zu
werden.
»So geht das ja nun nicht«, erklärte sie energisch. »Luft
müssen Sie mir schon lassen. Umklammern Sie lieber
meine Schulter, das halte ich schon aus.«

Mehr getragen als geführt, landete die Modeste endlich auf
dem Diwan. Alix mußte sich erst einmal den Schweiß von
der Stirn wischen und ein wenig verschnaufen. Dann
breitete sie über den Unterkörper der Frau eine leichte
Decke, die jedoch auf dem verletzten Bein nicht gelitten
wurde.
»Das ertrage ich nicht, das brennt wie Feuer!«
»Lassen wir also den Schenkel frei.«
»Dann friere ich.«
»Also kann ich Ihnen nicht weiter helfen«, wurde Alix nun
langsam ungeduldig. »Ich sehe schon, daß ich allein mit

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Ihnen nicht fertig werden kann, daher werde ich Hilfe
holen.«

»Etwa den Herrn Baron?« höhnte die Modeste, »der wird
Sie schön abblitzen lassen.«
»Das kann ich ja mal erst versuchen.«
»Da, dute Tante«, reichte Gela, die neben der Mutter auf
dem Diwan saß, die Bananenschale hin. »Nu ißt Dea.«
Rasch holte Alix noch eine Banane herbei und legte sie
neben das Kind, damit es Beschäftigung hatte, bis sie
zurückkam. Dann hetzte sie aus dem Haus und mußte nun
doch über einen Staketenzaun setzen, der ihr den Weg zum
Park versperrte. In langen Sätzen ging es dann weiter, hin
und her, kreuz und
quer, wie durch einen Irrgarten. Alix behielt dabei immer

den Turm im Auge, der über die Wipfel der hohen Bäume
ragte. Sonst hätte sie sich überhaupt nicht
zurechtgefunden.
Zum Kuckuck, wie groß war der Park denn überhaupt? Sie
hatte das Gefühl, schon kilometerweit gelaufen zu sein.
Ach was, jetzt achtete sie der Wege einfach nicht mehr. Jetzt
nahm sie Kurs über die weiten, gepflegten Rasenflächen,
die von herrlichen Blumenrabatten unterbrochen wurden.
Aha, dort sprühte eine Fontäne, da konnte das Schloß nicht
mehr weit sein.
Und dann stand Alix endlich vor einer breiten Terrasse, auf
der zwei Personen beim Frühstück saßen. Der Mann sprang

auf und eilte die Stufen hinab zu dem Mädchen, das nun
atemlos vom schnellen Lauf verharrte.
»Gnädiges Fräulein, was ist denn geschehen?« fragte er
beunruhigt, doch sie winkte kurz ab.
»Keine Fragen jetzt, Herr Baron. Ihre Schwägerin hat sich
arg verbrüht und leidet große Schmerzen.«
Da fragte der Mann auch nicht weiter. Er rief der Dame, die
unschlüssig am Tisch stand, hastig zu: »Verbrühung -Salbe
– nachkommen ins Witwenhaus!«
Dann eilte er Alix nach, die erst innehielt, als man vor dem
Diwan stand, auf dem die Modeste lag. Da der verletzte

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Schenkel freilag, sah der Mann sofort, wie arg die
Verbrühung war, die sich von der Hüfte bis zum Knie

hinzog.
Nun eilte auch Frau Dieboldt, die Hausdame vom Schloß,
herbei, die dann behutsam kühlende Salbe über die
brennendrote Fläche strich. Dabei jammerte
die Modeste unausgesetzt, daß sie nun für ihr ganzes Leben
verunstaltet wäre. Dazwischen schrie das Kind, das nun
auch die zweite Banane gegessen hatte. Alix holte die dritte
herbei, und schon war die Kleine wieder still.
»So, das ist nun die letzte, du niedlicher Schreihals. Und
nun werde ich mich verfügen. Ich wünsche Ihnen gute
Besserung, Frau Baronin.«
»Besserung für mich – so was gibt’s ja gar nicht mehr«,

jammerte die Frau in den höchsten Tönen. »Vielleicht
nimmt man mir gar das Bein ab. Oh, ich Arme – ich Arme.
Und Sie sehen sich das alles natürlich ruhig mit an«,
wandte sie sich jetzt wütend an Isenhardt, der gegen den
Türpfosten gelehnt stand und sich passiv verhielt.
»Was soll ich denn wohl sonst?« fragte er gelassen. »Ich
habe den Arzt bestellt, mehr kann ich nicht für Sie tun.«
»Das sieht Ihnen ähnlich. Sie herzloser Mensch! Ach, habe
ich Schmerzen, verrückt könnte man werden! Warum
wollen Sie denn schon gehen, Fräulein Grodes?«
»Ich kann mein Pferd, das ich an einen Baum band, nicht
länger allein lassen. Befürchte ohnehin schon, daß ihm bei

dem langen Warten etwas zugestoßen sein könnte.«
Damit wollte sie gehen, doch hatte sie ihre Rechnung ohne
Gela gemacht, die wie am Spieß schrie:
»Dea, Angst – dute Tante bleiben - Dea, Angst.«
Ehe Frau Dieboldt, die am Diwan saß, noch zufassen
konnte, war die Kleine schon über die Mutter, die vor
Schmerz laut aufschrie, hinweggeklettert, stolperte zu Alix
hin und umklammerte ihre Beine.
»Dute Tante – Angst!«
Also blieb dem jungen Mädchen nichts anderes übrig, als
das verängstigte Kind auf den Arm zu nehmen, das nun das

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tränennasse Bäckchen an die weiche Mädchenwange
schmiegte und zufrieden am Däumchen nuckelte.

»Ja, dagegen kann man nichts machen«, meinte Frau
Dieboldt lächelnd, und Isenhardt fragte:
»Wo befindet sich Goldlack, gnädiges Fräulein?«
»Vor dem Tor, Herr Baron.«
»So werde ich mich um ihn kümmern, da die kleine
Tyrannin Sie ja doch nicht fortläßt. Sie sind ihr
wahrscheinlich vertraulicher, als Frau Dieboldt und ich.
Da fällt mir übrigens ein, daß ich die Damen noch nicht
bekannt miteinander gemacht habe. Es ging alles so
schnell.«
Rasch holte er die Vorstellung nach und ging hinaus. Als er
bald darauf wiederkam, konnte er Alix über ihr Pferd

beruhigen.
»Ich habe Goldlack dem Gärtner übergeben, der ihn nach
dem Stall bringen wird.«
»Also ist er munter?« fragte sie hastig dazwischen.
»Ja, sehr sogar. Die Zeit ist ihm bestimmt nicht lang
geworden, da er die Blätter von einem Strauch, den er
erreichen konnte, abgefressen hat.«
»Sieht meinem Süßen ähnlich. Und nun werde ich meiner
Tante fernmündlich Bescheid sagen, damit sie sich wegen
meines langen Ausbleibens nicht ängstigt.«
Damit wollte sie das Kind auf die Erde
setzen, doch schon ging das Geschrei wieder los.

»Nehmen Sie das Gör mit!« rief die Modeste ungehalten.
»Man kann bei dem Gebrüll ja wahnsinnig werden! Wo
bleibt bloß der Arzt, ich halte die Schmerzen nicht mehr
aus. Es ist doch mindestens schon zwei Stunden her, daß
Sie ihn anriefen, Gernot.«
»Genau eine Viertelstunde«, entgegnete er nach einem Blick
auf die Armbanduhr.
Dann jammerte die Modeste weiter, während die andern
dasaßen und ihr nicht helfen konnten. Wenn die eitle Frau
nur gewußt, wie wenig vorteilhaft sie jetzt aussah, so ohne
jedes sorgfältige Make up und mit einem nicht gerade

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sauberen Nachtgewand bekleidet, sie hätte noch mehr
gejammert – und zwar, daß ein Mann sie so sehen mußte.

Und gar noch einer wie Gernot Isenhardt, dieser arrogante
Spötter!
Jetzt kam Alix, die fernmündlich mit der Tante gesprochen
hatte, zurück. Sie setzte sich, behielt das Kind auf dem
Schoß und besah sich kopfschüttelnd die Unordnung, die
im Zimmer herrschte. Die Einrichtung des Raumes war
wohl elegant, aber verunziert durch das, was da nicht
hineingehörte. Kleidungsstücke lagen herum,
unabgewaschenes Geschirr stand auf dem Tisch, dessen
Decke große Flecke aufwies. Zigarettenstummel, Asche,
Obstschalen und zerknülltes Papier waren über den
Teppich gestreut, Staub lag dick auf Fußboden und

Möbeln.
Das alles besah Alix sich mit einem Gefühl leichten
Grauens, das sich auf ihrem Gesicht widerspiegelte. Sie
merkte
nicht, daß sie von Frau Dieboldt und Isenhardt beobachtet
wurde, sah auch nicht den lächelnden Blick, den sie sich
zuwarfen.
Reizend sah sie aus, die junge Reiterin in ihrem eleganten
Dreß mit dem Kind auf dem Schoß. Blankgeputzt von
innen und außen, hätte man sagen können bei diesem
Menschenkind, das Reinheit und Unberührtheit förmlich
ausstrahlte.

Und die andere auf dem Diwan, die doch nur einige Jahre
mehr zählte? Verschminkt, verlebt…
»Hunger«, klagte das Kind kläglich, und Alix lachte.
»Na, hör mal, du kleiner Vielfraß, drei Bananen dürften
doch eigentlich genügen. Wollen wir in die Küche gehen
und nachsehen, ob wir da etwas finden, womit wir dein
Bäuchlein ganz füllen können.«
Sie ging mit dem Kind hinaus, und Frau Dieboldt sprach
ihr warmen Tones nach:
»Scheint ein prächtiges Menschenkind zu sein, die junge
Besitzerin des Rosenhauses. Jedenfalls hat sie nichts von

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der Blasiertheit an sich, wie man sie oft bei reichen
Mädchen findet.«

»Haben Sie eine Ahnung!« lachte die Modeste hämisch, die
es nun einmal nicht vertragen konnte, wenn eine
Weiblichkeit gelobt wurde. »Eine ganz eingebildete Pute ist
sie, diese Schnapsprinzeß.«
Womit sie ihr Gift verspritzt hatte und ihre Jammerei
fortsetzte.
Dr. Bardel, ein gemütlicher älterer Herr, dem es oblag, die
Menschen in der Umgegend zu verarzten, ließ die
unberechtigten Vorwürfe der Modeste mit stoischem
Gleichmut über sich ergehen. Er untersuchte das verletzte
Bein und meinte dann sachlich:
»Schmerzhafte Angelegenheit, aber weiter nicht

lebensgefährlich.«
»So werden Sie nicht das Bein abnehmen, Herr Doktor?«
»Wie kommen Sie denn darauf, Frau Baronin? Das hier ist
vorläufig noch ein ganz unkomplizierter Fall. Doch daß er
womöglich nicht doch komplizierter wird, werde ich Sie in
meinem Wagen mitnehmen und im Krankenhaus
abliefern.«
»Nein, das will ich nicht, auf keinen Fall!« wehrte sie sich
fast schreiend. »Ich will zu Hause bleiben!«
»Und wer soll Sie pflegen? Soviel ich gehört habe, sind Sie
wieder mal ohne Dienerschaft.«
»Dann verlange ich, daß der Baron mich ins Schloß nimmt

und dort betreuen läßt. Oder paßt es dem hohen Herrn
nicht, weil er seine eisigste Miene aufsetzt!« höhnte sie,
und er entgegnete gelassen:
»Da haben Sie recht – es paßt mir nicht. Ich habe nämlich
keine Lust, durch eine unbeherrschte Kranke Unfrieden in
mein Haus bringen zu lassen.«
»So ein Grobian!« Sie schüttelte wütend die Fäuste nach
ihm, wobei sie das wunde Bein streifte und wimmernd in
sich zusammensank.
»Oh, diese gräßlichen Schmerzen, ich halte sie nun
wirklich nicht mehr länger aus. Aber ins Krankenhaus laß’

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ich mich
nicht schleppen, die Grodes muß hierbleiben und mich

pflegen.«
»Fräulein Grodes aus dem Rosenhaus?« fragte Bardel
verwundert. »Ist sie denn hier?«
Wie auf ein Stichwort trat das Mädchen ein, immer noch
die kleine Gela auf dem Arm, die zufrieden an einem
Butterbrot kaute.
»Tatsächlich die Alix«, schmunzelte der Mann, die er schon
als Kind kannte, da er der Hausarzt Riekchens gewesen war.
»Gnädiges Fräulein, Sie werden ja immerzu hübscher, was
soll das bloß noch werden? Sind Sie womöglich
Kindermädchen hier?«
»Nur ehrenamtlich«, schnitt sie eine Grimasse und erzählte

dann, wie sie zu dieser »Ehre« gekommen war.
»Nun, wer A gesagt hat, der muß auch B sagen«, zwinkerte
er ihr vergnügt zu. »Die Frau Baronin möchte gern von
Ihnen gepflegt werden.«
»Das kann ich nicht«, verwahrte sich das Mädchen dagegen
ganz entschieden. »Erstens mal verstehe ich von
Krankenpflege nichts – und dann fehlt mir dazu die
Geduld.«
»Also, Frau Baronin, da werden Sie wohl nicht um das
Krankenhaus herumkommen.«
Es gab nun noch einen heißen Kampf auszufechten, bis die
unbeherrschte und hochfahrende Patientin neben dem Arzt

im Auto saß. Auf seine Anordnung trug sie über dem
Nachtkleid nur einen Mantel, auf den Knien lag eine
leichte flauschige Decke, und die Füße steckten in weichen
Schuhen.
Frau Dieboldt hatte rasch ein Köfferchen mit
Toilettengegenständen gepackt, und zum Glück unter dem
Wust gebrauchter Wäsche noch ein sauberes Nachtkleid
gefunden.
»Puh, das war grausig!« Die distinguierte Dame ließ sich
auf einen Stuhl fallen, nachdem das Auto abgefahren war.
»So etwas von Unordnung, wie sie in diesem Haus

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herrscht, ist mir denn doch noch nicht vorgekommen.«
Sie sprach nicht weiter, weil Isenhardt eintrat. Man konnte

nicht wissen, wie der verschlossene Mann ihre
kritisierenden Worte auffassen würde. Denn die Modeste
war immerhin die Witwe seines verstorbenen Stiefbruders.
»Ja, so was kostet Nerven«, sagte er lächelnd, als er
bemerkte, wie seine Hausdame sich den Schweiß von der
Stirn wischte. »Ich gehe jetzt ‘rüber, Frau Dieboldt. Suchen
Sie bitte des Kindes Sachen zusammen, und kommen Sie
dann nach. Es bleibt mir nämlich nichts anderes übrig, als
Gela so lange im Haus zu behalten, bis die Mutter wieder
gesund ist. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das verzogene
Kind aufbürden muß. Sie werden keinen leichten Stand mit
ihm haben.«

»Ach, ich erziehe mir das eigensinnige Persönchen schon«,
entgegnete sie zuversichtlich. »Es wird allerdings nicht
einfach sein, es jetzt von Fräulein Grodes zu lösen.«
»Das fürchte ich auch. Also muß ich schon wagen, die
junge Dame darum zu bitten, ihren kleinen Quälgeist ins
Schloß zu bringen. Wollen Sie so freundlich sein, gnädiges
Fräulein?«
»Warum denn nicht? Das heißt, wenn ich indes nicht
Hungers sterbe«, setzte sie lachend hinzu. »Ich habe
nämlich noch nicht gefrühstückt.«
»Dann wird es aber Zeit«, fiel er in ihr fröhliches Lachen
ein. »Ein gutgedeckter Frühstückstisch sei Ihnen in meinem

Haus gewiß.«
Damit ging er, und Frau Dieboldt machte sich daran, die
Sachen des Kindes zusammenzusuchen. Ein mühsames
Beginnen, da sie verstreut herumlagen und bis auf wenige
Stücke schmutzig waren. Also mußten auch die mit.
»Und was ziehen wir der Kleinen an?« fragte Alix, die der
Packerei mit Interesse zuschaute. Sie selbst konnte sich
daran nicht beteiligen, weil ihr kleiner Quälgeist sie nach
wie vor mit Beschlag belegte.
»Soweit ich übersehen kann, befindet sich unter den
Sachen, die Sie in den Koffer tun, weder ein sauberes

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Kleidchen, noch Wäsche, noch Strümpfe. Und das einzige
Paar Schuhe starrt vor Schmutz.«

»Ja, es ist ein Skandal«, seufzte Frau Dieboldt. »Man merkt
hier an allen Ecken und Enden, daß seit längerer Zeit
wieder einmal kein dienstbarer Geist im Hause war. Und
die Aufwartung, die dann immer einspringen muß, ist eine
Schlampe.«
Und die Hausherrin nicht minder – setzte sie in Gedanken
hinzu, die Alix ihr jedoch vom Gesicht ablesen konnte.
»Na ja«, meinte sie wie abschließend. »Ziehen wir Gela das
Mäntelchen darüber, und lassen wir die Beinchen bloß. Es
ist ja warm draußen.«
Wenig später verließen sie das Haus,
dessen Tür Frau Dieboldt abschloß. Und dann kam auch

schon der Diener Ewald, der sich des Koffers bemächtigte.
»Ich kann auch noch sehr gut das Kind tragen«, erbot er
sich, doch Alix lehnte ab.
»Haben Sie eine Ahnung, welch ein ohrenbetäubendes
Geschrei dann einsetzen würde. Lassen Sie nur, wenn ich
den kleinen Eigensinn so lange herumgeschleppt habe,
schaffe ich es auch noch bis zum Schloß.«
»Sßa«, nickte Gela einverstanden. »Bei dute Tante bleiben.«
»Also«, lachte Alix, »womit ich diese rührende
Anhänglichkeit verdient habe, ist mir zwar unklar, aber ich
muß sie wohl oder übel über mich ergehen lassen.«
So schritten sie denn die Wege des Parkes entlang, dessen

Schönheit Alix entzückte. Er war gerade soviel gepflegt, um
von seiner Eigenart nichts einzubüßen. Uralte Bäume,
bequeme Wege, an denen von alters her Steinfiguren
standen, lauschige Plätzchen, die zum Verweilen einluden,
Rasenflächen, von Sträuchern umsäumt, ein herrlicher
Rosengang, an dessem üppigen Gesträuch jetzt die
Mairosen blühten und ihren köstlichen Duft verbreiteten,
viele andere Blumen, die auf den Rabatten blühten, selbst
ein tadellos instandgehaltener Tennisplatz fehlte nicht.
»Wunderbar«, sagte das Mädchen leise, und ihre Begleiterin
nickte.

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»Ja, ein herrliches Fleckchen Erde. Ich bin glücklich, darauf
verweilen zu dürfen.«

Und dann lag das Schloß frei vor ihren Augen. Vor den
Stufen, die zur Terrasse
führten, stand der Besitzer all der Herrlichkeit ringsum und
sah ihnen lächelnd entgegen.
Alix wurde es ganz eigen ums Herz. Etwas wie glückselige
Freude und wiederum bange Trauer erfüllte sie. Es war alles
so unwirklich, so märchenhaft. So gar nicht in Worte zu
fassen und auch nicht gefühlsmäßig zu ergründen – es war
einfach da.
Und nun ging alles überstürzend rasch. Ehe Alix es sich so
recht versah, saß sie im Korbsessel, der mit einigen anderen
am runden Tisch stand. Müde lag das Köpfchen der kleinen

Gela an der Schulter des Mädchens. Die Lider zuckten
schwer, bis sie sich dann fest über die Kinderaugen legten.
»Gott sei Dank, sie schläft«, sagte Frau Dieboldt aufatmend.
»Jetzt werden Sie endlich Ihren Quälgeist los, Fräulein
Grodes.«
»Ist auch Zeit«, lachte diese. »Angst und bange wurde mir
bei so viel Anhänglichkeit.«
»Die sogar Spuren hinterlassen hat«, fiel die Dame in das
fröhliche Lachen ein, während sie das Kind behutsam auf
ihren Arm hob. »Und zwar auf Ihrem Gesicht, Fräulein
Grodes.«
»Kann ich mir denken, aber das wird rasch behoben sein.«

Sie zog aus der Tasche der Reithose ein Fläschchen mit Eau
de Cologne, säuberte damit Gesicht und Hände, fuhr mit
einem Kämmchen durch die schimmernden Locken, und
schon sah sie wieder gepflegt aus.
»Na also«, nickte Frau Dieboldt, als beantworte sie sich
eine Frage. Dann
ging sie mit dem Kind davon, und Isenhardt schmunzelte.
»Wenn alle Damen so rasch mit ihrem Make up fertig
wären…«
»Bitte, Herr Baron, fangen Sie jetzt keinen Streit an«,
unterbrach sie ihn lachend. »Der wäre denn doch zu viel

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für meinen hungrigen Magen.«
»Bitte zuzugreifen, gnädiges Fräulein, es steht alles vor

Ihnen. Ich werde sogar mithelfen, obwohl ich schon
gefrühstückt habe.«
Alix griff ohne Ziererei zu, und als man bei der Zigarette
war, erschien Frau Dieboldt und berichtete, daß der kleine
Gast vorzüglich untergebracht wäre. Und zwar bei
Anettchen, die alles im Schloß stopfte und flickte, was
unter ihre geschickten Finger kam.
»Wird das ältliche Fräulein auch mit dem schwierigen Kind
umzugehen verstehen?« fragte Gernot zweifelnd.
»Ganz bestimmt, Herr Baron. Anettchen ist ja früher
einmal Kindermädchen gewesen.«
»Hoffentlich besitzt sie bei der Kleinen so viel

Anziehungskraft wie Fräulein Grodes. Gela hat nämlich viel
Schönheitssinn.«
»Herr Baron, fangen Sie schon wieder an?« tat Alix
entrüstet, indem sie aufsprang. »Ich flüchte! Auf
Wiedersehen, gnädige Frau! Lassen Sie sich recht bald im
Rosenhaus blicken. Auf Wiedersehen, Herr Baron! Lassen
Sie Ihre spöttische Zunge stutzen.«
Husch war sie die Stufen der Terrasse hinabgesprungen,
und die beiden Zurückbleibenden sahen sich verdutzt an.
Dann lachte Frau Dieboldt hellauf.
»Ist das ein entzückender kleiner Racker! Darf ich Ihnen
einen Spiegel vorhalten, Herr Baron?«

»Lassen Sie nur«, winkte er gleichfalls lachend ab. »Ich weiß
auch so, wie dämlich ich aussehe.«
Indes eilte Alix zum Pferdestall, den sie auch ohne Irrweg
fand. Dort ließ sie sich ihr Pferd geben, saß auf und war
zehn Minuten später zu Hause, wo sie ihrer geliebten Tante
Grit ausführlich Bericht erstattete.
Egon Grodes, der seit vier Wochen das ungebundene Leben
eines Globetrotters führte, mußte schließlich einsehen, daß
ihm dieses auf die Dauer zu anstrengend wurde. Zuerst ja,
da hatte er nicht genug kriegen können von dem bunten
Treiben, hatte sich förmlich hineingestürzt und alles

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mitgenommen, was die lockende Welt ihm bot. Aber dann
kam die Ernüchterung und damit das Verlangen nach

einem geregelten Leben. Und als ihm gar eine lustige
Witwe, die den stattlichen Mann hartnäckig verfolgte, auf
die Nerven zu fallen begann, nahm er schaudernd Reißaus
und landete in seinem verödeten Zuhause, wo er erst
einmal vierundzwanzig Stunden in tiefem Schlaf versank.
Und dann war es wieder die unheimliche Ruhe im Haus,
die ihm auf die Nerven fiel. Also mußte er sich nach
Dienerschaft umsehen und vor allem nach einer
Hausdame.
Zwar kam ihm der Gedanke, Tochter und Schwester, die er
ganz richtig im Rosenhaus vermutete, nach Hause
zurückzurufen, doch dieser Gedanke wurde sofort

verscheucht. Es wäre ja so, als wollte er zu Kreuze kriechen,
und das ließ sein starrer Sinn denn doch nicht zu. Sie
sollten zu ihm kommen, nicht er zu ihnen. Denn sie hatten
ihn ja verlassen.
Köchin, Hausmädchen und Chauffeur, der gleichzeitig
Diener sein sollte, hatte er durch die Zeitung bald
gefunden, doch bei der Hausdame gestaltete sich die Suche
bedeutend schwieriger. Er bekam nämlich so viele
Zuschriften auf das Inserat, daß ihm angst und bange
wurde.
Mißmutig machte er sich daran, die Briefe zu lesen, und es
bereitete ihm direkt eine Genugtuung, daß fast alle in den

Papierkorb wandern konnten. Nur drei Schreiben behielt er
zurück, beantwortete sie und bat die Damen zur
persönlichen Vorstellung.
Zwei von ihnen sagten ihm nicht zu, doch die dritte schien
das zu sein, was er suchte. Schon ihre Erscheinung gefiel
ihm, die durchaus damenhaft war, ebenso ihre ganze Art.
Grodes wurde fast verlegen unter dem klaren, forschenden
Blick ihrer übrigens sehr schönen, dunklen Augen.
»Nehmen Sie bitte Platz, Frau…«
»Härder«, half sie liebenswürdig aus, während sie den
Sessel einnahm, den er ihr bot. Er setzte sich ihr gegenüber

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und räusperte sich erst einmal, bevor er begann:
»Sie sind Witwe, Frau Härder?«

»Ja, Herr Grodes, seit zwei Jahren«, antwortete sie mit einer
warmen Stimme, die ihn ganz eigen berührte. »Mein Mann
war Architekt und erlag plötzlich einem Herzschlag. Bisher
konnte ich mich mit dem hinterlassenen kleinen
Vermögen recht und schlecht durchschlagen, aber jetzt bin
ich gezwungen, mir meinen Lebensunterhalt zu
verdienen.«
»So waren Sie noch nie in Stellung?«
»Nein. Aber ich glaube, daß ich einem Hause vorstehen
kann. Bitte, hier ist mein Ausweis.«
Mit einer Verlegenheit, über die er sich ärgerte, nahm er die
Personalien auf. Daß sie mittelgroß und vollschlank war,

sah er ja selbst, auch daß sie ein feines, klares Gesicht,
dunkle Augen und sehr gepflegtes dunkles Haar hatte. Ihrer
eleganten Kleidung nach zu urteilen, schien es ihr bisher
nicht schlecht gegangen zu sein. Als Vorname war auf dem
Ausweis vermerkt: Elga – Alter: 44 Jahre.
»Danke, Frau Härder, das genügt mir.« Er gab ihr die
Personalpapiere zurück. »Wollen wir es miteinander
versuchen?«
»Ich bin nicht abgeneigt, Herr Grodes.«
»Na schön. Leider finden Sie hier keine eingearbeitete
Dienerschaft vor, weil ich diese, außer dem
Gärtnerehepaar, entlassen mußte, bevor ich auf Reisen

ging. Ich habe also Köchin, Hausmädchen und Chauffeur,
der gleichzeitig Diener ist, neu einstellen müssen. Es wird
nicht leicht für Sie sein, die Leute einzuarbeiten, weil Sie ja
selbst hier noch fremd sind.«
»Das schaffe ich schon, Herr Grodes«, versprach sie
zuversichtlich. »Wie groß ist Ihre Familie?«
Sein Gesicht verfinsterte sich, dann sagte er knapp: »Ich bin
allein.«
Er sah sie dabei nicht an und bemerkte
daher auch nicht ihren teilnahmsvollen Blick. Einige
Herzschläge lang war es still, dann fragte die Dame: »Wann

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soll ich meinen Dienst antreten, Herr Grodes?«
»So schnell es geht, Frau Härder«, antwortete er aufatmend.

»Möglichst schon morgen, wenn es sich einrichten läßt.«
So kam es denn, daß Elga Härder am nächsten Tag Einzug
in Villa Grodes hielt.
Zuerst gab es für sie so manche Schwierigkeit zu
überwinden, doch davon bekam der Hausherr nichts zu
spüren. Er hatte seine Ordnung und Gemütlichkeit, wie zu
Zeiten seiner Frau und später seiner Schwester Grit. Und
das genügte dem verwöhnten Herrn, zumal die Hausdame
mit dem Haushaltsgeld, das er ihr zuteilte, gut auskam,
sogar noch davon übrigbehielt, wie er aus der Abrechnung,
die sie ihm jede Woche vorlegte, ersehen konnte.
Da hatte er also bei der Wahl der Hausdame Dusel gehabt,

wie er es selbst nannte – und einen noch größeren Dusel,
daß das Schicksal so gütig gewesen war, ihm über seine so
angeschwärmte Daisy noch kurz vor Toresschluß die
verblendeten Augen zu öffnen.
Wie ihm der Gärtner erzählte, war die Dame oft hier
gewesen, um zu erkunden, ob der Herr des Hauses immer
noch nicht von seiner Reise zurückgekehrt wäre – und
jedesmal hatte sie enttäuscht abziehen müssen.
Grodes fand unter der für ihn eingegangenen Privatpost
auch süßduftende Briefchen vor, die er mit verächtlichem
Lächeln einpackte und ungeöffnet an die Absenderin
zurückgehen ließ.

Und ihm platzte sozusagen der Stehkragen, als der Diener
am nächsten Tag das Fräulein von Tees meldete. Am
liebsten wäre der ergrimmte Mann hingegangen und hätte
dieses lästige Insekt eigenhändig zur Tür hinausgeworfen.
Da dieses jedoch nicht gut anging, bedeutete er dem
Diener, der Besucherin zu sagen, daß sie sich zum Teufel
scheren möge – was der junge Mann denn auch wörtlich
ausrichtete. Da endlich gab das rührend anhängliche
Fräulein Ruhe.
Und diese Ruhe tat Egon Grodes gut. Er war mit seiner
Hausdame sehr zufrieden und konnte abwarten, bis Grit

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und Alix zu Kreuze kriechen würden. Aber leicht sollte
ihnen das nicht gemacht werden.

Allein, die beiden Undankbaren, wie der schwergekränkte
Mann sie bezeichnete, dachten gar nicht daran, in das Haus
zurückzukehren, das jetzt von einer hochfahrenden Frau
beherrscht wurde – und in dem der Hausherr nichts weiter
als Staffage war. Der durfte nur seinen Geldbeutel sehr weit
aufmachen.
Sie konnten ja nicht ahnen, daß ein gütiges Geschick den
verblendeten Mann noch in letzter Minute davor bewahrt
hatte, die größte Dummheit seines Lebens zu machen. Es
gab ja niemand, der sie davon in Kenntnis setzte. Und sich
unter der Hand nach den Verhältnissen in der Villa Grodes
zu erkundigen, wagten sie nicht – und wollten es auch

nicht. Sie warteten ab, bis Egon Grodes die verliebten
Augen aufgehen würden – alles Weitere kam dann von
selbst. Es ging ihnen ja auch gut im Rosenhaus, das ihnen
lieber wurde mit jedem Tag. Je mehr es dem Sommer
zuging, um so üppiger blühten die Rosen in Dornröschens
Reich. Überall, wohin man auch kam, leuchtete es in allen
Farben.
Und wie ein Röslein prankte auch Alix in ihrer jungen,
berückenden Schönheit. Wie das lachende Leben selber
mutete sie an, mit den strahlenden Augen und der
unbeschwerten Fröhlichkeit. Mit einem Liedlein auf den
Lippen ging sie schlafen, stand morgens damit auf und

trällerte sich durch den Tag, an dem sie sich ihre
Beschäftigung suchte. Und als erst die Heuernte begann,
half nicht nur sie mit, sondern auch Grit. Es ging ihnen
nicht so flott von der Hand, wie zum Beispiel Vater Brasch
und der flinken Else, aber immerhin konnte man in diesem
Jahr auf dem kleinen Besitz ohne fremde Hilfe
auskommen.
Und während die vier Menschen auf dem Feld mit Lust
und Liebe bei der Arbeit waren, tat Muttchen Brasch in
Haus und Küche ihr Bestes. Sie kochte und buk mit
freudigem Eifer, damit ihre Arbeiter extra gut verpflegt

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wurden und ja
nur bei Kräften blieben.

In einigen Tagen war das schwere Werk getan. Duftend und
knistertrocken häufte sich das Heu in dem Schuppen, der
über dem Stall lag. Die Ernte war so üppig ausgefallen, daß
die Tiere im Winter damit ausreichend gefüttert werden
konnten.
»Das wäre wieder einmal geschafft«, schmunzelte Brasch,
sich den Schweiß von der Stirn wischend. »Und zwar noch
zur rechten Zeit. Denn mir schwant, als ob wir bald ein
Gewitter bekommen werden.«
»So will ich vorher rasch noch ein Bad im See nehmen«,
lachte Alix fröhlich. »Kommst du mit, Tante Grit?«
»Mit dem größten Vergnügen. Ich lechze direkt nach einem

kühlen Bad.«
Wenig später gingen sie dann zum See hinunter, der
ungefähr fünfzig Meter weit vom Rosenhaus entfernt lag
und sich bis über Isen hinzog. Riekchen hatte an einer
besonders schönen Badestelle eine kleine Bude errichten
lassen, wo man sich ungeniert aus- und ankleiden konnte.
Ersteres war jetzt bei Grit und Alix nicht nötig, da sie den
Bademantel über dem Badeanzug trugen.
Wie muntere Fischlein schwammen sie in dem klaren
Wasser, das heute fast lauwarm war. Kein Wunder, da
schon seit Tagen eine brütende Hitze über dem Land lag.
Sehr erwünscht für die Heuernte, doch manchmal fast

unerträglich für die Menschen, die den grünen Segen unter
Dach und Fach bringen mußten.
Dazu gehörten in diesem Jahr auch die beiden Stadtdamen.
Sie waren ordentlich stolz darauf, nicht müßig zur Seite
gestanden zu haben, während die Landbevölkerung
stramm arbeitete.
»Ich glaube, wir kriegen wirklich das Gewitter, das unser
guter Brasch prophezeite«, zeigte Grit, die neben Alix
schwamm, nach dem Himmel, wo sich zwischen die Bläue
dunkle Wolken zu drängen begannen. »Also wäre es
ratsam, dem Bad zu entsteigen und nach Hause zu eilen.

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Nasser als naß könnten wir allerdings nicht werden, was
den Regen betrifft. Aber Donner und Blitz ohne

schützendes Dach sind mir unsympathisch.«
Derselben Ansicht war auch Alix.
Also entstiegen sie der klaren Flut, zogen in der Bude den
nassen Wollanzug aus, hüllten sich in den Bademantel und
eilten dem Rosenhaus zu.
Aber ehe sie das Gehöft erreicht hatten, setzte bereits der
Sturm ein, der dem Gewitter voranzubrausen pflegt. Die
Bäume bogen sich unter der Wucht des robusten Gesellen,
es orgelte und pfiff, als wären tausend Teufel losgelassen.
Am Himmel bauschten sich die Wolken wie schmutzige
Watte, ein unheimliches Licht beleuchtete die Landschaft.
Und was waren das für Reiter, die da angeprescht kamen?

Tatsächlich, Baron Isenhardt und der Verwalter
Druschmann. Und Isen war noch weit, dazwischen lag kein
schützendes Dach.
»Suchen Sie Schutz im Rosenhaus!« rief ihnen Grit zu. Und
da nahte auch schon Brasch, der das Tor öffnete, damit die
Pferde auf den Hof laufen konnten.
Was anschließend geschah, wußten die beiden Damen
nicht. Sie eilten ins Haus, nach ihren Zimmern, und kaum,
daß sie diese betreten hatten, brach auch schon das
Unwetter los. Es krachte und blitzte, der Regen prasselte.
Rasch kleideten Grit sowie Alix sich an. Und als sie das
Wohngemach betraten, konnten sie zwei Gäste begrüßen,

die ihnen der Gewittersturm ins Haus geweht hatte.
»Das flutschte man gerade noch so hin«, lachte
Druschmann in seinem Baß. »Donner noch eins, das
Gewitter hatte es diesmal aber eilig. Keine Minute später,
dann wären wir wie die gebadeten Kater gewesen. Und nun
zeigen die Damen wohl ihre Gastfreundschaft.«
»Soll geschehen«, lachte Alix fröhlich.
»Und Gastfreundschaft ist in diesem Fall erst mal ein
ausgewachsener Schnaps auf den ausgestandenen Schreck.
Habe ich recht, Herr Baron?«
»Will ich meinen, gnädiges Fräulein«, lächelte er amüsiert.

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»Mein Kompliment, daß Sie die Gepflogenheit der
Landwirte so schnell begriffen haben.«

»Kein Wunder, da ich jetzt ja selbst eine Landwirtin bin«,
gab sie mutwillig zurück, während sie die kleine Bar
heranrollte. Flugs standen Gläser darauf, die sich mit einer
bernsteinklaren Flüssigkeit füllten. Man nippte an ihr mit
Genuß – und draußen krachte und blitzte es.
Doch ebenso rasch, wie das Gewitter auftrat, verzog es sich
auch. Der Donner grollte in der Ferne, die Blitze zuckten
nur noch matt in den düsteren Wolken, durch die dann
golden die Sonne brach.
»Kurz aber heftig«, schmunzelte Druschmann.
»Gleichsam dem Schmerz der Liebe. Stimmt’s, gnädiges
Fräulein?«

»Darin bin ich nicht kompetent«, blitzte sie ihn an. »Da
füge ich mich Ihrer besseren Erfahrung.«
»Seid friedlich, und begebt euch nicht auf dieses
undurchdringliche Gebiet«, wehrte Grit lachend. »Ich für
mein Teil bin prosaischen Dingen zugänglicher. Und zwar
sehne ich mich nach einem guten Kaffee.«
Wie auf ein Stichwort erschien Muttchen Brasch, lachend
über das gute Gesicht.
»Wie wäre es mit einem guten Kaffeechen nebst allem
Drum und Dran, meine Herrschaften? Soll ich ihn auf der
Terrasse servieren, wie meine beiden lieben
Damen es gewöhnt sind? Das Sonnchen scheint schon

wieder so schön, und warm ist es auch.«
»So gehen Sie hin und tun also, Muttchen Brasch«,
ermunterte Grit, worauf die Gute dann eiligst entschwand.
Schon zehn Minuten später konnte man sich an den
einladend gedeckten Tisch setzen. Die Kaffeemaschine
brodelte, auf einem Teller häuften sich Kuchenstücke,
üppig mit Streuseln und Mandeln gespickt. Es gab ein
fröhliches Schmausen, wobei selbst der sonst so
zurückhaltende Gernot Isenhardt eifrig mittat. Dreimal
mußte Alix ihm die Tasse mit dem belebenden braunen
Trank füllen, immer wieder griff seine nervige Rechte nach

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den Kuchenschnitten. Ihm schmeckte es so gut, wie schon
lange nicht mehr.

Und dabei kam auch das Herz nicht zu kurz. Es labte sich
an dem Anblick des Menschenkindes, das ihm wie die
Verkörperung jungfrohen Menschentums gegenübersaß.
Die faszinierenden blauen Augen blitzten in dem feinen,
gebräunten Antlitz, durch den jungroten Mund
schimmerten die gepflegten Zähne. Die braungoldenen
Haare, die noch ein wenig feucht waren von dem
vorhergehenden Bad, ringelten sich auf dem Kopf wie
gleißende Schlänglein. Die schlanken, gebräunten Arme
schoben sich aus den kurzen Ärmeln des leichten Kleides,
das wie eine zarte Welle den grazilen Mädchenkörper
umbauschte.

Und dann das goldige, unbekümmerte Lachen. So von
Herzen kam es, so aus der Tiefe einer reinen Seele heraus.
Und dieses Lachen war es zu allererst, – was den
Frauenverächter Gernot Isenhardt betörte, dem seine
Skepsis den Frauen gegenüber nicht standhielt. Das ihn
berührte, wie ein wundersames, zärtliches Streicheln. Es
half ihm gar nichts, daß er sich dagegen wehrte. Es war da
– und ließ in seinem Herzen tausend rote Rosen sprießen.
Rosen blühten auch um ihn her. Sie prangten in dem
kleinen Garten, umrankten das Haus, lugten über das
Geländer der Terrasse hinweg, dufteten in der Vase auf dem
Tisch.

Rosen, Rosen überall – und mittendrin Dornröschen, wie
der Märchendichter es sich vorgestellt haben mag.
Doch Märchen sind eben Märchen. Sie verlieren ihren Reiz,
sofern der Kinderglaube daran entschwunden ist. Und
Gernot Isenhardt war ein Mann von dreißig Jahren, der
bestimmt nicht mehr an Märchen glaubte.
Trotzdem umfing es ihn im Rosenhaus wie mit linden
Armen. Hier schien alles so einfach zu sein, so ohne Lug
und Trug. Der Rosenduft umnebelte Hirn und Herz. Ließ
eine Sehnsucht darin erklingen nach Liebe und Glück.
»Weiß der Kuckuck, das Rosenhaus hat’s in sich«, sagte

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Druschmann, als er an der Seite seines Herrn Isen zuritt.
»Es ist etwas eignes darin, etwas, das man nicht in Worte

fassen kann. So war es schon zu Zeiten der Tante Riekchen,
und so ist es jetzt bei der kleinen Herrin Alix. Man müßte
glauben, daß die Rosen dort ohne Dornen sind.«
»Was natürlich ein Trugschluß ist«, entgegnete der andere
trocken, der wieder klar denken konnte, nachdem er dem
Zauberkreis des Rosenhauses entronnen war. »Denn Rosen
ohne Dornen
dürfte es wohl nicht geben, ebenso wie es nicht Menschen
ohne Fehler gibt. Wie sagt Goethe: Wo viel Licht ist, ist
starker Schatten.«
Es klang wie abschließend, so daß Druschmann nichts
darauf zu erwidern wagte. Zwar war er hier mit seinem

verehrten Herrn nicht einer Meinung, doch wes Brot man
ißt, des Lied man singt.
An einem Sonntag, Anfang Juli, erschien Frau Dieboldt im
Rosenhaus, wo sie freudig willkommen geheißen wurde.
»Lieb, daß Sie uns besuchen, gnädige Frau«, sagte Alix
herzlich. »Ich glaubte schon, Sie hätten meine damalige
Einladung als konventionelle Höflichkeit angesehen.«
»Nun, daraufhin wäre ich bestimmt nicht erschienen«, war
die lächelnde Erwiderung. »Der Ton macht immer die
Musik.«
»Da bin ich aber froh, daß ich den rechten gefunden habe«,
lachte Alix vergnügt. »Allen gegenüber finde ich ihn

nämlich nicht.«
»Kann man wohl sagen«, bestätigte Grit, der diese feine,
gütige Frau auf den ersten Blick gefiel, so daß ihre
Zurückhaltung, die sie sonst Fremden gegenüber hatte, erst
gar nicht aufkommen konnte. Der richtige Kontakt war
gleich da, und man plauderte bald, als kennte man sich
schon lange.
Man trank den Kaffee natürlich auf der Terrasse, und Frau
Dieboldt war von der Rosenpracht genauso entzückt wie
alle andern. Dazu blühten noch die Linden, die Akazien,
deren süßer Duft sich mit dem der Rosen mischte.

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»Jetzt kann ich auch verstehen, warum Herr Druschmann
immer wieder behauptet, daß ihm, wenn er im Rosenhaus

weilt, Herz und Hirn wie umnebelt sind«, lachte der Gast.
»Man könnte direkt poetisch werden, in Dornröschens
Reich.«
»Diese Bezeichnung kennen Sie also auch schon, gnädige
Frau«, schnitt Alix eine niedliche Grimasse. »Die paßt doch
nun wahrlich nicht zu mir, die ich alles andere als ein
märchenhaftes Wesen bin. Kaum zu glauben, wie schnell
man zu einem Spitznamen kommen kann.«
»Ich finde ihn reizend – und passend.«
»Na schön«, meinte das Mädchen gottergeben.
»Wie geht es übrigens der kleinen Gela, ist sie noch immer
im Schloß?«

»Ja. Denn ihre Mutter befindet sich zur Zeit in einem Bad,
um ihre angegriffenen Nerven zu stärken. Sie hielt eine Kur
für unbedingt erforderlich, legte dem Herrn Baron sogar
aus dem Krankenhaus ein Attest vor, das sie sich…«
»Bei einem liebenswürdigen Arzt erschmeichelte«, warf Grit
trocken ein. »Und wer bezahlt nun diese bestimmt recht
kostspielige Angelegenheit?«
»Der Familienfond der Isenhardt. Der wirft nämlich für
derartige Fälle eine bestimmte Summe aus *- und die ist
gewiß nicht klein.«
»Und wenn diese Summe aufgebraucht ist, was dann?«
wollte Alix wissen.

»Dann ist eben die Kur beendet. Aus seiner Tasche zahlt der
Herr Baron jedenfalls nichts hinzu.«
»Sehr vernünftig von dem Mann«, meinte Grit.
»Denn schließlich ist er ja nicht dazu da, um die
Extravaganzen seiner Stiefschwägerin zu bezahlen. Aber
wenn diese nun Schulden macht?«
»Dann muß sie selbst dafür aufkommen. Das weiß sie und
wird sich daher hüten, über den Etat zu leben. Wird also,
wenn das ihr zugeteilte Geld verbraucht ist, wieder im
Witwenhaus aufkreuzen, in dem jetzt eine tadellose
Ordnung herrscht. Um die herzustellen, mußten drei

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Frauen einen ganzen Tag darin arbeiten.«
»Kann ich mir denken«, lachte Alix. »Die Schlamperei in

dem kleinen Haus war tatsächlich vorbildlich. Wie eine
Frau sich darin wohl fühlen kann, ist mir einfach ein Rätsel
– und auch, daß sie ihr kleines Kind seinem Schicksal
überläßt. Hat Gela denn gar keine Sehnsucht nach ihrer
Mutter?«
»Nein«, entgegnete Frau Dieboldt. »Sie fühlt sich bei uns
recht wohl. Nur daß sie gehorchen muß, will ihr nicht so
ganz behagen. Wir lassen sie ja gewähren, soweit es nur
angeht, weil wir uns sagen, daß es nicht lohnt, die
zweijährige Kleine zu erziehen. Denn sofern die Mutter
zurückkommt, kriegt sie ja doch wieder allen Willen –
einerseits. Andererseits bekommt sie empfindliche Klapse

und wird angeschrien für nichts und wieder nichts. Immer
so, wie der unberechenbaren Frau Mama gerade die Laune
steht. Bei so einer verkehrten Behandlung kann aus dem
Kind natürlich nichts Gescheites werden.«
»Kümmert sich der Vormund denn gar nicht um sein
Mündel?« fragte Grit. »Wer ist das überhaupt?«
»Die Mutter des Kindes selbst. So hat es ihr verstorbener
Mann in seinem Testament bestimmt.«
»Ach du lieber Gott, auch das noch! Was mag der Mann
sich dabei gedacht haben? Der hätte seine leichtfertige Frau
doch kennen und daher wissen müssen, daß man ihr ein
kleines Kind nicht so ganz und gar überlassen darf.«

»Ja, was er sich dabei gedacht hat, das weiß man leider
nicht, Frau von Alkes. Er soll überhaupt ein sonderbarer
Mensch gewesen sein und dazu kein besonders guter. Sonst
hätte er seinen kleinen Stiefbruder doch unmöglich so
hassen können, daß er ihn nach des Vaters Tod sofort aus
dem Hause gab. Zum Glück nahm der Vormund, den der
alte Baron testamentarisch bestimmte, sich des vierjährigen
Knaben an. Er war jedoch ein alter Militär und erzog den
Jungen wie einen kleinen Rekruten. Später kam er dann in
ein Internat, besuchte anschließend die landwirtschaftliche
Hochschule und ging nach deren Absolvierung erst mal auf

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Reisen. Er konnte sich das leisten, weil er seinen Vormund,
der indes starb, beerbt hatte. Und es war ein reiches Erbe.«

»Hatte denn der Vormund keine leiblichen Erben?«
»Nein, Frau von Alkes, er war Junggeselle und der Vetter
meiner Mutter. Daher weiß ich über die Verhältnisse so
genau Bescheid.
Doch nun muß ich gehen, damit ich zum Abendessen zu
Hause bin. Es weiß dort niemand, daß ich fortging. Ich
wollte ursprünglich nur einen Spaziergang machen, doch
als ich das Dach des Rosenhauses sah, von dem ich schon
soviel gehört, durch die Bäume schimmern sah, packte
mich das Verlangen, es kennenzulernen. Und ich muß
schon sagen, daß auch ich davon begeistert bin.«
»Da sind wir aber froh, was, Tante Grit?« fragte Alix

lachend. »Nun stehen Sie aber auch zu Ihrem Wort,
gnädige Frau, und besuchen Sie uns recht oft.«
»Und wie gern ich das tun werde. Immer dann, wenn ich
mich nach einem Plauderstündchen sehne. Denn ich fühle
mich manchmal doch recht vereinsamt.«
»Sie haben keine Angehörigen?« fragte Grit leise.
»Nein. Ich verlor meinen Mann schon früh, und Kinder
habe ich nicht gehabt, auch keine Geschwister. Doch ich
will nicht undankbar sein, es geht mir ja in Isen so gut.
Einen rücksichtsvolleren Herrn als den Baron kann ich mir
gar nicht denken. Nur daß er sehr verschlossen ist, aber das
liegt nun mal in seiner Natur.

Aber jetzt habe ich genug geschwatzt, was sonst eigentlich
nicht meine Art ist. Das macht wohl hier der Rosenduft«,
schloß sie lachend, und fröhlich fielen die andern ein.
»Ich bringe Sie im Wagen nach Hause, gnädige Frau«,
entschied Alix rasch. »Kommst du mit, Tante Grit? Auf dem
breiten Sitz haben wir zu dritt bequem Platz.«
»Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen«, wehrte
der Gast verlegen ab, doch er wurde überstimmt.
So fuhren sie denn ab und hatten in wenigen Minuten Isen
erreicht. Gernot
Isenhardt, der gerade die Freitreppe emporsteigen wollte,

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stutzte und verhielt den Schritt, als der elegante Wagen
herbeiflitzte.

»Guten Tag, Herr Baron!« grüßte Alix vergnügt. »Wir
bringen eine Ausreißerin wohlbehalten zurück.«
»Ja, Frau Dieboldt, wohin sind Sie denn geraten?« fragte er
schmunzelnd. »Wollten Sie wirklich Reißaus nehmen, und
man bringt Sie eskortiert zurück an die Stätte Ihrer Pflicht?«
»Stimmt auffallend«, gab die Dame mutwillig zurück.
»Deserteure duldet man nicht im Rosenhaus.«
Da sie in der Mitte saß, mußte Alix erst aussteigen, bevor
sie folgen konnte.
»Also im Rosenhaus waren Sie, Herz und Hirn noch klar?«
»Jetzt wieder«, kam es lachend zurück. »Aber mittendrin
wird man wirklich von Rosenduft umnebelt, wie Herr

Druschmann das so nett sagt.«
Dann wandte sie sich Grit zu, die im Wagen Platz behalten
hatte, und sagte herzlich:
»Haben Sie vielen Dank für die lieben Stunden, Frau von
Alkes – und auch Sie, Fräulein Grodes.«
»Nun, die Damen werden uns doch wohl die Freude
machen und bei uns einkehren«, schaltete Gernot sich ein.
»Bitte kein so abweisendes Gesicht machen, gnädige Frau.«
»Das tue ich ja gar nicht«, verwahrte Grit sich mit lachender
Entrüstung. »Ich überlege nur, ob wir Ihnen so formlos ins
Haus fallen dürfen, Herr Baron.«
»Das habe ich im Rosenhaus ja auch getan.«

»Und ich machte damit den Anfang«,
sagte Alix vergnügt. »Denn mein erster Besuch hier
entsprach nun wirklich nicht der korrekten Form.«
Also mußte Grit sich geschlagen geben. Auch hier nahm
man auf der Terrasse Platz, die natürlich weit geräumiger
war als die im Rosenhaus. Auch hier gab es Rosen in
verschwenderischer Fülle. Üppig blühten die Akazien, die
alten Linden, Jasmin, Rotdorn und Schneeball. Es war eine
Blütenpracht ringsum, bei der man sagen konnte: Trink,
Auge, trink, was die Wimper hält, von dem goldenen
Überfluß der Welt.

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»Ich glaube, Alix, Frau Dieboldt ist eine Heuchlerin«, sagte
Grit, sich an den verdutzten Gesichtern der andern

weidend. »Denn wer so viel wunderbare Schönheit täglich
vor Augen hat, kann sich wohl kaum für die weit
kärglichere im Rosenhaus ehrlich begeistern.«
»Na, nun schlägt’s aber dreizehn«, sagte die Angegriffene
immer noch verblüfft, mußte dann jedoch mit den andern
lachen. »Eine schöne Eigenschaft, die Sie mir da
unterschieben, Frau von Alkes. Ich soll Sie wohl wegen
Beleidigung verklagen. Heuchlerin – ausgerechnet ich!
Haben Sie das gehört, Herr Baron? Verteidigen Sie mich
bitte.«
»Tja«, entgegnete er bedächtig, während es in seinen Augen
humorvoll aufblitzte. »Ich weiß ja nicht, ob Sie nicht doch

im Rosenhaus geheuchelt haben.«
»Oh, ich arme verkannte Frau! So geh’ ich denn und
mische Gift ins Abendessen – aus Rache.«
Vergnügt in das Gelächter der andern einstimmend, ging
sie davon. Die Zurückgebliebenen unterhielten sich
angeregt, bis der Gong ertönte. Da sagte der Hausherr
lächelnd:
»Bitte, mein Damen, tun Sie mir die Ehre an, und
verzehren Sie mit mir die erste Prise Salz. Daß es bald ein
Scheffel werden möge, hoffe und wünsche ich von
Herzen.«
»Ei, Herr Baron, seien Sie nicht zu leichtsinnig«, warnte

Grit. »Denken Sie lieber daran: Die Geister, die ich rief…«
»Die Anhänglichkeit solcher Geister ließe ich mir schon
gern gefallen«, parierte er galant, bot den Damen je einen
Arm und betrat so mit ihnen das Speisezimmer, das einem
kleinen Saal glich.
Man nahm in den hochlehnigen Gobelinstühlen Platz, und
der Diener servierte das ländliche Mahl. Als er sich nach
dem Dessert zurückzog, sagte Frau Dieboldt:
»Wie ich hörte, Herr Baron, ist die Frau Baronin mit einer
Dame und einem Herrn hiergewesen, um Gela abzuholen,
stimmt das?«

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»Ja, es stimmt«, bestätigte er gelassen. »Warum erregt Sie
das denn so?«

»Weil mir die Angelegenheit peinlich ist. Ich gehe doch
kaum aus dem Haus – und ausgerechnet dann erscheinen
Gäste.«
»Ich höre immer Gäste, Frau Dieboldt. Für mich sind das
solche Menschen, die ich in mein Haus lade – und diese
kamen ungerufen. Somit hatte ich keine Veranlassung, da
Gastfreundschaft zu üben. Also haben Sie bei Ihren
Repräsentationspflichten absolut nichts versäumt.«
»So sind sie denn ohne jede Erfrischung…?«
»Ja, sie sind. Und zwar bald. Schade, daß Sie nicht das
Kaspertheater um das
Kind mit ansehen konnten.«

»Und wie benahm sich Gela dabei?«
»Wie ein Wildkätzchen. Ich glaube, die Herrschaften
werden arge Kratzer von spitzen Nägelchen zu beklagen
haben. Dafür gab es recht derbe Klapse von Mutterhand.
Mir wurde bedeutet, daß ich das früher so artige Kind
unverantwortlich verzogen hätte, und dann wurde das
schreiende, zappelnde Menschlein gewissermaßen entführt.
Es tat mir leid, aber ich konnte ihm keine Hilfe bringen, da
mir das Recht dazu nicht zusteht.«
»Armes Dinglein«, sagte die Hausdame mitleidig. »Es hat
sich hier so wohlgefühlt. Was waren die Fremden denn für
Menschen?«

»Die vortrefflich zu der lieben Modeste passen.«
»Schon faul«, entfuhr es Alix. Und Gernot, der gleich den
andern über diese trockene Bemerkung lachte, hob ihr sein
Glas entgegen.
»Mir ganz aus der Seele gesprochen, gnädiges Fräulein.«
Da die Mahlzeit beendet war, ging man wieder zur Terrasse
zurück, wo es noch so warm war, daß die Damen in ihren
leichten Kleidern sitzen konnten. Man trank den
Tischwein, außer Alix, die sich ja noch ans Steuer setzen
mußte, weiter und unterhielt sich froh und munter. Selbst
der Hausherr ließ ab und zu sein warmes, sonores Lachen

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hören. Immer wieder ging Alix’ Blick verstohlen zu ihm
hin, der ihr schräg gegenüber saß.

Ist er nun ein schöner Mann? dachte
sie grübelnd. Nein, das ist er nicht. Aber seine ganze
Erscheinung hat etwas Faszinierendes, Stolzes und
Unnahbares. Blonde Männer habe ich früher eigentlich nie
gemocht – aber bei diesem ist das alles so anders – so – so
– ach, ich weiß nicht.
Ärgerlich über sich selbst ließ sie von ihren Betrachtungen
ab und beteiligte sich lebhaft an dem allgemein gehaltenen
Gespräch.
Als man aufbrach, stand die Sonne gerade am Horizont.
Goldigrot leuchtete der Ball. Der Himmel um ihn her
schillerte in prächtigem Farbenspiel. Alix fuhr ganz

langsam, um den wunderbaren Anblick so recht genießen
zu können.
»Ist das schön«, sagte Grit andächtig. »Ich glaube, ich werde
wohl mein Leben im Rosenhaus beschließen.«
»Oh, Grit, das klingt ja direkt melancholisch«, lachte die
Nichte hellauf. »Wenn ich bedenke, welch eine begeisterte
Stadtdame du noch vor einem Vierteljahr warst, dann muß
ich schon sagen, daß dein Sinn sich sehr rasch geändert
hat.«
»Ich werde eben alt und behäbig.«
»Auch das noch!« wollte der Schelm sich halbtot lachen.
»Du hast es gerade nötig, mit deinem Alter zu kokettieren.

Ja, wenn du sagen möchtest, daß du heiraten willst, das
würde ich dir sogar glauben.«
»Halt ein!« hob die Tante in komischem Entsetzen die
Hände. »Mein liebes Kind, ich habe von einer Heirat
genug. Ich gehöre leider nicht zu den Glücklichen, die in
der Ehe den Himmel auf Erden hatten.«
»Gibt es so was überhaupt, Tante Grit?«
»Ich denke schon, wenn auch nicht oft. Nimm als Beispiel
die Ehe deiner Eltern, die war doch nun wirklich ideal.
Deshalb kann ich deinen Vater nicht verstehen.
Na sprechen wir nicht davon«, begütigte sie, als sie sah, wie

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das Gesicht der Nichte sich verfinsterte. »Berauschen wir
uns lieber am Anblick des Rosenhauses, das so traut zu uns

herübergrüßt. Mädchen, was können wir glücklich sein,
hier eine Zuflucht gefunden zu haben.«
»Hast recht, Tante Grit«, hellte sich die düstere Miene
wieder auf. »Schau mal, am Tor stehen Mariechen, ihr guter
August und Else: Sie winken uns mit strahlenden
Gesichtern zu. Ist das ein trautes Nachhausekommen!«
Gleich darauf fuhr der Wagen auf den Hof, und man
empfing die Insassen mit rührender Freude. Wo die Damen
denn so lange waren, ganz gräßliche Sorge hätte man sich
gemacht. Dazwischen bellte der Hund – es war wirklich ein
trautes Nachhausekommen.
Sechs Wochen weilte Frau Härder nun schon im Hause von

Egon Grodes, der mit seiner Hausame restlos zufrieden
war. Ihre feine, zurückhaltende Art nahm ihn immer mehr
für sie ein. Er freute sich direkt auf den Abend, wo er noch
einige Stunden mit ihr plaudern konnte. Er staunte immer
wieder, wie klug die Frau war, wie feinsinnig und
warmherzig. Er selbst sprach nicht viel,
um nur dieser klangvollen Stimme lauschen zu können.
Daher gefiel es ihm gar nicht, daß sie jeden
Sonntagnachmittag aus dem Haus ging. Dann saß er
verdrießlich da und wußte nichts mit sich anzufangen.
Zum Kuckuck, warum war sie so erpicht darauf, diese
Stunden für sich zu beanspruchen. Gewiß, sie kamen ihr zu

– aber trotzdem. Sollte sie etwa…?
Und schon war sie da, die Eifersucht, der er einfach nicht
Herr werden konnte. Sie quälte und peinigte ihn, ließ ihn
nicht mehr zur Ruhe kommen. Und als Elga an einem
Sonntagnachmittag bei ihm erschien, um sich abzumelden,
da konnte er sich nicht mehr beherrschen und fuhr sie
gereizt an:
»Können Sie denn nicht mal einen Sonntag hierbleiben,
Frau Härder? Wohin zieht es Sie denn eigentlich! Steckt ein
Mann dahinter?«
»Und wenn, dann wäre es doch wohl meine eigene

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Angelegenheit«, gab sie gelassen zurück. »Ein Privatleben
muß ja schließlich jedem Angestellten zugebilligt werden,

nicht wahr?«
»Das schon«, brummte er verbissen. »Aber gerade bei Ihnen
– befremdet mich das. Wollen Sie mir nicht wenigstens
sagen, wer der Mann ist?«
Da umzuckte ein amüsiertes Lächeln ihren Mund. Es klang
fast mutwillig, als sie erklärte:
»Ein Mann ist es allerdings, der mich mit tausend Banden
zu sich zieht. Aber nur ein kleiner von zehn Jahren – mein
Sohn.«
»Was, Sie haben einen Sohn?!« fuhr Grodes jetzt auf. »Ja
um alles in der
Welt, warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ist er etwa…«

Jetzt konnte sie das Lachen nicht mehr zurückhalten, mit
dem sie seit Minuten kämpfte. Warm und weich brach es
aus ihr hervor.
»Beruhigen Sie sich, Herr Grodes, es geht alles mit rechten
Dingen zu. Der Junge entstammt einer legitimen Ehe und
heißt Winfried Härder.«
»Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er beschämt, während
er ihrem lächelnden Blick auswich. »Aber wie konnte ich
denn ahnen – hm, ja – warum haben Sie denn nie von
Ihrem Sohn gesprochen?«
»Weil ich Sie mit meinen Angelegenheiten nicht belästigen
wollte. Man muß vorsichtig sein, wenn man in Lohn und

Brot steht.«
»Welch ein Unsinn!« entfuhr es ihm unwillig. »Sie müssen
doch schon längst gemerkt haben, daß ich weit mehr als
nur eine Angestellte in Ihnen sehe. Wo befindet sich der
Junge?«
»Im Internat.«
»Fühlt er sich da wohl?«
»Nein. Aber er ist verständig genug, um einzusehen, daß er
nicht bei seiner Mutter sein kann, die sich ja selbst in
einem fremden Haus befindet, wo sie seinen und ihren
Lebensunterhalt verdienen muß.«

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»Holen Sie ihn her«, sagte der Mann jetzt barsch.
»Herr Grodes, ich möchte dem Jungen das Herz nicht noch

schwerer machen, als es ohnehin schon ist. Er verbeißt
jedesmal tapfer die Tränen, wenn ich ihn nach meinen
Besuchen, auf die er sich schon die ganze Woche über
freut, wieder verlasse. Und wenn er nun herkommt – und
dann wieder fort muß – bitte, Herr Grodes, ersparen Sie es
ihm – und auch mir.«
»Fällt mir gar nicht ein. Ich möchte Ihren Sohn
kennenlernen, und dazu werden wir zum Internat fahren.«
»Haben Sie doch Erbarmen!«
»Eben.«
Wenig später fuhren sie dann dem Internat zu, das zwei
Kilometer von der Stadt entfernt war. Ein stattliches

Gebäude von einem gepflegten Park umgeben, über dem
jetzt die Mittagsruhe lag. An der Portaltür wurden sie von
einem Portier empfangen, der Frau Härder zu kennen
schien; denn er ließ sie ohne weiteres passieren.
Und dann nahm sie ein mäßig großer Raum auf, das
Besuchszimmer, in dem die Eltern ihre Söhne sprechen
konnten. Frau Härder, die blaß war und der die Tränen in
der Kehle saßen, drückte den Klingelknopf neben der Tür,
und gleich darauf trat ein junges Mädchen ein.
»Guten Tag, gnädige Frau«, grüßte es höflich. »Ich werde
Ihrem Sohn Bescheid sagen.«
»Ich möchte zuerst mit der Frau Oberin sprechen.«

»Bitte.«
Die Tür schloß sich – und nun kamen doch die Tränen, die
Elga bis jetzt tapfer verbissen hatte. Hastig strich sie mit
dem Taschentuch über die Augen, und dann stand die
Oberin im Zimmer. Eine stattliche Dame, sympathisch und
irgendwie vertrauenerweckend. Grodes wurde ihr
vorgestellt – und da glitt ein Lächeln um den schmalen
Mund.
»Vom Hören und Sehen sind Sie mir bereits bekannt, Herr
Grodes. Ich freue
mich jedoch, nun Ihre persönliche Bekanntschaft zu

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machen.«
»Verbindlichsten Dank, Frau Oberin. Hätte nie gedacht,

daß ich eine so bekannte Persönlichkeit im Städtchen bin.«
»Was macht Winfried?« fiel Elga hastig ein, der das alles
ersichtlich peinlich war. »Haben Sie über ihn Klage zu
führen, Frau Oberin?«
»Keineswegs, Frau Härder. Er ist ein folgsamer Junge, dazu
ein guter Schüler – aber leider zu ernst und verständig für
seine zehn Jahre. Das Einleben hier ist selten einem
Knaben so schwergefallen wie ihm.«
»Hat er sich schon damit abgefunden, daß er die Ferien
hier verbringen muß?«
»Äußerlich ja. Doch innerlich blutet ihm wohl das
Herzchen. Er hängt eben zu sehr an seiner Mutter.«

Sich freundlich verabschiedend, ging dann die Dame – und
fünf Minuten später lagen „Mutter und Sohn sich in den
Armen.
»Hm«, räusperte sich Egon, und da schob Elga ihm den
Jungen zu.
»Begrüße Herrn Grodes, Winfried. Er war so freundlich,
mich in seinem Auto hierher zu fahren.«
Der Mann wurde fast verlegen unter dem Blick des Knaben,
der rank und schlank vor ihm stand. Es waren die dunklen
Augen der Mutter – und auch sonst war der Sohn ihr sehr
ähnlich. Grodes zog das Kind nahe zu sich heran.
»Also du bist Winfried Härder«, sagte er langsam. »Du

liebst deine Mutti wohl sehr?«
»O ja, Herr Grodes.«
»Bist du gern im Internat?«
»Nein.« Der dunkle Lockenschopf senkte sich beschämt.
»Aber ich muß hierbleiben, sagt Mutti. Und was sie sagt, ist
gut und richtig.«
»Aber lieber möchtest du bei ihr sein, nicht wahr?«
»Herr Grodes, bitte nicht!« flehte Elga, doch er ließ sich
nicht beirren.
»Wann bekommst du Ferien, Winfried?«
»Ich habe sie schon seit gestern, Herr Grodes.«

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»Und warum bist du dann noch hier?«
»Weil – weil ich kein Zuhause habe. Aber ich bin nicht der

einzige Junge, der während der Ferien hierbleiben muß«,
setzte er hastig hinzu, während sich seine Augen mit
Tränen füllten.
Und das war dem Mann denn doch zuviel. Er sprang auf,
eilte aus dem Zimmer, und als er wiederkam, sagte er kurz:
»Bitte, Frau Härder, packen Sie die Sachen Ihres Sohnes
zusammen. Er verlebt die Ferien in meinem Haus.«
»Herr Grodes, ich bitte Sie.«
»Nichts da! Packen Sie den Koffer. Alles andere habe ich
mit der Oberin bereits erledigt.«
Eingeschüchtert von der herrischen Art des Mannes,
entfernten Mutter und Sohn sich. Als sie nach geraumer

Zeit zurückkamen, griff Grodes nach dem Koffer und trug
ihn zum Auto. Als man darin Platz genommen hatte,
schmiegte der Knabe sich an die Frau und stammelte
verstört:
»Mutti – ich habe – doch so – große Angst!«
»Wovor denn, du dummer kleiner
Kerl«, klang nun die Stimme des Mannes gütig auf. »Etwa
vor mir?«
»Ja, Herr Grodes. Sie sind – so – so – streng.«
»Das wird sich geben, mein Jungchen. Weißt du auch, daß
ich deiner Mutti böse bin?«
»Warum denn: Mutti ist doch so gut.«

»Nicht zu mir. Sonst hätte sie deine Existenz nicht so lange
unterschlagen.«
Fünf Minuten später stand der Wagen vor dem Portal der
Villa. Grodes stieg aus, hob den Knaben vom Sitz und
strich ihm über den dunklen Lockenkopf.
»Herzlich willkommen, mein Kerlchen. Ich hoffe, daß es
dir in meinem Haus besser gefallen wird als im Internat.«
»Oh, es gefällt mir überall, wo meine Mutti ist.«
Damit schob sich die Knabenhand zutraulich in die des
Mannes, und so betraten sie das Haus. Mit
widerstreitendem Empfinden folgte Elga. Ihr war sehr bang

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ums Herz.
Egon Grodes saß im Wohngemach und wartete auf die

Hausdame, die Winfried in dem kleinen Zimmer, das
neben dem ihren lag, zu Bett brachte. Daß er neben der
Mutter wohnen durfte, beglückte den Jungen, wie ihn
überhaupt alles beglückte, was so plötzlich und ungeahnt
in sein Leben getreten war.
»Darf ich wirklich die ganzen Ferien über hierbleiben, Herr
Grodes?« fragte er ängstlich, bevor er zu Bett ging. Und als
der Mann das bestätigte, wurde er stürmisch umhalst und
geküßt, was die Mutter bei „ihrem sonst so
zurückhaltenden Sohn nicht wenig wunderte – und was
ausschlaggebend war für ihr kommendes Glück. Das den
Mann einen Entschluß fassen ließ, der ohne die

beglückende Zutraulichkeit des Kindes noch lange nicht
gefaßt worden wäre.
»Der Junge wird vor Glückseligkeit wohl lange nicht
einschlafen können«, sagte Elga leise, als sie Egon
gegenüber saß. »Sie glauben gar nicht, wie dankbar er
Ihnen ist, Herr Grodes. Er hat Sie bereits tief in sein
zärtliches Herzchen geschlossen.«
»Was wohl auf Gegenseitigkeit beruhen dürfte.«
»Wirklich, Herr Grodes?«
»Wirklich, Sie Zweiflerin. Doch wie ist es – können Sie
etwa noch mit solch weiteren Prachtexemplaren aufwarten?
Denn bei der Unterschlagung des Jungen muß man ja auf

alles gefaßt sein«, schloß er lachend, und ihr feines Antlitz
überzog sich mit heißer Glut
»Nein, Winfried ist mein Einziger. Er wurde uns erst nach
zehnjähriger Ehe geboren – und wurde wohl gerade
deshalb unser Abgott.«
»Bei dem prächtigen Kerlchen ja auch gut zu verstehen.
Was meinen Sie, Frau Härder, ob wir ihn hierbehalten?«
»Um Gott, Herr Grodes, das geht doch nicht!« wehrte sie
erschrocken. »Sie können sich doch unmöglich mit einem
fremden Kind belasten.«
»Belasten dürfte wohl nicht der richtige Ausdruck sein. Und

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fremd auch nicht, da ich den Jungen gleich beim ersten
Sehen spontan in mein Herz schloß. Und wissen Sie auch

warum?«
»Nein.«
»Weil er Ihnen so ähnlich ist. Und da
ich ihn nicht mehr hergebe, wird sich wohl auch die Mutter
dazu entschließen müssen, bei ihm zu bleiben – natürlich
als meine Frau.«
Zuerst starrte sie ihn verblüfft an, doch dann lachte sie
hellauf.
»Soll das etwa ein – Heiratsantrag sein?«
»Na, was denn sonst? Allerdings hätte ich zuerst fragen
müssen, ob Sie mich überhaupt mögen.«
»Ich glaube schon«, lachte sie jetzt unter Tränen – und was

dann geschah, war unausbleiblich. Zwei Herzen hatten sich
gefunden. Und wenn auch nicht gerade im stürmischen
Jugendschwang, so doch voll inniger, beseligender Liebe.
»So, jetzt ist mir endlich wohl«, lachte der Mann, als er die
Liebste aus den Armen ließ und sich zu ihr auf die
Sessellehne setzte. »Die Eifersucht hat mich nicht wenig
geplagt, da ich annehmen mußte, daß du in deinen
Freistunden zum Rendezvous gingst.«
»Wie töricht, Egon! Aus den Jahren dürfte ich wohl längst
heraus sein, um zum Stelldichein zu eilen – möglichst
Treffpunkt an der Normaluhr.«
»Na ja, Verliebte sind eben töricht«, gab er freimütig zu.

»Aber verliebt bin ich eigentlich gar nicht in dich – das war
ich alter Trottel einmal.«
»Wie schauerlich«, lachte sie amüsiert. »Aber laß nur, deine
vorübergehende Verirrung ist mir nicht unbekannt.«
»Gott sei Dank, dann brauche ich dir diese Eselei
wenigstens nicht zu berichten«, atmete er hörbar auf.
»Woher kennst du die für mich so beschämende Episode
überhaupt?«
»Ich erfuhr sie ganz durch Zufall«, wich sie aus, um die
Gärtnersleute nicht angeben zu müssen. Von ihnen wußte
sie auch über Grit und Alix Bescheid. Sie wartete jetzt

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darauf, daß Egon über sie sprechen würde, sie jedenfalls
wollte davon nicht anfangen.

»Ja, es war die größte Blamage meines Lebens«, gestand er
mit bitterem Auflachen. »Ich muß Gott dankbar sein, daß
er mir noch zur rechten Zeit die verblendeten Augen
öffnete und mich nicht in mein Unglück taumeln ließ –
und daß er das Maß seiner Güte voll machte, indem er dich
mir zuführte, du liebste Frau. Verdient habe ich das
wahrlich nicht.«
»Aber Egon, das darfst du doch nicht sagen.« Sie strich
zärtlich über seinen geneigten Kopf. »Ich bin so glücklich,
dich gefunden zu haben – und meinem Jungen einen so
gütigen Vater geben zu können. Ach, Egon, ich kann mein
Glück immer noch nicht fassen!«

»Ich eigentlich auch nicht, aber wir werden es schon noch
begreifen. Jedenfalls wollen wir ein Leben führen, um das
die Götter uns beneiden sollen!
Doch zuerst müssen wir uns leider auf kurze Zeit trennen,
bis wir uns in aller Stille trauen lassen können. Als meine
Verlobte kannst du hier nicht bleiben.«
»Aber Egon, wir als reife Menschen.«
»Wenn auch. Ich möchte nicht, daß du in geifernde
Klatschmäuler gerätst, dafür bist du mir zu lieb und wert.
Also wirst du mit dem Jungen in ein Seebad fahren,
während ich das Aufgebot bestelle und alles Weitere zur
Heirat vorbereite. Wenn es soweit ist, hole ich dich ab.

Einverstanden?«
»Im großen und ganzen ja«, kam die
Antwort zögernd. »Ich fürchte nur, daß dann hier alles
drunter und drüber gehen wird. Die Dienerschaft ist
nämlich nichts wert – und steht außerdem in ständigem
Streit, seitdem der Chauffeur beiden Mädchen die Ehe
versprochen hat.«
»Und das sagst du mir jetzt erst, Elga?«
»Früher wagte ich es nicht. Ich war doch schließlich als
Hausdame dazu da, dem Hausherrn jede
Unannehmlichkeit fernzuhalten.«

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»Dein Pflichtgefühl in Ehren, mein Kind, aber in diesem
Fall übertrieben. Wenn ich nur eine Ahnung gehabt, wäre

ich schon längst mit einem Donnerwetter
dazwischengefahren. Aber laß man, das hole ich nach.
Wenn du als Herrin hier einziehst, findest du dein Haus
sauber.«
»Ach, Egon, wie schön ist es doch, wieder einen Beschützer
und Berater zu haben«, legte sie mit glücklichem Lächeln
den Kopf an seine Schulter. Er küßte zart die Augen, die so
freudestrahlend zu ihm aufsahen und mußte sich erst
kräftig räuspern, bevor seine Stimme klar klang:
»Und ich bin glücklich, daß ich es sein darf, du liebste
Frau. Doch nun zu Winfried. Ob wir ihm schon morgen
sagen, daß ich sein Vater werden will?«

»Nein, Egon«, entgegnete sie leise. »Sein übervolles
Herzchen muß erst mit dem Glück fertig werden, das ihm
der heutige Tag brachte. Man darf ihm nicht zu viel
zumuten, sonst schnappt er am Ende noch über.«
»Hast recht«, lachte er. »Also halten
wir mit dieser Eröffnung zurück, bis er als Sohn hier
einziehen kann.«
Am nächsten Tag brachte Grodes seine beiden lieben
Menschen nach einem nahegelegenen Seebad, wo sie gut
unterkamen. Winfried war nicht so froh, wie man erwartet
hatte. Er wäre viel lieber mit der Mutter bei seinem guten
Freund geblieben, wie er Egon ganz ernsthaft nannte. Doch

als dieser ihm versprach, ihn in spätestens drei Wochen
wieder abzuholen, gab er sich zufrieden.
Schon nach wenigen Tagen sollte Grodes Gelegenheit
haben, die Dienerschaft fristlos zu entlassen. Denn er kam
gerade hinzu, als die beiden Mädchen sich buchstäblich in
den Haaren lagen und der Chauffeur die beiden Raufenden
unflätig beschimpfte. Mit einem Donnerwetter fuhr der
Hausherr dazwischen, zahlte die rüde Gesellschaft aus –
und in zwei Stunden war sein Haus sauber.
Darüber war nicht nur er froh, sondern auch die
Gärtnersleute, die er aufsuchte, um die Frau zu bitten, sich

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seines verwaisten Hausstandes anzunehmen, bis er neue
Dienerschaft eingestellt hatte. Bereitwillig sagte sie zu, und

der Gärtner meinte bedächtig:
»Gott sei Dank, daß das Gesindel endlich fort ist. Mir hat
Frau Härder immer so leid getan, die sich mit so einem
Pack herumärgern mußte, dem die feine Dame bestimmt
nicht gewachsen war. Kein Wunder, daß sie ihren schweren
Posten aufgab.«
»Sie kommt wieder«, erwiderte Grodes lächelnd. »Hat nur
ihren Urlaub genommen, den sie mit ihrem Sohn an der
See verbringt.«
»Na, das freut mich aber. Und wie denkt der Herr nun über
die neue Dienerschaft?«
»Die muß ich zuerst einmal suchen. Hoffentlich erlebe ich

damit nicht wieder einen Reinfall.«
»So ist es, Herr Grodes. Aber wie wäre es, wenn Sie die
vorherige Dienerschaft wieder einstellen würden? Die war
doch gut geschult und intelligent über den Durchschnitt.
Mit solchen Menschen läßt es sich doch besser umgehen,
als mit beschränkten.«
»Da haben Sie recht. Aber erstens weiß ich nicht, ob die
Leute Lust hätten, zurückzukommen, und dann befinden
sie sich wohl alle in Lohn und Brot.«
»Eben nicht, Herr Grodes. Kürzlich war Alma, die
inzwischen den Chauffeur geheiratet hat, bei uns und
klagte Stein und Bein, daß sie beide arbeitslos wären. Denn

ein Ehepaar stellt man nicht gern ein. Und auch Ella hat
ihren Dienst aufgesagt und befindet sich gleichfalls auf
Stellungssuche. Die würden gern zurückkommen, wo es
ihnen so gut ging.«
»Großartig!« klopfte Grodes dem Mann auf die Schulter.
»Für diese Nachricht könnte ich Sie in Gold fassen lassen.
Wissen Sie, wo die drei wohnen?«
»Ja.«
»Dann bestellen Sie sie zu mir.«
So kam es denn, daß Villa Grodes wieder zu einer
geschulten, bewährten Dienerschaft kam. Sie brachten auch

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gleich einen kleinen jungen Diener mit, der dem
Hausherrn auf den ersten Blick gefiel und den er sofort

engagierte. Daß
die Köchin und der Chauffeur ein Ehepaar waren, konnte
ihm nur recht sein.
Allerdings machte er die Leute darauf aufmerksam, daß er
in zwei Wochen zu heiraten gedächte.
»Aber ich glaube, Sie werden diesmal mit meiner Wahl
zufrieden sein«, setzte er lachend hinzu, und verlegen fiel
man in das Lachen ein.
Und dann war der Tag da, wo Egon Grodes dem Seebad
zufuhr, um Elga mit ihrem Sohn heimzuholen. Am
nächsten Vormittag war die Trauung angesetzt, die auf
Vereinbarung nur standesamtlich stattfinden sollte. Mit

rührender Freude wurde er von Mutter und Sohn
empfangen, und letzterer fragte sofort nach der Begrüßung:
»Jetzt nehmen Sie uns aber mit, Herr Grodes, nicht wahr?«
»Ehrensache, mein Junge. Morgen früh fahren wir vergnügt
der Heimat zu.«
»Oh, dann bleiben mir noch ganze zwei Wochen, bis ich
wieder ins Internat zurück muß.«
Egon warf Elga einen fragenden Blick zu, und sie schüttelte
lächelnd den Kopf. Da wußte er, daß er noch schweigen
sollte.
Als Winfried zu Bett gegangen war, machten die Verlobten
noch einen Abendspaziergang durch den Wald. Sie gingen

Arm in Arm, beglückt, sich wiederzuhaben.
Und doch lag ein Schatten über dem Männerantlitz.
»Egon, willst du mir nicht sagen, was dich quält?« begann
die Frau behutsam – und da machte er seinem Herzen Luft.
Sprach von Grit, von Alix, die ihn so
schnöde im Stich gelassen hatten. Ruhig hörte Elga ihm zu
und sagte dann leise:
»Und wenn du mir darob auch zürnen solltest, so muß ich
dir dennoch sagen, daß ich in dem Fall genauso gehandelt
hätte wie deine Tochter und deine Schwester.«
»Elga, das hättest du wirklich getan?«

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»Ja, Egon«, entgegnete sie fest. »Denn mit so einer
Stiefmutter und Schwägerin zusammenzuleben, wäre für

die beiden ganz einfach die Hölle gewesen. Um ihr zu
entgehen, räumten sie stillschweigend das Feld. Willst du
sie nicht von unserer morgigen Eheschließung
benachrichtigen?«
»Nein!« stieß er verbissen hervor. »Ich würde es nicht
ertragen, dich von ihnen scheel ansehen – und mich wegen
meiner zweiten Heirat schmähen zu lassen.«
»Aber, aber.« Sie legte ihre Hand beschwichtigend auf die
seine, die merklich zitterte. »So schätze ich deine Lieben
nun wirklich nicht ein.«
»Du kennst sie ja gar nicht. Und nun quäle mich nicht
länger.«

Da schwieg sie, aber das Herz war ihr schwer.
Am nächsten Morgen fuhren sie zur Stadt und ließen sich
in aller Stille standesamtlich trauen. Vorher hatte Grodes
den kleinen Winfried zur Villa gebracht und ihn der
Dienerschaft anvertraut. Zwar machte man große Augen,
als der fremde Knabe so plötzlich auftauchte, aber man
nahm sich sofort liebreich seiner an. Was sie noch
erstaunte, war, daß Frau Alma ein Festessen richten sollte.
Und dann stand plötzlich der Herr in der Küche und stellte
ihnen glückstrahlend seine junge Frau vor. Doch schon
bevor sie sich noch von dieser Überraschung erholt hatten,
kam schon die zweite. Denn der Hausherr öffnete die Arme

weit und sagte lachend zu Winfried, der wie erstarrt stand.
»Nun komm schon zu deinem Paps, mein Bürschlein. Oder
möchtest du mich nicht als solchen haben?«
»Papi – du bist wirklich mein Papi – und Mutti deine
Frau?« fragte das Kind heiser vor Erregung. »Ganz wirklich
ist das wahr?«
»Junge, so komm doch endlich zu dir«, zog die Mutter ihr
Kind an sich, das am ganzen Körper zitterte. »Wir beide
haben hier eine schöne Heimat gefunden. Du brauchst
nicht mehr ins Internat zurück.«
Da warf sich der Junge mit einem Jubelruf dem

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erschütterten Mann in die Arme.
Von diesen Ereignissen hatten Grit und Alix keine Ahnung.

Sie fühlten sich immer noch glücklich im Rosenhaus.
Langeweile? O nein, die kannten sie nicht. Ihre Tage waren
so ausgefüllt, daß sie ruhig hätten länger sein können, wie
sie behaupteten. Morgens unternahm Alix zuerst ihren
gewohnten Ritt, anschließend mit Grit das Morgenbad im
See, und dann wurde mal erst ausgiebig gefrühstückt.
Hinterher suchte man sich seine Beschäftigung, die es
immer für sie gab, zumal Else geheiratet hatte und
Muttchen Brasch ohne Hilfe war. Eine neue einzustellen,
dazu war sie nicht zu bewegen.
»Die Mädchen taugen alle nichts«, entschied sie kurz und
bündig. »Und ehe ich mich mit so was abplage, mach ich

die Arbeit lieber allein.«
Man ließ ihr den Willen und griff zu, obwohl das
ehrgeizige Mariechen heftig dagegen protestierte. Das wäre
doch nichts für feine Damen. Die sollten lieber zur Stadt
fahren, Spazierengehen, lesen oder Klavier spielen. Als sie
jedoch kein Gehör fand, gab sie nach und war insgeheim
froh, daß ihr zeitraubende Arbeiten abgenommen wurden.
Vater Brasch konnte sich auch nicht gerade über
Arbeitsmangel beklagen. Er bestellte den Acker, versorgte
die Tiere, hielt Gemüse- und Ziergarten in Ordnung, fand
immer irgend etwas zu basteln. Später würde dann die
Kartoffelernte kommen, anschließend die der Rüben, kurz

und gut. Arbeit gab es immer, obwohl das Gehöft nur klein
war.
Zweimal in der Woche fuhren Grit und Alix zur Stadt, um
Besorgungen zu machen. Sie verweilten jedoch nicht länger
als nötig. Den Vergnügungen, welche die Stadt bot, konnte
man auch im Herbst und Winter nachgehen, jetzt war es
im Rosenhaus viel zu schön, um ihm länger als nötig
fernzubleiben.
Mittlerweile war es August geworden, und die Roggenernte
ging ihrem Ende entgegen. Die Landwirte hatten strammen
Dienst, also auch die von Isen. Herr und Verwalter gönnten

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sich keine Ruhe, befanden sich immer bei den Arbeitern
auf dem Feld. Gernot Isenhardt hielt es eben anders als

sein verstorbener Stiefbruder, der während der Erntezeit im
kühlen Zimmer saß, süffigen Wein trank und sich des
süßen Nichtstun erfreute.
Warum auch nicht? Er hatte ja keinen Erben, der das
wunderbare Isen nach seinem Tode übernehmen konnte.
Und der verhaßte Stiefbruder bekam noch viel zu viel.
Einen großen schuldenfreien Besitz und auch noch Geld,
das darauf ruhte – und an das der geldgierige Bucklige laut
Bestimmung nicht heran konnte.
Nun, wenn man es genau nahm, hatte Gernot Isenhardt es
gar nicht nötig, in seinem Bereich so auf Posten zu sein;
denn er besaß ein beträchtliches Privatvermögen. Doch die

Arbeit war ihm nun einmal Lebensbedürfnis, er konnte
ohne sie nicht sein.
Auch hatte der jetzige Besitzer von Isen es wahrlich nicht
nötig, um Geld zu freien. Er hätte sich ruhig ein
»Kirchmäuslein« leisten können, wenn sein Herz für es
sprach. Allein, es hatte bei diesem Skeptiker noch nicht
gesprochen.
Gernots Herz aber schlug rascher, wenn die bezaubernde
Alix Grodes auftauchte. Schmolz nicht unter den
strahlenden Augen, dem herzfrohen Lachen, der ganzen
bestrickenden Art dieses Sonnenkindes die Eiskruste, die
des Mannes Herz umgab, langsam dahin? Er grübelte nicht

lange darüber nach, er ließ sich treiben.
Und Alix? Nun, der steckte Amors Pfeil schon längst im
Herzen. Doch vorläufig tat es noch nicht weh. Es beglückte
vielmehr und gab zu süßen Träumen Anlaß.
Die beiden Menschen trafen sich nicht oft, weil der Herr
von Isen jetzt sozusagen stramm in den Sielen lag und nur
Sinn für die Ernte hatte. Da konnte nur der Zufall eine
Begegnung herbeiführen. Also auch heute. Es würde einen
heißen Tag geben; denn schon jetzt am Morgen wehte kein
kühles Lüftchen, Alix, die mit verhängten Zügeln dahinritt,
brach der Schweiß aus allen Poren. Und dabei war sie doch

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so leicht gekleidet. Eine ärmellose Bluse, weiße, kurze
Hosen und Sandaletten an den bloßen Füßen. Sie durfte es

sich erlauben, ohne Sporen zu reiten. Denn Goldlack
brauchte sie nie, gehorchte dem leisesten Druck der zarten,
aber energischen Mädchenhand.
Jetzt schlug Alix einen Weg ein, der am Waldrand
entlangführte. Vor sich sah sie wogendes Korn, grüne
Weiden, die von der stattlichen Viehherde augenblicklich
nicht gegrast wurden. Es war ihnen wohl zu heiß, den
wohlgenährten Rindern, so daß sie Schutz unter den
Bäumen suchten, die das Bächlein umsäumten.
Alix saß ab, gab dem Pferd das Maul frei, das laut wiehernd
abtrabte, um sich an dem saftigen Gras gütlich zu tun. Sie
selbst warf sich auf eine grünende Fläche, verschränkte die

Arme hinterm Kopf und sah träumend zum klarblauen
Himmel hinauf. Die Vöglein sangen im Wald, als wollten
sie ihre kleinen Kehlen bersten vor lauter Daseinsfreude.
Auf einer fernen Weide wieherten Pferde, von der nahen
kam das gemütliche Brummen der Kühe, das Bächlein
plätscherte geschwätzig dahin.
Unwillkürlich fiel ihr ein Gedicht ein, das sie nun vor sich
hin sprach, andächtig, wie ein Gebet:

»Die Ähren nicken, blau träumt der Traum,
die Winde halten den Atem an,
trag blinzelt die ruhende Herde.

Ein Chor von Grillen im Grase geigt,
und lächelnd, wie eine Mutter, neigt
der Himmel sich nieder zur Erde.«

Ein leises Applaudieren ließ sie erschrocken
zusammenfahren. Die Augen öffneten sich, deren Blick
dann den Mann umfaßte, der braungebrannt, strotzend vor
Gesundheit dastand und lächelnd auf sie herniederschaute.
Das seidene Hemd war am Hals geöffnet, die Ärmel
hochgeschoben, leichte Reithosen und Stiefel aus weichem
Leder – eine elegante und rassige Erscheinung, der Baron

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von Isenhardt.
»Ja, wo kommen Sie denn so plötzlich her?« fragte Alix

verdutzt, sich dabei aufsetzend. »Sind Sie etwa zu Fuß?«
»Keineswegs«, entgegnete er lachend. »Ich sah Goldlack
grasen und gab den sehnsüchtigen Blicken meines Rappen
nach. Nun laben sie sich gemeinsam an dem saftigen Gras,
und vertragen sich dabei glänzend – genauso wie wir beide.
Nicht wahr, gnädiges Fräulein?«
»Abwarten! Wie haben Sie mich überhaupt in diesem
Versteck aufgespürt?«
»Ich sagte mir, wo der Goldfuchs ist, kann seine Herrin
nicht weit sein. Also ging ich auf Suche. Daß mir jedoch
dabei Demeter persönlich erscheinen würde, die außerdem
noch dichterisch veranlagt ist…«

»Wieso?« fragte sie verblüfft dazwischen.
»Weil Sie so ein poetisches Verslein
vor sich hin sprachen. Etwa in dem kapriziösen Köpfchen
entstanden?«
»Da würden wohl gute Knüppelreime
zusammenkommen«, schnitt sie eine Grimasse. »Aber
vielleicht haben Sie eine poetische Ader.«
»Gott soll mich bewahren!« hob er so entsetzt die Hände,
daß Alix hellauf lachte. »Stellen Sie sich mal vor, gnädiges
Fräulein, wenn ich Sie jetzt andichten wollte. Ich glaube,
Sie würden mich wegen Beleidigung verklagen.«
In ihr klingendes Lachen einstimmend, setzte er sich neben

sie und reichte ihr das Zigarettenetui hin.
»Dürfen wir denn hier rauchen?« zögerte sie.
»Wir schon, weil wir ja nicht leichtsinnig die noch
brennende Zigarette wegwerfen.«
»Wissen Sie denn das von mir so genau?«
»Ganz genau.«
Sie errötete unter seinem sprechenden Blick, griff zu, ließ
sich Feuer geben, und sprach dann weiter:
»Sie sind nämlich schon so weit ein Landfräulein
geworden, um zu wissen, daß man im Wald und an reifen
Kornfeldern keine brennende Zigarette in die Gegend

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werfen darf.«
»Und Sie meinen, daß Städter das tun?«

»Nicht alle natürlich, dessen bin ich gewiß. Auch manche
fühlen sich im Wald nicht wohl, wenn sie ihn nicht
vollschreien können – was sie allerdings singen nennen.«
»Wie abscheulich!« warf Alix lachend ein. »Sie sind doch
nun wirklich ein ganz arger Spötter, Herr Baron.«
»Oh, bitte sehr, ich laß nur Tatsachen sprechen. Wenn die
Leutchen dann ihren Lagerplatz verlassen, ist er übersät von
Butterbrotpapieren, leeren Konservenbüchsen,
Apfelsinenschalen, zerbrochenen Flaschen und anderem
mehr. Und wehe, wenn sie ein blühendes Kornfeld
erblicken! Dann brechen sie rücksichtslos in Scharen ein,
um die schönen blauen Blumen zu pflücken und den

Strauß dann doch unterwegs wegzuwerfen, weil er ihnen
lästig wird. Wieviel Mühe sie mit dieser planlosen
Pflückerei den Menschen machen, die das zertretene Korn
mähen müssen, das ist ihnen höchst egal.
Aber wie gesagt, es sind ja nicht alle Städter solche
Banausen. Die ehren die Arbeit des Land- und Forstmannes
genauso, wie diese die ihre achten. Und so wie sie auf dem
Land Erholung suchen, suchen wir in der Stadt
Zerstreuung.
Doch will ich Sie mit meinen Ausführungen nicht länger
langweilen und meine kurze Rast beenden. Wollte hier nur
das Kornfeld in Augenschein nehmen, das am Nachmittag

in Angriff genommen werden soll.
Es ist übrigens das letzte, und wenn der Wettergott uns
immer weiter gnädig ist, bekommen wir auch diese Ernte
trocken unter Dach und Fach.«
Er schnellte hoch, und Alix sprang auf die Füße. Frisch und
sonnengebräunt stand sie vor dem Mann, der sie lächelnd
betrachtete. Ein blaues Seidenband hielt auf dem Scheitel
die goldene Lockenpracht zusammen.
»Warum lassen Sie sich nicht mehr im Schloß sehen,
gnädiges Fräulein?« fragte er vorwurfsvoll, und sie lachte.
»Sie haben mir doch eben die Betitelung: Landfräulein –

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gleich einem Orden verliehen. Und dieses weiß, daß der
Landwirt während der Hochsaison von Besuchern

verschont zu bleiben wünscht. Hauptsächlich am Alltag –
und am Sonntag bedarf er der Ruhe.«
»Nun, so arg ist es auch wieder nicht«, fiel er in ihr
fröhliches Lachen ein. »Es kommt immer darauf an, wer die
Besucher sind.«
»Danke für das versteckte Kompliment«, blitzte sie ihn an.
»Und nun mal die Gegenfrage: Warum lassen Sie sich im
Rosenhaus nicht sehen?«
»Weil ich fürchte, lästig zu fallen.«
»Ach, sehen Sie mal an.«
»Bitte nicht ironisch werden, gnädiges Fräulein!«
»Demnach bin ich bei Ihnen in eine gute Schule

gegangen.«
»Nun, so ein kleiner Racker!« lachte er nun sein warmes,
sonores Lachen. »Sie sollen mich nicht umsonst
herausgefordert haben. Am Sonntagnachmittag stelle ich
mich in Dornröschens Reich ein, um mich wieder einmal
vom Rosenduft umnebeln zu lassen. Und ich komme sogar
gern.«
Heiß schoß ihr da die Röte ins Gesicht. Ihr Blick senkte
sich vor dem aufleuchtenden des Mannes. In ihrer
Verwirrung rief sie das Pferd herbei, das dann gleich dem
Rappen munter herbeitrabte.
»Er pariert gut, der Goldlack«, sprach der Mann jetzt wieder

mit gewohnter Gelassenheit. Mit sicherer Hand legte er
beiden Pferden die Kandare an, half Alix in den Sattel, saß
selbst auf – und mit einem fröhlichen >Auf Wiedersehen<
ritt man in entgegengesetzter Richtung ab.
Allein, am Sonntag bekam Isenhardt selbst Gäste und
mußte so seinen Besuch im Rosenhaus fernmündlich
absagen. Statt seiner erschien das Ehepaar Druschmann,
kreuzfidel wie gewöhnlich.
»Endlich komme ich dazu, Ihren lieben Besuch zu
erwidern«, begrüßte man die Damen. »Aber bei uns ist
immer was los, man kommt zu rein gar nichts. Haben wir

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uns jetzt genug entschuldigt?«
Lachend nahm man auf der Terrasse Platz, wo man

natürlich auch den Kaffee trank. Man unterhielt sich
munter und sprach auch von der Ernte.
»Ist der Roggen nun eingebracht?« erkundigte Grit sich,
und der Verwalter knurrte vor Wohlbehagen.
»Das ist er, gnädige Frau. Gestern schafften wir das letzte
Fuder. Gab in diesem Jahr einen reichen Segen. Es war aber
auch während der Ernte ein Wetterchen, als ließe der liebe
Gott persönlich die Sonne scheinen. Der Herr Baron kann
seinen Geldbeutel erweitern, denn das Geld scheffelt man
so. Und wenn er sich noch das Goldfischchen einfangen
sollte, das die liebenden Eltern ihm heute so eifrig
präsentieren, dann ist der Krösus fertig.«

»Otto, was sprichst du da bloß für einen Unsinn. Es wäre ja
ein Jammer, wenn unser Herr diese vertrocknete Ziege…«
»Muttchen, benimm dich!«
»Naja«, zwinkerte sie vergnügt. »Das ist sie doch. Dazu
eingebildet und dumm bis dorthinaus, genauso wie die
Modeste.
Die lebt übrigens wieder mal in Saus und Braus«, fuhr sie
eifrig fort. »Hat sich
einen Galan mit einer dicken Brieftasche angeschafft.«
»Hat er dir denn die Brieftasche gezeigt, Altchen?«
»Natürlich nicht, aber man hört doch so allerlei.«
»Schon faul.«

»Daß der Mann einen doch nie ausreden lassen kann!«
entrüstete sie sich unter dem Gelächter der andern. »Was
ich erzähle, weiß ich aus sicherer Quelle. Also stimmt es,
daß der Mann Geld hat. Wenn die Modeste ihn doch bloß
heiraten möchte! Aber sie ist immer noch hinter dem
Herrn Baron her, wie auch die Freundin. Sie hat diese in
dem Bad kennengelernt, wo sie ihre Nerven stärkte. Und da
sich ja gleich zu gleich gern gesellt, herrscht zwischen
ihnen eine dicke Freundschaft.«
»Die eines Tages mit Ach und Krach in die Brüche gehen
wird«, konnte Druschmann wieder seinen Mund nicht

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halten. »Wie es ja gewöhnlich der Fall ist, wenn zwei
Freundinnen auf einen Mann Jagd machen.«

»Und umgekehrt ist es wohl anders, wie?«
»Das steht jetzt nicht zur Debatte«, schmunzelte er. »Aber
vielleicht werden die Freundinnen auch weiter ein Herz
und eine Seele bleiben, weil der Herr Baron beiden die
kalte Schulter zeigt. Denn daß er diese Art von Frauen
verabscheut, wissen wir ja – auch daß er überhaupt kein
Frauenfreund ist. Und nun sprich du wieder, Muttchen.«
Grit und Alix hatten ihr Vergnügen an dem fidelen
Ehepaar, bei dem man in allem die herzliche Liebe
zueinander spürte. Die hatten sich wirklich gesucht und
gefunden, wie es ja nicht immer im Leben der Fall ist.
Wie ein munteres Bächlein plätscherte der Redeschwall

Frau Druschmanns dahin. Und wenn die beiden
weiblichen Zuhörer auch nicht sonderlich daran
interessiert waren, was im Witwenhaus vor sich ging, so
hörten sie doch gern zu.
»Der Baron wird ja auch seine Erfahrungen haben«,
knüpfte Muttchen an die vorherige Bemerkung des Gatten
an. »Und daher wird er auch nicht auf die Komteß
hereinfallen, welche ihm heute präsentiert wird. Zwar ist
sie ein ganz anderer Typ als die Modeste und deren
Freundin, aber taugen tut sie auch nichts.«
»Kurz und bündig«, lachte Alix hellauf. »Und was ist nun
die Dame für ein Typ?«

»Der vor lauter Vornehmheit kaum die Lippen von den
Raffzähnen bekommt.«
»Altchen, du wirst ja boshaft«, lachte Druschmann gleich
den andern herzlich. »Aber recht hat sie, genauso ist es.«
»Also! Und da unser Herr Baron ein Schönheitsfanatiker
ist…«
»Hat er dir das gesagt?«
»Nein, aber ich weiß es auch so. Ja, um nun wieder auf die
Modeste zurückzukommen, die kann jetzt auch nicht mehr
so, wie sie will. Sie hat nämlich eine Wirtschafterin im
Hause, die sich gewissermaßen nicht an den Wimpern

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klimpern läßt. Grob, starkknochig, unliebenswürdig, aber
sehr arbeitsam und zäh wie Rindleder. Die hält spielend

den ganzen Haushalt mustergültig in Ordnung, regiert
darin wie ein grimmiger Feldwebel. Ein Herz hat sie nur für
die
kleine Gela, ihr gegenüber kann sie direkt weich und gütig
sein. Also kein Wunder, daß die Kleine sehr an ihr hängt.
Ganz und gar nicht tut es die Frau Mama. Sie möchte das
Mannweib, wie sie Justine heimlich benamst, liebend gern
aus dem Haus haben. Aber die geht nicht, da kann die
Gnädige auch noch so toben. Die sagt sich: Soll’s uns hart
ergehn, laßt uns feste steh’n.«
»Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert.
»Also hat die launenhafte, unberechenbare Baronin an

dieser Justine ihren Meister gefunden?«
»Kann man wohl sagen…«
In dem Moment erschien Gernot Isenhardt, verneigte sich
und sagte entschuldigend:
»Verzeihung, gnädige Frau, daß ich hier so formlos
einbreche. Doch es war niemand da, um mich zu melden.«
»Das ist ja auch nicht erforderlich, Herr Baron«, entgegnete
Grit liebenswürdig. »Unter Nachbarn nimmt man das nicht
so genau.«
»Verbindlichsten Dank.«
Nun begrüßte er auch die andern und nahm dann in der
gemütlichen Runde Platz. Frau Druschmann, der die

Neugierde direkt aus den Augen sprang, hätte zu gern
gewußt, ob der Baron seine Gäste hinauskomplimentiert
hatte. Doch danach zu fragen, wagte sie denn doch nicht.
Kam aber auch so auf ihre Kosten, als Isenhardt lächelnd
sagte:
»Ich konnte nicht umhin, der Einladung des gnädigen
Fräuleins«, eine galante Verneigung zu Alix hin »doch noch
Folge zu leisten, da meine Gäste früh aufbrachen.«
»Womit man mit Schiller sagen kann: Spät kommt er, doch
er kommt«, neckte Grit. »Und nun wollen wir mit einem
guten Trunk auf die hervorragende Ernte anstoßen. Erhebe

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dich, Alix, und steige in den Keller. Greif richtig zu, wir
müssen doch Ehre mit unserer Zunft einlegen.«

»Erbarmen, gnädiges Fräulein, wir sind per Auto hier!« hob
Druschmann flehend die Hände, doch sie lachte ihn aus.
»Zur Feier des Tages säumen nur Gummibäume die
Landstraße.«
Als der köstliche Rebensaft in den Gläsern funkelte, stieß
man vergnügt an. Nach dem ersten Zug schmunzelte der
Verwalter.
»Jetzt warte aber ich mit einem Schillerzitat auf: An der
Quelle saß der Knabe. Donner noch eins, dieses Weinchen
stammt bestimmt wieder aus der Privatschatulle der
Grodes’. Prosit, sie sollen leben!«
Heiter tat man Bescheid. Als Alix ihr Glas absetzte, traf ihr

Blick mit dem Gernots zusammen. Wie ein zärtliches
Streicheln berührte es sie. Wie etwas, worüber man
jauchzen und wiederum auch weinen konnte. Fröstelnd
zog sie die Schultern zusammen, legte sich tiefer im
Korbsessel zurück und lauschte der sonoren Stimme, die
sich ihr ins Herz träufelte wie süßes Gift.
Doch sie konnte sich dagegen nicht wehren und wollte es
auch nicht. Dachte gleich Philine aus Goethes Wilhelm
Meister: Wenn ich dich liebe, was geht’s dich an?
Und daß sie es tat, kam ihr jetzt erst so recht zum
Bewußtsein – auch, daß sie diese Liebe tief im Herzen
verschließen mußte.

Damit begann Amors Pfeil, der schon längst in ihrem
Herzen steckte, empfindlich zu schmerzen.
Die Tage gingen rasch dahin, aus dem August wurde
September. Über die Stoppeln der Getreidefelder wehte der
Wind, der manchmal schon recht kühl sein konnte. Auch
das Grummet war geerntet. Nun brauchten nur noch die
Hackfrüchte in Angriff genommen, das Korn gedroschen zu
werden, und die Landwirte hatten es in diesem Jahr wieder
einmal geschafft.
Jetzt sollten auch Grit und Alix ein Erntefest kennenlernen,
von dem sie zwar schon gehört hatten, aber wovon sie sich

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gar keine Vorstellung machen konnten. Isenhardt lud sie
persönlich dazu ein, und man sagte gern zu.

»Was zieht man eigentlich dazu an, Tante Grit?« fragte Alix.
»Doch nicht etwa ein Gesellschaftskleid?«
»Natürlich nicht, da es sich ja um ein Volksfest handelt.
Aber ein Dirndlkleid, das wir übrigens gar nicht besitzen,
braucht es auch nicht gerade zu sein. Also ziehe ich das
leichte Foulardkleid an, das in seiner lustigen Buntheit zu
dem Rummel gut paßt, und du schmückst dich mit dem
gestickten, weißen Gewand. Zwar sind auch das
Modellkleider, wirken jedoch raffiniert einfach.«
Sie sahen denn auch recht elegant aus
und bedauerten nun doch, sich nicht einfachere Kleider
besorgt zu haben. Aber Muttchen B rasch, das ordentlich

stolz darauf war, daß ihre beiden Damen von dem Herrn
Baron als Ehrengäste geladen wurden, zerstreute die
Bedenken mit der Begründung, daß auf dem Fest stets Staat
getrieben würde. Da zog jede ihr bestes Kleid an.
Das schien auch tatsächlich der Fall zu sein. Denn die
Landschönen prunkten in ihrem Staat, und die weiblichen
Angehörigen der Guts- und Forstbeamten trugen durchweg
zwar einfache, aber gute Kleider.
Als Grit und Alix den geschmückten Speicher betraten, war
das Fest schon in vollem Gange. Inmitten des riesigen
Raumes tanzte man zur schmissigen Blasmusik. An den
Seiten standen Tische, von denen einige mit Süßigkeiten,

Rauchwaren, Likören, Bier und Wein bestellt waren.
Girlanden aus Tannengrün und buntem Papier zogen sich
von Pfeiler zu Pfeiler. Allerlei lustige Figuren baumelten
von der Decke herab, gefertigt aus Stroh, Glanzpapier oder
Stoff. Auf der Tanzfläche wirbelte es bunt durcheinander, es
war ein farbenfrohes Bild.
Ratlos, was sie beginnen sollten, standen die
Hinzugekommenen an der Tür. Doch nicht lange, dann
eilte der Herr vom Ganzen auf sie zu. Er trug einen hellen,
leichten Anzug und sah elegant aus wie immer.
»So spät, meine Damen?« begrüßte er sie vorwurfsvoll. »Ich

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habe Sie schon zu dem feierlichen Zeremoniell erwartet.«
»Konnten wir ja nicht wissen, Herr

Baron. Das hätten Sie bei der Einladung extra betonen
müssen.«
»Allerdings war das ein Versehen von mir, worum ich jetzt
um Entschuldigung bitte, gnädige Frau.«
»Genehmigt. Herrlich ist das hier! So richtig froh und
leichtbeschwingt. Es kribbelt einem förmlich in den
Füßen.«
»So darf ich denn bitten, gnädige Frau«, verneigte er sich
galant. »Das ist nämlich die beste Gelegenheit, durch das
Gedränge zu kommen. Wie ich sehe, eilt auch bereits ein
Tänzer auf das Fräulein Nichte zu.«
»Das ist ja der Erich Druschmann«, lachte Alix fröhlich, als

der schmucke junge Mann sich vor ihr verneigte. »Sie sind
aber gewachsen.«
»Wir haben uns ja auch jahrelang nicht gesehen, gnädiges
Fräulein«, strahlte er sie mit seinen blauen Augen an. »Darf
ich Ihnen ein Kompliment machen?«
»Um alles nicht, tanzen ist mir lieber.«
So drehten sich denn auch diese beiden Paare vergnügt,
und als die Musik schwieg, führten die Herren ihre Damen
an den sogenannten Herrschaftstisch. Sie wurden mit den
Guts- und Forstbeamten nebst deren Angehörigen bekannt
gemacht – und das waren nicht wenige. Namen schwirrten
auf, unmöglich, sie alle zu behalten.

Dann saßen Grit und Alix unter der fröhlichen Gesellschaft
und fühlten sich pudelwohl. Erich Druschmann hatte sich
neben Alix placiert. Ein schneidiger junger Mann, der nach
einem Vierteljahrhundert wahrscheinlich aussehen würde
wie sein Vater heute.
An der anderen Seite des Mädchens
saß ein junger Forstmann, der Sohn des Oberförsters. Ein
bildhübscher Bursche, mit kecken Grauaugen und
dunklem Kraushaar. Sie kleidete ihn gut, die grüne
Uniform der Jäger. Alix konnte sich denken, daß die
Mädchen ihn gern sahen.

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Grit hatte ihren Platz neben dem Oberförster und Otto
Druschmann gefunden. Und wo diese Spaßvögel waren,

konnte es nur Heiterkeit geben.
Und dann standen wie hergezaubert Berge von Kuchen auf
dem Tisch. Tassen wurden gebracht, in die aus riesigen
Kannen der belebende braune Trank floß. Mit gutem
Appetit griff man zu und war dabei fidel.
Denn heute war ja der Tag der Freude für alle, die so emsig
gearbeitet hatten. Das Fest bedeutete einen Dank des
Gutsherrn an seine Getreuen.
Ein hellklingendes Lachen kam von der Stelle her, wo Alix
zwischen den beiden forschen Herrn saß. Es flutete wie
eine Welle der Freude durch den riesengroßen Raum und
ließ so manchen Mund schmunzeln.

»Potztausend, gnädige Frau, das Fräulein Nichte wirkt ja
wie ein Jungquell auf uns Bejahrte«, sagte der Oberförster
zu Grit, sich unternehmend seinen Graubart streichend.
»Da kann man wohl sagen, altes Herz wird wieder jung.
Hoffentlich schaut mein Junge nicht zu tief in diese
strahlenden Dornröschenaugen.«
»Tut er bestimmt«, warf die Gattin, die neben Isenhardt
schräg gegenüber saß, trocken hin. »Sonst müßte er ja nicht
der echte Sohn seines Vaters sein.«
Man lachte, wie man es heute so gern
und willig tat. Manch ein Scherzwort flog hin und her,
lustig aufgefangen und schlagartig zurückgegeben.

Auch der Gutsherr wurde heute davon nicht verschont.
Man benahm sich ihm gegenüber durchaus nicht
respektlos, das ließ schon allein seine gebietende
Persönlichkeit nicht zu. Aber man zog ihn in den lustigen
Trubel mit hinein, und schmunzelnd machte er mit.
Nach der Kaffeetafel kam dann wieder der Tanz, dem selbst
die Omas begeistert huldigten. Solche seltenen Tage mußte
man genießen, mußte sie so recht von Herzen auskosten.
Wenn man durstig war, feuchtete man die lechzende Kehle
an. Es gab ja Auswahl genug auf den langen Tischen.
Leckermäulchen kamen auch nicht zu kurz und die

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Raucher schon gar nicht.
Die beiden Ehrengäste mußten gehörig das Tanzbein

schwingen. Wenn ein Tänzer sie an den Tisch
zurückbrachte, stand schon ein anderer da.
So gelang es Isenhardt erst nach dem Abendessen, an dem
es Berge von belegten Broten, verschiedene Salate,
Marinaden und Bier gab, sich einen Tanz bei Alix zu
sichern. Leicht und beschwingt drehte sich das elegante
Paar nach einer schmeichelnden Walzerweise. Und wenn
das Mädchen nicht schon längst sein Herz an den Mann
verloren gehabt, hätte es jetzt unweigerlich daran glauben
müssen. Wenn sie den Blick hob, sah sie über sich das
gebräunte, stolze Männerantlitz, um dessen harten Mund
ein Lächeln lag.

Und die Augen?
Ja, die führten eine ganz eigene Sprache. Also war es schon
besser, ihnen auszuweichen, was Alix dann auch beharrlich
tat. Sie hätte jauchzen mögen und wiederum auch weinen,
so bittersüß war das Gefühl, das ihr Herz überflutete.
Man darf vom Schicksal auch nicht zuviel verlangen, das
sie sowieso schon auf die Sonnenseite des Lebens gestellt
hatte.
So sprach das junge Menschenkind sich selber gut zu –
aber das Herz tat ihm dabei doch bitter weh.
Allmählich begann die Fröhlichkeit in Ausgelassensein
überzugehen. Kein Wunder, da schon manche voll des

süßen Weines waren. Und als es gar zwischen zwei
eifersüchtigen Burschen zu Handgreiflichkeiten kommen
sollte, die der Gutsherr jedoch energisch unterband, trat er
hinterher zu Grit und sagte leise:
»Jetzt wird es Zeit zum Aufbruch, gnädige Frau. Wenn ich
auch dafür sorgen werde, daß die Stimmung hier nicht
ausartet, so möchte ich Ihnen und dem Fräulein Nichte
jeden kleinsten peinlichen Zwischenfall ersparen. Sie
verstehen mich doch?«
»Selbstverständlich, Herr Baron.«
»Danke, Bitte mich jetzt zu entschuldigen. Ich ziehe nur

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rasch den Reitdreß an, damit ich Ihnen zu Pferd das Geleit
geben kann.«

»Das ist doch gar nicht erforderlich.«
»Doch, gnädige Frau. Es ist Nacht – und gerade die scheut
das Gesindel nicht.«
Damit ging er, und Grit verständigte Alix. Wenig später
saßen sie im Auto und waren nun doch froh, den Reiter
neben sich zu wissen. Denn es tauchten auf der Straße hie
und da Gestalten auf. Und
wenn es wahrscheinlich auch nur harmlose Liebespärchen
waren, so konnten die Damen in dem offenen Wagen
dennoch belästigt werden.
Eben torkelte ein Pärchen quer über den Weg. Aber nicht
liebend Hand in Hand, sondern im gewissen Abstand. Und

sobald das Mädchen sich näherte, schob der Mann es
schroff von sich.
Nun klang die Mädchenstimme in herzzerreißendem
Gesang auf:
»Liebst du mich denn gar nicht
mehr,
willst du mich verlassen?
Willst du mich denn gar nicht mehr,
um die Taille fassen…«
»Der Mann muß ja direkt ein Herz von Stein haben«,
bemerkte Grit trocken, und Gernot schmunzelte.
»Das wird bestimmt bald erweichen.«

Und tatsächlich, als der Wagen an dem Pärchen langsam
vorüberrollte, torkelte es beseligt Hand in Hand.
»Nun, gnädige Frau, habe ich recht?«
»Kann man wohl sagen«, war die lachende Erwiderung. »Er
grollt nicht mehr – und sie ist glücklich.«
Obwohl die Straße jetzt unbelebt war, fuhr Alix trotzdem
vorsichtig weiter.
Einige Minuten später hatte man das Rosenhaus erreicht,
und da stand auch schon der gute Hausgeist da und öffnete
das Hoftor.
»Vater Brasch, schlafen Sie denn noch nicht?« fragte Grit

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verwundert, und er sah sie vorwurfsvoll an.
»Aber, gnädige Frau, ich werde doch nicht zu Bett gehen,

wenn unsere beiden Damen so spät noch unterwegs sind.
Und gar noch heute, wo es Betrunkene auf der Straße gibt.
Denn ich wußte ja
nicht, daß der Herr Baron so freundlich sein würde, die
Damen nach Hause zu bringen.«
»Tantchen, wie geht es uns doch gut«, lachte Alix fröhlich,
während sie aus dem Wagen sprang und die Wange des
Getreuen streichelte, worüber Gernot sich beschwerte:
»So – und ich soll wohl leer ausgehen, wie? Gnädige Frau,
schreiten Sie gegen diese Ungerechtigkeit ein.«
»Wird prompt besorgt«, entgegnete sie spitzbübisch und
ließ ihre Finger spielerisch über die Männerwange gleiten.

»Nun, fühlen Sie sich immer noch zurückgesetzt?«
»Bewahre«, lachte er gleich den andern. »So was ist Labsal
für unser Herz. Nicht wahr, Vater Brasch?«
»Und wie, Herr Baron«, kam die Antwort schmunzelnd.
»So zarte Fingerchen haben’s in sich.«
Mit herzlichem Dank wurde Isenhardt von den Damen
verabschiedet. Alix brachte das Auto in den Schuppen und
folgte dann der Tante, die bereits in ihrem Zimmer stand
und die Nichte forschend betrachtete.
»Du bist ja so blaß, mein Kleines. Müde, zu viel getanzt?«
»Ja«, bemühte sich das Mädchen, einen harmlosen Ton
anzuschlagen. »Ich spüre meine Beine gehörig. Aber schön

war es doch.«
»Will ich meinen«, kam es unter herzhaftem Gähnen
zurück. »So nett habe ich mir ein Erntefest nicht
vorgestellt.«
»Heute hatte ich so richtig die Gelegenheit, zu beobachten,
wie beliebt der Gutsherr bei seinen Untergebenen ist. Er
hat aber auch eine Art, mit ihnen umzugehen, die man
bewundern muß. Denn es gehört viel Feingefühl dazu, für
jeden den richtigen Ton zu finden.
Und wie er die beiden Burschen bändigte. Nur ein scharfer
Blick, ein herrisches Wort – und schon ließen sie

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voneinander ab. Schade, daß ich nicht ein
Vierteljahrhundert jünger bin – ja, warum lachst du denn

so, Mädchen?«
»Weil du wie ein Backfisch schwärmst. Mach mir keinen
Kummer, Gritchen!«
»Warum denn nicht? Du weißt doch: Alte Scheunen
brennen am hellsten.«
Lachend trennte man sich zur guten Nacht. Doch während
bei Grit der Schlaf tief und traumlos war, umwehten irre
Träume das junge Menschenkind, dessen Herzchen Amors
Pfeil so schwer getroffen hatte.
Der Wettergott war in diesem Jahr besonders gnädig
gestimmt. Denn er hatte ein Wetter gebracht, daß selbst die
Nörgler zufriedenstellen mußte. Schon vom Frühjahr an

gab es viel Sonne und Regen fast nur nach Wunsch der
Landwirte. Kein Wunder also, daß die Ernte eine
vortreffliche wurde, ob es sich da um Korn, Heu,
Hackfrüchte oder Obst handelte. Überall gab es reichen
Segen.
Auch im Rosenhaus. Das Beerenobst war schon eingekocht,
und nun kamen die anderen Früchte heran. Emsig war man
dabei, sie von Bäumen und Spalieren zu holen, wobei die
beiden Damen natürlich mithalfen. Hauptsächlich Alix
machte das einen Riesenspaß. Wie ein Eichkätzchen
kletterte sie auf die Bäume, so daß die Tante oft genug
Angst ausstand.

So auch heute, als das Mädchen hoch oben in einem
Pflaumenbaum saß und gar noch mit den Beinen
schlenkerte.
»Du kommst sofort ‘runter, du leichtsinniges Gör!« gebot
die Tante, doch nur ein hellklingendes Lachen war die
Antwort darauf.
Und dann verhielt der Schelm sich still, weil er etwas
erspäht hatte, was tausend Teufelchen in den Augen tanzen
ließ. Geschickt knipsten die Finger Pflaumenkerne nach
unten, wo ein Reiter den Weg daherkam. Jedes der kleinen
Geschosse erreichte sein Ziel, traf Arm und Schulter des

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Mannes, der sich zuerst verdutzt umsah und dann Grit
bemerkte, die unter dem Baum stand und die Pflaumen

pflückte, die sie von unten erreichen konnte. Der Reiter
hielt am Zaun, rief lachend hinüber:
»Danke für den prasselnden Empfang, gnädige Frau.«
Sie fuhr herum und sah ihn verständnislos an.
»Prasselnder Empfang?« wiederholte sie langsam. »Ich
bemerke Sie ja jetzt erst, Herr Baron. Womit soll ich
überhaupt geprasselt haben?«
»Mit Pflaumenkernen.«
»Aha, nun kommen wir der Sache schon näher. Schauen
Sie mal den Baum hinauf, dann haben Sie die hinterhältige
Schützin.«
»Tante Grit, das ist Verrat!« kam eine lachende Stimme von

oben. Ein Rauschen im Laub, ein Körper wurde sichtbar,
der sich geschmeidig von Ast zu Ast schwang, ein letzter
kühner Sprung – und Alix stand strahlend vor den beiden
Menschen. Doch dann wurde Grit munter.
»Du gräßliches Mädchen!« schalt sie aufgebracht. »Du
kannst einem ja einen Schreck einjagen, bei dem man an
der Hälfte genug hat. Komm mir ja nicht zu nahe, sonst
rutscht meine Hand aus.«
»Aber, Gritchen«, lachte der Schelm sie lieblich an. Die
Augen blitzten nur so in dem gebräunten Gesicht. Golden
drängten sich die Löcklein unter dem leichten Tuch hervor,
das, um den Kopf gelegt, im Nacken zu einer kecken

Schleife gebunden war. Der grazile Körper steckte in einem
lustigbunten Kleidchen, welches das reizende
Menschenkind jung und süß erscheinen ließ.
Und dem sollte man böse sein? Die Tante konnte es
jedenfalls nicht. Denn sie lachte bereits wieder – und schon
war der Nichtsnutz wieder obenauf.
»Na also, Gritchen, warum denn gleich so böse. Ich tu’s
bestimmt nicht wieder.
Aber was machen Sie denn für ein Gesicht, Herr Baron.
Gerade so, als ob Sie mich verprügeln möchten.«
»Was ich liebend gern täte – wenn ich das Recht dazu

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hätte.«
»Da bin ich aber froh, daß Sie es nicht haben«, schnitt sie

eine drollige Grimasse. »Sitzen Sie nicht weiter auf Ihrem
hohen Roß, sondern steigen Sie herab zu uns
gewöhnlichen Sterblichen.«
Da mußte der Mann denn doch lachen. Er saß ab und
übergab das Pferd B rasch, der herbeigeeilt war. Alix holte
rasch den Schlüssel herbei, öffnete die kleine Pforte und
versank dann vor Gernot in einem vorbildlichen
Hofknicks.
»Seid mir gegrüßt, vieledler Herr. Teilet mit mir mein
kärgliches Brot.«
»Na, so ein übermütiger Racker!« drohte er schmunzelnd.
»Wie werden Sie mit dem überhaupt fertig, gnädige Frau?«

»Ich dulde«, war die elegische Antwort.
Lachend betrat man die Terrasse, wo auch schon Muttchen
Brasch mit einem kühlen Trank erschien.
»Wohl bekomm’s den Herrschaften. Es ist ein Zaubertrank,
gewürzt mit Rosenblättern.«
»Auch das noch«, seufzte der Mann. »Ist es denn nicht
schon genug, daß man von dem Duft umnebelt wird, muß
man ihn jetzt sogar noch schlucken, Muttchen Brasch?«
»Doppelt genäht, hält besser, Herr Baron«, zwinkerte sie
ihm vergnügt zu Dann ging sie, und Alix goß den kühlen
Trank aus der bauchigen Kanne in die Gläser, in denen es
rubinrot leuchtete.

»Soll ich denn durchaus hier betört werden?« klagte der
Mann nach dem ersten Schluck, und Grit meinte trocken:
»Wehren Sie sich doch dagegen, Sie kommen mir übrigens
gar nicht so vor, als ob Sie sich von Rosendüften umnebeln
ließen. Der Duft vom reifen Korn und Heu ist Ihnen
entschieden lieber, stimmt’s?«
»Immer alles zu seiner Zeit«, blitzte es in seinen Augen auf.
»Meinen Sie nicht auch, gnädige Frau, daß all die Düfte
zusammen eine gute Mischung geben?«
»Da bin ich überfragt«, tat sie lachend ab. »Verlieren wir
uns nicht in Philosophie. Dafür bin ich augenblicklich zu

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pomadig.«
Es war einige Tage später, als Alix dem Baron auf ihrem

Morgenritt wieder begegnete. Man begrüßte sich, dann
setzte man gemeinsam den Weg fort. Alix ärgerte sich, dem
Mann jetzt nicht mehr so frei in die Augen sehen zu
können wie früher. Aber es ging nicht, weil sie auf der Hut
sein mußte, ihm durch keinen Blick ihre Liebe zu verraten.
Denn daß er ihr nur freundschaftlich gegenüberstand,
dessen war sie gewiß. Sonst hätte er bestimmt nicht in
seiner gewohnten Gelassenheit verharren können. Denn
schließlich war er ja der Mann und daher der Werbende –
wenn er es sein wollte. Aber er wollte eben nicht – und das
genügte der stolzen und sensiblen Alix Grodes.
»Höchste Zeit, daß ich nach Hause komme«, warf sie einen

Blick auf die Armbanduhr. »Tante Grit wartet nicht gern
mit dem Frühstück, und vorher wollen wir noch unser
gewohntes Morgenbad im See nehmen. Da muß ich mich
also tummeln und werde den nächsten Weg zum
Rosenhaus wählen, Sie wissen doch, Herr Baron, den wir
schon einmal geritten sind…«
»Und auf dem Sie sich bestimmt verirren würden«, warf er
trocken ein. »Also werde ich Ihnen auch diesmal das Geleit
geben.«
»Wenn Sie so viel Zeit haben, dann bitte sehr.«
Um auf den Weg zu kommen, mußten sie die Parkmauer
entlang reiten. Dort war es schattig und recht kühl, so daß

Alix, die wie gewöhnlich eine leichte Bluse mit kurzen
Ärmeln trug, fröstelnd erschauerte. Und ehe sie sich so
recht versah, hatte der Mann schon seine
Jacke ausgezogen und sie ihr über die Schultern gehängt.
Also eine ganze harmlose Angelegenheit, die jedoch auch
anders aufgefaßt werden konnte, nämlich: daß der Mann
das Mädchen umarmte.
Der Meinung waren auch die Modeste und ihre Freundin,
die ausgerechnet jetzt an dem schmiedeeisernen Tor
standen und von da aus das Reiterpaar gut beobachten
konnten. Und da sie ja beide hinter dem Baron her waren,

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erboste sie der Anblick.
»Ach, sieh mal an«, höhnte die Modeste, als die Pferde im

Schritt am Tor vorüberkamen. »Die Schnapsprinzeß im
trauten Tete-a-tete mit dem Herrn Baron, auf den sie ja
schon lange Jagd machte.«
»Wie ihr Vater es bei mir tat«, lachte die andere schrill in
die hämischen Worte hinein. »Es hat mir immer riesigen
Spaß gemacht, den alten verliebten Trottel an der Nase
herumzuführen – der nach Höhenluft strebte, wie seine
Tochter auch. Aber der hochnäsige Herr Baron wird sich
hüten, eine Schnapsprinzeß zu freien – die jedoch als
galantes Abenteuer ganz ideal sein wird.«
Ein ächzender Laut kam von der Stelle her, wo Alix wie
erstarrt auf dem Pferd saß – todblaß, in den Augen den

Ausdruck des Ekels…
Langsam kam dann Leben in ihre wie versteinerte Gestalt.
Sie nahm die Jacke ab, warf sie dem Mann zu und maß
dann die beiden Weiber – denn anders konnte man sie ja
nicht nennen – mit einem Blick, der vor Verachtung nur so
sprühte.
»Pfui Teufel«, sagte sie langsam. »Wie kann ein Mensch nur
so gemein sein.«
Damit warf sie ihr Pferd herum und jagte davon, als wäre
der Böse hinter ihr drein.
»Pfui Teufel«, sagte nun auch der Mann zu den
Freundinnen, die wahrlich einander würdig waren. »Wenn

Sie nun nicht Frauen wären, würde ich Ihnen meine
Reitpeitsche rechts und links um die Ohren schlagen. Aber
ich glaube, ich tue es dennoch, sofern Sie es noch einmal
wagen sollten, meine Braut zu beleidigen. In der Beziehung
verstehe ich nämlich keinen Spaß.«
Hart und scharf war das gesagt, so daß die Freundinnen
sich unwillkürlich duckten. Und da sie beide feige waren,
rannten sie ins Haus und knallten die Tür hinter sich zu.
Indes jagte Alix zum Rosenhaus hin, das sie bei dem
Tempo auch bald erreicht hatte. Brasch nahm ihr
kopfschüttelnd das Pferd ab, das schweißbedeckt war.

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Doch er schwieg nach einem Blick in das verstörte
Mädchengesicht und zog brummend ab, während Alix ins

Wohnzimmer lief, wo Grit geruhsam saß. Sie warf sich in
einen Sessel, drückte das Gesicht in die Seitenlehne und
weinte so hemmungslos, als müßte sie sich die Seele
ausschluchzen. Zutiefst erschrocken trat die Tante zu ihr
und umfaßte die zuckenden Schultern.
»Um Gott, Kind, was ist dir denn geschehen?« fragte sie
zitternd vor Erregung. »So sprich doch endlich, ich komme
ja vor Angst noch um!«
Es dauerte aber doch noch minutenlang, bis Alix sich
soweit beruhigt hatte, um berichten zu können. Sie tat es
abgehackt, wurde zwischendurch immer vom Weinen
geschüttelt. Grit war dermaßen empört, daß sie am liebsten

zu den nichtswürdigen Kreaturen gelaufen wäre und sie
geohrfeigt hätte. Doch da das nicht gut anging, mußte sie
ihrer Empörung in Worten Luft machen:
»Solche Schandmäuler! Man müßte sie ihnen blutig
schlagen! Aber laß nur, mein Kind, der Baron wird das
schon besorgen. Wenn auch nicht direkt handgreiflich, so
aber auf andere Art.«
»Ach, Tante Grit, wie gräßlich ist das doch alles! Ich muß
mir ja vor Isenhardt die Augen aus dem Kopf schämen!«
»Na, nun mal nicht gleich so verzweifelt, mein Kind«,
beschwichtigte die andere gütig. »Der Mann weiß ja, was er
von dir zu halten hat – und das ist vor allem wichtig.

Gegen geifernde Klatschmäuler kommt man eben schlecht
an, denen ist jeder Mensch ausgesetzt.
Und jetzt muß ich mich erst einmal von meiner
Überraschung erholen, daß die Freundin dieser Modeste
die Daisy von Tees ist. Also kann dein Vater sie unmöglich
geheiratet haben.«
»Siehst du, Tante Grit, der Anblick der Person überraschte
auch mich maßlos. Aber ich kam gar nicht dazu, über das
kaum Begreifliche nachzudenken, weil das andere mich
völlig verstörte.«
»Das kann ich mir denken. Doch jetzt sei mal mein

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vernünftiges kleines Mädchen und rege dich nicht länger
über ein so niederträchtiges Gewäsch auf. Gehen wir lieber

daran, die mysteriöse Angelegenheit um deinen Vater zu
klären.«
»Vielleicht hat Paps die Tees doch geheiratet, und sie
verbringt nur die Ferien bei der Baronin.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, Alix. Der würde die
Ferien mit seiner Frau verleben, verlaß dich darauf.«
»Oder ihm sind die Augen bereits aufgegangen, und er hat
sie davongejagt.«
»Sobald schon?« zweifelte Grit. »Du mußt bedenken, daß
es noch nicht einmal fünf Monate her sind, da er sich mit
Heiratsabsichten trug. Bis die Ehe zustande kommen
konnte, mußte eine bestimmte Zeit verstreichen, und die

Tees weilt doch schon wochenlang bei ihrer Freundin,
soviel wir gehört haben. Nein, mein Kind, da stimmt etwas
nicht, was wir unbedingt herausbekommen müssen.
Natürlich muß man da vorsichtig vorgehen, um deinen
Vater nicht zu blamieren. Aber laß man, irgendwie kriegen
wir das schon hin.«
»Hör mal, Tante Grit, wenn Paps die Tees wirklich nicht
geheiratet hat, dann haben wir ihm doch bitter unrecht
getan, indem wir ihn verließen.«
»Nein, mein Mädchen, das haben wir nicht. Denn wie die
Dinge damals lagen, blieb uns nichts anderes übrig, als aus
dem Haus zu gehen. Darüber mach dir keine

Gewissensbisse – und nun hopp, gehen wir baden! Ein
kühles Bad wird uns beiden guttun.«
Es war einige Stunden später, als Alix schreckensbleich ins
Zimmer stürmte und der Tante damit erneut einen Schreck
einjagte.
»Mädchen, was ist denn jetzt schon wieder passiert?«
»Tante Grit, der Baron ist eben auf
den Hof gefahren! Ich kann ihm jetzt noch nicht unter die
Augen treten.«
Damit lief sie hinaus, und keine Minute zu früh, denn in
der andern Tür erschien Mariechen und meldete den Baron

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von Isenhardt.
»Denn man ‘rein in die gute Stube!« schlug Grit absichtlich

einen frischen Ton an und sah dann dem Besucher
entgegen, der einen dunklen Anzug trug und sehr ernst
war.
»So feierlich, Herr Baron?« fragte sie verwundert, und da
lächelte er leicht.
»Mir ist auch feierlich zumute, gnädige Frau.«
Sie nahmen Platz, und Grit sah ihn erwartungsvoll an, der
dann auch sozusagen mit der Tür ins Haus fiel.
»Hat Fräulein Grodes von der unerquicklichen
Angelegenheit gesprochen,
gnädige Frau?«
»Ja. Sie war sehr verstört, meine arme Kleine.«

»Kann ich mir denken«, lachte er kurz auf. »Da muß man
schon sagen: So ein Otterngezücht! Leider kann ich
Fräulein Grodes keine andere Genugtuung geben, als daß
ich sie bitte, die Verlobung anzuerkennen, die ich den
Lästerzungen bereits proklamierte. Denn als Verlobter habe
ich das Recht, meine Braut zu umarmen – was man ja
annahm, als ich der jungen Dame meine Jacke um die
Schultern legte. Zwar habe ich den Schandmäulern
angedroht, sie ihnen mit der Reitpeitsche zu stopfen, falls
sie meine Braut noch einmal beleidigen sollten, aber ich
glaube nicht, daß diese Drohung etwas nützen wird. Ich
nehme vielmehr an, daß diese Verlobung bereits

verschiedentlich bekannt sein wird.«
»Hören Sie bloß auf!« griff Grit sich nervös an die Schläfen.
»Mir wird ja direkt angst und bange. Denn soweit ich
meine Nichte kenne, wird sie Ihr Opfer nicht annehmen,
Herr Baron. Sie ist in der Beziehung äußerst sensibel.«
»Ich höre immer Opfer, gnädige Frau. Ich würde es nicht
bringen, eher Fräulein Grodes. Darf ich sie mal sprechen?«
»Nein«, wehrte sie entschieden ab. »Das arme Kind ist
ohnehin schon verstört genug. Wollen wir es erst diesen
Schock überwinden lassen.«
»Wie Sie wünschen, gnädige Frau«, kam es kühl zurück.

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»Ich möchte Sie jedoch bitten, dem Fräulein Nichte meinen
– Vorschlag zu unterbreiten und mich dann wissen zu

lassen, wie die junge Dame sich entschieden hat.«
Damit stand er auf, neigte sich höflich über die feine
Frauenhand, dann ging er. Und kaum, daß der Wagen vom
Hof gefahren war, erschien Alix im Zimmer.
»Tante Grit, was wollte er hier?«
»Ach, Grit, du wirst hören und staunen.«
Das tat Alix denn auch wirklich, als die Tante das Gespräch
wörtlich wiedergab. Doch dann fuhr sie empört auf.
»Was denkt der Mann sich eigentlich, mich als seine
Verlobte auszugeben? Unerhört finde ich das.«
»Nun mal nicht so aufgeregt, mein Kind«, unterbrach die
Tante sie ruhig. »Es ist weiß Gott ritterlich von dem

Mann…«
»Laß mich in Ruhe!«
»Na schön. Ich sehe schon, daß mit dir jetzt nicht
vernünftig zu reden ist.«
Die Tür schlug zu, und Alix hetzte die Treppe hinauf nach
ihrem Zimmer, wo sie sich auf das Sofa warf – ihr war
sterbenselend zumute.
Was nun?
Sie konnte doch unmöglich die Braut des Mannes werden,
den sie mit jeder Faser ihres Herzens liebte – und dem sie
ihre Liebe nicht zeigen durfte. Das hielt sie einfach nicht
aus. Ja, wenn auch er sie lieben würde, ein ganz klein

wenig nur, aber nichts ließ doch darauf schließen. Und aus
Ritterlichkeit geheiratet zu werden, dafür dankte sie nun
wirklich. Mochte man sich ruhig die Klatschmäuler
zerreißen, sie wich ihnen aus, indem sie das Rosenhaus
verließ und in ihr Elternhaus zurückkehrte. Lieber mit
allem zufrieden sein, was da auch sein mochte – als mit
einem Herzen voll Liebe heiraten – und dieses allmächtige
Gefühl gegen farblose Freundlichkeit eintauschen.
Allerdings würde Isenhardt, wenn sie ging, den
Lästerzungen allein ausgesetzt sein, aber er würde sich
schon dagegen wehren. Er würde ihr sogar Dank wissen,

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wenn sie stillschweigend von hier verschwand. Denn leicht
konnte es ihm ja nicht fallen, ein ungeliebtes Mädchen zu

heiraten.
So quälte die junge, unerfahrene Alix sich herum, nicht ein
noch aus wissend in ihrer Herzensnot. Da half ihrer
Ansicht nach nur Flucht.
Als sie dann später an der Mittagstafel erschien, erwähnte
die Tante die Geschehnisse des Morgens und Vormittags
mit keinem Wort. Alix selbst fing davon an, als man beim
Mokka saß.
»Tante Grit«, begann sie zögernd. »Wie wäre es, wenn wir
nach Hause zurückkehrten? Das wäre doch die beste
Lösung – meine ich.«
»Hm – und an Isenhardt denkst du nicht?«

»Doch – sehr sogar. Glaube nur, er wird mir dankbar sein,
wenn er sein Wort, das er nur aus Ritterlichkeit gab, nicht
einzulösen braucht.«
»Vielleicht – vielleicht auch nicht. Es ist sehr schwer, aus
diesem verschlossenen, beherrschten Mann klug zu
werden.
Und nun, mein Kind, nimm den Rat deiner Tante an, die
erfahrener ist als du. Überstürze nichts, warte erst mal
einige Tage ab. Gilt’s, mein Herz?«
»Ja, Tante Grit. Wenn du mir dazu rätst, dann tue ich es
auch. Ich bin, wenn ich auf dich hörte, immer noch gut
weggekommen.

Aber schau mal, da fährt ja wieder ein Auto auf den Hof«,
zeigte sie aufgeregt zum Fenster hin. »Ob Isenhardt sich
etwa meine Antwort holen kommt?«
»Das glaube ich nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Dazu ist
der Mann denn doch zu stolz. Außerdem ist es nicht sein
Auto, sondern ein Mietwagen, dem jetzt eine Dame mit
einem kleinen Jungen entsteigt. Nun lohnt sie den Fahrer
ab – merkwürdig.«
Gleich darauf erschien Muttchen Brasch und meldete
aufgeregt eine Dame, die ihren Namen nicht nennen
wollte. Sie hätte hier jedoch etwas Dringendes zu erledigen.

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»Führen Sie die Dame hierher«, entschied Grit
kurzentschlossen – und sah dann gespannt den Fremden

entgegen, die ins Zimmer traten, dessen Tür Mariechen von
außen schloß.
»Entschuldigen die Damen gütigst unser formloses
Eindringen«, sprach nun eine warme Stimme in die Stille
hinein. »Gestatten Sie mir und meinem Sohn, unser
Anliegen vorzubringen. Danach sollen Sie entscheiden, ob
wir bleiben dürfen oder nicht.«
»Bitte«, zeigte Grit sehr zurückhaltend auf einen Sessel, in
den die Dame sich setzte und den Jungen dicht zu sich
heranzog. Blitzschnell nahmen Grit und Alix das
Signalement der Fremden in sich auf: Die Frau,
gutaussehend, mit vornehmer Eleganz gekleidet, sehr

gewandt – unbedingt Dame. Der Junge: Einfach
entzückend. Jedenfalls beide vertrauenerweckend und sehr
sympathisch.
»Ja – ich weiß wirklich nicht, wie ich beginnen soll«, setzte
die Dame verlegen an – doch schon nahm der Sohn ihr
den schwierigen Anfang ab. Ehe die Mutter es verhindern
konnte, trat er auf das junge Mädchen zu, legte seine Hand
auf ihr Knie und fragte zutraulich:
»Nicht wahr, du bist meine große Schwester Alix?«
Zuerst einmal Stille, in der einer des andern Herzschlag zu
hören glaubte. Und dann sprach Grit, die sich faßte:
»Wie heißt du denn, kleiner Mann?« fragte sie mit einer

Stimme, in der die Erregung zitterte – und prompt erfolgte
die Antwort:
»Ich heiße jetzt noch Winfried Härder – aber bald werde
ich Winfried Grodes heißen – sagt mein Paps.«
»Ja – um alles in der Welt, wer ist denn dieser Paps?«
»Nun, der von Alix«, begann das Bürschchen wie
selbstverständlich – und
da hatten Tante und Nichte endlich begriffen.
»Demnach sind Sie die Frau meines Bruders?« fragte Grit
kurz.
»So ist es. Und ich hoffe, daß Sie mir darum nicht gram

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sind.«
»Ich glaube nicht«, kam die Antwort gedehnt. »Doch nun

wären meine Nichte und ich Ihnen für einen ausführlichen
Bericht dankbar.«
Da sprach Elga denn, zuerst stockend, dann immer
flüssiger. Fing mit dem Tag an, da sie in die Villa kam, und
schloß mit dem heutigen.
Dann war es wieder zuerst einmal still. Winfried war zur
Mutter getreten und schmiegte sich ängstlich an sie. Der
aufgeweckte Knabe wußte ganz genau, daß es hier um viel
ging.
Und dann sprach Elga weiter:
»Glauben Sie mir, meine Damen, ich habe nichts
unversucht gelassen, um Egon zu bewegen, Tochter und

Schwester zurückzurufen. Doch es ist nicht sein Dickkopf
allein, der mich jedesmal schroff abfallen ließ. Er ist
vielmehr aufs tiefste verletzt, von den Seinen so schnöde
im Stich gelassen worden zu sein, wie er es nennt. Dabei
sehnt er sich nach seinen Lieben, was er natürlich
abstreitet. Und ich kann nicht so restlos glücklich sein, wie
ich es gern möchte.
Schauen Sie, meine Damen, es ist ein niederdrückendes
Gefühl für eine Frau, die ein Kind mit in die Ehe brachte,
mit anzusehen, wie diesem Stiefkind alle Sohnesrechte
eingeräumt werden, während der eigenen Tochter das
Elternhaus verschlossen ist – oder besser gesagt, die es

meidet. Und da ich diesen Zustand nicht länger ertragen
kann, bin ich nun
hier mit der herzlichen Bitte: Kehren Sie zurück, Sie werden
bestimmt mit offenen Armen empfangen werden. Sie
machen einen Mann damit glücklich – und seine Frau
auch«, schloß sie leise. Da gaben Tante und Nichte ihre
Zurückhaltung auf. Doch während letztere immer noch
schwieg, sagte erstere herzlich:
»Wenn es so ist, wollen wir mit meinem Bruder Frieden
schließen. Unsere Ablehnung galt ja nicht seiner Heirat als
solcher, sondern dem Mädchen, das er zu ehelichen

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gedachte. Wissen Sie darüber Bescheid?«
»O ja, genau sogar. Egon selbst erzählte mir – nun, darüber

sprechen wir später«, meinte sie mit einem bezeichnenden
Blick auf den Jungen. »Sind wir nun in Gnaden
aufgenommen?«
»Und wie! Nicht wahr, Alix?«
»Von Herzen gern.«
»Da bin ich aber froh«, lachte Elga befreit auf. »Es war ein
Canossagang für mich, doch nun freue ich mich, ihn trotz
aller Hemmungen gegangen zu sein.«
»Weiß Egon, daß Sie hier sind?«
»Nein, er hätte diese Fahrt nie zugelassen. Er ist geschäftlich
verreist und kommt heute abend wieder. Wir müssen also
eilen, daß wir bis dahin zu Hause sind.«

»Weiß Egon, wo er Sie finden kann?«
»Ja, ich hinterließ einen Brief.«
»Also, dann bleiben Sie hier«, entschied Grit kurz und
bündig. »Und nun wollen wir auch die letzte Schranke
niederreißen und uns als eine harmonische Familie
betrachten. Wie ist Ihr – nein – dein Vorname?«
»Elga.«
»Schön. Sei uns herzlich willkommen,
Elga. Und auch du, Bürschlein. Du hast wohl deinen Paps
sehr lieb?«
»O ja«, leuchtete es in den dunklen Augen auf. »Dich
möchte ich auch gern liebhaben und meine große

Schwester Alix. Ihr gefallt mir doch so gut.«
Dieses treuherzige Bekenntnis löste fröhliches Lachen aus.
Bald war man so vertraut miteinander, als kenne man sich
schon lange.
»Eigentlich müßten wir aber doch nach Hause fahren«,
meinte Elga bedenklich, und Grit sah sie forschend an.
»Du fürchtest Vorwürfe?«
»Die würde ich schon gern über mich ergehen lassen. Aber
ich glaube nicht, daß Egon sie mir macht. Er wird im
Gegenteil glücklich über meine Vermittlung sein. Aber wie
wäre es, wenn ihr unsern geliebten Dickkopf zu Hause

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überraschen würdet?«
»Nein, Elga, so rasch geht das nicht. Wir haben hier noch

etwas Schwerwiegendes zu erledigen. Was, das sollst du
schon noch erfahren.«
»Mutti, bleiben wir doch«, bettelte Winfried. »Ich finde es
hier doch so wunderschön.«
»Kind, du hast doch Schule.«
»Aber nur noch einige Tage, dann gibt es Herbstferien.
Mein Lehrer drückt da gern ein Auge zu, weil ich in der
Schule so prima stehe. Ich weiß bestimmt mehr als meine
Mitschüler.«
»Ei, Winfried, nicht überheblich werden«, warnte die
Mutter, und da senkte der dunkle Lockenkopf sich
beschämt.

»Na schön, bleiben wir. Das heißt, wenn wir nicht stören.«
»Das wäre!« lachte Alix fröhlich.
»Seit wann stören denn Mutter und Bruder?«
»Ich danke dir für dieses liebe Wort«, sagte Elga leise. »Jetzt
kann ich erst so recht von Herzen glücklich sein.«
Als Mariechen und ihr August erfuhren, wer die Gäste
waren, wurden diese sofort in die guten Herzen
geschlossen. Eilfertig ging erstere daran, das dritte Zimmer
im Obergeschoß herzurichten. Und als Winfried schlief,
suchte Elga ihre Schwägerin in deren gemütlicher Klause
auf, um ihr sowie Alix zu erzählen, wie gnädig das
Geschick es mit Egon Grodes gemeint, als es ihm über

Daisy von Tees nebst Anhang die verblendeten Augen
öffnete. Bis ins kleinste erfuhren die interessiert
Lauschenden alles – auch daß der erbitterte Mann dem
aufdringlichen Fräulein durch den Diener sagen ließ, es
möge sich zum Teufel scheren, was von den drei Damen
jetzt herzlich belacht wurde.
Am nächsten Morgen fand sich dann eine vergnügte
Gesellschaft am Frühstückstisch zusammen.
»Ist das herrlich hier«, sagte Elga verträumt. »Rosen, nichts
als Rosen. Da könnte man beinahe zum Dichter werden.«
»Man ja nicht«, wehrte Grit mit komischem Entsetzen ab.

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»Wir sind nämlich recht prosaische Leute. Stimmt’s, Alix?«
»Allerdings. Man gewöhnt sich leider an alles – auch an

Rosenduft.«
Es kam so verbittert heraus, daß Elga die Schwägerin
betroffen ansah. Diese
schüttelte kaum merklich den Kopf, und da schwieg die
Frau.
Was ging hier vor?
Das sollte sie erfahren, als Alix und Winfried zum See
gingen, um zu baden. Grit sprach sich so recht ihren
Kummer vom Herzen, wie man es bei einem Menschen tut,
dem man vertraut. Elga hörte mit tiefem Mitgefühl zu, um
dann zu sagen:
»Also hat diese niederträchtige Daisy sich an der Tochter

des Mannes gerächt, der sie so brüsk abfallen ließ. Und was
soll nun werden? Liebt Alix etwa den Baron?«
»Ich glaube, es ist so.«
»Und er?«
»Es ist schwer, aus dem Mann klug zu werden. Aber du
wirst ihn ja kennenlernen und kannst dir dann selbst ein
Urteil bilden.«
»Ist er wenigstens unserer bezaubernden Alix wert?«
»Allerdings. Ein Edelmann der alten Schule, der nicht nur
im Denken, sondern auch im Handeln ritterlich ist. Das
beweist schon allein seine Selbstverleugnung, mit der er für
das geschmähte Mädchen eintrat.«

»Du magst ihn gern, Grit?«
»Sehr, Elga. Meine Ansicht ist, daß Alix keinen besseren
Mann finden könnte.«
»Mein Gott, wenn Egon doch hier wäre. Der würde schon
einen Ausweg wissen.«
Und als wäre ihres Herzens Sehnsucht stark genug, den
Mann herzuzaubern, stand dieser plötzlich auf der Terrasse,
wo er zuerst die Gattin mit heftigen Vorwürfen überhäufte,
die dann unter
ihren schmeichelnden Küssen allmählich abebbten. Zuerst
grollte er noch ein bißchen, um dann restlos zu

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kapitulieren. »Ich habe nicht gewußt, welch eine Schlange
ich an meinem Busen nährte«, brummte er, und

schlagfertig kam es zurück:
»Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die
Tauben – so heißt es doch schon in der Bibel. Aber nun
mal Hand aufs Herz, mein lieber Mann: Glücklich bist du
ja doch, hier zu sein.«
»Na schön. Gebe ich zu. Ein herrliches Fleckchen Erde, zu
dem ihr geflüchtet seid. Schwester Grit, wie gefällt dir
meine Frau?«
»Sehr.«
»Und der Junge?«
»Reizender Bengel.«
»Dein Glück«, tat er grimmig. »Sonst hätte ich beide sofort

ins Auto gepackt und wäre auf Nimmerwiedersehen
entschwunden. Wo ist der Junge denn überhaupt?«
»Mit Alix im See baden.«
»Ist die große Schwester gut zu ihm?«
»Kann man wohl sagen«, schmunzelte Grit. »Und nun
nimm Platz, du alter Brummbär. Frühstücke mal erst,
damit du gemütlicher wirst.«
»Da soll man auch noch gemütlich sein, wenn man vor
Sehnsucht getrieben ins traute Nest zurückkehrt und es leer
findet«, brummte er und wurde ganz herzlos ausgelacht.
Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzutun. Das gute
Frühstück besänftigte ihn immer mehr, so daß Alix bei

ihrer Rückkehr ins Rosenhaus gewissermaßen einen
windelweichen Vater vorfand.
»Paps, du bist auch hier?« schrie sie auf – und dann lag sie
in seinen Armen. Drückte aufschluchzend ihr Gesicht an
die Brust des Mannes, dessen Blick wie ratlos zu Gattin und
Schwester hinging.
Rühre nicht daran – schienen die Gegenblicke zu sagen. Es
ist ein wundes Herz, das bei dir Zuflucht sucht.
»Ist ja schon gut, mein Mädchen«, sagte er zärtlich. »Bist
und bleibst meine geliebte Älteste.«
»Wirklich, Paps?«

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»Wirklich, du kleine Zweiflerin. Du bist doch Blut von
meinem Blut und von dem deiner Mutter, deren Andenken

ich heilig halte. Aber Winfried ist mir auch lieb. Willst du
ihn als deinen Bruder anerkennen?«
»Ohne weiteres, Paps, zumal du dir immer einen Sohn als
Nachfolger gewünscht hast. Und Windfried ist es bestimmt
wert, dein Sohn zu sein.«
»Dann ist ja alles in schönster Ordnung«, polterte er, um
seine Rührung zu verbergen. »Und nun halte mich nicht
länger von meinem Frühstück ab, das ich mir redlich
verdiente.«
Man lachte wie befreit auf, wobei Alix nicht so recht mittat.
Der Vater beobachtete sein Kind verstohlen, und kaum,
daß es gegangen war, um mit Winfried im Auto zur Stadt

zu fahren, fragte er die Schwester barsch:
»Was ist mit Alix geschehen, Grit? So bittere Tränen bei
meinem frohgemuten Singvögelchen können doch
unmöglich auf das Wiedersehen mit mir zurückzuführen
sein. Da wären Freudentränen eher am Platz gewesen. Also
mal gebeichtet, Schwesterherz.«
Sie tat’s – und da kochte der Mann sozusagen vor Grimm.
»So eine nichtswürdige Kreatur!« stieß er zwischen den
Zähnen hervor. »Wo ist diese dreimalabgezogene Katze?
Ich gehe hin und prügele sie zuschanden.«
»Und kommst wegen Körperverletzung hinter Gitter«,
bemerkte Grit trocken. »Außerdem schaffst du das

Geschehene damit noch nicht aus der Welt.«
»Leider«, knurrte er, sich langsam beruhigend. Die Hand,
mit der er das Taschentuch zog und damit die
Schweißperlen abwischte, zitterte stark.
»Ich Esel«, stöhnte er. »Nun muß mein Kind das auslöffeln,
was ich mir damals in meinem Irrsinn einbrockte.«
»Egon, nun quäle dich doch nicht mit Selbstvorwürfen«,
legte Elga ihren Arm um die Schulter des erschütterten
Mannes und drückte ihre Wange an die seine, und da raffte
er sich auf.
»Ich fahre jetzt zu dem Baron und werde ihm mal gehörig

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auf den Zahn fühlen.«
»Davon rate ich dir entschieden ab«, griff Grit ein. »Du hast

es bei ihm nämlich mit einem Elitemenschen zu tun.
Glaube nur ja nicht, daß der beglückt zu allem ja und
amen sagt, was du von ihm verlangst. Dem imponiert
sobald nichts. Nicht einmal das Geld deiner Tochter, weil
er selbst genug davon hat. Also mische dich erst gar nicht
in diese äußerst zarte Angelegenheit hinein, sondern laß
die Hauptbeteiligten allein über ihre Zukunft entscheiden.«
»Grit hat recht«, bestätigte Elga. »Du
könntest mit deinem Eingreifen mehr schaden als nützen.«
Diese eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
»Na schön«, gab er nach. »Aber wenn ich diese Daisy
erwische, dann soll sie was erleben. Wo hält sie sich jetzt

auf, Grit? Ich habe das vorhin nicht richtig mitgekriegt.«
»Bei der verwitweten * Baronin von Isenhardt, die unweit
von hier wohnt.«
»Was ist das für eine Frau?«
»Der Tees durchaus würdig. Sie machen beide Jagd auf den
Baron.«
»Aha, daher ihre Gehässigkeiten Alix gegenüber. Hat die
Tees meine Kleine schon vorher angegriffen?«
»Nein, weil sie nie mit ihr zusammentraf. Wir wußten
wohl, daß die Baronin sich von der Reise eine Freundin
mitbrachte, doch wer das war, interessierte uns nicht.«
»Aber um so mehr wird die Person sich für euch interessiert

und somit gewußt haben, wer im Rosenhaus wohnt«,
lachte er grimmig. »Also wird er euch wohlweislich aus
dem Weg gegangen sein, dieser Schmierfink. Denn die
Abfuhr, die ich ihm erteilte…«
»Guten Morgen«, kam eine lachende Stimme vom Zaun
her, über dem ein Reiter sichtbar wurde. »Ist es erlaubt
einzutreten, gnädige Frau?«
»Oh, bitte sehr, Herr Verwalter«, entgegnete Grit rasch
gefaßt. »Bemühen Sie sich bitte auf den Hof, und geben Sie
dort das Pferd ab. Ich eile Ihnen entgegen.«
»Auf Flügeln der Liebe?«

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»Ei, Herr Verwalter, ich sag’s der Gattin!«
Lachend enteilte sie, um bald darauf mit dem Gast auf der

Terrasse zu erscheinen. Grit stellte vor, und Druschmann
wunderte sich nicht wenig über das plötzliche Auftauchen
von Alix’ Eltern, was er sich natürlich nicht anmerken ließ.
Er nahm in der Runde Platz und schmunzelte.
»Wo ist sie denn nun, die kleine Braut? Zwar bin ich
unschicklich im Reitdreß, wollte jedoch der erste sein, der
nach den Angehörigen seinen Glückwunsch anbringt. Beim
Herrn Baron ist es bereits geschehen.«
Grit hatte das Gefühl, als müßte ihr der Herzschlag
aussetzen vor Schreck. Also hatte Isenhardt recht vermutet,
daß die Verlobung rasch bekannt werden würde.
»Meine Nichte ist augenblicklich nicht hier«, bemühte sie

sich ihrer Stimme Festigkeit zu geben. »Sie ist mit ihrem
kleinen Bruder zur Stadt gefahren.«
Dieser Bruder war wiederum etwas, das Druschmann
überraschte. Vorher war nie von ihm sowie seinen Eltern
die Rede gewesen. Da mußte irgend etwas nicht stimmen.
»Das ist aber schade«, meinte er bedauernd. »Ich hätte der
kleinen Alix gern das Patschchen gedrückt.«
»Sie wird bald erscheinen«, tröstete Grit. »Indes stoßen wir
an.«
Wenig später hob der Verwalter sein Glas dem Ehepaar mit
einer galanten Verbeugung entgegen.
»Ein herzliches Prosit den Eltern dieser entzückenden

Tochter! Das ist aber auch ein Marjellchen, olala! Kein
Wunder, daß mein Herr, der bisher verschworene
Junggeselle war, vor so viel Zauber kapitulieren mußte.
Himmel, was habe ich für eine Freude, daß gerade unser
Dornröschen Herrin von Isen wird. Und meine Frau erst!
Der kullerten nur so die Freudentränen über die Backen, als
sie von der Verlobung erfuhr.«
»So bald schon?« warf Grit ein, während sie gespannt auf
die Antwort wartete.
»Ehrensache, gnädige Frau. Schon gestern mittag
vernahmen wir die frohe Kunde.«

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»Durch wen?«
»Durch die Wirtschafterin der Modeste. Die Ärmste

flüchtete ganz verstört mit der kleinen Gela zu uns, weil im
Witwenhaus der Teufel los wäre, wie sie sich ausdrückte.
Da lagen sich nämlich die beiden Freundinnen
buchstäblich in den Haaren, zankten sich, daß Gott
erbarm. Und da sie ihre Stimmen nicht dämpften, konnte
Justine hören, worum es ging – um den Herrn Baron. Eine
beschimpfte die andere, daß sie ihr in die Quere
gekommen, sonst wäre sie – nein sie – die Auserwählte
geworden und so weiter.«
»Das ist ja köstlich«, lachte Grit amüsiert. »Und was
geschah dann?«
»Dann erschien der Hausfreund, auf den die beiden

einander so würdigen Freundinnen außerdem noch Jagd
machten. Und da ging der erbitterte Streit um den Mann
los, bei dem die Modeste siegte. Sie fuhr mit dem Galan in
seinem protzigen Auto ab, und die andere - Daisy von Tees
heißt sie wohl – blieb geschlagen zurück. Dann raffte sie
sich auf und erschien im Schloß, wo mein Herr
sie wahrscheinlich hinauswarf. Nicht direkt natürlich,
sondern mit Worten, die zu gegebener Zeit nämlich
schneiden können wie spitze Messer.«
Man lachte Tränen über die launige Erzählung. Doch dann
hörte Grit das Auto. Sie entschuldigte sich und eilte auf den
Hof, wo Alix gerade den Wagen in den Schuppen fuhr,

während Winfried der Tante entgegenlief.
»Nun war’s schön, Kerlchen?«
»Sehr schön. Ich habe euch auch etwas mitgebracht. Das
bezahle ich natürlich von meinem Geld, Alix legte es nur
aus.«
Mit einer Verbeugung überreichte er Grit ein Päckchen und
beeilte sich dann, auch die anderen abzugeben. Die Tante
jedoch trat zu Alix, die eben den Wagen abschloß.
»Mädchen, jetzt halt die Öhrchen steif«, sagte sie hastig.
»Druschmann ist auf der Terrasse, um dir zur Verlobung zu
gratulieren.«

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Alix erblaßte bis in die Lippen und lehnte sich Halt
suchend gegen den Wagen.

»Was soll bloß werden«, stammelte sie verstört. »Ich kann
doch unmöglich…«
»Du mußt!« unterbrach die Tante sie energisch.
»Druschmann hat, wie er verriet, seinem Herrn bereits
gratuliert. Willst du nun den Mann, der so ritterlich für
dich eintrat, durchaus blamieren? Das hat er doch wahrlich
nicht verdient. Geh jetzt nach oben, um dich erst einmal zu
beruhigen. Und nicht weinen, hörst du? Sei mein liebes
tapferes Kind.«
»Ach, Tante Grit…«
»Na ja, ich weiß ja, wie dir zumute sein muß, Herzchen.
Aber zuerst mußt

du mitmachen, da hilft nichts. Später läßt sich vielleicht
ein Ausweg finden.«
»Wissen denn Paps und Mutz schon…?«
»Ja. Doch nun muß ich gehen, sonst fällt mein langes
Ausbleiben auf. Dich entschuldige ich irgendwie.«
Damit eilte sie zur Terrasse zurück, wo Druschmann gerade
über eine drollige Bemerkung des Knaben lachte. Dieser
wandte sich nun der Eintretenden zu.
»Du hast dein Päckchen noch nicht aufgemacht, Tante
Grit?« fragte er enttäuscht.
»Nein, mein Bengelchen, ich kam noch nicht dazu. Aber
jetzt bin ich gespannt.«

Sie löste rasch die Verpackung und hielt ein Kästchen in der
Hand, in dem ein Fläschchen Parfüm steckte.
»Oh, das ist mal hübsch.«
»Nicht wahr, Tante Grit? Alix meint, so was kann eine
Dame immer gebrauchen. Du hast dasselbe wie Mutti, weil
ich dich nicht zurücksetzen möchte.«
Man lachte über den ernsthaften kleinen Burschen, und
Grit war froh, daß sich Druschmann mit ihm beschäftigte
und so von Alix abgelenkt wurde.
Und dann stand Alix da – und zwar in bewundernswerter
Haltung. Sie brachte es sogar zu einem fröhlichen Lachen,

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als der Mann, nachdem er sich galant über ihre Hand
geneigt hatte, schmunzelnd sagte:

»Blumen habe ich nicht, das hieße ja in Dornröschens
Reich soviel wie Eulen nach Athen tragen. Auch den
Reitdreß
muß ich entschuldigen, weil ich beim Umkleiden mein
Muttchen nicht hellsichtig machen wollte, damit es mir
womöglich den Rang ablief. Und ich wollte doch der erste
Gratulant sein. Glücklich, gnädiges Fräulein?«
»Sehr.«
»Das können Sie auch«, wurde der Mann nun ernst. »Denn
so prächtige Menschen wie meinen Herrn gibt es nicht
viele. Das heißt, so entzückende Dornröschen auch nicht«,
schloß er galant, und sie drohte ihm lachend.

»Komplimente ziehen bei mir nicht, das müßten Sie doch
schon wissen. Stoßen wir lieber beide an.«
Hell klangen die Gläser zusammen, und die guten
Wünsche, die Druschmann anbrachte, kamen aus
ehrlichem Herzen. Gleich darauf verabschiedete er sich,
und auch Alix zog sich zurück. Winfried ging zu Brasch,
mit dem er sich bereits angefreundet hatte, und so war
sozusagen die Luft rein.
»Was habe ich bloß für eine Angst ausgestanden, als Alix
den Verwalter hier vorfand«, sagte Elga leise. »Und dann
mußte ich ihre Haltung bewundern. Was ist deine Tochter
doch für ein wunderbares Menschenkind, Egon.«

»Das ist sie«, brummte er. »Und deshalb wurmt es mich,
daß so ein Sonnenkind eine glücklose Ehe eingehen soll,
wozu es sich, dem ganzen Verhalten nach, bereits
entschlossen hat.«
»Weil ihr nichts anderes übrigblieb«, bemerkte Grit. »Es ist
also eingetroffen, womit Isenhardt gestern schon rechnete,
nämlich: daß die Verlobung rasch bekannt werden würde.
Übrigens machte ich Alix vorher darauf aufmerksam, daß
sie den ersten Gratulanten vorfinden würde. Also traf sie
das nicht überraschend.«
»Das war sehr vernünftig von dir«, lobte der Bruder, und sie

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lachte.
»Das habe ich bei deiner Tochter schon oft sein müssen.

Und nun will ich mal sehen, wo sie sich verkrochen hat,
um sich mit schmerzlichen Gedanken herumzuquälen, die
so ganz unnötig sind.«
»Du hast ja eine merkwürdige Auffassung, meine Schwester
Grit.«
»Aber entschieden die richtige, mein Bruder Egon«, gab sie
schlagfertig zurück. »Warten wir doch zuerst einmal ab, wie
der Mann sich verhalten wird. Meiner Beobachtung nach
steht er Alix nicht ganz gleichgültig gegenüber.«
»Das ist aber zu wenig für ein liebendes Herz.«
»Zugegeben, Elga. Mir tut Alix gewiß leid, an der ich mit
meinem ganzen Herzen hänge. Und gerade deshalb will

ich sie vor Unbedachtsamkeiten bewahren, wofür sie mir
später bestimmt dankbar sein wird.«
Damit ging sie, um gleich wiederzukommen.
»Alix telefoniert«, erklärte sie ruhig. »Und lauschen möchte
ich nicht gern.«
»Ob sie mit dem Baron spricht?«
»Wahrscheinlich, Egon.«
So war es auch. Zuerst bekam Alix Frau Dieboldt an den
Apparat, die mit freudezitternder Stimme zur Verlobung
gratulierte – und dann klang ein sonores Organ auf:
»Isenhardt.«
»Ja – hier spricht – Alix Grodes. Ich

möchte nur sagen – daß ich mit Ihrem -Vorschlag –
einverstanden bin.«
Einige Herzschläge lang war es am andern Ende still, dann
kam die ruhige Antwort:
»Das freut mich.«
»Danke. Ferner möchte ich Ihnen noch sagen, daß meine
Eltern mit meinem kleinen Bruder hier sind. Darüber bin
ich Ihnen allerdings eine Erklärung schuldig.«
»Aber nicht am Fernsprecher, Alix. Sieh zu, daß ich zuerst
allein mit dir reden kann.«
»Wo soll das sein?«

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»Ich komme sofort zum Rosenhaus.«
»Im Wagen?«

»Ja. Also auf baldiges Wiedersehen, Alix.«
»Auf Wiedersehen – Gernot.«
Sie legte auf und drückte dann die Hände an die
heißglühenden Wangen. Ihr Herz klopfte bang. Hatte sie
nun recht gehandelt oder nicht? Das sollte Tante Grit
entscheiden. Die war ja so welterfahren und klug.
»Ich habe Isen angerufen«, begann sie zaghaft, während sie
sich zu den anderen auf die Terrasse setzte. »War das recht,
Tante Grit?«
»Ja, mein Liebes«, entgegnete sie zärtlich. »Was hast du ihm
gesagt?«
»Daß ich einverstanden bin.«

»Wie faßte er es auf?«
»Mit gewohnter Gelassenheit, die wir beide ja so gut an
ihm kennen. Übrigens sprach ich zuerst Frau Dieboldt, die
mir herzlich gratulierte. Sie konnte vor Freude kaum
sprechen. Ich sehe nun wirklich ein, daß ich die Verlobung
bestehen lassen muß, weil ich Isenhardt
nicht blamieren kann. Du hast mir wieder recht geraten,
Tante Grit. Ich danke dir.«
»Schon gut, Kleines. Und nun mach nicht so traurige
Augen, laß sie lieber strahlen, dazu hast du allen Grund.
Kommt er her?«
»Ja, er wollte gleich abfahren.«

»Na, siehst du, mein Kleines, so eilig hat er es. Da höre ich
übrigens das Auto kommen. Nun geh mit Gott, mein
Kind.«
Da hastete Alix hinaus, drei bangende Herzen
zurücklassend. In der Diele begrüßte sie den Mann und
führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie ganz ungestört waren.
Als er ihre Hand an die Lippen zog, sah er dabei forschend
in das blasse Gesicht.
»Wie töricht, Alix«, sagte er kopfschüttelnd. »Du tust ja so,
als ob du ein Opferlämmchen wärest…«
»Bitte nicht«, tat sie hastig ab. »Nehmen Sie Platz.«

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Als sie saßen, begann sie sofort mit ihrer Erklärung. Sprach
von der Verirrung ihres Vaters, von der Flucht ins

Rosenhaus, schilderte alles ganz ausführlich, und
interessiert hörte er zu. Als sie aufatmend schwieg, sagte er:
»Also hat dieses Fräulein von Tees schon einmal eine
unangenehme Rolle in deinem Leben gespielt. Dein Vater
muß tatsächlich wie mit Blindheit geschlagen gewesen sein,
aus der ein gütiges Geschick ihn noch kurz vor Toresschluß
riß. Und nun eine Frage, Alix: Warst du prinzipiell gegen
eine zweite Ehe deines Vaters?«
»Durchaus nicht«, wehrte sie lebhaft ab. »So mißgünstig
bin ich nun wahrlich
nicht. Meine Abwehr galt allein dieser minderwertigen
Person.«

»So bist du mit seiner jetzigen Wahl zufrieden?«
»Aber sehr.«
»Wie stehst du zu dem Jungen?«
»Den mag ich auch gern.«
»Hm – aber bedenkst du auch, daß du mit diesem
Stiefbruder wirst teilen müssen? Denn soviel ich deinen
Worten entnehmen konnte, will dein Vater ihn adoptieren.
Dadurch würde dein Erbe erheblich geschmälert.«
»Na, wenn schon«, tat sie unbekümmert ab. »Mir bleibt
auch so noch genug, zumal ich durch das Erbe meiner
verstorbenen Mutter allein schon sehr vermögend bin. Ich
freue mich, daß Paps in dem Jungen einen Nachfolger

bekommt, den er sich sehnlichst wünschte. Denn auf
Töchter kann man sich nie recht verlassen. Die heiraten
nicht immer einen Mann, der aus der Branche ihres Vaters
ist.«
»Dafür lieferst du ja den schlagenden Beweis«, lachte er
amüsiert. »Und nun will ich dich nicht länger aushorchen.
Weißt du überhaupt, was ich damit bezwecke?«
»Keine Ahnung.«
»Nun, wenn du dem Knaben die Fürsorge deines Vaters
nicht gegönnt, hättest du mich schwer enttäuscht. Dann
wärest du eben nicht das großzügige, warmherzige

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Menschenkind, für das ich dich gehalten habe und jetzt erst
recht halten darf.«

»Ach, du lieber Himmel!« lachte sie hellauf. »So habe ich
denn ahnungslos eine schwerwiegende Probe bestanden.
Doch was wird nun aus uns?« senkte
sie jetzt verlegen das heißerrötete Gesicht.
»Ein glückliches Paar – wenn du willst.«
Nun ruckte der Kopf hoch, ungläubig sah sie ihn an. Und
was er in diesen strahlenden Sternen las, ließ auch den
letzten Zweifel schwinden. Er atmete auf, so lang und tief,
als müßte er mit diesem Atemzug die Brust sprengen.
Und dann griff er blitzschnell zu. Fest legten sich seine
Arme um den grazilen Mädchenkörper, heiß preßten sich
seine Lippen auf den weichen, jungroten Mund.

»O Gott«, seufzte Alix, als er sie endlich aus den Armen
ließ. »Das war ja direkt ein Überfall.«
»Aber angebracht bei dir sprödem Persönchen. Wenn ich
immer weiter vorsichtig sondiert hätte, säßen wir bestimmt
noch heute abend hier. Böse?«
»Nein, glücklich.«
»Die Antwort genügt mir vollkommen. Und nun pack mit
deinen Fragen aus, die dir förmlich in den Augen brennen.«
»Ach, Gernot.«
»Immerhin ein vielversprechender Anfang. Und weiter?«
»Liebst du mich denn?«
»Den Beweis dafür habe ich dir ja eben erst geliefert. Denn

ein freundschaftlicher Kuß war das wahrlich nicht.«
»Ja, aber – du hast es mich doch nie spüren lassen, daß du
etwas für mich übrig hast.«
»Das ist aber mal vorsichtig ausgedrückt«, schmunzelte er.
»Liebes Kind,
mein Herz brannte schon lichterloh, als ich dich das erste
Mal sah.«
»Und weshalb hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich werde mich hüten, mir bei dir rabiater kleiner Person
einen Korb zu holen.«
»Ach, Gernot!«

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»Ach, Alix! Du warst nämlich gar nicht so leicht zu
durchschauen. Und wenn mich dein beherrschtes Wesen

im großen und ganzen auch freut, so habe ich es doch
manchmal verwünscht. Du hast es mir nicht leicht
gemacht, mein Dornröschen.«
»Wie klug du reden kannst«, blitzte sie ihn an, und er
lachte.
»Hast recht. Lassen wir jetzt mal alle Klugheit beiseite und
benehmen wir uns so töricht, wie es uns als liebendem
Brautpaar zukommt.«
»Wo Alix nur bleibt«, sagte Elga beunruhigt. »Ich komme
vor Angst und Sorge fast um. So viel kann sie dem Mann
doch nicht zu sagen haben. Ob du mal nachsiehst, Grit?«
»Fällt mir gar nicht ein. Die kommen schon, wenn alles

gesagt ist, was gesagt werden muß.«
»Deine Ruhe möchte ich haben«, knurrte Egon, der die
Hände in den Hosentaschen, auf der Terrasse hin und her
lief. »Es geht hier doch schließlich um das Lebensglück
meines Kindes.«
»Woran du nichts ändern kannst, wenn du wie besessen
herumrennst.«
»Laß mich in Ruhe!«
Damit rannte er weiter, aber nicht
mehr lange, dann blieb er wie festgewurzelt stehen. Denn
was er da erblickte, hatte er nicht erwartet – seine
glückstrahlende Tochter, die einen lachenden Mann hinter

sich herzog.
»Hier ist er, Paps«, schob sie ihm den Liebsten zu. »Gefällt
er dir? Mir gefällt er doch so gut!«
Damit war der Bann gebrochen. Man lachte so von Herzen
froh, wie ein Mensch nur lachen kann, der endlich aus
Hangen und Bangen erlöst wird.
»Also, das ist er«, besah Grodes sich seinen Schwiegersohn
schmunzelnd. »Potztausend noch eins! Meine Erwartung
war ohnehin schon hochgeschraubt, aber nun muß ich
sagen, daß sie noch übertroffen wird. Kein Wunder, daß
meine Kleine ihr sprödes Herzchen so rasch verlor. Komm

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her, Frauchen, sieh ihn dir genau an.«
Nun, Elga tat ihr Wohlgefallen zwar nicht so begeistert

kund, aber wie gut er ihr gefiel, sah Gernot an ihrem
herzlichen Blick.
Dann kam Grit an die Reihe, die es kurz und bündig
machte. Sie nahm den lachenden Mann bei den Ohren und
schüttelte ihn leicht.
»Verflixter Bengel!« sagte sie mit einer Stimme, in der
Tränen saßen. »Bis zuletzt ließ er einen herumrätseln. War
das nun nett von dir?«
»Dafür können Sie sich…«
»Bitte?«
»Dafür kannst du dich bei deiner Nichte bedanken,
Griteleinchen. Die hatte es nämlich wunderbar heraus, ihr

Herzchen zu verschließen wie die Auster in der Muschel.
Aber wir beide haben uns gleich gut verstanden, nicht
wahr?«
»Na, der hat’s aber ‘raus«, schmunzelte Grodes, der in
einem Arm seine Frau, im andern die Tochter hielt. Und
dann amüsierten sich alle über Mariechen, das den Kopf
durch den Türspalt steckte und Augen so groß wie
Teetassen bekam.
»Muttchen Brasch, erstarren Sie nicht zur Salzsäule!« rief
Alix ihr neckend zu. »Gratulieren Sie mir lieber zur
Verlobung.«
»Tue ich, tue ich«, ermunterte sich da die Gute. »Und wie

gern. Na ja, zwei so feine Menschen mußten sich finden,
die hat unser lieber Herrgott doch füreinander geschaffen.
Glück wünsche ich, viel, viel Glück.«
Dabei kullerten dicke Tränen über die prallen Wangen, die
sie aber gleich energisch wegwischte und dann zur
Tagesordnung überging.
»Wie ist es nun mit dem Mittagessen, kann ich es
servieren?«
»Man immer los, Muttchen Brasch!« rief Grodes, der sich
gleich den andern in bester Laune befand. »Sind Ihre Töpfe
auch nicht zu klein für die jetzt so große Familie?«

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»Es sollen alle satt werden«, versprach Mariechen, indem
sie sich hurtig in Bewegung setzte.

Bevor man an der Tafel Platz nahm, gab es noch einen
netten Zwischenfall mit Winfried. Nichtsahnend erschien
er im Speisezimmer, stutzte beim Anblick des ihm fremden
Mannes, ging dann auf ihn zu und stellte sich mit
tadelloser Verbeugung ernsthaft vor.
»Winfried Härder.«
»Gernot lsenhardt«, verneigte dieser sich todernst, während
es in Mund- und Augenwinkeln verdächtig zuckte. »Zu Gast
hier?«
»Eigentlich nicht«, kam die Antwort zögernd. »Ich bin hier
wohl mehr zu Hause.«
»Ich auch.«

»Wie bitte?«
»Ich auch – weil ich der Verlobte deiner Schwester Alix
bin.«
Zuerst fassungsloses Staunen – und dann kam es spontan
heraus:
»Oh, Alix, da hast du aber mal einen prima Mann erwischt!
Der kann mir auch gefallen.«
»Das dürfte auf Gegenseitigkeit beruhen«, lachte lsenhardt
gleich den andern herzlich. »Ich glaube, wir beide werden
uns gut vertragen.«
»Bestimmt. Wie muß ich sagen?«
»Gernot.«

»Nicht Onkel davor?«
»Nein – du bist ja mein Schwager.«
»Also denn Gernot – und ich sag’s gern.«
Es war eine fröhliche Gesellschaft, die an der Tafel saß.
Gegessen wurde allerdings nicht viel, dafür war man zu
freudig erregt. Nur dem exquisiten Tischwein sprach man
eifrig zu, was die ohnehin schon beschwingte Stimmung
noch steigen ließ.
Als man beim Mokka saß, kam man darauf zu sprechen,
was aus dem Rosenhaus werden sollte.
»Darin wohne ich natürlich weiter«, entschied Grit kurz

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und bündig, wogegen zuerst einmal Alix heftig protestierte:
»Das gibt es nicht, du kommst zu uns nach Isen!«

»Nein, sie kommt zu uns!« trumpfte der Vater dagegen.
»Das ist nämlich ihr Elternhaus, und da gehört sie hin.
Außerdem belegen wir das Rosenhaus mit Beschlag, in dem
wir jedes Wochenende verbringen werden.«
»Wenn ich das erlaube«, tat Alix sich wichtig. »Ich bin
nämlich die Herrin hier.«
»Das wirst du zuerst einmal in Isen sein, mein liebes Kind«,
dämpfte der Verlobte ab. »Darin warten genug Pflichten
deiner. Schon allein Gela…«
»Gela?« fragte sie verwundert dazwischen. »Was geht die
mich an?«
»Sehr viel – weil du wirst Mutterstelle an ihr vertreten

müssen. Denn ihre leibliche Mutter war so liebenswürdig,
mir das Kind ins Haus zu schicken, bevor sie verschwand.
In dem Schreiben tat sie kund, daß sie ihren Galan zu
heiraten gedächte, um dann mit ihm ins Ausland zu gehen.
Da könnte sie so ein kleines und dazu noch eigensinniges
Kind nicht gebrauchen. Vielleicht holt sie es später…«
»Pfui Teufel!« warf Grit verächtlich ein. »Die Frau ist es ja
gar nicht wert, ein Kind zu haben. Ein Glück, Gernot, daß
es dich hat, sonst wäre es um das Dinglein traurig bestellt.«
»Allerdings. Es tut mir leid, Alix, daß du dich mit einem
fremden Kind befassen mußt, aber soweit ich dich kenne,
siehst du die Notwendigkeit ein.«

»Selbstverständlich, Gernot. Gela ist doch so ein niedliches
Kind, und erziehen werde ich es schon, zumal mir Frau
Dieboldt dabei helfen wird.«
»So rechnest du also damit, daß die Dame auch weiter in
Isen bleibt, wenn du dort die Herrin bist?«
»Natürlich – du etwa nicht? Es wäre ja direkt herzlos, wenn
man die Frau, die ganz allein im Leben steht, entlassen
würde. Ich werde sie noch oft genug um Rat fragen müssen,
weil ich von einem Gutshaushalt überhaupt keine Ahnung
habe. Ich freue mich direkt auf Frau Dieboldt und auf Gela
auch.«

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Darauf erwiderte der Mann nichts. Er griff nur nach der
Hand seiner Braut und drückte sie mit unendlicher

Zärtlichkeit an die Lippen.
»Wer ist denn diese Gela überhaupt?« wollte Winfried
wissen. »Etwa ein Kind von Alix?«
»Junge, du bist wohl nicht recht gescheit!« rief die Mutter
entsetzt und mußte dann doch in die stürmische Heiterkeit
einstimmen. »Gela ist eine Nichte von Gernot, die von
ihrer Mutter im Stich gelassen wurde.«
»Pfui, das ist aber häßlich von der Mutter. Da kann die
Gela froh sein, daß sie Gernot hat. Wie alt ist sie denn?«
»Zwei Jahre.«
»Oh, noch so klein? Aber schadet nichts, ich werde
trotzdem mit ihr spielen und sie beschützen.«

»Das tu nur«, streichelte der Vater gerührt den dunklen
Lockenkopf. »Wir
wollen sie alle liebhaben, die kleine, verlassene Gela.«
»Nun bedauert die Kleine nur nicht zu sehr«, meinte Grit
trocken. »Ihr persönlich konnte die Mutter keinen größeren
Gefallen tun, als sie Gernot zu überlassen. Jetzt wird Gela
eine sonnige Kindheit haben, die ihr bei der launenhaften,
unberechenbaren und leichtfertigen Modeste bestimmt
nicht beschieden gewesen wäre. Hoffentlich kümmert sie
sich um ihr Kind überhaupt nicht mehr, das wäre dem nur
zu Nutz und Frommen.«
Jahrelang hörte man überhaupt nichts mehr von der

Modeste. Und als es dann geschah, kam die Nachricht aus
einem Spital im Orient, wo der Arzt beglaubigte, daß die
Baronin von Isenhardt verstorben wäre.
Aber jetzt war es noch nicht soweit, das geschah erst viele
Jahre später. Jetzt gab es mal erst unter glücklichen
Angehörigen ein glückliches Brautpaar, das im Oktober
Hochzeit feiern wollte.
Und es wurde ein glänzendes Hochzeitsfest, zu dem eine
stattliche Anzahl von Gästen geladen war. Denn so
zurückgezogen wie bisher wollte Isenhardt nun nicht mehr
leben – und dieses Fest sollte der Auftakt zu weiteren

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Festen sein. Und jeder, der es nur durfte, kam fortan gern
in das gastliche Haus.

Bevor das junge Paar auf die Hochzeitsreise ging, schlüpfte
Alix noch rasch ins Kinderzimmer, wo die kleine Gela süß
in ihrem Bettchen schlief. Vorsichtig drückte sie einen Kuß
auf die Stirn, über der sich die goldenen Löcklein ringelten.
»Ist sie nicht süß«, fragte sie den Gatten, der neben ihr
stand und nun achselzuckend meinte:
»Um das zu sein, ist sie wohl noch zu ungezogen.«
»Pfui, Gernot! Was hast du denn gegen Gela?«
»Ich bin eifersüchtig auf sie.«
»Du hast es nötig, du mißgünstiger
Mann. Du kannst mich doch schließlich nicht ganz für
dich allein haben.«

»Leider«, seufzte er so abgrundtief, als wäre er der
bedauernswerteste Mensch unter der Sonne. »Leider
vergöttern dich viel zu viel Menschen. Angefangen bei
deinem vernarrten Vater, bis hinunter zu Gela und deren
Betreuerin Justine. Da bleibt nun herzlich wenig für mich
übrig.«
»Armer Mann«, streichelte sie zärtlich seine Wange und zog
ihn dann mit sich fort. Wie verschmitzte Diebe schlichen
sie aus dem Schloß, damit sie nicht womöglich noch
aufgehalten wurden. Im Auto, das vom Chauffeur gelenkt,
langsam abrollte, schmiegte Alix sich glückselig in den Arm
des Gatten. Doch dann hob sie schnuppernd das Naschen.

»Das duftet hier ja so wunderbar nach Rosen.«
Ehe sie noch aussprechen konnte, lag ein großer Strauß in
ihrem Schoß – und eine zärtliche Stimme raunte ihr ins
Ohr:
»Es sind die letzten aus Dornröschens Reich. Mögen sie ein
Symbol für dein Glück sein.«
»Mein Glück begann, als im Frühling die ersten Rosen
blühten am Rosenhaus – und im Herbst geleiten mich die
letzten ins Land der Liebe.«
»Das dir Sonnenkind immer bleiben möge. Was ich dazu
tun kann, soll gewiß geschehen.«

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Glückselig schmiegte sie sich in seinen Arm – und Amor
lachte sich ins Fäustchen, weil sein Pfeil diesmal so ganze

Arbeit geleistet hatte.

-ENDE-


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